Die allumfassende Kirche, Teil 3: Die Kulturen und das Gute und das Böse

Alle Teile hier.

Allumfassend – griechisch katholikos –  ist die Kirche nicht nur in Bezug auf Raum und Zeit, sondern auch in noch anderer Hinsicht. Man könnte sie mit dem koboldgearbeiteten und basiliskengiftgetränkten Schwert Godric Gryffindors in „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ vergleichen: Sie nimmt nur auf, was sie stärkt.

Goethe hat in „Faust I“ seinen Mephistopheles (also den Teufel) etwas polemisch über die Kirche sagen lassen (Mephisto paraphrasiert hier einen Pfarrer) „Die Kirche hat einen guten Magen, / Hat ganze Länder aufgefressen, / Und doch noch nie sich übergessen; / Die Kirch allein, meine lieben Frauen, / Kann ungerechtes Gut verdauen.“, und hat das auf ihre große Bereitschaft zur Annahme von Spenden bezogen, um es höflich zu formulieren. Aber in einer anderen Hinsicht ist dieser Satz ganz passend. Die Kirche kann aus jedem Land, aus jeder Kultur, aus jeder Kunst und jeder Wissenschaft alles aufnehmen, was gut und wahr und schön ist, so wie sie während der Völkerwanderung die Werke der antiken heidnischen Autoren wie Vergil, Cicero oder Homer in ihren Klöstern bewahrte und im Mittelalter die Philosophie des Aristoteles in die scholastische Theologie aufnahm. Sie wird ablehnen, was das Gute und Wahre und Schöne beeinträchtigt; die Kindesaussetzung bei den Römern und die Polygamie in Afrika ebenso wie die Blutrache bei den Germanen oder die Verheiratung von Kindern unter den Japanern oder die zweiten und dritten und vierten Ehen nach einer Scheidung bei den heutigen Europäern.

Viele Christen sahen in den vorchristlichen Mythen eine praeparatio evangelii, eine Vorbereitung für das Evangelium, weil darin schon gewisse Einsichten enthalten waren, und ebenso auch in der vorchristlichen Philosophie. Sokrates, Platon, Aristoteles, die Stoiker, Vergil, Cicero, Homer: Die Werke all dieser sind uns erhalten und bekannt und haben unsere Kultur beeinflusst, weil Kirchenväter wie Augustinus (Anhänger des Neuplatonismus), Scholastiker wie Thomas von Aquin (Aristoteles) usw. darin Gutes und Bewahrenswertes fanden, das in einer christlichen Kultur seinen Platz finden kann. Natürlich nicht alles. Es gibt z. B. auch bei Platons Sokrates-Dialogen manches, wo man sich denken kann, also ja, hm, das ist jetzt, ähm, eher nicht so toll (ich denke da z. B. an die leicht totalitären Elemente in der Politeia). Im 16. Jahrhundert waren die Jesuiten-Missionare in China ganz begeistert von Konfuzius.

Kurz gesagt: Die Kirche nimmt alle guten Früchte und entfernt nur die verfaulten Stellen.

Denn das Böse ist immer nur eine Verderbnis des Guten; es hat in sich keine eigenständige Existenz, kein eigenes Wesen.

„Man kann allein um der Güte willen gut sein“, schreibt C. S. Lewis in „Mere Christianity“, „aber beim Bösen geht das nicht. Wir können etwas Gutes tun, auch wenn uns nicht danach zumute ist und wir keinen Nutzen davon haben; einfach weil das Gute recht ist. Aber niemand hat je eine Grausamkeit begangen, einfach weil Grausamkeit schlecht ist, sondern vielmehr weil sie Vergnügen bereitet oder Nutzen bringt. Mit anderen Worten: Dem Bösen gelingt es nicht einmal, auf die gleiche Weise böse zu sein, wie das Gute gut ist. Das Gute ist sozusagen ‚es selbst’. Das Böse ist nur das verdorbene Gute. Und es muss zuerst etwas Gutes geben, ehe es verdorben werden kann. […]

 Noch einfacher ausgedrückt: Um schlecht zu sein, muss die Macht des Bösen existieren, muss sie Verstand und Willen besitzen. Existenz, Verstand und Wille aber sind an sich gut. Also muss sie diese von der Macht des Guten empfangen haben. Um überhaupt schlecht sein zu können, muss sie bei ihrem Widersacher borgen oder ihn sogar bestehlen.

 Verstehen wir jetzt, warum das Christentum schon immer behauptet hat, der Teufel sei ein gefallener Engel? Das ist kein Ammenmärchen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass das Böse ein Schmarotzer, nicht etwas Ursprüngliches ist.“

Das ist keine Verharmlosung des Bösen, ganz im Gegenteil: Zu behaupten, dass das Böse in sich eine Existenz hätte, hieße, es zu verharmlosen, indem man ihm einen legitimen Platz zugesteht. Das ist das Problem mit manchen Philosophien, die Gut und Böse als sich gegenseitig ergänzende notwendige Seiten des Lebens, als Yin und Yang sehen. Das Christentum ist da ganz anders. Das Böse ist einfach nur eine Perversion, das heißt wörtlich übersetzt eine Verdrehung des Guten, es ist eine Verschmutzung also muss es beseitigt werden, restlos, damit das Gute wieder in seinem Glanz erstrahlen kann.

Philosophie und Offenbarung, Teil 1

[Kleines Update: Ich habe hier nur sehr kurz ein paar philosophische Gottesbeweise angerissen; für eine besser erklärte Form siehe hier, hier und hier.]

Ein Unterschied, der beim Thema „Glaube ich an Gott oder nicht?“ gemacht werden sollte und oft nicht gemacht wird, ist der zwischen philosophischer Gotteserkenntnis und Gotteserkenntnis durch Offenbarung.

Menschen können durch Nachdenken zu dem Schluss kommen, dass es einen Gott gibt. Allerdings führt das noch nicht unbedingt zu der Erkenntnis, wie genau dieser Gott ist, was er so macht, was er mich angeht, und was er so von meinem Leben hält. Wenn dieser Gott existiert, hat er aber auch die Möglichkeit, sich selbst auf spezielle Weise den Menschen zu zeigen, nicht nur durch das, was er allgemein erkenntlich in seiner Schöpfung von sich gezeigt hat und das die Menschen möglicherweise durch ihre von ihm gegebene Vernunft erkennen können, sondern auch auf andere Weise, wie es ihm gerade einfällt. Er könnte mit rosa Farbe einzelne Lehren und Gebote in den Himmel schreiben, oder Feuer und Schwefel regnen lassen, oder er könnte auch selber die menschliche Natur annehmen, in einer kleinen Höhle bei Bethlehem geboren werden, in einer menschlichen Familie aufwachsen, lehren, Wunder wirken, wegen Gotteslästerung brutal hingerichtet werden und dann wieder auferstehen. Laut dem Christentum wählte er Letzteres. Es gibt keinen Widerspruch zwischen beidem; Gott kann sich nicht widersprechen, also auch nicht Philosophie (wenn sie korrekt ist und nicht auf Denkfehlern beruht) und Offenbarung. Im Gegenteil: Die Offenbarung kann auf der Philosophie aufbauen.

Philosophische Argumente für die Existenz Gottes (d. h. eines absoluten Seins ohne Anfang und Ende, eines ursprunglosen Wesens, das seinerseits für die Entstehung der Welt verantwortlich ist) sind beispielsweise die „fünf Wege“ des Thomas, die er in der Summa theologiae ausführt. Thomas geht z. B. davon aus, dass es in der Welt Bewegung (ein Begriff für Veränderung im Allgemeinen) gibt, aber keine Veränderung ohne Ursache denkbar ist. Diese Ursachenkette kann man immer weiter zurückverfolgen. Irgendwann muss es jedoch eine erste Ursache geben, denn sonst könnte die ganze Kette überhaupt nicht existieren, „wie der Stock nichts bewegt, es sei denn dadurch, dass er von der Hand bewegt wird“. Von nichts kommt nichts: Das entspricht unserer ganzen Erfahrung. Also muss es einen ersten „unbewegten Beweger“ geben – „und das begreifen alle als ‚Gott’“. Ein weiterer Weg geht davon aus, dass es in der Welt Zielgerichtetheit gibt, also dass Dinge zu einem Zweck da zu sein scheinen. Man könnte noch grundsätzlicher darauf hinweisen, dass es überhaupt Gesetze in der Natur gibt. Solche Zielgerichtetheit und Ordnung setzt jedoch jemanden voraus, der das ganze System geordnet hat – wiederum einen Gott.

Noch ein anderer der fünf Wege beruht auf dem Argument der Stufungen: In der Welt gibt es verschiedene Abstufungen von Vollkommenheit, von Gutheit (das ist zwar falsches Deutsch, aber das deutsche Wort Güte passt hier einfach nicht). Wir beurteilen diese Abstufungen; also muss es einen Maßstab geben, nach dem wir urteilen, eine oberste Gutheit, eine Kraft oder ein Wesen, die oder das das Gute verkörpert, der Ursprung des Guten ist, „und das nennen wir Gott“. C. S. Lewis führt in „Mere Christianity“ ein sehr ähnliches Argument genauer aus: Alle Menschen fühlen in sich den Anspruch ihres Gewissens, das ihnen sagt, was sie tun sollen. Das ist oft sehr verschieden von dem, was sie tun wollen, aber die Stimme, die ihnen sagt, was richtig und was falsch ist, verlangt trotzdem Gehorsam. Jeder Mensch erkennt implizit an, dass es Gut und Böse, dass es einen Maßstab des Richtigen gibt – spätestens dann, wenn er selbst ungerecht behandelt wird, wird er Gerechtigkeit verlangen. Wir können gar nicht anders, als in Begriffen von richtig und falsch, von moralisch und unmoralisch, von gut und schlecht zu denken; das ist uns angeboren, und das tun unbewusst selbst die, die eine andere Philosophie vertreten.

