Halloween, und so

Ein nachträglicher Gastbeitrag zu Halloween und dem Reformationstag von Nepomuk.

 

I. Feste am Ende des Oktober

Die deutsche Sprache kennt den Ausdruck „Matthäi am Letzten“, der ungefähr so viel bedeutet wie: „Es wird zappenduster.“ Wenn man so im Internet nachforscht, dann kann man die absurdesten Theorien über dessen Herkunft feststellen (angeblich habe er etwas mit dem hl. Apostel Matthias – dessen Genitiv „Matthiae“ wäre – zu tun, dessen Fest gegen Ende des Februars stattfindet, wenn auch nicht an dessen Ende), welche Herkunft doch dem Kirchgänger eigentlich offen auf der Hand liegend sein müßte: Im alten römischen Ritus, im Lesejahr A nach der Liturgiereform, und (wie man hört) auch bei den Protestanten werden am letzten Sonntag des Kirchenjahres jeweils Evangelien nach Matthäus verlesen, die alle unterschiedlich sind und alle vom Weltgericht handeln. Dann ist Matthäi am letzten; und wenn wir in die Apostelgeschichte schauen, wird es auch in der Tat zappenduster werden (Apg 2,19f).

Soweit sind wir noch nicht; es ist erst Oktober. Matthäi am Letzten ist eben am letzten Sonntag des Kirchenjahres – oder wäre es traditionell, wenn nicht die Liturgiereform in einem ihrer offenkundigsten Fehler uns an diesem Sonntag das Christkönigsfest beschert hätte (dessen in der Enzyklika Quas primas festgelegter Festinhalt eben nicht die vom Festtermin offensichtlich nahegelegte Aufrichtung des Himmelreiches am Jüngsten Tage ist, sondern die weniger, aber eben auch wichtige Herrschaft Christi im Hier und Jetzt, wie sie teils besteht, teils von uns nach unseren Möglichkeiten durchzusetzen ist). Christkönig, nach dem alten Ritus, war gerade eben; und man kann es vielleicht zu einer halben Ehrenrettung der Liturgiereform sagen: daß wir nun darauf im Zusammenhang mit einem ganz anderen Thema darauf zu sprechen kommen (der Zusammenhang wird, so hoffe ich, noch deutlich werden) ist vielleicht ein Hinweis darauf, daß das natürlich auch zusammenhängt.

Ziemlich genau mit dem November setzt die Besinnung der Kirche auf die sogenannten Letzten Dinge ein. (Für die liturgischen Feinschmecker: eigentlich, ausweislich des Festevangeliums, im alten Ritus schon mit dem Apostelfest der hll. Simon und Judas; und in gewisser Weise seit dem achtzehnten Sonntag nach Pfingsten, oder auch schon dem Samstag des Septemberquatembers, der nicht von ungefähr, obwohl er ganz verschieden fällt, im Meßbuch genau vor diesem Sonntag steht). Und am letzten Sonntag, an dem die Hauptfeste des Kirchenjahres vorbei sind, aber wir eben noch nicht mit dem Allerheiligenfest in die eigentliche Letzte-Dinge-Phase eingetreten sind, ist eben im alten Ritus das Christkönigsfest; so die Argumentation bei der Einführung 1925. – Ich schweife ein wenig ab; das ist so meine Art.

Am 1. November ist Allerheiligen, an dem wir die Heiligen des Himmels feiern; am 2. November ist Allerseelen, wo wir der Armen Seelen im Fegfeuer gedenken. Und am 31. Oktober? Da steht eine Menge von Dingen an.

Die Regensburger, natürlich, kümmern sich um den Lauf der restlichen Welt wenig; für sie ist erstmal, vor allem und überhaupt das Fest des hl. Wolfgang, ihres Diözesanpatrons, dann kommt eine ganze Weile nichts. Das ist ja auch schön und gut. Die lokalen Dinge sind sehr wichtig, und nur die wichtigsten Dinge sind wichtiger; so immer der gesunde katholische, subsidiäre Instinkt. Aber davon wollen wir ersteinmal nicht reden (außer es sollte sich eine ganz seltsame Parallele auftun).

Vor allem aber geht regelmäßig das obligatorische Gejammer los, das unsere Brüder und Schwestern Protestanten anstimmen, weil ihr Reformationstag von dem amerikanischen und, so heißt es, unchristlichen Import Halloween verdrängt wird. Ein kleiner Nebenkriegsschauplatz ist das Tanzverbot: an dem Fest Allerheiligen, auch wenn es für sich genommen ein Freudenfest ist, soll wegen des Themenkomplexes, das es einläutet, und wegen des doch ernsten Charakters, das es selbst auch irgendwo hat, und vor allem deswegen, weil Allerseelen nun einmal kein Feiertag ist und das öffentliche Totengedenken deshalb weitgehend an Allerheiligen stattfindet, keine Tanzveranstaltung stattfinden. Dies heißt auch, daß die Halloweenparties rechtzeitig enden müssen.

– Ich kann an dieser Stelle einschieben: Die vor einigen Jahren gefundene Lösung, daß im Freistaat Bayern an Allerheiligen bis zwei Uhr früh, aber nicht länger, getanzt werden darf – während es am Karfreitag ausdrücklich bei Mitternacht bleibt! – mag äußerlich wie ein Kompromiß aussehen, stellt einen der tatsächlichen Komplexität der Ereignisse vollkommen gerecht werdende und uneingeschränkt zu bejubelnde Lösung da. Manchmal schafft so etwas auch heute noch die Politik; dann darf man es auch anerkennen. –

Ich muß an dieser Stelle gestehen, was mir vielleicht hernach keiner glauben wird: Ich bin zwar Antiprotestant, nehme mir aber vor, es mir an Respekt für den Gegner nicht fehlen zu lassen. Auch ist Dr. Martin Luther OSA ohne jede Frage eine bedeutende Persönlichkeit, und der Reformationstag war zweifellos ein bedeutendes Ereignis der Geschichte, wenn auch ein verhängnisvolles; schließlich kann der religiöse Ernst zumindest Luthers, um den es am Reformationstag ja primär geht, nicht bestritten werden. Ein besonderes Faible für Halloween habe ich hingegen nie gehabt und habe es immer noch nicht (nein, tatsächlich nicht), schon allein deswegen nicht, weil ich ganz banalerweise beim Ausgehen lieber schöne Gesichter von Frauen als häßlich-geschminkte Gesichter von Frauen sehe. Ich argumentiere also im folgenden nicht für meine persönlichen Vorlieben; aber der große G. K. Chesterton hat einmal den Zölibat, als eine Einrichtung der Kirche, verteidigt und dabei offen eingestanden, daß er selbst diesen nicht verstehe (aber jeden Tag vielleicht noch begreifen könnte). In diesem Geiste bin ich zu der überraschenden Einsicht gekommen, daß bei diesen zwei „Rivalen“ Gut und Böse vielleicht doch anders verteilt sind, als es der von seinem Milieu geprägte gläubige Christ es sich im ersten Augenblicke so vorstellt.

 

II. Die Kritik gewisser frommer Kreise an Halloween

Ein Indiz sind gerade die Attacken, die von seiten der Frommen sehr gerne gegen Halloween gefahren werden. „Fromm“ ist als Lob gemeint, aber „vollständig beraten“ heißt es nun einmal tatsächlich nicht immer; wenn ein Trend aufkommt, sagen wir in den Freikirchen Amerikas – da diese nun einmal, was man neidlos, aber nicht resigniert, anerkennen muß, zur Zeit die „fromme Szene“ weitgehend beherrschen – dann kann man darauf wetten, daß er ersteinmal übernommen wird, zumindest wenn seine Unrichtigkeit nicht offenkundig ist. „Je religiöser, desto besser“ – das stimmt ja sogar; aber kann man es dem gläubigen Volke verdenken, wenn es daraus „je religiöser scheinend, desto besser“ macht?

In besseren Zeiten der Kirche waren die Pfarrer und Prediger streng genug, daß die Laien – clericis laicos semper inimicos esse constat – ein wenig dagegenhielten und vielleicht auch dagegenhalten durften; „im Grunde hat der Herr Pfarrer mit seiner Vorsicht ja schon einen Punkt, aber ganz so muß man das auch nicht alles machen“. (Wenn es wirklich krawotisch werden sollte, dann kann die Kirche ja immer noch mit Ausschluß von der Kommunion, Kirchenstrafen usw. daherkommen. – Es sei hier sicherheitshalber angemerkt: Wenn ich sage „vielleicht auch dagegenhalten durften“, so ist damit nichts gemeint, was tatsächliche Todsünden betrifft. Klar ist ja auch, daß die Gläubigen, sofern sie wenigstens ein bißchen gläubig waren, vor der tatsächlichen konkreten Todsünde immer einen heilsamen Schrecken hatten, und wenn nicht vor ihr, so doch wenigstens davor, nach ihr die Heilige Kommunion zu empfangen – Graham Greenes „Das Herz aller Dinge“ ist ein hervorragendes literarisches Zeugnis für letzteres).
Heute ist es – man hat manchmal fast den Eindruck – umgekehrt; wo ist denn die Strenge noch? Umso weniger kann man es dem Volk verdenken, wenn es „je religiöser scheinend, desto besser“ sagt. Machen wir uns nichts vor: Es gibt durchaus die Kreise, in denen der als der religiösere Mensch gilt, der mehr oder weniger gedankenlos die Argumente des Vulgärkreationismus nachbetet. (Ich beabsichtige damit übrigens nicht, jede Kritik oder jede explizit religiös oder biblisch begründete Kritik am Standardmodell der Physik etc. für unzulässig zu erklären – nur müßte das wenndann auf vernünftige Weise gemacht werden und übrigens erstmal jedenfalls auf der theologischen Seite frei von Irrtümern sein: der heutige Kreationismus fußt wesentlich auf der Behauptung, daß es vor dem Sündenfall keinen Tod gegeben haben könne, und dies ist, auch völlig unabhängig von physikalischen Tatsachen, zunächst einmal schlichtweg schriftwidrig. Bei Bedarf kann ich das gern auch noch begründen.) Es gibt ja obendrein auch die Kreise, in der auf Grund einer allgemeinen Unzufriedenheit damit, wie die heutige Politik zu Gottes Gesetz und der heiligen Religion steht (was nur allzu berechtigt ist!) jemand als umso religiöser gilt, je radikaler er politisch ist. Es gibt, auf deutsch, jede Menge Mist.

Der Punkt ist nun: Die feine katholische Nase riecht bei der herkömmlichen Anti-Halloween-Propaganda genau diese Art Mist heraus. Handeln wir diese Punkte kurz ab; sie sind nicht das eigentliche Thema dieses Textes hier.

1. „Halloween ist satanisch, weil sich Leute als Teufel und Hexen verkleiden.“

Hierzu braucht man eigentlich nichts zu sagen. Mit dem gleichen Recht ist Faust satanisch und zwar nicht wegen problematischer Einstellungen Goethes, die es transportiert (worüber man sicherlich bei Goethe generell reden kann, allerdings scheint mir zumindest der Tragödie erster Teil tatsächlich ganz unproblematisch zu sein), sondern allein schon deswegen, weil dort der Teufel auf der Rollenliste aufscheint. Mit dem gleichen Recht hätte Der Untergang nie produziert werden dürfen, weil es bedauerlicherweise nicht denkbar ist, ohne daß ein Schauspieler in die Rolle Adolf Hitlers schlüpft. Also lassen wir das.

2. „Halloween ist eines der Feste im ‚Festkalender der Satanisten’“.

Ich glaube nicht, daß man das bestreiten kann, zumindest nicht, was den Pseudo-Satanismus betrifft; aber ebensowenig kann man bestreiten, daß die fromme Kritik zuerst, die Einvernahme durch einzelne Satanisten, eine im übrigen marginale Bewegung, die eben präzise das tut, was die Frommen besonders verabscheuen, danach kam. Was übrigens den echten Satanismus betrifft, die wirklich gefährliche Bewegung, über die man am besten wenig sagt und über die ich im übrigen auch gar nichts sagen kann, – aber allem Vernehmen eine Bewegung, die das Licht des Tages scheut, und wirklich gefährlich ist – so sei da einmal dahingestellt, ob die Leute sich wirklich Ende Oktober mit Fratzen bemalen und fleißig Suppe vom zuvor ausgehöhlten Kürbis essen. Ich würde eher vermuten, sie wären dazu viel zu hoffärtig.

3. „Halloween ist ein heidnisches Fest“.

Näherhin ein keltisches; das stimmt von alledem noch am ehesten. Zumindest gab es meinen Informationen nach an diesem Datum tatsächlich ein heidnisches Fest (das bekannte Samhain), das vielleicht tatsächlich etwas mit einer heidnischen Version von „Letzten Dingen“ zu tun hatte. Wir hören ja immer, das Weihnachtsfest gehe auf ein germanisches Fest zurück: was bei Weihnachten Unsinn ist – Weihnachten ist ein rein christliches Fest und allenfalls im Datum von einem römischen beeinflußt – könnte in bezug auf Allerheiligen tatsächlich gewissermaßen „stimmen“. Das Fest Allerheiligen wurde – recht offen – zunächst auf den Termin des römisch-heidnischen Lemurenfestes (das durchaus etwas mit dem Thema „Geister von Verstorbenen“ zu tun hat) am 13. Mai gelegt, indem an diesem Tag der alte allen heidnischen Göttern gewidmete Tempel, das berühmte Pantheon oder die Rotonda, gereinigt und dann zur Ehre aller Heiligen geweiht wurde. Und wenn im 8. Jahrhundert Papst Gregor III. eine allen Heiligen geweihte Kapelle in Alt-St. Peter am 1. November einweihte und dies zum Anlaß nahm, das Festdatum zu verschieben, so liegt der Gedanke durchaus nahe, daß er das dem römischen Lemurenfest ähnliche keltische Fest bewußt zum Datum nahm, zumal die Kelten damals in der Sphäre des Christentums aufgetaucht waren und es auch jahreszeitlich schlicht besser paßte. Dafür, daß er die Weihe einer Nebenkapelle zum Anlaß nahm, ein Fest zu verschieben, das in der Weihe einer bedeutenden Basilika gründete, habe jedenfalls auch ich noch keine geeignetere Erklärung gefunden.

Und natürlich können hier außer dem Datum auch einzelne Bräuche übergegangen sein (auch bei Weihnachten wird sich wohl kaum jemand auf den Standpunkt stellen, der christliche Festgehalt sei mit überhaupt keinem mit ihm vereinbaren Brauch germanischer Herkunft angereichert worden).

Hier kommt aber schon einmal der erste von den Punkten ins Spiel um die es mir hier geht, wenn auch noch nicht das Kernthema: Wir Katholiken haben eben nicht vergessen, was Paulus in Apg 17,23 gesagt und gemacht hat; und wenn uns nun jemand sagt: „aber gerade damit war er in Athen ja nicht erfolgreich“, dann antworten wir stolz: „Das ist nachrangig; jedenfalls hatte er damit Recht.“ Das Taufen oder, mit einem vielleicht etwas zu modisch gewordenen Wort, die „Inkulturation“ von Bräuchen heidnischen Ursprungs, sofern sie nicht selbst götzendienerisch sind, ist keine anrüchige, sondern eine hervorragende Sache; nicht nur, um durch solche „Zugeständnisse“ noch mehr Seelen für Christus zu gewinnen – was aber doch bitte, um alles in der Welt, schon ausreichen sollte! –, sondern auch um der Wahrheit willen.

Ich gehe davon aus, daß an dieser Stelle die Protestanten lautstark das tun, was ihr Name besagt: „bei uns aber nicht!“. Schön und gut. Ich war seit meiner Zweitbeichte nie ein besonderer Freund des ökumenischen Gedankens, wie man ihn landläufig versteht (aber der Autor der Enzyklika Mortalium animos, von der einige disziplinarische, aber kein einziger doktrinärer Punkt aufgehoben ist, war das auch nicht); und hier wird man wohl den überstrapazierten Satz, daß die Toleranz logischerweise vor den Intoleranten wenigstens notwendig halt machen müsse, einmal richtig anwenden müssen. Wenn es recht ist zu inkulturieren, dann ist es nicht recht, auf Grund eines Kompromisses mit den Inkulturationsgegnern darauf zu verzichten.

Daher: Die Johannisfeuer müssen weiter brennen, auch wenn der protestantische Nachbar das nicht mag.

Mein Verweis auf die Johannisfeuer mag überraschend gekommen sein; damit komme ich schön langsam zu meinem eigentlichen Thema, weil zwischen den Johannisfeuern und Halloween eben doch ein Unterschied besteht. Das Johannisfeuer wurde auf den Festtag eines großen Heiligen gelegt und auch mit einer Deutung, die sich auf ihn bezieht, versehen und mit einem eigenen Abschnitt im Rituale Romanum geehrt. (Das ist, um die Anspielung nicht auszulassen, natürlich auch das gleiche Buch, in dem die Exorzismen enthalten sind.) Das Johannisfeuer ist damit heute eine christlich-gottesdienstliche Handlung, und Schluß.

Ist Halloween nicht doch etwas anderes? Ist Halloween nicht so etwas wie der „Harry Potter des Festkalenders“ (in der Buchreihe kommt es ja übrigens tatsächlich auch relativ prominent vor), also ein offenkundig mit viel Unfug als un- und widerchristlich verschmähtes Ding, das die Leute lesen bzw. feiern, weil es halt Spaß macht, das aber trotzdem ebenso offenkundig nicht besonders religiös und christlich ist? Die Bemühungen, etwa „Harry Potter“ auch als letzteres zu deuten, sind ja nicht viel weniger peinlich als die, die auf das Gegenteil aus sind.

Nun; die Feststellung wäre naheliegend; aber ich glaube nicht. Und damit komme ich auf den Reformationstag zu sprechen.

 

III. Reformation und Reformationstag

Es kommt hier übrigens nicht darauf an, ob „der Reformationstag so passiert ist“. „If the legend becomes fact, print the legend“; daß Martin Luther um diese Zeit herum die 95 Thesen zur Diskussion stellte und damit zwar in diesen Thesen selbst nur in den wenigsten Fällen der katholischen Lehre widersprach, aber doch für den heutigen Leser einen zweifellos unkatholischen Geist durchblicken ließ und dafür, daß er durch seine Unbelehrbarkeit den Protestantismus auslöste, den Anstoß gab, das ist ja unstrittig. Wir wollen ihm also durchaus den Dramatismus gönnen, daß er selbst diese Thesen an die Tür der Universitätskirche anschlug – zumal das, wie man hört, eine gängige Methode der wissenschaftlichen Auseinandersetzung war. Vielleicht tat es auch der Universitätshausmeister, aber lassen wir es ruhig einmal Luther selbst getan haben. Es ist gleichgültig.

