Gott, der Gärtner, Zimmermann und Knecht

Ich liebe den Frühling (der Sommer ist mir meistens zu heiß und der Winter zu kalt); und besonders liebe ich es, jetzt im Garten oder am Straßenrand zu beobachten, wie an den Büschen und Bäumen ganz langsam hellgrüne Triebe hervorbrechen und größer und dunkler werden, und wie weiße und rosa Blüten sich allmählich formen und öffnen. Aus der Ferne kann ein Busch jetzt gerade noch ganz kahl aussehen; aber wenn man dann genauer hinsieht, erkennt man schon die kleinen grünen Knöpfe an den Zweigen. Der Frühling hat etwas Helles, Friedliches; etwas Sanftes und Zartes.

Gott hat alles das gemacht; verschlungene, gewöhnliche, grobe oder hübsche Dinge wie wilde Weinstöcke, Löwenzähne, Apfelbäume, Buschwindröschen, Klee, Disteln oder Gänseblümchen; die verschiedensten Arten von Schönheit. Manchmal ist mir aufgefallen, dass man die Schönheit mancher geschaffener Dinge erst sehen kann, wenn man sie ganz aus der Nähe betrachtet; bei schmalen Rasenflächen vor Larmschutzwänden an Autobahnen ist das zum Beispiel der Fall. Wenn man genauer hinschaut, sieht man eine Butterblume, drei rosa Blumen, die man nicht benennen kann, Grashalme, die sich im Wind bewegen, und ein paar Kieselsteine; alles schöne Dinge, die man erst nicht sieht, wenn man bloß „Rasen vor Mauer“ registriert. Sogar die Mauer kann manchmal etwas Schönes haben.

Gott hat eigentlich einen sehr schönen Garten gemacht, finde ich, und ich glaube, dass Er sich daran freut, ihn zu betrachten – und natürlich auch daran, dass wir ihn betrachten können. Gott hat schöne, zarte Dinge ohne besonderen Grund geschaffen – einfach, damit sie da sind, nicht damit sie zu etwas nutze sind; so, wie man einen Roman schreibt, einen Weihnachtsbaum aufstellt, oder ein Bild malt – und Er pflegt seine Schöpfung, wie ein Gärtner das tut. Sorgfältig und behutsam, um ihre Schönheit hervorzubringen. Der Schöpfer zeigt eine sanfte Hand jetzt im Frühling.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/Brooklyn_Museum_-_Jesus_Appears_to_Mary_Magdalene_%28Apparition_de_J%C3%A9sus_%C3%A0_Madeleine%29_-_James_Tissot.jpg

(James Tissot, Apparition de Jésus à Madeleine, Bildquelle: Wikimedia Commons)

Ganz am Anfang der Bibel geht Gott im Garten Eden umher wie ein Gärtner, und viele, viele Jahrtausende später wurde der Gottmensch Jesus Christus mit einem Gärtner verwechselt, als Er nach seiner Auferstehung in dem Garten, in dem sein leeres Grab lag, Maria Magdalena erschien. Ich glaube nicht, dass das Zufall ist (und bekanntere Menschen als ich, die schon über diese Stelle geschrieben haben, tun das auch nicht). In seinem irdischen Leben selber hatte Er zwar nicht als Gärtner gearbeitet, aber auch als Handwerker, also als jemand, der etwas mit den eigenen Händen aufbaut; Gott ist ein Gärtner und ein Zimmermann. Und der Mensch, als Abbild Gottes, darf auch beides sein: Die Welt, die ihm anvertraut wurde, ist ein Garten, in dem man sich ein Haus (oder Städte) bauen, Gemüsebeete (oder Felder und Plantagen) anlegen, schöne Blumen (oder botanische Gärten und Parks) kultivieren und unberührte wilde Stellen (oder Nationalparks) lassen darf. Gott hat die Welt gedacht wie einen großen Garten.

Ich liebe eine Beschreibung Gottes, die G. K. Chesterton in seiner „Ballad of the White Horse“ König Alfred dem Großen (849-899) in den Mund legt:

„And well may God with the serving-folk

Cast in His dreadful lot;

Is not He too a servant,

And is not He forgot?

 

“For was not God my gardener

And silent like a slave;

That opened oaks on the uplands

Or thicket in graveyard gave?

 

“And was not God my armourer,

All patient and unpaid,

That sealed my skull as a helmet,

And ribs for hauberk made?

 

„Did not a great grey servant

Of all my sires and me,

Build this pavilion of the pines,

And herd the fowls and fill the vines,

And labour and pass and leave no signs

Save mercy and mystery?

 

„For God is a great servant,

And rose before the day,

From some primordial slumber torn;

But all we living later born

Sleep on, and rise after the morn,

And the Lord has gone away.

 

„On things half sprung from sleeping,

All sleepy suns have shone,

They stretch stiff arms, the yawning trees,

The beasts blink upon hands and knees,

Man is awake and does and sees—

But Heaven has done and gone.

 

„For who shall guess the good riddle

Or speak of the Holiest,

Save in faint figures and failing words,

Who loves, yet laughs among the swords,

Labours, and is at rest?

 

„But some see God like Guthrum*,

Crowned, with a great beard curled,

But I see God like a good giant,

That, labouring, lifts the world.

 

„Wherefore was God in Golgotha,

Slain as a serf is slain;

And hate He had of prince and peer,

And love He had and made good cheer,

Of them that, like this woman here,

Go powerfully in pain.“

File:A Chronicle of England - Page 050 - Alfred in the Neatherd's Cottage.jpg

(Alfred in the Neatherd’s Cottage, Darstellung aus dem 19. Jahrhundert, Bildquelle: Wikimedia Commons)

Gott, der vergessene Knecht; Gott der Gärtner und Baumeister. Amen.

* Guthrum war ein Fürst der Wikinger, der in England eingefallen war; in der Ballade geht es vor allem um die Schlacht von Ethandune, in der Alfred sein Königreich Wessex gegen ihn verteidigt, und auch noch um einige damit zusammenhängende Legenden, u. a. die oben abgebildete Geschichte, in der der König die Brote einer armen Frau verbrennen lässt, die ihm Obdach gewährt hat, als er noch vor der Schlacht gerade inkognito (um nicht von den Wikingern erkannt zu werden) unterwegs ist; wofür er von ihr, die ihn nicht erkannt hat, ausgeschimpft wird.

Über schwierige Bibelstellen, Teil 10: Bestrafung für die Sünden der Eltern? Über die Erbsünde und Ähnliches

[Dieser Teil wurde noch einmal überarbeitet. Alle Teile hier.]

Ich erinnere mich, dass mich, als ich mich als Zwölfjährige zum ersten Mal ausführlicher mit den fünf Büchern Mose beschäftigt habe, Verse wie diese hier, die sich in ähnlichem Wortlaut an ein paar Stellen im AT finden, ziemlich entsetzt haben: „Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen; doch ich erweise Tausenden meine Huld bei denen, die mich lieben und meine Gebote bewahren.“ (Exodus 20,5f.)

Und das taucht mitten in den zehn Geboten auf!!! (!!!!!!!!!!!!!)

Okay, beruhigen wir uns wieder. Ist die Bibel jetzt also für Sippenhaft?

Vielleicht hätte es mir weitergeholfen, wenn ich damals schon Ezechiel 18 gekannt hätte, ein Kapitel, über das ich erst einige Jahre später gestolpert bin. Ich zitiere es bewusst in seiner ganzen Länge:

 „Das Wort des HERRN erging an mich: Wie kommt ihr dazu, auf dem Ackerboden Israels das Sprichwort zu gebrauchen: Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf? So wahr ich lebe – Spruch GOTTES, des Herrn – , keiner von euch in Israel soll mehr dieses Sprichwort gebrauchen. Siehe, alle Menschenleben gehören mir. Das Leben des Vaters ebenso wie das Leben des Sohnes: Sie gehören mir. Der Mensch, der sündigt, nur er soll sterben.

 Wenn jemand gerecht ist und nach Recht und Gerechtigkeit handelt: Er hält keine Opfermahlzeiten auf den Bergen. Er blickt nicht zu den Götzen des Hauses Israel auf. Er schändet nicht die Frau seines Nächsten. Einer Frau tritt er nicht nahe während ihrer Blutung. Er unterdrückt niemanden. Er gibt sein Schuldpfand zurück. Er begeht keinen Raub. Dem Hungrigen gibt er sein Brot und den Nackten bedeckt er mit Kleidung. Er gibt nicht gegen Zins und treibt keinen Wucher. Er hält seine Hand vom Unrecht fern. Zwischen allen fällt er einen gerechten Richtspruch. Wenn er also nach meinen Satzungen geht und meine Rechtsentscheide bewahrt und sie treu befolgt: Gerecht ist er, er wird gewiss am Leben bleiben – Spruch GOTTES, des Herrn.

Zeugt er aber einen Sohn, der gewalttätig wird, der Blut vergießt und eines von diesen Dingen verübt, während er selbst all das nicht getan hat: Wenn dieser sogar auf den Bergen Opfermahlzeiten hält, die Frau seines Nächsten schändet, den Elenden und Armen unterdrückt, Raub begeht, ein Pfand nicht zurückgibt, zu den Götzen aufblickt und Gräueltaten verübt, gegen Zins gibt und Wucher treibt – soll der am Leben bleiben? Er soll nicht am Leben bleiben. Er hat alle diese Gräueltaten verübt. Er hat den Tod verdient. Seine Bluttaten werden auf ihm sein.

Und siehe, auch er zeugt einen Sohn und der sieht alle die Sünden, die sein Vater begeht. Er sieht sie, begeht sie aber nicht. Er hält auf den Bergen keine Opfermahlzeiten. Er blickt nicht zu den Götzen des Hauses Israel auf. Er schändet nicht die Frau seines Nächsten. Er unterdrückt niemand. Er fordert kein Pfand und begeht keinen Raub. Dem Hungrigen gibt er sein Brot, den Nackten bedeckt er mit Kleidung. Er hält seine Hand vom Armen fern. Er nimmt keinen Zins und treibt keinen Wucher. Er befolgt meine Rechtsentscheide und geht nach meinen Satzungen. Er wird nicht wegen der Schuld seines Vaters sterben; er wird gewiss am Leben bleiben. Sein Vater aber, da er Erpressung verübte, Raub gegen seinen Bruder beging und inmitten seines Volkes tat, was nicht recht ist, siehe, er musste wegen seiner Schuld sterben.

Ihr aber sagt: Warum trägt der Sohn nicht mit an der Schuld des Vaters? Der Sohn hat nach Recht und Gerechtigkeit gehandelt. Er hat alle meine Satzungen bewahrt und sie befolgt. Er wird bestimmt am Leben bleiben. Der Mensch, der sündigt, nur er soll sterben. Ein Sohn soll nicht an der Schuld des Vaters mittragen und ein Vater soll nicht an der Schuld des Sohnes mittragen. Die Gerechtigkeit des Gerechten kommt über ihn selbst und die Schuld des Schuldigen kommt über ihn selbst.

 Wenn der Schuldige sich von allen Sünden, die er getan hat, abwendet, alle meine Satzungen bewahrt und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er bestimmt am Leben bleiben, er wird nicht sterben. Keines seiner Vergehen, die er begangen hat, wird ihm angerechnet. Wegen seiner Gerechtigkeit, die er geübt hat, wird er am Leben bleiben. Habe ich etwa Gefallen am Tod des Schuldigen – Spruch GOTTES, des Herrn – und nicht vielmehr daran, dass er umkehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?

Wenn jedoch ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, all die Gräueltat, die auch der Schuldige verübt, sollte er dann etwa am Leben bleiben? Keine seiner gerechten Taten wird ihm angerechnet. Wegen seiner Treulosigkeit, die er verübt, und wegen der Sünde, die er begangen hat, ihretwegen muss er sterben.

Ihr aber sagt: Der Weg des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Weg soll nicht richtig sein? Sind es nicht eure Wege, die nicht richtig sind? Wenn ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben. Wenn ein Schuldiger von dem Unrecht umkehrt, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren. Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben. Die vom Haus Israel aber sagen: Der Weg des Herrn ist nicht richtig. Mein Weg soll nicht richtig sein, ihr vom Haus Israel? Sind es nicht vielmehr eure Wege, die nicht richtig sind?

Darum will ich euch richten, jeden nach seinem Weg, ihr vom Haus Israel – Spruch GOTTES, des Herrn. Kehrt um, kehrt euch ab von all euren Vergehen! Sie sollen für euch nicht länger der Anlass sein, in Schuld zu fallen. Werft alle Vergehen von euch, die ihr verübt habt! Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist! Warum wollt ihr denn sterben, ihr vom Haus Israel? Ich habe doch kein Gefallen am Tod dessen, der sterben muss – Spruch GOTTES, des Herrn. Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!“

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9c/Tissot_Ezekiel.jpg

(James Tissot, Ezekiel. Gemeinfrei.)

Erwähnen könnte man auch noch Deuteronomium 24,16, eine Stelle in der Tora, die den Israeliten befiehlt, ebenso zu handeln, wie Gott es in Ezechiel 18 beschreibt: „Väter sollen nicht wegen ihrer Söhne und Söhne nicht wegen ihrer Väter mit dem Tod bestraft werden. Jeder soll nur für sein eigenes Verbrechen mit dem Tod bestraft werden.“ Diese Stelle wird in 2 Könige 14,6 wieder aufgegriffen: „Die Söhne der Mörder aber verschonte er [König Amazja von Juda], wie der HERR es geboten hatte und wie es im Buch der Weisung des Mose niedergeschrieben ist: Väter sollen nicht wegen ihrer Söhne und Söhne nicht wegen ihrer Väter mit dem Tod bestraft werden, sondern jeder soll nur für sein eigenes Verbrechen sterben.“

Was sollen also, im Licht solcher deutlicher Stellen, Stellen wie die oben zitierte aus Exodus bedeuten?

Und was soll überhaupt die ganze Lehre von der Erbsünde bedeuten? Denn diese Lehre sagt doch auch, dass wir alle für die Sünden unserer Vorfahren, der ersten Menschen, mit schwerer Arbeit, Schmerzen, dem Tod, Neigung zur Sünde und Gottesferne gestraft wurden – oder nicht?

Na ja, nicht ganz. Besser ausgedrückt sagt sie, dass die ersten Menschen uns diese Dinge eingebrockt haben. Aber ja, sie sagt, dass Adams und Evas (oder wie auch immer die ersten Menschen hießen) Abwendung von Gott auch Einfluss auf uns hatte.

Ich denke, man kann es mit einer Analogie erklären. Adam und Eva (auf die ich hier und hier schon genauer eingegangen bin) erhielten von Gott sog. „übernatürliche Gnadengaben“, d. h. sie waren Tod, Schmerzen und Vergänglichkeit nicht unterworfen, das Tun des Guten fiel ihnen leicht, und sie waren Gott sehr nahe. Dann entschieden sie sich jedoch, versucht durch den Teufel (einen abgefallenen Engel – Engel sind rein geistige Wesen, die von Gott vor der Erschaffung unserer materiellen Welt ins Dasein gerufen wurden, die ebenso wie Menschen einen freien Willen haben, und von denen die einen sich daher für Gott und das Gute entschieden, und die anderen gegen ihn), Gott zu misstrauen, sein zu wollen „wie Gott“, und gegen eins seiner Gebote zu handeln, die er ihnen alle um ihretwillen, nicht um seinetwillen, gegeben hatte. Damit verspielten sie ihre Gnadengaben und diese wurden somit auch nicht mehr an die nachfolgenden Generationen weitervererbt.

Okay, jetzt zur Analogie: Nehmen wir an, ein junges Ehepaar erhält zur Hochzeit von einem reichen Onkel ein großes Haus geschenkt. Dann jedoch betrügen sie in ihren Geschäften und müssen hohe Geldstrafen zahlen; oder aber sie machen enorme Spielschulden; oder sie verspekulieren sich an der Börse; wie auch immer, jedenfalls müssen sie auf Grund eigener Schuld das Haus verkaufen. So können auch die Kinder, die sie später noch bekommen, nicht mehr dort aufwachsen. Hier würde man aber nun kaum dem Onkel (zu dem die Eltern im Lauf der ganzen Geschichte den Kontakt abgebrochen haben) einen Vorwurf machen, seine Großneffen und -nichten für die Verbrechen ihrer Eltern bestraft zu haben. (Und, liebender Großonkel, der er ist, ist es ihm dennoch übrigens auch weiterhin nicht egal, was aus der ganzen Familie wird.)

Adam und Eva erhielten die Gaben, die sie erhielten, nicht nur für sich selbst, sondern für sich und alle ihre Nachkommen als Erbe. Das haben sie verspielt. Sie wären dafür verantwortlich gewesen, uns etwas zu bewahren, das sie nicht bewahrt haben. So, denke ich, kann man die Erbsünde am besten erklären; aber es bleibt wohl immer noch dabei, dass sie ein

Geheimnis ist, das wir nicht völlig verstehen können.

