Die Pfeiler des Glaubens, Teil 5: Die Bleibücher vom Sacromonte, unbeabsichtigte Bigamie und ein wenig zufriedenstellendes Ende

Teil 4 findet sich hier.

„Ich sage euch, die Araber sind eines der erhabensten Völker, und ihre Sprache ist eine der erhabensten Sprachen. Gott wählte sie aus, um sein Gesetz in der letzten Zeit auf sie zu stützen. […] Wie mir Jesus sagte, der schon über den Söhnen Israels Vorrang hatte, wird jenen von ihnen, die ihm untreu waren […], niemals die Herrschaft gegeben. Aber die Araber und ihre Sprache werden zu Gott und zu seinem rechten Gesetz zurückkehren, und zu seinem ruhmreichen Evangelium und zu seiner heiligen Kirche in der Zeit, die da kommen wird.“ (S. 721)

Dieses Zitat aus der „Geschichte der Wahrheit des Evangeliums“, das zu den sog. Bleibüchern vom Sacromonte gehört, setzt Falcones vor den Beginn von Teil IV, der den Titel „Im Namen unseres Herrn“ trägt. Die Auslassungen stammen übrigens von ihm, nicht von mir. Leider kann man die Bleibücher, anders als bekanntere apokryphe Schriften wie das Thomas-Evangelium, nicht in deutscher Übersetzung im Internet finden, also kann ich nicht herausfinden, was genau an diesen Stellen steht.

Teil IV setzt im Januar 1595 ein. Hernando hat in den vergangenen Jahren intensiv an den Schriften gearbeitet, die später zu den „Bleibüchern vom Sacromonte“ werden sollen. Die gibt es, ebenso wie das Barnabas-Evangelium und die gefälschte Prophezeiung aus der Torre Turpiana, um die es im letzten Teil ging, tatsächlich, und sie wurden wahrscheinlich von Don Alonso del Castillo und Don Miguel de Luna, die hier als Hernandos Mitstreiter erscheinen, geschaffen. (Hernando selbst ist keine historische Figur.) Hernando hat in diesen Jahren u. a. Latein gelernt und hat in den Texten verschiedene christliche Legenden über die Heiligen, die das Christentum nach Spanien gebracht haben sollen, miteinander verbunden; jetzt ist er mit den Entwürfen fertig. Bei seinem letzten Besuch bei seinen Verbündeten in Granada ist besprochen worden, dass sie für die neuen Fälschungen Bleiplatten statt Pergament verwenden werden, weil ihre erste Fälschung schon unter Verdacht steht, da das Pergament nicht alt genug ist. Also reist Hernando jetzt zu einem Silberschmied namens Binilit, der in einer mehrheitlich von Morisken bewohnten Gegend von Valencia in einem Dorf namens Jarafuel lebt, um ihn mit der Herstellung der Platten zu beauftragen. An dieser Stelle wird auch der Inhalt der insgesamt zweiundzwanzig Texte erklärt, von denen einer bewusst unverständlich ist:

„Die Schriften stellten ein vielschichtiges Rätsel dar, das um eine einzige Hauptfigur kreiste: die Jungfrau Maria. Die einzelnen Teile führten unweigerlich auf ein Ziel zu: das Stumme Buch, das in einer unverständlichen Sprache geschrieben war, vor der alle, die sich damit beschäftigten, kapitulieren würden. Aber wie er Binilit soeben erklärt hatte, kündigte eine der Schriften die Ankunft eines Textes an, der das Geheimnis lüften würde. Dieser Text war das Barnabas-Evangelium, das er so gut versteckt hielt. Sobald die Bleibücher akzeptiert würden, und damit auch dieses rätselhafte Stumme Buch, würde das Barnabas-Evangelium mit seiner geistigen Nähe zum Islam als die alleinige, über jeden Zweifel erhabene Wahrheit erscheinen.“ (S. 735) An späterer Stelle erklärt Hernando noch einem Gelehrten aus Jarafuel, Munir, Marias Rolle in den Schriften: „Sie überträgt Jakobus die Aufgabe, das Christentum nach Spanien zu bringen, und sie ist es, die ihm das unverständliche Stumme Buch überreicht, das sich offenbaren wird, sobald die Christen begreifen, dass ihre Päpste Gottes Wort verfälscht haben. Und das wird durch einen König der Araber geschehen.“ (S. 738) Der Plan ist es, dem Sultan das Barnabas-Evangelium zukommen zu lassen, damit dieser es „offenbaren“ kann. Hernando rechnet damit, dass die Christen die mehrdeutigen Bleiplatten zunächst in ihrem Sinn deuten würden, aber vielleicht schon mehr Respekt für die Morisken entwickeln könnten, da laut den Platten ihre ersten Apostel angeblich auch Arabisch gesprochen hätten usw., und dass sie die Texte nach der „Entschlüsselung“ des Stummen Buches durch das Barnabas-Evangelium dann im islamischen Sinn verstehen müssten.

„‚Aber wie kann denn der Inhalt eines unlesbaren Buches bekannt werden?’, hakte der alte Meister nach. ‚Es wird sich niemals ganz entschlüsseln lassen’, erläuterte Hernando seine Strategie. ‚Für unsere Zwecke ist es ausreichend, dass es zunächst überhaupt als das Evangelium der Jungfrau anerkannt wird. Wenn die Christen die Bleibücher akzeptieren, müssen sie auch die darin verkündete Ankunft des Königs der Araber akzeptieren, der das wahre Evangelium bekanntmachen wird, die Schrift, die kein Papst oder Evangelist fälschen konnte.’“ (S. 739f.)

Ich muss sagen, dass mir dieser Plan verschwommen und wenig vielversprechend erscheint (wie will Hernando beweisen, dass der Sultan und das Barnabas-Evangelium tatsächlich der angekündigte König und das angekündigte Evangelium sind?); Falcones’ Darstellung beruht aber, wie er im Nachwort schreibt, immerhin auf der Hypothese eines Wissenschaftlers: „Luis F. Bernabé stellt in seinen Veröffentlichungen […] eine Beziehung zwischen den Bleibüchern und dem Barnabas-Evangelium her. […] Der Gedanke liegt nahe, dass die Verfasser des Stummen Buchs – dessen Inhalt dem Prolog und einem anderen, durchaus erschließbaren Text der Bleibücher zufolge von einem König der Araber bekanntgemacht werden sollte – das Erscheinen einer weiteren Schrift beabsichtigten. Allerdings ist nicht bekannt, ob es jemals dazu kam. Dass diese Schrift nun das Barnabas-Evangelium ist, das beträchtliche Gemeinsamkeiten mit den Bleibüchern aufweist, ist nur eine Hypothese.“ (S. 917f.) (Der Wissenschaftler heißt eigentlich Luis F. Bernabé Pons, lehrt an der Universidad de Alicante Islamwissenschaft und eine von ihm herausgegebene spanische Ausgabe des Barnabasevangeliums ist online zu finden. Das nur am Rande, falls jemand unter meinen Lesern Spanisch können und sich für das Barnabas-Evangelium interessieren sollte.)

