Philosophie und Offenbarung, Teil 2

Jetzt habe ich den ersten Teil schon vor Wochen gepostet und liefere erst jetzt den zweiten nach – aber besser spät als nie, denke ich mir.

Im ersten Teil ging es um das Allgemeine zum Thema philosophische Gotteserkenntnis und Gotteserkenntnis durch Offenbarung und die wichtigsten philosophischen Argumente für Gott wurden kurz angerissen; jetzt also speziell zu den Argumenten für die christliche/katholische Offenbarung.

Mir ist in letzter Zeit ein bestimmter Fehler in der typischen atheistischen Argumentation gegen die christliche Offenbarung aufgefallen. Da wird nämlich gelegentlich gefragt: Wieso hätte Gott sich so und so offenbaren sollen und nicht deutlicher? Wieso hätte er zu irgendwelchen „rückständigen Nomaden“ am Arsch der Welt reden sollen? Wieso damals und nicht heutzutage, wo es viel bessere Möglichkeiten zur Verbreitung der Botschaft gäbe? Usw.

Nun kann man sicher interessante Spekulationen darüber aufstellen, was die Antworten auf diese Fragen wären, aber für unser Thema sind sie eigentlich vollkommen falsch gestellt. Denn die Frage ist doch gar nicht, wieso, sondern ob Gott das gemacht hat. Argumentiert man mit „Wieso hätte Hannibal mit Elefanten über die Alpen laufen sollen, das wäre doch total umständlich gewesen“ dafür, dass Hannibal niemals mit Elefanten die Alpen überquert habe, oder damit, dass wohl kaum ein Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU den Untergang des Kommunismus eingeläutet haben könne, dafür, dass es Gorbatschows „Glasnost & Perestroika“-Programm nie gegeben habe? Eben.

Man muss an die Frage anders herangehen: Man sieht sich einfach die Quellen an und fragt nach ihrer Glaubwürdigkeit – was nicht gleichbedeutend ist mit der Wahrscheinlichkeit der Ereignisse, die sie beschreiben, denn es ist in der Weltgeschichte viel Unwahrscheinliches geschehen. Wie viele Quellen haben wir für Hannibals Alpenüberquerung? Aus welcher Zeit stammen sie? Von wem stammen sie? Haben wir andere Quellen des Autors, von denen wir wissen können, dass sie Unwahres berichten, oder umgekehrt, dass sie zuverlässig sind? Werden die Quellen durch andere Quellen bestätigt? Oder stehen andere Quellen ihnen entgegen? Wenn ja, wie könnte sich das erklären lassen? Und so weiter. Und so muss man es eben auch mit Lehren, die von sich behaupten, göttliche Offenbarung zu sein, machen. Offenbarung – zumindest die christliche Offenbarung – ist bekanntlich ein grundlegend historischer Vorgang; sie hängt davon ab, dass zu dem und dem Zeitpunkt das und das wirklich geschehen ist. „Geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten…“ Die nächsten Fragen sind also: Woher wissen wir von der christlichen Offenbarung? Durch die Kirche und durch ihre Heiligen Schriften. Woher stammen diese Schriften? Wie alt sind sie? Kann das stimmen, was darin steht?

Hier sollte man übrigens auf einen weiteren logischen Fehlschluss aufpassen. Oftmals wird nämlich, wenn in einem historischen Text von einem Wunder berichtet wird – z. B. von der Auferstehung – sofort darauf geschlossen, dass das dann ja gar nicht historisch sein könne. Die Ansicht, dass Wunder gar nicht passieren könnten, bringt man aber von außen als philosophisches Vorurteil an diesen Text heran. Und dieses Vorurteil ist durchaus zu hinterfragen. Denn wenn man (auch nur hypothetisch) davon ausgeht, dass es einen allmächtigen Gott außerhalb der Welt gibt, der diese geschaffen hat, sollte man auch davon ausgehen können, dass er abseits der von ihm eingerichteten normalen Naturgesetze zumindest theoretisch in das Weltgeschehen eingreifen kann – so, wie Eltern auf das Taschengeldkonto ihrer Kinder zugreifen können. Und das wird er vielleicht auch tatsächlich einmal tun, um den Leuten zu zeigen, dass es auch wirklich er ist, der sich ihnen da zeigt.