Aber dennoch, könnte man fragen – ist Gott nicht ungerecht, dass er ein solches System eingerichtet hat, in dem es möglich ist, dass die Schuld des einen Menschen auch den anderen oder sogar sehr viele andere trifft?

Nein.

Gott hat eine Welt eingerichtet, in der Menschen Einfluss auf das Leben anderer Menschen haben; im Guten wie im Bösen. In dieser Welt sind alle Menschen aufeinander angewiesen, niemand ist autark, und sehr vieles ist geschenkt und mitgegeben anstatt selbstgemacht. Ich weiß nicht, ob er diese Welt auch hätte anders machen können (oder ob er vielleicht sogar andere Welten gemacht hat, die tatsächlich anders sind); aber jedenfalls entschied er sich, diese Welt hier so zu machen und nicht anders; und ich denke, man kann sehen, dass es gute Gründe dafür gab. Wenn ein Geschöpf keinen Einfluss – überhaupt keinen Einfluss – auf andere Geschöpfe hätte – wo bliebe dann die Möglichkeit, sie lieben zu können? Das ist leider das Tragische am freien Willen, den Gott den Menschen gegeben hat: sie können selber entscheiden, zu lieben oder nicht zu lieben, und manchmal sind sie einfach so blöd, dass sie sich entscheiden, nicht zu lieben. Die Freiheit, jemandem eine Freude machen zu können, lässt auch die Freiheit, es zu lassen oder ihm stattdessen Schaden zuzufügen. Leider. Sicherlich könnte Gott jedes Mal ein Wunder geschehen lassen, wenn jemand jemand anderem schaden will, und ihn stattdessen dazu bringen, diesem etwas Gutes zu tun; aber das wäre dann keine Freiheit mehr. Wir wären Marionetten anstatt Menschen. Gott will, dass wir lieben; und lieben kann man nur in Freiheit.

Natürlich ist hier eins noch wichtig: Die Ursünde* hat der Menschheit im Ganzen zwar sehr, sehr geschadet, aber sie hat ihren Kontakt zu Gott nicht vollkommen zerstört – vor allem deshalb, weil Gott das nicht zugelassen hat. Er ist seinen Kindern, die den Kontakt abgebrochen haben, trotzdem noch nachgegangen, und zwar so lange, bis sie ihn ans Kreuz genagelt haben. Aber das war kein unvorhergesehener Unfall, es war sozusagen einkalkuliert: Denn es war der Preis, der gezahlt werden musste, um Adams Sünde und auch die Sünden aller seiner Nachkommen (die trotz aller ihrer Neigung zur Sünde noch immer deren freie Entscheidungen waren) wieder gut zu machen, zu sühnen. Nicht nur, was die Folgen der Schuld, sondern auch, was das Heil angeht, gilt im Christentum das Prinzip der Solidarität und der Stellvertretung:

„Deshalb: Wie durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise der Tod zu allen Menschen gelangte, weil alle sündigten […] Doch anders als mit der Übertretung verhält es sich mit der Gnade; sind durch die Übertretung des einen die vielen dem Tod anheimgefallen, so ist erst recht die Gnade Gottes und die Gabe, die durch die Gnadentat des einen Menschen Jesus Christus bewirkt worden ist, den vielen reichlich zuteilgeworden. Und anders als mit dem, was durch den einen Sünder verursacht wurde, verhält es sich mit dieser Gabe: Denn das Gericht führt wegen eines Einzigen zur Verurteilung, die Gnade führt aus vielen Übertretungen zur Gerechtsprechung. Denn ist durch die Übertretung des einen der Tod zur Herrschaft gekommen, durch diesen einen, so werden erst recht diejenigen, denen die Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit reichlich zuteilwurde, im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus. Wie es also durch die Übertretung eines Einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so kommt es auch durch die gerechte Tat eines Einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung, die Leben schenkt. Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern gemacht worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden. Das Gesetz aber ist dazwischen hineingekommen, damit die Übertretung mächtiger werde; wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden, damit, wie die Sünde durch den Tod herrschte, so auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben, durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ (Römer 5,12.15-21)

Niemand ist nur für sich selbst verantwortlich; und niemand hat, was er hat, aus sich selbst. Das Menschengeschlecht ist eine große Familie – nicht im Friede-Freude-Eierkuchen-Sinn, denn in einer Familie ist für gewöhnlich nicht Friede-Freude-Eierkuchen; sondern  im Sinne von: „wir gehören zusammen, ob uns das recht ist oder nicht“.

Zu bedenken sind noch zwei Dinge: Erstens, in Bezug auf die Neigung zur Sünde, die durch die Ursünde in die Welt kam: Sie ist keine „absolute Verderbtheit“, wie die Reformatoren (insbesondere Calvin, aber durchaus Luther auch) meinten; der Mensch besitzt immer noch einen freien Willen. Und Gott lässt nicht zu, dass jemand ohne wirkliche eigene, frei gewählte Schuld verloren geht; und auch nicht, dass jemand, der seine eigene, frei gewählte Schuld bereut, verloren geht. Wie gesagt – Ezechiel 18. Am Ende wird Gott alles zurechtrücken; und dann gilt auch: „Der Mensch, der sündigt, nur er soll sterben“, und: „Ich habe doch kein Gefallen am Tod dessen, der sterben muss“.

Zweitens, auch wenn Gott zulässt, dass Leid durch Menschen über andere Menschen kommt – z. B., dass Kinder drogenabhängiger Schwangerer auch drogenabhängig geboren werden, oder dass Kinder von Fanatikern auch in den Fanatismus getrieben werden – solche schicksalhaften Mechanismen beschreiben Stellen wie Exodus 20,5f. nämlich; hier wird wieder Gottes zulassender Wille beschrieben, nicht sein direkt bewirkender** -, oder eben, dass alle Nachkommen von Adam und Eva mit der Erbsünde belastet sind –, kann aus diesem Leid noch Gutes werden, und es wird nur zugelassen, weil es irgendeinen Sinn in Gottes Schicksalsplan hat. Gott sorgt für unser ganzes Leben. „Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.“ (Matthäus 10,30) So ist es; wir haben keine unbegrenzte Macht, Gott hält alles in der Hand, aber trotzdem haben wir Macht über andere – wirkliche Macht, ihr Leben besser oder schlechter zu machen.

Zuletzt noch ein kurzer Exkurs zur Bedeutung des Todes. Die bereits erwähnten Folgen der Erbsünde sind ja verschiedenartig:

  • Verlust der Nähe zu Gott; auch Verlust dieser Nähe im Jenseits („Himmel“ ist in der katholischen Theologie definiert als „Gott schauen“, als die visio beatifica)
  • Irdische Leiden und Schmerzen – schwere Arbeit, Schwierigkeiten in der Schwangerschaft, etc.
  • Irdischer Tod, d. h. Trennung von Leib und Seele
  • Neigung zur Sünde

Im vorigen Artikel habe ich gesagt, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist, dass nur er Autorität darüber hat, und dass er es einem Menschen auch wieder nehmen kann, wenn er dies als das Beste erachtet, was nicht unbedingt eine Strafe für diesen Menschen sein muss. Diese Aussage muss vielleicht noch ein wenig weiter ausdifferenziert werden.

In der Bibel*** heißt es: „Denn Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt. Kein Gift des Verderbens ist in ihnen, das Reich der Unterwelt hat keine Macht auf der Erde; denn die Gerechtigkeit ist unsterblich. […] Denn Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ (Weisheit 1,13-15; 2,23f.)

Gott hat alles Leben geschaffen, und will, dass ist; von sich aus, ohne seinen Schöpfer, neigt es allerdings zum Zerfall, zum Nichtsein hin – zum Tod (der die Trennung von Leib und Seele und der Zerfall des Leibes ist); es braucht also Gottes ständigen Beistand, damit Lebewesen am Leben bleiben; und im „paradiesischen“ Zustand hätte Gott diesen Beistand auch immer weiter gewährt – daher das Bild vom „Baum des Lebens“, von dem Adam und Eva, anders als vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, essen durften. Nach dem Sündenfall versperrte Gott ihnen den Zugang dazu allerdings bzw. sie versperrten ihn sich selber, indem sie sich von Gott abschnitten.

Der Tod ist eine Frucht der Sünde – aber keine, die bleiben wird. Daher glauben wir auch daran, dass nicht nur die Seelen bei Gott weiterleben, sondern dass er am Ende der Zeiten auch die toten Körper wiedererwecken wird – auf welche Weise das geschehen wird, wissen wir nicht – und dass sie sich wieder mit den Seelen vereinen werden, und wir wieder als ganze Menschen bei Gott leben werden. An zwei Menschen ist das schon geschehen: An Jesus, dem Gottmenschen, der leiblich aus dem Grab auferstanden ist (wie wir in den Evangelien lesen können – er hat Fisch gegessen und Thomas seine Wunden berühren lassen und deutlich klargestellt, dass er kein Geist ist), und an seiner Mutter, die durch Gottes Gnade ebenfalls mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde.

Gott lässt den Tod zu, hat ihn aber nicht ursprünglich gewollt. Jetzt allerdings, mit einer Menschheit, deren Leben von der Erbsünde belastet ist, arbeitet er mit dem Tod, der nicht einfach Strafe, sondern auch Heilmittel ist (s. dazu auch die oben verlinkten Teile dieser Reihe), und nimmt den Menschen dieses belastete irdische Leben nach einer gewissen Zeitspanne, um ihnen, sofern sie sich bewährt haben, ein neues, überirdisches Leben zu schenken. Nach dem Fall müssen wir durch den Tod zur Auferstehung; die Unsterblichkeit des Paradieses lässt sich nicht zurückholen.

Noch etwas: Der hl. Thomas sagt zu Stellen wie Exodus 20,5 sogar: „Was aber der Herr spricht: ‚Ich werde die Sünden der Eltern heimsuchen an den Kindern bis in das dritte und vierte Geschlecht‘; scheint mehr der Barmherzigkeit anzugehören wie der Strenge; da der Herr demgemäß nicht gleich straft, sondern wartet, damit wenigstens die Nachkommen sich bessern, wogegen, wenn die Bosheit dieser letzteren wächst, es gleichsam notwendig ist, die Rache walten zu lassen.“ (Summa Theologiae II/II,108,4)

* Zur Begriffserklärung: „Ursünde“ ist das, was Adam und Eva getan haben; „Erbsünde“ ist das, was wir geerbt haben, der Zustand, in dem wir uns jetzt befinden.

** Siehe dazu Regel Nummer 14: Es gibt einen Unterschied zwischen dem direkt verursachenden und dem bloß zulassenden Willen Gottes. (Ausführlich erklärt in Teil 8.)

*** Der katholischen Bibel zumindest. Luther hat dieses Buch aus der Bibel entfernt, zusammen mit sechs anderen.

Wir gehorchen den Befehlen des Königs nicht

„Mattatias aber antwortete mit lauter Stimme: Auch wenn alle Völker im Reich des Königs ihm gehorchen und jedes von der Religion seiner Väter abfällt und sich für seine Anordnungen entscheidet – ich, meine Söhne und meine Verwandten bleiben beim Bund unserer Väter. Der Himmel bewahre uns davor, das Gesetz und seine Vorschriften zu verlassen. Wir gehorchen den Befehlen des Königs nicht und wir weichen weder nach rechts noch nach links von unserer Religion ab.“

(1 Makkabäer 2,19-22)

 

PS: Dieses Buch wurde übrigens von Martin Luther aus der Bibel entfernt. Happy 2017!

Der Schurke in den Filmen und Serien meiner Kindheit: Ein Steckbrief

Ziel:

I. d. R.: Die Weltherrschaft an sich reißen.

(Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings zulässig, etwa: Das Erringen der Herrschaft über ein bestimmtes Land; oder: von Unsterblichkeit; oder: eines ganz bestimmten sehr wertvollen Gegenstandes (magischer Stein, wertvollster Diamant der Welt, o. Ä.). Sonstige Alternative: Rache an der/den Hauptfigur(en) für ein empfundenes Unrecht / das Scheitern eines früheren bösen Plans.)

 

Geschlecht:

Häufig männlich, aber ab und zu auch weiblich.

 

Aussehen:

Männlich:

Typus 1 „Böser Zauberer“: bedrohlich-fremdländisch; schwarzer/roter Umhang, Zauberstab, Spitzbart o. Ä.; tritt häufiger in Zeichentrickfilmen auf. (Beispiel: Jafar aus „Aladdin“.) Typus 2 „Böser Geschäftsmann“: kalt-elitär-unauffällig; grauer oder schwarzer Anzug, schwarze, sehr blank geputzte Schuhe, gepflegte, kurze Frisur, glattrasiertes Gesicht, schmieriges Lächeln; tritt häufiger in Filmen mit realen Schauspielern auf. (Beispiel: Die Bösen in der Serie „Allein gegen die Zeit“. Kennt das noch jemand?)

Weiblich:

Dünn. In der Regel sehr dünn und groß. Außerdem zu stark geschminkt, in ihrer Kleiderwahl häufig zu aufgedonnert (Federboa o. Ä.). Die drei sich gelegentlich auch überschneidenden Typen „Böse Hexe“, „Böse Stiefmutter“ und „Böse Geschäftsfrau“ unterscheiden sich manchmal – nicht immer – dadurch, dass die letzteren beiden tatsächlich noch einigermaßen jung sein und einigermaßen gut aussehen können, wenn auch auf ihre kalte, böse Art, während Exemplare des ersten Typus so gut wie immer auf eine lächerlich erfolglose Weise versuchen, ihre Hässlichkeit und ihr hohes Alter zu verdecken. Wenn sie in einem höheren Alter sein sollte, dann kann das kein Typus des weiblichen Bösewichts ertragen. Die böse Stiefmutter und vor allem die böse Geschäftsfrau sind außerdem manchmal etwas weniger auffällig und exzentrisch, dafür etwas eleganter und unauffälliger gekleidet als die böse Hexe. (Beispiele für die böse Geschäftsfrau: Medusa aus „Bernhard und Bianca“, Cruella De Vil aus „101 Dalmatiner“; Beispiel für die böse Hexe: Rabia aus „Bibi Blocksberg“; Beispiele für die böse Stiefmutter: Die Stiefmütter aus sämtlichen Aschenputtel-Verfilmungen, selbstverständlich! Außerdem zum Beispiel die Freundin des Vaters in allen Adaptionen von „Das doppelte Lottchen“.)

 

Besonderes Merkmal:

Böses Grinsen/Lachen. Obligatorisch.

 

Charaktereigenschaften:

Selbstsüchtig, hinterhältig, grausam, rachsüchtig, etc. (Selbsterklärend.)

Außerdem: geschwätzig, süchtig nach Aufmerksamkeit, zögerlich, wenn es hart auf hart kommt. Wenn ein Feind gefangen genommen wurde, muss erst einmal der ganze böse Plan vor diesem ausgebreitet werden, während er (scheinbar) hilflos gefesselt vor einem sitzt. Der klassische Schurke heischt stets Bewunderung für seine Genialität. Am Ende zögert er außerdem mit dem tödlichen Schuss / Schwerthieb / whatever stets genau so lange, bis aus dem Nichts ein (evtl. totgeglaubter) Verbündeter seines gefangenen Feindes eintrifft und ihm von hinten eins über den Schädel ziehen kann, oder bis es dem gefangenen Feind überraschenderweise gelingt, sich zu befreien. So einen richtig entschlossen und schnell handelnden Schurken habe ich noch nie gesehen.

 

Herkunft und Familie:

I. d. R. mysteriös/unbekannt/nicht erwähnt.

 

Tritt auf mit:

1-2 treuen Helfern (bei einem komplizierten politischen Plan auch mehr), i. d. R. etwas weniger böse und oft deutlich weniger intelligent als der Schurke selbst. Helfer treten hauptsächlich in zwei Varianten auf. Typus 1: „Der Hin- und Hergerissene“. Hilft dem Schurken widerwillig, hat Zweifel, sagt sich am Ende zumindest von ihm los oder stellt sich sogar vollkommen auf die Seite der Guten. (Beispiele: Die Fledermaus aus „Anastasia“, Kronk aus „Ein Königreich für ein Lama“.) Typus 2: „Hirnloser Brutalo“. Schlägertypen mit Muskelmasse und ohne Verstand und Gewissen. (Beispiel: Horace und Jasper aus „101 Dalmatiner“.) Typus 2 tritt im Allgemeiner öfter auf als Typus 1.

Seltener ist eine Art Mischvariante, der Typus „Enttäuschter Verbündeter“. Nachdem dieser (oft klassisch dumme, brutale) Helfer vom Schurken fallengelassen wurde, als es dem gerade nützte, wendet er sich aus Rache gegen ihn, ohne damit aber zum Guten zu werden. (Beispiel: Die Hyänen aus „Der König der Löwen“.)