Was war denn der Auslöser der Reformation? Ich rede jetzt nicht von den Dingen, die sie, leider Gottes, begünstigten; ohne die sie in der religionspolitischen Praxis ziemlich schnell ihr Ende gefunden hätte. Natürlich hätte es die Reformation mit diesem Erfolg nicht gegeben, wenn der insbesondere hohe Klerus weniger Gelegenheit zum Anstoßnehmen gegeben hätte – aber was diese von Katholiken, die aus ökumenischer Höflichkeit ums Verrecken irgendetwas Freundliches dazu sagen wollen, viel zu sehr betonte Tatsache betrifft, hat Luther immer darauf bestanden, daß nicht das der eigentliche Hintergrund der Reformation war; „wir müssen unterscheiden Lehre und Praxis; in der Praxis sind die unsrigen nicht besser als die Katholiken“, soweit Luther selbst. Natürlich wäre die Reformation ohne den Eifer von Fürsten, sich Kirchengüter unter den Nagel zu reißen (und in einem Fall sogar um der lieben PR willen eine Bigamie genehmigt zu bekommen), im Sande verlaufen und bloß zu einem allerdings wohl nicht ganz unbedeutenden Kapitelchen der Häresiegeschichte geworden. Und natürlich – was viel zu wenig beachtet wird: Hätte man dem deutschen Volk glaubwürdig erklärt, was tatsächlich den Tatsachen entsprach, nämlich daß der Abriß von Alt-St. Peter, der Baufälligkeit dieser Kirche wegen, nicht nur und nicht vor allem ein Prestigeprojekt eines etwas ruhmsüchtigen (vielleicht zu ruhmsüchtigen?) Papstes, Julius‘ II., sondern tatsächlich dringend erforderlich war und der Neubau in all seinem Prunk (der bei einer Kirche dieser Bedeutung natürlich unverzichtbar ist) vermutlich ja auch immer noch billiger kam als eine kostspielige Sanierung – wir kennen so etwas bei Bauten ja auch in unseren Tagen –, dann hätte Luther gegen die vor allem auf den Bau von Neu-St. Peter gerichteten Ablässe gewiß nie so eine Stimmung mobilisieren können.
Das alles ist richtig; aber es hat nichts mit dem theoretischen Fundament des Protestantismus zu tun.

Dieses Fundament ist die Angst.

Damit sage ich nichts, was ein ernstzunehmender Protestant wird bestreiten wollen; er wird nur sagen, gemäß seinem damaligen katholischen Glauben habe Luther eben Angst haben müssen und durch seinen Protestantismus den dann notwendigen Ausweg gefunden. Daß aber Luther an der Frage „wie bekomme ich einen gnädigen Gott“ fast verrückt geworden ist, bis er seine spezielle „Lösung“ der Frage gefunden hatte, die bis heute in allen Spielarten des Protestantismus maßgeblich ist, ist eine offenkundige Tatsache. (Unter anderem deswegen ist wohl das Pfingstkirchlertum wie auch sicher der Mormonismus nicht zum Protestantismus zu rechnen.)

Und damit komme ich zu der im Liturgiejahr eher seltsamen Einleitung des Artikels. Ist es nicht natürlich, vor dem Jüngsten Gericht Angst zu haben?

„Tagt der Rache Tag den Sünden, wird das Weltall sich entzünden, wie Sibyll und David künden. / Welch ein Graus wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt, mit Fragen streng zu prüfen alle Klagen! / Laut wird die Posaune klingen, durch der Erde Gräber dringen, alle hin zum Throne zwingen. / Schaudernd sehen Tod und Leben sich die Kreatur erheben, Rechenschaft dem Herrn zu geben. / Und ein Buch wird aufgeschlagen: treu darin ist eingetragen jede Schuld aus Erdentagen. / Sitzt der Richter dann zu richten, wird sich das Verborgne lichten; nichts kann vor der Strafe flüchten. / Weh! Was werd ich Armer sagen? Welchen Anwalt mir erfragen, wenn Gerechte selbst verzagen?“
Soweit die ersten sieben Strophen der achtzehneinhalb des Dies irae.

Dann wird’s zappenduster; dann ist Matthäi am letzten.

Die scheinbare Lösung Martin Luthers für dieses echte Problem kennen wir: wir tun einfach so als ob. (Sicher würde das nun ein Protestant nicht so formulieren.) Etwas salbungsvoller ausgedrückt: Aus dem mißverstandenen Bibelvers „der Gerechte lebt aus dem Glauben“ bastelt er sich, dem offenkundigen Sinn zuwiderlaufend, seine Lehre, die in all ihrer Zugespitztheit letztlich so lautet „wie du glaubst, so hast du“: also sinngemäß „wer sich die Sünden vergeben glaubt, dem sind sie vergeben; wer sich die Sünden behalten glaubt, dem sind sie behalten“. (Wir lesen natürlich in Joh 20,23, an das ich mich mit der Formulierung zugegeben angelehnt habe, etwas ganz anderes.)

In einer Formulierung, die meines Wissens auf Paul Hacker zurückgeht: Erlösung durch Selbstsuggestion.

Es ist übrigens nicht meine Absicht, diese neue Theorie lächerlich zu machen. Wer von echter, ernsthafter Verzweiflung umnachtet ist und dann mit dem vielberedeten „Mut der Verzweiflung“ den, um es einmal unangemessen modern auszudrücken, „Sprung ins Ungewisse wagt“, das „Wagnis des Glaubens eingeht“, dem kann man eine gewisse Größe nicht bestreiten – nur Recht hat er eben nicht. Lächerlich ist höchstens Luthers Behauptung, daß diese Lehre von Anfang an die christliche gewesen sei oder gar – zumindest vom Tonfall her klingen seine ersten, noch halbkatholischen Aussagen so – von der Kirche erst allerkürzlichst aufgegeben worden sei.

Da er diese Doktrin aber einmal so aufgestellt hat, folgt mit einer gewissen Logik, daß er die Lehre vom Verdienst verwirft. Wenn andere diesen sogenannten „Fiduzialglauben“ (wie mindestens die katholische Theologie ihn später nennen würde) auch als Wesensbestandteil des „Evangeliums“, d. h. der christlichen Lehre annehmen sollen (es ist übrigens etwas komisch, eine Theorie „Evangelium“ zu nennen, selbst nach den Behauptungen ihres Begründers aus einer Auslegung der Paulusbriefe hervorgeht und im Evangelium gar keinen Anhaltspunkt hat), dann müssen sie vorher auch in Verzweiflung geführt werden oder doch wenigstens vom Katecheten vordemonstriert bekommen, daß sie, wenn sie nicht fromme Protestanten wären, in ebendiese Verzweiflung geraten müßten. Dann aber muß mit aller Gewalt die falsche Lehre gepredigt werden, die im englischen Sprachraum später auf den Begriff utter depravity gebracht werden würde (der Begriff ist calvinistisch, die Wurzel liegt aber tatsächlich bei Luther); der Mensch sei von Natur aus verdorben (wir Katholiken bestehen darauf, daß das erstens nicht die Natur ist und daß zweitens von einer bedauerlichen Hinneigung zur Sünde, aber, zumindest mit Notwendigkeit, nicht von mehr die Rede ist und vor allem daß drittens der Mensch, solange er lebt und bei Bewußtsein ist, immer eine gewisse Empfänglichkeit für das Gute beibehält). Ist er aber verdorben, dann kann er auch nichts Gutes tun; und hat man einmal die Erbsünde, aus der ja die Sünden folgen, so erklärt, dann folgt aus der unbestreitbaren Erfahrungstatsache, daß auch Getaufte sündigen, daß sich daran durch die Taufe nichts Grundlegendes ändert. (Luther erklärt dann die Erlösung gewissermaßen als „Augenzudrücken“ Gottes in dieser Beziehung.) Und wenn das so ist, dann ist der Fall, daß jemand etwas Gutes tut – vor allem, wenn es etwas Gutes ohne innerweltlichen Sinn ist – ein Anlaß für den dringenden Verdacht, daß er diese wesentliche Lehre des Protestantismus nicht akzeptiert und damit auch den nach protestantischer Ansicht wahren Glauben nicht haben kann.

Solche Handlungen faßt der Protestantismus unter den Begriff „Werkgerechtigkeit“. Es gibt natürlich – worauf wir Katholiken mit unserem Harmoniebedürfnis gern bestehen – etwas, das man auch „Werkgerechtigkeit“ nennen könnte und das tatsächlich falsch ist: sich durch Werke den Himmel (oder die Gnade) verdienen wollen, so daß man hernach ein Anrecht darauf hätte, und zwar allein des natürlichen Wertes der Werke wegen, nicht deswegen, weil diese selbst bereits unter dem Anhauch der Gnade geschehen sind, von der die erste immer unverdient ist. Die Frage muß aber ehrlich gestellt werden, ob das seit dem Sieg über die Häresie des Pelagius (also im 5. Jahrhundert) überhaupt nennenswerte Gruppen in der katholischen Kirche geglaubt haben; daß das bis Luther die gängige katholische Lehre gewesen sei, ist jedenfalls ein protestantisches oder versöhnlerisches Märchen.

Von dieser Ablehnung der verdienstlichen Werke – für die Luther sich mit aller Geschicktheit eines von der Verzweiflung wohl entschuldigten, aber an und für sich betrügerischen Kaufmanns etliche Stellen bei Paulus zunutze macht, die „Werke“ für jetzt ungültig erklären: womit aber textlich eindeutig die Zeremonien des mosaischen Gesetzes gemeint sind, mithin ein Thema, das mit dem Luthers gar nichts zu tun hat – kommt er dann zur Verwerflichkeit des Ablaßgewinnens. (Diese steht nicht in den 95 Thesen, die ausdrücklich das Gegenteil proklamieren, etwa in These 67; ich meine aber, daß man sie zwischen den Zeilen lesen kann.) Er sucht sich dabei einen systematisch denkbar ungeeigneten, propagandistisch denkbar geeigneten Gegner aus. Systematisch einen ungeeigneten: Denn gerade der Ablaß ist das genaue Gegenteil von Werkgerechtigkeit. Wenn ich eine Wallfahrt mache, dann ist das ein verdienstliches Werk, gewissermaßen; bitteschön. Die Wallfahrt für sich! Wenn es aber auf die Wallfahrt einen Ablaß gibt, dann ist das ausdrücklich eine Dreingabe der Kirche; der entscheidende Punkt beim Ablaß ist gerade eben, daß das, was daran Ablaß ist, nicht das Werk des Ablaßnehmers, sondern eben ein bei gewissen Anlässen unter gewissen Bedingungen von der Kirche gespendetes Geschenk ist. Aber natürlich gaben damals auf Grund der publizistischen Tagesmeinung die Ablässe in Deutschland ein geeignetes Ziel ab.

Vielleicht hat ja auch Luther tatsächlich vor allem gestört, daß erstens die Ablässe, selbst wenn sie empfangen werden, in der Regel von „Ungläubigen“ im Sinne des Protestantismus empfangen werden und damit gar nichts nützen (so ausdrücklich These 31), und vielleicht auch, daß diese wohl damals schon gern, wie auch heute, ganz selbstlos den Verstorbenen zugewendet wurden. Dies ist auf Seiten des Ablaßnehmers ein gutes Werk (!); und was könne es dem Verstorbenen nach protestantischer Auffassung schon nützen: auf das, worauf es nach diesem Glauben eigentlich ankommt, den Fiduzialglauben zu Lebzeiten, haben sie doch keinen Einfluß.

– Anders als beim Ablaß nehme ich Luther ab, daß er an das Fegfeuer, als er die 95 Thesen schrieb, tatsächlich noch glaubte, wie er dort ausdrücklich sagt (etwa: These 16). Letztlich konnte der Protestantismus aber nicht aus seiner Haut heraus, und da er an seiner Gründungslegende „gegen den Ablaß!“ festhalten mußte, mußte er letztlich auch das Fegfeuer trotz eindeutigem biblischen Beweis (1 Kor 3,15) verleugnen, zumal es, wenn die Sünden ohnehin nur zugedeckt würden, in der Tat nicht recht einzusehen ist, warum, und wenn ja wie, Gott nach Bemäntelung der Sünden noch zeitliche Strafen übrig ließe. Richtig zu erklären ist das, auch wenn es einen Augenblick paradox klingt, nur vom katholischen Standpunkt: Gott vergibt die Sünden ganz, es kommt hinten ein neuer, heiliger Mensch heraus; und eben deshalb hat es Sinn, daß die Rückstände und Verflechtungen, die nach Vergebung der Schuld noch verbleiben, durch Läuterung erst noch beseitigt werden müssen (wo dann „einer des anderen Last tragen“ kann).

Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Luther für seine Thesen gegen den Ablaß ausgerechnet den Vorabend von Allerheiligen, der damals – und noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts – als Vigil (mit Fasten! Werkgerechtigkeit!) ausgestattet war, wählte.

Nach diesem Versuch einer Erklärung der Reformation kehre ich etwas zum Thema zurück:

Durch das Sicheinreden des Erlöstseins kann man natürlich die Angst nicht eigentlich loswerden. Man kann sie nur verdrängen; und man will dann unter keinen Umständen etwas damit zu tun haben, sonst kommt sie wieder hoch. (Wenn sie verdrängt bleibt und nicht hochkommt, reicht das für den Protestanten.)

 

IV. Das Gruseln als Freizeitgenuß der Katholiken

Völlig anders sehen die Dinge in der heiligen Mutter Kirche aus.

An dieser Stelle möchte ich eine Geschichte von G. K. Chesterton zitieren (Alarums and Discursions: On Gargoyles). Es geht um ein Volk, das auf heidnische, aber nicht bös-heidnische, nur noch unerleuchtet-heidnische, Weise den Sonnengott verehrt; und ihr Priester baut dem Sonnengott einen Tempel in wunderschöner klassischer Architektur. Doch dann werden sie von Piraten überfallen, wären fast vernichtet worden, und nach einem langen Krieg erst werden sie wieder frei.

Und aus irgendeinem Grunde begannen die Leute nach diesen Geschehnissen, vom Tempel und der Sonne anders zu reden. Manche gewiß sagten: „Man darf den Tempel nicht anrühren; er ist klassisch; er ist vollkommen; denn er läßt keine Unvollkommenheiten zu.“ Aber die anderen antworteten: „Und darin unterscheidet er sich von der Sonne, die über Böse und Gute scheint, und über den Schlamm und über die Ungeheuer überall. Der Tempel ist ein Mittagstempel; er ist aus weißen Marmorwolken und einem Edelsteinhimmel gemacht. Aber die Sonne ist nicht immer Mittagssonne. Die Sonne stirbt Tag für Tag; jede Nacht wird sie in Feuer und Blut gekreuzigt.“
Und der Priester hatte den ganzen Krieg hindurch gelehrt und gewehrt, und sein Haar war weiß, seine Augen jedoch jung geworden. Und er sagte: „Ich war im Unrecht, sie sind im Recht. Die Sonne, das Symbol unseres Vaters, gibt Leben all jenen irdischen Dingen, die voller Häßlichkeit und Energie sind. Alle Übertreibungen sind recht, wenn sie das Rechte übertreiben. Lasset uns zum Himmel weisen mit Stoßzähnen, mit Hörnern, mit Finnen, mit Rüsseln, mit Schwänzen – solange sie nur alle zum Himmel zeigen. Die häßlichen Tiere preisen Gott ebenso, wie die schönen es tun. Dem Frosch stehen die Augen aus dem Kopf heraus, weil er den Himmel anstarrt. Der Hals der Giraffe ist so lang, weil sie sich zum Himmel ausstreckt. Der Esel hat Ohren zum Hören; er höre.“

Und das Ende vom Lied ist, daß eine Kathedrale im gotischen Stil gebaut wird – ein Baustil, den wir heute nicht ganz von ungefähr im Namen einer bestimmten Musikrichtung nebst zugehöriger Szene wiederfinden.

Weil der Katholik – zumindest im Idealfall – keine Angst hat, ist er frei, auch all die häßlichen Dinge zu gebrauchen. Weil der Katholik weiß, daß er keine Angst haben sollte, wird ihn das offene Ansprechen der Düsternis eher dazu bringen, keine zu haben. Und übrigens: Weil der Katholik auch ans Fegfeuer glaubt, braucht er sich nicht so sehr vor der Hölle fürchten – und wenn wir es einmal genau nehmen, kann dazu nur je mehr beitragen, je schrecklicher man sich ihre Schrecken vorstellt. Das ist auch paradox; und doch klar, wenn man es sich einmal überlegt.

Es ist die Lehre der Kirche, daß wenigstens Leute, die – wie es technisch heißt – „den Vernunftgebrauch“ (d. h. im großen und ganzen: den 7. Geburtstag) erreichen, letztlich nur drei Möglichkeiten haben: Himmel ohne Fegfeuer; Fegfeuer und dann Himmel; und Hölle. (Die getauft verstorbenen Kleinkinder sind sicher im Himmel; für die ungetauft verstorbenen gilt „nichts Genaues weiß man nicht“, aber wenn sie nicht im Himmel sind, d. h. Gott nicht schauen können, so sind sie jedenfalls doch zumindest in natürlicher Glückseligkeit, d. h. es geht ihnen uneingeschränkt gut.)
Je schrecklicher also die Hölle ist, umso naheliegender der Gedanke: „Na so schlimm, daß ein gütiger und barmherziger Gott mit dahin schicken wird, werde ich ja doch wohl nicht gewesen sein werden. Natürlich muß ich bestraft werden; aber dafür gibt es ja das Fegfeuer, aber das ist ja einmal vorbei, und obendrein“ – denn das ist ebenfalls Lehre der Kirche – „werde ich auch im Fegfeuer schon sicher wissen, daß ich der Hölle ein für alle mal ausgekommen bin“.

