Die Stellvertreter: Denethor und Faramir

Anmerkung: Hier noch einmal der Verweis auf „Allegorie und Anwendbarkeit“. Nur, damit noch mal jeder weiß, dass ich einfach interpretiere, was mir einfällt, und nicht herumspekuliere, was der Autor sagen wollte. Außerdem SPOILER ALERT.

„Der Herr der Ringe“ ist ein tolles Buch, das viele tolle Figuren enthält. Ich mag Frodo, Sam und Gandalf, Merry und Pippin und Legolas und so weiter, aber besonders mag ich Aragorn, und meine Lieblingsfigur ist Faramir. Die ganze Geschichte um Gondor fasziniert mich: Diese Sache mit dem Königreich, das viele Jahrhunderte lang von Statthaltern regiert wird, bis dann endlich ein Nachfahre der alten Könige zurückkehrt. Vielleicht fasziniert mich dieser Handlungsstrang deshalb so, weil auch wir Katholiken die „Rückkehr des Königs“ (so bekanntlich der Titel von Band 3) erwarten, und auch wir seit langer Zeit von Statthaltern regiert werden.

Es ist Unsinn, wenn in der Tagesschau oder der Süddeutschen der Papst als „das Oberhaupt der katholischen Kirche“ tituliert wird. Das ist einfach nur falsch. Christus ist das Haupt der Kirche, und der Papst ist vicarius Christi, des eigentlichen Königs Stellvertreter.

Bleiben wir erstmal bei der Handlung in „Der Herr der Ringe“. Denethor, Faramirs Vater und die meiste Zeit des Buches über Statthalter von Gondor, ist bekanntlich nicht besonders angetan von der Aussicht auf Aragorns Ankunft – im Gegenteil. Als er schon halb wahnsinnig ist und seinen verletzten Sohn Faramir und sich selbst töten will, um einen Sieg Saurons im Krieg nicht miterleben zu müssen, sagt er zu Gandalf:

„[…] So! Mit der linken Hand wolltest du mich noch ein Weilchen als Schild gegen Mordor benutzen und mit der rechten diesen Waldschrat aus dem Norden heranholen, der mich ersetzen soll.

 Aber lass dir gesagt sein, Gandalf Mithrandir, ich bin nicht dein Werkzeug! Ich bin Statthalter des Hauses Anárion. Ich lasse mich nicht zur Hofschranze eines Emporkömmlings erniedrigen. Und würde mir seine Abkunft auch bewiesen, stammte er doch nur aus Isildurs Linie. So einem will ich mich nicht beugen – dem letzten Spross eines heruntergekommenen Hauses, das der Königswürde längst verlustig gegangen ist.“

 „Was würdet Ihr Euch denn wünschen“, sagte Gandalf, „wenn alles nach Eurem Willen ginge?“

 „Ich würde mir wünschen, dass alles so bleibt, wie es mein Leben lang und zu Zeiten meiner Ahnen gewesen ist: dass ich in Frieden diese Stadt regieren und dann meinen Platz einem Sohn hinterlassen könnte, der sein eigener Herr und kein Zauberlehrling wäre. Wenn aber das Schicksal mir dies verweigert, will ich lieber nichts: weder das verarmte Leben noch die halbierte Liebe oder die beschränkte Ehre.“

 „Mir scheint nicht, dass ein Statthalter, der sein Amt wieder abgibt, nachdem er es gewissenhaft erfüllt hat, dadurch an Ehre und Ansehen verliert“, sagte Gandalf.

Na ja, Gandalf kann Denethor nicht überzeugen; es gelingt ihm, sich selbst zu töten, aber sie können ihn wenigstens noch davon abhalten, auch den bewusstlosen Faramir umzubringen. Faramir kann wieder geheilt werden – durch Aragorns Hilfe. Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers, wie es in Gondor heißt.