 

Kann oft nur noch aufgehalten werden durch:

Eine kleine Gruppe von Kindern/Teenagern/Tieren/Ausgestoßenen der Gesellschaft, die unerwarteterweise zusammengewürfelt wurden, obwohl sie sich vorher nicht kannten/mochten, und die Wind vom geheimen Plan des Schurken bekommen haben. Wenn es sich um Kinder oder Teenager in einem Nicht-Zeichentrickfilm handelt, gibt es unter ihnen i. d. R. einen sehr schlauen, aber nicht sonderlich beliebten oder gut aussehenden Nerd/Streber, und zum Kontrast einen cool-sportlich-beliebten Typen. Der Nerd/Streber wird eingeführt als hochbegabter Elfjähriger, hat aber nicht das Wissen eines hochbegabten Elfjährigen, sondern das eines hochbegabten vierzigjährigen Atomphysikers, und außerdem Wissen, das kein Mensch haben kann, weil die Dinge, auf die es sich bezieht, in sich unlogisch und einfach unmöglich sind, was jeder wissen sollte, der in der siebten Klasse in Physik nicht gepennt hat (Funktionsweise einer Zeitmaschine oder eines Perpetuum mobile, o. Ä.). Am Ende jedenfalls lernen alle, ihre Differenzen zu überwinden und zusammenzuarbeiten. Yay!

Eltern und Polizei fallen als potentielle Hinternisse für den Schurken im übrigen aus, da sie entweder nicht an seine finsteren Pläne glauben, wenn man ihnen davon erzählt, gerade nicht zu erreichen sind, oder (im Fall der Polizei) bereits von den Helfern des Schurken unterwandert wurden.

„Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat“

Die berühmte Ansprache von Papst Benedikt XVI. vor der Regensburger Universität ist inzwischen schon über zehn Jahre her; in dieser Rede ging es um das Verhältnis von Vernunft und Religion, und um dieses Verhältnis zu illustrieren, zitierte der Papst an einer Stelle den mittelalterlichen oströmischen Kaiser Manuel II. Palaeologos. Hier ein ausführlicher Ausschnitt (Hervorhebung zur besseren Wiederfindung des damals dann so heftig kritisierten Zitats von mir):

All dies ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich kürzlich den von Professor Theodore Khoury (Münster) herausgegebenen Teil des Dialogs las, den der gelehrte byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte. Der Kaiser hat vermutlich während der Belagerung von Konstantinopel zwischen 1394 und 1402 den Dialog aufgezeichnet; so versteht man auch, daß seine eigenen Ausführungen sehr viel ausführlicher wiedergegeben sind, als die seines persischen Gesprächspartners. Der Dialog erstreckt sich über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und kreist besonders um das Gottes- und das Menschenbild, aber auch immer wieder notwendigerweise um das Verhältnis der, wie man sagte, „drei Gesetze“ oder „drei Lebensordnungen“: Altes Testament – Neues Testament – Koran. Jetzt, in dieser Vorlesung möchte ich darüber nicht handeln, nur einen – im Aufbau des ganzen Dialogs eher marginalen – Punkt berühren, der mich im Zusammenhang des Themas Glaube und Vernunft fasziniert hat und der mir als Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu diesem Thema dient.

 In der von Professor Khoury herausgegebenen siebten Gesprächsrunde (διάλεξις  – Kontroverse) kommt der Kaiser auf das Thema des Djihād, des heiligen Krieges zu sprechen. Der Kaiser wußte sicher, daß in Sure 2, 256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist wohl eine der frühen Suren aus der Zeit, wie uns ein Teil der Kenner sagt, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den heiligen Krieg. Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von „Schriftbesitzern“ und „Ungläubigen“ einzulassen, wendet er sich in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. „Gott hat kein Gefallen am Blut”, sagt er, „und nicht vernunftgemäß, nicht „σὺν λόγω” zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann…“.

Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Herausgeber, Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazm so weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben.

 An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, daß vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst? Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird. Den ersten Vers der Genesis, den ersten Vers der Heiligen Schrift überhaupt abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt „σὺν λόγω”, mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft.

(Der vollständige Text inklusive Fußnoten findet sich hier.)

Daran ist vieles interessant – nicht zuletzt, dass es für einen mittelalterlichen Christen klar war, dass Gewalt kein adäquates Mittel der Bekehrung ist, während wir heutzutage ja gerne zu hören kriegen, die Christen seien damals ja genauso schlimm wie (oder: „auch nicht besser als“) die Muslime gewesen. [Interessant in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Beurteilung Mohammeds durch den berühmtesten westlichen Theologen des Mittelalters, Thomas von Aquin (1205-1274): Mohammed hat den Menschen sexuelle Vergnügungen versprochen, zu denen uns die Fleischeslust antreibt. […] Er hat keine Zeichen auf eine übernatürliche Weise [Wunder] gewirkt, was der einzig angemessene Beleg für eine göttliche Eingebung bei einem Lehrer der göttlichen Wahrheit [Prophet] ist. […] Davon abgesehen sind ihm keine Gelehrten, keine in den göttlichen und menschlichen Dingen unterrichtete Menschen, von Anfang an gefolgt. Diejenigen, die an ihn glaubten, waren brutale Männer und Wüstenwanderer, die absolut keine Ahnung von irgendeiner göttlichen Lehre hatten. Durch ihre große Zahl zwang Mohammed mit der Macht seiner Waffen andere gewaltsam, ihm zu folgen. Ferner erwähnen ihn die göttlichen Verkündigungen von früheren Propheten überhaupt nicht. Im Gegenteil: Er verfälscht fast alle Zeugnisse des Alten und Neuen Testaments, indem er seine eigenen Lügenmärchen daraus macht.“ Quelle der deutschen Übersetzung hier; hier noch die Originalquelle auf Latein und in englischer Übersetzung]

Aber das eigentlich Interessante ist meiner Meinung nach, dass die Frage, die Manuel II. Palaeologos – nicht so sehr Papst Benedikt, dem ging es ja nicht um das Thema Islamkritik, sondern um das Verhältnis von Vernunft und Religion im Allgemeinen, und er hat später auch noch einmal betont, dass er sich hier nicht Manuels „Polemik“ zueigne – hier aufgeworfen hat, inmitten all der lächerlichen und hysterischen Angriffe, die auf die Rede folgten, (meines Wissens nach) nicht beantwortet wurde.

Was hat Mohammed Neues gebracht?

Oder, besser gesagt: Was hat Mohammed an guten neuen Dingen gebracht? Der Islam ist nicht durch und durch schlecht; keine Weltanschauung ist das. (Am nächsten kommt einer durch und durch schlechten Weltanschauung vielleicht noch der Satanismus.) Natürlich gibt es gute Elemente im Islam; Gebet, Fasten, Almosen, einen gewissen Sinn für Gerechtigkeit, Verantwortung und Gottesfurcht, und dergleichen. Aber diese Elemente sind alle auch im Christentum und schon im Judentum vorhanden. In welcher Hinsicht stellt die Lehre Mohammeds einen Fortschritt gegenüber der Lehre Jesu Christi dar?

Es gab vor Mohammed in Arabien schon Monotheisten; Christen und Juden. Natürlich, den Christen würden Muslime noch eine Art von verkapptem Vielgötterglauben (wegen der Dreifaltigkeitslehre) unterstellen, der bekämpft werden musste (wozu man als Christ natürlich sagen müsste, dass sie erstens die Dreifaltigkeitslehre nicht ordentlich verstanden haben, wenn sie sie für polytheistisch halten; und dass Gott sich zweitens nun einmal als dreifaltig offenbart hat, und wir nur annehmen, was Gott selbst von sich gezeigt hat); aber den Juden können sie ihren kompromisslosen Monotheismus wohl nicht absprechen. Was unterscheidet den Islam nun vom Judentum? Ich meine damit nicht, darin, welche Propheten und welche Bücher diese beiden Religionen anerkennen, sondern darin, was diese Propheten und diese Bücher lehren.

Welche Unterschiede gibt es darin? Na ja, der Koran macht genauere Aussagen über Paradies und Hölle und das Ende der Welt – allgemein über das Jenseits – als die jüdische Religion, wenn ich mich recht entsinne, das könnte man erwähnen. (Ob die auch „besser“ oder „wahrer“ sind, ist dann die Frage.) Eine wichtige Sache ist wohl außerdem, dass die Juden sich als das auserwählte Volk betrachten und in der Regel nicht aktiv missionieren – wobei man ja nicht behaupten kann, sie hätten nicht schon in der Antike Proselyten aus den Heidenvölkern akzeptiert. Muslime würden also wohl die Universalität ihres Glaubens (ungestört von den Irrlehren des ebenfalls universalistischen Christentums in Bezug auf das Wesen Gottes und Seine Menschwerdung) als wichtige Neuerung anführen.

Was sonst noch? Eine konkretere Rechtsordnung für die umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, mit allem, was dazugehört (wie viele Frauen darf ein Mann haben, wie sind Kriegsgefangene zu behandeln, für welche Verbrechen wird man gesteinigt)? Ja, das wohl auch noch. (Wobei manche – nicht alle – dieser rechtlichen Bestimmungen auch aus außerkoranischen Überlieferungen wie den Hadithen stammen, und daher nicht von allen islamischen Konfessionen als göttliche Offenbarung akzeptiert werden; das sollte man vielleicht noch erwähnen, um die verschiedenen Strömungen des Islam hier nicht zu sehr in eins zusammenzuwerfen.) Und ansonsten – na ja, da wäre eben doch noch der Dschihad. Und der ist in der Anfangszeit des Islam ja gerade mit dem muslimischen Universalismus und der muslimischen Rechtsordnung untrennbar verbunden: „Geht zu allen Völkern“ hieß für Mohammed und die Kalifen: „Unterwerft alle Völker, zwingt die Heiden, das Glaubensbekenntnis zu sprechen (ansonsten tötet sie), und lasst die Schriftbesitzer in Friedenszeiten ungestört unter euch leben, wenn sie euch die Schutzsteuer zahlen.“

[Anbei: Interessanterweise gab es übrigens tatsächlich schon vor Mohammed arabische Monotheisten, die weder Juden noch Christen waren, sich aber auf Abraham beriefen, die sog. Hanifen. (Hier könnte man als Muslim vielleicht einwenden, dass die bloß eine kleine Splittergruppe ohne göttliche Bestätigung durch eine spezielle Offenbarung waren (falls sie nicht vielleicht ihre eigenen Propheten hatten) – und natürlich hatten sie auch keine göttlich bestätigte spezielle Rechtsordnung und keinen göttlich bestätigten Auftrag zum Heiligen Krieg.)]

Mir geht es dabei einfach darum: Wenn Muslime glauben, dass Mohammed ein Prophet Gottes war, der eine absolut entscheidende Rolle in der Weltgeschichte gespielt hat (schließlich ist er neben Gott die einzige in ihrem sehr kurzen Glaubensbekenntnis erwähnte Person – „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet“), dann müssen sie wohl auch glauben, dass Gott Mohammed entscheidende neue Dinge offenbart hat. Welche entscheidenden Dinge waren das?

Vielleicht würden Muslime jetzt sagen, ich habe meine Frage oben schon selbst beantworten: Klar monotheistischer Universalismus, gereinigt von der christlichen Dreifaltigkeitslehre auf der einen Seite und der jüdischen Exklusivität auf der anderen, dazu Anweisungen fürs praktische Leben. Aber das, wie soll ich sagen, erscheint mir doch fast ein bisschen – wenig; na ja, was heißt, wenig; ein besserer Ausdruck wäre vielleicht: Es erscheint mir vor allem sehr verunreinigt mit anderem Zeug, das humane Muslime heutzutage oft lieber ignorieren. Dieses Problem tritt hier eben dann auf, wenn man sich den liberalen Islam ansieht, der Mohammeds Feldzüge und die seiner Nachfolger ebenso wie etwa die Scharia unter dem Label „historisch bedingt“ beiseite schieben und jetzt mehr von Barmherzigkeit und auch Religionsfreiheit und dergleichen reden will, sich also in dieser Hinsicht an Religionen wie das Christentum und außer-religiöse „westliche Werte“ annähern möchte.

Die logische Schwierigkeit beim liberalen Islam ist natürlich zunächst einmal, dass manche Taten und Anweisungen Mohammeds und der Kalifen nach ihm eben nicht historisch bedingt – und vor allem auch nicht völlig alternativlos in der damaligen Welt – waren. Die antiken christlichen Religionsgründer zettelten keine Feldzüge an, um ihren Glauben durchzusetzen. Sie bekehrten einzelne, und irgendwann bekehrten sich dann evtl. auch die Fürsten ihrer Länder (wie Kaiser Konstantin, oder der Frankenkönig Chlodwig), und so wurden ihre Gesellschaften christlich. Sie übernahmen nicht die Macht in einer Stadt und verbündeten sich dann mit Banditen, um eine andere anzugreifen und beschlossen schließlich, die ganze Welt der Herrschaft ihrer Religion zu unterwerfen. Das war bei antiken Religionsstiftern nicht zwangsläufig der Fall; tatsächlich ist mir außer Mohammed kein Religionsstifter oder bedeutender religiöser Führer bekannt, bei dem es der Fall gewesen wäre.*

Und ich rede hier nicht nur von Johannes dem Täufer und Jesus und Paulus. Auch die Gründer häretischer christlicher Sekten in späteren Jahrhunderten verhielten sich nicht so. Die Gnostiker verhielten sich nicht so, Arius und Nestorius auch nicht. Sie nutzten vielleicht die Gunst ihrer Herrscher, um für ihre Lehre Begünstigungen zu erreichen oder ihren Gegnern zu schaden (man denke an die Verbannung katholischer Bischöfe wie dem hl. Athanasius unter arianischen Kaisern, oder arianischer Bischöfe wie Arius unter katholischen Kaisern im Römischen Reich des 4. Jahrhunderts), aber sie kannten einfach kein Konzept des Dschihad zur Ausbreitung ihrer Religion. Sie redeten nicht vom „Haus des [Name ihrer Religion]“ und vom „Haus des Krieges“. Selbst andersgläubige – „heidnische“, wie wir von den abrahamitischen Offenbarungsreligionen sie nennen würden – Religionsgründer, Mani oder Zarathustra zum Beispiel, verhielten sich nicht so. Es war tatsächlich in der damaligen Zeit etwas Neues, dass Mohammed „vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“.

Und deshalb: Wenn das „Schlechte und Inhumane“, das Mohammed tat, nicht einfach damit erklärt werden kann, dass „das eben damals so war“ – ist es dann aus muslimischer Sicht nicht zwangsläufig auch Teil der bedeutenden göttlichen neuen Offenbarungswahrheiten? Wenn zu diesen Wahrheiten zentral gehört, dass man den wahren Glauben über die ganze Welt ausbreiten soll, wieso dann nicht auch mit den Mitteln, die seine frühesten Propheten und Herrscher anwendeten? Und wenn dieser Glaube also zwangsläufig „Schlechtes und Inhumanes“ (und ja, liebe Dschihadisten, das Konzept des Dschihad ist zwangsläufig schlecht und inhuman – zur Begründung siehe Kaiser Manuel oben) gebracht hat – wie kann er dann der wahre Glaube sein?

Wenn Mohammed im Allgemeinen, in der Gotteslehre, so viele entscheidende neue Erkenntnisse brachte, wenn sein Auftreten den bisherigen Höhepunkt der Offenbarungsgeschichte bedeutet, wieso war seine Lehre dann in Bezug auf Barmherzigkeit und Frieden und Liebe – man denke zum Beispiel allein an das Konzept der Feindesliebe! – so offensichtlich ein Rückschritt gegenüber der Lehre Jesu von Nazareth?

Gehört der Dschihad nun zur Offenbarung oder nicht? Und wenn ja – meint ihr wirklich, dass Gott so ist? Meiner Meinung nach ist der radikale Islam zwar die in sich stimmigste Auslegung des Islam; aber er ist ganz offensichtlich falsch und letztlich gotteslästerlich; er macht Gott zu einem Tyrannen.

Ich bin keine Islamexpertin. Vielleicht habe ich manches aus dem Koran hier nicht auf dem Schirm. Wenn mir jemand eine bessere Antwort auf diese Frage geben kann – dann, schön und gut. Es ist keine rhetorische Frage: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat.“ In welcher Hinsicht brachte der Prophet des Islam, im Vergleich zu Christen- oder Judentum oder der Religion der Hanifen, größere Wahrheit, größere Barmherzigkeit, größere Gerechtigkeit, größeren Frieden, größere Humanität?