(Das entbindet natürlich nicht von der Pflicht, die Todsünden zu meiden und, wenn man das Unglück gehabt haben sollte, in eine zu fallen, zu bereuen und bis zur nächsten Beichte, die spätestens um nächste Ostern herum sein soll, nicht zu kommunizieren.)

Deshalb ist überall dort, wo der Katholizismus lebendig ist und die apologetische Auseinandersetzung mit dem Protestantismus (die ein wenig die Betonung auf die Vermeidung vermessener Heilsgewißheit setzen mußte) relativ fern war, die stillschweigende Unterstellung lebendig geblieben, daß die ewige Höllenstrafe (zumindest unter Katholiken – wobei diese Frage vor Augen gar nicht steht) eine seltene Sache ist. (Eine nicht ganz orthodoxe, aber mentalitätsmäßig umso aufschlußreichere Darstellung der Sache ist in dem Theaterstück Himmelwärts von Ödön von Horvath zu finden.) „’Ja, kommt denn der Flori hierher?‘ ‚Marei, du bist im ewigen Frieden; und wie lange es auch dauern mag, bis dein Flori dir folgt, es wird für dich nur eine kurze Weile sein.’“
Und im Mittelalter galt, habe ich wenigstens gehört, der Teufel (etwa im damaligen Äquivalent unseres Kasperltheaters) als zwar abgrundtief böse, aber auch jämmerliche und irgendwo fast zu bemitleidende Figur. Ein wenig davon wirkt noch nach in Goethes Faust, wenn Mephisto, wie es offensichtlich vorgesehen ist, von dem Mitglied des Ensembles gespielt wird, das vorher im Vorspiel als „Lustige Person“, d. h. als Ausfüller des komödiantischen Parts, vorgestellt wurde.

Übrigens fällt in diesem Zusammenhang eine Figur auf, die die Imagination des christlichen Volkes anscheinend beschäftigt zu haben scheint: jemand, der weder in den Himmel noch in die Hölle hineinpaßt. Zur orthodoxen Antwort darauf komme ich gleich, aber das Konzept ist interessant. Der Protagonist in Himmelwärts muß, weil er weder hierhin noch dorthin paßt, zunächst nochmal auf die Erde. Der Schneider im Himmel kann nicht in den Himmel und in die Hölle auch nicht, also zieht er, heißt es im Märchen, nach „Warteinweil“, wo die frommen Soldaten sind – also die, die einerseits fromm waren, andererseits immerhin das Kriegshandwerk betrieben haben. – Die orthodoxe Antwort darauf ist natürlich „Fegfeuer, und dann in den Himmel; und im übrigen ist das Soldatenhandwerk, bei aller nicht abzustreitenden Problematik, ebensowenig Sünde wie jeder andere notwendige Beruf auch“ (sollte übrigens das Fegfeuer im Ausdruck „Warteinweil“ schon anklingen?), aber interessant ist es schon, welche Blüten die authentische Phantasie des Volkes da so getrieben hat.
Und in diese Kategorie gehört auch Jack O’Lantern, der sich aus dem gleichen Grund an dem Licht einer brennenden Rübe wärmen darf, oder außerhalb Irlands einem Kürbis. Apropos Irland: Seit etwa vierhundert Jahren ist in Irland die pro-keltische und die katholische, die anti-keltische und die protestantische Sache jeweils ungefähr (ich sagte ungefähr) die gleiche.

Wir haben gesehen: Wer keine Angst hat, weil er weiß, daß er einen gnädigen Gott jetzt schon hat – denn Gott ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Gnade – der kann sich daran erfreuen, sich zu gruseln; der kann auch Horrorfilme anschauen, und der kann auch vor der Feier des Himmels und der Fürbitte fürs Fegfeuer dafür zu haben sein, die Hölle gewissermaßen repräsentiert zu bekommen. Wir, so hoffen wir, kommen ja nicht hinein! (Dazu helfe uns Gott in seiner großen Güte durch Christus unseren Herrn. Amen.)

Der hl. Papst Johannes Paul II. hat gesagt, der Paradiesmensch hätte nicht zu arbeiten brauchen, sich aber nach der Arbeit wie nach einem Genusse gesehnt. In der Lage sind wir bei der Arbeit nicht – oft genug nicht bei den reichen Arbeitenden, wohl kaum bei denen, die nicht wissen, ob sie ihr tägliches Brot zusammenbekommen; beim Grusel aber anscheinend schon. Es macht ja auch Freude, wenn man die Geschichte von Beren und Luthien in der Eisenhölle hört, vorausgesetzt, man sitzt gemütlich am Kaminfeuer von Imladris.

Denn das oben anzitierte Dies irae geht noch weiter; man darf eben Lieder nicht immer nach ein paar Strophen abbrechen. „König schrecklicher Gewalten, frei ist Deiner Gnade Schalten: Gnadenquell, laß Gnade walten! / Milder Jesus, wollst erwägen, daß Du kamest meinetwegen, schleudre mir nicht Fluch entgegen. / Bist mich suchend müd gegangen, mir zum Heil am Kreuz gehangen: mög dies Mühn zum Ziel gelangen. / Richter Du gerechter Rache, Nachsicht üb in meiner Sache, eh ich zum Gericht erwache. / Seufzend steh ich schuldbefangen, schamrot glühen meine Wangen: Laß mein Bitten Gnad erlangen. / Hast vergeben einst Marien, hast dem Schächer dann verziehen, hast auch Hoffnung mir verliehen. / Wenig gilt vor Dir mein Flehen; doch aus Gnade laß geschehen, daß ich mög der Höll entgehen. / Bei den Schafen gib mir Weide, von der Böcke Schar mich scheide, stell mich auf die rechte Seite. / Wird die Hölle ohne Schonung den Verdammten zur Belohnung, ruf mich zu der Sel’gen Wohnung. / Schuldgebeugt zu Dir ich schreie,
Tief zerknirscht in Herzensreue: sel’ges Ende mir verleihe. /Tag der Zähren, Tag der Wehen, da vom Grabe wird erstehen zum Gericht der Mensch voll Sünden. / Laß ihn, Gott, Erbarmen finden. / Milder Jesus, Herrscher Du, schenk den Toten ew’ge Ruh. Amen.“

Ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er ihn um Brot bittet? Um wieviel mehr wird der Vater im Himmel, usw.

Daher: beichten; die Allerseelenablässe gewinnen; und Halloween zumindest wohlwollend zur Kenntnis nehmen – dies erscheint auf Grund des Gesagten als hervorragende katholische Reaktion auf das Elend der Reformation, die an einem 31. Oktober begonnen hat und leider viel Grusel, irdischen (wenn man an die Kriege denkt), aber vor allem theologischen, in die Welt gebracht hat, der leider nicht am warmen Kaminfeuer genossen werden kann.

Zumindest noch nicht. Wer weiß, wie wir einmal im Himmel darüber denken werden.

51 Gedanken zu “Halloween, und so

  1. Ganz großes Kino, dieser Beitrag!!

    Vor allem freue ich mich sehr über die Wertschätzung des dies irae, ich bedauere sehr, dass diese wunderbare Hymne zu Allerheiligen seit der Liturgiereform aus dem Requiem verschwunden ist, weil er die „Leuchtkraft des Auferstehungsglauben“ verdunkle (vgl. dazu auch Lateinische Hymnen. Herausgegeben von Alex Stock, Berlin 2013, 290f.). O sancta banalitas! Als ob das eine ohne das andere denkbar wäre.

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    1. Korrektur: „weil sie …“. Doofer Genuswechsel vom Lateinischen ins Deutsche, hätt‘ ich doch gleich besser „Hymnus“ geschrieben…

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    2. Danke!

      Hieß das wirklich offiziell „des Auferstehungsglaubens verdunkle“? Tatsächlich ist doch das Dies irae eine der verhältnismäßig wenigen Gelegenheiten, wo die allgemeine Auferstehung überhaupt als solche angesprochen wird; das Interesse der Menschen richtet sich halt aus begreiflichen Gründen dann doch eher auf das Schicksal der Seele unmittelbar nach dem Tod, zumal das Urteil des Spezialgerichts im Jüngsten Gericht ja nicht etwa revidiert wird.

      Aber gerade die allgemeine Auferstehung ist ja Auferstehung zum Leben ebenso wie Auferstehung zur ewigen Strafe; und das, was vorher passiert, nennt man, auch wenn es die Glückseligkeit der Seele im Himmel ist, nicht Auferstehung.

      (Ja, ich weiß, wird auch gern vergessen.)

      —–

      Ich find’s ja auch immer sehr bezeichnend, daß zur selben Zeit, als düstere Elemente und der Gedanke ans Weltgericht usw. in der Kirche keinen Platz mehr hatten, diese Gefühle sogleich ein Revival erlebten, und zwar ein Creedence-Clearwater-Revival:

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    3. Leider konnte ich nur aus dem angegebenen Buch zitieren; in den Originalkonstitutionen steht es anscheinend nicht, aber in der Sekundärliteratur, die das ganze interpretiert hat, im typischen 80er-Jahre-Duktus.

      Den Hinweis auf Credence Clearwater Revival finde ich ziemlich witzig; es ist überhaupt interessant, was alles so popkulturell verbrämt auftaucht, was dem modern-aufgeklärten Bürger, der sich für das Ziel aller Geschichte hält (was ja auch nix neues ist), nicht mehr zumutbar erscheint.

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  2. Also dann.

    So viel Aufmerksamkeit hatte ich gar nicht erwartet, daß jemand (@Albrecht_Goes bei Twitter) diesen Artikel „intensiv liest“, obwohl er ihm „kein Vergnügen“ bereitet. Das freut mich natürlich umso mehr.

    Nun, ich sei „boshaft“, hantiere mit „Unterstellungen“ und sei voll der „Häme“. So weit so gut: Nummer 2 wird von mir offen zugegeben, ja, ich hantiere in einem gewissen noch zu erklärenden Sinn mit „Unterstellungen“. Wie man aber auf „boshaft“ und „Häme“ kommt, kann ich mir ehrlich gesagt nichts erklären – zumindest nicht, wenn die Begriffe bedeuten sollen, was sie bedeuten. Weder Boshaftigkeit noch Häme würde mir in bezug auf den Protestantismus einfallen.

    Ich kann allerdings mit Freude auf schuldig plädieren, daß ich einen, nicht boshaften, aber ohne Gewissensbisse polemischen und streitlustigen Text geschrieben habe. Mir gefällt dabei das Bild von @Albrecht_Goes, wenn er von „Relikten aus der kontroverstheologischen katholischen Rumpelkammer“ spricht. Sollte ich es wirklich geschafft haben, doch das eine oder andere Relikt aus der kontroverstheologischen katholischen Rumpelkammer hervorgeholt zu haben, dann darf ich mich glücklich schätzen.

    Tatsächlich hatte ich mir gestern, als ich noch keine Zeit gehabt hatte, die Vorwürfe im einzelnen zu lesen, aber mir schon einmal überlegt hatte, was ich zur Erklärung vielleicht schreiben würde, u. a. auf die Frage „was soll dieser Text“, gedacht zu antworten: „Nun, er ist eine zunächst aus Spaß an der Freude, dann vielleicht auch, weil man ja immer in Diskussionen verwickelt werden kann (wo man sowohl *Argumente*, wo hier natürlich spezielle drin sind, und *Technik*, die allgemein ist), angefertigte Fingerübung darin, das zu sein, was die Engländer einen ‚controversialist‘ nennen.“ Der Mangel an polemischer, scharf geführter Debatte ist ein Übel, das abzustellen wäre.

    Übrigens wäre damit meiner Meinung nach nicht nur der katholischen, sondern sogar der protestantischen Sache gedient. Ich sag’s einmal mit dem bekannten Analogon: wenden sich die Leute mehr von der Politik ab, wenn im Bundestag Angela Merkel und Olaf Scholz reden, oder wenn dort Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner reden?

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    1. Dann zu diesem hier:

      >>Theologisch und historisch fehlerhaft. Quellen? Belege? Unkenntnis selbst bekanntester Lutherschriften. Nichts gegen Lutherkritik etc., aber sie sollte informiert sein.

      Eine solche Kritik würde mich „normalerweise“ vermuten lassen, ihr Verfasser habe das Genre meines Artikels völlig verkannt; da wir aber beide Deutsche sind, schreibe ich das eher der Vorliebe der Deutschen für das Genre „wissenschaftliche Arbeit“ vor, daß es ihnen (ja, das dürfte mir auch manchmal so gehen) manchmal gar nicht einfällt, daß es etwas anderes auch noch gibt. Anderswo sieht man das anders; ich habe neulich sogar ein Buch von ziemlich wissenschaftlichem Anspruch gelesen, in dem der Autor sich vorher entschuldigt, er müsse generell auf Belege verzichten, sonst könnte er nicht verständlich sein. Er ist aber auch Brite.

      Also: Ich mache im einzelnen theologische und historische Fehler, ja. (Darauf, daß meine Begründung dafür, die Pfingstbewegung nicht zum Protestantismus zu rechnen, auf ziemlich tönernen Füßen steht, wenn überhaupt das – aber da war ich mir im Gegensatz zum Mormonismus auch nicht *sicher* – bin ich z. B. schon hingewiesen worden.) Ich habe mit Absicht keine Quellen gesucht und mit Absicht keine Belege eingebaut. Ich kann mich, nebenbei, auch nicht erinnern, in irgendeinem Werk von Chesterton jemals einen Quellenverweis gesehen zu haben.

      Ich kenne auch selbst die bekanntesten Lutherschriften nicht, das ist richtig. Jetzt hätte ich fast „wozu auch“ gesagt, aber das wäre *reiner* Polemizismus und falsch gewesen: Luther ist durchaus eine interessante Gestalt, mit der zu beschäftigen sich lohnen könnte. (Daß einige andere Dinge auf der Prioritätenliste weiter vorne stehen, ist trotzdem so.) Richtig ist an dem „wozu auch“ aber, und das bitte ich jetzt einmal als ein allgemeines Prinzip festgehalten zu haben:

      Man muß sich nicht in Lutherschriften auskennen, um Luther kritisieren zu dürfen.

      Und Schluß.

      Vor Gericht und in einer wissenschaftlichen Arbeit muß der Behaupter seine Behauptungen beweisen. *Hier* muß ich das *nicht*, müßte es nicht einmal, wenn es von Anfang an meine Absicht gewesen wäre, diesen Artikel auf Crescentias Blog oder, wenn ich einen hätte, meinem eigenen zu veröffentlichen. Ich muß meine Behauptungen nur *plausibel* machen, und das habe ich, mögliche Fehler im Detail notwithstanding. Es ist dann an Ihnen, zu widersprechen, wenn sie wollen: „dieser Punkt stimmt nicht“, und so. In so einem Fall aber bitte in der Begründung zu „es stimmt nicht“ nicht ausführen, daß es *doch* stimmt (ich komme noch drauf).

      Ich zweifle aber tatsächlich nicht daran, daß ich Luther noch schärfer, weil gezielter hätte angreifen können, wenn ich noch genauer über ihn Bescheid wüßte. – Zumindest wenn ich mir trotz Detailkenntnis meinen allgemeinen Blick dann bewahren könnte.

      Denn es ist so: Das liefern von Details, „set out fair and square without contradictions“, wie die Hobbits es lieben, ist ja schön und auch wichtig. Wichtiger ist aber doch – und gerade etwas, was mir eigentlich *weniger* liegt, aber man kann ja üben – etwas über die entscheidenden Angelpunkte, den tieferen Sinn usw. zu erfassen. Also etwas zu erfassen, nicht nur zu wissen. Da ist kann dann auch Hörensagen, das, was man irgendwo aufgeschnappt hat, einen nicht zu unterschätzenden Dienst leisten. Ein guter Teil der Arbeiten Ramanujans hatte keinen Beweis und war damit vom formell mathematischen Standpunkt aus gewissermaßen wertlos. Welch ein Glück, daß die Mathematiker das nicht so streng gesehen, sondern ihm vielmehr seine Theoreme hinterherbewiesen haben! Eines von den besten Büchern über Thomas von Aquin wurde so geschrieben: Verleger kommt zum Autor und sagt: „Wir hätten gern ein Buch über Thomas von Aquin“. Autor ergreift sich ein Konversationslexikon, liest dort nochmal den Eintrag zu Thomas von Aquin durch, und diktiert dann ein (fußnotenloses) Buch von, in der deutschen Taschenbuchausgabe, 139 Seiten nieder. Jedenfalls wird das so berichtet; das Buch ist natürlich „Der stumme Ochse“ von Chesterton (meines Erachtens knapp vor dem „Return of Don Quixote“ auch sein bestes, aber ich schweife schon wieder ab).

      – Aber wenn es Sie interessiert, meine Quelle zu Luther sind Allgemeinwissen einschließlich des (katholischen, aber sehr lutherfreundlichen) Religionsunterrichts, katholische Zeitschriften und „Das Ich im Glauben bei Martin Luther“ von Paul Hacker.

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    2. Also: ich lese gerade bei Ihnen noch den Ausdruck: „Innerkatholische Selbstvergewisserung“. Jo, so könnte man das nennen.

      Gern immer ein bißchen dabei, denn wenn man sich sicher ist, dann muß man das auch aussprechen, damit das Gefühl dem Verstand folgt. Wird viel zu selten gemacht. Der Hauptgrund für den Artikel war das aber nicht – der war tatsächlich die Überraschung, daß mir plötzlich gekommen ist, daß Halloween eine Art katholische Antwort auf den Reformationstag und als solche natürlich besser, jedenfalls aber einen gewissen inneren Zusammenhang habend ist.

      Von meinem eigenen Gefühl her hätte ich ja eben tatsächlich, das war keine Rhetorik, den Reformationstag dem Halloween vorgezogen, zwar natürlich nur im Geiste von „Respekt vor dem ehrbaren Gegner (ja, mit dem ist man auch noch irgendwie verwandt, das schon auch)“ und so, aber immerhin.

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  3. Zu 1a. (Ich bin mal so freundlich und tipsel das ab.)

    >>Was genau ist mit dem „zweifellos unkatholischen Geist“ gemeint, der in Luthers 95 Thesen durchscheint, wo doch Ihrer Meinung nach – und das wird auch in der Lutherforschung breit vertreiten – diese Lehren der katholischen Lehre meist nicht widersprechen?