Binilit erklärt sich bereit, die Texte auf Bleiplatten zu prägen und Hernando reist nach deren Fertigstellung wieder ab. Auf der Rückreise kommt er durch Granada, wo er ins Nachdenken über sein Leben und seine Vergangenheit gerät:

„Wie war es Isabel wohl ergangen? Ihre letzte Begegnung lag nun bereits mehr als sieben Jahre zurück.

 Hernado trieb Estudiante [sein Pferd] an. Sieben Jahre! Ja, im Hurenhaus gab es diese Rothaarige und manchmal auch eine andere Dirne, aber die letzte Nacht mit Isabel konnte er einfach nicht vergessen […] Ja, er hatte hart für seinen Gott gearbeitet. Aber was hatte er selbst davon? Nur Erinnerungen. […] Jetzt kreiste sein Leben nur noch um einen einzigen Traum: die Versöhnung der beiden verfeindeten Religionen und den Beweis für die Überlegenheit des Propheten. […] Und jetzt? Was geschah, wenn all seine Anstrengungen ins Leere liefen?“ (S. 742)

„Versöhnung der beiden Religionen“ = „Beweis für die Überlegenheit des Propheten“. Wenn ich beweisen will, dass meine Religion die einzig richtige ist, sage ich es wenigstens.

Hernandos Mitverschwörer sind von den Bleiplatten begeistert und planen, sie zusammen mit weiteren „antiken Reliquien“ zu verstecken und finden zu lassen. Hernando ist erschöpft, zweifelt am Sinn der ganzen Unternehmung, und reitet bald nach Córdoba zurück. Dort angekommen besucht er die Mezquita/Kathedrale und beim Anblick der nur übertünchten islamischen Inschriften im Inneren kommt ihm der folgende ermutigende Gedanke: „Nun, beim Beten, wurde ihm alles klar, als wollte Gott seine Hingabe belohnen: Die Wahrheit, die Offenbarung, war hier in den edlen, harten Marmor gemeißelt und lag unter einem simplen Gipsputz, der bei der leichtesten Berührung zerfiel! […] Die Macht Gottes erreichte die Gläubigen unmittelbar, anders als bei den Christen, die stets auf die Sicherheit fester Fundamente angewiesen waren. Die Kraft des göttlichen Willens berührte auch so einfache Gläubige wie ihn!“ (S. 750f.) Den Punkt mit den festen Fundamenten finde ich… interessant. Was genau ist damit gemeint? Ist Hernando davon überzeugt, dass man die Wahrheit nicht durch äußere Beweise kennenlernt, sondern dass ein reines Gefühl, eine innerliche Überzeugung genügt? Klingt sehr mormonisch. Aber es gibt ja durchaus einige Ähnlichkeiten zwischen Mormonentum und Islam.

In Granada werden unterdessen die vorher versteckten Bleiplatten und „Reliquien“ in einer Höhle auf einem Berg nahe der Stadt entdeckt. Die Kirche erhält den Fund, der Erzbischof beschließt, ihn näher untersuchen zu lassen, und „[g]anz Granada fiel in einen einzigen religiösen Freudentaumel“ (S. 752) über die Reliquien, vor allem über die angeblich vom Stadtpatron Caecilius stammenden Knochen. (Darf ich noch mal erwähnen, wie abstoßend ich Hernandos Leichenschänderei finde?)

Zurück zum einsamen Hernando in Córdoba, und zu seinem verkrüppelten jungen Diener Miguel, der inzwischen neunzehn Jahre alt ist. Der hat, während Hernando mit seinen Fälschungen beschäftigt war, das sechzehnjährige Nachbarsmädchen Rafaela kennengelernt, das mangels Mitgift in ein Kloster gesteckt werden soll. Miguel spricht schließlich seinen Herrn auf sie an:

 „‚Sie heißt Rafaela’, begann Miguel. ‚Sie ist verzweifelt, Senor. Ihr Vater, der Jurado, will sie ins Kloster stecken.’

 Hernando zuckte die Achseln.

 ‚Viele Töchter von Christen werden Nonnen.’

 ‚Aber sie will das nicht’, erwiderte Miguel. ‚Der Jurado möchte dem Kloster kein Geld geben, und das bedeutet, dass sie dort nur die Dienerin einer reichen Nonne sein wird.’ [In den strengen spanischen Klöstern des 16. Jahrhunderts? War die Klosterreform wohl weniger erfolgreich, als ich gedacht hatte.]

 ‚Was habe ich damit zu tun? Ich sehe keine Möglichkeit…’

 ‚Du kannst sie heiraten!’, schlug Miguel vor, ohne ihn anzusehen.

 ‚Wie bitte?’ Hernando wusste nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Doch als er bemerkte, dass Miguel mit den Tränen kämpfte, entschied er sich für keines von beidem.

 ‚Doch, das ist eine gute Lösung, Senor! Du bist einsam, und sie muss heiraten, wenn sie nicht in ein Kloster gesperrt werden will… Damit wäre allen geholfen.’“ (S. 753)

Hernando ist zuerst sehr skeptisch gegenüber diesem Vorschlag, nicht zuletzt, weil er bemerkt, dass Miguel selbst etwas für Rafaela empfindet, die er nicht haben kann. Schließlich erklärt er sich jedoch zu einem kurzen Treffen mit ihr bereit und entscheidet sich dann auf Miguels eindringliche Bitten doch, sie zu heiraten. Rafaela wird dabei als ein schüchternes, ernstes, verletzliches Mädchen gezeigt, das bereits vor ihrem Kennenlernen große Bewunderung für Hernando hegt, da Miguel ihr in den vergangenen Wochen Heldengeschichten von seinem Herrn erzählt hat, damit sie ihn mag. Sie ist Hernando dankbar für das, was er für sie tun will, und man merkt auch, dass sie unglücklich ist und in ihrer Familie oft zurückgesetzt wurde.

Hernando stimmt der Heirat auch aufgrund seiner Einsamkeit zu; er hofft darauf, wieder eine Familie, wieder Kinder zu haben. Zuerst muss nur noch Rafaelas Vater dazu überredet werden, seine Tochter ausgerechnet einem Morisken zu überlassen; das sorgt allerdings für keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, da Miguel beobachtet hat, dass der korrupte Jurado, der dafür zuständig ist, die Findelkinder der Stadt an Ammen zu vermitteln, gegen eine gewisse Bezahlung duldet, dass diese tagsüber an Bettlerinnen verliehen werden, die die Kinder hungern und somit dünn aussehen lassen, um mit ihnen Mitleid zu erregen. Hernando droht Rafaelas Vater also, wenn er nicht erstens mit diesem Geschäft aufhören und Hernando nicht zweitens seine Tochter als Ehefrau überlassen würde, würde er ihn an die Behörden verraten. Der Jurado ist wütend, muss sich der Erpressung aber beugen und befiehlt seiner Tochter (er weiß nichts von der schon heimlich bestehenden Abmachung mit ihr), den Morisken von nebenan zu heiraten. Aus irgendeinem Grund stellt Rafaela sich vor ihrem Vater so, als würde sie das nicht wollen, lässt sich dann aber doch dazu „überreden“. Die Hochzeit findet statt und Rafaela ist vor dem Kloster bewahrt. Miguel beschließt dann, auf Hernandos Hof außerhalb von Córdoba zu ziehen und sich dort um die Pferdezucht zu kümmern. Blöde Geschichte, alles in allem. Hätte es nicht einen Weg gegeben, dass Rafaela und Miguel hätten zusammenkommen können?