(Im Großen und Ganzen, muss ich gestehen, habe ich persönlich den Eindruck, dass dieser Prophet vor allem die Botschaft brachte, dass er Gottes Prophet war, und dass ganz einfach alles das Gottes Botschaft war, was er verkündete.**)

* Man könnte hier, wenn man wollte, als Gegenargument die teilweise durchaus brutalen Feldzüge durch religiöse Anführer wie Mose oder Josua im Zuge der israelitischen Landnahme anführen (auf die ich im Lauf meiner Reihe über die „schwierigen Bibelstellen“ noch ausführlicher eingehen werde). Aber das war a) ein ganz anderes („anders“ heißt erst einmal noch nicht „besser“, sondern einfach „anders“) Konzept – die Landnahme war ausdrücklich auf das Gelobte (= „versprochene“) Land beschränkt; sie diente der Eroberung eines Ortes, wo ein herumwanderndes Volk, das gerade aus der Sklaverei geflohen war, leben konnte; nicht der Eroberung weiterer Gebiete und eindeutig auch nicht der Ausbreitung der jüdischen Religion, b) im Alten Testament, und c) etwa 1800 Jahre vor Mohammeds Zeiten. Mir geht es hier um Religionsgründer, die noch nicht allzu weit entfernt von Mohammeds Zeit waren und zu dieser Zeit noch immer Einfluss ausübten. In irgendeinem Sinne mit Religion zusammenhängende Gewalt gab es sicherlich auch in anderen Zusammenhängen im Lauf der Weltgeschichte immer wieder – aber eben kein Konzept wie das des islamischen Dschihad zur gewaltsamen Ausbreitung einer Religion.

** Ich will damit nicht sagen, dass ich persönlich Mohammed für einen Betrüger halte; ich halte ihn zwar für einen falschen Propheten, der wahrscheinlich psychisch nicht völlig gesund war, aber für einen, der zumindest selbst davon überzeugt war, was er predigte.

Ich hab’s ja schon immer gewusst…

Nun sagt es auch Der Postillon, allgemein schließlich als das verlässlichste Presseorgan der Republik bekannt: „Umfrage: Martin Schulz so beliebt wegen seiner hervorragenden Beliebtheitswerte“:

„Endlich ist sein Geheimnis gelüftet: In einer aktuellen Umfrage hat das Meinungsforschungsintitut Opinion Control herausgefunden, warum Martin Schulz trotz bislang nur weniger konkreter politischer Vorschläge derzeit so hohe Beliebtheitswerte in Umfragen erzielt. Demnach ist der SPD-Kanzlerkandidat vor allem deshalb so beliebt, weil er so beliebt ist. […] Offenbar sind die Befragten der Meinung, dass jemand, der beim Volk derartig beliebt ist, wohl kaum ein schlechter Mensch sein kann.

Die einzige Möglichkeit, wie Martin Schulz vor der Bundestagswahl noch an Boden verlieren könnte, so Geiwasser weiter, wären Umfragen, in denen er schlecht abschneiden würde. Dies sei bei seinen derzeitigen Beliebtheitswerten allerdings nur schwer vorstellbar.“

Ich meine, jetzt mal ganz ernsthaft… glaubt denn irgendjemand, dass Meinungsbildung im Allgemeinen anders funktionieren würde?

(Wobei ich persönlich ja sowieso nicht nachvollziehen kann, weshalb irgendjemand eine Partei, die mit der umbenannten SED koalieren will, überhaupt für wählbar halten könnte… aber das ist wiederum ein anderes Thema.)

Die Wahrheit wird euch frei machen

Ich habe schon einmal erwähnt, dass ich die Ehrlichkeit für eine der wichtigsten Tugenden halte, die es gibt, und das möchte ich noch mal wiederholen. Treue zur Wahrheit, und zwar zur ganzen Wahrheit und zu nichts als der Wahrheit, ist etwas, ohne das man eigentlich nicht leben kann.

Angelogen zu werden kann für den, der belogen wird, tatsächlich eine Art von Gefängnis bedeuten, eine Unfreiheit; es schließt ihn von der Welt ab, wie sie wirklich ist. Man ist nicht mehr in der Lage, die Realität zu sehen, wie sie da draußen eigentlich besteht, und sich dann zu entscheiden, wie man angemessen auf sie reagieren will. Stattdessen ist man demjenigen ausgeliefert, der einen getäuscht hat. Es macht einen hilflos; vielleicht reagieren die Leute deshalb oft so wütend, wenn sie herausfinden, dass sie angelogen worden sind. Man muss sich im Alltag die ganze Zeit über auf Informationen verlassen, die man nur aus zweiter Hand bekommen und nicht selber durch eigene Beobachtungen in jedem Detail verifizieren kann. (Schon mal versucht, die Existenz von Ulaanbaatar nachzuweisen, ohne selber in die Mongolei zu fliegen, oder die Beschaffenheit von Chlorophyll oder Kohlenmonoxid, ohne sich ein eigenes Labor zuzulegen?) Und wenn die nicht stimmen, wird es natürlich schwierig. Lügen und Halbwahrheiten und Täuschungen verdrehen die Welt; sie erschaffen etwas, das nicht da ist – nicht in dem guten Sinne, wie Märchen, Romane oder Filme etwas erschaffen, das nicht da ist und von dem man weiß, das es nicht da ist, oder in dem Sinne, wie Gott die Welt erschaffen hat, die vorher nicht da war; sie erschaffen eine Illusion von etwas, das schon auf andere Weise da ist, als sie es vorspiegeln, eine Illusion, auf die sich Leute verlassen, und von der sie dann verraten werden.

Wenn man Menschen anlügt, degradiert man sie; man traut ihnen entweder nicht zu, mit einer Situation, wie sie in Wirklichkeit ist, fertigwerden und eigene sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, oder man benutzt sie einfach, weil es gerade bequem ist. Wenn man jemanden anlügt, weil man meint, er würde sich nur unnötig über etwas aufregen, oder wütend auf einen werden, weil man irgendetwas Falsches getan hat, dann heißt das, man geht von vornherein davon aus, dass er falsch reagieren wird, und nimmt ihm damit die Möglichkeit, vielleicht doch besonnen oder verständnisvoll reagieren zu können – na ja, oder man will einfach mit seinem eigenen falschen Handeln davonkommen. Entweder man misstraut ihm, oder man verachtet ihn. Und wenn er merkt oder ahnt, dass er angelogen wird, wird er auch anfangen, zu misstrauen. Lügen in wichtigen Dingen zerstören Beziehungen wie wenig anderes. Gerade wenn man mehrmals feststellen muss, dass auf die Worte und Versprechungen des anderen kein Verlass ist, ist die ganze Basis weg. Denn woher weiß man dann, dass es in Zukunft tatsächlich anders werden wird, wie der andere es schon wieder beteuert?

Ich finde, dass einer der grässlichsten häufig vorkommenden Sätze in typischen amerikanischen Filmen dieser ist: „Wir/ich wollte(n) dich nicht beunruhigen.“ [Na ja, vielleicht abgesehen von dem hochmütigen „Ich will kein Mitleid / keine Almosen.“] Dieser scheußliche Satz, mit dem die Figuren ihre eigene Unfähigkeit, mit der Wahrheit offen umzugehen, kaschieren wollen, kommt immer dann, wenn Eltern ihrem krebskranken Kind verheimlicht haben, dass es wahrscheinlich bald sterben wird, oder ein Ehemann seiner Frau, dass er seinen Job verloren hat, oder etwas in der Art. Man will den anderen (angeblich) vor der bösen Realität schützen, und nimmt ihm dadurch jede Möglichkeit, sich selbst dieser Realität anzupassen, selbst zu entscheiden, wie er mit ihr am besten umgehen sollte – also, sich zum Beispiel auf seinen Tod vorzubereiten, indem er Dinge in Ordnung bringt, die er verbockt hat, oder Dinge fertigstellt, die er noch fertig haben will. Man entscheidet stattdessen an seiner Stelle, was besser für ihn ist; man betrügt ihn, und tut auch noch so, als täte man ihm damit irgendeine Art von Gefallen, auch wenn die Wahrheit, die er irgendwann herausfinden muss, am Ende dann noch schlimmer für ihn sein wird (z. B. weil er dann nur noch sehr wenig Zeit bis zu seinem Tod haben wird). Das ist ebenso bescheuert wie – oder fast noch bescheuerter als – die amerikanische Lüge von wegen „live your dream“ (also nicht: „lebe in der Realität und mach was aus den Möglichkeiten, die du hast“, sondern „tu einfach mal so, als ob dein Traum, was für einer das auch immer sei, Realität ist, dann wird er das schon werden“; jedenfalls erlangt der Satz diese Bedeutung in der Praxis).

Das Verschweigen der Wahrheit, wenn jemand ein Recht darauf hat, sie zu erfahren, ist eine Sünde. Manchmal haben Menschen kein Recht darauf, aber manchmal haben sie es. Und das taktische Verschweigen der Wahrheit kann manchmal ziemlich nach hinten losgehen.

Anbei: Ich finde Halbwahrheiten und Verdrehungen übrigens oft noch schlimmer als Lügen; ihnen ist schwieriger beizukommen. Da muss man erst einmal ganz genau schauen, wie eine Statistik zustande kam; wie diese Fakten sich ins größere Bild einordnen; wie ein Zitat im Kontext lautete; wie relevant oder wie gesichert eine Behauptung überhaupt ist – kurz, es macht einen im Allgemeinen hilfloser als gegenüber ganz einfach demonstrierbar falschen Behauptungen.

Vielleicht noch kurz allgemein zur moraltheologischen (und „kasuistischen“, wenn man so will) Seite der Sache: Die grundsätzliche Begründung der katholischen Moraltheologie, wieso Lügen schlecht ist, ist ja ganz einfach: Die Sprache ist dazu da, Wahres über die Wirklichkeit mitzuteilen, und wenn man sie verwendet, um die Wirklichkeit zu verdrehen, pervertiert man sie. Es ist nicht grundsätzlich eine Sünde, einer eindeutigen Antwort auszuweichen, und erst recht nicht grundsätzlich eine Sünde, zu schweigen; nur eben dann, wenn jemand anderer bzw. die Öffentlichkeit ein Recht hat, etwas zu erfahren. Es ist in anderen Fällen sogar gut und notwendig, Geheimnisse zu wahren oder Negatives, das man über andere weiß, nicht öffentlich auszubreiten. (Ich rede jetzt nicht von Verbrechen.) Das Beichtgeheimnis gilt sogar völlig absolut, ohne Ausnahmen (ja, auch bei Verbrechen; wobei ein Beichtvater, dem ein Verbrechen gebeichtet wird, natürlich schauen wird, dass der Pönitent klar den Willen zeigt, keine weiteren Verbrechen zu begehen, und ihn vielleicht auch dazu bringen kann, sich der Polizei zu stellen; aber auch in solchen Fällen ist das Beichtgeheimnis absolut heilig). Es kann Fälle geben, in denen man ein Geheimnis bewahren muss.

PS: Die Überschrift ist ein Zitat von unserem Herrn (Johannes 8,32).

Du bist der Beschützer der Verachteten

„Denn deine Macht stützt sich nicht auf die große Zahl, deine Herrschaft braucht keine starken Männer, sondern du bist der Gott der Schwachen und der Helfer der Geringen; du bist der Beistand der Armen, der Beschützer der Verachteten und der Retter der Hoffnungslosen. Ja, du Gott meines Vaters und Gott deines Erbbesitzes Israel, du Herr des Himmels und der Erde, Schöpfer der Meere und König deiner ganzen Schöpfung, erhöre mein Gebet!“ (Judith 9,11f.)
 
PS: Dieses Buch wurde übrigens von Martin Luther aus der Bibel entfernt. Happy 2017!

Über schwierige Bibelstellen, Teil 9: Gericht, Verdammnis, und: Was war so schlimm an „Götzendienst“?

[Dieser Teil wurde noch einmal überarbeitet; Kommentare können sich auf die ursprüngliche Fassung beziehen. Alle Teile hier.]

A) Die fraglichen Stellen

In der Bibel gibt es verschiedene Stellen, in denen göttliches Gericht angedroht oder durchgeführt wird. Die Geschichte von Sodom und Gomorrha wäre ein bekanntes Beispiel: „Der HERR sprach: Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra, ja, das ist angeschwollen und ihre Sünde, ja, die ist schwer. Ich will hinabsteigen und sehen, ob ihr verderbliches Tun wirklich dem Klagegeschrei entspricht, das zu mir gedrungen ist, oder nicht. Ich will es wissen. […] Als die Sonne über dem Land aufgegangen und Lot in Zoar angekommen war, ließ der HERR auf Sodom und Gomorra Schwefel und Feuer regnen, vom HERRN, vom Himmel herab. Er ließ ihre Städte einstürzen mitsamt ihrem ganzen Umkreis, auch alle Einwohner der Städte und alles, was auf den Feldern wuchs.“ (Genesis 18,20f.; 19,23-25)

Ein anderes Beispiel wären natürlich die im letzten Teil erwähnten ägyptischen Plagen; auch über Israels Nachbarvölker kommt später gelegentlich das göttliche Gericht oder es wird ihnen angedroht; und auch über Israel selber tatsächlich oft ebenso. „So spricht der HERR: Wegen der drei Verbrechen von Damaskus und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie Gilead mit eisernen Dreschschlitten zermalmten, darum schicke ich Feuer gegen Hasaëls Haus; es frisst Ben-Hadads Paläste.“ (Amos 1,3f.); „So spricht der HERR: Wegen der drei Verbrechen von Juda und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie die Weisung des HERRN missachteten und seine Gesetze nicht bewahrten, weil sie sich irreführen ließen von ihren Lügengöttern, denen schon ihre Väter gefolgt sind, darum schicke ich Feuer gegen Juda; es frisst Jerusalems Paläste.“ (Amos 2,4f.). (Man beachte die Parallelität der Stellen! Das auserwählte Volk wird hier jedenfalls nicht bevorzugt gegenüber den anderen Völkern behandelt.)

Ein klassisches Beispiel ist auch die Geschichte vom Goldenen Kalb. „Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat – wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie aus ihrer Hand. Und er bearbeitete sie mit einem Werkzeug und machte daraus ein gegossenes Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben. Als Aaron das sah, baute er vor ihm einen Altar und rief aus: Morgen ist ein Fest für den HERRN. Früh am Morgen standen sie auf, brachten Brandopfer dar und führten Tiere für das Heilsopfer herbei. Das Volk setzte sich zum Essen und Trinken und stand auf, um sich zu vergnügen. Da sprach der HERR zu Mose: Geh, steig hinunter, denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, läuft ins Verderben. Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet, wobei sie sagten: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben. […] Mose kehrte zum HERRN zurück und sagte: Ach, dieses Volk hat eine große Sünde begangen. Götter aus Gold haben sie sich gemacht. Jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du geschrieben hast. Der HERR antwortete Mose: Nur wer gegen mich gesündigt hat, den streiche ich aus meinem Buch. Aber jetzt geh, führe das Volk, wohin ich dir gesagt habe! Siehe, mein Engel wird vor dir hergehen. Am Tag meiner Heimsuchung werde ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen. Der HERR schlug das Volk dafür, dass sie das Kalb gemacht hatten, das Aaron gemacht hatte.“ (Exodus 32,1-8.31-35)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Tissot_The_Golden_Calf.jpg

(James Tissot, The Golden Calf. Gemeinfrei.)

Das alles sind Beispiele von innerweltlichem Gericht – Tod, Krieg, Zerstörung, Seuchen werden gesandt als göttliche Strafen für irgendwelche Vergehen. Solche Stellen finden sich hauptsächlich im Alten Testament. Im Neuen dagegen finden sich zwar ebenso Stellen, in denen es um das Gericht geht, aber hier ist dann in aller Regel von einem Gericht nach dem Tod (bzw. der Wiederkunft Christi) die Rede:

  • Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt! Wenn dir deine Hand oder dein Fuß Ärgernis gibt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, verstümmelt oder lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen und zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden. Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus! Es ist besser für dich, einäugig in das Leben zu kommen, als mit zwei Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden. Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“ (Matthäus 18,6-10)
  • „Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! Wie wollt ihr dem Strafgericht der Hölle entrinnen?“ (Matthäus 23,33)
  • Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.“ (Matthäus 25,31f.)
  • Wer ist denn der treue und kluge Knecht, den der Herr über sein Gesinde einsetzte, damit er ihnen zur rechten Zeit die Nahrung gebe? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird ihn über sein ganzes Vermögen einsetzen. Wenn aber der Knecht böse ist und in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich! und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und mit Zechern isst und trinkt, dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Heuchlern zuweisen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Matthäus 24,45-51)
  • „Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt und ihr draußen steht, an die Tür klopft und ruft: Herr, mach uns auf!, dann wird er euch antworten: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben doch in deinem Beisein gegessen und getrunken und du hast auf unseren Straßen gelehrt. Er aber wird euch erwidern: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.“ (Lukas 13,25-28)
  • „Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Machttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind – längst schon wären sie in Sack und Asche umgekehrt. Das sage ich euch: Tyrus und Sidon wird es am Tag des Gerichts erträglicher ergehen als euch. Und du, Kafarnaum, wirst du etwa bis zum Himmel erhoben werden? Bis zur Unterwelt wirst du hinabsteigen. Wenn in Sodom die Machttaten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, dann stünde es noch heute. Das sage ich euch: Dem Gebiet von Sodom wird es am Tag des Gerichts erträglicher ergehen als dir.“ (Matthäus 11,21-24)

Alles Worte Jesu. Das ist bekanntlich nicht die einzige Art von Worten, die sich in den Evangelien findet, es gibt dort natürlich auch das „wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen“ (Matthäus 10,42) oder das „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Matthäus 9,36) oder das „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen“ (Matthäus 12,20) oder das „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. […] Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Matthäus 11,28.30) oder das  Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lukas 12,32). Aber es gibt eben auch solche Gerichtsworte im Neuen Testament, und gar nicht wenige davon finden sich in den Evangelien.