    Daß eben nicht jede Aussage, die keine Häresie ist, deswegen schon ganz sauber ist. Auch formell richtige Aussagen können fokusmäßig problematisch sein. Luther hatte in seinen Thesen wohl kaum Häresien drin (so heißt es zumindest, und in bezug auf die meisten von ihnen stimmt es; ob für alle, müßte ich nachprüfen); aber so richtig katholisch waren die trotzdem nicht. Für eine ausführliche Begründung dieser Tatsache müßte ich die Thesen einzeln durchkommentieren. Das kann ich gerne später auch noch tun; einstweilen, um ein wenig anzudeuten, wo die Reise hinläuft, kann ich mal demonstrieren, wie ich zu These 1 loslegen würde:

    These 1: „Wenn unser Heiland sagte ‚Tuet Buße‘, dann meint er, daß das ganze Leben des Christen eine Buße sein soll.“

    Kommentar: Es kann dahingestellt bleiben, ob man für etwas, daß der Ausleger zweckmäßigerweise in geeignete Bibelworte hineinlegt, als vom Heiland gemeint bezeichnen kann. Jedenfalls ist es für sich genommen richtig, daß das ganze Leben des Christen eine Buße sein soll. Doch wäre diese richtige Bemerkung einseitig, wenn sie ohne den Hinweis bleibt, daß diese Buße nach der Lehre der Theologen habituell immer, aktuell hingegen nur dann und wann sein muß, so daß das, was der Mann auf der Straße, der hört „dein ganzes Leben soll eine einzige Buße“, versteht, eben gerade *nicht* gemeint sein kann. Übrigens dient der „Aktualisierung“ dieser Bußgesinnung vor allem regelmäßige Praktiken wie z. B. die Fastenzeit oder auch die Andachtsbeichte.

    So ungefähr.

    1b.

    >>Luther im Jahr 1517 „Unbelehrbarkeit“ zu unterstellen und zu behaupten, das sei „ja unstrittig“…

    Habe ich gar nicht. Ich darf darum bitten, ein wenig auf den Zusammenhang zu achten, in dem das Wort „unstrittig“ vorkam. Ich dachte mir dabei sogar ehrlich, der protestantischen Sache zu dienen: Das Thema war nämlich etwas, das wir alle, vor allem letztes Jahr, ein wenig zu oft gehört haben, eben das angesprochene „Ist der Reformationstag so passiert?“, wobei mit „so passiert“ „Luther mit Hammer und Nägeln“ gemeint ist. Und es ist in *diesem* Zusammenhang, daß ich gesagt habe: es ist egal, wie das genau passiert ist, *unstrittig* ist, daß die Reformation um diesen Zeitpunkt begonnen hat. Das ist hier der Sinn des Wortes „unstrittig“.

    Daß ich die Reformation gleich auch noch ein wenig beschrieben hatte, dabei aber gleichzeitig – so präzise wollte ich dann schon sein – in den 95 Thesen noch nicht das Werk der Reformation schlechthin ansehen konnte, eben weil sie (zwischen den Zeilen hin, zwischen den Zeilen her) großteils noch katholisch waren, und deshalb den *Zusammenhang* mit ihnen und der eigentlichen Reformation so herstellen mußte, daß diese aus der angestoßenen Bewegung und seiner später in diesem Zusammenhang auftretenden *Unbelehrbarkeit* (das ist der Sinn des Wortes „Unbelehrbarkeit“) entstanden ist – man ergänze: wenn auch nicht aus den 95 Thesen unmittelbar selbst – bitte ich mir nachzusehen.

    1c.

    >>Der Ablaß als solcher […] wird damit (1517) bei Luther noch nicht verworfen.

    Das ist genau das, was ich ausdrücklich sage. Ich sage nämlich, wenn ich mich mal kurz selbst zitieren darf:

    >>[Er] kommt […] dann zur Verwerflichkeit des Ablaßgewinnens. (Diese steht nicht in den 95 Thesen, die ausdrücklich das Gegenteil proklamieren, etwa in These 67; ich meine aber, daß man sie zwischen den Zeilen lesen kann.)

    Für die Behauptung, *daß* man diese Verwerflichkeit zwischen den Zeilen – und, was die 95 Thesen angeht, ausdrücklich nur dort – lesen kann, wäre ebenfalls wieder ein Kommentar aller 95 Thesen erforderlich.

    2.

    >>Nein, „unbelehrbar“ war Luther weder damals […] noch später. Stur: ja.

    Mehr brauch‘ ich nicht hinzuzufügen: außer vielleicht, daß ich Ihnen sehr gerne die Genehmigung erteile, jedes Wort „unbelehrbar“ durch das Wort „stur“ zu ersetzen, weil die beiden Wörter in meinem Sprachgebrauch das exakt selbe bedeuten.

    Also war er, wenn er stur war, natürlich auch unbelehrbar.

    >>Frage: Wie stehen Sie zur Gewaltausübung in Glaubensfragen?

    Recte: zur Anwendung strafrechtlicher Maßnahmen in Glaubensdingen. – Nun, ich finde tatsächlich die Haltung, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder z. B. in bezug auf die Scientology-Sekte einnehmen, 100% in Ordnung. Reicht das? (Die Frage ist nämlich eingestandenermaßen eine ziemlich komplexe und schwierige, und für die Beantwortung einer eingeklammerten Frage den wahrscheinlich Hauptteil der Ausführungen zu verwenden, könnte den Fokus etwas verlagern.

    >>Was bei Johannes Hus […] gelang, das ging bei Luther aufgrund der Verbreitung der Thesen nicht mehr: auf Gehorsam gegenüber einer mächtigeren Instanz zu bestehen.

    Ach kommen S‘. „auf Grund der Verbreitung der Thesen?“ Ich bitte Sie. Man braucht es nicht gut finden, daß die Reformation sonst auf dem Polizeiweg unterdrückt worden wäre, aber *daß* es nicht geschehen ist, liegt doch nun wirklich nur zum geringsten Teil daran, daß die Thesen verbreitet waren. Das liegt vielmehr an der Protektion des sächsischen Kurfürsten und auch daran, daß der Kaiser in Italien, Frankreich und mit den Türken so beschäftigt war.

    Übrigens soll man als Kirche ja nicht nur Gehorsam einfordern, sondern den Leuten auch erklären, wie sich die Dinge wirklich verhalten. Das ist aber nicht nur heute so, das war auch damals so; mit Luther hat man es gemacht. Dr. Eck und Kardinal Cajetan waren ja schließlich durchaus fähige und gläubige Männer, was im Falle des ersteren auch Luther zögern anzuerkennen scheint („und wenn man mir hundert Dr. Ecks schickte“, d. h., dann würde er immer noch, aber zu beißen hat er an Dr. Eck schon gehabt).

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  4. Punkt 3 fehlt bzw. ist nur noch ein Absatz zu erkennen.

    4.

    >>Es ist unredlich, Luther etwas zu unterstellen, was die Belege nicht liefern. Wenn man kritisiert, sollte man es belegen.

    Worauf Sie sich beziehen, ist für mich nicht zu erkennen. Aber nein, das ist nicht unredlich, sondern höchstens unwissenschaftlich. Außerhalb eines Gerichtsprozesses und einer wissenschaftlichen Arbeit darf ich das, was ich weiß, auch ohne Fußnote sagen. Was Sie davon halten wollen, können Sie sich dann ja selbst aussuchen.

    Nebenbei: Dafür, daß Sie das nicht nur unwissenschaftlich oder so nennen, sondern auch „unredlich“, muß ich jetzt einmal unangemessen ernst werden. Ich weise Sie darauf hin, daß das eine Beleidigung ist, und frage, ob Sie diese aufrechterhalten.

    5.

    [Text drüben]

    Nein, kenne ich nicht. Ich hätte aber, wenn die Rede darauf gekommen wäre, auch mich *meinem* Wissen gesagt, daß Luther jederzeit dem Papst den Fuß geküßt hätte – sogar ganz ernst und ohne Verstellung – wenn nur der Papst seine Irrlehre übernommen hätte.

    Interessant, daß Luther schon 1518 den Papst für „eventuell den Antichristen“ gehalten hat, das wußte ich nicht. Daß ich das, was Luther dem Papst schreibt, auch was er öffentlich schreibt, nur mit Vorsicht als Beweis nehme für das, was er denkt, sei trotzdem angemerkt. Er hat schließlich in den 95 Thesen sich auch offiziell zum Ablaß bekannt.

    6.

    >>Es ist im übrigen weiß Gott keine „von Katholiken, die aus ökumenischer Höflichkeit ums Verrecken irgendetwas Freundliches dazu sagen wollen, viel zu sehr betonte Tatsache“[…]. Es ist schlicht eine Tatsache.

    Was ich damit sagen wollte, haben Sie nicht verstanden. Ich habe doch die Tatsache nicht bestritten! (Obwohl das wenigstens teilweise ein „argumentatives Zugeständnis“ war. Natürlich gab es Mißstände, aber wenn sich die Frage stellt, ob sie wirklich so schlimm waren, wie man immer meint, sei einmal dahingestellt.)

    Meine Bemerkung dazu sollte genau das sagen, was sie sagt. Sie richtet sich gegen Katholiken, die, wie man häufig hört, sagen; „Ja, da gab es wirklich viele Mißstände in der Kirche, deswegen kam Luther.“ Das wird nämlich zunächst einmal vor allem Luther nicht gerecht. Die beim Thema Luther aufgeworfenen Fragen sind solche der Glaubenslehre, und sowohl der Katholik wie der Protestant diskutiert am besten und ergiebigsten übers Thema. Ich bestreite nicht die Tatsächlichkeit der Mißstände, aber gerade *deswegen* heißt es, als Katholik auf ihnen allzusehr herumzureiten, daß man sich vor dem eigentlichen Thema drückt, wohl weil man irgendwo mit dem Protestanten übereinstimmen will und sich vor der Unvereinbarkeit der Meinungen fürchtet; das würde mir übrigens auch dann nicht gefallen, wenn ich die protestantische Seite vertreten würde.

    >>Da geht es auch nicht um die hohen Kosten für den Neubau des Petersdoms, das ist irrelevant.

    Das ist durchaus relevant, weil um genau *die* Ablässe ging’s ja.

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    1. Dann ist die Antwort:

      3. Das habe ich nicht bestritten und hätte es auch nicht. Er hat ja auch mit Dr. Eck und Kardinal Cajetan diskutiert. Luther wollte durchaus seine Lehre diskutieren, aber als man ihm demonstrierte, daß sie falsch ist, wollte er sie nicht ändern – *das* meine ich mit Unbelehrbarkeit.

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  5. 7.

    >>Letztlich ist es auch nicht Luther, der die Schuld trägt an der entstandenen abendländischen Kirchenspaltung. Im Gegenteil war – neben anderem, was Sie nannten – die strukturelle Unreformierbarkeit der römischen Kirche der Hauptgrund der fortdauernden Kirchenspaltung.

    Das bestreite ich. Ob die katholische Kirche „strukturell unreformierbar“ ist oder nicht, es war jedenfalls nicht Luthers Primärzweck, sie strukturell zu reformieren. Ausgelöst hat das ganze seine Weigerung, die Irrlehren, die er gelehrt hatte, zu widerrufen, und darin dürfte er selber auch die Hauptsache gesehen haben: „Das Wort sie sollen lassen stahn“ (wobei er unter dem „Wort“ natürlich das verstand, was eben *er* darunter verstand).

    >>Es blieb – von Johannes 17 her gesagt: „leider“ – kein anderer Weg, als die Fortdauer der reformatorischen Kirchen auf andere Weise zu sichern.

    Das mag sein. Aber die reformatorischen Kirchen hätten ja gar nicht fortbestehen sollen. Sie hätten wieder zum wahren Glauben zurückfinden und damit als solche untergehen sollen.

    Was übrigens Johannes 17 betrifft: Es gibt ja viele Leute, die sagen, das Gebet unseres Heilands sei nicht beantwortet worden, die, die glauben, seien nicht eins wie der Vater in Christus und er im Vater ist. – Das ist aber nicht richtig, oder wenigstens nicht ausschließlich und nicht einmal vordringlich richtig. Man darf eben „die, die glauben“ nicht vorschnell mit „die, die den christlichen Namen tragen“ gleichsetzen. Die katholische Kirche *ist* eins.

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  6. 8.

    >>Ohnehin wirkt diese These [daß das theoretische Fundament des Protestantismus die Angst ist] wie ex nihilo eingeführt.

    Da das mein Artikel ist, habe ich mir das erlaubt 😉

    Ich habe die These danach übrigens weiter begründet. Ich halte es im allgemeinen für recht sinnvoll, erst das Theorem hinzuschreiben und dann den Beweis.

    >>Möglicherweise ist das Movens dieser Polemig die irrige Annahme, daß es sich die Evangelischen durch ihre Rechtfertigungslehre halt einfach, allzu einfach, machen würden, denn es käme auf die Ethik ja gar nicht mehr an. Dieses Fehlurteil wird bereits in den Lutherschriften widerlegt. Man denke nur an die unübertroffene Doppelthese im Freiheitstraktat.

    Ach was.

    Schon schade, gell, jetzt schreibt der Nepomuk schon einen ellenlangen antiprotestantischen Artikel, und das abgedroschene Standardargument der Kontroversialisten *kommt nicht einmal*? Ja, dann ist es halt „möglicherweise das Movens“.

    Nebenbei: Wenn Sie schon einen Beleg wollen, dann weiß ich so viel von Luther schon, daß „die Lutherschriften“ in Regalhektometern gemessen werden. Von Ihrer Show-of-force der Bauart „wer die ‚Doppelthese‘ und das ‚Freiheitstraktat‘ nicht kennt, der darf hier gar nicht mitreden“ lasse ich mich dabei einmal gar nicht beeindrucken. Und wissen Sie auch, warum nicht? Weil es zwar sinnvoll sein mag, Luther verstehen zu wollen, dazu vielleicht auch diese Stellen zu kennen, aber es am Ende des Tages doch darauf hinausläuft, daß die heilige Mutter Kirche Recht hat. Gott verläßt nämlich Seine Kirche nicht, und Schluß.

    Aber for the record, nein, ich behaupte nicht, die Evangelischen würden es sich zu einfach machen wollen; das liegt zu auf der Hand, das ist zu oberflächlich, daß es mir Spaß machen würde, auf eine These einzugehen. Zumal es im tieferen dann eben nicht so ist: Gerade *darum* ging’s mir ja. „Man redet immer von dem, was man nicht hat“; die Protestanten tun formell so, als ob ethisch dann gar nichts mehr verlangt würde, was zunächst ja schön einfach klingt, aber weiter hinten kommt’s dann nur um so knüppeldicker. Sicher, Luther hat Angst gehabt und wollte sich aus dem Sumpf dieser Angst wie Münchhausen am Schopf seines eigenen Fiduzialglaubens entziehen – was Sie ja nicht bestreiten, und außerdem, sonst hätte man doch den Fiduzialglauben gar nicht erst erfinden brauchen. Aber ist sie denn deswegen so wirklich verschwunden?

    *Gerade das war mein Punkt*; nicht daß die Protestanten es sich zu leicht machen, sondern daß die armen Protestanten es sich leider viel zu schwer machen. Die theoretische Grundlage des Protestantismus ist die Angst; sicher ist das die auf die Weise des Fiduzialglaubens scheinbar *überwundene* Angst, aber das Pfeifen im dunklen Wald läßt diese eben nur in den Hintergrund zurücktreten. Wenn es hier irgendjemand einfach hat, dann ist das der Katholik, der einfach beichtet und Schluß. (Wobei „einfach beichtet“ natürlich in Relation zu sehen ist. Eine Überwindung ist schon meist dabei.)

    Wie Sie sehen, folge ich nicht der zu oberflächlichen „die Protestanten haben’s leicht, wir Katholiken haben’s schwer; diese Faulpelze da drüben“ Meinung. Wir sind es, die es leicht haben.

    Konkret äußert sich diese zunächst nur in den Hintergrund gedrängte schwere meines Wissens dadurch, daß man ja den Glauben auch verlieren und sich *davor* fürchten kann, sowie daß es dann meines Wissens von Anfang an kein Glauben ist, wenn man hernach eine hinreichend schwere Sünde begeht, z. B. Glaubensabfall. Das ist objektiv gesehen um Längen schlimmer als der bisherige Zustand, selbst der Luthers, denn da hätte man ihm antworten können; aber es ist etwas Zeit vergangen, niemand will „ganz zurück“, also wird die Überlegung, *daß* es objektiv schlimmer ist, nicht angestellt.

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  7. 9a. Und es ist boshaft, weil bewußt unterstellend, wenn der Autor sein psychologisierendes Fehlurteil (fast hätte ich gesagt: sein „Feindbild“) nun allen „ernstzunehmenden Protestanten“ unterschieben möchte.

    So, bei Ihnen ist eine bewußte Unterstellung also ein Akt der Boshaftigkeit? Mann, mann, mann, mit Ihrer Moral muß man ja à la protestante umgehen, einhalten könnte man sie doch nicht. (Kurze Durchsage: Das war eine nicht mit vollem Ernst ausgestattete Bemerkung.)

    Also: Ich habe gesagt, jeder ernstzunehmende Protestant wird mir bestätigen, daß Luther Angst hatte und dies das Fundament der Reformation ist. Das war selbstverständlich – das zu erläutern, hielt ich für überflüssig, selbstverständlich und den Redefluß störend – so gemeint, nicht daß die Angst selbst die weltanschauliche Basis des Protestantismus ist (ein *Protestant* kann ja *das* natürlich *nicht* zugeben), sondern daß sie Luthers sog. Turmerlebnis oder was er in dieser Zeit sonst erlebt hat auslöste und dies im wesentlichen in die Reformation gemündet ist.

    Das, so sagte ich, wird kein ernstzunehmender Protestant bestreiten wollen. Das war eine bewußte Unterstellung, ja; aber eine bewußte Unterstellung ist kein Akt der Boshaftigkeit. Der hl. Thomas von Aquin hat auch nicht bei jedem, den er widersprach, nachgefragt, ob er ihn im Zusammenhang richtig zitiert, bevor er ihn widerlegt; aber er *hat* sich die Mühe gemacht, selbst danach zu streben, ihn sinngemäß korregt zu verstehen, und dazu bemühe auch ich mich.