Ich muss zugeben, dass ich mich mit Rafaela nicht so recht identifizieren kann. Ich weiß ja nicht, ob ich eine Ehe im 16. Jahrhundert (mit der Aussicht auf ein rundes Dutzend Schwangerschaften ohne Vomex oder PDA, dafür eventuell mit plötzlichem Kindstod oder Kindbettfieber hinterher) einem ruhigen, geordneten, sorgenfreien Klosterleben vorgezogen hätte – insbesondere eine Ehe mit einem 25 Jahre älteren Fremden. Aber gut; es wird deutlich, dass Rafaela sich eine eigene Familie, eigene Kinder wünscht, da ist das Klosterleben wohl nichts für sie.

File:Adan En son honneur.jpg
(Émile Adan, En son honneur (Zu seiner Ehre), vor 1900, Wikimedia Commons)

Dennoch erscheint die Situation hier grundsätzlich unlogisch: Wenn Rafaela, wie sie es befürchtet, nur als Dienerin ins Kloster gekommen wäre, statt als Nonne, hätte sie doch in etwa dieselbe Stellung gehabt wie die Kammerzofe einer Adligen – sprich, sie hätte arbeiten müssen, wäre versorgt gewesen, und hätte kündigen können, wenn sie einen netten jungen Mann kennengelernt hätte, der bereit gewesen wäre, sie ohne Mitgift zu heiraten, wie Hernando es jetzt tut. Und selbst als Nonne hätte sie noch nicht gleich die ewigen Gelübde abgelegt. Es besteht also nicht zwangsläufig die Notwendigkeit, so schnell wie möglich irgendeinen Ehemann als Ausweg zu finden.

Es ist auch interessant, zu beobachten, mit welchen Formulierungen hier über das Schicksal geredet wird, das für sie vorgesehen ist: „Wenn du Rafaela nicht […] vor dem Kloster bewahrst“ (S. 762) „wenn sie nicht in ein Kloster gesperrt werden will“ (S. 753) – das Kloster als finsteres, seine Insassen jeder Freiheit beraubendes Gefängnis hinter hohen Mauern (in dem die Nonnen dem Zweck, den die Natur für sie vorgesehen hat vorenthalten werden); hier werden die alten Klischees wieder aufgebrüht, die die Streitschriften der Reformation, der Aufklärung und der Kulturkampfzeit massenweise verbreitet haben.

File:Paul Hoecker-Nonne im Laubgang-1897.jpg
(Paul Hoecker, Nonne im Laubgang von Dachau, 1897, Wikimedia Commons)

Egal. Weiter im Text. Hernando ist ein rücksichtsvoller Ehemann und lässt sich Zeit damit, die Ehe zu vollziehen; in den nächsten Jahren bekommen die beiden dann mehrere Kinder, von denen eins im Kleinkindalter stirbt. Die Eheleute entwickeln Zuneigung füreinander, und vor allem die Kinder schweißen sie zusammen. Von ihrer eigenen Familie hat Rafaela sich inzwischen losgesagt.

Auf der politischen Bühne: In Granada werden die Reliquien verehrt und die Schriften unter Verschluss gehalten und die arabischen Texte darunter werden im Auftrag des Erzbischofs von Luna und Castillo übersetzt. Rom verlangt die Platten ebenfalls, um die Authentizität selbst zu prüfen, was der Bischof allerdings verweigert. In ganz Spanien kursieren radikale Ideen von Gegnern der Morisken – man solle sie alle umbringen oder kastrieren lassen –, diese werden aber erst einmal nicht in die Tat umgesetzt. Die Morisken tragen sich wieder einmal mit Aufstandsgedanken, und wollen sich wieder einmal ausländische Unterstützung holen, diesmal auch bei den Engländern und Franzosen. Hernando nimmt schließlich zusammen mit Munir, dem Gelehrten aus Jarafuel, an einem konspirativen Treffen in einem Wald in Valencia teil, bei dem der Aufstand beschlossen und ein neuer König gewählt wird; er ist alles andere als begeistert von den Plänen, aber natürlich hat niemand die Geduld, sich seine friedlichen Alternativvorschläge (wie zum Beispiel, dem Sultan endlich das Barnabas-Evangelium zu schicken) anzuhören. Hernando zweifelt daran, ob ein neuer Krieg Erfolg haben wird, und sieht nur noch mehr Tod und Gewalt auf sein Volk zukommen. Falcones macht seine Message mehr als deutlich: Gewalt ist keine Lösung! Aber, wie gesagt, das will sich niemand anhören.

An diesem nächtlichen Treffen nehmen nicht nur spanische Morisken und ein französischer Gesandter teil, sondern auch Männer aus den Barbareskenstaaten – und ein paar davon zerren Hernando plötzlich zwischen die Bäume und zwei von ihnen geben sich als Abdul bzw. Francisco (Hernandos Sohn) und Shamir (Hernandos jüngster Halbbruder) zu erkennen. Hernando ist überwältigt davon, zu erfahren, dass sie noch am Leben sind; die beiden wollen sich allerdings seine Erklärungen dafür, dass er ihnen nie zu Hilfe gekommen ist, nicht anhören, und ihn stattdessen einfach umbringen. Munir, der zu Hilfe geeilt kommt, kann sie davon abhalten, indem er auf seine Autorität verweist („Nach unseren Gesetzen bekleide ich hier den zweithöchsten Rang und kann in Rechtsangelegenheiten urteilen“, S. 803) – auch ihm hören sie jedoch nicht zu, als er versucht, ihnen zu beweisen, dass Hernando ein treuer Muslim sei.