Ein weiteres Argument für eine Existenz von irgendetwas Übernatürlichem läge ebenfalls im Wesen des Menschen: Er ist so offensichtlich darauf ausgerichtet, an etwas außer- und oberhalb dieser Welt zu glauben, dass die Atheisten, global betrachtet, auch heute ziemlich deutlich in der Minderheit sind. Der Mensch hat ein Verlangen nach etwas, das über diese Welt hinaus geht, nach dem Übernatürlichen. So ein Verlangen wäre aber sehr seltsam, wenn es die Erfüllung des Verlangens einfach nicht gäbe. Wir haben Hunger – Essen existiert. Wir haben Durst – Flüssigkeiten existieren. Wir frieren – Wärme existiert. Wir haben ein Bedürfnis nach Kommunikation und Austausch – andere Menschen existieren. Wir haben in der Regel kein Bedürfnis, für das es keinen Grund gibt; so sagt es uns die Erfahrung. Das einzige Verlangen, das nicht gestillt werden können soll, soll das nach Gott sein? (Wieder danke an Lewis für diese Einsicht!)

Sokrates und Platon vertraten übrigens einen philosophischen Monotheismus, dasselbe gilt für die meisten Philosophen der sogenannten Aufklärung. (Ich mag den Begriff eigentlich nicht, weil er nicht zutrifft, aber dazu eigens.) Man kann Gottes Existenz für erwiesen, wahrscheinlich oder möglich halten, unabhängig davon, ob man glaubt, dass er sich irgendwann noch speziell offenbart hat. Allerdings sollte man nicht – wie die französischen Aufklärer das taten – generell davon ausgehen, dass er sich grundsätzlich nicht offenbart; denn das wäre ziemlich dämlich, es hieße nämlich, einem Wesen, das man selbst nicht im geringsten erfassen kann, vorschreiben zu wollen, was es zu tun hat und was nicht.*

Nun gibt es ganz verschiedene angebliche Offenbarungen im Lauf der Geschichte; Jesus, Mohammed und Joseph Smith (der Gründer der Mormonen) behaupteten alle, von Gott gesandt zu sein, und da waren sie noch lange nicht die einzigen. Nun kann man daran einfach herangehen wie an jeden Bericht von irgendetwas: Mit der Frage „Stimmt das?“.

Da kann man Verschiedenes betrachten. Erst einmal sollte man sich anschauen, was sie selber denn gesagt haben und welchen Eindruck das macht. Ich hatte zum Beispiel bereits das Buch Mormon in der Hand, und ich muss sagen mein Eindruck war: Billiger Versuch eines Bibelabklatsches (jeder zweite Satz lautete „Und es begab sich“), und Mischmasch aus kruden Geschichten, die historisch so was von unbeweisbar oder bereits widerlegt sind (Jesus ist nach seiner Auferstehung den Indianern erschienen, die zum Teil aus den verlorenen Stämmen Israels bestanden, allerdings haben die sich dann irgendwann untereinander bekämpft und ausgerottet, und so ist der Glaube dort verloren gegangen… also bitte!). Hinzu kommen bei den Mormonen moralische… ähm… Fragwürdigkeiten wie die Einführung der Polygamie (inzwischen zwar längst wieder aufgegeben, aber trotzdem kann man sich fragen, was das sollte). Weiters könnte man prüfen, ob eine Lehre in sich logisch ist oder ob Widersprüche bestehen, oder ob Prophezeiungen gemacht und erfüllt oder nicht erfüllt wurden (wie bei den Zeugen Jehovas; Wiederkunft Christi 1914). Man kann sich generell fragen, wie nachprüfbar das ist, wodurch ein selbsternannter Prophet zu belegen weiß, dass er von Gott ernannt ist. „Ich hatte eine Erscheinung, also glaubt mir, was ich sage!“ ist nicht ausreichend. (Ja, hier meine ich u. a. Mohammed.)

Zum Thema, wie der Katholizismus bei einer solchen Prüfung abschneidet, im zweiten Teil.

* Natürlich gehen auch die Christen davon aus, dass Gott bestimmte Dinge grundsätzlich nicht tun kann, nämlich Böses tun, weil das Böse ein Mangel ist, und Gott vollkommen ist, und das ein Widerspruch in sich wäre, und Gott sich nicht widersprechen kann. (Zu dem Thema mehr in einem anderen Beitrag.) Aber eine Offenbarung an die Menschen kann nun kaum böse genannt werden.

Neu unter Erzkatholiken

Ich gehöre zu den zahlreichen Menschen, die in einem Elternhaus aufgewachsen sind, in dem es eine gewisse Bindung zur Kirche gab, aber keinen sonntäglichen Messbesuch und keine besonders „streng katholischen“ Ansichten. Vor einigen Jahren wurde ich dann allerdings „streng katholisch“. Wie immer, wenn man in einen neuen Kreis eintritt, erlebt man auch im erzkatholischen Milieu am Anfang einige Überraschungen; ich nehme an, dass ich da nicht die einzige gewesen bin. Zum Beispiel können einen die folgenden Dinge erst einmal erstaunen:

  • Katholiken sind einerseits irgendwie normale Menschen, die normale Jobs haben, normale Schulen besuchen und normale Hobbies betreiben.
  • Andererseits verwenden sie Wörter wie „Keuschheit“, „Gehorsam“ und „Demut“ als Bezeichnung für lobenswerte Haltungen (auf Katholisch: „Tugenden“) und meinen das im Ernst.
  • Es gibt unter ihnen ziemlich geniale Denker, beispielsweise G. K. Chesterton.
  • Sie glauben, dass der Teufel tatsächlich existiert.*
  • Ihnen wird häufig vorgeworfen, andere zu verurteilen oder als schlechte Menschen darzustellen, weshalb sie, wenn sie in Debatten ihre Meinung sagen, häufig damit beginnen, zu betonen, dass es ihnen nicht darum geht, irgendjemanden zu verurteilen oder als schlechten Menschen darzustellen. Und ja, damit ist es ihnen ernst. Sie sind überwiegend freundliche und respektvolle Zeitgenossen, die es ernst damit meinen, alle ihre Mitmenschen zu achten.
  • Auch unter ihnen gibt’s Idioten.
  • In politischen Dingen sind sie im Allgemeinen relativ, hm, mittig-konservativ eingestellt, aber v. a. in wirtschaftspolitischen Fragen gibt es unter ihnen große Spielräume. Für sie ist die Frage, ob man SPD, CDU, AfD oder auch die PARTEI wählt, oftmals belangloser als die Frage, ob man Katholik oder Protestant ist.
  • Es gibt unter ihnen Meinungsverschiedenheiten und man kritisiert sich auch mal gegenseitig. Sehr häufig kritisiert man auch dieses oder jenes Verhalten von einzelnen kirchlichen Organisationen, Bischöfen und gegebenenfalls dem Papst. Gewisse traditionelle Katholiken können schärfere Kritiker des deutschen Kirchensteuersystems sein als jeder Atheist. (Ich persönlich halte dieses System im Übrigen für prinzipiell sinnvoll.)
  • Sie können endlos über Hand- und Mundkommunion, die Zelebrationsrichtung, den Wortlaut des Hochgebets und ähnliche liturgische Fragen diskutieren.

Wenn man längere Zeit katholisch ist, merkt man auch, dass man sich selbst einigen dieser Verhaltensweisen angleicht. Und noch weitere Veränderungen macht man durch. Beispiele:

  • Man legt einen strengeren Maßstab an sich an und überprüft regelmäßig, in welchen Dingen man sich nicht daran gehalten hat.
  • Man gewöhnt sich irgendwann daran, alle paar Wochen in einem geschlossenen Holzkasten mit Gitter in der Mitte einem Priester gegenüberzuknien und ihm zu erzählen, wann man sich nicht daran gehalten hat. Zu den dort erzählten Sünden gehören regelmäßig auch Dinge, die man sonst niemals niemandem unter gar keinen Umständen erzählen würde. Man gewöhnt sich dran.
  • Da man, sobald andere Leute gemerkt haben, dass man katholisch ist, regelmäßig „Kreuzzüge-Hexenverfolgung-Inquisition“ zu hören bekommt, beginnt man beinahe zwangsläufig, sich etwas Geschichtswissen anzulesen, um etwas auf Vorwürfe entgegnen zu können. Katholizismus ist gut für die Allgemeinbildung.
  • Man muss seine Ansichten allgemein häufiger rechtfertigen und beginnt somit, sich Informationen über viele Bereiche seines Glaubens zu sammeln und diese zu durchdenken. Katholizismus ist gut für die Übung des Verstandes.
  • Man beginnt, Katholisch zu sprechen. Begriffe wie Kollar (nicht einmal mein Rechtschreibprogramm kennt das Wort für den katholischen Priesterkragen), Eucharistische Anbetung, lichtreiche Geheimnisse, Tabernakel, Häresie, Schisma, Tridentinum (auch von der lateinischen Bezeichnung für das Konzil von Trient weiß das Programm nichts), Novene, Konklave oder Ignatianische Exerzitien verwendet man bald wie von selbst und geht davon aus, dass jeder diese Worte versteht.
  • Zu der neuen Sprache, die man erlernt, gehören auch ein paar Brocken Latein. Irgendwann kann man sogar ganze Sätze sagen. Leider aber nur solche wie „Agnus Dei qui tollis peccata mundi“ (Lamm Gottes, der du die Sünde der Welt hinwegnimmst), die einem nicht viel nützen würden, wenn man, sagen wir mal, Cäsars Gallischen Krieg im Original lesen wollen würde.

* Unter dem Teufel und den Dämonen verstehen wir gefallene Engel. Vor den Menschen, die Wesen aus Körper und Geist sind, erschuf Gott auch die Engel, reine Geistwesen. So wie die Menschen haben sie jedoch einen freien Willen und daher gibt es logischerweise gute und böse (gefallene) Engel. Von allen diesen Engeln wissen wir ein bisschen etwas durch Gottes Offenbarung in der Bibel.

Psychologie der Beichte

Der katholische Psychiater Raphael Bonelli über Psychologie und Beichte: Was sind Unterschiede, was Gemeinsamkeiten, wofür ist das eine da, wofür das andere, welche psychologische Wirkung hat die Beichte? Sehr Interessantes über das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, Selbstbetrug und Selbsterkenntnis, usw.