Einer der wichtigsten Punkte in der Frage nach der Wahrheit des Christentums ist natürlich die Auferstehung Jesu. Keiner, der auch nur die geringste Ahnung von Geschichte hat, leugnet, dass Jesus von Nazareth gelebt hat und unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, dafür bräuchten wir nicht einmal die christlichen Quellen, sondern Tacitus und Flavius Josephus würden schon genügen, aber die Frage ist ja: War er wirklich Gott? Wurde er sozusagen von Gott bestätigt dadurch, dass er während seines Lebens Wunder wirken konnte und vor allem dadurch, dass er nach seinem Tod auferstanden ist? Ist dieser Bericht glaubhaft?

Kurz gesagt: Ja, ist er.

Zunächst einmal muss man auch hier den Fallstrick eines Fehlschlusses beachten, der darin besteht, biblische/christliche Quellen von vorn herein nicht als Beweismittel für in der Bibel erzählte Vorgänge anzunehmen, da sie ja irgendwie parteiisch oder so wären. Das ist Unsinn. Auf diese Weise könnte ich alle Quellen der gesamten Geschichte aus der Geschichtsschreibung hinauswerfen. Jede Quelle ist parteiisch; kein Geschichtsschreiber war je neutral. Man sage mir, wie viele unparteiische Quellen es über Julian Apostata, Napoleon Bonaparte oder Adolf Hitler gibt – ich nehme mal an, gar keine. Ich nehme alle vorhandenen Quellen, sehe mir ihre Berichte an und frage mich, wieso der Schreiber wohl für diese Seite und der Schreiber wohl für jene Seite Partei ergriffen hat, welcher Schreiber eher die Wahrheit berichtet oder welcher Schreiber vielleicht welchen Teil der Wahrheit berichtet. Wenn ich etwas über Sokrates wissen will, sehe ich mir Platons und Xenophons Sokrates-Dialoge ebenso an wie Aristophanes satirische Komödie „Die Wolken“. (Das ist übrigens ein ganz interessantes Beispiel, denn: „Die Wolken“ ist die einzige Quelle über Sokrates, die noch zu seinen Lebzeiten verfasst wurde, und trotzdem scheinen die meisten Historiker ziemlich deutlich der Meinung zu sein, dass sie bei Platon mehr vom historischen Sokrates finden als bei Aristophanes. (In dieser Hinsicht gibt es jetzt zwar keine Parallele zur Frage nach der Auferstehung, ich will nur deutlich machen, dass man sich bei Quelleninterpretation immer in vielerlei Hinsicht vor voreiligen Schlüssen hüten muss.))

Die Texte des Neuen Testaments stammen aus dem 1. Jahrhundert; als die ältesten unter ihnen werden in der Forschung meistens die Paulusbriefe aus den 50ern und frühen 60ern angenommen, aber auch die späte Datierung der Evangelien in die 70er, 80er und 90er wird in letzter Zeit immer wieder hinterfragt. (Wobei natürlich auch das immer noch eine relativ nahe Zeit wäre – wenn ein Evangelist in den 80ern über Geschehnisse aus dem Jahr 30 berichtet, wäre das nicht anders, als wenn heute jemand über die 68er-Bewegung oder das Zweite Vatikanum oder die Zeit des Wirtschaftswunders spricht. Die Forschungskontroversen lasse ich hier jetzt also mal aus, weil sie für das Thema eigentlich nicht so bedeutend sind.) Diese Texte sind, nebenbei bemerkt, wahnsinnig gut überliefert, was die Handschriften angeht. Von den allermeisten antiken Quellen haben wir bloß Abschriften aus dem Mittelalter; beim Neuen Testament dagegen sehr viele aus der Antike. Die älteste komplette Handschrift (Codex Sinaiticus) stammt von ca. 350 n. Chr., der früheste erhaltene Papyrusfetzen des Johannesevangeliums (P52) von ca. 100-125 n. Chr. (Eine fast komplette Ausgabe des Johannesevangeliums, P66, stammt ebenfalls noch aus dem 2. Jahrhunderts; zahlreiche weitere Einzeltexte aus diesen ersten Jahrhunderten kommen hinzu.) Für antike Quellen ist das wahnsinnig gut; die Bibel ist der am besten belegte Text der antiken Literatur überhaupt; und diese antiken Papyri und Codices stimmen mit unseren heutigen Texten überein.

