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Das griechische Wort „katholikos“, eingedeutscht katholisch, bedeutet „allumfassend“, auf Latein „universal“. Das mag seltsam erscheinen angesichts der Tatsache, dass die katholische Kirche im Allgemeinen als eine eher engstirnige Religionsgemeinschaft verschrien ist, die wiederverheiratete Geschiedene von der Kommunion ausschließt (!!!), immer noch (!!!) die Abendmahlsgemeinschaft mit den Protestanten ablehnt und im Allgemeinen kaum dem Zeitalter der Inquisition zu entkommen sein scheint, die ja nun wirklich alles abschlachtete, was nicht in ihr enges Weltbild passte. So weit, so falsch.
Kommen wir im ersten Teil dieser Reihe erst einmal zur Herkunft des Begriffs „katholisch“. Er erscheint (u. a.) schon im Glaubensbekenntnis des Konzils von Nicäa (325 n. Chr.) – das wir heute noch in jedem Gottesdienst sprechen – als Merkmal der Kirche. „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen“ usw. (Einige Protestanten haben daraus „heilige christliche Kirche“ gemacht, aber manche beten es auch noch im Original, und identifizieren dabei lediglich die katholische – universale – Kirche von damals nicht mit der katholischen Kirche von heute. Wir werden stattdessen zur „römischen Kirche“ deklariert.) In der erweiterten Version des Konzils von Konstantinopel 381 n. Chr., dem Nicäno-Konstantinopolitanum (man darf auch einfach Großes Glaubensbekenntnis dazu sagen), werden weitere Merkmale der Kirche genannt: Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Eins: Denn Jesus hat eine einzige Kirche für die Seinen gestiftet; erst im Lauf der Zeit haben sich gegen seinen Willen einige Gruppen von ihr abgespalten, darunter z. B. Marcioniten, Arianer, Donatisten und andere verschwundene Sekten ebenso wie Kopten, Russisch-Orthodoxe, Lutheraner, Calvinisten, Baptisten oder Mennoniten. Heilig: Nicht weil alle Christen sich so vorbildlich aufführen, sondern weil die Kirche durch ihren Gründer geheiligt ist. Apostolisch: Weil sie auf die Apostel zurückgeht, deren Nachfolger die Bischöfe sind, eingesetzt durch eine unterbrochene Kette von Handauflegungen, d. h. Weihen. Katholisch, also universal: Weil sie die Gläubigen aller Völkern zusammenführt.
Das ist die ursprüngliche und hauptsächliche Bedeutung: Eine Kirche aller Völker und Nationen. Während im Alten Bund die Juden auf besondere Weise erwählt waren, wurde der neue Bund auf alle Völker ausgedehnt: Es zählte nicht mehr, ob man der Herkunft nach Jude, Grieche, Römer, Armenier, Äthiopier oder Alemanne war; was zählte, war nur die Zugehörigkeit zu Christus durch die Taufe. Das Heil kommt von den Juden, wie Jesus sagt (Johannes 4,22), aber es geht von ihnen aus zu allen Völkern. Schon im Alten Testament wurde diese Universalität von den Propheten angekündigt: „Ich kenne ihre Taten und ihre Gedanken und komme, um die Völker aller Sprachen zusammenzurufen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen. Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern: nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch, Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden. Sie werden aus allen Völkern eure Brüder als Opfergabe für den Herrn herbeiholen auf Rossen und Wagen, in Sänften, auf Maultieren und Dromedaren, her zu meinem heiligen Berg nach Jerusalem, spricht der Herr, so wie die Söhne Israels ihr Opfer in reinen Gefäßen zum Haus des Herrn bringen. Und auch aus ihnen werde ich Männer als Priester und Leviten auswählen, spricht der Herr.“ (Jesaja 66,18-21) „Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. So spricht der Herr, der Befreier Israels, sein Heiliger, zu dem tief verachteten Mann, dem Abscheu der Leute, dem Knecht der Tyrannen: Könige werden es sehen und sich erheben, Fürsten werfen sich nieder, um des Herrn willen, der treu ist, um des Heiligen Israels willen, der dich erwählt hat.“ (Jesaja 49,6-7, aus dem „Zweiten Lied vom Gottesknecht“) Eine erste Erfüllung all dieser Prophezeiungen sehen wir archetypisch in den heidnischen Weisen aus dem Morgenland, die kamen, um das Jesuskind zu sehen, und die in der späteren Tradition nicht nur zu Königen, sondern auch zu Vertretern der drei bekannten Erdteile gemacht wurden: Asien, Afrika und Europa. Mit den Heiligen Drei Königen kommt die ganze Welt zum Gott Israels. Jesus trug seinen Aposteln auf: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.“ (Matthäus 28,19) Und Petrus erkannte: „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apostelgeschichte 10,34-35)