Ein paar Zitate:

„Die Psyche ist das, was zwischen dem Körper und der Seele ist. […] Und die Psyche ist abhängig vom Körper, im Sinn, dass sie abhängig ist vom Gehirn. Die Psyche hat Depressionen; das hat nicht die Seele, das ist eine psychische Funktion. Das ist sozusagen die Befindlichkeit. […] in der Seele, oder auch im Herzen, entscheidet sich der Mensch dazu, eine gute oder eine schlechte Tat zu tun. Aber mit der Psyche ist er depressiv, oder manisch, oder schizophren, oder sonst irgendwas. […] Es gibt depressive Heilige. Und es gibt glückliche Verbrecher. Ja, die gibt’s. Es muss nicht jeder, der was Schlechtes macht, gleich auch unglücklich sein. […] Das Seelenheil ist nicht die Befindlichkeit.“

„Und da fällt mir auf, dass dieses schwindende Selbstvertrauen der Priester […] auch damit zusammenhängt, dass sie diese Würde nicht mehr ausstrahlen können, diese Väterlichkeit. […] Ein Priester muss ein Auftreten haben, dass man normalerweise den Affekt hat, ‚Wow, bei dem würd ich gerne beichten‘. […] Und das kriegt der originelle Messgestalter nicht hin, oder der coole Junggeselle, oder der, der sich bemüht, dass alle wissen, dass er eh ganz normal ist. Der ist dann so normal, dass man sagt, also, das wär mir peinlich, wenn der jetzt meine Sünden erfährt. […] Wenn der Priester krampfhaft versucht, ganz normal zu sein, dann nimmt er sich, was er eigentlich hat.“

„Eltern sind super. Eltern sind an allem schuld. […] Ein Drama ist zum Beispiel diese schizophrenogene Mutter, die die Psychoanalytiker erfunden haben, also d. h. die Mutter, die schuld ist an der Schizophrenie des Kindes. Ich hab Mütter schon so heulen sehen […] Da gibt’s Selbstmorde deswegen, wegen der schizophrenogenen Mutter. Gott sei dank haben die Analytiker in der Zwischenzeit diese Hypothese wieder fallen lassen.  Aber in den Köpfen vieler Leute spukt das noch herum, dass die Eltern an allem Möglichen schuld sind. […] Dieses Wort ‚ekklesiogene Neurose‘ sagt ja auch, ich kann nichts dafür, die böse Kirche macht mich kaputt. Diese Fremdbeschuldigung […] ist etwas, was die Menschen extrem unfrei macht, weil dadurch kommst du ja gar nicht mehr raus.“

„Und dann gibt’s noch etwas, das in der Gesellschaft, und besonders in der Psychotherapie sehr präsent ist, und zwar das Selbstwertgefühl. Jeder von ihnen hat eins und alle sind zu weit unten. […] Ich hör das ständig, in allen psychologischen Gutachten steht ‚Patient hat eine Selbstwertproblematik‘, das klingt besonders g’scheit, und das stimmt auch manchmal, aber das stimmt nicht immer. […] In vielen Psychotherapien – jetzt nicht in der Verhaltenstherapie, aber in vielen Psychotherapieformen – ist die Hebung des Selbstwertgefühls die Lösung für alles. Und eigentlich muss man sich ja auch fragen: ‚tschuldigung, es muss ja auch noch was mit der Wahrheit zu tun haben. […] Wir bewegen uns genau in die Richtung einer Gesellschaft, die sich für extrem super hält, und alle, die sich nicht für extrem super halten, die sind schon krank. Die brauchen mehr Selbstwertgefühl. Und gesund sind sie, wenn sie sich super finden. […] Was die Kirche da anzubieten hat, das nennt man Gotteskindschaft. Das ist eine Stabilität zwischen: Ich bin zwar nicht der Allerbeste […] aber andererseits bin ich nicht der letzte Dreck. Weil die Alternative für ein agnostisches Wesen ist: entweder ich bin der Beste oder ich bin gar nichts.“

„Dann schafft man es [durch regelmäßiges Beichten], dass die eigene Tat nicht mehr schicksalhaft erlebt wird, also als etwas, das einfach so passiert, sondern dass eine rationale Steuerung und Beurteilung möglich ist. Und das macht dann ein gesundes Selbstbewusstsein. Also nicht ein übersteigertes, narzisstisches, sondern ein gesundes Bewusstsein der Gotteskindschaft. Und dadurch wird man auch dankbar gegenüber einem großen Gott, der verzeiht. Der muss nicht verzeihen, weil ich so super bin […], sondern der verzeiht, weil er so gütig ist. Dann versteht man auch erst die Barmherzigkeit Gottes so richtig. Und dann kommt eine echte Freude auf.“

Jesus Christus und der Sinn des Kreuzes

„Every other person who ever came into this world came into it to live. He came into it to die. Death was a stumbling block to Socrates – it interrupted his teaching. But to Christ, death was the goal and fulfillment of His life, the gold that He was seeking. Few of His words or actions are intelligible without references to His Cross. He presented Himself as a Savior rather than merely as a Teacher. It meant nothing to teach men to be good unless He also gave them the power to be good, after rescuing them from the frustration of guilt.“

(Jede andere Person, die jemals in diese Welt kam, kam in sie, um zu leben. Er kam in sie, um zu sterben. Der Tod war ein Hindernis für Sokrates; er unterbrach sein Lehren. Aber für Christus war der Tod das Ziel und die Erfüllung Seines Lebens, der Schatz, den er suchte. Wenige seiner Worte oder Taten sind verständlich ohne Bezugnahme auf Sein Kreuz. Er präsentierte sich eher als ein Erlöser denn bloß als ein Lehrer. Es bedeutete nichts, die Menschen zu lehren, gut zu sein, wenn Er ihnen nicht auch die Kraft gab, gut zu sein, nachdem Er sie von der Frustration der Schuld gerettet hatte.)

(Fulton Sheen, Life of Christ)

Das Kreuz scheint einerseits allgegenwärtig zu sein – in Klassenzimmern, an Straßen, auf Friedhöfen, in den Kirchen – aber gleichzeitig wird es in der Regel übersehen. Es ist so allgegenwärtig, dass man es oft kaum noch bemerkt. Und selbst wenn man es bemerkt, weiß man oft nicht mehr, was es eigentlich bedeutet. Klar, Jesus ist am Kreuz gestorben, schade, ja, aber er ist dann ja wieder auferstanden oder so… Nun, darin erschöpft sich der Sinn des Kreuzes nicht, auch wenn man, wie ich, sich beinahe ein Jahrzehnt lang katholischem Religionsunterricht unterziehen kann, ohne etwas darüber beigebracht zu bekommen, dass Jesu Tod kein bedauerlicher Unfall war.

Der Sinn des Kreuzes ist dieser: Gott (genauer: die zweite Person der göttlichen Dreifaltigkeit) hat menschliche Natur angenommen – wirklich menschliche Natur, Körper und Seele, Er ist nicht bloß in menschlicher Gestalt erschienen, sondern Mensch geworden, ohne dabei jedoch irgendetwas von seiner göttlichen Natur zu verlieren – und hat sich von den Menschen töten lassen, um den Preis für ihre Sünden zu bezahlen.

„Sünde“ ist nicht die Übertretung irgendeines willkürlichen Kirchengebotes. Sünde meint Schuld, Verletzung, eine Verletzung, die da ist und nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Wenn man durch Lügen, Neid oder Gleichgültigkeit das Verhältnis zu Familie oder Freunden zerstört hat, dann ist das erstmal kaputt. Wenn man betrunken Auto gefahren ist und jemanden dabei totgefahren hat, ist der tot. Wenn man jemanden, den man nicht leiden kann, durch Verachtung oder Mobbing verletzt hat, ist diese Verletzung da. Da ist eine Schuld, die bezahlt, die gesühnt werden muss, und die wir aus eigener Kraft nicht sühnen können. Und deswegen hat Gott  das selbst für uns übernommen. „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach“, schreibt Paulus, „durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.“ (Kol 2,14)

Gott ist gerecht; Er kann Unrecht nicht einfach zulassen und schönreden. Aber Er ist auch gnädig, und liebt auch den, der Unrecht tut; an Seiner Liebe kann sich durch nichts etwas ändern. Und deshalb hat Er selbst uns eine Möglichkeit des Auswegs aus dem Kreislauf von Schuld und Sünde – denn Sünde trägt oft genug die Züge von Sucht – geebnet.

Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben.
Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen.
Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun; was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt.
Wer hat unserer Kunde geglaubt? Der Arm des Herrn – wem wurde er offenbar?
Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm.
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.
Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt.
Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen.
Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.
Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen.
Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war.
Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen.
Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.
Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein.

Diese Zeilen sind eine Prophezeiung über den Messias beim Propheten Jesaja (Jes 52,13-53,12). Man spricht hier auch vom Vierten Lied vom Gottesknecht. Dieser stellvertretend leidende Gottesknecht zeigte sich schließlich Jahrhunderte nach Jesaja in Jesus Christus.

 „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit“, schreibt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief.Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 1,22-24)
 Christus ist für uns gestorben, und durch die Taufe bekommen wir Anteil an Seinem Opfer! Durch die Taufe werden wir von aller Schuld erlöst und Ihm ähnlich gemacht und bekommen Seine Gnade, um ein neues Leben zu leben; nicht mehr nur als Geschöpf, sondern als Kind Gottes. Jesus ist der Sohn Gottes, alle Getauften Seine Adoptivgeschwister. „Wir verkündigen“, schreibt Paulus weiter hinten in diesem Brief, „wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ (1 Kor 2,9)

Nach seinem stellvertretenden Tod ist Christus auferstanden: Weil die Liebe den Tod besiegt.

In „Der König von Narnia“ stirbt der Löwe Aslan einen solchen stellvertretenden Tod wie Christus, und auch ihn kann der Tod nicht festhalten. „Wenn sich einer, der nichts verbrochen hat, freiwillig für einen Schuldigen opfert, dann bricht der Steintisch entzwei und der Tod weicht zurück“, sagt Aslan zu Lucy und Suse, als er vom Tod zurückgekehrt ist.

PS: Fulton Sheens Buch, aus dem ich oben zitiert habe, ist übrigens sehr, sehr, sehr empfehlenswert. Je mehr ich von Fulton Sheen lese, desto begeisterter bin ich. Es gibt es übrigens auch auf Deutsch, Titel: „Das Leben Jesu“ – die Übersetzung ist allerdings nicht sehr gut.

Was der IS, die Hitlerjugend und die katholische Kirche gemeinsam haben…

…und was sie unterscheidet:

Es ist wohl mittlerweile allgemein bekannt, dass der IS seine Kämpfer nicht nur aus irgendwelchen jungen Irakern rekrutiert, die nie etwas anderes als fundamentalistischen Islam zu hören bekommen haben und wütend auf den Westen sind, der seine Drohnen und Soldaten in den Mittleren Osten schickt, sondern auch aus Männern aus diesen westlichen Ländern selbst, und nicht nur aus Männern „mit Migrationshintergrund“, sondern genauso aus jungen Deutschen, Franzosen, Amerikanern, die irgendwann zum Islam konvertiert sind. Und auch genügend europäische Mädchen bieten sich IS-Kämpfern als Ehefrauen an und verlassen ihr Land Richtung Syrien, und jetzt initiieren sie auch eigene Terroranschläge und laufen mit Niqab und Maschinengewehren gleichzeitig herum.