Natürlich – siehe das Beispiel mit Sokrates – ist die Tatsache, dass eine Quelle erwiesenermaßen aus der Zeit stammt, von der sie berichtet, noch kein Beleg für ihre Richtigkeit; diese Fakten zur Überlieferung müssen zwar klargestellt werden angesichts von noch immer herumgeisternden Bibelverschwörungtheorien (die Bibel sei von Konstantin oder sonst wem nach seinem Belieben zusammengestellt / geändert worden o. Ä.); aber sie reichen natürlich noch nicht aus.  Aber: Wenn nun im Jahr 55 n. Chr., d. h. 25 Jahre nach der Kreuzigung, ein ehemaliger ultrajüdischer Christenverfolger Folgendes schreibt, dann muss man sich doch fragen, wie er dazu gekommen ist: „Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen? Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ‚Missgeburt’. Denn ich bin der geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ [„Kephas“, nebenbei, ist aramäisch für gr. „Petros“, lt. „Petrus“, dt. „der Fels“, also der Beiname des Simon Petrus.] Wie gesagt: Paulus, früher Saulus, war jemand, der diesem neuen Messias erst einmal nicht nur skeptisch, sondern ganz klar feindlich gegenüberstand. Er muss einen Grund gehabt haben, ihm dann auf einmal nachzufolgen; er muss tatsächlich etwas erlebt haben. Und wenn er seiner Gemeinde in Korinth von fünfhundert weiteren Zeugen für die Auferstehung berichtet, von denen die meisten noch am Leben sind und also befragt werden können, dann fragt sich doch, ob man da so einfach eine Massenhalluzination annehmen kann. (Angesichts der Tatsache, dass Massenhalluzinationen schlicht und einfach nicht vorkommen. Eine Halluzination ist immer etwas Persönliches.)