    In diesem Sinn eben die Feststellung, daß dem jeder ernstzunehmende Protestant zustimmen wird. Jeder ernstzunehmende einfach deswegen, weil es auch unter Protestanten solche geben kann, die Unsinn reden oder einfach keine Ahnung haben.

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  8. 9b.

    >>Es ist zudem eine unzulässige Grenzüberschreitung, bei hier einem Gegenüber etwas unterstellt wird, was dieses nicht zuvor bestätigt hat.

    Ja, wenn ich in meine Schublade oder auch auf einem Blog einen Text schreibe, dann habe ich doch gar kein Gegenüber.

    9c.

    >>*Richtig* ist, daß der *vor*reformatorische Luther zu Recht Angst hatte.

    Okay; Sie sind also jedenfalls schonmal nicht deswegen kein ernstzunehmender Protestant, weil Sie das bestreiten würden ;-).

    Zu Recht? Nun, eine gewisse Gottesfurcht ist immer berechtigt, tatsächlich. Tatsächlich hat (meines Wissens) dazu erheblich beigetragen, daß er (entsprechend der damals modischen Meinung der Theologen) nicht an die Wirksamkeit der bloßen (recht einfach herzustellenden) Furchtreue im Bußsakrament glaubte. Für mich hätte freilich ein Theologieprofessor wissen müssen, daß der hl. Thomas das sehr wohl gelehrt hatte, das also zumindest nicht selbstverständlich nicht so ist; aber vielleicht setze ich da ja zu heutige Maßstäbe an. Daher war das dann auch nicht zu Recht.

    9d.

    >>Nur daß eben Luthers „spezielle“ Lösung der Sinn- und Gottesfrage genau die ist, die sich ihm von der Schrift selbst aufdrängte.

    Ich bestreite nicht, daß ihm das so vorgekommen ist. Objektiv gilt hier freilich: da lachen ja die Hühner. Oder etwas weniger umständlich: Phil 2,12; Jak 2,14ff.; Mt 25,18; usw. usf.

    9e.

    >>Darum ist es auch richtig, daß [ich nehme an, der Verfasser meint: protestantische] Christen sich vor diesem „Letzten Gericht“ nicht ängsiten müssen.

    Dazu zum einen: Warum die Anführungszeichen?

    Zum andern: ist das denn richtig, an sich, daß wir uns nicht ängstigen müßten? Es heißt schließ- und endlich immer noch „Gottesfurcht“; im übrigen darf ich mal auf den expliziten Text von Mt 10,28 verweisen.

    Aus diesem wird übrigens auch klar, warum Gott denn unbedingt *will*, daß wir Ihn fürchten. Nicht weil er uns die Sorglosigkeit nicht gönnen täte, sondern weil anscheinend manchmal nur ein Gegengewicht an Furcht die Furcht vertreiben. Wir müssen Gott mehr dienen als (z. B.) dem Herrscher, und damit wir das auch tun, müssen wir ihn auch mehr fürchten, auch im ganz banalen Sinn von „sich vor ihm fürchten“, als den Herrscher, zumindest wenn das einmal Spitz auf Knopf stehen sollte.

    Zum dritten, ist es denn so, daß der Christ „darum“, wegen Luther, also der protestantische Christ auf Grund dieser protestantischen Lehre sich nicht ängstigen muß? Wenn wir schon Gewißheiten wollen, woher weiß er denn mit Gewißheit, ob sein Glaube durchhält und hernach als echter, hinreichender Glaube anerkannt wird? Das kann er doch nie mit Sicherheit sagen.

    Und zum vierten kann man natürlich nicht wegen einer Erkenntnis Luthers sorglos sein, wenn die Erkenntnis Luthers nunmal gar keine Erkenntnis, sondern ein Irrtum war.

    9f. „Es ist das Ereignis des göttlichen Zu-Recht-Bringens (das bedeutet Richten“.

    Ach, ich bitte Sie. Diesen Predigt-Wortspielzaubertrick können wir doch nun wirklich in die Mottenkiste stecken, wo er (nach einem Schmunzeln drüber, daß das ja doch tatsächlich auch irgendwo enthalten sei; Zufälle gibt’s; was die deutsche Sprache nicht so alles hergibt) ja auch hingehört.

    Selbstverständlich heißt „richten“ zuerst und vor allem ganz einfach „richten“. Das klingt natürlich erstmal härter (ich habe oben weit und breit dargelegt, daß das auch der Härte nach nur ein *oberflächlicher* Eindruck ist), aber ist jedenfalls die Wahrheit und auch der offensichtliche Inhalt der hl. Schrift.

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  9. 10a.

    >>Das macht einerseits traurig auf Grund der (von mir angenommenen) Bitterkeit des Autors über eine Evangelische Kirche, die er nur als Karikatur kennt und nicht versteht, und angesichts des sichtbar werdenden Abstands im Glauben wie im Denken.

    Die Annahme ist falsch; ich bin nicht verbittert über die Evangelische Kirche bzw. wenndann nur deswegen, weil sie nicht einmal anständig lutherisch ist (aber *das* mag eine Karikatur sein, das Innenleben kenne ich in der Tat nicht; und vor allem ist es eine andere Geschichte, eine ganz andere Entwicklung, an der ich ja auch nie behaupten würde, daß die katholische Kirche von ihr völlig verschont geblieben sei.).

    Es ging mir um den protestantischen *Glauben*, und über den bin ich auch nicht verbittert, nur froh, daß ich ihn nicht haben muß.

    10b.

    >>Und ich schreibe es im Dank gegenüber der Tatsache, daß der „in sich selbst verkrümmte Mensch“ zum Ereignis seiner Erlösung nichts beizutragen braucht, da Christus das Nötige getan hat

    Technische Anmerkung: Natürlich kann der Sünder zu seiner Erlösung nichts *positiv* beitragen, das glauben auch wir, aber er darf ihr doch kein Hindernis in den Weg setzen und muß diese Hindernisse, soweit es an ihm steht, beseitigen.

    Weniger technische Anmerkung: Nichts beitragen? Das hör ich von protestantischer Seite immer, und dann heißt es, man müsse aber glauben? Was denn nun, *etwas* tun oder *nichts*?

    10c.

    >>und angesichts des sichtbar werdenden Abstands im Glauben und Denken.

    Na Gott sei Dank.

    Also nicht dafür, daß der Abstand nach Ihrer Seite besteht, aber sehr wohl dafür, daß er, wenn er nun schonmal da ist, wenigstens hier einmal kurz sichtbar geworden ist.

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  10. Falls noch nicht bekannt: Im Buch „Über die Hoffnung“ von Josef Pieper gibt es eine hervorragende Einordnung der Furcht gemäß der klassischen Theologie (hauptsächlich Thomas v. Aquin). Es handelt sich bei der Gottesfurcht um eine wirkliche Furcht (nicht nur Ehrfurcht oder Respekt), die verhindert dass die Hoffnung zu ihrer falsa similitudo – der Vermessenheit – wird. „Die einzige echte und seinsgerechte Überwindung der Furcht vor der Ewigen Verdammnis (knechtische Furcht) ist: das Voranschreiten in der Liebe.“

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    1. Das würde ich nicht bestreiten, und es hat den netten Nebeneffekt, daß wir ziemlich leicht zu gültigen Beichten kommen, weil diese Art Furcht schon ausreicht. (Übrigens einer der entscheidenden Punkte, die man Luther hätte sagen sollen.)

      Wohl aber würde ich dafürhalten, daß diese Furcht, auch soweit sie noch nicht durch das Voranschreiten in der Liebe völlig überwunden ist – und wer würde das schon von sich behaupten wollen? – durchaus in einem gewissen Sinn „relativ“ ist, in dem Sinn, daß man sie auch mal und sogar die meiste Zeit beiseitelegen kann, wie es die Katholiken aller Zeiten getan zu haben scheinen. Auch ist, wenn etwas die Katholiken aller Zeiten getan zu haben scheinen, durchaus die Vermutung naheliegend, daß das auch ganz vernünftig ist.

      Ebensowenig kann ich umhin, es recht bezeichnend zu finden, daß unser Heiland diese Furcht, die fraglos eine echte solche ist, an genau an *einer* Stelle anordnet, nämlich als es darum geht, daß wir *andere* Mächte und Gewalten als den Herrgott eben *nicht* fürchten sollen. Es reicht nicht, wenn die Polizei im Recht, die Gangs im Unrecht ist, sondern die Polizei muß immer auch unter Beweis stellen, daß sie die härteste Gang da draußen ist (und wenn das nicht Polizeitaktik ist, sollte es das sein); ebenso scheint der Herrgott zu wissen, daß er „bloß mit Liebe“ und damit, daß er theoretisch die Macht *hätte*, auch wenn das hundertmal an sich schon reichen sollte, gegen die Furcht, die viel machtlosere Gestalten eben dadurch ausströmen, daß sie zu ihrer viel kleineren Macht greifen, nicht (man verzeihe die saloppe Ausdrucksweise)) anstinken kann. Oder vielleicht könnte Er es unter Umständen auch, aber es ist Ihm zu riskant oder zu wenig effektiv oder so.

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      1. Das ist richtig. Natürlich darf die Polizei ebensowenig wie irgendjemand anders zu in sich schlechten Mitteln greifen; der Zweck heiligt nicht die Mittel.

        Deswegen muß sie (bzw. die Strafjustiz und die dahinterstehende Gesetzgebung, die ich jetzt mal ganz unjuristisch als in dieser Beziehung eine Einheit betrachte) zu anderen, in sich akzeptablen Mitteln greifen, die das Anwenden in sich schlechter Mittel ausschließt, denselben Zweck aber verwirklicht. (Daß dabei zum Beispiel keine Bewährungsstrafenpraxis herauskommen kann, wie wir sie zur Zeit dem Vernehmen nach haben, ist natürlich klar. Ich habe ja nie behauptet, daß der gegenwärtige Zustand ideal ist.)

        So wie ein Ehepaar, das keine weiteren Kinder will, dies ebenfalls unter Anwendung in sich schlechter *oder* aber unter Anwendung in sich *akzeptabler* Mittel bewerkstelligen kann.

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      2. Hallo Nepomuk,
        ich glaube, dass „Fürchten“ ein wichtiger Punkt ist, deshalb ist meine Antwort ein bisschen lang geworden.
        Explizit kommt die Aufforderung zum Fürchten in der Heiligen Schrift nicht häufig vor, aber implizit sehr häufig. Wenn allein in den 4 Evangelien ca. 50 Mal die Ewige Verdammnis und die meisten davon in der direkten Rede Jesu vorkommt (ich habe das Mal für jmd Bekannten nachgezählt), dann liegt die Vermutung nahe, dass wir Christen uns das Fürchten nicht abgewöhnen sollten. Man könnte darauf antworten, dass auch sehr häufig „fürchtet euch nicht“ vorkommt. Das würde ich aber eher darauf beziehen, dass man sich nicht vor Gott/den Engel etc. fürchten soll wie man z.B. ein Unheil fürchtet (mehr dazu in meinen Ausführungen weiter unten). Dass aber selbst Maria bei der Erscheinung des Engels erschrickt, zeigt durchaus, dass es natürlich ist, bei der Begegnung mit dem Übernatürlichen zu erschrecken/sich zu fürchten (das sagt auch Thomas v. Aquin). Dass der Teufel als jämmerliche und komische Gestalt dargestellt wird, würde ich auf zwei Tatsachen zurückführen: Zum einen, dass er ohne unsere Einwilligung nichts auszurichten vermag (der Einzug Zugang zur Seele ist der Wille). Zum anderen, dass er – egal wie viele Seelen er zum Sündigen (ver)führt – trotzdem Gott dient und zu seiner Ehre beiträgt.

        Der Behauptung, dass es vernünftig ist, die Furcht beiseitezulegen und sie als „relativ“ zu betrachten, würde Josef Pieper entschieden widersprechen und ich glaube den Heiligen würden bei dem Gedanken tief erschrecken. Zur Begründung dieser Behauptung halte ich mich an das Kapitel „Das Geschenk der Furcht“ aus dem oben zitierten Buch von Josef Pieper: Zum menschlichen Richtbild unserer Zeit gehört – wie es in deinem Artikel auch anklingt – die Überzeugung, „daß es dem Menschen nicht anstehe, sich zu fürchten“. Die Ursprünge dieser Überzeugung sieht Pieper zum einen im aufklärerischen Liberalismus, „der die Furcht in den Bereich des Uneigentlichen verweist“ und in einem unchristlichen Stoizismus, „der sich der Furchtbarkeit des Daseins […] in trotziger Unberührtheit entgegenstellt, ohne Furcht, aber auch ohne Hoffnung.“
        Für die klassische Theologie hingegen sei nichts selbstverständlicher, „als daß das Furchtbare eine Realität der menschlichen Existenz ist“ und „der Mensch auf die objektive Furchbarkeit mit Furcht antwortet“. Ein weiteres Argument zur Verteidigung der Furcht wäre m.E., dass durch die Erbsünde die Natur des Menschen zwar geschwächt und zum Bösen geneigt wurde, aber trotzdem noch gut ist. Folglich sind auch die Anlagen der menschlichen Natur wie z.B. die zur Furch nicht schlecht.
        Nach der klassichen Theologie führt Pieper weiter aus geht darum diese gute Anlage der Furcht in die Ordnung („ordo timoris“) zu bringen. Nicht die Furcht wird gelobt oder getadelt, sonder die Ordnung oder Unordnung in ihr. „Die Furcht verwirklicht, sofern sie gegen die Ordnung der Vernunft ist, den Begriff der Sünde“. Das gilt aber neben der Furcht auch für die Furchtlosigkeit. Gemäß dem hl. Thomas v. Aquin zählen die Sünden, die der Tapferkeit entgegengesetzt sind die „ungeordnete Furchsamkeit“, aber auch die „seinswidrige Furchtlosigkeit [intimiditas]“. „Es gibt [also] ein Sichfürchten, das nicht nur nicht „unwürdig“, sondern gerade ethisch gesollt, also dem Wesen der Wirklichkeit und der geistigen Würde des Menschen gemäß ist.“
        Weiter führt Pieper aus, dass die Gottesfurcht nach der klassichen Theologie, obwohl durchaus auf Gott bezogen, do – selbstverständlich – nicht in dem Sinne Furcht „vor“ Gott, in dem etwa von der Furcht „vor“ einem Unglück gesprochen werden könne. Die Gottesfurcht richtet sich auf das „posse peccare“ (das Schuldig-werden-Können), denn es trägt „in das innerste Gehäuse der menschlichen Existenz die reale Möglichkeit der Seinsminderung und des Verfalls hinein“. Und „diese Furcht ist durch keinen Heroismus überwindbar“. „Ihr Wovor ist unabtrennbar und unaufhebbar gebunden an die Existenzweise des „Menschen auf dem Weg“ [status viatoris]“. Er kann zwar den Blick davon abwenden oder die Furcht des Herrn vergessen, das sei aber wie ein „Vergessen seiner selbst“ und wie ein „Widerspruch gegen die Wirklichkeit seines eigenen Daseins.“

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      3. Man kann die Schuld auf zwei Weisen fürchten: „um der Schuld selbst willen und um der Strafe willen“. „Das Eigentlichere ist die Furch vor der Schuld als Schuld“. Diese Furcht wird als timor castus, „der Sohnschaft gemäße oder keusche Furcht bezeichnet. Die Furch um der Strafe willen sei die timor serivilis, die „der Knechtschaft gemäße“. Die Furcht wird in beiden Fällen aus der Liebe geboren, sie ist „fliehende Liebe“. Im unvollkommenen Fall (knechtische Furcht) aus der „begehrenden“ Liebe (die dennoch „gut“, ja vom „Heiligen Geist“ ist und eine Einführung in die eigentliche Gottesliebe sein kann), im Fall der timor castus aus der eigentlichen Gottesliebe [caritas]. D.h. die Furcht ist die Kehrseite der Liebe und je nach dem ob ich unvollkommen (aber gut) oder vollkommen liebe, fürchte ich auch unvollkommen (knechtisch) oder vollkommen (der Sohnschaft gemäß). In diesem Zusammenhang steht auch der Satz, den ich in meinem letzten Kommentar zitiert habe. Nicht die Furcht an sich nimmt mit der Liebe ab, sondern die Furcht vor der Ewigen Verdammnis als Strafe (die Furcht vor der Schuld als Schuld nimmt zu).
        Piper spricht auch von der naturhaften und unvollendeten Angst vor dem Nichts (dazu würde ich die Skupulosität zählen). Diese müsse durch die Gottesfurcht vollendet werden. Denn „die Furcht des Herrn schließt in sich den Seinsgrund aller Gesundheit: sie ist der Wirklichkeit gemäß“.
        Wichtig ist noch zu erwähnen, dass die Gottesfurcht der Tugend der Hoffnung zugeordnet ist. Dies ist eines der wenigen Punkte, in denen Thomas v. Aquin seine Meinung geändert hat. Er hat sich dann endgültig auf diese Positition festgelegt hat.
        „Das Bindeglied zwischen Hoffnung und Furcht ist die begeherende Liebe, die Gott erstlich um ihrer selbst willen sucht“. „Hoffen und fürchten kann einer nur für sich selbst [und für den Menschen, den er liebt]“. Die Gottesfurcht verbürgt die Echtheit der Hoffnung und verhindert, dass sie zu ihrere falsa similitudo, der vermessenen Vorwegnahme der Erfüllung wird. Dazu passend: „Es hoffen auf den Herrn, die Ihn fürchten“ (Ps. 113,22)
        Zur Beurteilung, ob ich bei der Furcht in der Ordnung befinde, ist es glaube ich hilfreich auf die Früchte zu schauen. Spornt sie mich dazu an Gutes zu tun und nicht zu sündigen, befinde ich mich in der Ordnung. Macht sie mich ängstlicht und blockiert sie mein Leben bin ich ungeordnet furchtsam. Und mache ich es mir zu gemütlich (zum Beispiel am Lagerfeuer!), dann bin ich wahrscheinlich seinswidrig furchtlos.

        Abschließend noch ein Ausschnitt aus der Regel des heiligen Benedikt (Aus dem Kapitel: Werkzeuge der geistlichen Kunst)
        Den Tag des Gerichtes fürchten.
        Vor der Hölle erschrecken.
        Das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen.
        Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben.
        Das eigene Tun und Lassen jederzeit überwachen.
        Fest überzeugt sein, dass Gott überall auf uns schaut.

