Darf man noch „Unwissende belehren“?

Ich habe eine Prüfung in Pastoraltheologie anstehen. Ist nicht mein Lieblingsfach in der Theologie. (Das wären Kirchenrecht und Kirchengeschichte.)

Das Belehren der Unwissenden gehört ja bekanntlich zu den sieben geistlichen Werken der Barmherzigkeit.* Im Skript zu der Pastoraltheologie-Vorlesung fällt mir immer wieder auf, wie schief speziell dieses Werk unter Pastoraltheologen angesehen zu sein scheint. Wenn verschiedene Konzepte einflussreicher Pastoraltheologen erklärt werden, wird dabei immer wieder mal betont, dass Seelsorger nach diesem oder jenem Konzept „begleiten“ sollten, nicht „betreuen“ oder „bevormunden“, dass es gegenseitige Kommunikation und „wechselseitiges Lernen“ zwischen Seelsorger und Beseelsorgtem (meine Wortwahl, da mir gerade kein besseres Wort einfällt) geben müsste; die Seelsorger seien „ihrem Gegenüber nicht überlegen“. Es solle nicht um „Missionserfolge“ oder „Manipulation von Menschen“ gehen. „Seelsorgerlicher Paternalismus: Der Seelsorger weiß, was für den anderen gut und richtig ist.“ Das darf nicht sein. Mein Highlight: Auch in der Diakonie soll man Notleidende nicht „zum Objekt von Bevormundung und Hilfe machen“. Keine Hilfe für Notleidende, Leute, das degradiert sie zum Objekt!

Was ist denn, wenn der Seelsorger es zufällig einfach mal besser weiß als sein Gegenüber? Wenn er dem einfach dringend benötigte Hilfe – leibliche oder geistliche Hilfe; die Adresse des örtlichen Obdachlosenheims, eine Erklärung der thomistischen Gottesbeweise, die Absolution in der Beichte, oder was auch immer – geben kann? Wenn ein Mediziner weiß, dass die Lebensgewohnheiten seines Patienten dessen Vorerkrankungen verschlimmern, wird er es dem einfach mitteilen, oder wird er zuerst einen langen Dialog mit ihm führen und dabei dessen in der Apotheken-Umschau angelesene medizinische Einsichten als vollkommen gleichberechtigt anerkennen?

Ich hatte auch mal keine Ahnung vom katholischen Glauben, und ich komme mir verarscht vor, wenn Theologen, die diesen wunderbaren, faszinierenden Glauben in seinen Einzelheiten kennen, meinen, es wäre ein großes Zeichen von Demut, so tun, als hätten sie den Leuten nichts anzubieten. Wenn Menschen mit Fragen zum Pfarrer kommen, wollen sie doch Antworten und klare Ratschläge von ihm hören – nicht nur ein „Was denken Sie denn?“. Wozu ist er denn ausgebildet?

Ich sage damit nicht, dass es in der Seelsorge nicht wichtig wäre, sich die Perspektiven der „Beseelsorgten“ anzuhören und sie zu respektieren. Auch der Arzt muss seinem Patienten genau zuhören, damit keine Fehldiagnose herauskommt. Er muss es sich auch anhören, wenn der Patient erzählt, dass er von einem anderen Arzt andere Ratschläge bekommen hat, und muss dem Patienten dann begründen, wieso er seine eigene Meinung für die richtige hält – oder ihn vielleicht noch zu einem Experten weiterweisen, der mehr Ahnung vom Fach hat und bei dem der Patient sich sicherer kann, den passenden Rat zu erhalten. Er sollte auch Respekt dafür haben, wenn der Patient der „Schulmedizin“ gegenüber generell misstrauisch ist – und ihm dann mit klaren Argumenten erklären, wieso dieses Misstrauen nicht begründet ist und er sich selbst schadet, wenn er sich nicht operieren oder impfen lassen will. Natürlich gibt es Leute, die meinen, alle anderen über ihre Ansichten belehren zu müssen, und dabei respektlos und nervig sind. Aber Priester, Theologen oder Pastoralreferenten sind von der Kirche – und im Endeffekt vom Herrn – dazu beauftragt, die Frohe Botschaft zu verkünden, wie Mathelehrer vom Staat beauftragt sind, Mathe zu lehren. Das sollen sie auch machen dürfen, ohne dass man ihnen deswegen Vorwürfe macht, dass sie die religiös Unwissenden herabsetzen – und seien wir mal realistisch, wie viel religiöses Wissen hat denn der Durchschnittsmensch? Natürlich ist es auch wichtig, die Beseelsorgten zur Eigenverantwortung zu führen – aber bevor man selbst rechnen kann, muss der Lehrer einem beigebracht haben, zu rechnen.

Mit solchen Formulierungen wie den oben zitierten wird zudem unterschwellig suggeriert, „Missionserfolge“ würden auf „manipulativem“ Weg erreicht werden – oder wären früher so erreicht worden. Wenn man sagen würde „Mission bedeutet einladende Verkündigung, nicht Manipulation“ wäre es ja schön und gut; aber bitte keine solchen impliziten Verleumdungen früherer Missionare. Wenn Leute zum Begriff „Mission“ falsche negative Assoziationen haben, sollte man doch versuchen, den Begriff wieder positiv zu besetzen, anstatt die Assoziationen einfach zu übernehmen.

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(Katechismusunterricht bei den Salesianern Don Boscos in Indien, 1939; Quelle: Wikimedia Commons)

Man könnte direkt den Eindruck bekommen, es wäre etwas Schlimmes, wenn man sich mal helfen lassen muss oder keine Ahnung von einer Sache hat. Dabei müssen wir uns alle von Gott helfen lassen, und das, was wir wissen, ist, aufs Ganze gesehen, immer noch wenig, auch wenn wir die Summa Theologiae auswendig aufsagen könnten. (Was mich dran erinnert, dass ich die auch noch mal lesen wollte.) Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft scheinen allgemein nicht so gut angesehen zu sein, wie sie sein sollten, habe ich oft den Eindruck. Aber das sind gute Eigenschaften; sie bedeuten eben nicht automatisch Bevormundung oder ein Sich-selbst-über-andere-Erheben. Wieso sollte man sie so aufnehmen? Weil man nicht damit klarkommt, nicht allwissend oder vollkommen autark zu sein, sondern mal andere Menschen zu brauchen – so wie man selber anderen Menschen wieder in anderer Hinsicht helfen kann?

Lasst die Priester doch einfach ihren Job machen.

Séminaristes chinois.JPG

(Chinesische Seminaristen in einer Niederlassung der Jesuiten, 1900; Quelle: Wikimedia Commons)

 

* Die anderen sechs: Zweifelnden recht raten, Trauernde trösten, Sünder zurechtweisen, Beleidigern gerne verzeihen, Lästige geduldig ertragen, für Lebende und Tote beten.

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4 Gedanken zu “Darf man noch „Unwissende belehren“?

  1. >>[Der Arzt] sollte auch Respekt dafür haben, wenn der Patient der „Schulmedizin“ gegenüber generell misstrauisch ist.

    Tja, nein, sollte er grob überschlagen: nicht.

    Ob er aus taktischen Gründen so tun sollte, als hätte er Respekt dafür, ist eine andere Frage.

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  2. Ach ja:

    Wenn ich Deine Überschrift mal so für sich genommen lese, fällt mir ein, als Antwort würde sich Folgendes ganz gut anhören:

    „Man darf; man darf sich nur nicht dabei erwischen lassen.“ 😉

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