Diese Universalität ist die ganze Kirchengeschichte über geblieben, und man sieht sie wunderbar, wenn man sich einfach mal irgendein Foto vom Weltjugendtag anschaut. Alle schwenken dort ihre Fahnen, alle kommen aus ihren Ländern und bringen ihre Kulturen mit, aber alle kommen im selben Glauben zusammen, der ihre Länder und Kulturen überschreitet. Ich konnte leider =((( nicht dabei sein und die Abschlussmesse auf dem Campus Misericordiae nur am Fernseher verfolgen, aber auch so war es ein wahnsinnig toller Eindruck. Dasselbe Mischmasch kann man auch in Rom oder Lourdes oder Santiago de Compostela sehen; eben an allen für die katholische Kirche bedeutsamen Orten. Ihr Glaube ist eben universal.
In ziemlich vielen christlichen Ländern – in Frankreich, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bzw. Deutschem Reich, in Österreich, in den spanischen Niederlanden (heute Belgien), in England usw. – gab es im Lauf der Geschichte mehr oder weniger konsequent durchgezogene Versuche, die Kirche unabhängiger, nationaler zu machen. Unbewusst oder bewusst stellte man immer die eigenen Gesetze, Bräuche und Gewohnheiten über das Verbindend-Menschliche; man vergaß oder ignorierte ganz einfach, dass, wenn man die Gleichheit aller Menschen annimmt, die wahre Religion für alle Menschen dieselbe sein muss, auch wenn sie sich in jeder Kultur anders ausdrücken kann und ausdrückt.
Während Frankreich jahrhundertelang mit nationalen Sonderrechten der französischen Kirche („gallikanischen Freiheiten“) flirtete, sich aber trotzdem bis zur Revolution, in deren noch nicht dezidiert antichristlicher Frühphase die Kleriker zu Staatsdienern mit Eid auf die Verfassung gemacht werden sollten, eigentlich nicht vom Papst lossagen wollte, war England – oder zumindest die Machthaber Englands in einer bestimmten Epoche – schon früh konsequent: Die Church of England wurde gegründet; schon ihrem Namen nach eine englische Nationalkirche, keine Kirche aller Völker und Sprachen. Wie unsinnig eine solche Idee ist, erkannte u. a. auch Robert Hugh Benson (1871-1914), ein anglikanischer Kleriker und Sohn des kürzlich verstorbenen anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, als er sich im Jahr 1896 aus gesundheitlichen Gründen auf eine Reise nach Ägypten und ins Heilige Land begab:
First, I believe, my contentment with the Church of England suffered a certain shock by my perceiving what a very small and unimportant affair the Anglican Communion really was. There we were, travelling through France and Italy down to Venice, seeing in passing church after church whose worshippers knew nothing of us, or of our claims. I had often been abroad before, but never since I had formally identified myself with the official side of the Church of England. Now I looked at things through more professional eyes, and behold! we were nowhere. […] We arrived at Luxor at last, and found the usual hotel chaplain in possession; and I occasionally assisted him in the services. But it was all terribly isolated and provincial. […]
This growing discomfort was brought to a point one day when I was riding in the village by myself and went, purely by a caprice, into the little Catholic church there. It stood among the mud-houses; there was no atmosphere of any European protection about it, and it had a singularly uninviting interior. There was in it a quantity of muslin and crimped paper and spangles. But I believe now that it was in there that for the first time anything resembling explicit Catholic faith stirred itself within me. The church was so obviously a part of the village life; it was on a level with the Arab houses; it was open; it was exactly like every other Catholic church, apart from its artistic shortcomings. It was not in the least an appendage to European life, carried about (like an India rubber bath), for the sake of personal comfort and the sense of familiarity. […] A national church seemed a poor affair abroad. […]