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      4. >>Zum menschlichen Richtbild unserer Zeit gehört – wie es in deinem Artikel auch anklingt – die Überzeugung, „daß es dem Menschen nicht anstehe, sich zu fürchten“.

        Sollte das aus meinem Artikel herausgehört worden sein, dann ist das ein Mißverständnis, und ich bitte um Verzeihung, wenn ich dazu Anlaß gegeben habe.

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      5. Und um auch dieses Mißverständnis aufzuklären: Wenn ich „relativ“ sage, dann meine ich das im strengen Wortsinn, und es ist auf gar keinen Fall mit „vernachlässigbar“ gleichzusetzen.

        Gemeint war, daß der Katholik, auch der Nochnichtganzheilige, im allgemeinen gut daran tut, von Gott nicht gerade das Schlimmste zu befürchten – wohlgemerkt nicht weil es „dem Menschen nicht anstehe zu fürchten“, sondern weil das *Gott* eher weniger gerecht wird; und da sehe ich auch keinen Grund, davon abzugehen. Zumal es mein (zugegeben unwissenschaftlicher) Eindruck ist, daß die katholischen Völker so ziemlich aller Zeiten das genauso gehandhabt haben.

        Man denke: Jede (nicht liturgiereformierte) Messe, außer die in Schwarz und in der Passionszeit, beginnt mit den Worten: „Verschaff mir Recht, mein Gott, und führe meine Sache gegen ein treuloses Volk!“ – und es ist der allgemeine Konsens, daß diesen Teil außer Zelebrant und Ministranten durchaus auch das Volk mitbeten darf. D. h. das Gericht Gottes wird geradezu herbeigesehnt. Würde das getan, wenn die Furcht vor Gott *nicht* „relativ“ (das Wort mag unglücklich gewählt sein) wäre?

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  11. Nachtrag: „im allgemeinen“ – d. h. es gibt auch Ausnahmen (als solche würde ich z. B. die Versuchung zur Todsünde annehmen).

    —–

    Der Rest stimmt natürlich alles; schöne Zusammenfassung, ich hätte das vermutlich jetzt auf die Schnelle so nicht hinbekommen, auch wenn ich glaubich schon trotzdem sagen kann, daß die Belehrung nicht nötig war. (Aber vielleicht für Mitlesende! Also jedenfalls danke.) Ich seh nur keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe.

    Angemerkt sei freilich, daß die Benediktsregel, als für Mönche geschrieben, bei ihrer konkreten Anwendung auf Laien mit Vorsicht und Überlegung zu genießen ist. (Was mich erinnert, daß ich unserer Gastgeberin mal – ohne Frist^^ – versprochen hatte, die „Benedict Option“ zu rezensieren…)

    – Das war eine generelle Bemerkung: die hier angesprochenen Punkte scheinen mir durchaus auf den Laien anwendbar, wobei zu beachten ist, daß gedanklich da vermutlich ein großes Auch davorsteht, und daß der hl. Benedikt wohl auch bei Mönchen nicht meint, daß sie sich jeden Tag mit diesen Punkten stundenlang psychisch beschäftigen müssen. Das würde übrigens auch jedem Außeneindruck widersprechen, den wir so von Benediktinermönchen haben.

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    1. Noch ein Nachtrag: Gegen das Erbsenzählen, was wie oft in der Hl. Schrift vorkommt, habe ich grundsätzlich eine Abneigung 😉 Einmal erwähnt reicht als Beweis, und Schluß.

      Zumal man ja nicht unbedingt von den wichtigsten Dingen am häufigsten redet, sondern unter Umständen von den auch-wichtigen Dingen viel mehr. Beispiel: Wie oft wird von den Freuden der ewigen Seligkeit gepredigt? Eben. (Ich kritisiere das nicht, das dürfte sich aus elementaren seelsorglichen Erwägungen ergeben; ich stelle nur fest.) – Auf unseren Heiland trifft das anscheinend auch zu, denn: Ist Er denn herumgelaufen und hat andauernd „Ich bin Gottes Sohn und bin gekommen, um euch durch meinen Tod zu erlösen?“ gesagt? Nein. Er *hat* das angesprochen, aber nicht unbedingt am *häufigsten*. Und von der Hl. Dreifaltigkeit hat Er gar überhaupt nur implicite geredet.

      Und wenn wir schon zählen wollen: Wie oft hat er *Seiner Jüngerschaft* die Furcht vorm jüngsten Gericht einimpfen wollen? Er *hat* es getan, eine Stelle habe ich oben erwähnt, eine andere wäre die aus der Bergpredigt mit dem engen Tor – und wie gesagt, als Beweis *reicht* das -, aber allzu *oft* war es doch nicht. (Wenn er seine *Gegner* zur Umkehr auffordert, sollte man das doch unterscheiden.)

      Die Bußpredigt ist notwendig; deswegen ging der hl. Johannes der Täufer auch unserem Heiland als Bußprediger voraus. Es wird aber der Hl. Schrift nicht gerecht, wenn man annimmt, der Heiland habe einfach da weitergemacht, wo der hl. Johannes aufgehört hat. – Was unseren Heiland nun selbst betrifft, steht – wie man wohl unstrittigerweise sagen darf: programmatisch – am Anfang des Markusevangeliums: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist unter euch; tut Buße, und glaubt an das Evangelium“. Da ist natürlich auch die Notwendigkeit der Buße dabei, aber eben *auch*. Das ganze darauf zu *verkürzen* ist – einmal sehr vorsichtig formuliert – jedenfalls nichts, das zu tun wir verpflichtet wären.

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      1. > Zum menschlichen Richtbild unserer Zeit gehört – wie es in deinem Artikel auch anklingt – die Überzeugung, „daß es dem Menschen nicht anstehe, sich zu fürchten“.
        Sollte das aus meinem Artikel herausgehört worden sein, dann ist das ein Mißverständnis, und ich bitte um Verzeihung, wenn ich dazu Anlaß gegeben habe. >>

        Oh, da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Ich wollte sagen, dass auch in deinem Artikel Kritik an dem menschlichen Richtbild unserer Zeit „der Mensch stehe es nicht an, sich zu fürchten“ anklingt.

        Ja, ich glaube „relativ“ ist nicht so gut gewählt. Ich würde eher sagen, dass die Furcht halt immer als der Hoffnung zugehörig gedacht werden sollte (hier hat das große Auch von dem du gesprochen hast seinen Platz). Die Tugend der Hoffnung steht ja in einem Spannungsfeld, das man nicht aufheben kann und sollte. Dem Spannungsfeld zwischen Gewissheit und Ungewissheit: „Einerseits nimmt die Hoffnung teil an der unbedingten Gewißheit des Glaubens, auf den sie sich stützt: Die Hoffnung gründet sich vor allem auf die göttliche Barmherzigkeit und Allmacht, durch die, auch wer die Gnade nicht hat, ihr teilhaft werden kann, damit er so zum Ewigen Leben gelange; Gewißheit über die Allmacht und Barmherzigkeit Gottes aber hat jeder, der den Glauben hat. Von hier aus, das ist: vom eigentlichen gnadenhaften Seinskern der übernatürlichen Hoffnung her gesehen, ergibt sich ihre unfehlbare Gewißheit. Ungewiß aber ist, daß der Mensch von sich aus in der Hoffnung bleibt. Der Mensch, auch der vollkommene Christ, kann, solange er im status viatoris ist, freien Willens durch die Hinwendung zum Nichts das übernatürliche Leben in sich zerstören und damit auch die darin wurzelnde Hoffnung auf das Ewige Leben. Das sagt nichts gegen die Gewißheit der Hoffnung; sehr viel aber sagt es gegen die Möglichkeit subjektiver Heilsgewißheit.“ „Wenngleich alle auf die Hilfe Gottes die festeste Hoffnung setzen müssen, soll niemand sich etwaas absolut Sicherees versprechen. Denn Gott vollendet zwar das gute Werk, wie er es begonnen hat, indem er das Wollen und das Vollbringen wirkt, wenn nur sie selbst sich nicht seiner Gnade entziehen. Und doch sollen, die zu stehen glauben, zusehen, daß sie nicht fallen, und ihr Heil mit Furcht und Zittern wirken…Sie müssen nämlich in Furcht sein, wissend, daß sie in die Hoffnung der Herrlichkeit und noch nicht in die Herrlichkeit wiedergeboren sind.“ (Konzil v. Trient)

        Die echte Hoffnung und ihr Spannungsfeld ist eine Reaktion auf die scheinbare Widersprüchlichkeit von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit: „Die von göttlicher Gerechtigkeit und göttlicher Barmherzigkeit ist in der theologischen Hoffnung sozusagen , nicht so sehr als vielmehr existenziell (!): die übernatürliche Hoffnung ist die gemäße existenzielle Antwort des Menschen auf die Tatsache der Identität dieser, geschöpflichen betrachtet, gegensätzlichen Eigenschaften in Gott. Wer nur die Gerechtigkeit Gottes im Blick hat, vermag so wenig zu hoffen wie wer einzig seine Barmherzigkeit sieht: beide verfallen der Hoffnungslosigkeit, der eine der Verzweiflung, der andere der Vermessenheit. Die Hoffnung allein wird der alle Gegensätze übergreifenden Wirklichkeit Gottes gerecht, dessen Barmherzigkeit seine Gerechtigkeit und dessen Gerechtigkeit seine Barmherzigkeit ist.“

        Und da die Furcht zur theologischen Tugend der Hoffnung wesenhaft dazugehört, sollte man sie nicht aktiv beiseite legen, sondern sie nach Möglichkeit stärken (man erbittet ja eine Stärkung der Hoffnung). Das wäre sowohl den Mönchen und Priestern, aber auch und geraden den Laien sehr zu empfehlen, denn das Laien-Umfeld bestärkt einen meist in der Furchtlosigkeit. Wenn den Menschen der heutigen Welt eine Sache besonders fehlt, dann ist es die Gottesfurcht. Und ide Kirche hat die Furcht als Mittel zur Bekehrung in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt (wobei es heutzutage auch nicht ganz leicht ist, sie dazu einzusetzen).

        Wie könnte eine gut praktizierte Gottesfurcht aussehen? Du siehst sie ja eher als Grußel- und Freizeitgenuß und scheinst sie nur zu ausgewählten Anlässen mal auspacken zu wollen. Dieser Gedankengang scheint mir aber stark mit der Lauheit verwandt zu sein. Der Gedanken „Mir wird ja sehr wahrscheinlich nichts passieren…“ führt sehr wahrscheinlich nicht zu der Jugendlichkeit im Geistigen Leben über die im Zusammenhang mit der Tugend der Hoffnung gerne zu hören ist („qui laetificat juventutem meam“) Und auch wenn es wirklich so ist, dass es als Katholik sehr unwahrscheinlich ist in die Hölle zu kommen, dann ist es trotzdem keine kluge Wette, es darauf ankommen zu lassen (insbesondere wenn man auch noch das Fegfeuer in die Erwägung mit einbezieht). Wir sind alle zur Heiligkeit berufen und sollten uns diese deshalb auch zum Ziel setzen. Zu versuchen gerade noch so irgendwie in den Himmel zu kommen, sollte nicht unser Ziel sein. Das wäre nicht klug!
        Ein mögliches Programm der Gottesfurcht wie ich es mir vorstelle, wäre:
        – Im Bewusstsein behalten, dass die Möglichkeit der Ewigen Verdammnis für mich möglich ist
        – Sich am besten jeden Tag konkret an diese Möglichkeit erinnern und davor erschrecken
        – Um eine gute Sterbestunde beten (z.B. mit dem Ave Maria)
        – Den Tod eines Verwandten/Bekannten sich den eigenen Tod vor Augen zu führen
        – Bei Versuchung entweder die Furcht vor der Strafe oder vor der Beleidigung Gottes (oder beides) erwecken

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      2. Woran erkennt man, dass man eine echte Hoffnung hat und die Furcht „in Ordnung“ ist? „Am Gebet – in seiner Ur-Form des Bittgebets – nichts anderes als das Sprechen der Hoffnung“. Kann ich „intensiv“ und „mit Feuer im Herzen“ beten bzw. bitten? Ist mir beim Beten des Vaterunser die Dringlichkeit meiner Bitte bewusst? Um das zu können muss man von Gott sowohl die Erfüllung seiner Bitten erhoffen, als auch der „Gefahr zu sündigen“ (posse-peccare) bewusst sein.
        „Der Verzweifelnde bittet nicht, weil er die Nicht-Erfüllung vorwegnimmt. Der Vermessene bittet, weil er die Erfüllung vorwegnimmt, nur uneigentlich (!). Von hier aus fällt ein neues Lich auf den Satz der Heiligen Schrift [Luk. 18,1]: ausgesproch ist in ihm die immerwährende Notwendigkeit (!) der Hoffnung, die notwendig genug ist, wirklich zu bitten, und zugleich hochgemut genug, die Erfüllung mitwirkend zu erwarten.“

        Einverstanden, nicht alles was zum Glaubensgut der Kirche gehört kommt häufig und explizit in der Heiligen Schrift vor. Wenn aber etwas häufig, an prominenten Stellen und unmissverständlich vorkommt, dann sollte man der Sache nicht ohne guten Grund die Bedeutung streitig machen. Die Warnung vor den schlimmen Konsequenzen eines schlechten Lebens hat Jesus nicht nur seinen Gegener vorgehalten, sondern häufig auch seinen wohlmeinenden Zuhörern (Apostel, Jünger, Volk). Die Gleichnisse nicht selten mit „Heulen und Zähneknirschen“.
        Ok, dir gefällt das Erbsenzählen nicht, mir gefällt es nicht, wenn man die Praxis der Mehrheit der Katholiken in der Vergangenheit als wichtigste Argumentationsbasis verwendet. Zum einen scheint es mir ziemlich schwierig dort ein umfassendes und korrektes Bild zu bekommen. Zum anderen kann (!) die Mehrheit der Katholiken insbesondere was die Praxis angeht ziemlich danebenliegen (der Illusion, dass die Katholiken in der Vergangenheit alles richtig gemacht haben würde ich mich nicht hingeben. Wäre es so, dann ist davon auszugehen, dass wir nicht beim heutigen Zustand der Kirche gelandet wären). Ein anderes Gewicht bekommt das Argument natürlich, wenn das so auch von der Mehrzahl der Heiligen gelebt worden wäre. Bei denen scheint mir aber eher das Gegenteil der Fall.

        Der Psalm Judica wird meines Wissens anders gedeutet. Es geht im ersten Vers nicht darum das Gericht Gottes herbeizusehen, sondern um das Verlangen nach Reinigung und Abgrenzung vor einer gottfremden Welt. Der „homo iniquo et doloso“ ist der alte Mensch, den es abzulegen gilt. Diese Deutung scheint mir im Zusammenhang eines Schuldbekenntnisses auch ganz logisch.

        Was mich noch interssieren würde, wie du dir einen guten Umgang mit Furcht konkret vorstellst. Wie sähe dein Ideal aus? Gerne an konkreten Bespielen 🙂

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  12. Zu einem „Programm der Gottesfurcht“ sollte sich aber auch noch ein „Programm der Hoffnung“ „dazugesellen“ („Das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen.“ (Regula Benedicti)). Eine Vorfreude und die Beschäftigung mit dem Ewigen Leben bewirkt ja Dankbarkeit gegenüber Gott und hilft so die Freundschaftsliebe [caritas] zu Gott zu enflammen. Außerdem ist sie ja der eigentliche Gegenstand der Hoffnung. „Die Hoffnung ist die vertrauend auslangende Erwartung der Ewigen Glückseligkeit in der schauend-umfangenden Teilhabe am dreifaltigen Leben Gottes; die Hoffnung erwartet das Ewige Leben, das Gott selbst ist, aus gottes eigener Hand, sperat Deum a Deo.“ (Pieper)
    Den größeren Eindruck macht zumindest zu Beginn des Weges aber wahrscheinlich die Furcht, da der Mensch Verluste doppelt „wertet“ (das sagt die Erfahrung und die moderne Verhaltensökonomie, vgl. beispw. Schnelles Denken, Langsames Denken/Daniel Kahneman). Außerdem kann man sich die Hölle leichter vorstellen, als eine Ewige Glückseligkeit (insbesondere wenn man von einem Höllenfeuer spricht, siehe den Vortrag von Prälat Imkamp: https://www.youtube.com/watch?v=3ofagR2cuDc)

    Zu deinem Satz <>. Dazu passt der Abschnitt aus Piepers „Über die Hoffnung“ den ich in meinem vorherigen Kommentar zitiert habe. Dass es sich bei der Gottesfurcht – obwohl sie durchaus auf in bezogen ist – nicht um Furcht vor Gott in dem Sinn wie man ein Unglück fürchtet handelt. Sondern um die Furcht vor dem Sündigen-Können des Menschen im Pilgerstatus. Befinden wir uns im Stand der Gnade, dann haben wir den Tod natürlich nicht zu fürchten. Die Furcht richtet sich dann aber viel mehr auf die Zeit, die noch bis zu unserem Tod vergehen wird und in der wir in Sünde fallen können.

    Eine Frage nebenbei an dich und evtl. Mitleser auf die ich die Antwort nicht weiß: Kann man sich seines Gnadenstandes denn gewiss sein? Oder wie ist denn die Stelle bei Paulus zu verstehen, dass er sich zwar keiner Sünde bewusst sei, deshalb aber noch nicht gerechtfertigt sei. Und auch die Bitte des Psalmisten um Befreiung von versteckter Schuld geht ja in diese Richtung: „Wer merkt die Sünden alle? Von meinen verborgenen Sünden reinige mich und vor fremden behüte deinen Diener.“ (Ps 18,13f) Robert Spaemann schreibt dazu in seinem Psalmenkommentar: „Sie [die Erbsünde] trübt sogar unser Unrechtsbewusstsein. […] Wir können uns die Verfassung unseres Seins nicht adäquat zum Bewusstsein bringen. Das gute Gewissen kann auch Folge der mangelnden Wachheit gegenüber dem Willen Gottes sein. Darum ist Demut die unerlässliche Voraussetzung eines guten Lebens“

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  13. Ich schreibe ja immer sehr lange Kommentare, aber ich glaube, der Moritz Bosch übertrifft mich noch. 😀

    Nun, the long and short of it ist das Folgende: Ich bin nicht der Meinung, daß ich mit dem, was ich gesagt habe, einen Rückzieher machen muß. Es ist zugegeben nicht das, was man für gewöhnlich bei Predigten so hört – Du scheinst der Meinung zu sein, es sei nötig, dagegen eine ganze Menge der üblichen katholischen Predigt dagegensetzen zu müssen, wobei Du, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist, eine ganze Menge Dinge mit einschließt, die wir sowieso schon alle wissen (wenn auch, wie ebenfalls schon gesagt, Mitlesende vielleicht nicht). Das war so ziemlich genau das, was ich oben im Artikel mit der Einschränkung gemeint habe: „überall dort, wo der Katholizismus lebendig ist und die apologetische Auseinandersetzung mit dem Protestantismus (die ein wenig die Betonung auf die Vermeidung vermessener Heilsgewißheit setzen mußte) relativ fern war“.

