[Update: Vgl. zu diesem Artikel auch die genaueren Ausführungen/Klarstellungen hier.]
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Nein.
Eine der schlimmsten Lügen, die zu Skrupeln neigende Christen belasten können, ist die leider recht weit verbreitete Vorstellung, dass wir Christen grundsätzlich Freude und Glück auszustrahlen hätten – schließlich sind wir erlöst! Gott liebt uns! Unsere Gottesbeziehung sollte sich doch wohl zeigen! (Und willst du nicht auch, dass andere Menschen das Christentum attraktiv finden? Welchen Eindruck hinterlassen wir den Nichtchristen?) Also fühlt man sich schuldig dafür, dass man nicht glücklich ist, und wird dadurch natürlich nicht glücklicher.
Wenn ich ehrlich sein soll, mit ständigem Grinsen und „Mein Leben mit Gott ist so toll!!! #blessed“ hinterlässt man bei manchen Nichtchristen vermutlich sowieso eher den Eindruck, dass das Christentum nichts für diejenigen ist, denen es nicht gut geht und die nicht einfach auf Knopfdruck fröhlich sein können; aber darum geht es hier nicht. Wir sind keine Werbemodels für das Christentum; wir sind Menschen, die eben von dieser Religion überzeugt sind und zu diesem Gott beten und die trotzdem ihr konkretes menschliches Leben mit seinen Höhen und Tiefen haben.
Ja, Gott hilft uns bei unseren Problemen. Ja, Er will uns Trost bringen, wenn es uns schlecht geht. Aber deswegen kann man trotzdem mal legitimerweise unglücklich sein – weil man sich gerade in einer schwierigen Lebenssituation befindet, weil man an einer Depression leidet, whatever. Ein Vergleich: Wenn man eine Krebsdiagnose bekommt, wird eine liebende Familie sicher trösten und helfen und die Situation erträglicher machen und Wege aufzeigen, mit ihr umzugehen, aber sie wird nicht dafür sorgen können, dass man gar nicht mehr entsetzt ist oder Angst hat oder Schmerzen hat. Es wäre blödsinnig, das zu erwarten. Man leidet; und das muss man nicht leugnen. Genauso können wir von Gott logischerweise nicht erwarten, uns in dieser gefallenen Welt vor aller (körperlichen und seelischen) Not zu bewahren.
Es ist schön, wenn wir fröhlich sind; aber Gefühle kann man nicht erzwingen. Gefühle und Gedanken kommen einfach. Sie sind weder Sünden noch Tugenden.
Es gibt einen Unterschied dazwischen, in Selbstmitleid zu schwelgen und anzuerkennen, dass es einem schlecht geht. Wenn es einem schlecht geht, wird die Situation nicht dadurch besser, dass man sich selbst, andere oder Gott anlügt. Wir dürfen auch in unseren Gebeten zu Gott ehrlich sein.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?
Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.
Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels.
Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet.
Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet.
Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:
Wälze die Last auf den HERRN! Er soll ihn befreien, er reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!
Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, der mich anvertraut der Brust meiner Mutter.
Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott.
Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe und kein Helfer ist da!
Viele Stiere haben mich umgeben, Büffel von Baschan mich umringt.
Aufgesperrt haben sie gegen mich ihren Rachen, wie ein reißender, brüllender Löwe.
Hingeschüttet bin ich wie Wasser, gelöst haben sich all meine Glieder, mein Herz ist geworden wie Wachs, in meinen Eingeweiden zerflossen.
Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, du legst mich in den Staub des Todes.
Denn Hunde haben mich umlagert, eine Rotte von Bösen hat mich umkreist. Sie haben mir Hände und Füße durchbohrt.
Ich kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und starren mich an.
Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.
Du aber, HERR, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe!
Entreiß mein Leben dem Schwert, aus der Gewalt der Hunde mein einziges Gut!
Rette mich vor dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der Büffel! – Du hast mir Antwort gegeben.
Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Versammlung dich loben.
Die ihr den HERRN fürchtet, lobt ihn; all ihr Nachkommen Jakobs, rühmt ihn; erschauert vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!
Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut des Elenden Elend. Er hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm; er hat gehört, als er zu ihm schrie.
Von dir kommt mein Lobpreis in großer Versammlung, ich erfülle mein Gelübde vor denen, die ihn fürchten.
Die Armen sollen essen und sich sättigen; den HERRN sollen loben, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.
Alle Enden der Erde sollen daran denken/ und sich zum HERRN bekehren: Vor dir sollen sich niederwerfen alle Stämme der Nationen.
Denn dem HERRN gehört das Königtum; er herrscht über die Nationen.
Es aßen und warfen sich nieder alle Mächtigen der Erde. Alle, die in den Staub gesunken sind, sollen vor ihm sich beugen. Und wer sein Leben nicht bewahrt hat,
Nachkommen werden ihm dienen. Vom Herrn wird man dem Geschlecht erzählen, das kommen wird.
Seine Heilstat verkündet man einem Volk, das noch geboren wird: Ja, er hat es getan.“
(Psalm 22)
Die Psalmisten waren ehrlich. Ebenso Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ betete er am Kreuz.