Vor ein paar Tagen habe ich in einer Tageszeitung einen Artikel über den von Frauen geplanten Terroranschlag in Paris und die aus Frauen bestehende Al-Chansaa-Brigade in Al-Rakka, allgemein eben über weibliche Terroristen, gelesen. Dieser Artikel strotzte schlichtweg vor Unverständnis gegenüber diesem Phänomen – und ich frage mich, ob es bloß ein Nicht-Verstehen-Wollen, oder tatsächlich ein Nicht-Verstehen-Können war. Da hieß es zum Beispiel, dass der IS bei Frauen Erfolg hat, und zwar „trotz seines mittelalterlichen, frauenfeindlichen Rollenbildes“. (Ich übergehe hier mal die Frage, wie viel der Artikelschreiber wohl vom tatsächlichen Mittelalter weiß. Leider gilt „mittelalterlich“ ja mittlerweile als Standardschimpfwort.) Und dieses Rollenbild wird u. a. dadurch definiert, dass „die Männer Modegeschäfte, Schönheitssalons, ja alles Westliche für Teufelszeug halten“. Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen. Beispiel für das „Westliche“, für unser großartiges neuzeitliches Frauenbild, für weibliche Emanzipation und Freiheit, sind Modegeschäfte und Schönheitssalons. Da sage noch einer, der Westen hätte Frauen nicht mehr zu bieten als der IS. Der Autor des Artikels scheint tatsächlich nicht zu verstehen, dass es Frauen geben kann, denen Modegeschäfte und Schönheitssalons völlig egal sind im Vergleich zu anderen Dingen.*

Ich denke, eine Gesellschaft, der die Leute zu einer fleißig bombenden, enthauptenden und versklavenden Terrormiliz davonlaufen, sollte sich mal fragen, was bei ihr eigentlich falsch läuft.

Seien wir ehrlich: „Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“, „Rechtsstaatlichkeit“, usw. – das alles bietet keinen Sinn für das Leben des einzelnen. Diese Dinge langweilen einen, wenn man sie im Sozialkundeunterricht oder im nächsten Leitartikel zum fünfzigsten Mal vorgekaut bekommt. Sie sind Rahmenbedingungen für das Zusammenleben hier, und das war’s auch schon. Der Rahmen ist da, aber er ist leer. Deutschland hat eine einigermaßen ordentliche Verfassung im Vergleich mit anderen Ländern (nicht zuletzt dank gewisser Inspirationen durch die katholische Soziallehre), aber kein Mensch liest die Verfassung, wenn er Krebs hat oder verlassen wird oder die Ungerechtigkeit auf der Welt sieht oder sich einfach fragt, wofür er eigentlich da ist – was sich auch junge Frauen schon mal fragen können, so blöd sind wir ja nicht. Deswegen ist es lächerlich, wenn Politiker auf Koranverteilungsaktionen damit reagieren wollen, das Grundgesetz zu verteilen. Unsere Gesetze bieten einigermaßen vernünftige, wenn auch von Menschen aufgestellte und absolut nicht immer perfekte Grenzen, innerhalb derer das Leben im Namen des öffentlichen Friedens stattfinden soll. Sie bieten keine Orientierung für dieses Leben. Noch schlimmer ist es natürlich, wenn den Leuten auch Freiheit und Recht und Gerechtigkeit eigentlich nichts mehr bedeuten und „westliche Werte“ eher als Chiffre für „Vollbeschäftigung, RTL II und Stripclubs“ dienen – oder wenn eben eine gute Situation der Frauen nicht dadurch definiert wird, dass Frauen z. B. selbst entscheiden, wen sie heiraten, sondern dadurch, wie knapp ihre Strandbekleidung ausfällt. Das scheint mir allgemein ein Problem im Umgang mit dem Islam zu sein. Der Westen scheint sich nicht ganz entscheiden zu können, ob Frauenrechte nun darin bestehen, möglichst wenig anzuziehen und möglichst viel Sex zu haben (was meiner Meinung nach ein Ausgenutztwerden ist), oder vielleicht doch eher in irgendetwas anderem.

Der Mensch braucht etwas Höheres, für das er leben kann, er braucht einen Sinn und ein Ziel und Regeln für sein Leben. Er ist auf den wahren Gott ausgerichtet; also kann er ohne Ihn nicht leben, und wenn er ohne Ihn leben muss, sucht er sich falsche Götter als Ersatz. Und das tun nicht nur arbeitslose Jugendliche ohne Freunde und Selbstbewusstsein. Auch wenn man Bildung, Arbeit, gutes Aussehen, eine funktionierende Beziehung, nette Bekannte und eine schöne Eigentumswohnung hat, kann man sich irgendwann mal fragen: War das schon alles? Vielleicht nicht so früh, wie wenn man das nicht hat, aber irgendwann taucht die Frage doch auf: Gibt es nicht auch mehr? Was ist Wahrheit? Gibt es Wahrheit? Was soll ich tun? Worauf kann ich bauen? Was kann ich hoffen?

Die Menschen suchen nach Sinn und Antworten für ihr Leben, und unsere Gesellschaft bietet keine. Den Vertretern ihrer anerkannten Elite (besonders solchen, die Zeitungsartikel und Schulbücher schreiben) fällt zu dieser Frage meistens nichts Besseres ein als „da gibt es keine so einfachen Antworten“, wenn sie tatsächlich überhaupt keine Antworten haben oder über manche möglichen Antworten von vorn herein nicht nachdenken wollen. Und wenn dann die Salafisten die ersten sind, die Antworten anbieten… zuerst findet man klare Regeln, ein größeres Ganzes anstelle des eigenen Ich, Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen, und irgendwann soll dann der Terrorismus diesem Willen entsprechen.

Ich denke, dass es mit der Nazi-Bewegung, die ja auch eine Art politische Religion war, sehr ähnlich gewesen ist. Auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, obwohl die Kirchen noch irgendwie fester im Sattel saßen als heute, herrschte eine große Unsicherheit, viele Menschen fanden im Glauben keine Orientierung mehr – er war irgendwie langweilig, bürgerlich geworden. Gefährliche Ideen kursierten – Eugenik, Sozialdarwinismus, Wettstreit der Nationen; das Denken in allen diesen Kategorien war in Europa und Nordamerika schon lange vor Hitler weiter verbreitet, als uns heute oft bewusst ist. Diese Ideen waren aufregend, neu, und beriefen sich doch auf ewige Gesetze. Dann kam ein Führer, der sich vom Schicksal berufen sah, formierte eine Bewegung, forderte Gehorsam – und natürlich liefen ihm die jungen Leute begeistert hinterher.

Das soll jetzt bitte schön in keiner Weise als Verharmlosung der Nazizeit oder des IS verstanden werden. Ich bin überzeugt, dass Menschen nie nur aus fehlgeleitetem Idealismus zu SS-Männern und islamistischen Terroristen werden. Solche gewaltbereiten Gruppen sprechen die besten und die schlimmsten Seiten im Menschen an. Man kann sich überlegen fühlen, kann vor allem seine Agressionen ungehemmt ausüben, beim IS vielleicht auch ein paar Sex-Sklavinnen kriegen – und sich dabei auch noch dazu gratulieren, dass man zu den Guten gehört und etwas Tolles leistet, da man ja schließlich sein Leben einsetzt. (Dass man es ehrlich im tiefsten Innern glaubt, dass einem keine Zweifel daran kommen, kann ich mir schwer vorstellen.) Perfekte Mischung sozusagen. Und genau deswegen brauchen wir die Kirche Jesu Christi als Gegengift.

Falsche Religion kann man nur mit richtiger Religion bekämpfen. Wenn Menschen Gott folgen wollen, muss man ihnen zeigen, wie der richtige Gott ist, dass er keine Menschenopfer fordert, auch keine Menschenopfer durch Terrorismus gegen ganz normale Leute. Ich bezweifle, dass „Das ist doch finsteres Mittelalter!“ da viel Erfolg hat. Gehorsam, Opferbereitschaft, Treue, Demut, ein höheres Ziel; das alles ist nichts, was wir hinter uns lassen sollten oder auch nur könnten. Das ist gerade das, was wir brauchen, aber richtig. Gerade das liebe ich an der katholischen Kirche. Es macht Freude, dem Papst und dem eigenen Bischof gehorsam zu sein, es bringt wirkliche, ehrliche Freude. Es macht Freude, sich zu überwinden und zur Beichte zu gehen und diesem Menschen zu helfen und jenes zu tun und zu beten im Versuch, der Liebe zu Jesus Christus näher zu kommen.

Ich denke, es ist vielleicht jetzt schon ein bisschen klar geworden, wieso die wahre Religion anders ist als die vielen falschen Religionen (zu denen auch die vielen politischen Religionen wie der Kommunismus oder eben der Nationalsozialismus zählen). Ihr Gesetz ist Liebe; Liebe zu unserem Gott und Liebe zu allen seinen Geschöpfen. Sie bringt Klarheit, Licht und Frieden. Man möge Videos vom Weltjugendtag mit Videos von Enthauptungen durch den IS vergleichen – ich denke, der Unterschied wird deutlich. Zwischen den Menschen dort liegen Welten. Und das ist wohl auch der Grund dafür, dass gerade jetzt so viele Muslime zum Christentum finden; und zwar trotz der Probleme, die sie sich damit schaffen, und zu denen u. a. Todesdrohungen und Verstoßung durch die Familie ja schon standardmäßig dazu gehören.