As I came back alone through Jerusalem and the Holy Land, my discomfort increased. Here again, in the birthplace of Christendom, we seemed less than nothing. […]
In all the churches it was the same. Every eastern heretical and schismatical sect imaginable took its turn at the altar of the Holy Sepulchre, for each had at least the respectability of some centuries behind it, – some sort of historical continuity. I saw strange, uncough rites in Bethlehem. But the Anglican Church, which I had been accustomed to think of as the sound core of a rotten tree, this had no privileges anywhere; it was as if it did not exist; or, rather, it was recognised and treated by the rest of Christendom purely as a Protestant sect of recent origin.”
(Als erstes, denke ich, erlitt meine Zufriedenheit mit der Kirche von England einen gewissen Schock, als ich wahrnahm, was für eine kleine und unwichtige Sache die anglikanische Gemeinschaft wirklich war. Da waren wir, auf der Reise durch Frankreich und Italien hinunter nach Venedig, und sahen dabei Kirche um Kirche, deren Gläubige nichts von uns wussten, oder von unseren Ansprüchen. Ich war vorher oft im Ausland gewesen, aber nie, seitdem ich mich förmlich mit der offiziellen Seite der Kirche von England identifiziert hatte. Nun betrachtete ich die Dinge mit professionelleren Augen und siehe! wir waren nirgends. […] Wir kamen schließlich in Luxor an, und fanden den üblichen Hotelkaplan zur Stelle; und ich assistierte ihm gelegentlich in den Gottesdiensten. Aber es war alles furchtbar isoliert und provinziell. […]
Dieses wachsende Unbehagen wurde eines Tages zu einem Höhepunkt gebracht, als ich allein durch das Dorf ritt und, rein aus einer Laune heraus, in die kleine katholische Kirche dort ging. Sie stand zwischen den Lehmhäusern; da war keine Atmosphäre irgendeines europäischen Schutzes an ihr, und sie hatte ein einzigartiges uneinladendes Inneres. Da war eine Menge Musselin und Krüll und Flitter. Aber ich glaube jetzt, dass es dort drinnen war, dass zum ersten Mal etwas, das ausdrücklich katholischem Glauben ähnelte, sich in mir regte. Die Kirche war so offensichtlich ein Teil des Dorflebens; sie war auf einer Höhe mit den arabischen Häusern; sie war offen; sie war genau wie jede andere katholische Kirche, abgesehen von ihren künstlerischen Mängeln. Sie war nicht im geringsten ein Anhängsel an das europäische Leben, das man (wie eine ausklappbare Badewanne aus Gummi) zum Zweck des persönlichen Komforts und des Gefühls der Vertrautheit mit sich herumträgt. […] Eine Nationalkirche schien im Ausland eine armselige Sache zu sein. […]
Als ich allein über Jerusalem und das Heilige Land zurückkehrte, wurde mein Unbehagen größer. Hier wieder, an der Geburtsstätte des Christentum, schienen wir weniger als nichts. […]
In allen Kirchen war es das Gleiche. Jede vorstellbare östliche häretische und schismatische Sekte kam am Altar der Grabeskirche an die Reihe, denn jede hatte zumindest die Achtbarkeit einiger Jahrhunderte hinter sich – irgendeine Art von historischer Kontinuität. Ich sah seltsame, grobe Riten in Bethlehem. Aber die Anglikanische Kirche, von der ich gewohnt gewesen war, sie mir als den gesunden Kern eines verrotteten Baumes vorzustellen, diese hatte nirgendwo Privilegien; es war, als existierte sie nicht; oder, eher, sie wurde vom Rest der Christenheit erkannt als und behandelt wie eine reine protestantische Sekte neueren Ursprungs.“)
Diese Zeilen wurden einige Jahre nach diesen Erlebnissen in einem Buch mit dem Titel „Confessions of a convert“ (Bekenntnisse eines Konvertiten) geschrieben, nachdem Benson zur katholischen Kirche übergetreten und zum katholischen Priester geweiht worden war. (Er wurde übrigens einer der bekanntesten katholischen Schriftsteller seiner Zeit, und Papst Franziskus hat einen seiner Romane („Der Herr der Welt“) einmal in einer Predigt empfohlen. Das nur nebenbei.)