(Weitere gibt es v. a. in der Offenbarung des Johannes; aber es gibt davon mehr in den Evangelien als z. B. in den Apostelbriefen – einer der Gründe, aus denen es so lächerlich ist, wenn manche Exegeten die Gerichtsstellen als nachträglich von irgendwelchen Kirchenvorstehern eingefügt erklären wollen. Die frühen Kirchenvorsteher äußerten sich weniger zu Heulen und Zähneknirschen als der Herr, nach meinem Eindruck.)

Es gibt übrigens auch noch eine vereinzelte Stelle von innerweltlichem Gericht im NT: Die Geschichte mit Hananias und Sapphira, einem christliches Ehepaar, das die Apostel anlügt und dann tot umfällt; s. Apostelgeschichte 5,1-11.

In den letzten Teilen bin ich immer wieder schon auf einige Punkte zum Thema „Gericht“ in der Bibel eingegangen (v. a. in Teil 7). Hier jetzt noch einmal alles systematisch.

B) Was „Gericht“ bedeuten kann: Man erntet, was man sät

„Gericht“ kann zunächst einmal einfach die natürlichen Folgen schlechten Handelns bedeuten. „Siehe, hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor […] Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den HERRN, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“ (Deuteronomium 30,15.19f.) Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (das Sprichwort hat seinen Ursprung in Sprichwörter 26,27); wer einmal lügt, dem glaubt man nicht; Hochmut kommt vor dem Fall (ebenfalls biblisch, Sprichwörter 16,18). Dieses Prinzip galt nicht nur in biblischen Zeiten. Wenn ein Staat Minderheiten ungerecht behandelt, kann irgendwann ein bewaffneter Konflikt herauskommen – wenn man eins seiner Kinder gegenüber den anderen zurücksetzt, ist es unwahrscheinlich, dass es sich um einen sorgen wird, wenn man alt und krank ist – wenn man seinen Freunden gegenüber unzuverlässig ist, werden sie einem auch nicht mehr helfen wollen; kurz: Böses Handeln, ob aus Gleichgültigkeit, Hass, Neid oder welchen Motiven auch immer, trägt oft seine eigene Strafe in sich. Und das betrifft nicht nur die Konsequenzen: Es macht auch selbst nicht glücklich. Jemand, der neidisch, geizig, ehrsüchtig oder hasserfüllt ist, ist nicht glücklich. Sünde ist oft wie eine Sucht, die immer mehr verlangt, einen immer mehr verzehrt, und einen dabei immer unglücklicher macht. Das liegt in der Natur der Sache.

Ein biblisches Beispiel, wo sich eine Untat von selbst rächt, wäre die Geschichte von Josephs Brüdern, die Joseph zuerst in eine Zisterne werfen und dann an Sklavenhändler verkaufen, und dem Vater, dessen Liebling er war, weismachen, er sei von einem wilden Tier getötet worden. Jahre später, in der Zeit einer Hungersnot, sind sie dann auf ihren kleinen Bruder angewiesen, der inzwischen Wesir in Ägypten geworden ist, wo sie Getreide für ihre Sippe kaufen wollen. Als der ägyptische Wesir, den sie nicht erkennen, sie mit Anschuldigungen und Drohungen („Spione seid ihr“, Genesis 42,9) empfängt, anstatt ihnen Getreide verkaufen zu wollen, erkennen sie das als Gottes gerechte Strafe für ihr Tun an, auch wenn ihnen die ganzen Zusammenhänge noch nicht klar sind. „Sie sagten zueinander: Ach ja, wir sind an unserem Bruder schuldig geworden. Wir haben zugesehen, wie er sich um sein Leben ängstigte. Als er uns um Erbarmen anflehte, haben wir nicht auf ihn gehört. Darum ist nun diese Angst über uns gekommen. Ruben entgegnete ihnen: Habe ich euch nicht gesagt: Versündigt euch nicht an dem Kind! Ihr aber habt nicht gehört. Seht, nun wird sein Blut von uns gefordert. Sie aber wussten nicht, dass Josef zuhörte, denn zwischen ihnen vermittelte ein Dolmetscher. Er wandte sich von ihnen ab und weinte.“ (Genesis 42,21-24) Na ja, Joseph zeigt sich dann ja doch noch versöhnlich, als er seine Brüder durch einen Trick auf die Probe gestellt hat und merkt, dass sein älterer Bruder Juda nun inzwischen versucht, den jüngsten (am Verkauf Josephs nicht beteiligten) Bruder Benjamin, der Josephs Platz als Lieblingssohn des Vaters eingenommen hat, zu schützen (anstatt ihn, wie den früheren Lieblingssohn des Vaters, seinem Schicksal zu überlassen). „Josef sagte zu seinen Brüdern: Ich bin Josef. Ist mein Vater noch am Leben? Seine Brüder waren nicht fähig, ihm zu antworten, weil sie fassungslos vor ihm standen. Josef sagte zu seinen Brüdern: Kommt doch näher zu mir her! Als sie näher herangetreten waren, sagte er: Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Jetzt aber schmerze es euch nicht und es brenne nicht in euren Augen, weil ihr mich hierher verkauft habt. Denn um Leben zu erhalten, hat mich Gott vor euch hergeschickt.“ (Genesis 45,3-5) Das alles geht doch noch gut aus, aber es ist durchaus ein Beispiel, wie sich böse Taten rächen können.

Ein anderes mögliches Beispiel aus späterer Zeit wäre: Das Königreich Israel schließt gegen den Willen Gottes ein Bündnis mit Ägypten, weil es sich davon Hilfe gegen Assur verspricht, und wird dann von Ägypten im Stich gelassen, was von vornherein vorauszusehen gewesen wäre. „Wehe den störrischen Söhnen – Spruch des HERRN – , die einen Plan ausführen, der nicht von mir ist, und ein Trankopfer ausgießen, aber ohne meinen Geist, um Sünde auf Sünde zu häufen! Die sich auf den Weg hinunter nach Ägypten machen – meinen Mund hatten sie nicht befragt – , um sich zu bergen im Schutz des Pharao und Zuflucht zu suchen im Schatten Ägyptens. Doch wird euch der Schutz des Pharao zur Schande und die Zuflucht im Schatten Ägyptens zur Schmach. Wenn auch seine Fürsten in Zoan waren und seine Boten Hanes erreichten, so wurde doch jeder zuschanden an dem Volk, das ihnen nicht nützt, das nicht zur Hilfe und nicht zum Nutzen dient, sondern nur zur Schande und gar zum Hohn.“ (Jesaja 30,1-5)

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(Gustave Doré, Joseph offenbart sich seinen Brüdern. Gemeinfrei.)

C) Gericht wofür eigentlich?

Wenn man manchmal den Eindruck hat, dass der Gott der Bibel irgendwie brutal zu sein scheint, dann liegt das oft genug daran, dass man den Grund für die Gerichtsankündigungen nicht ganz kennt. Oft hilft es, sich anzusehen, wofür genau denn das Gericht so angekündigt wird. Ein paar Beispielstellen aus dem AT:

  • An der oben zitierten Stelle aus Amos 2 heißt es z. B. noch über Israel: „So spricht der HERR: Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie den Unschuldigen für Geld verkaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen, weil sie den Kopf des Geringen in den Staub treten und das Recht der Schwachen beugen. Sohn und Vater gehen zum selben Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen. Sie strecken sich auf gepfändeten Kleidern aus neben jedem Altar, Wein von Bußgeldern trinken sie im Haus ihres Gottes.“ (Amos 2,6-8)
  • Wascht euch, reinigt euch! Schafft mir eure bösen Taten aus den Augen! Hört auf, Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht! Schreitet ein gegen den Unterdrücker! Verschafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen! (Jesaja 1,16f.)
  • „So spricht der HERR: Was fanden eure Väter Unrechtes an mir, dass sie sich von mir entfernten, nichtigen Göttern nachliefen und so selber zunichte wurden?“ (Jeremia 2,5)
  • Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen. Wehe denen, die in ihren eigenen Augen weise sind und sich selbst für klug halten. Wehe denen, die Helden sind im Weintrinken und Kraftprotze im Mischen von Rauschtrank, die dem Schuldigen gegen Bestechung Recht zusprechen und Gerechten die Gerechtigkeit vorenthalten. Darum: Wie des Feuers Zunge Stoppeln frisst und wie Heu in der Flamme zusammensinkt, so wird ihre Wurzel wie Moder sein und ihre Blüte wie Staub auffliegen. Denn verworfen haben sie die Weisung des HERRN der Heerscharen und das Wort des Heiligen Israels verschmäht.“ (Jesaja 5,20-24)
  • Hört das Wort des HERRN, ihr Söhne Israels! Denn der HERR verklagt die Bewohner des Landes: Es gibt keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land. Nein, Fluch, Lüge, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich bereit, Bluttat reiht sich an Bluttat. […] Wein und Most rauben meinem Volk den Verstand: Es befragt sein Holz und sein Stock soll ihm Auskunft geben. Ja, der Geist der Unzucht führt es irre. Unzucht haben sie getrieben und ihren Gott verlassen. Sie feiern Schlachtopfer auf den Höhen der Berge, auf den Hügeln bringen sie Räucheropfer dar, unter Terebinthen, Storaxbäumen und Eichen – ihr Schatten ist ja so angenehm. Darum treiben eure Töchter Unzucht und eure Schwiegertöchter Ehebruch. Aber ich suche eure Töchter nicht dafür heim, dass sie Unzucht treiben, und nicht eure Schwiegertöchter dafür, dass sie die Ehe brechen; denn sie selbst [die Priester] gehen mit den Dirnen beiseite, mit den geweihten Frauen bringen sie Schlachtopfer dar. So stürzt das unwissende Volk ins Verderben.“ (Hosea 4,1f.11-14)
  • Jetzt gilt dieses Gebot für euch, ihr Priester: Wenn ihr nicht hört und nicht von Herzen darauf bedacht seid, meinen Namen in Ehren zu halten – spricht der HERR der Heerscharen – , dann schleudere ich meinen Fluch gegen euch und verfluche den Segen, der auf euch ruht; ja, ich habe ihn schon verflucht, weil ihr nicht von Herzen darauf bedacht seid. […] Ja, die Lippen des Priesters bewahren Erkenntnis und aus seinem Mund erwartet man Weisung; denn er ist der Bote des HERRN der Heerscharen. Ihr aber, ihr seid abgewichen vom Weg, ihr habt viele zu Fall gebracht durch eure Weisung; ihr habt den Bund Levis zunichte gemacht, spricht der HERR der Heerscharen. Darum mache ich euch verächtlich und erniedrige euch vor dem ganzen Volk, so wie ihr euch nicht an meine Wege haltet und auf die Person seht bei der Weisung. […] Treulos hat Juda gehandelt und Gräueltaten sind in Israel und in Jerusalem geschehen: Denn Juda hat das Heiligtum des HERRN, das er liebt, entweiht und die Tochter eines fremden Gottes zur Frau genommen. […] Außerdem tut ihr noch dies: Ihr bedeckt den Altar des HERRN mit Tränen, mit Weinen und Klagen, weil er sich eurem Opfer nicht mehr zuwendet und es nicht mehr gnädig annimmt aus eurer Hand. Und wenn ihr fragt: Warum?: Weil der HERR Zeuge war zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos handelst, obwohl sie deine Gefährtin ist, die Frau, mit der du einen Bund geschlossen hast. […] Wenn einer seine Frau aus Abneigung verstößt, spricht der HERR, Israels Gott, dann bedeckt er sein Gewand mit Gewalttat, spricht der HERR der Heerscharen. Bewahrt euch also euren verständigen Geist und handelt nicht treulos! Ihr ermüdet den HERRN mit euren Reden und ihr fragt: Wodurch ermüden wir ihn? Dadurch, dass ihr sagt: Jeder, der Böses tut, ist gut in den Augen des HERRN, an solchen Leuten hat er Gefallen. Oder: Wo ist denn Gott, der Gericht hält?“ (Maleachi 2,1f.7-9.11.13f.-16-17)

Und hier aus dem NT:

  • Ihr aber, ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das über euch kommen wird! Euer Reichtum verfault und eure Kleider sind von Motten zerfressen, euer Gold und Silber verrostet. Ihr Rost wird als Zeuge gegen euch auftreten und euer Fleisch fressen wie Feuer. Noch in den letzten Tagen habt ihr Schätze gesammelt. Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel; die Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben, sind bis zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen. Ihr habt auf Erden geschwelgt und geprasst und noch am Schlachttag habt ihr eure Herzen gemästet. Verurteilt und umgebracht habt ihr den Gerechten, er aber leistete euch keinen Widerstand.“ (Jakobus 5,1-6)
  • Und da sie es nicht für wert erachteten, sich gemäß ihrer Erkenntnis an Gott zu halten, lieferte Gott sie einem haltlosen Denken aus, sodass sie tun, was sich nicht gehört: Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke, sie verleumden und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott, sind überheblich, hochmütig und prahlerisch, erfinderisch im Bösen und ungehorsam gegen die Eltern, sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen. Sie erkennen, dass Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selbst, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln.“ (Römer 1,28-32)
  • „Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner – ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod.“ (Offenbarung 21,8)
  • Hier noch die berühmteste Stelle, aus der Rede des Herrn vom Weltgericht in Matthäus 25: Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben.“ (Matthäus 25,41-46)

Zusammenfassend: Am häufigsten verurteilt werden in der Bibel, v. a. bei den alttestamentlichen Propheten, Götzendienst, Rechtsbeugung und Unterdrückung der Armen (ggf. bei gleichzeitiger pharisäerhafter Erfüllung sämtlicher Opfervorschriften). Dann kommen solche Dinge wie Gewalttaten und Mord, Habgier, Hochmut, verschiedenes, was man unter dem Oberbegriff „Unzucht“ zusammenfassen könnte, Lügen und Betrug, Gleichgültigkeit gegenüber Gott und Verfälschung der göttlichen Botschaft (durch Priester und Propheten im Besonderen), ganz allgemein Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer (Matthäus 25!), und Ähnliches. Dann kommen noch an einzelnen Stellen solche Dinge wie Mischehen mit heidnischen Frauen, Ehescheidung, homosexuelle Handlungen, Inzest, und verschiedenes Andere.

Einige der „Verurteilungen“ oben findet der durchschnittliche postmoderne Deutsche wahrscheinlich auch noch irgendwie verständlich, ganz okay oder sogar sehr gut – die Tirade im Jakobusbrief gegen das Vorenthalten des gerechten Lohns vielleicht, oder Jesu „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan“. Größere Schwierigkeiten hätte er dagegen wohl mit den gegen Götzendienst wetternden Propheten. Okay, die Israeliten hatten irgendwelche Bildnisse anderer Götter, Kälber und was sonst noch. Und weiter? Dieser Gott, der sie dafür bestraft, wirkt irgendwie recht kleinlich und eifersüchtig hier, oder nicht?

Aber eine solche Reaktion zeigt vor allem Unwissenheit in Bezug darauf, was das so für Götter waren und wie – und wieso – sie verehrt wurden. Wenn die Israeliten andere Götter verehrten, dann nicht deshalb, weil sie sich irgendwie davon überzeugt hätten, dass diese Götter existierten anstelle ihres früheren Gottes Jahwe oder zusätzlich zu diesem, und es als ihre religiöse Gewissenspflicht empfunden hätten, (auch) zu denen zu beten.