Ich finde es furchtbar schlimm, wenn Christen suchenden Menschen keine klaren und tiefen Antworten bieten können. In seinem Buch „Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat“ beschreibt der Journalist Jürgen Todenhöfer, wie er über das Internet Kontakt zu IS-Terroristen aufnahm und von ihnen die Erlaubnis erhielt, für zehn Tage in ihr Gebiet zu reisen, um darüber zu berichten. Im Lauf der Vorbereitungen traf er sich auch mit der Mutter eines dieser deutschen IS-Terroristen und sie schilderte ihm, wie aus ihrem Sohn ein Islamist geworden war. Ihre Geschichte beginnt folgendermaßen:

„Seit frühester Kindheit war Christian extrem wissbegierig. ‚Was ist der Tod, Mama?’, fragte er sie zum Beispiel. Er stellte Fragen, auf die sie sich die Antworten oft lange überlegen musste. Sie verbrachten während seiner Kindheit viel Zeit mit Lesen. Bücher wie Was ist was? waren heiß begehrt. Was man nicht wusste, musste man in Büchern nachlesen. Auch seinen Lehrern und dem evangelischen Pfarrer fiel auf, wie viele Fragen Christian hatte. Doch in der Kirche bekam Christian nie Antworten auf seine Fragen. Christian fand das so enttäuschend, dass er kurz vor seiner Konfirmation beschloss, auf die Feier zu verzichten. Auch auf die Konfirmationsgeschenke. Er suchte lieber weiter nach Antworten.“

In der Kirche bekam Christian nie Antworten auf seine Fragen.

Ja, das kann ich mir vorstellen. Bei den deutschen Lutheranern ist es ja generell noch schlimmer als bei den Katholiken, aber auch bei uns gibt es genug, die eigentlich gar nicht recht wissen, was sie glauben, und irgendwie auch gar nicht mehr recht glauben. Jedenfalls können sie kein klares Zeugnis mehr davon ablegen, was sie eigentlich glauben. Sie sind nicht bereit, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petrus 3,15), und das ist das Problem.

Nach 1945, als der nationalsozialistische Traum vom Tausendjährigen Reich zusammengebrochen war, lebte der christliche Glaube in Deutschland übrigens zeitweise wieder sehr stark auf. (Dank der erneuten Rückschläge in den 60ern ist uns das nicht mehr so bewusst.) Entwicklungen sind nicht unumkehrbar. Und das Christentum hat immer noch gesiegt; es hat sehr viele Verfolger überlebt, nicht wenige davon in den letzten 200 Jahren. Es wird auch noch da sein, wenn der Islamische Staat zusammengebrochen ist. Und das ganz einfach deswegen, weil es den wahren Gott verkündigt – wenn es denn ordentlich verkündigt -, der gütig und barmherzig ist und allen seine Liebe und Vergebung schenken und sie zu seinen Kindern machen will, auch die, die seine Kinder jetzt gerade verfolgen. (Ein Beispiel wäre der Christenverfolger Saulus, der zum Völkerapostel Paulus wurde.)

Unser erster Papst schreibt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen. Dann werden die, die euch beschimpfen, weil ihr in (der Gemeinschaft mit) Christus ein rechtschaffenes Leben führt, sich wegen ihrer Verleumdungen schämen müssen. Es ist besser, für gute Taten zu leiden, wenn es Gottes Wille ist, als für böse. Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen; dem Fleisch nach wurde er getötet, dem Geist nach lebendig gemacht.“ (1 Petrus 3,15-18) So geht das.

*Ich habe übrigens nichts gegen Modegeschäfte und so weiter. So weit bin ich dann doch westliche Frau. Aber es gibt halt auch mehr.

Die allumfassende Kirche, Teil 2: Die Gemeinschaft der Heiligen

Alle Teile hier.

Im ersten Teil dieser Reihe ging es um eine erste Bedeutung der Katholizität der Kirche (katholisch, altgriechisch katholikos, bedeutet, wie gesagt, allumfassend): Sie ist universal in Bezug auf Länder, Völker und Nationen. Sie ist es aber auch – und das ist mindestens ebenso wichtig – in Bezug auf Epochen und Zeiten.

Es ist Unsinn, von der Kirche zu fordern, sie solle sich einer bestimmten Zeit (zum Beispiel der, die jetzt gerade da ist) anpassen; dadurch würde sie ihre Universalität aufgeben. Petrus und Paulus, Athanasius von Alexandria und Benedikt von Nursia, Hildegard von Bingen und Katharina von Siena, Thomas Morus und Kateri Tekakwitha gehören ebenso zur katholischen Kirche wie Max Meier und Chantal Müller aus Obereischheim. Sicher verwirklicht sich der katholische Glaube in jeder Zeit und in jedem Menschen anders; aber er bleibt trotzdem immer im Kern gleich. Paulus schreibt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Galater 2,20) und „Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8). Daraus folgt logisch, dass alle Christen aller Epochen etwas gemeinsam haben müssen – denn in uns allen lebt derselbe Christus.

C. S. Lewis (1898-1963), einer meiner Lieblingsschriftsteller, spricht in „Surprised by joy“ davon, dass er während seiner Zeit als Atheist unter einer Art von „chronologischem Snobismus“ litt, und in einem Essay, den ich leider gerade nicht finden kann, spricht er eine Art von verbreitetem chronologischem Provinzialismus an. Wir halten unsere Zeit für allen anderen überlegen – „mittelalterlich“ ist ein Synonym für „schlecht“ geworden –, haben aber gleichzeitig so gut wie keine Ahnung von diesen anderen Zeiten, vor allem davon, wie die Menschen in diesen anderen Zeiten gedacht haben und ob uns das etwas sagen könnte. Wir lesen nicht das, was sie damals geschrieben haben, sondern bestenfalls, was andere heute über sie schreiben; und das ist nichts anderes als chronologischer Provinzialismus, als denkerische Enge.

Diese allgemein übliche Verachtung der Vergangenheit betrifft nicht ausschließlich die christliche Vergangenheit. In längst vergangenen Tagen – selbst noch in Lewis’ Tagen – war es in höheren Schulen einmal üblich, Platon und Vergil zu lesen in der Annahme, dass die einem eventuell noch was zu sagen haben könnten. Heute kann man froh sein, wenn Neuntklässler aus dem Geschichtsunterricht in Erinnerung behalten, wann der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat. (Ja, ich gehöre tatsächlich zu den Menschen, die sich endlos darüber aufregen könnten, dass meine Generation dank der großartigen innovativen „entrümpelnden“ Lehrpläne unserer Kultusministerien kein historisches Wissen und im Übrigen auch nahezu keine Ahnung von Grammatik und Rechtschreibung mehr hat. Meistens habe ich zwar Besseres zu tun, aber gelegentlich muss man das mal sagen dürfen. So!) Und obwohl die antiken heidnischen Philosophen in Abgrenzung vom christlichen Erbe gerne mal öffentlich gelobt werden, sind die einzigen, die sie (wenn auch immer noch recht selten) tatsächlich lesen, meistens die Christen. Ich spreche aus Erfahrung: In den Altgriechischkursen an den Unis sitzen nun einfach so gut wie ausschließlich Theologiestudenten.

Selbst wenn ein Historiker heute mal Platon – oder vielleicht sogar einen christlichen Philosophen wie Boethius oder Thomas von Aquin – liest, dann selten mit der Frage im Hinterkopf: Hatte er Recht? Was hat mir das zu sagen?

Ich will schon wieder Lewis zitieren, der in seinen berühmten „Screwtape letters“ (deutsch: „Dienstanweisungen für einen Unterteufel“) den höhergestellten Teufel Screwtape an seinen Neffen Wormwood schreiben ließ:

Es mag nun erwidert werden, dass einige dieser zudringlichen menschlichen Schriftsteller, vorab Boethius, diese Geheimnis preisgegeben haben. Aber dank dem intellektuellen Klima, das uns in Westeuropa endlich zu schaffen gelungen ist, brauchst Du dich um diese Gefahr nicht groß zu sorgen. Nur die Gelehrten lesen alte Bücher. Wir aber haben diese Gelehrten so geschult, dass sie unter allen Menschen am wenigsten geeignet sind, sich die Weisheit aus den Büchern der Alten anzueignen. Wir haben das erreicht, indem wir ihnen „den geschichtswissenschaftlichen Standpunkt“ unauslöschlich eingeprägt haben. Der „geschichtswissenschaftliche Standtpunkt“ bedeutet kurz gefasst dies: Wenn ein Gelehrter irgendeiner Aussage eines früheren Autors begegnet, dann ist die eine Frage, die er nie stellen wird, die, ob sie wahr ist. Er fragt, wer den antiken Verfasser beeinflusst hat, wie diese Aussage mit dem übereinstimmt, was er in anderen Büchern sagt, und welche Entwicklungsphase des Schreibenden oder der allgemeinen Geschichte des Denkens erläutert wird und wieweit sie spätere Denker beeinflusst haben und wie oft sie falsch verstanden worden sind (besonders von den eigenen Kollegen des Gelehrten), welche Richtung die allgemeine Kritik in dieser Frage im Laufe der letzten zehn Jahre eingeschlagen hat und welches der „gegenwärtige Stand der Frage“ ist. Die Schriften des alten Verfassers als mögliche Quelle der Erkenntnis anzusehen, zu erwarten, dass das, was sie sagen, möglicherweise die eigenen Gedanken oder das eigene Handeln ändern könnte – das würde als äußerst einfältig abgewiesen.

G. K. Chesterton (1874-1936) hat Tradition einmal als „Demokratie für die Toten“ bezeichnet. Eine solche Art der Demokratie, in der auch die Toten Stimmrecht haben, macht natürlich dann besonderen Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die Toten noch leben. Die Christen vergangener Epochen gehören zur Kirche wie wir, und zwar aus dem einfachen Grund, dass zwar ihre Epochen vergangen sein mögen, aber sie nicht.

Im Credo bekennen wir unseren Glauben an die „Gemeinschaft der Heiligen“. Hier wird das Wort „Heilige“ im Sinn des Paulus verwendet, der seine Briefe mit „an die Heiligen in XYZ“ begann: Heilige – Geheiligte durch die Taufe und den Glauben – sind in diesem Sinne alle Christen. Wir bilden eine Gemeinschaft. Und zu der gehören nicht nur die Christen auf der Erde, sondern auch die, die bereits tot und bei Gott sind (= die im Himmel) bzw. vor ihrem endgültigen Eintritt in die Gemeinschaft mit Gott noch eine Läuterungszeit durchmachen (= die im Fegefeuer, lateinisch Purgatorium (Reinigungsort)). Deshalb beten wir zu denen im Himmel um Fürsprache, und leisten selber Fürsprache für die im Fegefeuer; bei denen auf der Erde geht beides, wir können für andere und andere für uns beten.