In der Tat: Eine Nationalkirche scheint im Ausland eine armselige Sache zu sein. Und doch tappen wir heutzutage oft in genau diese Falle, die Nation höher zu bewerten als die Religion; nur heißt es bei uns inzwischen nicht offiziell „unsere Nation“, sondern „unsere Grundwerte“, oder „unsere Verfassung“ oder „unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“ oder „unsere aufgeklärte Gesellschaftsordnung“. Vor kurzem erst war ganz Deutschland geschockt darüber, dass für die Hälfte der Türken, ja, ja, Menschen mit türkischem Migrationshintergrund (oder waren’s die Muslime allgemein? Ach, keine Ahnung), die Regeln der Religion über dem Grundgesetz stehen. Wieso eigentlich? Was ist schlimm daran, wenn die Gesetze des Gottes, der die ganze Welt erschaffen hat, einem Menschen mehr bedeuten als die Gesetze, die sich vor ein paar Jahrzehnten ein paar Männer in irgendeinem kleinen Teil der Erde ausgedacht haben, in dem er nun mal lebt? Auch für mich als Katholikin ist Gott wichtiger als deutsche Gesetze. Die meisten jetzigen deutschen Gesetze sind meiner Meinung nach ganz gut (offensichtliche Ausnahmen gibt es), aber spekulieren wir mal, wenn ein zukünftiges Gesetz mir verbieten wollen würde, dem Gesetz meiner Religion zu folgen, sonntags in die Messe zu gehen – na ja, dann wäre für mich ziemlich klar, welchem Gesetz ich folgen würde und welchem nicht. Wieso sollte es also eine Muslima beeindrucken, wenn ein Gesetz ihr das Tragen eines Kopftuchs oder eines Burkini verbieten will? Das Problem beim Islam ist ja, dass seine konkreten Inhalte falsch sind, nicht, dass er sich auf Gott und ewige Gesetze beruft.
Das Gewissen des Einzelnen darf sich gar nicht nur auf menschengemachte Gesetze berufen – und jede Verfassung ist ein menschengemachtes Gesetz – sondern es muss auf die ewiggültigen Regeln schauen, von denen die obersten (im Christentum zumindest) Gottes- und Nächstenliebe sind. Sicher hält man die Gesetze normalerweise ein, vor allem wenn sie einigermaßen im Einklang mit den moralischen Regeln stehen oder ihnen zumindest nicht völlig zuwiderlaufen, aber wenn es zu einem wirklichen Konflikt zwischen Gewissen und Gesetz kommt, dann hat man das Gewissen zu wählen. Deshalb sind Franz Jägerstätter oder Franz Reinisch in der Nazizeit als Militärdienstverweigerer hingerichtet worden: Weil diese beiden Christen (Reinisch war übrigens Priester) ihrem Gewissen, ihrer Religion mehr gehorcht haben als den staatlichen Gesetzen.
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