An diese Götter wandte man sich, weil man etwas von ihnen wollte. Sicher, man hatte mit Jahwe einen Bund geschlossen, aber irgendwie war das ja doch eine recht unsichere Sache; Mose war schon so lange auf dem Berg und man hörte nichts von ihm und man befand sich jetzt mitten in der Wüste; oder die politische Situation war unsicher und die Assyrer eroberten immer mehr Gebiete; und Jahwe antwortete nicht. Er hatte nicht einmal ein Götterbild, er war ein ferner, unbegreiflicher Gott, dem Israel egal zu sein schien und der sich nicht durch Opfer zu dem bewegen ließ, was man von ihm wollte, oder er schien vielleicht auch einfach zu schwach zu sein, um dem Volk zu helfen. Man wollte etwas Greifbares, etwas worauf man sich verlassen konnte – Götter, die für Wohlstand und Macht sorgten – oder manchmal auch einfach nur dafür, dass man nicht verhungerte und von den Feinden überrannt wurde. Und dafür nahm man zu manchen Zeiten auch verschiedene Dinge in Kauf.

„Die Versuchung bestand darin, in Schreckenszeiten – wenn zum Beispiel die Assyrer vorstießen – zu solchen grauenvollen Riten Zuflucht zu nehmen. Wir [die Engländer], die wir vor nicht allzu langer Zeit [im 2. Weltkrieg, das wurde 1958 geschrieben] täglich die Invasion eines Feindes erwartet haben, der ähnlich den Assyrern für systematische Grausamkeit bekannt und darin geschult war – wir wissen, wie ihnen zumute gewesen sein mag. Sie waren versucht – da der Herr taub schien –, jene grausigen Gottheiten anzugehen, die so viel mehr forderten und daher vielleicht auch mehr gewähren mochten. Betrachtete aber ein Jude solche Kulte zu glücklicherer Stunde oder ein besserer Jude sogar zu eben jener – dachte er an Tempelprostitution, Tempelsodomie und an die Kinder, die dem Moloch ins Feuer geworfen wurden –, so musste ihm sein eigenes ‚Gesetz’, wenn er sich ihm wieder zuwandte, in außergewöhnlichem Glanz erstrahlen.“*

Man sehe sich mal die Beschreibungen der verschiedenen Kulte anderer Götter an bei den Propheten an:  „Ja, die Söhne Judas taten, was böse ist in meinen Augen – Spruch des HERRN. Sie haben in dem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, ihre Scheusale aufgestellt, um es zu entweihen. Auch haben sie die Kulthöhen des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Söhne und ihre Töchter im Feuer zu verbrennen, was ich nie befohlen habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist.“ (Jeremia 7,30f.) Noch häufiger als die Beschreibung von Menschenopfern ist die Beschreibung von Tempelprostitution; sie kam wahrscheinlich auch öfter vor als das Verbrennen von Babys, zu dem man offenbar auch damals nur Zuflucht nahm, wenn einem sonst nichts mehr einfiel und die Situation immer düsterer aussah. Für solche Stellen siehe z. B. oben in Hosea 4, oder auch in Ezechiel 16 – das ist mal wirklich ein Text, der nicht unbedingt für den Kindergottesdienst geeignet ist. Es ist kein Wunder, dass in der Bibel so oft das Bild des Ehebruchs für die Untreue gegenüber Jahwe verwendet wird; das bot sich nicht nur wegen der Natur des Gottesbundes an, sondern auch wegen der Art der anderen Kulte, zu denen die Leute abfielen. Dann kamen auch Wahrsagerei und Totenbeschwörung vor.

A tophet, or infant burial ground, at Carthage.

(„Tophet“, d. h. Opferstätte, in der phönizischen Stadt Karthago, wo bei Ausgrabungen zahlreiche Säuglings- und Tierskelette gefunden wurden; Quelle hier.)

Götzendienst im AT bedeutete Dienst an schrecklichen Göttern, und er bedeutete außerdem schon seiner Natur nach grundsätzlich ein Misstrauen gegenüber dem wahren Gott, Untreue ihm gegenüber, mit dem allein man einen Bund geschlossen hatte. Sicher, man verehrte ihn vielleicht auch noch nebenbei, aber man musste eben auch zu anderen Dingen greifen, wenn man für seine Sicherheit vorsorgen wollte, so genau musste man den Bund ja auch nicht nehmen.

Für uns heute ist das Niederfallen vor goldenen Kälbern und ritueller Geschlechtsverkehr unter heiligen Eichen und das Verbrennen von Babys auf Kulthöhen unverständlich, weil wir nicht an Moloch, Baal und Aschera glauben. Aber dieselbe Denkweise ist immer am Werk, wenn man irgendein Gebot Gottes bricht, weil man es nun mal für notwendig hält, um für sein Auskommen oder seine Sicherheit zu sorgen. Wenn man in einem Krieg – nehmen wir ruhig einen gerechten Krieg, sagen wir mal, England im Zweiten Weltkrieg gegen Nazideutschland, oder Ähnliches – Bomben oder Atombomben auf die Zivilbevölkerung wirft oder gefangene Feinde foltert oder tötet, um nicht von seinem grausamen Feind besiegt zu werden, dann dient man dem Moloch. Wenn man Waterboarding im Kampf gegen den Terror verwendet, dient man dem Moloch. Wenn man ein Kind abtreibt, weil man sich um seine Gesundheit, sein Leben, seine finanzielle oder soziale Zukunft (und das alles sind sehr unterschiedliche Dinge) sorgt, dient man dem Moloch. In Kolosser 3,5 nennt Paulus die Habsucht „Götzendienst“; und das ist sie auch. Wann immer man Böses tut, damit Gutes daraus entsteht, wann immer man den zwar-eigentlich-nicht-ganz-korrekten, aber dafür Erfolg versprechenden Weg nimmt, dient man dem Moloch.

(Und, na ja, wenn man ehrlich ist, ist es ja auch nicht so, dass Aberglaube, in seinen harmlosen Formen ebenso wie in seinen okkulten oder satanistischen Formen, heute überhaupt nicht mehr existieren würde.)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Molech_babylon.jpg

(Babylonische Darstellung eines Kinderopfers, Quelle hier.)

Ich finde, dass G. K. Chesterton in „The everlasting man“ die Denkweise hinter der Verehrung solcher Götter oder Geister sehr gut erfasst hat.

„Der Aberglaube kehrt in jedem Zeitalter wieder, vor allem in rationalistischen. Ich erinnere mich, dass ich die religiöse Tradition gegen einen ganzen Tisch angesehener Agnostiker verteidigte; und noch vor dem Ende unserer Unterhaltung hatte jeder einzelne von ihnen aus seinen Taschen ein Amulett oder einen Talisman gezogen oder so etwas an seiner Uhrkette hergezeigt, von dem er zugab, dass er nie davon getrennt war. Ich war die einzige anwesende Person ohne einen Fetisch. Der Aberglaube kehrt in rationalistischen Zeitaltern wieder, weil er auf etwas beruht, das, wenn auch nicht identisch mit dem Rationalismus, nicht unverbunden mit dem Skeptizismus ist. Es ist jedenfalls sehr eng verbunden mit dem Agnostizismus. Es beruht auf etwas, das wirklich ein sehr menschliches und verständliches Gefühl ist, wie die lokalen Anrufungen des numen im volkstümlichen Heidentum. Aber es ist ein agnostisches Gefühl, denn es beruht auf zwei Empfindungen: erstens, dass wir die Gesetze des Universums nicht wirklich kennen; und zweitens, dass sie sehr verschieden von allem sein könnten, was wir Vernunft nennen. Solche Menschen erkennen die reale Wahrheit, dass enorme Dinge manchmal von winzigen Dingen abhängen. Und wenn ein Flüstern kommt, aus der Tradition oder von was nicht sonst, dass ein bestimmtes winziges Ding der Schlüssel ist, dann sagt ihnen etwas Tiefes und nicht völlig Unsinniges in der menschlichen Natur, dass das nicht unwahrscheinlich ist. Dieses Gefühl existiert in beiden Formen des Heidentums, die hier betrachtet werden. Aber wenn wir zu seiner zweiten Form kommen, finden wir es verändert und erfüllt mit einem anderen und schrecklicheren Geist.

[…] Ohne Zweifel ist der meiste volkstümliche Aberglaube so frivol wie alle volkstümliche Mythologie. Die Menschen glauben nicht als Dogma, dass Gott sie dafür mit einem Blitz erschlagen würde, dass sie unter einer Leiter hindurchgehen; öfter amüsieren sie sich mit der nicht sehr anstrengenden Übung, um sie herum zu gehen. Darin liegt nicht mehr als was ich schon umrissen habe; eine Art von leichtfertigem Agnostizismus über die Möglichkeiten einer so seltsamen Welt. Aber es gibt eine andere Art von Aberglauben, der definitiv nach Ergebnissen sucht; was man einen realistischen Aberglauben nennen könnte. Und damit wird die Frage, ob Geister tatsächlich antworten oder erscheinen, sehr viel ernster. […]

Am Anfang trieb eine Art Impuls, vielleicht eine Art verzweifelter Impuls, die Menschen zu den dunkleren Mächten, wenn sie mit praktischen Problemen zu tun hatten. Da war eine Art von geheimem und perversem Gefühl, dass die dunkleren Mächte die Dinge wirklich erledigen würden; dass sie keinen Nonsens an sich hatten. Und tatsächlich bringt es dieser beliebte Ausdruck genau auf den Punkt. Die Götter der reinen Mythologie hatten einiges an Nonsens an sich. Sie hatten eine große Menge von gutem Nonsens an sich; im fröhlichen und lächerlichen Sinn, in dem wir vom Nonsens des Jabberwockys oder des Landes, wo die Zwerge leben, reden. Aber der Mann, der einen Dämon konsultierte, fühlte, was viele Männer dabei gefühlt haben, einen Detektiv zu konsultieren, vor allem einen Privatdetektiv; dass es schmutzige Arbeit war, aber dass die Arbeit wirklich erledigt werden würde. Ein Mann ging nicht direkt in den Wald, um eine Nymphe zu treffen; eher ging er mit der Hoffnung, eine Nymphe zu treffen. Es war eher ein Abenteuer als eine Verabredung. Aber der Teufel hielt seine Verabredungen ein und hielt in einem Sinn sogar seine Versprechungen; auch wenn ein Mensch hinterher manchmal wünschte, wie Macbeth, dass er sie gebrochen hätte.

[…] Aber mit der Idee, die Dämonen zu beauftragen, die die Dinge erledigen, erscheint eine neue Idee, den Dämonen würdiger. Sie kann tatsächlich wahrhaft beschrieben werden als die Idee, der Dämonen würdig zu sein; sich ihrer peniblen und anspruchsvollen Gesellschaft angemessen zu zeigen. […] Früher oder später macht ein Mensch sich ganz bewusst daran, das Abscheulichste zu tun, das er sich ausdenken kann. Man fühlt, dass das Extrem des Bösen eine Art von Aufmerksamkeit oder Antwort der bösen Mächte unter der Oberfläche der Welt erzwingen wird. Das ist die Bedeutung des meisten Kannibalismus in der Welt. Denn der meiste Kannibalismus ist keine primitive oder sogar tierische Gewohnheit. […] Die Menschen tun es nicht, weil sie es nicht für schrecklich halten; sondern, im Gegenteil, weil sie es für schrecklich halten. […] Deshalb sieht man oft, dass primitive Rassen wie die australischen Eingeborenen keine Kannibalen sind; während viel kultiviertere und intelligentere Rassen, wie die Maoris von Neuseeland, es gelegentlich sind. […] Sie handeln wie ein dekadenter Pariser bei einer Schwarzen Messe. […]

Man nehme zum Beispiel die Azteken und Indianer der alten Reiche von Mexiko und Peru. Sie waren mindestens so kultiviert wie Ägypten oder China und nur weniger lebendig als die zentrale Zivilisation, die unsere eigene ist. […] Man kann in der Mythologie dieser amerikanischen Zivilisation auch dieses Element der Verkehrung oder der Gewalt gegen den Instinkt bemerken, von dem Dante schrieb; das sich überall rückwärts durch die unnatürliche Religion der Dämonen zieht. Es ist bemerkenswert nicht nur in der Ethik, sondern auch in der Ästhetik. Ein südamerikanischer Götze wurde so hässlich wie möglich gemacht, so wie ein griechisches Bild so schön wie möglich gemacht wurde. Sie suchten das Geheimnis der Macht, indem sie rückwärts gegen ihre eigene Natur und die Natur der Dinge arbeiteten.“**

Opferung zu Ehren des Huitzilopochtli, um 1570

(Aztekische Opferzeremonie zu Ehren des Gottes Huitzilopochtli. Gemeinfrei.)

In C. S. Lewis’ Chroniken von Narnia habe ich es einmal so ausgedrückt gefunden: Hexen sind sehr praktisch veranlagt.

Sicherlich, in der Geschichte um das Goldene Kalb etwa geht es nicht gleich um Kinderopfer. Aber es geht auch hier um eine greifbare Alternative zu Jahwe, die zu essen garantieren soll; ganz nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Rinder galten damals als Garant von Wohlstand; die Verehrung von Stiergöttern (die Rede vom „Kalb“ ist vielleicht eine Ironisierung dieser Götter durch den Autor der Bibelstelle) war daher durchaus verbreitet. Man wollte Sicherheit – denn „dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat – wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist“ (Exodus 32,1). Und deshalb wurde man Gott untrei. Hier geschieht ein Bundesbruch direkt nach dem Bundesschluss, nicht lange nachdem der Gott, mit dem man den Bund geschlossen hatte, das eigene Volk aus der Sklaverei heraus und durchs Rote Meer geführt, sich also sehr eindeutig als ein mächtiger, ihm wohlgesonnener Gott gezeigt hatte.

Jedenfalls, wenn man auf die Tiraden der Propheten gegen die Verehrung anderer Götter nur mit einem achselzuckenden „Meine Güte, da braucht man sich so doch nicht aufregen“ reagiert, sollte man sich a) fragen, ob sein eigener moralischer Kompass evtl. ein bisschen aus dem Lot sein könnte, und b) zum Vergleich die Stellen lesen, an denen die Propheten gegen Rechtsbeugung und Ausbeutung der Armen, Fremden, Witwen und Waisen wettern, und seine eigene Reaktion beobachten. Und wenn man auf diese Stellen dann auch mit einem achselzuckenden „Meine Güte, da braucht man sich so doch nicht aufregen“ reagiert, dann sollte man feststellen, dass der eigene moralische Kompass wirklich völlig aus dem Lot ist.

Ich finde es auch ganz interessant, dass viele den ultimativen Beleg für die Unmenschlichkeit der Tora (oder auch der Scharia, im Übrigen) darin sehen, dass diese die Steinigung für Ehebrecher vorgesehen hat – nebenbei, für die Frau und den Mann. Sehen sie die darin für Mord vorgesehenen Strafen als ebenso unmenschlich? Wenn man das nur tut, weil man das Verbrechen nicht so schlimm findet, hat man etwas nicht verstanden. Ein großer Teil der modernen Welt hat meiner Meinung nach ein großes Verständnisproblem mit Johannes 8,1-11, der Geschichte mit Jesus und der Ehebrecherin und den Pharisäern und dem berühmten „Wer von euch ohne Sünde ist…“. Würden sie diese Geschichte noch ebenso mögen, wenn statt der Ehebrecherin jemand hergebracht worden wäre, der einen Raubüberfall begangen oder seine Kinder vernachlässigt hätte? Jesus sieht Ehebruch nicht als Lappalie, die man einfach übergehen kann; und gerade deshalb ist sein „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ so aufsehenerregend. Wenn man dagegen keine Sünde sieht, ist sie sehr leicht vergeben. Er sagt auch nicht, dass die Todesstrafe für Ehebruch generell falsch war; Er lässt hier quasi Gnade vor Recht ergehen, weil Gott nun mal schnell bereit ist, die Gerechtigkeit durch die Gnade zwar nicht außer Kraft zu setzen, aber abzumildern. Außerdem ist eine häufig vertretene Auslegung dieser Geschichte, dass Er hier eben auch Anklägern, von denen Er wusste, dass sie im Geheimen größere oder ebenso große Sünden auf dem Gewissen hatten, ihre doppelten Maßstäbe vorhält. Interessant bzgl. unterschiedlicher Maßstäbe ist auch, dass diese Ankläger sagen, dass sie die Frau in flagranti erwischt haben, aber den Mann, mit dem sie Ehebruch begangen hat und der dieselbe Strafe bekommen müsste, nicht mitgebracht haben.

Jedenfalls: Empörung über das Böse ist etwas Gutes, sogar etwas Notwendiges. Wenn diese Empörung fehlt, dann werden die Opfer von denen, die Böses tun, oft völlig vergessen. Was wäre z. B. mit jemandem, der Kinder vergewaltigt oder umgebracht hat? Verdient der kein „Gericht“? Deshalb wird man bei der Bibellektüre ja auch feststellen, dass die Autoren der biblischen Texte sich oft weniger vor dem göttlichen Gericht ängstigen als vielmehr darüber jubilieren oder es herbeisehnen (am auffälligsten in den Psalmen). Sie befinden sich auf der Seite der Unterdrückten, die darauf hoffen, dass der gerechte Weltenrichter ihnen irgendwann doch Recht gegen ihre Unterdrücker verschaffen wird.