Für diese drei Bereiche der Kirche verwendete man klassischerweise die Begriffe:

  • ecclesia militans: streitende (d. h. kämpfende) Kirche (auf der Erde)
  • ecclesia patiens: leidende Kirche (im Fegefeuer) und
  • ecclesia triumphans: triumphierende Kirche (im Himmel“).

Im Moment sind wir noch bei der kämpfenden Kirche auf dem Schlachtfeld; aber wir hoffen darauf, mal zur siegreichen, triumphierenden Kirche im Angesicht Gottes zu gehören.

PS: Und ja, hier ist mit „Kämpfen“ traditionellerweise immer so was wie Kampf gegen die Sünde gemeint, das Schlechte in einem selber. Ja, auch das Schlechte da draußen in der Welt, aber anfangen muss man in sich selber, da gibt’s auch genug Schlechtes.

Wie sieht ein katholischer Priester aus, der vor einem Erschießungskommando steht?

So sieht er aus:

Gefunden hier.

Zum historischen Hintergrund: Im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) kämpften kommunistische Republikaner gegen Faschisten, und die Kommunisten hatten eine gewisse Neigung dazu, Priester, Nonnen und Mönche umzubringen, und unter ihren Opfern war auch der junge Priester Martín Martínez Pascual (der mit anderen Märtyrern von Johannes Paul II. seliggesprochen wurde), und so haben wir einige Fürsprecher mehr im Himmelreich gewonnen. Pascual (1910-1936) unterrichtete vor dem Bürgerkrieg Latein an einem Priesterseminar. Im Sommer 1936 war er in seinem Heimatdorf, als republikanische Milizen auftauchten. Er konnte fliehen und die Hostien aus der Kirche noch mitnehmen; als er nach einigen Tagen von den Republikanern gefangen genommen wurde, verbrachte er seine verbleibende Zeit im Gefängnis damit, den anderen Gefangenen die Eucharistie auszuteilen und die Beichte abzunehmen, bis er dann mit seinen Leidensgenossen vors Dorf gebracht und vor ein Erschießungskommando gestellt wurde. Er wurde nur Sekunden vor seinem Tod von dem republikanischen Photografen Hans Guttman aufgenommen. Er sieht ziemlich entspannt aus, nicht? Schließlich hat er ja auch eigentlich nichts zu befürchten und alles zu erhoffen. Vor seinem Tod erteilte er seinen Mördern den Segen („Ich will nichts weiter als euch den Segen geben, damit Gott euch die Dummheit, die ihr begehen werdet, nicht anrechnet“, sagte er, als man ihn nach seinem letzten Wunsch fragte), und seine letzten Worte lauteten: „Viva Christo Rey!“ – „Es lebe Christus, der König!“.

Die Sache mit der Nächstenliebe und den Kirchenfürsten

Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München zählt wohl, wenn auch nicht gerade zu den katholischen Promis, dann doch zu den bekannteren Kirchenmännern Deutschlands. Regelmäßig im BR zu sehen, bekannt für seinen Nebenjob als Kellner auf der Wiesn, seine „Viecherlgottesdienste“ und seine Fahrzeugsegnungen; einer, von dem man eben ab und zu in der Regionalzeitung liest. So einer erreicht die Menschen, könnte man sagen. Wenn man ihn allerdings einmal reden hört, fragt man sich, mit welcher Botschaft genau er sie eigentlich erreichen will.

Vor einigen Wochen bekam ich von einer Freundin die Einladung zu einer Lesung mit Pfarrer Schießler. Ich hatte Zeit, es war eine gute Gelegenheit, sich mal wieder zu treffen – bin also gern hingegangen. Über den Referenten des Abends hatte ich mich nicht wirklich intensiv informiert. Er machte mir auf dem Plakat keinen wirklich ansprechenden Eindruck, aber na und. Ich ging ja nicht wegen ihm hin, und vielleicht würde es doch ganz nett werden.

Während Hochwürden Schießler (wie er sich selbst wohl nicht titulieren würde) zu Beginn der Veranstaltung noch seine Bücher signierte, die zahlreichen Anwesenden hauptsächlich mittleren Alters sich ihre Plätze im Saal suchten, und meine Freundin sich mit Bekannten unterhielt, blätterte ich ein wenig in seinem Werk mit dem dezidiert bayerischen Titel „Himmel, Herrgott, Sakrament“. Mein erster Eindruck war: Worum geht es hier eigentlich? Das Buch schien nichts weiter zu sein als eine Ansammlung von ungeordneten autobiographischen Anekdoten und Meinungsäußerungen zu einzelnen Themen, alles wenig aussagekräftig, sehr durcheinander und vor allem: eher eine Selbstdarstellung des Autors als eine Darstellung eines bestimmten Themas.

Der insgesamt leicht über zweieinhalbstündige Vortrag begann dann passenderweise nicht gleich mit einer Lesung, sondern ebenfalls mit Anekdoten über Schießlers Erlebnisse beim Bayerischen Fernsehen, beim Oktoberfest, und Ähnlichem. Man muss ihm eins lassen: Reden kann er, und seine Erzählungen sind witzig. Zum Kabarettisten hätte er durchaus das Zeug. In der kurzen Lesung aus seinem Buch ging es dann passenderweise um ein Kindheitserlebnis, als der aufgeregte Rainer sich bei seinem allerersten Mal Ministrantendienst übergeben musste. Witzig geschrieben, eine süße Geschichte, man muss es sagen. Die Geschichte, wie der Verlag mit dem Buchprojekt auf ihn zugekommen sei, war dagegen von ostentativ zur Schau gestellter Demut geprägt: Dass so ein Dorfpfarrer wie er jetzt ein Buch schreiben solle, usw. (München ist zwar nicht direkt ein Dorf, aber gut. Stadtpfarrer sind schließlich nicht automatisch wichtiger als Dorfpfarrer.) Sicher: Das Buch ist offenbar auch von der Seite des Verlags als eine Vorstellung der Person Schießlers und seiner Ansichten und Projekte gedacht. Offenbar wird bei den Lesern vorausgesetzt, dass sie bereits ein wenig darüber wissen, wer er ist. Trotzdem blieb da der Eindruck, dass der Herr Pfarrer es doch ganz gut leiden kann, im Mittelpunkt zu stehen.

Einige konkrete Themen hat er doch angesprochen, und dabei auch einige gute Dinge gesagt. Diese Themen kann man wohl unter dem Untertitel seines Buches zusammenfassen: „Auftreten statt austreten“. Katholiken sollten ihre Kirche lieben und deshalb manches in ihr zu ändern versuchen. An sich ein gutes Prinzip (ecclesia semper reformanda!), und auch in eher „konservativen“ Kreisen ist ja das Kritisieren von bestimmten deutschen Bischöfen, kirchensteuerfinanzierten Einrichtungen und gewissen Gremien (*hüstl* ZDK *hüstl*) bekanntermaßen an der Tagesordnung. Wie sehen also Pfarrer Schießlers Vorstellungen von einer besseren, lebendigeren Kirche aus?

Es waren hilfreiche praktische Einsichten für den persönlichen Alltag dabei, was etwa die Angst vor dem Leben angeht. Außerdem gab es pastorale Tipps; sein Bericht von seiner Israelfahrt mit seinen Firmlingen war recht spannend, und kann durchaus als Vorbild für Firmpastoral dienen: Sakramente muss man spüren, sei einer seiner Grundsätze. Sicher gebe es auch eine objektive Wirksamkeit des Sakraments, aber trotzdem sei eine intensive, ansprechende Vorbereitung nötig. Gut und richtig, in keiner Weise häresieverdächtig, wenn man auch darüber streiten kann, ab wann der Eventcharakter überbewertet wird. Wobei eine Fahrt ins Heilige Land sicher so ziemlich die beste Firmvorbereitung ist, die man sich denken kann, wenn sie entsprechend begleitet wird (und die Eltern beim Bezahlen mitmachen).

An manchen Stellen wurde es etwas unlogisch, wenn er zum Beispiel wie selbstverständlich davon ausging, dass die „heutigen Menschen“ von den mittelalterlichen irgendwie grundsätzlich verschieden seien; ein nicht sehr durchdachter, aber verbreiteter Trugschluss. Lassen wir’s mal durchgehen.

Aber dann schlägt Hochwürden wieder ganz andere Töne an.

Es sind die üblichen Themen. Wiederverheiratete Geschiedene. Homosexuelle. Letzteren erteilt er natürlich eine Segnung. Die würden ja nicht einmal eine richtige Hochzeit verlangen, sondern bloß eine Segnung wünschen. Und überhaupt habe er vor allen denen großen Respekt, die gerade nicht kirchlich heirateten, weil sie sich dem Ideal nicht gewachsen fühlten. Und manche, die unverheiratet zusammenlebten, gingen ja sehr viel besser und rücksichtsvoller mit ihrem Partner um als manche kirchlich Verheirateten. (Man fragt sich unwillkürlich, was es dann überhaupt noch wert ist, wenn man sich anstrengt, dem Ideal gerecht zu werden.) Und man komme ihm hier nicht mit diesem Spruch „Liebe den Sünder, hasse die Sünde!“ Nächstenliebe! Toleranz!

An dieser Stelle wurde natürlich Papst Franziskus gelobt, der ja, trotz der ergebnislosen Synode, mit seinen Bemerkungen („Wer bin ich, zu urteilen?“, Die meisten Ehen seien ungültig, etc.) Türen geöffnet habe, die sich jetzt nicht mehr schließen ließen. Man kann sich hier denken, dass es gut ist, dass die Kirche kein solches Konzept des Lehramts vertritt, nach dem jede Äußerung eines Papstes für alle weiteren Zeiten von höchster Bedeutung wäre; andernfalls wäre Papst Liberius’ Nachgiebigkeit gegenüber dem Arianismus wohl von recht fataler Auswirkung.

Das Lästern über Papst Benedikt XVI. durfte natürlich auch nicht fehlen: der in seinen „barocken“ Gewändern.

Insgesamt zeichnete sich in Schießlers Äußerungen ein Bild von den höheren Funktionsträgern in der Kirche ab, das von klarem Antiklerikalismus geprägt ist. Er brüstete sich damit, dass er kein höheres kirchliches Amt anstrebe (er strebt ja auch nur Ämter im Bayerischen Rundfunk an), mit einer Meinungsverschiedenheit mit einem „Prälaten“ (man beachte hier immer die Wahl der Begriffe! „Generalvikar“, oder „Weihbischof“, oder was auch immer dieser Prälat genau war, hätte einen anderen Klang) und zog über Vorschläge her, die Zelebrationsrichtung „mit dem Rücken zum Volk“ wieder einzuführen. Er habe jetzt endlich in seiner Kirche einen Volksaltar installiert, und es sei wohl in Ordnung, fünfzig Jahre nach dem Konzil das Konzil umzusetzen. Argumente für oder gegen die eine oder die andere Richtung, oder Kardinal Sarahs Gründe für einen solchen Vorschlag, oder auch nur Zitate aus tatsächlichen Konzilsdokumenten wurden nicht erwähnt.