Plötzlich regte sich Faramir und öffnete die Augen. Er sah Aragorn über sich gebeugt, und ein Licht ging in seinen Augen auf, wie wenn er einen alten Freund wieder erkannte. Leise sagte er: „Herr, Ihr habt mich gerufen. Ich komme. Was befiehlt der König?“

 „Irre nicht länger in den Schatten umher, sondern erwache!“ sagte Aragorn. „Du bist müde. Ruhe eine Weile, nimm etwas zu dir und sei bereit, wenn ich wiederkehre!“

 „Das tu’ ich, Herr. Denn wer wollte faul das Bett hüten, wenn der König wiedergekehrt ist?“

Faramir versteht – im Gegensatz zu seinem Vater – das Amt, das er von diesem geerbt hat, als das, was es ist: als Stellvertretung. Und er freut sich über die Rückkehr seines Königs. Hier noch ein Ausschnitt aus der Szene von Aragorns Krönung nach dem Sieg über Sauron:

In der Mitte des freien Platzes begegneten sich Faramir und Aragorn, und Faramir kniete nieder und sagte: „Der letzte Statthalter von Gondor bittet um Erlaubnis, sein Amt abzugeben.“ Und er reichte Aragorn seinen weißen Stab. Aragorn nahm den Stab und gab ihn Faramir zurück, mit den Worten: „Dieses Amt ist nicht erloschen, und es soll dein und deiner Erben sein, solange mein Haus währt. Walte nun deines Amtes!“

Ein Statthalter unterscheidet sich in einigen wichtigen Dingen von einem König. 1) Er hat seine Autorität nicht durch sich selbst, sondern nur durch den König. 2) Er muss nach den Gesetzen des Königs regieren, nicht nach seinen eigenen. 3) Auch wenn er für das übrige Volk den Platz des Herrschers einnimmt, gehört er gegenüber dem eigentlichen König doch zum Volk dazu. 4) Sobald der König wieder da ist, muss er sein Amt abgeben.

Und das ist es, was auch die Statthalter in Christi Reich, das „nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36) ist, sind und tun. Ein Papst ist nicht das Oberhaupt der Kirche; also kann er nichts an den Gesetzen ändern, die das eigentliche Oberhaupt hinterlassen hat; und obwohl er an unserer Spitze steht, steht er doch auch mit uns als normaler Mensch vor Christus. Deshalb ist es so lächerlich, wenn vom Papst diese und jene Änderung im Namen von „Barmherzigkeit“ oder „Gleichberechtigung“ oder was auch immer gefordert wird. Der Statthalter kann nicht anders, als sich an die Vorstellungen des Königs von Barmherzigkeit und Gleichberechtigung zu halten.

Aber das ist noch nicht alles. Er muss immer wieder zeigen, dass er nicht im eigenen Namen regiert, er muss auf den König verweisen, dessen Ankunft er mit dem übrigen Volk erwartet. Der Stellvertreter Christi trägt auch den Titel „Diener der Diener Gottes“. Das macht auch Sinn; schließlich soll er sein Amt nicht als ein Privileg verstehen, das ihm zusteht (wie Denethor es tut), sondern als einen Dienst, den er im Auftrag eines anderen ausübt (wie Faramir).

PS: Wir Christen sind übrigens alle gegenüber der Welt die Gesandten und damit gewissermaßen Stellvertreter Jesu und sollen Ihn in uns gegenwärtig und sichtbar werden lassen. Imitatio Christi!

PPS: Tipp für Skrupulanten: Wir sollten uns übrigens das, was Aragorn zu Faramir sagt, hinter die Ohren schreiben. Irre nicht länger in den Schatten umher, sondern erwache!

3 Gedanken zu “Die Stellvertreter: Denethor und Faramir

  1. Nun, meine eigene vermutlich Lieblingsfigur, die ich wenigstens auch schon oft als Nickname verwendet habe, ist ja eine andere…

    aber ehrlichgesagt finde ich, eine der wirklich sehr faszinierenden Figuren, die gerne auch etwas falsch beurteilt werden, ist ausgerechnet Denethor.

    Buch-Denethor, versteht sich.

    Der erste Punkt, den man über ihn sehen muß, ist: das ist ein Guter.

    Es wird wohl richtig sein, daß er „nicht besonders angetan von der Aussicht auf Aragorns Ankunft“ war, aber die offene Rebellion gegen den rechtmäßigen König, die Du hier zitierst, spricht er bezeichnenderweise erst dann aus, als er schon wahnsinnig ist, und zwar nicht halb, sondern ganz.

    Es war Denethor, der immer wieder den Wunsch von Boromir (und presumably von anderen) verwiesen hat, der Statthalter möge sich doch endlich König nennen. Er macht übrigens auch einen guten Job als Statthalter, und bis dahin läßt nichts den Eindruck erwecken, wenn der König denn wiederkäme, würde er genau das tun, was Faramir später getan hat. Faramir übrigens wird – interessanterweise – als ganz nach dem Vater schlagender Sohn beschrieben (mit einer Prise Numenormystizismus gewürzt heißt das bei Tolkien dann „by some chance, the blood of Numenor runs nearly true in Denethor, as it does in his other son, Faramir, yet did not in Boromir“). Vielleicht ein wenig unwillig, aber pflichtbewußt.