Ähnliches wie für Paulus gilt für die ursprünglichen elf Apostel (Judas hatte sich dann ja erhängt) und die übrigen Jünger: Ihr Meister war hingerichtet worden, er war tot, sie hatten ihn in ein Grab gelegt. Sie waren eine zerschlagene, mutlose Gemeinschaft, deren Ankerpunkt weggenommen worden war. Dann begannen sie auf einmal voller Überzeugung und Eifer von seiner Auferstehung zu verkünden. Nun gibt es drei Möglichkeiten: Entweder haben sie alle zusammen sich auf einmal eingebildet, er sei auferstanden, oder sie haben es erfunden, oder er ist wirklich auferstanden. Die Möglichkeit der Erfindung ist so lächerlich, dass es sich eigentlich nicht wirklich lohnt, weiter auf sie einzugehen. Denn: Was hatten sie davon? Erst einmal wurden sie verhaftet und ausgepeitscht (Apg 5,17-42), dann wurde einer von ihnen, der Diakon Stephanus, gesteinigt (Apg 7,54-60), das war der Ausgangspunkt für eine noch schlimmere Verfolgung (Apg 8,1-3); kurz gesagt: Flucht, Gefängnis und Tod waren Dinge, die man in den ersten Zeiten vom christlichen Bekenntnis hatte. „Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe“, schreibt Paulus, „dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder.“ (2 Kor 11,24-26) Nicht nur der Hohe Rat, sondern bald auch die Römer wurden auf diese neue Sekte da aufmerksam, und bereits in den 60ern hatte man die erste richtige Christenverfolgung unter Nero. Sorry, aber: wer lässt sich für etwas foltern und hinrichten, das er selber erfunden hat? Denn das hätten Petrus und die übrigen Apostel laut dieser Theorie getan. (Und laut Überlieferung wurde Petrus immerhin kopfüber gekreuzigt, was jetzt auch nicht sooo wahnsinnig angenehm ist.) Wenn man dazu mal Tacitus liest: „Doch nicht durch menschliche Hilfe, noch durch des Kaisers Spendungen oder durch Sühnungen der Götter ließ sich das Gerücht bannen, dass man glaubte, es sei die Feuersbrunst befohlen worden. Um daher dieses Gerede zu vernichten, gab Nero denen, welche wegen ihrer Schandtaten verhasst waren und welche das Volk Christen [wörtlich: Chrestianer] nannte, die Schuld und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen. Derjenige, von welchem dieser Name ausgegangen war, Christus [Chrestus], war unter des Tiberius Regierung vom Procurator Pontius Pilatus hingerichtet worden; und der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach wieder aus, nicht nur in Judäa, dem Vaterlande dieses Unwesens, sondern auch in der Hauptstadt, wo von allen Seiten alle nur denkbaren Gräuel und Abscheulichkeiten zusammenströmen und Anhang finden. Die erste Zeit also wurden solche ergriffen, welche sich dazu bekannten, und dann auf deren Anzeige eine ungeheure Menge nicht sowohl der Brandstiftung als des allgemeinen Menschenhasses überwiesen. Und bei ihrem Tode ward auch noch Spott mit ihnen getrieben, dass sie mit Häuten wilder Tiere bedeckt durch Zerfleischung durch Hunde oder an Kreuze geheftet oder im Feuerkleid ihren Tod fanden, und wenn sich der Tag geneigt hatte, zur nächtlichen Erleuchtung verbrannt wurden. Seinen Park hatte Nero zu diesem Schauspiel geöffnet und gab ein Circusspiel, wobei er sich im Aufzug eines Wagenlenkers oder auf dem Wagen stehend sich unter das Volk mischte. Daher wurde, wenn auch für noch so Schuldige, welche die härtesten Strafen verdient hatten, Mitleid rege, als würden sie nicht dem allgemeinen Besten, sondern der Mordlust eines Einzigen geopfert.“ Das klingt jetzt alles nicht so toll. Und auch in den nächsten 250 Jahren noch hatte man Glück, wenn man als Christ halbwegs unbehelligt durchs Leben kam, ohne Gewalt oder Flucht oder Verhaftung erleben zu müssen; Vorteile hatte man vom Christsein gleich null. (Zum Märtyrer wurde man nicht zwangsläufig, weil die Verfolgung nur mal hier und da ausbrach, aber sicher war man eigentlich nie.) Natürlich könnte man nun annehmen, dass die Apostel und übrigen Anhänger Jesu (davon gab es ja wesentlich mehr als zwölf) einfach unterirdisch dumm gewesen wären oder sehr verkappte Selbstmordabsichten gehabt hätten, aber wirklichen Erklärungswert hat diese These eher nicht so, finde ich. Und auch die These der Massenhalluzination ist absurd. Halluzinationen sind etwas, das einzelne erleben, nicht gleichzeitig eine große Gruppe, und wobei sie nicht gleichzeitig etwas sehen, hören und betasten können, sondern z. B. nur etwas sehen. Außerdem hätten, wenn ein Apostel so etwas halluziniert hätte, die anderen ihm sofort gesagt: Bist du jetzt verrückt geworden? Seine Leiche liegt noch in seinem Grab. (Oder, wenn nicht sie, dann die Gegner Jesu.) Wer etwas halluziniert und wirklich daran glaubt, begeht keinen Betrug, um es so aussehen zu lassen, als wäre es wahr; aber nun war die Leiche nun einmal weg.

Es gibt natürlich noch weitere Argumente. Zum Beispiel, wenn man sich diesen Mann, von dem das alles ausgeht, diesen Jesus von Nazareth selbst, ansieht. Es gibt dieses Argument, das man klassischerweise mit den Worten „Aut Deus aut homo malus“ zusammenfasst: Jesus muss entweder Gott oder ein schlechter Mensch (oder ein Verrückter) gewesen sein, denn er behauptete, Gott zu sein, was kein guter Mensch tut. Er war aber, nach allem, was wir in den Evangelien über ihn lesen, kein schlechter Mensch und kein Verrückter, also bleibt nur die Möglichkeit: Er hat ganz einfach die Wahrheit gesagt und war Gott. Ich will mal wieder C. S. Lewis zitieren:

„Unter diesen Juden taucht plötzlich ein Mensch auf, der redet, als wäre er Gott. Er behauptet, Sünden vergeben zu können. Er sagt, er sei von Ewigkeit an gewesen. Er sagt, er werde am Ende der Zeiten kommen, um die Welt zu richten. Überlegen wir einmal, was das heißt: Unter Pantheisten, etwa den Indern, könnte jeder sagen, er sei ein Teil Gottes oder er sei eins mit Gott; das wäre nichts Besonderes. Aber da dieser Mann Jude war, konnte er einen solchen Gott nicht meinen. In seiner Sprache bedeutete Gott jenes Wesen außerhalb der Welt, das die Welt erschaffen hat und mit nichts anderem zu vergleichen ist. Haben wir begriffen, was das heißt, dann wird klar: Was dieser Mann sagte, war schlechthin das Schockierendste, was je über menschliche Lippen gekommen ist.