Dieser Antiklerikalismus hat eine klare Wirkung: Schießler setzt sich als der heldenhafte Rebell gegen die Kirchenfürsten in Szene und erntet dafür öffentlichen Beifall. Mit den „anderen“ braucht es keinen Austausch von Argumenten; das verschwommene, aber unverrückbar verankerte Bild von überheblichen reichen alten Herren in prunkvollen lila Seidengewändern auf einem weltentrückten Elfenbeinturm ist Argument genug.

Ich kann hier nur sagen: Zu diesem Priester möchte ich nicht zur Beichte gehen. Mit ihm möchte ich nicht über meinen Glauben, meine Probleme oder irgendetwas sprechen, über das man sonst speziell mit Priestern spricht. Ich möchte mir nicht einmal seine Predigten anhören. Weil ich das Gefühl habe, dass ich – auch wenn ich kein „Prälat“, sondern bloß eine gewöhnliche Katholikin mit eher „konservativen“ Ansichten bin – für ihn als passendes Zielobjekt von „Nächstenliebe“ letztendlich ausscheiden würde. Schießler liebt nicht den Sünder und hasst dabei die Sünde, wie es seine Gegner proklamieren. Er hasst Sünde und Sünder, er definiert sie nur anders. Sünder sind für ihn nicht wiederverheiratete Geschiedene, sondern Katholiken, die bei bestimmten Themen nicht einer Meinung mit ihm sind; das sind Pharisäer; die sind die wahren Sünder; und auf die muss man auch nicht zugehen und sie suchen wie das verlorene Schaf. Die sollen gefälligst bereuen und in Sack und Asche Buße tun und froh sein, wenn man sie dann gnädigst wieder aufnimmt.

Ich will alle diese Themen hier nicht lang und breit diskutieren; einzelne, wie die Zelebrationsrichtung oder das Firmalter (in diesem Zusammenhang kritisierte er die Einführung eines jüngeren Firmalters durch „junge konservative Bischöfe“), sind nicht einmal häresieverdächtig und Katholiken können hier durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Ich selber beispielsweise bin doch auch eher für ein höheres Firmalter, würde aber dafür die Zelebrationsrichtung ad orientem für sinnvoll halten. Aber das Entscheidende ist dies: Pfarrer Schießler lässt gar nicht den Gedanken daran aufkommen, dass die „Prälaten“, die „jungen, konservativen Bischöfe“ oder was für Gegner er sonst noch haben mag, aus anderen Gründen als klerikaler Arroganz anderer Meinung sind als er, ob es nun um die Unauflöslichkeit der Ehe oder die alte Messe geht. Ich bin bereit, Herrn Schießler zu glauben, dass er seine Konzepte ernsthaft für barmherziger und menschenfreundlicher hält, auch wenn seine Argumentationsweise nicht gerade intellektuell redlich ist. Ist er bereit, mir dasselbe zu glauben?

Letzten Endes jedoch bleibt vor allem ein Eindruck: Dass auch die Kritik an den „Prälaten“ nicht der Kern von Hochwürden Schießlers Botschaft ist. Sondern die Selbstdarstellung. In jedem Thema, das er ansprach, war deutlich die Aussage zu hören: Seht her, so toll mache ich das.

Während ich später noch im Foyer des Veranstaltungshauses gewartet habe, ergab sich übrigens noch ein kurzes Gespräch zwischen mir und Pfarrer Schießlers Photograf, bei dem ich zum Ausdruck brachte, dass ich den Vortrag nicht besonders ansprechend gefunden hatte. Was mir denn nicht gefallen habe, erkundigte er sich. Auf die Schnelle konnte ich es nicht gut in Worte fassen, aber ich sagte ihm, dass Pfarrer Schießler auf mich den Eindruck gemacht habe, seine Meinung stehe für ihn über allem. So sei er nicht, versicherte der nette junge Photograf mir.

Ich weiß nicht, wie Pfarrer Schießler privat ist. Sicher neigen viele Menschen, die im Fernsehen, wenn auch nur im öffentlich-rechtlichen, auftreten, zwangsläufig zu Selbstdarstellung und Polemik, wenn sie öffentlich sprechen; die Versuchung zur Selbstdarstellung kommt mit der Bekanntheit Hand in Hand.

Aber was ich sagen kann, ist, dass Vorträge wie dieser sicher nicht zu einem Geist der Nächstenliebe, der Toleranz und der gepflegten Debatten beitragen. Bei den sog. konservativen/strenggläubigen/wie-auch-immer-man-sie-betiteln-mag Katholiken, die sich mit den bösen Prälaten solidarisieren, hinterlassen sie jedenfalls das Gefühl, dass sie von vornherein als die Bösen abgestempelt werden sollen. Weil es ja gar keinen anderen Grund geben kann, gegen eine Wiederheirat nach einer Scheidung zu sein, als mangelnde Nächstenliebe.

Die allumfassende Kirche, Teil 1: Geht zu allen Völkern

Alle Teile hier.

Das griechische Wort „katholikos“, eingedeutscht katholisch, bedeutet „allumfassend“, auf Latein „universal“. Das mag seltsam erscheinen angesichts der Tatsache, dass die katholische Kirche im Allgemeinen als eine eher engstirnige Religionsgemeinschaft verschrien ist, die wiederverheiratete Geschiedene von der Kommunion ausschließt (!!!), immer noch (!!!) die Abendmahlsgemeinschaft mit den Protestanten ablehnt und im Allgemeinen kaum dem Zeitalter der Inquisition zu entkommen sein scheint, die ja nun wirklich alles abschlachtete, was nicht in ihr enges Weltbild passte. So weit, so falsch.

Kommen wir im ersten Teil dieser Reihe erst einmal zur Herkunft des Begriffs „katholisch“. Er erscheint (u. a.) schon im Glaubensbekenntnis des Konzils von Nicäa (325 n. Chr.) – das wir heute noch in jedem Gottesdienst sprechen – als Merkmal der Kirche. „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen“ usw. (Einige Protestanten haben daraus „heilige christliche Kirche“ gemacht, aber manche beten es auch noch im Original, und identifizieren dabei lediglich die katholische – universale – Kirche von damals nicht mit der katholischen Kirche von heute. Wir werden stattdessen zur „römischen Kirche“ deklariert.) In der erweiterten Version des Konzils von Konstantinopel 381 n. Chr., dem Nicäno-Konstantinopolitanum (man darf auch einfach Großes Glaubensbekenntnis dazu sagen), werden weitere Merkmale der Kirche genannt: Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Eins: Denn Jesus hat eine einzige Kirche für die Seinen gestiftet; erst im Lauf der Zeit haben sich gegen seinen Willen einige Gruppen von ihr abgespalten, darunter z. B. Marcioniten, Arianer, Donatisten und andere verschwundene Sekten ebenso wie Kopten, Russisch-Orthodoxe, Lutheraner, Calvinisten, Baptisten oder Mennoniten. Heilig: Nicht weil alle Christen sich so vorbildlich aufführen, sondern weil die Kirche durch ihren Gründer geheiligt ist. Apostolisch: Weil sie auf die Apostel zurückgeht, deren Nachfolger die Bischöfe sind, eingesetzt durch eine unterbrochene Kette von Handauflegungen, d. h. Weihen. Katholisch, also universal: Weil sie die Gläubigen aller Völkern zusammenführt.

Das ist die ursprüngliche und hauptsächliche Bedeutung: Eine Kirche aller Völker und Nationen. Während im Alten Bund die Juden auf besondere Weise erwählt waren, wurde der neue Bund auf alle Völker ausgedehnt: Es zählte nicht mehr, ob man der Herkunft nach Jude, Grieche, Römer, Armenier, Äthiopier oder Alemanne war; was zählte, war nur die Zugehörigkeit zu Christus durch die Taufe. Das Heil kommt von den Juden, wie Jesus sagt (Johannes 4,22), aber es geht von ihnen aus zu allen Völkern. Schon im Alten Testament wurde diese Universalität von den Propheten angekündigt: „Ich kenne ihre Taten und ihre Gedanken und komme, um die Völker aller Sprachen zusammenzurufen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen. Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern: nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch, Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden. Sie werden aus allen Völkern eure Brüder als Opfergabe für den Herrn herbeiholen auf Rossen und Wagen, in Sänften, auf Maultieren und Dromedaren, her zu meinem heiligen Berg nach Jerusalem, spricht der Herr, so wie die Söhne Israels ihr Opfer in reinen Gefäßen zum Haus des Herrn bringen. Und auch aus ihnen werde ich Männer als Priester und Leviten auswählen, spricht der Herr.“ (Jesaja 66,18-21) „Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. So spricht der Herr, der Befreier Israels, sein Heiliger, zu dem tief verachteten Mann, dem Abscheu der Leute, dem Knecht der Tyrannen: Könige werden es sehen und sich erheben, Fürsten werfen sich nieder, um des Herrn willen, der treu ist, um des Heiligen Israels willen, der dich erwählt hat.“ (Jesaja 49,6-7, aus dem „Zweiten Lied vom Gottesknecht“) Eine erste Erfüllung all dieser Prophezeiungen sehen wir archetypisch in den heidnischen Weisen aus dem Morgenland, die kamen, um das Jesuskind zu sehen, und die in der späteren Tradition nicht nur zu Königen, sondern auch zu Vertretern der drei bekannten Erdteile gemacht wurden: Asien, Afrika und Europa. Mit den Heiligen Drei Königen kommt die ganze Welt zum Gott Israels. Jesus trug seinen Aposteln auf: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.“ (Matthäus 28,19) Und Petrus erkannte: „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apostelgeschichte 10,34-35)

Diese Universalität ist die ganze Kirchengeschichte über geblieben, und man sieht sie wunderbar, wenn man sich einfach mal irgendein Foto vom Weltjugendtag anschaut. Alle schwenken dort ihre Fahnen, alle kommen aus ihren Ländern und bringen ihre Kulturen mit, aber alle kommen im selben Glauben zusammen, der ihre Länder und Kulturen überschreitet. Ich konnte leider =((( nicht dabei sein und die Abschlussmesse auf dem Campus Misericordiae nur am Fernseher verfolgen, aber auch so war es ein wahnsinnig toller Eindruck. Dasselbe Mischmasch kann man auch in Rom oder Lourdes oder Santiago de Compostela sehen; eben an allen für die katholische Kirche bedeutsamen Orten. Ihr Glaube ist eben universal.