Alle Sünden (Mord ebenso wie Ehebruch) sind wirkliche Vergehen, bei denen Schaden angerichtet wird, Unrecht begangen wird, das nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden kann; nicht nur irgendwelche Taten, die Gott willkürlich verboten hat. Irgendetwas ist da, das bezahlt werden muss.

– Und das hat letztlich übrigens Jesus Christus am Kreuz bezahlt, und Vergebung ist möglich für alle, die bereuen. -***

(Auf einige andere biblische Strafen durch Gott für irgendwelche seltsamen, für den Leser auf den ersten Blick nicht ganz verständlichen Vergehen werde ich noch in eigenen Beiträgen eingehen; Götzendienst etc. hier nur mal als ein Beispiel.)

D) Worin bestehen die biblischen Strafen, und sind sie ungerecht?

Hier muss man erst einmal deutlich zwischen einem Gericht nach dem Tod und innerweltlichem Gericht unterscheiden. Ersteres ist tatsächlich nicht allzu schwer zu erklären. Die Hölle ist vor allem – s. Punkt B – das natürliche Resultat des Sich-von-Gott-Abwendens, und gleichzeitig das, was schwere Vergehen gerechterweise verdienen würden (s. Punkt C). Der Himmel besteht darin, Gott zu schauen; und die Hölle besteht darin, von ihm getrennt zu sein. Wenn man sich der Liebe verweigert, weigert man sich selbst, in den Himmel einzutreten. Menschen haben einen freien Willen bekommen, und wenn sich mit diesem freien Willen z. B. dafür entscheidet, sich selbst über alles andere zu stellen und das nicht bereut und sich nicht ändert, wird man in der Einsamkeit und Ruhelosigkeit des Zustands landen, den wir als die Hölle bezeichnen. Freilich sieht dieser Zustand umso schlimmer aus, je entschiedener man sich von Gott gewandt, je mehr Schuld man auf sich geladen hat; es gibt verschiedene „Höllenkreise“, wie man es gerne ausdrückt. (Wer immer noch Probleme mit dieser Vorstellung hat, dem empfehle ich zur weiteren Lektüre z. B. C. S. Lewis’ Buch „Über den Schmerz“ oder, deutlich kürzer, diese Katechese der Karl-Leisner-Jugend: „Erlösung – oder: Ist Hitler im Himmel?“ Dieser Beitrag wird hier schon wieder übermäßig lang.)

Aber, wie gesagt, gerade im Alten Testament geht es oft um ein diesseitiges Gericht – wie die ägyptischen Plagen. Hier kann man den Grund an sich schon mal ganz gut nachvollziehen: Israel wird von den Ägyptern in Sklaverei gehalten, und sie lassen sie nicht ziehen. Sklaverei ist schlecht, ich denke, da sind wir uns alle einig; es wird wohl niemand ernsthaft den Pharao hier für den Guten halten wollen.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cf/Tissot_Pharaoh_and_His_Dead_Son.jpg

(James Tissot, Pharao and his dead son. Gemeinfrei.)

Aber das Problem, das man dennoch mit solchen Geschichten haben kann, liegt darin: Die Plagen treffen nicht nur den Pharao, auch nicht nur alle Ägypter, die helfen, die Israeliten zu unterdrücken oder davon profitierten, sondern alle Ägypter überhaupt – auch die Kinder. Man denke gerade an die letzte Plage: den Tod der Erstgeborenen. Diese Plage ist möglicherweise wörtlich zu verstehen, und möglicherweise als poetische Beschreibung einer Seuche, die nur die Ägypter traf und nicht die Hebräer; z. B. wird in 2 Samuel 24 eine Seuche auch mit einem Engel beschrieben, der durch Israel geht und die Pest bringt; und ebenfalls im Buch Exodus, als Mose nach der Erscheinung am brennenden Dornbusch auf Gottes Befehl nach Ägypten zurückkehrt, findet sich der seltsame Satz: „Unterwegs am Rastplatz trat der HERR dem Mose entgegen und wollte ihn töten.“ (Exodus 4,24) Das klingt schon ein wenig komisch – erst schickt Gott Mose auf eine Reise, und dann tritt er ihm in den Weg, um ihn umzubringen? Es handelt sich bei dieser Stelle vermutlich um die Beschreibung einer schweren Krankheit – wie im letzten Teil erklärt, die Bibel beschreibt häufig alles, was das Schicksal so mit sich bringt, als Gottes Willen, auch wenn es nur unter Gottes „zulassenden“, nicht unter seinen direkt „verursachenden“, Willen fällt (Regel Numero 14 sollte beim Thema Gericht auch immer in Erinnerung behalten werden), da klargemacht werden soll, dass nichts gegen Gottes Willen geschehen kann. Auch bei der Geschichte mit Hananias und Sapphira in der Apostelgeschichte kann man übrigens annehmen, dass die beiden z. B. einfach einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, als Petrus sie mit ihrer Lüge konfrontierte, wenn man möchte. Aber diese Frage spielt eigentlich keine so große Rolle. Egal, wie wörtlich oder im übertragenen Sinne man die zehnte Plage versteht, egal ob ein Todesengel durch die Straßen ging oder eine Seuche in Ägypten wütete, jedenfalls litten unter diesem von Gott zugelassenen Gericht auch Unschuldige.

Manche werden es vielleicht interessant finden, dass es auch in biblischen Zeiten schon die Ansicht gab: „Fern sei es von dir, so etwas zu tun: den Gerechten zusammen mit dem Frevler töten. Dann ginge es ja dem Gerechten wie dem Frevler. Das sei fern von dir. Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?“ (Genesis 18,25) Das sagt Abraham zu Gott, der ihm erschienen ist und ihm im Lauf ihres Gesprächs anvertraut hat, dass er über die Städte Sodom und Gomorrha wegen derer zum Himmel schreiender Verbrechen Gericht halten will. „Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt: Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten in ihrer Mitte?“, sagt Abraham (Genesis 18,24). Und Gott geht darauf ein – „Da sprach der HERR: Wenn ich in Sodom fünfzig Gerechte in der Stadt finde, werde ich ihretwegen dem ganzen Ort vergeben.“ (Genesis 18,26) Nach und nach handelt Abraham Gott auf zehn „Gerechte“ herunter, um deretwillen Er Sodom zu verschonen bereit wäre. Allerdings sind die einzigen Gerechten, die sich dann in Sodom finden, Abrahams Neffe Lot mit Frau und Töchtern. Diese vier werden dann aus der Stadt gerettet (Gott ist gerecht gegenüber den Unschuldigen, auch wenn sie nur so wenige sind), und sie wird zerstört. (Selbst diese „Gerechten“ sind übrigens interessanterweise keineswegs völlig gerecht: in Bezug auf Lot, siehe Genesis 19,8, in Bezug auf Lots Frau, Genesis 19,26, und in Bezug auf die Töchter, Genesis 19,31-36.)

Aber hier bleibt noch immer die Schwierigkeit: Auch wenn Lots Familie gerettet wurde, in Sodom wird es, wie in jeder größeren Gemeinschaft, zumindest eine gewisse Anzahl an Säuglingen und Kleinkindern gegeben haben, die definitiv auch unschuldig gewesen sein müssen, und die nicht gerettet wurden. In Bezug auf diese spezielle Geschichte könnte man nun vielleicht noch fragen, ob sie überhaupt völlig wörtlich-historisch gemeint ist, aber das löst das Problem in Bezug auf andere Gerichtstaten, wie die ägyptischen Plagen, nicht.

Ich denke, die Antwort, die es löst, ist relativ einfach und wird vielleicht manchen zu simpel vorkommen:

Regel Nummer 15: Es macht keinen Sinn, Gott dafür zu beschuldigen, dass er einem Menschen das Leben nimmt.

„Ich denke, dass das die häufigste Beweisführung ist hinter der Behauptung, dass Gottes Tötungen in der Bibel beweisen würden, dass er böse ist:

  1. Wenn eine Person wie du oder ich plötzlich Allmacht erhielte und jedes Lebewesen auf der Erde ertränkte oder alle Erstgeborenen in einer großen Stadt tötete, würde man uns für Monster halten.
  2. Gott ist eine Person mit denselben moralischen Pflichten wie Leute wie wir.
  3. Gott hat unschuldige Männer, Frauen und Kinder getötet.
  4. Daher ist Gott ein Monster.

[…] Das Argument funktioniert noch immer nicht, weil die zweite Prämisse falsch ist – Gott ist nicht einfach ein Mensch mit Superkräften, der sich zu verhalten hat wie alle anderen Menschen auch. Selbst unter Menschen gibt es Fälle, in denen eine Person mit der Befugnis dazu etwas tun darf, was jemand unter seiner Autorität nicht tun dürfte. Zum Beispiel dürfen Polizisten die Geschwindigkeitsbegrenzung missachten, um einen Verdächtigen zu fassen, oder ein Schulleiter darf den Unterricht an einem Tag ausfallen lassen, während ein Schüler das nicht darf.

Das Töten unschuldiger Menschen mag falsch für andere Menschen sein, aber es ist nicht falsch für Gott, weil Gott die schlussendliche Autorität über menschliches Leben besitzt. Tatsächlich klagen wir Leute, die in unethischer Weise menschliches Leben erschaffen oder zerstören, oft an, ‚Gott zu spielen’. Wir erkennen, dass sie nicht die Vollmacht besitzen, in derselben Weise gegenüber menschlichem Leben zu handeln wie Gott. Aber sicherlich hat Gott die Vollmacht, ‚sich selbst zu spielen’! […]

Gottes Macht ist nicht willkürlich, sondern ist identisch zu seiner Gutheit und seinem Willen (KKK**** 271). Er verdient unsere Anbetung, weil er die vollkommene und höchste Gewalt über unser Leben hat und nicht fähig ist, seine Allmacht für Böses zu benutzen. Tatsächlich ist ein Grund, zu glauben, dass Gott Autorität über unser Leben hat, dass er uns unser Leben zuallererst gegeben hat. […]

Wenn ein größerer Unterschied zwischen dem Geber und dem Empfänger eines Geschenks in Bezug auf Reife oder Autorität besteht, besitzt der Geber generell ein größeres Recht, das Geschenk zurückzuholen.

Wenn zum Beispiel eine Mutter ihrem dreijährigen Sohn ein Geschenk gibt, dann hat sie immer noch jedes Recht, es wieder zurückzunehmen. Sie tut das vielleicht, weil das Kind das Geschenk falsch gebraucht, oder weil es nicht gut für andere um das Kind herum ist, oder weil die Mutter etwas Besseres hat, das sie dem Kind geben will. Das Kind wird vielleicht nicht immer verstehen, was seine Mutter getan hat, und es wird vielleicht sogar denken, dass sie ungerecht ist, aber das liegt daran, dass ihm das Wissen und die Reife fehlen, ihre Handlungen zu verstehen. […]

Um eine vorige Analogie weiterzuführen, wenn ein Vater seinem Sohn ein Geschenk gibt, bedeutet die Tatsache, dass der Vater das Geschenk wieder wegnehmen darf, nicht, dass der ältere Bruder des Jungen das Recht hat, dasselbe zu tun. Vielleicht könnte der Bruder das Geschenk in seltenen Fällen wegnehmen, so, wenn sein jüngerer Bruder im Begriff ist, sich damit zu verletzen, aber der Bruder hätte nicht die selbe Autorität zum ‚Geschenk-Wegnehmen’ wie sein Vater.

In ähnlicher Weise können Menschen unter bestimmten Umständen in rechtmäßiger Weise anderen Menschen das Leben nehmen – zum Beispiel in einem gerechten Krieg, oder im Fall der Selbstverteidigung – aber nur Gott hat das Recht, unser Leben zu beenden, wenn er es für richtig hält.“*****

Wichtig: Das Argument ist hier nicht so sehr „beschwer dich nicht, dein Leben gehört Gott, er darf damit tun, was er will“, sondern eher „Gott, dem dein Leben gehört, wird dir dieses irdische Leben nur nehmen, wenn er einen guten Grund dafür hat, denn er will dir und allen anderen Menschen Gutes“.

Leid ist weder ausschließlich, noch für alle, die davon betroffen sind, Gericht, sondern hat auch andere Bedeutungen und Zwecke. Gott ließ z. B. auch zu, dass durch die Sünden eines größeren Teils des deutschen Volkes letztlich eine Art „Gericht“ über das ganze deutsche Volk in Gestalt sämtlicher Folgen des Zweiten Weltkriegs (Bomben, Besatzung, etc.) kam. Auch unschuldige Kinder verloren damals vielleicht ihren Vater im Krieg, starben in den Bombennächten oder litten in der Kriegs- und Nachkriegszeit unter Hunger und Kälte. Für diese Kinder war dieses Leid kein Gericht, denn Gott ließ es für sie aus anderen Gründen zu als vielleicht für einen überzeugten Nazi. Aber Gott ließ es zu, weil es irgendeinen Zweck hatte, auch für die davon betroffenen Unschuldigen, und man kann es insgesamt als eine Art von „Gericht“ bezeichnen, weil es das Resultat von Sünden war. Ebenso waren auch die ägyptischen Plagen nicht im strengen Sinne für alle Ägypter „Gericht“, aber in einem anderen Sinne eben schon.

Wir erinnern uns: Hier geht es nur um innerweltliches Leid. Innerweltliches Leid kann manchmal eine Strafe sein, und oft ist es das auch nicht (ich habe hier schon erwähnt, wie im Lauf der Offenbarungsgeschichte die Erkenntnis kam, dass Leid nicht zwangsläufig eine Strafe sein muss), und es ist oft ungerecht verteilt, aber all das wird am Ende keine Rolle mehr spielen. Wieso sollten wir den ägyptischen Erstgeborenen nicht einmal im Himmel begegnen? Wer sagt denn, dass sie nicht seit ihrem Tod in unendlichem Glück leben?

Das muss nicht einmal nur für die völlig Unschuldigen gelten. Auch die Schuldigen aus Sodom, oder die Schuldigen unter den bei der Sintflut Getöteten müssen jetzt nicht in der Hölle sein. Dafür haben wir auch einige biblische Hinweise:

  • In Ezechiel 16 spricht Gott an Jerusalem gerichtet: „So wahr ich lebe – Spruch GOTTES des Herrn: Deine Schwester Sodom, sie und ihre Töchter haben es nicht so getrieben, wie du und deine Töchter es trieben. Siehe, dies war die Schuld deiner Schwester Sodom: In Hochmut, Überfluss an Brot und in sorgloser Ruhe lebte sie mit ihren Töchtern, ohne die Hand des Elenden und Armen zu stärken. Sie wurden hochmütig und begingen Gräuel vor meinen Augen. So habe ich sie verstoßen, als ich sie sah. Samaria hat nicht die Hälfte deiner Sünden begangen. Du hast mehr Gräueltaten verübt als sie und du lässt deine Schwestern gerecht erscheinen durch all deine Gräueltaten, die du begangen hast. […] Aber ich werde ihr Schicksal wenden, das Schicksal Sodoms und ihrer Töchter, das Schicksal Samarias und ihrer Töchter und das Schicksal deiner Gefangenen in ihrer Mitte, damit du deine Schande tragen kannst und dich schämen musst über all das, was du getan und wodurch du sie getröstet hast. Deine Schwester Sodom und ihre Töchter werden in ihren früheren Zustand zurückkehren, Samaria und ihre Töchter werden in ihren früheren Zustand zurückkehren. Du aber und deine Töchter, auch ihr werdet in euren früheren Zustand zurückkehren. […] Ich aber, ich werde meines Bundes mit dir aus den Tagen deiner Jugend gedenken, und ich werde einen ewigen Bund für dich aufrichten. Du wirst deiner Wege gedenken und dich schämen, wenn du deine Schwestern aufnimmst, deine älteren mitsamt deinen jüngeren. Und ich gebe sie dir zu Töchtern, aber nicht deines Bundes wegen. Ich selbst richte meinen Bund mit dir auf, damit du erkennst, dass ich der HERR bin. So sollst du gedenken, sollst dich schämen und wirst vor Scham den Mund nicht mehr öffnen können, weil ich dir Versöhnung gewähre für alles, was du getan hast – Spruch GOTTES, des Herrn.“ (Ezechiel 16,48-51.53-55.60-63)
  • Jesus selbst sagt: „Und du, Kafarnaum, wirst du etwa bis zum Himmel erhoben werden? Bis zur Unterwelt wirst du hinabsteigen. Wenn in Sodom die Machttaten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, dann stünde es noch heute. Das sage ich euch: Dem Gebiet von Sodom wird es am Tag des Gerichts erträglicher ergehen als dir. (Matthäus 11,23f.) Das kann man jetzt so interpretieren, dass die Sodomiter in weniger tiefe Höllenkreise kommen als die hier gemeinten Leute aus Kafarnaum; aber auch so, dass mehr von den Sodomitern es noch ins Fegefeuer und schließlich den Himmel schaffen.
  • Petrus schreibt über die bei der Sintflut Getöteten: „Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, nachdem er dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde. In ihm ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt. Diese waren einst ungehorsam, als Gott in den Tagen Noachs geduldig wartete, während die Arche gebaut wurde (1 Petrus 3,18-20) Mit den „Geistern, die im Gefängnis waren“ sind wohl die Seelen im limbus patrum (nicht der „richtigen“ Hölle, denn dahin ging Christus nicht) gemeint, die jetzt im Himmel sind.