Dabei entgeht uns oft ein gewisser Aspekt seiner Behauptung. Wir haben ihn schon so oft gehört, dass wir gar nicht mehr wissen, was damit eigentlich gesagt wird. Ich meine den Anspruch, Sünden zu vergeben. Diese Behauptung ist wirklich so ungeheuerlich, dass sie komisch wirken muss, solange sie nicht von Gott selbst kommt. Wir alle wissen, wie ein Mensch ihm angetanes Unrecht vergibt. Jemand tritt mir auf den Fuß, und ich verzeihe ihm; jemand stiehlt mir mein Geld, und ich vergebe ihm. Was aber würden wir von einem Menschen halten, der – selber unberaubt und unbehelligt – verkündet, er vergebe allen, die anderen Leuten auf die Füße treten und anderer Leute Geld stehlen? Eselsdumme Albernheit wäre noch die zarteste Umschreibung für ein derartiges Verhalten.

Und doch hat Jesus eben dies getan. Er sagte den Menschen, ihre Sünden seien ihnen vergeben, ohne erst alle die anderen zu fragen, denen sie mit ihren Sünden Unrecht getan hatten. Er verhielt sich einfach so, als sei er der am meisten Betroffene, als sei er derjenige, demgegenüber man sich am meisten vergangen habe. Das ist jedoch nur dann verständlich, wenn er wirklich der Gott ist, dessen Gesetze gebrochen und dessen Liebe durch jede Sünde verletzt wird. Im Mund jedes anderen, der nicht Gott ist, würden diese Worte doch wohl ein Maß von Einfältigkeit und Einbildung zum Ausdruck bringen, das in der Geschichte seinesgleichen suchen müsste.

Dennoch (und das ist ebenso eigenartig wie bedeutsam) gewinnen nicht einmal seine Feinde, wenn sie die Evangelien lesen, den Eindruck von Einfältigkeit und Einbildung. Viel weniger noch die vorurteilsfreien Leser. […]

Ich möchte damit jedermann vor dem wirklich dummen Einwand bewahren, er sei zwar bereit, Jesus als großen Morallehrer anzuerkennen, nicht aber seinen Anspruch, Gott zu sein. Denn gerade das können wir nicht sagen. Ein Mensch, der solche Dinge sagen würde, wie Jesus sie gesagt hat, wäre kein großer Morallehrer. Er wäre entweder ein Irrer – oder der Satan in Person. Wir müssen uns deshalb entscheiden: Entweder war – und ist – dieser Mensch Gottes Sohn, oder er war ein Narr oder Schlimmeres. Wir können ihn als Geisteskranken einsperren, wir können ihn verachten oder als Dämon töten. Oder wir können ihm zu Füßen fallen und ihn Herr und Gott nennen. Aber wir können ihn nicht mit gönnerhafter Herablassung als einen großen Lehrer der Menschheit bezeichnen. Das war nie seine Absicht; diese Möglichkeit hat er uns nicht offengelassen.“

Ich habe mal einen Theologen sagen hören, es sei eigentlich kein Wunder, dass man Jesus hingerichtet habe, erstaunlich sei es eher, dass man ihn nicht schon früher hingerichtet habe. Ich finde, das trifft es ganz gut. „Darauf sagte der Hohepriester zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sag uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes? Jesus antwortete: Du hast es gesagt. Doch ich erkläre euch: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Da zerriss der Hohepriester sein Gewand und rief: Er hat Gott gelästert! Wozu brauchen wir noch Zeugen? Jetzt habt ihr die Gotteslästerung selbst gehört. Was ist eure Meinung? Sie antworteten: Er ist schuldig und muss sterben.“ (Mt 26,63-67) Und doch – obwohl er solche Dinge sagte, die ihn in den Augen mancher zum frevelhaftesten aller Gotteslästerer machten – folgten ihm andere voller Überzeugung, Hoffnung, Vertrauen und Liebe. „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ sagte Petrus. „Du hast Worte ewigen Lebens.“ (Joh 6,68) Und, später, zum Auferstandenen: „Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe.“ (Joh 21,17) „Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde“, sagte der Aussätzige (Mt 8,2). „Herr, ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“, sagte selbst der römische Hauptmann von Kafarnaum, der Jesus um die Heilung seines Dieners bat. „Auch ich muss Befehlen gehorchen und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es.“ (Mt 8,8-9) Ich glaube, dass es einen Grund für diese Berichte der Evangelisten geben muss. Wieso erzählten sie von solchen Dingen? Wieso glaubten sie so unbeugsam an die Macht und Liebe Jesu? Die logischste Erklärung ist, dass sie Wahres berichten.