    Der Reihe nach:

    >>Die Tugend der Hoffnung steht ja in einem Spannungsfeld, das man nicht aufheben kann und sollte.

    Das sei dahingestellt, aber jedenfalls muß Blasius Normalkatholik dann mit der Spannung in seinem Leben irgendwie zurechtkommen. Und wenn ich das sage, ist der unabenteuerliche, unromantische und etwas spießige Unterton in „zurechtkommen“ dabei vollauf beabsichtigt.

    >>Und da die Furcht zur theologischen Tugend der Hoffnung wesenhaft dazugehört, sollte man sie nicht aktiv beiseite legen, sondern sie nach Möglichkeit stärken (man erbittet ja eine Stärkung der Hoffnung).

    Hier muß ich einmal tatsächlich *widersprechen* und nicht nur „ja, das ist auch richtig, gehört jetzt aber nicht hierher“ sagen: die knechtische Gottesfurcht (von einer anderen reden wir im Moment ja nicht) mag mit der Hoffnung auch irgendwo zusammenhängen, es wäre aber mit Verlaub geradezu grotesk, sie (außer beim „wolternen Sünder“, um es in der Sprache des oben anzitierten Brandner Kaspar auszudrücken) *stärken* zu wollen. Den Spruch, daß die vollkommene Liebe die Furcht vertreibt, hast Du oben selber schon zitiert. Soll man dann nicht vollkommen lieben? – Tatsächlich ist die knechtische Furcht eine natürliche, gute und zu Anfang (vgl. Ps 111,10) heilsame Reaktion des Menschen auf die Lage der Dinge; bei ihr aber – mit der Ehrfurcht des Kindes, das den Vater nicht verletzen will, mag das anders stehen – ist das In-den-Hintergrund-Drängen (wenn-auch-nicht-völlig-verschwinden-Lassen) genau das, was der Christ ausdrücklich tun *soll* bzw. was im Verlaufe einer normalen (nicht unbedingt jeder, aber einer normalen) religiösen Entwicklung von selbst kommt und zu begrüßen ist. Wäre das anders, so hätte 1 Joh 4,18 nicht in der Hl. Schrift stehen dürfen.

    >>Wie könnte eine gut praktizierte Gottesfurcht aussehen? Du siehst sie ja eher als Grußel- und Freizeitgenuß

    Irrtum – wenn ich vom Grusel als Freizeitgenuß gesprochen habe, dann war damit keineswegs die Gottesfurcht an sich gemeint, sondern eben die Angst, der Grusel *an sich*.

    Im übrigen war der Abschnitt im Artikel im wesentlichen „Rechtfertigung des Zusammenhangs“, sollte also, wenn es nun schon so ausdrücklich gesagt werden muß (ich träume ja immer von einer Welt, in der man die Ausschmückungen, in die man seine Statements kleidet, nicht immer jeweils mit fünfzehn bierernsten Statements noch begründen muß, aber sei’s drum) über ein schmunzelndes Augenzwinkern à la „Luther hatte Angst, deswegen hat er die Reformation angestoßen, und ist es nicht *schon* seltsam, daß katholische Nationen akk’rat am Reformationstag so tun, als könnten sie von Angst und ähnlichen Gefühlen nicht genug bekommen“ durchaus nicht hinausgehen.

    >>Dieser Gedankengang scheint mir aber stark mit der Lauheit verwandt zu sein. Der Gedanken „Mir wird ja sehr wahrscheinlich nichts passieren…“ führt sehr wahrscheinlich nicht zu der Jugendlichkeit im Geistigen Leben über die im Zusammenhang mit der Tugend der Hoffnung gerne zu hören ist

    Die spezielle Assoziation der Jugend mit der Tugend der Hoffnung ist mir völlig neu (zumal die Hoffnung, wie Chesterton sagt, ja speziell die Tugend der alten Leute ist; tatsächlich dürften junge Erwachsene am zynischsten durch die Welt gehen). Im übrigen scheint mir nicht der am *jugendlichsten* zu sein, der mit der vorgehaltenen Pistole zum religiösen Leben gescheucht werden muß (wobei ich, ebenso wie das Konzil von Trient, selbstverständlich gegen Luther daran festhalte, daß diese Pistole einzusetzen durchaus legitim und heilsam ist, speziell wenn sonst nichts hilft), sondern der, bei dem das gerade nicht notwendig ist. Um übrigen: Sei’s drum. Lieber ein alter Spießer als ein verzweifelter Jugendlicher. Das sag‘ ich auch gerne nochmal: Lieber ein alter Spießer als ein verzweifelter Jugendlicher.

    >>Wir sind alle zur Heiligkeit berufen und sollten uns diese deshalb auch zum Ziel setzen

    und haben das, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, auch alle schon hundertfünfzigtausendmal gehört. (Okay, die Zahl war dann doch eine Übertreibung.) Aber wenn der Mensch so durch sein Leben geht und feststellt, daß er schon gut sein will, daß es bei ihm aber nicht reicht dazu – und zwar trotz Gebrauch der Gnadenmittel – dann denkt er sich, wenn von der Kanzel „ihr seid alle zur Heiligkeit berufen“ kommt, selber seinen Teil dazu, z. B. „naja meinen lieben Herrgott beleidigen will ich ja eigentlich wirklich nicht, aber immer mit der Ruhe, meine Herrn“. Das liest man natürlich dann entsprechend seltener, aber zur Vollständigkeit gehört, trotz der Einschränkungen, die man in der speziellen *heutigen* Situation machen muß (Häresien z. B. sind natürlich strikte auszuschließen) neben dem, was von der Kanzel runterkommt, eben auch das, was aus dem Kirchenvolk so „raufkommt“.

    Wenn sich jemand zu hohe Ziele setzt und dann sieht, daß er an ihnen scheitert, und darüber verzweifelt, ist jedenfalls keinem gedient. Weswegen die Kirche ja auch eine sehr weise Einrichtung gemacht hat: Wenn einer dann von seinem hohen Anspruchsroß der Heiligkeit usw. gestürzt ist, dann drückt sie ihm einen Gewissensspiegel in die Hand: er soll erforschen, präzise *wo* er gesündigt hat, und dann *das* – am besten einschließlich der läßlichen Sünden, aber am besten eben auch ohne noch Dinge, die auch über die läßlichen Sünden noch hinausgehen – dem Priester im Beichtstuhl unterbreiten.

    Zum „Programm“ kurz: 1 „ja“ 2 „nö“ 3 „ja“ 4 „weiß nicht*“ 5 „je nach Bedarf, um die Versuchung überwinden zu können.

    * Zu 4 noch: katholische Gesellschaften neigen dazu, mit dem Tod „geschäftsmäßig“ umzugehen: „nô, jetzt ist er tot; wissma ja, mia sterben eh alle mal, das is jetz nix so sonderlich Neues. Vater unser, Ave Maria, O Herr gib ihm. Und, ach ja, herzliches Beileid.“ Ob das der tief verwurzelte Auferstehungsglaube ist, weiß ich nicht, aber jedenfalls scheint der Glaube die Kraft gegeben zu haben, eine derart realistische Sicht auf die Dinge *aushalten* zu können. Ich kann darin jedenfalls nichts Schlechtes erkennen.

    >>Kann ich „intensiv“ und „mit Feuer im Herzen“ beten bzw. bitten? Ist mir beim Beten des Vaterunser die Dringlichkeit meiner Bitte bewusst?

    Nichts für ungut, aber das grenzt ja an Charismatismus^^

    Sed contra: Alle relevanten geistlichen Lehrer sagen sinngemäß, daß man beten soll (oder jedenfalls darf, und daß es nützlich ist, bei einem Pensum, das man sich vorgenommen hat, zu bleiben), unabhängig davon, ob man nun Feuer im Herzen fühlt oder nicht, und jedenfalls „gültig“ und fromm gebetet hat, auch wenn derart fühlbare Gemütsregungen ausbleiben. Das sagen die vermutlich nicht ohne Grund so oft; sie werden sehr häufig danach gefragt worden bzw. derartigen Bedenken bei ihren Zöglingen begegnet sein.

    >>mir gefällt es nicht, wenn man die Praxis der Mehrheit der Katholiken in der Vergangenheit als wichtigste Argumentationsbasis verwendet. Zum einen scheint es mir ziemlich schwierig dort ein umfassendes und korrektes Bild zu bekommen.

    Damit werd‘ ich leben müssen, daß Dir das nicht gefällt. Schwierig, ein korrektes Bild zu bekommen: das gestehe ich sehr gerne zu. Ich glaube aber, daß ich da tendenziell nicht falsch liege.

    >>Zum anderen kann (!) die Mehrheit der Katholiken insbesondere was die Praxis angeht ziemlich danebenliegen.

    Das Ausrufezeichen hast Du selber schon gesetzt, dann muß ich es nicht tun. Bitte, klar. Ich appelliere an die Mehrheit der Katholiken und insbesondere der von apologetischen Bedürfnissen weitgehend unbeeinflußten Katholiken nicht als an einen unfehlbaren Beweis dafür, wie der Katholizismus aussehen sollte, sondern als ein wahrscheinliches Indiz dafür, wie er aussehen sollte, das in einzelnen Dingen durchaus einer Korrektur bedürfen mag. Ich halte diese Korrektur dann aber im allgemeinen für begründungspflichtig.

    >>Ein anderes Gewicht bekommt das Argument natürlich, wenn das so auch von der Mehrzahl der Heiligen gelebt worden wäre. Bei denen scheint mir aber eher das Gegenteil der Fall.

    Sancti admirandi, sed non imitandi semper sunt in omnibus. – Der Heilige ist ein Märtyrer, oder einer, der etwas derart Besonderes geleistet hat, daß das ein „fehlendes“ Martyrium „ersetzt“; so ist die Heiligenverehrung entstanden. Es ist nur naturgemäß, daß ein gewisses kirchenvölkisches „den lieben Herrgott einen guten Mann sein lassen“ deshalb unter den Heiligen eher weniger verbreitet sein wird, und die Menschen, Heilige manchmal nicht ausgenommen (manchmal erstaunenswerterweise aber sogar schon!), haben erfahrungsgemäß oft die Neigung, das, was sie von sich selbst verlangen, auch von anderen zu verlangen.

    Aus genau dem Grund eignet sich der Heilige für den normalen Katholiken außerhalb von Verfolgungszeiten zwar neben dem Bewundern, Verehren und Um-Fürbitte-Anrufen durchaus auch zum *nacheifern*, das schon, aber nicht als *Normmodell* des katholischen Christseins (hierzu habe ich vor langer Zeit – ohne übrigens auf spätere Entwicklungen bei dieser Plattform einzugehen, das ist eine ganz eigene Geschichte – übrigens hier mal was geschrieben: https://www.thecathwalk.de/2016/02/04/anstrengende-diskussionen-heilige-und-andere-totschlagargumente/ )

    >>Der Psalm Judica wird meines Wissens anders gedeutet. Es geht im ersten Vers nicht darum das Gericht Gottes herbeizusehen, sondern um das Verlangen nach […] Abgrenzung vor einer gottfremden Welt.

    Du übersiehst meinen Punkt. Das ist nämlich gerade der Punkt: wenn man von Gott die Abgrenzung von einer gottlosen Welt verlangt (wörtlich übrigens sogar „richte mich, Gott“ – Nachtrag) dann setzt das eine gewisse Zuversicht voraus, daß man *selber* in diese nicht hineingehört, und *das* war hier das Argument.

    Und ja, okay, Du hattest vor „Abgrenzung“ noch „Reinigung und“ geschrieben. Dazu:

    >>Der „homo iniquo et doloso“ ist der alte Mensch, den es abzulegen gilt.

    Das ist aber der hintergründige Sinn, der in genauer geistlicher Betrachtung gefunden worden ist und natürlich so korrekt ist. Nur ist es generell meines Erachtens problematisch, wenn man über so hintergründigen „Meditationsergebnissen“ dann regelmäßig den offenkundigen Wortsinn übersieht. (Was übrigens auch Protestanten gerne machen, die dann von gefühlt jedem Schriftvers in einem Atemzug zu irgendwie einer lutherischen Untermalung kommen. Gut, sie haben damit auch nicht *Recht*, weil Luthers „Meditationsergebnis“ *falsch* ist, das hier hingegen ist *richtig*; das ist schon ein Unterschied. Aber trotzdem.)

    >>Was mich noch interssieren würde, wie du dir einen guten Umgang mit Furcht konkret vorstellst. Wie sähe dein Ideal aus? Gerne an konkreten Bespielen

    Ich bitte um Verzeihung – ich erklär’s gleich – aber hier ist die Frage schon falsch. Darauf, wie ich mir *einen* guten Umgang vorstelle, kommt es gar nicht an, zumal es gut möglich ist, daß Furcht mehr zu ertragen und vielleicht sogar hervorzurufen, als man müßte, ebenso ein gutes, verdienstliches Werk („mehr, als man müßte“, also: der Übergebühr) sein kann, wie, sagen wir, eine strenge Fastenpraxis oder eine strapaziöse Fußwallfahrt.

    Die Frage muß also eher so gestellt werden: wie stelle ich mir einen *akzeptablen* Umgang mit Furcht vor.

    Darauf antworte ich: Nicht verleugnen, nicht verdrängen (was zugegeben im Wort ähnlich wie das von mir genannte „beiseitestellen“ klingt, aber etwas anderes ist), und wenn zum Vermeiden einer schweren (vielleicht auch einer läßlichen, aber jedenfalls einer schweren) Sünde notwendig ist gegebenenfalls auch hervorrufen.

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    1. Eigentlich wollte ich nur einen einzigen Kommentar schreiben, der das alles beantwortet, auch um Crescentias Kommentarbox nicht mit so ollen Kamellen anzufüllen; nur der Punkt (unten) mit der Frage, welche Art Meinung wir in bezug auf unseren Gnadenstand haben dürfen, sollte doch einen eigenen besonders abgesetzt werden.

      Eins aber habe ich hier vergessen, nämlich die Bemerkung *dazu*:

      >>Und die Kirche hat die Furcht als Mittel zur Bekehrung in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt (wobei es heutzutage auch nicht ganz leicht ist, sie dazu einzusetzen).

      „nicht ganz leicht“ ist eine nicht ganz kleine Übertreibung. Tatsächlich kann man sich auch an und für sich nur schwer vorstellen, wie man bitte denn Leute deswegen zum *Glauben* bekehren kann, weil sie sich fürchten. Man kann natürlich mit der Furcht *Sünder* zu einem frommen Leben bekehren – und zwar am besten dann, wenn der Sünder nicht ein gesellschaftliches Umfeld von Ungläubigen hat, in das er sich (unterbewußt) dann flüchten kann (was teilweise die „starke Vernachlässigung“ in den letzten Jahrzehnten erklärt, die sicher *auch*, aber meines Erachtens nicht *nur*, daran liegt, daß die Prediger dem „insta opportune importune“ nicht gerecht werden) – aber *Ungläubige*? Wie soll das überhaupt gehen?

      Das ist mir schon theoretisch nicht klar; praktisch jedenfalls dürfte man bei den Ungläubigen unserer Zeit damit auf Granit stoßen. (Die muß man daher bestechen. Wenn unser Heiland von „Menschenfischern“ spricht, liegt der Gedanke durchaus nahe, daß die auch Köder verwenden können. Mit Hanuta fängt man Mäuse.)

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      1. Bekehren habe ich weiteren Wortsinn gemeint, also nicht nur im Bezug auf Ungläubige. Einen Ansatzpunkt gibt es für die Gottesfurcht noch bei den Gläubigen die so halb-ernst machen (wenn wie überzeugt werden könnten, wäre für die Kirche schon viel gewonnen).
        Aber ja für Ungläubig und „Beinahe-Ungläubige“, ist an dem Hanuta-Gedanke was dran. Wenn man nicht mehr an die Hölle im nächsten Leben glaubt, dann kann man dadurch auch nur schwer überzeugt werden (wobei es den meisten doch eigtl. einleutet, dass Gott gerecht ist/sein sollte). Der Ansatzpunkt, der dann noch verbleibt, liegt darin, dass die Menschen realisieren, wie schlecht es ihnen in diesem Leben ohne Gott geht (und das hier dann schon zu einem Vorgeschmack der Hölle wird). Wenn es dann hoffnungsvolle und freudige Christen gibt, leuchten diese wie Sterne in der Dunkelheit…
        Ok, genug, das ist ja ein anderes Thema.

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      2. >>Der Ansatzpunkt, der dann noch verbleibt, liegt darin, dass die Menschen realisieren, wie schlecht es ihnen in diesem Leben ohne Gott geht.

        Das *ist*, wie Du sagst, ein anderes Thema, aber ich freue mich *sehr*, daß wir mal auf ein *anderes* Thema zu sprechen kommen.

        Allerdings geht’s den Menschen im allgemeinen vom Natürlichen her ziemlich gut, und den Ansatz, darauf zu setzen, daß es ihnen schlecht geht, halte ich leider *auch* nicht für vielversprechend.

        Zumal die Christen durchaus nicht unbedingt – an der Oberfläche jetzt, die nicht das wichtigste ist, aber beim Erstkontakt das einzig sichtbare – vor allen anderen Menschen „in der Dunkelheit leuchten“, und man auch schlecht daran täte, es von ihnen zu verlangen.