Der Kirchenvater Origenes schreibt über solche und weitere Stellen (an die gnostischen Sekten gerichtet, die meinten, dass der Gott des Alten Testaments, der Schöpfer der Welt, ein anderer, schlechterer Gott wäre als der Gott des Neuen Testaments):

„Auch lesen sie nicht, was von den Aussichten derer geschrieben steht, die in der Fluth umkamen, wovon Petrus in seinem ersten Brief spricht (3, 18. 19. 20. 21.) Wegen Sodom und Gomorrha aber sollen sie uns sagen, ob sie glauben, daß die Weissagungen vom Weltschöpfer kamen, von dem also, der Schwefel auf jene Städte regnen ließ. Wie spricht von diesen nun Ezechiel? Sodom, sagt er, soll wiederhergestellt werden, wie es war. Hat sie nun der, der sie zerstörte, nicht um des Guten willen zerstört? Ferner spricht er zu Chaldäa: Du hast Feuerkohlen, setze dich darauf; sie werden deine Hülfe seyn (Jes. 46, 14.). Auch über die in der Wüste Gefallenen mögen sie den 78. Psalm, mit der Ueberschrift Assaph, vernehmen: Wenn er sie erwürgete, suchten sie ihn. Nicht sagt er, wenn Einige erwürgt würden, suchten andere ihn: sondern der Untergang der Erwürgten selbst war von der Art, daß sie noch im Tode Gott suchten.“ (Über die Grundlehren der Glaubenswissenschaft II,5,3)

Gott straft, um die Bestraften zur Einsicht zu bringen, ihnen klarzumachen, was sie Böses tun, und sie so zu sich zurückzuführen, wenn es möglich ist.

Soviel allgemein hierzu. Ausführlicher als hier will ich zu einem Aspekt dieses Themas dann im folgenden Beitrag kommen, nämlich zur Frage, was die Bibel zu Bestrafung für die Sünden der Eltern sagt (speziell zur Erbsünde als Strafe für Adams und Evas Sünde), und in diesem Beitrag will ich dann auch ein wenig auf die allgemeine Frage, wieso Gott überhaupt menschliches Leid im Allgemeinen und den Tod im Speziellen zulässt, eingehen.

* C. S. Lewis, Gespräch mit Gott. Gedanken zu den Psalmen, Zürich und Düsseldorf 1999, S. 87.

** G. K. Chesterton, The everlasting man, London 1963, S. 134-139, Übersetzung von mir.

*** Auch wenn weltliche Strafen für Dinge wie Mord dadurch für eine Gesellschaft selbstverständlich nicht obsolet geworden sind, ebenso wenig wie andere Arten von Wiedergutmachung im menschlichen Bereich. Auch im Jenseits wird es übrigens noch eine gewisse Reinigung von schon bereuter und vergebener Schuld geben müssen, die wir als „Purgatorium“ oder „Fegefeuer“ bezeichnen.

**** „Katechismus der Katholischen Kirche.“ Nicht: „Ku Klux Klan.“ Nur damit das klar ist.

***** Trent Horn, Hard Sayings. A Catholic Approach to Answering Bible Difficulties, El Cajon, California, 2016, S. 291-296, Übersetzung von mir.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus Sicht eines Menschen mit Todeswunsch

Sie ist schlecht, schlecht, schlecht. Das denke ich.

Sehen Sie, ich bin depressiv, seit einiger Zeit. Man könnte außerdem sagen, ich leide an einer unheilbaren Krankheit – damit meine ich nicht meine Depression, sondern eine körperliche Krankheit, die die Depression mit bedingt hat. (Wenn es einem schlecht geht, ist man nie gut drauf.) Oh, ich meine keine tödliche Krankheit. Ich meine eine unheilbare – d. h. eine chronische, die ich bis zu meinem Lebensende, bis zu dem es statistisch gesehen durchaus noch 60 Jahre dauern könnte, nicht loswerden werde, jedenfalls nicht nach dem heutigen Stand der Medizin. Im Alltag sehr störend, aber sicher nicht tödlich.

Und, wie gesagt, ich bin depressiv. Zu meiner Depression gehört auch ein gewisser Todeswunsch. Ich habe keine Selbstmordpläne, sehen Sie, ich plane, mich nicht umzubringen – es besteht noch kein Grund, mich stationär behandeln zu lassen. (Ich habe mir übrigens inzwischen psychologische Hilfe gesucht, keine Angst.) Aber der Gedanke an den Tod hat für mich überhaupt nichts Beängstigendes an sich, im Gegenteil. Wenn ich einen Unfall haben und sofort sterben könnte – oh, das wäre schön. Na ja, es gibt da natürlich auch noch so Ängste, was das Jenseits angeht, die ich auch noch habe, aber sagen wir mal, wenn ich frisch von der Beichte einen Unfall haben könnte, das Fegefeuer dann nicht zu lang ausfiele, und so – oh, das wäre schön. Ich sehne mich nach Ruhe, ich sehne mich nach Schlaf, ich sehne mich nach Frieden und nach Sicherheit.

Klar, es gibt manche Dinge, die dann schade wären. Ich könnte manche Dinge nicht mehr vollenden, die ich angefangen habe – hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Hobbyschriftstellerin bin und im Moment an einer Roman-Trilogie arbeite, die ich erst halb fertig habe, und die ich gerne irgendwann ganz fertig hätte und auch versuchsweise mal an einen Verlag schicken wollen würde? Es gibt noch andere Dinge. Und meine Familie wäre da natürlich. Das ist auch einer der wichtigsten Gründe, wieso ich mich nicht töten werde – ich will das meiner Familie nicht antun.

Aber wenn das Schreiben und diese Dinge nicht wären, wenn ich keine Familie hätte, und vor allem, wenn es nicht vor Gott falsch wäre (was es aber leider ist), ein tödliches Medikament zu nehmen – dann würde ich das gerne tun. Das wäre schön. Ich hoffe immer wieder, dass ich nicht mehr so arg lange leben muss. Ja, mit Anfang zwanzig. (Viel Glück dabei.)

Na ja, da ich so denke, könnte man nun ja meinen, ich würde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts pro Sterbehilfe begrüßen. Das tue ich nicht. Sehen Sie, ich habe meine fünf Sinne noch so weit zusammen, dass ich weiß, dass ich psychisch krank bin. Wenn ich noch kränker wäre, wäre das vielleicht nicht mehr der Fall, aber ich würde noch mehr leiden, und vielleicht nach Sterbehilfe verlangen. Und ich will nicht, dass man mir in einem solchen Fall eine Giftspritze verabreichen würde. Das heißt, ich will es in gewissem Sinne schon – ich fände es schön; ich finde den Gedanken sogar schrecklich, Leid ausgeliefert zu sein, dem andere Menschen nicht abhelfen werden, auch wenn ich sie darum verzweifelt bitten würde. Aber ich lehne es rational als falsch ab. Man müsste mir in so einem Fall auf andere Weise helfen. (Zum Beispiel damit, meine körperliche Krankheit ernst zu nehmen, wobei Ärzte nicht immer vorne mit dabei sind.)

Zuallererst liegt der Grund für meine Einstellung natürlich in meinem Glauben. Ich glaube, dass es einen Sinn haben muss, wieso Gott mir dieses Leben, das ich nicht wirklich mag, sondern eher ertrage, noch zumutet. Ich habe Angst vor meinem weiteren Leben, und ich mag es nicht besonders, aber ich sehe rein rational, dass es einen Sinn haben muss. Ich glaube, dass auch Leiden einen Sinn haben muss, dass Jesus, der selber so gelitten hat, einen Sinn daraus entstehen lassen kann, auch wenn es schrecklich ist, und dass ich nicht das Recht habe, „Gott zu spielen“, und mich selbst zu schädigen oder zu töten. Dass ich mir auch selbst die Liebe schuldig bin, die ich allen Menschen schulde – liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich will außerdem nicht, dass geistig gesunde Menschen leidende Menschen töten oder ihnen zum Selbstmord verhelfen, um ihretwillen – ich will nicht, dass sie diese Schuld auf sich laden. Ich würde nicht wollen, dass jemand mir zum Sterben „verhilft“; er würde damit eine schwere Schuld auf sich laden, und das will ich nicht.

Dann ist da natürlich noch die theoretische Möglichkeit – an die ich zwar im Moment nicht wirklich glaube, aber sei’s drum – dass es im Lauf der Zeit wieder besser werden könnte. Dass man eine Medizin gegen meine Krankheit findet, dass meine Depression irgendwann weggeht (ja, Depressionen kann man behandeln). Jedenfalls bin ich durchaus ganz froh, dass ich von meinem Umfeld nicht einfach zu hören kriege „Dann kannst du dich ja umbringen“, sondern dass man mir hilft, mit meiner Krankheit umzugehen und meine Depression loszuwerden. Vielleicht werde ich irgendwann einmal auch wirklich froh sein, noch am Leben zu sein.

Dann sind da noch andere, mehr allgemeine Gründe. Was würde geschehen, wenn Sterbehilfe normal würde? Ganz einfach, das, was in den Niederlanden geschieht. Es würde erwartet werden, sie in Anspruch zu nehmen, vor allem von alten, dementen oder von behinderten Menschen, die bloß noch Kosten für das Gesundheitssystem verursachen. Sie denken, ich übertreibe? Dann überlegen Sie mal, wieso Rentner die Niederlande verlassen. Der Druck würde steigen. Man würde sich weniger darum kümmern, Behandlungsmethoden zu finden, ordentliche Mittel zur Schmerzbekämpfung und so weiter, man würde die Palliativmedizin zurückschrauben, die Suizidprävention natürlich erst recht.

Und Sterbehilfe würde auch für Menschen wie mich nach und nach normal werden. Ich bin „unheilbar krank“, ich leide (auch psychisch, was ebenso real ist wie physisch; und ja, es haben in anderen Ländern schon Menschen wegen psychischer Krankheiten Sterbehilfe erhalten). Wer kann sagen, dass mein Leiden nicht genug ist, um zu zählen? Überhaupt – wieso muss man leiden, um einen selbstbestimmten Tod sterben zu dürfen, wenn die Selbstbestimmung so wichtig ist – ja, angeblich sogar im Grundgesetz garantiert? (Nebenbei, diese Auslegung des Grundgesetzes ist aus meiner Sicht lachhaft. (Und ja, ich habe keine Ahnung von Jura.) Die dort garantierte Selbstbestimmung ist bekanntlich nicht absolut, und wenn sie es nicht ist, dann können Richter, solange das gesetzlich nicht geregelt ist, auch nicht einfach erklären, dass sie zwangsläufig das Recht auf Selbsttötung umfasst, vor allem nicht in dem Sinne, dass der Staat dabei behilflich sein muss. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Verfasser des Grundgesetzes auch nur daran gedacht hätten, dass Hilfe durch das Gesundheitssystem zum Selbstmord unter das Selbstbestimmungsrecht fallen könnte? A propos Verfassungsrecht: Wer hat diesen Richtern, anstelle z. B. des gewählten Parlaments, die Vollmacht gegeben, solche Entscheidungen zu treffen?) Wenn diese Selbstbestimmung so wichtig wäre – wie könnte man es dann noch rechtfertigen, Menschen, die sich ritzen, oder magersüchtige Mädchen, die sich halb zu Tode hungern, oder Menschen, die drohen, sich umzubringen, in eine Psychiatrie einweisen zu lassen? Eine solche Behandlung hilft und tut gut, ich weiß das von Bekannten, die selbst schon eine Zeitlang stationär behandelt wurden (ich selber musste noch nicht in die Psychiatrie, und mir persönlich wäre es auch lieber, das zu vermeiden, aber nicht, weil ich Vorurteile gegen ein „Irrenhaus“ habe, sondern weil ich lieber daheim bei meiner Familie sein will und aus anderen persönlichen Gründen; aber die Psychiatrie ist an sich etwas sehr Gutes, wo sich um einen gekümmert wird, und ich kann mir gut vorstellen, dass es für andere psychisch kranke Menschen sogar eine Erleichterung ist, wenn man ihnen vorschlägt, ob nicht ein stationärer Aufenthalt für einige Wochen ihnen vielleicht helfen würde). Aber wie könnte man es rechtfertigen, Menschen ins BKH einweisen zu lassen, wenn Selbstbestimmung alles ist? Die Antwort muss lauten, sie darf nicht alles sein.

Die Rede von der Selbstbestimmung ist ein Mythos, sehen Sie. Die allermeisten Selbstmörder sind depressiv. Sie sind nicht selbstbestimmt. Ein Verwandter von mir ist vor ein paar Jahren durch Selbstmord ums Leben gekommen. Ich weiß noch, dass auf seiner Beerdigung (der aus Indien stammende Dorfpfarrer sagte in der Messe kein Wort über seine Todesursache, und auch niemand von der Verwandtschaft erwähnte etwas davon) seine Chefin am Grab, als alle noch anstanden, um Weihwasser aus dem kleinen danebenstehenden Becken auf den Sarg zu spritzen und sich dabei zu bekreuzigen, wenn sie an der Reihe waren, wie man das eben bei Beerdigungen so macht, als sie an der Reihe war, kurz so etwas sagte, wie, dass er bis zuletzt selbstbestimmt gewesen sei. Sie hielt das wohl für irgendwie tröstlich oder so. Wie bitte?, dachte ich mir schon damals. Mein Verwandter war nicht selbstbestimmt gewesen, er war nicht selbstbestimmt gestorben. Er hatte offensichtlich an einer schweren Depression gelitten, die er vor der Welt verborgen hatte, er hatte es nicht mehr geschafft, sein Haus auch nur ein bisschen in Ordnung zu halten, und schließlich hatte er sich erhängt, weil er seinen psychischen Schmerz nicht mehr ausgehalten haben muss. Das hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun, gar nichts.

Kann ich meine Leser an dieser Stelle bitten, ein kurzes Gebet für meinen Verwandten zu sprechen? Ich bete auch immer wieder für ihn, und ich hoffe, dass er jetzt dort ist, wo alle Schmerzen und alle Leiden ein Ende haben, wo alle Tränen abgewischt werden, wo der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.

Ich hoffe, dass ich auch irgendwann dort sein werde, aber jetzt ist meine Zeit wohl noch nicht gekommen, und es ist nicht an mir, zu entscheiden, wann sie gekommen ist. Ich will irgendwann bei Jesus sein, aber dann, wenn Er es für richtig hält, nicht dann, wenn ich es für richtig halte.

Falls das hier jemand liest, der selber Selbstmordgedanken hat: Hier ist die Telefonnummer der Telefonseelsorge; dort muss 24 Stunden am Tag jemand zu erreichen sein, selbstverständlich anonym, und selbstverständlich auch für Leute ohne jede Kirchenzugehörigkeit: 0800 111 0 111 Es gibt auf deren Internetseite auch Mailberatung und Chatberatung. Und hier ist eine Seite, die bei der Suche nach einem Psychotherapieplatz hilft, und einige Informationen zur Psychotherapie bietet. Nicht die Hoffnung verlieren! Man kann was machen, und schon Reden hilft oft, wirklich; und Psychotherapie ist übrigens auch nicht zwangsläufig nur Psychoanalyse („Hat es vielleicht ein Kindheitstrauma ausgelöst, dass Sie als Baby einmal nicht ordentlich gewickelt wurden?“ Sorry, ich habe gewisse Vorurteile gegen Psychoanalyse; ich weiß, dass sie nicht zwangsläufig so ist. Aber jedenfalls, es gibt auch Psychotherapieformen, die meiner persönlichen Ansicht nach wesentlich besser helfen als Psychoanalyse. Verhaltenstherapie zum Beispiel.) Mich darf man übrigens auch gerne über die „Contact“-Seite kontaktieren, auch wenn ich als Laiin wohl nicht wirklich helfen kann. Normalerweise schaffe ich es, wenigstens regelmäßig daran zu denken, meine E-Mails nachzuschauen…

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