Es gibt in der ganzen Geschichte der Menschheit keinen Menschen, der Jesus von Nazareth gleicht. Wer die Bergpredigt oder ähnliche seiner Worte liest, wird ihn gern als einen großen Weisheitslehrer bezeichnen; aber er ist nicht wie Sokrates oder Konfuzius, die wirklich Weisheitslehrer, und einfach nur Weisheitslehrer, waren. Sie lehrten Moral und Philosophie; und sie sagten dabei viele gute Dinge und waren sich dennoch bewusst, dass sie nur Menschen waren, die nach dem richtigen Weg suchten. Er dagegen sprach von der Erlösung durch seinen Tod; er sprach: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6) Es ist lächerlich, ihn mit anderen Religionsgründern auf eine Stufe stellen zu wollen; keiner von denen behauptete jemals, was er behauptete. Viele Menschen sagten im Lauf der Geschichte, sie seien von Gott gesandt; aber wie viele behaupteten, Gott zu sein? Gegen Mohammed lässt sich viel sagen; er hat sich ziemlich viele Frauen genommen, darunter eine Neunjährige, und viel Zeit damit verbracht, Kriege zu führen, und duldete nicht, wenn irgendjemand seine göttliche Sendung hinterfragte. Aber auch er hat niemals die Anmaßung besessen, sich selbst mit Gott gleichzusetzen. Selbst die römischen Kaiser nannten sich nur „divus“, „vergöttlicht“; sie setzten sich nicht mit dem Schöpfer der Welt gleich. Jesus von Nazareth dagegen, dessen gewalttätigste Tat wohl war, dass er die Händler aus dem Tempel trieb, und gegen den kaum jemals der Vorwurf laut wird, er sei ein schlechter Mensch gewesen, hat sich mit Gott gleichgesetzt.

Man wird Christ, indem man Christus kennenlernt und ihm folgt. Und der Christus aus den Evangelien… wer würde diesem Mann nicht folgen wollen? Man kann nicht Christ sein, wenn man Christus nicht kennt, wenn man nicht weiß, wie er war, was er tat, was er litt. Darum würde ich jeden, der das Christentum ablehnt, erst einmal fragen, ob er die Evangelien gelesen hat.

Ein weiteres Argument: Die christliche Offenbarung schließt zunächst einmal die jüdische im Alten Testament mit ein; und die Einzigartigkeit der Juden im Alten Orient (ach was, die Einzigartigkeit der Juden zu allen Zeiten) ist etwas, was leicht ins Auge fällt. Sie lässt sich nicht so einfach erklären. Das auserwählte Volk ist das einzige Volk der Welt, das einen derartig klaren Monotheismus entwickelte, aber den einen Gott nicht nur als fernen obersten Gott über irgendwelchen der Menschenwelt näher stehenden Göttern und Geistern verehrte, sondern wirklich auch als den ihnen nahen, persönlichen Gott ihres Volkes, der es auserwählt hatte und beschützte, der zu Abraham, Isaak und Jakob gesprochen und die Israeliten unter Mose aus Ägypten herausgeführt hatte. Ein Gott, der nicht ist wie die Götter der anderen Völker, sondern der gut ist, dem es unmöglich ist, schlecht zu sein. Die Einzigkeit des auserwählten Volkes (auch in der Hinsicht, dass es, anders als Moabiter, Ammoniter oder Jebusiter trotz seiner ständigen Bedrohung und Unterdrückung einfach noch nach über 3000 Jahren existiert) ist eine Tatsache. Und sie lässt sich am besten damit erklären, dass es wirklich von Gott auserwählt wurde, dass er es führte und sich ihm zeigte.