    Er ist auch ein wenig unwillig gegenüber der Neigung von Zauberern, sich immer einzumischen, wenn er mit der Regierung Gondors genügend am Hut hat: „Die Herrschaft über Gondor gehört mir und niemand anderem, bis der König zurückkehrt“ – Peter Jackson hat leider den letzten Satz abgeschnitten und aus dem ganzen an dieser Stelle der Handlung schon den Sinn einer Rebellion gegen das Haus Elendil gegeben, wenn Denethor doch nur meint, daß einstweilen *nicht Gandalf* das letzte Sagen hat. Gandalf antwortet dann auch vielsagend und anerkennend (sinngemäß): „Bis der König zurückkehrt? Jedenfalls ist es in der Tat Eure Aufgabe, bis zu diesem Zeitpunkt, unvorhergesehen wie er sein mag, some sort of kingship zu behalten“. Trotz diesem grundsätzlichen Unwillen gegen Zauberer schätzt er Gandalf aber doch.

    Zur Verteidigung Gondors schaut er sogar in den Palantir, was sich, seit einer an Sauron (oder den Hexenmeister?) gefallen war, niemand mehr getraut hatte, und schafft es – anders als Saruman, der immerhin ein Zauberer war! – dabei, den Stein mehr oder weniger unter seine Gewalt zu bringen, viel für die Verteidigung Gondors Wichtiges zu sehen und nicht von Sauron komplett in die Irre geführt oder unterworfen zu werden. Sauron gelingt es nur, ihn wahnsinnig werden zu lassen, in dem er ihn Dinge sehen läßt, die tatsächlich Tatsachen sind, zum Beispiel die sich nähernden Schiffe, von denen er nicht wußte, daß sie Aragorn geschnappt hatte (womit die Schlacht am Pelennor verloren gewesen wäre), und die Massen und Massen an Heeren, die in Mordor warteten (womit, selbst wenn die Schlacht am Pelennor wie tatsächlich gewonnen werden würde, der Krieg jedenfalls verloren gewesen wäre). Die Krieg, so dachte er, ist nach Lage der Dinge verloren – eine Einschätzung, die Gandalf im Rat der Heerführer ausdrücklich und zustimmend zitiert, wenn auch mit der Bemerkung, man möge deswegen nicht verzweifeln, denn es gebe noch einen anderen Weg, ohne Waffengewalt.

    Über diese aussichtslose Lage ist er in Verzweiflung gestürzt, wozu dann auch noch beigetragen haben mag, daß er ja wußte, daß der Ring auf dem Weg nach Mordor ist, und daher mit gewisser Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, daß der Ring in Saurons Hände gefallen war – daraus, aus der Dunkelheit, der Übermacht des Feindes usw. hat er geschlossen, daß Sauron den Ring zurückerobert habe, und dann sei sowieso alles verloren (eine Folgerung, die von allen so gezogen wird, Gandalf eingeschlossen, obwohl man sich als Leser denkt, Elendil seinerzeit hatte ja auch gegen Sauron *mit* Ring gekämpft).

    Und erst in dieser Verzweiflung denkt er sich dann, ach ja, und dann soll ich bei all dieser Niederlage auch noch abgelöst und wie ein Hund weggeschickt werden (soll er nicht, aber er ist wahnsinnig und denkt sich das so) – woraus dann die Behauptung kommt, erstens sei Aragorns Anspruch nicht bewiesen (wenn wir das Heilen als Beweis nehmen, war sie es zu dem Zeitpunkt auch noch nicht), zweitens sei er auch behauptetermaßen nur aus dem Haus Isildur und er nur Statthalter des Hauses Anarion, ein verfassungsrechtlicher Unsinn, den bis dahin nie jemand vertreten hatte, aber man beachte: selbst im Wahnsinn bringt er es nicht über sich, vom prinzipiellen Standpunkt, daß ein Statthalter sein Amt dem König zurückgeben müßte, abzurücken, auch wenn er sich dann auch deswegen so verfassungsrechtlich verrenken muß.

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