Shamir und Abdul sind Korsaren, wie sie im Buche stehen; man könnte auch sagen, dass sie an IS- oder Taliban-Kämpfer erinnern. Sie schreien Hernando an, beleidigen ihn als Feigling, Hund und Verräter und spucken ihm vor die Füße; Gewalt ist ihr Alltag. „Er [Munir] verstand, dass sie daran gewohnt waren, über Leben und Tod von Menschen zu entscheiden.’“ (S. 803) Mehr noch als ihre – aus ihrer Sicht irgendwo begreifliche – Rachsucht gegenüber ihrem Vater bzw. Halbbruder erschreckt vielleicht ihre allgemeine gleichgültige Grausamkeit („Ach, Tausende solcher wertloser Christen tummeln sich in den Verliesen von Tetuan.“, Shamir, ebenfalls auf S. 803). Schließlich verschwinden sie jedoch – und Abdul schwört zuletzt „bei Allah“ (S. 804), dass er Hernando töten würde, wenn der ihm noch einmal über den Weg liefe. Zurück in Tetuan erzählen die beiden Fatima von der Begegnung. Die hört heraus, dass ihr Mann nicht von seinem Glauben abgefallen ist, wie sie gedacht hat; aber die beiden jungen Männer schwören ihr, dass sie Hernando umbringen werden und sperren sie von da an in ihrem Palast ein, damit sie nicht versuchen kann, Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Den Aufstandsplänen kommt wieder einmal etwas in die Quere; diesmal der Tod Elizabeths I. von England (1603). Ihr Nachfolger will mit den Spaniern Frieden schließen und lässt ihnen daher Dokumente aus den Akten der verstorbenen Königin zukommen, aus denen die Aufstandspläne in Valencia hervorgehen. Diese werden vereitelt und zahlreiche Morisken hingerichtet.

Hernando, der zurück in Córdoba ist, versucht erfolglos, einen Brief an Fatima zu schicken; dafür gelingt es ihr allerdings, den jüdischen Händler Ephraim nach Spanien zu senden. Ephraim spricht mit Hernando über die Vergangenheit und erklärt ihm auch, dass Fatima wisse, und Verständnis dafür habe, dass Hernando wieder geheiratet hat. Hernando söhnt sich mit der Situation aus; allerdings nimmt er von dieser Zeit an seinen eigenen Glauben und die Unterweisung seiner Kinder in diesen Glauben ernster als zuvor, kurz, seine Identität als Muslim wird ihm wieder wichtiger. Rafaela ist zunächst nicht begeistert, aber zu einem ernsten Konflikt kommt es nicht, denn schließlich war eine gewissermaßen interreligiöse Erziehung schon ausgemacht:

 „‚Du hast es gewusst’, sagte er schließlich. ‚Miguel hat es dir vor unserer Heirat gesagt. Er hat dir gesagt, dass ich ein gläubiger Muslim bin.’ Rafaela nickte. ‚Also hast du bei der Hochzeit gewusst, dass wir unsere Kinder nach den Traditionen beider Kulturen und in beiden Religionen erziehen werden. Ich verlange ja nicht von dir, dass du meinen Glauben teilst, aber meine Kinder…’

 ‚Unsere Kinder’, sagte sie schnell.

 Rafaela griff nicht mehr in den Unterricht der Kinder ein. Doch abends vor dem Schlafengehen betete sie wie immer mit ihnen, und Hernando ließ sie gewähren.“ (S. 822)

Die Aussage, „dass wir unsere Kinder nach den Traditionen beider Kulturen und in beiden Religionen erziehen werden“ klingt nicht unbedingt nach etwas, das jemand im frühen 17. Jahrhundert gesagt hätte, sondern eher wie aus einem modernen Ratgeber entnommen. Hier fragt man sich natürlich: Wie war es denn in echt bei solchen Ehen, damals? Miguel sagt an einer Stelle, als er Hernando zu der Eheschließung überreden will: „In Córdoba gibt es viele Ehen zwischen Morisken und Christinnen.“ (S. 762) Nun gelten im Islam Kinder eines muslimischen Elternteils automatisch als Muslime; was es schwer vorstellbar macht, dass ein realer mit einer Christin verheirateter Moriske dieser Zeit ergebnisoffen abgewartet hätte, für welche Religion seine Kinder sich entschieden hätten.

Nicht, dass Hernando das hier täte; ab diesem Zeitpunkt zumindest hat er bei der Erziehung der Kinder die Hosen an. Beispielsweise befiehlt er nach der Geburt seines vierten Kindes einfach, dass die Kinder zu Hause von jetzt an mit arabischen Namen angeredet werden: „‚Er wird Muqla heißen, zu Ehren des großen Kalligraphen’, verkündete Hernando seiner Frau und Miguel noch am Tag der Taufe […]. ‚Zu Hause müsst ihr ihn so nennen.’ Rafaela sah zu Boden und nickte.“ (S. 821) Rafaela, das mit dieser Ehe hättest du dir zweimal überlegen sollen. Die beiden älteren Kinder – das dritte ist ja gestorben – heißen jetzt Amin und Laila.

Mit den Bleiplatten geht gar nichts voran. Bei Hernandos nächstem Besuch in Granada:

 „‚Es ist sinnlos, dem Sultan jetzt das Barnabas-Evangeliu zukommen zu lassen’, meinte Don Pedro. ‚Die Kirche muss vorher unbedingt noch die Echtheit der Bücher anerkennen. […]’ […]

 ‚Der Erzbischof’, erläuterte diesmal Luna, ‚lässt niemanden die Platten sehen. Obwohl er selbst kein Arabisch kann, beaufsichtigt er höchstpersönlich ihre Übersetzung, und wenn ihm etwas nicht passt, veranlasst er einfach entsprechende Korrekturen oder sucht sich einen anderen Übersetzer. Ich habe es selbst erlebt. Sowohl der Heilige Stuhl als auch der König fordern, dass er die Bücher freigibt, aber er weigert sich. Er behält sie für sich, als wären sie sein Eigentum.’“ (S. 829)

Im Nachwort erklärt der Autor, dass die Bleibücher und das zuvor entdeckte Pergament aus der Torre Turpiana schließlich 1682 von Rom als Fälschungen beurteilt wurden, während man sich zur Authentizität der Reliquien, die das Erzbistum von Granada anerkannt hatte, nicht äußerte.

Hernando und Rafaela bekommen noch zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und jetzt sind wir im Jahr 1608 angekommen. Die Hardliner gegen die Morisken haben sich in gewisser Weise durchgesetzt und das erste der spanischen Königreiche, Valencia, ordnet ihre Ausweisung an. Es wird erwartet, dass die übrigen Teilreiche, darunter Andalusien, wo Córdoba liegt, bald folgen werden. Rafaela ist verzweifelt, als sie davon hört, und spricht ihren Mann darauf an: „‚Ich habe auf dem Markt gehört, dass der König Sonderregelungen für Mischehen von Altchristen und Neuchristen getroffen hat.’ Hernando rutschte auf seinem Stuhl weiter nach vorn. Davon wusste er nichts. ‚Moriskinnen, die mit Altchristen verheiratet sind, dürfen in Spanien bleiben, und auch ihre Kinder. Aber die Morisken, deren Frauen Altchristinnen sind, müssen Spanien verlassen… und ihre Kinder mitnehmen, die älter als sechs Jahre sind. Die jüngeren Kinder bleiben hier, bei ihren Müttern.’ Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme.“ (S.  836) Kurz gesagt, der spanische König ist entschlossen, alle Neuchristen, die insgeheim muslimischen Glaubens sind, loszuwerden. Für die ersten ausgewiesenen Morisken geht die Sache alles andere als gut aus: In Algier etwa stehen sie bloß mittellos da, da sie keinen wertvollen Besitz aus Spanien mitnehmen durften, aber anderswo in Nordafrika bringen die Berber die neu angekommenen Morisken einfach um, weil diese in Spanien die Taufe angenommen haben.