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    2. Meine Antwort ist etwa durcheinander:

      Zur Berufung zur Heiligkeit:
      Wenn man an seinem Anspruch an sich verzweifelt, hängt das mit Perfektionismus zusammen (der wiederum mit Skrupulosität zusammenhängt). Um den Perfektionismus loszuwerden, sollte man nicht einfach die Ziele runtersetzen, sondern aus dem MUSS ein SOLL machen (das Buch von Herr Bonelli „Perfektionismus“ erläutert das ganz schön).

      ——

      Jugend war im Sinne von „Jugendlichkeit“ gemeint. Da hat Chesterton schon recht, da der alte Mensch, der hofft, dem Ziel näher ist, sollte er noch jugendlicher sein als der Alte (vgl. auch „Über die Hoffnung). Die Jugendlichkeit des übernatürlichen besteht in dem „Sichspannen“ auf das „Noch-Nicht“, das gelöst und straff zugleich.

      ——
      Mit Charismatismus habe ich nichts zu tun 😉
      Zwei Überlegungen:
      – Gefühle gehören zum Menschsein dazu und werden insbesondere auch v. der Alten Messe „eingesetzt“, um den Menschen als Leib-Seele-Einheit auf Gott auszurichten. Man darf aber sicherlich nicht bei ihnen stehen bleiben -> Ausdauer bewährt sich in der Trockenheit
      – Ich wollte mit dem „Feuer“ nicht in erster Linie auf ein Gefühl hinweisen (obwohl das sicherlich auch dazugehört), sondern einfacht auf die Intensentät die aus der durch die Gottesfurcht wahrgenommenen Gottesfurcht (sei es knechtisch oder der Sohnschaft gemäß) entspringt -> In der Not (z.B. Lebensgefahr) kann aus der Situation heraus jeder „intensiv“ beten

      —-
      Ja, die Heiligen sind nicht Norm-Modell in allem, was sie getan haben. Aber sie können uns als anschauliche „Hinweisschilder“ dienen, die uns helfen ein gutes Christenleben zu führen.
      ——

      <>

      Ich glaube bei diesem Punkt sind wir am unserer Diskussion!

      1.Joh 4,18 „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer aber Furcht hat, der ist nicht vollkommen in der Liebe.“
      Hier ist offensichtlich die knechtische Furcht gemeint, nicht die Furcht im allgemeinen.
      Daß wir nur von der knechtischen Furcht reden, war nicht meine Itention. Die eigentlichere Furcht ist die Furcht aus der Freundschaftsliebe zu Gott [caritas]. Das Ziel sollte also – da muss ich dir recht geben – natürlich nicht sein, bei der knetischen Furcht stehenzubleiben, sondern zur Sohnschaft gemäßen Furcht [timor castus] voranzuschreiten. Dabei wird die knechtische Furcht aber nicht einfach ersetzt, sondern „umgeformt und hinaufgestaltet“ zur vollkommeneren Furcht.
      Wie geschieht dieses Umformen und Hinaufgestalten? Dazu die Fortsetzung der Stelle von oben 1. Joh 4,19: „Laßt uns also Gott lieben, weil uns Gott zuerst geliebt hat.“ Johannes schreibt nicht, dass wir nicht mehr von der Strafe (Pein) erschrecken sollen, sondern dass wir Gott um seiner selbst willen lieben sollen. Das kann geschehen aufgrund der Erwägung/Erfahrung, dass Gott uns zuerst geliebt hat. So wird dann der caritas die knechtische Furcht „vertrieben“ (vgl. 1.Joh 4,18) – man könnte sagen als eine Konsequenz daraus.
      Knechtische Furcht und Sohnschaft gemäße Furcht können dabei im Übergangsstadion, in dem sich auch die meisten (sehr) guten Christen befinden dürften, anscheinend auch nebeneinander existieren:

      Ignatius v. Loyola (Patron der Skrupulanten) in seinem Exerzitienbuch bei der Betrachtung zur Hölle: „Hier das innere Fühlen der Strafe erbitten, die die Verdammten erleiden, zu dem Zweck, daß wenn ich wegen meiner Fehler die Liebe des Ewigen Herrn vergäße, mir wenigstens die Furcht vor der Strafe dazu verhelfe, nicht in die Sünde zu fallen.“
      Auch Benedikt hat sein Werkzeug „vor der Hölle zu erschrecken“ nicht unbedingt für „wolterne Sünder“ geschrieben.
      Und die liebe Thersia von Lisieux, die ein herausragendes Beispiel der Heilandsliebe ist, sagt von sich (in Bezug auf ihre Noviziazzeit): „Wie schon gesagt: weil es mir an der nötigen Tugend fehlte, kosteten die kleinen Bußübungen mich viel Überwindung. Und ich mußte den Gedanken zu Hilfe rufen, daß doch alles am Tage des Jüngsten Gerichtes offenbar werde.“

      Noch ein paar Gedanken:
      „Sie [die der Sohnschaft gemäße Furcht] ist ein Geschenk, das die Möglichkeiten des natürlichen Menschen schlechthin übersteigt.“ (Pieper „Über die Hoffnung“)
      Aus „Über die Liebe“ (Pieper): „ Dennoch hat die große Tradition der Christenheit immer darauf bestanden, dass dieses Neue (die Gnade, die den Aufstieg von eros (begehrender Liebe) zu caritas (Freundschaftsliebe) ermöglicht) mit dem, was der Mensch von Natur und von Schöpfungs wegen ist und besitzt, durch eine gar nicht zu lösende, wenn auch nicht leicht zu beschreibende Klammer verknüpft ist“.
      Die caritas „begreift alle Gestalten der menschlichen Liebe in sich ein.“ Und, „die caritas ist nicht eine irgendwie beschaffene Gottesliebe, sondern eine Liebe zu Gott, die ihn als Gegenstand und Urheber der Glückseligkeit liebt.“
      -> Genauso wie der Eros (die naturhafte begehrende Liebe des Menschen) durch die caritas (selbstlose Freundschaftsliebe) vollendet und nicht einfach ausgelöscht und ersetzt wird, so müsste es bei der knechtischen Furcht und der Sohnschaft gemäßen Furcht auch sein (die Furcht ist ja wie schon gesagt nichts anders als „fliehende Liebe“)

      Im „Furcht-Programm“ wie ich es genannt habe, würde ich, um nicht bei der knechtischen Furcht stehenzubleiben, nach und nach das „Erschrecken vor der Hölle“ durch Erwägungen zur Bosheit der Sünde und der Beleidigung Gottes ersetzen (Sohnschaft gemäße Furcht).

      Und schließlich: „Die Furcht des Herren aber ist jedem guten Tun des Menschen eigentümlich und innewohnend; so wird sie anderseits durch jede Sünde irgendwie ausgeschlossen und aufgehoben“ (Pieper „Über die Hoffnung“)

      Abschließend: Die Gottesfurcht ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, das es wertzuschätzen und einzusetzen gilt.

      So, von meiner Seite wars das damit. Ich denke unsere Standpunkte sind beide einigermaßen klar geworden. Ich überlasse dir, wenn du möchtest, gerne das letzte Wort. „Über die Hoffnung“ von Pieper kann ich dir sehr empfehlen (genauso die anderen Bücher die ich von ihm bisher gelesen habe). Er stellt gut verständlich, präzise und knapp die Weisheitstradition und klassische Theologie von einem philosophischen Standpunkt aus zusammen.

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      1. Ein Unterschied zwischen einem Muß und Soll ist logisch nicht erklärbar, damit taugt „das Muß durch ein Soll zu ersetzen“ nicht als Ratschlag.

        Und mir ist das „Muß“ übrigens deswegen lieber, weil bevor einer sagt, ich „müsse“ etwas, überlegt er es sich vielleicht noch zweimal, ob ich es muß, und sagt es mir *dann* – und dann muß ich es (wenigstens seiner Meinung nach) auch wirklich. Wenn sich der Moralprediger hinter einer nicht genau definierbaren Unverbindlichkeit eines „Soll“ verschanzt, dann wird er sich viel sicherer fühlen, ohne große gefühlte Begründigungspflicht allerhand viel Zeug von mir zu fordern.

        Und ich bitte doch zweierlei Dinge strikt zu unterscheiden: Ob man nun die „Ansprüche“ tatsächlich herabsetzt zum einen oder ob man einen Anspruch, der gar keiner ist, streicht zum anderen. Ein Christ, der letzteres konsequent durchführt und sich nicht gerade in einem verbotenen Verhältnis oder einer kriminellen Karriere befindet, aus der es schwer ist herauszukommen, wird herausfinden, daß der Heiland über seine moralischen „Anforderungen“ des Heilands, zumindest was die Vermeidung der Todsünde betrifft, wahrhaftig sagen konnte: „Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.“ (**) Aber sagen wir, wie’s ist: zählt man zu diesen tatsächlichen Anforderungen des Herrgotts noch die Erwartungen dazu, die das religiöse Umfeld an einen Menschen sonst noch so stellen mag, dann wird das in vielen Fällen *nicht* so sein.

        (** Da ich, das ist nicht persönlich gemeint, gelernt habe, im Internet lieber alles fünfmal und zehnmal darzulegen: *Nein*, das heißt *nicht*, daß wir nicht auch dabei noch scheitern.)

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      2. Daß es nicht Deine Intention war, das ganze auf die knechtische Furcht zu beschränken, ist mir neu, tatsächlich ging es von der ganzen Art, mit der Du geschrieben hast, nur um sie, und eben deswegen bin ich auch genau darauf eingegangen.

        >>Knechtische Furcht und Sohnschaft gemäße Furcht können dabei im Übergangsstadion, in dem sich auch die meisten (sehr) guten Christen befinden dürften, anscheinend auch nebeneinander existieren.

        Ein gottesfürchtiger Mensch in statu viatoris (nachdem Du ja Fachtermini noch lieber zu mögen scheinst als ich^^) ist sogar überhaupt nicht ohne auch knechtische Gottesfurcht *denkbar* (es wäre ein Mißverständnis, das, was ich geschrieben habe, in irgendeine solche Richtung zu deuten), es sei denn vielleicht, er hätte eine Spezialoffenbarung bekommen, daß er prädestiniert ist. Das kann der hl. Evangelist also nicht meinen; er wird wohl nur meinen, daß diese dann ziemlich in den Hintergrund tritt. – Und genau *das* kann vorkommen und kommt anscheinend, ob nun auf Grund der Zunahme an Heiligkeit oder auch nur der Zunahme an Einübung in den Katholizismus, oft vor.

        >>Ignatius v. Loyola (Patron der Skrupulanten) in seinem Exerzitienbuch bei der Betrachtung zur Hölle […]

        Und wie oft macht der Mensch ignatianische Exerzitien?

        Die Frömmsten vielleicht genau einmal im Jahr – und dann ist das (wenn ich es richtig verstehe) darin genau *ein* Punkt. Das war ja gerade mein Punkt.

        >>Auch Benedikt hat sein Werkzeug „vor der Hölle zu erschrecken“ nicht unbedingt für „wolterne Sünder“ geschrieben.

        Nö, aber für Mönche, und wieder: Das ist hier *ein* Punkt in einer riesen trumm Liste.

        >>Und die liebe Thersia von Lisieux, die ein herausragendes Beispiel der Heilandsliebe ist, sagt von sich (in Bezug auf ihre Noviziazzeit): „Wie schon gesagt: weil es mir an der nötigen Tugend fehlte, kosteten die kleinen Bußübungen mich viel Überwindung. Und ich mußte den Gedanken zu Hilfe rufen, daß doch alles am Tage des Jüngsten Gerichtes offenbar werde.“

        Ich kannte das Zitat nicht, aber wir wollen hier die Subtilität der späteren Kirchenlehrerin nicht übersiehen: Sie erinnert sich an das Jüngste Gericht (nicht das Spezialgericht), weil dort alles *offenbar* wird. Das heißt unter anderem, daß es hier ganz vernünftigerweise (wenn man auf die Art Unterlassungssünden sieht, die sie damit vermeiden wollte) um die ewige Höllenstrafe gar nicht geht, sondern darum, daß es ihr peinlich ist, wenn ihre Schwäche allen Leuten bekannt wird. (Nun, andere sind nicht so heilig und haben sich längst schon damit abgefunden, daß das Jüngste Gericht so und so eine hochnotpeinliche Angelegenheit wird – selbst wenn sie jetzt plötzlich noch makellos heilig werden sollten, denn das bisherige Leben ist ja, bei aller Vergebung, nicht ungeschehen. Sie warten nur dann darauf, ob der Prüfer am Ende „vier null“ oder doch „fünf null“ sagt. Wobei das feine am Gericht übrigens auch ist, daß es keine „vier drei“ oder „vier sieben“ gibt, kein „eigentlich hat er gewollt und sich angestrengt, aber es leider nicht ganz geschafft“.

        Zum Thema „Geschenk des Heiligen Geistes“: *Das* ist aber die kindliche Furcht.

        Die Gleichsetzung des Verhältnisses „natürlicher Eros und caritas“ sowie „knechtische und kindliche Furcht“ kann ich nicht übernehmen, weil wir als verklärte natürliche Wesen auch im Himmel noch einen natürlichen Eros haben werden (nein, Ehevollzug nicht, wohl aber natürlichen Eros), aber keine knechtische Furcht mehr.

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  14. >>Eine Frage nebenbei an dich und evtl. Mitleser auf die ich die Antwort nicht weiß: Kann man sich seines Gnadenstandes denn gewiss sein?

    Ich zitiere dazu lieber gleich mal den Ott (IV/I § 22), weil mir würdest Du es wahrscheinlich doch nicht glauben:

    „Ohne besondere göttliche Offenbarung kann niemand *mit Glaubensgewißheit* [Herv. von mir] wissen, ob er sich im Stand der Gnade befindet. De f. […] Der Grund für die Ungewißheit des Gnadenstandes liegt darin, daß ohne besondere Offenbarung niemand mit Glaubensgewißheit wissen kann, ob er alle Bedingungen, die zur Erlangugng der Rechtfertigung notwendig sind, erfüllt hat. *Die Unmöglichkeit der Glaubesgewißheit schließt jedoch eine hohe **moralische** Gewißheit, die sich auf das Zeugnis des Gewissens stützt, keineswegs aus.* [Herv.’en von mir] Vgl. S. th. 1 II 112, 5.“

    D. h. also für gewöhnlich „ich habe dann und dann gebeichtet, die Beichte war gültig, seitdem habe ich keine schweren Sünden begangen“ – das geht durchaus.

    Vgl. übrigens auch Ott IV/I § 12: „[…] Trotz dieser Unsicherheit gibt es Zeichen der Vorherbestimmung (signa praedestinationis), die wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit auf die tatsächliche Prädestination schließen lassen (beharrliche Übung der in den acht Seligkeiten empfohlenen Tugenden, häufiger Empfang der hl. Kommunion, werktätige Nächstenliebe, Liebe zu Christus und zur Kirche, Verehrung der Gottesmutter).“

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  15. <>

    Das bringe ich nicht so ganz mit zwei anderen Lehren der Kirche zusammen. Dass man nämlich ohne eigene (schwere) Schuld nicht verdammt wird (abgeleitet von der Lehre zum Limbus, die ja nicht offizielle Lehre ist, aber unter dieser Prämisse entwickelt wurde). Wie passt das zusammen mit diesem Abschnitt aus Lumen Gentium (im Katechismus im Abschnitt „Außerhalb der Kirche kein Heil“ bei der Lehre zur katholischen Kirche zu finden): „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott jedoch aufrichtigen Herzens sucht und seinen durch den Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der Gnade in den Taten zu erfüllen versucht, kann das ewige Heil erlangen“ (LG 16) [Vgl. DS 3866-3872]
    Warum steht hier KANN das ewige Heil erlangen? Wenn er Gott aufrichtigen Herzens sucht und seinen Willen, der sich im Gewissen ausdrückt, zu erfüllen sucht, dann müsste er doch in den Himmel kommen, wenn man deine Aussage und die Prämisse des Limbus (keine Verdammnis ohne eigene Schuld) miteinbezieht. Oder bezieht sich das „Kann“ auf das „Versuchen“? Wenn er es zwar versucht, aber trotzdem mal in wichtiger Sache gegen sein Gewissen handelt z.B. aus Schwachheit…

    In dem Zusammenhang ist diese Aussage auf Wikipedia im Artikel zum „Limbus“ vielleicht auch relevant: „Das Konzil von Basel/Ferrara/Florenz (1431 bis 1445) bestätigte die Lehre der Synode von Karthago, dass die Taufe unverzichtbar sei und Menschen, die im alleinigen Zustand der Erbsünde sterben, in die Hölle kommen.“ Ist das Schicksal ungetaufter Kinder aber auch Menschen mit Vernunftgebrauch ohne schwere Schuld einfach offen d.h. sie können sowohl im Himmel, der Hölle oder im Limbus sein?

    Weißt du dazu was?

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    1. Hier das Zitat aus deinem Text Nepomuk (hats verschluckt): Es ist die Lehre der Kirche, daß wenigstens Leute, die – wie es technisch heißt – „den Vernunftgebrauch“ (d. h. im großen und ganzen: den 7. Geburtstag) erreichen, letztlich nur drei Möglichkeiten haben: Himmel ohne Fegfeuer; Fegfeuer und dann Himmel; und Hölle. (Die getauft verstorbenen Kleinkinder sind sicher im Himmel; für die ungetauft verstorbenen gilt „nichts Genaues weiß man nicht“, aber wenn sie nicht im Himmel sind, d. h. Gott nicht schauen können, so sind sie jedenfalls doch zumindest in natürlicher Glückseligkeit, d. h. es geht ihnen uneingeschränkt gut.)

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    2. Du liest da etwas viel in das Wort „kann“ hinein. Wenn jemand in wichtiger Sache gegen sein Gewissen handelt, muss er es einfach bereuen, Gott vergibt auch so, wenn jemand nicht weiß, dass er sich taufen lassen / zur Beichte gehen müsste.

      Der Limbus ist prinzipiell Teil der Hölle, d. h. man kann dort Gott nicht schauen (keine übernatürliche Glückseligkeit), aber er schließt eine rein natürliche Glückseligkeit ein. Wir wissen nicht, ob Gott den ungetauften Kindern seine Gnade auf andere Weise gibt, um sie von der Erbsünde zu befreien und in den Himmel aufzunehmen, ich würde es mal vermuten, aber selbst wenn sie nicht im Himmel sein sollten, dann zumindest im Limbus, auf keinen Fall in „tieferen Höllenkreisen“.

      – Crescentia.

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