In ziemlich vielen christlichen Ländern – in Frankreich, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bzw. Deutschem Reich, in Österreich, in den spanischen Niederlanden (heute Belgien), in England usw. – gab es im Lauf der Geschichte mehr oder weniger konsequent durchgezogene Versuche, die Kirche unabhängiger, nationaler zu machen. Unbewusst oder bewusst stellte man immer die eigenen Gesetze, Bräuche und Gewohnheiten über das Verbindend-Menschliche; man vergaß oder ignorierte ganz einfach, dass, wenn man die Gleichheit aller Menschen annimmt, die wahre Religion für alle Menschen dieselbe sein muss, auch wenn sie sich in jeder Kultur anders ausdrücken kann und ausdrückt.

Während Frankreich jahrhundertelang mit nationalen Sonderrechten der französischen Kirche („gallikanischen Freiheiten“) flirtete, sich aber trotzdem bis zur Revolution, in deren noch nicht dezidiert antichristlicher Frühphase die Kleriker zu Staatsdienern mit Eid auf die Verfassung gemacht werden sollten, eigentlich nicht vom Papst lossagen wollte, war England – oder zumindest die Machthaber Englands in einer bestimmten Epoche – schon früh konsequent: Die Church of England wurde gegründet; schon ihrem Namen nach eine englische Nationalkirche, keine Kirche aller Völker und Sprachen. Wie unsinnig eine solche Idee ist, erkannte u. a. auch Robert Hugh Benson (1871-1914), ein anglikanischer Kleriker und Sohn des kürzlich verstorbenen anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, als er sich im Jahr 1896 aus gesundheitlichen Gründen auf eine Reise nach Ägypten und ins Heilige Land begab:

First, I believe, my contentment with the Church of England suffered a certain shock by my perceiving what a very small and unimportant affair the Anglican Communion really was. There we were, travelling through France and Italy down to Venice, seeing in passing church after church whose worshippers knew nothing of us, or of our claims. I had often been abroad before, but never since I had formally identified myself with the official side of the Church of England. Now I looked at things through more professional eyes, and behold! we were nowhere. […] We arrived at Luxor at last, and found the usual hotel chaplain in possession; and I occasionally assisted him in the services. But it was all terribly isolated and provincial. […]

 This growing discomfort was brought to a point one day when I was riding in the village by myself and went, purely by a caprice, into the little Catholic church there. It stood among the mud-houses; there was no atmosphere of any European protection about it, and it had a singularly uninviting interior. There was in it a quantity of muslin and crimped paper and spangles. But I believe now that it was in there that for the first time anything resembling explicit Catholic faith stirred itself within me. The church was so obviously a part of the village life; it was on a level with the Arab houses; it was open; it was exactly like every other Catholic church, apart from its artistic shortcomings. It was not in the least an appendage to European life, carried about (like an India rubber bath), for the sake of personal comfort and the sense of familiarity. […] A national church seemed a poor affair abroad. […]

 As I came back alone through Jerusalem and the Holy Land, my discomfort increased. Here again, in the birthplace of Christendom, we seemed less than nothing. […]

 In all the churches it was the same. Every eastern heretical and schismatical sect imaginable took its turn at the altar of the Holy Sepulchre, for each had at least the respectability of some centuries behind it, – some sort of historical continuity. I saw strange, uncough rites in Bethlehem. But the Anglican Church, which I had been accustomed to think of as the sound core of a rotten tree, this had no privileges anywhere; it was as if it did not exist; or, rather, it was recognised and treated by the rest of Christendom purely as a Protestant sect of recent origin.”

(Als erstes, denke ich, erlitt meine Zufriedenheit mit der Kirche von England einen gewissen Schock, als ich wahrnahm, was für eine kleine und unwichtige Sache die anglikanische Gemeinschaft wirklich war. Da waren wir, auf der Reise durch Frankreich und Italien hinunter nach Venedig, und sahen dabei Kirche um Kirche, deren Gläubige nichts von uns wussten, oder von unseren Ansprüchen. Ich war vorher oft im Ausland gewesen, aber nie, seitdem ich mich förmlich mit der offiziellen Seite der Kirche von England identifiziert hatte. Nun betrachtete ich die Dinge mit professionelleren Augen und siehe! wir waren nirgends. […] Wir kamen schließlich in Luxor an, und fanden den üblichen Hotelkaplan zur Stelle; und ich assistierte ihm gelegentlich in den Gottesdiensten. Aber es war alles furchtbar isoliert und provinziell. […]

Dieses wachsende Unbehagen wurde eines Tages zu einem Höhepunkt gebracht, als ich allein durch das Dorf ritt und, rein aus einer Laune heraus, in die kleine katholische Kirche dort ging. Sie stand zwischen den Lehmhäusern; da war keine Atmosphäre irgendeines europäischen Schutzes an ihr, und sie hatte ein einzigartiges uneinladendes Inneres. Da war eine Menge Musselin und Krüll und Flitter. Aber ich glaube jetzt, dass es dort drinnen war, dass zum ersten Mal etwas, das ausdrücklich katholischem Glauben ähnelte, sich in mir regte. Die Kirche war so offensichtlich ein Teil des Dorflebens; sie war auf einer Höhe mit den arabischen Häusern; sie war offen; sie war genau wie jede andere katholische Kirche, abgesehen von ihren künstlerischen Mängeln. Sie war nicht im geringsten ein Anhängsel an das europäische Leben, das man (wie eine ausklappbare Badewanne aus Gummi) zum Zweck des persönlichen Komforts und des Gefühls der Vertrautheit mit sich herumträgt. […] Eine Nationalkirche schien im Ausland eine armselige Sache zu sein. […]

 Als ich allein über Jerusalem und das Heilige Land zurückkehrte, wurde mein Unbehagen größer. Hier wieder, an der Geburtsstätte des Christentum, schienen wir weniger als nichts. […]

 In allen Kirchen war es das Gleiche. Jede vorstellbare östliche häretische und schismatische Sekte kam am Altar der Grabeskirche an die Reihe, denn jede hatte zumindest die Achtbarkeit einiger Jahrhunderte hinter sich – irgendeine Art von historischer Kontinuität. Ich sah seltsame, grobe Riten in Bethlehem. Aber die Anglikanische Kirche, von der ich gewohnt gewesen war, sie mir als den gesunden Kern eines verrotteten Baumes vorzustellen, diese hatte nirgendwo Privilegien; es war, als existierte sie nicht; oder, eher, sie wurde vom Rest der Christenheit erkannt als und behandelt wie eine reine protestantische Sekte neueren Ursprungs.“)

Diese Zeilen wurden einige Jahre nach diesen Erlebnissen in einem Buch mit dem Titel „Confessions of a convert“ (Bekenntnisse eines Konvertiten) geschrieben, nachdem Benson zur katholischen Kirche übergetreten und zum katholischen Priester geweiht worden war. (Er wurde übrigens einer der bekanntesten katholischen Schriftsteller seiner Zeit, und Papst Franziskus hat einen seiner Romane („Der Herr der Welt“) einmal in einer Predigt empfohlen. Das nur nebenbei.)

In der Tat: Eine Nationalkirche scheint im Ausland eine armselige Sache zu sein. Und doch tappen wir heutzutage oft in genau diese Falle, die Nation höher zu bewerten als die Religion; nur heißt es bei uns inzwischen nicht offiziell „unsere Nation“, sondern „unsere Grundwerte“, oder „unsere Verfassung“ oder „unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“ oder „unsere aufgeklärte Gesellschaftsordnung“. Vor kurzem erst war ganz Deutschland geschockt darüber, dass für die Hälfte der Türken, ja, ja, Menschen mit türkischem Migrationshintergrund (oder waren’s die Muslime allgemein? Ach, keine Ahnung), die Regeln der Religion über dem Grundgesetz stehen. Wieso eigentlich? Was ist schlimm daran, wenn die Gesetze des Gottes, der die ganze Welt erschaffen hat, einem Menschen mehr bedeuten als die Gesetze, die sich vor ein paar Jahrzehnten ein paar Männer in irgendeinem kleinen Teil der Erde ausgedacht haben, in dem er nun mal lebt? Auch für mich als Katholikin ist Gott wichtiger als deutsche Gesetze. Die meisten jetzigen deutschen Gesetze sind meiner Meinung nach ganz gut (offensichtliche Ausnahmen gibt es), aber spekulieren wir mal, wenn ein zukünftiges Gesetz mir verbieten wollen würde, dem Gesetz meiner Religion zu folgen, sonntags in die Messe zu gehen – na ja, dann wäre für mich ziemlich klar, welchem Gesetz ich folgen würde und welchem nicht. Wieso sollte es also eine Muslima beeindrucken, wenn ein Gesetz ihr das Tragen eines Kopftuchs oder eines Burkini verbieten will? Das Problem beim Islam ist ja, dass seine konkreten Inhalte falsch sind, nicht, dass er sich auf Gott und ewige Gesetze beruft.

Das Gewissen des Einzelnen darf sich gar nicht nur auf menschengemachte Gesetze berufen – und jede Verfassung ist ein menschengemachtes Gesetz – sondern es muss auf die ewiggültigen Regeln schauen, von denen die obersten (im Christentum zumindest) Gottes- und Nächstenliebe sind. Sicher hält man die Gesetze normalerweise ein, vor allem wenn sie einigermaßen im Einklang mit den moralischen Regeln stehen oder ihnen zumindest nicht völlig zuwiderlaufen, aber wenn es zu einem wirklichen Konflikt zwischen Gewissen und Gesetz kommt, dann hat man das Gewissen zu wählen. Deshalb sind Franz Jägerstätter oder Franz Reinisch in der Nazizeit als Militärdienstverweigerer hingerichtet worden: Weil diese beiden Christen (Reinisch war übrigens Priester) ihrem Gewissen, ihrer Religion mehr gehorcht haben als den staatlichen Gesetzen.