Hernando macht einen verzweifelten Versuch, von der Ausweisung verschont zu bleiben, und legt auf das Anraten seiner Freunde aus Granada am dortigen Gericht einen Antrag auf die Zuerkennung eines Adelstitels ein. Man könne sich heutzutage alles erkaufen, auch einen Adelsbrief, erklärt Don Pedro ihm. Für einen Adelstitel war an sich der Nachweis christlicher Vorfahren erforderlich, weshalb Hernando dann als Altchrist zählen würde und nicht von der Ausweisung betroffen wäre. Aber es kommt, wie es kommen muss: Der Richter, der über den Antrag entscheidet, ist niemand anderer als Don Ponce de Hervás, Isabels Ehemann, der seine Chance gekommen sieht, sich an dem früheren Liebhaber seiner Frau zu rächen, und den Antrag ablehnt. In der Urteilsschrift, die Hernando nach Córdoba übermittelt wird, wird auch der Bericht, den er vor Jahren für den Erzbischof von Granada verfasst und in dem er die Taten der Morisken im Alpujarras-Krieg relativiert hat, als „ein Beweis für seine Zugehörigkeit zu Mohammeds Sekte“ (S. 841f.) angeführt.

Schließlich wird die Ausweisung der andalusischen Morisken angeordnet. Sie sollen nach Sevilla gebracht werden und dort in See stechen. Hernando, Amin und Laila müssen gehen; Rafaela mit den drei jüngeren Kindern – Muqla, Musa und Salma – zurückbleiben. Hernando versteckt vor dem Aufbruch noch eine Abschrift des Korans in der Mezquita – im heiligsten Teil der ehemaligen Moschee, wo sich jetzt ein Grabmal befindet – und bittet Rafaela, Muqla später einmal das Versteck zu zeigen. Sie willigt ein, und der Tag der Abreise kommt. Hernando und die beiden älteren Kinder müssen mit den übrigen Morisken der Stadt Richtung Sevilla ziehen. Miguel begleitet sie.

Unterdessen in Tetuan: Fatima hat erfahren, dass Shamir und Abdul bei einer ihrer Kaperfahrten entweder gefangen genommen oder getötet worden sind; sie spürt Trauer, aber keine allzu tiefe.

Ich muss sagen, Shamir und Abdul tun mir sehr leid; ich habe ja schon mal erwähnt, dass Gonzalico und Don Alfonso meine Lieblingsfiguren in dieser Geschichte sind, aber ich denke, ich füge Shamir und Abdul noch hinzu. An einer Stelle zuvor wird gesagt, dass Fatima „in Shamirs wilden Drohungen“ (S. 804) seinen Vater Ibrahim wieder erkennt; aber Shamir hat auch all die Jahre über zu seinem Kindheitsgefährten Abdul gehalten und sich nicht von Ibrahim vereinnahmen lassen, der ihn als seinen Sohn und Erben bevorzugt und Hernandos Kinder schlecht behandelt hat. Die beiden tun das, woran sie gewohnt sind, weil man sie daran gewöhnt hat, morden, versklaven und rauben, aber sie kennen gleichzeitig einander gegenüber auch Freundschaft und Treue; kurz gesagt, sie sind tragische Figuren, vor allem, wenn man sie mit den Kindern vergleicht, die sie einmal waren, und ich finde es mehr als schade, dass man nicht erfährt, was genau mit ihnen passiert ist. Zu einigen Nebenfiguren könnte Falcones deutlich mehr schreiben, z. B. auch zu Hernandos anderen Halbgeschwistern, zu Isabel, zu Hernandos Tochter Inés/Maryam, oder Fatimas zwei Töchtern mit Ibrahim, deren Existenz nur ein einziges Mal erwähnt wird.

Fatima hat außerdem von der Ausweisung der Morisken aus Andalusien erfahren, und so besorgt sie sich, nun, da sie unabhängig ist und über eine Menge Geld verfügt, ein Schiff und macht sich auf Richtung Sevilla. Da ist sie allerdings nicht die einzige; auch Rafaela entscheidet sich in ihrer Verzweiflung, zusammen mit den Kindern ihrem Mann hinterher zu ziehen. Sie reiht sich unter eine Gruppe von Morisken ein und gelangt auf das bewachte Gelände am Hafen von Sevilla, wo tausende von Menschen, die auf die Schiffe warten, gesammelt werden.

Fatima findet Hernando auf diesem Gelände zuerst. Sie ist voll Wiedersehensfreude, Hernando ist überwältigt, Amin und Laila erschrocken. Fatima will, dass die drei auf ihr Schiff kommen und mit ihr nach Konstantinopel fahren. (Sie will nicht mehr in Tetuan leben.) Doch da erscheint auch Rafaela, die entsetzt ist, zu erfahren, dass Hernandos erste Frau noch am Leben ist – und dass er bereits vorher davon erfahren hat.

„Hernando ging zu Rafaela. Was sollte er ihr sagen? Was sollte er tun?

 ‚Rafaela, ich…’, begann er schließlich.

 ‚Sie  kann auch mitkommen’, unterbrach ihn Fatima mit kräftiger Stimme. Was hatte diese Christin hier zu suchen? Fatima war keineswegs bereit, ihre Hoffnungen aufzugeben, selbst wenn das mit sich brachte, dass…

 […]

 ‚Hernando’, Rafaelas Tonfall klang hart. ‚Ich habe dir mein Leben gewidmet. Ich… ich bin bereit, auf die Glaubensgrundsätze meiner Kirche zu verzichten und deinen Glauben an Maria zu teilen und das Schicksal, das sie für dich bereithält, aber niemals’, murmelte sie, ‚hast du mich verstanden: Niemals werde ich dich mit einer anderen Frau teilen.’“ (S. 882f.)

Hernando entscheidet sich für Rafaela. Er übergibt seiner ersten Frau noch die Fatimahand, die ihr einmal gehört hat, und das Manuskript des Barnabas-Evangeliums, das er heimlich bei sich getragen hat, und bittet sie, Letzteres dem Sultan zu überbringen. Fatima fährt ab.

Tja. Was soll man dazu nun sagen? Fatima ist Hernandos erste Frau, und dass er sie für tot gehalten hat, macht die Tatsache, dass sie nicht tot und dass sie seine Frau ist, nicht ungeschehen. Sicher, Hernando glaubt als Muslim an sich an die Erlaubtheit der Polygamie, aber Rafaela tut das schließlich nicht, und… na ja, muss ihr nicht bewusst sein, dass ihr Mann eigentlich nicht ihr Mann sein kann, solange da schon eine andere Frau ist, die noch lebt? So löblich es ist, dass sie ihrem Mann mal eine klare Ansage macht, es ist nicht einfach eine Frage von „Entscheide dich, welche von uns zwei du haben willst“.