Und in dieser Einzigkeit ist ihm die Kirche Gottes, das aus Juden und Heiden zusammengesetzte neue Israel, ähnlich: die einzige Institution der Geschichte, die 2000 Jahre überlebt hat, Verfolgungen und Vereinnahmungen gleichermaßen, und sich in ihrem Kern dabei nicht gewandelt hat. Sie hat die römischen Kaiser ebenso überlebt wie die französische Schreckensherrschaft, den Arianismus ebenso wie den Protestantismus oder den Kommunismus. Ich habe mal für ein Seminar über die Propaganda der französischen Revolutionsregierung gegen das Christentum recherchiert. Es ist schon ganz interessant, wenn man liest, dass es 1793 oder ’94 Leute gab, die die katholische Kirche für größtenteils erledigt hielten und ihr vielleicht noch ein paar Jahre gaben, und Pius VI. spaßeshalber „Pius den Letzten“ nannten. (Inzwischen haben wir übrigens zwölf Piusse auf dem Papstthron gehabt.) Es ist ebenso witzig, wenn Leute heutzutage dann auf einmal ganz verwundert feststellen, dass Religion ja seltsamerweise immer noch nicht ausgestorben ist, nicht mal diese katholische Kirche da. Die katholische Kirche wird nicht untergehen. Das hat Christus, ihr Oberhaupt, ihr fest zugesagt. „Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,18-19) Inzwischen hat Simon Petrus, das erste stellvertretende Oberhaupt der katholischen Kirche, immerhin 265 Nachfolger gehabt, die diese Schlüsselgewalt ausübten und ausüben.

Es gibt noch vieles, was man anführen könnte. Zum Beispiel die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen durch Christus. Schon mal Psalm 22 oder Jesaja 53 gelesen? (Nebenbei: Vom Buch Jesaja haben wir eine vollständige Handschrift von ca. 200 v. Chr. aus Qumran.) „Sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und weiden sich an mir. Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.“ (Ps 22,17-19) „Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen. Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf. Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen. Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war. Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab.“ (Jes 53,5-10) „Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.“ (Sach 12,10)

Erwähnenswert wäre auch die interessante Tatsache, dass es in der katholischen Kirche recht häufig Wunder gibt (vor allem Heilungswunder), die von unabhängigen Ärzten nachgeprüft werden und für die keine wissenschaftliche Erklärung gefunden werden kann – für jede Selig- und Heiligsprechung sind sie beispielsweise nötig. In welcher anderen Religion ist das der Fall? Man könnte auch auf das Sonnenwunder von Fatima 1917, das Grabtuch von Turin, das Marienbild von Guadeloupe, die Heilungen in Lourdes, auf unverweste Leichname Heiliger oder Hostienwunder wie in Lanciano, Liegnitz (2013) und Buenos Aires (1996) hinweisen. Jede einzelne dieser Sachen könnte einem erst einmal einfach komisch und unerklärlich vorkommen, aber irgendwie wird sich das ja wohl erklären lassen… – aber ihre Summe ist doch irgendwie seltsam, oder? Vor allem angesichts der Tatsache, dass alle genannten Vorkommnisse von wissenschaftlicher Seite aus untersucht sind und bisher nicht zufriedenstellend erklärt werden konnten. (Natürlich gibt es auch Fälle, wo angebliche Wunder sich als keine Wunder herausstellten. Die sind sogar zahlreicher. Aber genau deshalb ist der Kirche da ja eine genaue Prüfung so wichtig.)

Man könnte auch auf die innere Logik der katholischen Lehre hinweisen. Hier gibt es keine inneren Widersprüche; auch nichts, was der grundlegenden menschlichen Erfahrung widerspricht. Ein beliebiges Beispiel: Erbsünde. Die katholische Ansicht (der Mensch hat einen freien Willen und kann zwischen Gut und Böse wählen, aber er neigt zum Bösen und kein Mensch wird immer nur das Gute wählen) entspricht ganz genau der alltäglichen Erfahrung. Determinismus oder Calvinismus, die dem Menschen den freien Willen absprechen, widersprechen ihr dagegen ebenso wie die Philosophie Rousseaus oder der Pelagianismus, die den Menschen beide für grundsätzlich gut und bloß ein bisschen erziehungsbedürftig erklärten.

Ich habe alle diese Argumente hier nun eher angerissen; natürlich müsste man sie genauer erläutern. Ich wollte eben einfach einen Überblick über ein paar der wichtigsten Gründe bieten, die katholische Offenbarung für eine wirkliche Offenbarung Gottes zu halten.

Ein Gedanke zu “Philosophie und Offenbarung, Teil 2

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