Keine schöne Situation, alles in allem.

Hernando, Rafaela und ihren Kindern gelingt es dann, aus dem bewachten Gelände zu entkommen, und sie flüchten zusammen mit Miguel Richtung Granada. Die Familie versteckt sich zunächst in einem verlassenen Dorf im nahen Gebirge – den Alpujarras, wo Hernando aufgewachsen ist –, während Miguel zu Hernandos Freunden in Granada geht, um sie um Hilfe zu bitten. Eines Nachts gräbt Hernando zusammen mit seinen Söhnen Hamids alten Säbel aus, der angeblich Mohammed gehört haben soll, und den Hernando nach dem Alpujarras-Krieg in den Bergen vergraben hat.

Don Pedro verschafft ihnen schließlich gefälschte Papiere, die sie als Altchristen ausweisen, und lässt sie auf sein Lehen ziehen. Am Ende ihres kurzen Treffens fragt Hernando ihn noch nach den Bleibüchern. Don Pedros Fazit: „Wir sind gescheitert.“ (S. 898) Und: „Selbst wenn es uns gelingen würde und der Sultan oder ein anderer König der Araber das Barnabas-Evangelium bekanntmachen würde, in Spanien leben keine Muslime mehr. Es wäre bedeutungslos.“ (Ebd.)

Weiter heißt es: „Hernando wollte widersprechen, doch er hielt sich zurück. War es für Don Pedro nicht mehr wichtig, dass die Wahrheit ans Licht kam, ganz unabhängig von den Morisken in Spanien?“ Doch, das mit der Wahrheit steht da wirklich.

Nach dieser Szene kommt nur noch der Epilog, der zwei Jahre später spielt. Diesmal kommt Don Pedro zusammen mit einem Franzosen mit einer noch besseren Nachricht zu Hernandos Familie, genauer mit zwei: Erstens, der König gewährt ihnen offiziell eine Ausnahme von dem Ausweisungserlass und sie erhalten ihren Besitz in Córdoba zurück (Falcones informiert die Leser, dass es mehrere Fälle von solchen „Härtefall“-Ausnahmen gab), zweitens, der Franzose bringt einen Brief vom Sultan an Hernando. Darin heißt es u. a.:

„Es ist mein ausdrücklicher Wunsch und der aller Muslime, dass du weiterhin in den Mauern der bedeutendsten Moschee im Westen den Schöpfer ohnegleichen lobst und preist. Auch wenn es nur im Verborgenen geschehen kann, wünsche ich mir, dass dort weiterhin aus deinem Munde die ewigen Gebete zum einzigen Gott zu hören sein mögen, und wenn du nicht mehr bist, sollen deine Söhne und die Söhne deiner Söhne diese Aufgabe übernehmen. […]

 Unsere Religionsgelehrten halten es für unerlässlich, das Original des Evangeliums zu finden, welches der Kopist zu Zeiten al-Mansurs versteckt haben will. Sei es der Wille Gottes, dass wir es eines Tages entdecken! Wir würden alles dafür geben, denn eine Kopie werden die Christen niemals anerkennen.

 Deine Gattin übermittelt dir alle Glückwünsche, und sie ermutigt dich, den Kampf fortzusetzen, den ihr gemeinsam begonnen habt. Wir werden sie behüten, bis der Tod euch einst wieder vereint.“ (S. 907f.)

Immerhin eine originelle Lösung für die Sache mit dem Barnabas-Evangelium.

Hernando ist erleichtert, und das Buch endet damit, wie er hoffnungsvoll seine glückliche Familie betrachtet.

Was kann man jetzt abschließend dazu sagen?

Das Ende ist wenig befriedigend. Falcones erzählt die Geschichte eines Mannes, der zu moralisch fragwürdigen Methoden (Betrug, Leichenraub) greift, um für sein Volk eine bessere Zukunft zu schaffen, und damit keinen Erfolg hat. Nicht, dass vordergründige Erfolglosigkeit immer schlimm wäre; eins meiner Lieblingsbücher endet mit dem Martyrium der Hauptfigur, und dass, ohne dass er zuvor nach außen hin viel erreicht hätte. Aber das christliche Martyrium ist ja nicht schlimm; das genaue Gegenteil ist der Fall. Hier hat Hernandos zentralstes Streben keine Früchte getragen, und die allermeisten seiner Glaubensgenossen mussten Spanien verlassen.

Aber vielleicht tue ich Falcones hier ja Unrecht. Vielleicht will er nur darstellen, dass man mit Lügen und anderen falschen Mitteln am Ende nichts Gutes bewirken kann.

Die Bemühungen des Autors, Hernando irgendwo zwischen Christentum und Islam stehen zu lassen, wirken mal mehr, mal weniger gekünstelt. Dass er im Alpujarras-Krieg zwei Christen rettet, später fälschlich als Apostat gilt und noch später eine Christin heiratet – okay. Aber dass Falcones ihn auch schon deshalb als zwischen den Religionen stehend präsentieren will, weil sein Vater ein katholischer Priester war, ist doch ein bisschen bemüht; dass seine Mutter von diesem Priester vergewaltigt wurde, lässt Hernando schließlich keine Sympathie für das Christentum empfinden; wieso sollte er sich also als Junge in seiner Identität unsicher sein? Aber okay, dass die anderen Morisken ihn deshalb schief ansahen, kann man sich vorstellen; Kindern, die z. B. gegen Ende des 2. Weltkriegs durch Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten entstanden waren, ging es in Deutschland und Österreich ja häufig ähnlich. (Ich gehe davon aus, dass das auch für andere historische Beispiele gilt, kenne mich damit konkret aber nicht aus.)

Und das führt mich auch schon zu zwei weiteren Dingen:

Erstens: Dass Hernando trotz leichter synkretistischer Tendenzen Muslim und nichts anderes ist, ist das ganze Buch über klar. Er will kein Mischmasch zu gleichen Teilen aus den zwei Religionen herstellen (nicht, dass ich das empfehlen würde… *schüttel*), er will einfach beweisen, dass die islamische Lehre, und dazu gehört zufällig eine Lehre über die ursprünglich christlichen Gestalten Jesus und Maria, die richtige, die überlegene ist. „Versöhnung der Religionen“ bedeutet für ihn „Durchsetzung des Islam“ – und das auch in seiner eigenen Familie. Ist ja okay, wenn er als Muslim das so sieht. Das würde ich gar nicht anders erwarten, nur sollte er bzw. sein Erfinder uns nicht was anderes vorzumachen versuchen.

An dieser Stelle sollte man neben dem Verwirrspiel um das Barnabas-Evangelium, das der Autor als ältere Schrift darstellt, während es in Wahrheit etwa in derselben Zeit wie Hernandos Fälschungen entstanden ist (was im Nachwort nur mit einer sehr vagen Formulierung richtiggestellt wird), auch die Beschönigung der muslimischen Herrschaft über Spanien erwähnen. Immer wieder vermittelt Falcones den Eindruck, dass die maurische Zeit deutlich besser als die Epoche nach der Reconquista gewesen wäre, weil, äh… schöne Säulen… und Minarette… und Bücher über Kalligraphie und… Kulturzeugs… Alles in allem wird dem Leser nahe gelegt, zu denken, Okay, die Muslime haben schon auch ihre Fehler, aber es wäre vermutlich besser, wenn die herrschen würden als diese inquisitorischen Christen. Immerhin wird auch Tetuan näher gezeigt, das diesem Eindruck für mich sehr effektiv entgegenarbeitet.

Manchmal jedenfalls muss ich bei diesem Buch an die geniale Zeile aus G. K. Chestertons Ballade „Lepanto“ denken, die er Mohammed in den Mund legt:

„Put down your feet upon him, that our peace be on the earth.“

Gut, dass die Spanier nach 711 diese Art von Frieden nicht akzeptieren wollten.

File:15th century depiction of Battle of Teba 1330.jpg
(Darstellung einer Schlacht der Reconquista (Schlacht von Teba, 1330), 15. Jahrhundert, Wikimedia Commons)

Zweitens: Ach ja, und dann der vergewaltigende Priester. „Die Pfeiler des Glaubens“ kommt wie so gut wie alle Romane über Kirchengeschichte nicht ohne eine gewisse Dosis Antiklerikalismus aus. Ausnahmslos alle Priester, die nur nebenbei auftauchen, wirken kalt, unfreundlich und fanatisch. Sie sagen Dinge wie „Ketzer! Wir müssen ihn bei der Inquisition anklagen“ (S. 241), „Ich kann leider weder Reue noch Bußfertigkeit erkennen“ (wozu „bösartig“ gelächelt wird, S. 248), „Der Verfolgung der Ketzerei und der Verteidigung der Christenheit ist jedwede andere Tätigkeit unterzuordnen!“ (S. 441) „Vermaledeiter Ketzer!“ (S. 444) „Warum bittest du nicht deinen falschen Propheten um Hilfe?“ (S. 848) „Gottverdammte Ketzer!“ (ebd.; Verstoß gegen das zweite Gebot!) Für eine etwas wichtigere Figur, Don Martin, den Pfarrer aus Hernandos Heimatdorf, gilt genau dasselbe; sogar während der Wandlung (!) dreht der sich bei der Sonntagsmesse um, um seine unruhigen Pfarrkinder zu beschimpfen („‚Hunde!’, schrie er. ‚Haltet den Mund, ihr Häretiker! […]’“ (S. 16)). Der junge Sakristan in Juviles wirkt ein wenig freundlicher, ist nach dem Krieg aber ebenfalls sehr feindlich gegenüber den Morisken gesonnen. Ein weiterer, ein wenig anders dargestellter Priester in diesem Buch ist Don Álvaro, ein Pfarrer aus Córdoba, der Hernandos Familie, als der noch mit Fatima, Francisco, Inés, Aischa, Shamir und Hamid zusammenlebt, regelmäßig die bei Neuchristen vorgeschriebenen Besuche abstattet. Der passt zwar nicht so sehr ins Bild des asketischen Fanatikers, dafür aber ganz gut in das des „Wasser predigenden, Wein trinkenden“ Geistlichen (wer übrigens meint, unsere Religion würde Wasser predigen und Wein verbieten, sollte 1 Timotheus 5,23 oder Johannes 2,1-12 konsultieren, aber ich schweife ab). Er lässt sich ausgiebig mit Wein und Gebäck bewirten und ist dann zufrieden, wenn er die Kinder ein wenig Glaubenswissen abgefragt hat und sich bei Hernando noch über „die Lutheraner und ihre Angriffe auf den Lebenswandel des katholischen Klerus“ (S. 427) auslassen kann. Impliziert wird natürlich, dass getroffene Hunde bellen und sich an Don Álvaro etwas findet, das die Lutheraner kritisieren könnten. Auch an anderen Stellen redet Falcones ja z. B. allgemein davon, wie viele Priester den Zölibat nicht halten würden o. Ä.

File:Die Gartenlaube (1874) b 151.jpg
(„Am Beichstuhl“, Karikatur aus der antikatholischen Zeitschrift „Die Gartenlaube“, 1874, Wikimedia Commons)

Sagen wir’s so: Der Autor sollte halt mal Priester kennenlernen.

Wie wäre es z. B. mal mit solchen Priester-Figuren:

Der junge Kaplan Manuel kommt frisch aus dem Priesterseminar, hat die Texte des Trienter Konzils und diverse gegenreformatorische Schriften dort begeistert studiert, ist ein glühender Marienverehrer, hat schon mehrere Petitionen für die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis unterschrieben, gibt sich große Mühe, bei seinen neuen Aufgaben alles richtig zu machen, und predigt stets in ausgesprochen ergriffenem Ton, der den Gemeindemitgliedern übertrieben vorkommt. Allerdings gerät er öfter mal in Streit mit seinem Vorgesetzten Don Jerónimo, der für den Enthusiasmus der Jugend nicht viel übrig hat, für neue theologische Ideen auch nichts, und der es ganz und gar nicht leiden kann, wenn er den Eindruck hat, ein junger Priester protze mit seiner Bildung aus dem Seminar. Don Jerónimo ist schon älter und sein Rücken macht ihm Probleme und sein Magen auch, aber er gibt sich Mühe, die Alten und Kranken der Pfarrei häufig zu besuchen, und er predigt oft ernst über die Sterblichkeit allen Fleisches und die Vorbereitung auf einen guten Tod. Dann wäre da Don Felipe, der Pfarrer aus der Nachbarpfarrei, der stottert und deshalb das Predigen nicht leiden kann, und der jeden Abend an seinem Schreibpult sitzt und an einem Werk über die sieben Sakramente arbeitet. Allerdings ist er nie zufrieden damit, wie er seine Gedanken zu Papier gebracht hat, schämt sich halb für seine Entwürfe, und träumt gleichzeitig insgeheim davon, einmal als großer Theologe anerkannt zu werden. Das beichtet er ab und zu als eine Sünde der Eitelkeit. Don Gil, der mit Manuel im Priesterseminar war, sollte den Priesterberuf ergreifen, weil sein Vater, ein niederer Adliger, das für seinen vierten Sohn so vorgesehen hatte; er hatte auch nicht direkt was dagegen, allerdings hatte er schon so seine liebe Mühe mit dem Latein und den anderen Fächern, und es wäre ihm schon lieber gewesen, zur Jagd zu reiten und Pferde zu züchten, als Messen zu lesen – aber da kann man eben nichts machen, und jetzt hat er halt seine Aufgaben als einer der vielen Priester an der Kathedrale, die er erfüllen muss, und das ist schon in Ordnung so, denn das ist ja auch eine ehrenvolle Aufgabe für den Herrgott und die Kirche und so. Das sind keine ausgeformten Figuren, und die haben schon viel mehr Persönlichkeit als irgendein Priester in „Die Pfeiler des Glaubens“.

Langer Rede, kurzer Sinn: Es kostet wirklich keine Mühe, sich ab und zu mal einen Kleriker auszudenken, der nicht ununterbrochen „Ketzer!“ keift oder Jungfrauen schändet.

File:Edouard Moyse - Inquisition - Google Art Project.jpg
(Edouard Moyse, Inquisition, nach 1872, Wikimedia Commons)

Falcones bildet eine spannende Epoche ab, und er stellt an manchen Stellen gar nicht schlecht dar, wie beide Seiten, Christen und Muslime, sich in einem Kampf befinden, den sie nicht aufgeben können. Die Christen wollen nicht wieder von den Muslimen unterdrückt werden. Die Muslime wollen sich aus der Unterdrückung durch die Christen befreien. Die Christen werden immer inquisitorischer, um herauszufinden, ob die Muslime heimlich ihren Glauben praktizieren oder sich mit ausländischen Fürsten verbünden, um Spanien zurückzuerobern. Die Muslime halten erst recht an ihrem Glauben fest und versuchen so viele Kontakte ins Ausland wie nur möglich zu knüpfen. Eine Ausweglosigkeit, gegenüber der Hernandos gefälschte arabische Heiligentexte, mit denen er eine gewaltlose Versöhnung bewirken will, hilflos und lächerlich wirken.

Vielleicht wäre die Situation, wie sie sich im späten 16. Jahrhundert darstellt, in einigen Punkten vermeidbar gewesen, wenn die christlichen Herrscher nicht bald nach der Reconquista „Taufe oder Auswanderung!“ gesagt hätten; aber natürlich waren die Morisken auch zu diesem Zeitpunkt schon genau das, für was man sie hielt: Eine Fünfte Kolonne des Feindes. Natürlich hofften sie, dass ihre Fürsten das Land zurückerobern würden, was denn sonst? So war die Situation.

Aber Falcones schreibt natürlich nicht nur über die Situation damals. An manchen Stellen erzählt er zwar einfach eine Geschichte und stellt unvollkommene Situationen dar, die eben so gewesen sein könnten, z. B. wenn es um Shamirs und Abduls Ende geht, aber insgesamt wird seine didaktische Absicht doch deutlich: Gewalt ist keine Lösung, die Religionen müssen sich versöhnen, wir glauben doch alle an den Gott Abrahams, religiöse Fanatiker sind alle so brutal, jetzt versöhnt euch doch endlich mal, ihr glaubt immerhin beide an Maria, oder? Ich habe ja nichts gegen Bücher mit einer Message, einige meiner Lieblingsbücher haben eine Message… aber gelegentlich ginge es auch weniger überdeutlich.

Alles in allem: Spannende Zeit, mittelmäßiges Buch, in dem die Nebenfiguren teilweise interessant sind und man über sie zu wenig erfährt. Nervige Begünstigung einer Verschwörungstheorie um das Barnabas-Evangelium, das von Muslimen immerhin immer noch für echt gehalten wird.

6 Gedanken zu “Die Pfeiler des Glaubens, Teil 5: Die Bleibücher vom Sacromonte, unbeabsichtigte Bigamie und ein wenig zufriedenstellendes Ende

  1. Sehr interessante Rezensionen!

    Der Absatz ist besonders toll:

    >>Der junge Kaplan Manuel kommt frisch aus dem Priesterseminar, hat die Texte des Trienter Konzils und diverse gegenreformatorische Schriften dort begeistert studiert, ist ein glühender Marienverehrer, hat schon mehrere Petitionen für die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis unterschrieben, gibt sich große Mühe, bei seinen neuen Aufgaben alles richtig zu machen, und predigt stets in ausgesprochen ergriffenem Ton, der den Gemeindemitgliedern übertrieben vorkommt. Allerdings gerät er öfter mal in Streit mit seinem Vorgesetzten Don Jerónimo, der für den Enthusiasmus der Jugend nicht viel übrig hat, für neue theologische Ideen auch nichts, und der es ganz und gar nicht leiden kann, wenn er den Eindruck hat, ein junger Priester protze mit seiner Bildung aus dem Seminar. Don Jerónimo ist schon älter und sein Rücken macht ihm Probleme und sein Magen auch, aber er gibt sich Mühe, die Alten und Kranken der Pfarrei häufig zu besuchen, und er predigt oft ernst über die Sterblichkeit allen Fleisches und die Vorbereitung auf einen guten Tod. Dann wäre da Don Felipe, der Pfarrer aus der Nachbarpfarrei, der stottert und deshalb das Predigen nicht leiden kann, und der jeden Abend an seinem Schreibpult sitzt und an einem Werk über die sieben Sakramente arbeitet. Allerdings ist er nie zufrieden damit, wie er seine Gedanken zu Papier gebracht hat, schämt sich halb für seine Entwürfe, und träumt gleichzeitig insgeheim davon, einmal als großer Theologe anerkannt zu werden. Das beichtet er ab und zu als eine Sünde der Eitelkeit. Don Gil, der mit Manuel im Priesterseminar war, sollte den Priesterberuf ergreifen, weil sein Vater, ein niederer Adliger, das für seinen vierten Sohn so vorgesehen hatte; er hatte auch nicht direkt was dagegen, allerdings hatte er schon so seine liebe Mühe mit dem Latein und den anderen Fächern, und es wäre ihm schon lieber gewesen, zur Jagd zu reiten und Pferde zu züchten, als Messen zu lesen – aber da kann man eben nichts machen, und jetzt hat er halt seine Aufgaben als einer der vielen Priester an der Kathedrale, die er erfüllen muss, und das ist schon in Ordnung so, denn das ist ja auch eine ehrenvolle Aufgabe für den Herrgott und die Kirche und so. Das sind keine ausgeformten Figuren, und die haben schon viel mehr Persönlichkeit als irgendein Priester in „Die Pfeiler des Glaubens“.

    Haben sie – aber Du hast sie ja auch mit Liebe beschrieben.

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  2. Nepomuk ist mir zuvorgekommen. Ich finde, das Buch mit dem von Dir und niemand anderem beschriebenen Priestern harrt des Geschriebenwerdens. (Bitte!)
    Im übrigen habe ich die vorigen Teile Deiner Rezension gar nicht mitbekommen, weiß aber jetzt schon, daß ich das Buch nicht lesen werde. Zu allem, was Du an Kritik äußerst, kommt nämlich hinzu: Die Zitate sind stilistisch so grauenvoll!

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