Die praktische moraltheologische Bildung der Katholiken muss dringend aufgebessert werden – ich hoffe, da werden meine Leser mir zustimmen. Und ich meine hier schon auch ernsthafte Katholiken. In gewissen frommen Kreisen wird man heutzutage ja, wenn man Fragen hat wie „Muss ich heute Abend noch mal zur Sonntagsmesse gehen, wenn ich aus Nachlässigkeit heute Morgen deutlich zu spät zur Messe gekommen bin?“ oder „Darf ich als Putzfrau oder Verwaltungskraft in einem Krankenhaus arbeiten, das Abtreibungen durchführt?“ oder „Wie genau muss ich eigentlich bei der Beichte sein?“ mit einem „sei kein gesetzlicher Erbsenzähler!“ abgebügelt. Und das ist nicht hilfreich. Gar nicht. Weil das ernsthafte Gewissensfragen sind, mit denen manche Leute sich wirklich herumquälen können. Und andere Leute fallen ohne klare Antworten in einen falschen Laxismus, weil sie keine Lust haben, sich ewig mit diesen Unklarheiten herumzuquälen und meinen, Gott werde es eh nicht so genau nehmen, und wieder andere in einen falschen Tutiorismus, wobei sie meinen, die strengste Möglichkeit wäre immer die einzig erlaubte.
Auf diese Fragen kann man sehr wohl die allgemeinen moraltheologischen Prinzipien – die alle auf das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zurückgehen – anwenden und damit zu einer konkreten Antwort kommen. Man muss es sich nicht schwerer machen, als es ist. Und nochmal für alle Idealisten: „Das und das ist nicht verpflichtend“ heißt nicht, dass man das und das nicht tun darf oder es nicht mehr empfehlenswert oder löblich sein kann, es zu tun. Es heißt nur, dass die Kirche (z. B. in Gestalt des Beichtvaters) nicht von allen Katholiken verlangen kann, es zu tun.
Zu alldem verweise ich einfach mal noch auf einen meiner älteren Artikel. Weiter werde ich mich gegen den Vorwurf der Gesetzlichkeit hier nicht verteidigen.
Jedenfalls, ich musste öfters lange herumsuchen, bis ich zu meinen Einzelfragen Antworten gefunden habe, und deshalb dachte mir, es wäre schön, wenn heute mal wieder etwas mehr praktische Moraltheologie und Kasuistik betrieben/kommuniziert werden würde; aber manches, was man gerne hätte, muss man eben selber machen, also will ich in dieser Reihe solche Einzelfragen angehen, so gut ich kann, was hoffentlich für andere hilfreich ist. Wenn ich bei meinen Schlussfolgerungen Dinge übersehe, möge man mich bitte in den Kommentaren darauf hinweisen. Nachfragen sind auch herzlich willkommen.
Wer nur knappe & begründungslose Aufzählungen von christlichen Pflichten und möglichen Sünden sucht, dem seien diese beiden Beichtspiegel empfohlen. (Bzgl. dem englischen Beichtspiegel: Wenn hier davon die Rede ist, andere zu kritisieren, ist natürlich ungerechte, verletzende Kritik gemeint, nicht jede Art Kritik, und bei Ironie/Sarkasmus ist auch verletzende Ironie/Sarkasmus gemeint.)

(Der hl. Alfons von Liguori (1696-1787), der bedeutendste kath. Moraltheologe des 18. Jahrhunderts. Gemeinfrei.)
Alle Teile hier.
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Anmerkung: Ab diesem Teil beginne ich mit der kleinteiligen Kasuistik. Bei den Bewertungen, was verpflichtend oder nicht verpflichtend, schwere oder lässliche oder überhaupt keine Sünde ist („schwerwiegende Verpflichtung“ heißt: eine Sünde, die wirklich dagegen verstößt, ist schwer), stütze ich mich z. B. auf den hl. Thomas von Aquin, ab und zu den hl. Alfons von Liguori, und auf Theologen wie Heribert Jone (1885-1967); besonders auf letzteren. Eigene Spekulationen werden (wenn ich es nicht vergesse) als solche deutlich gemacht. Alle diese Bewertungen betreffen die objektive Schwere einer Sünde; subjektiv kann es Schuldminderungsgründe geben. Zu wissen, ob eine Sünde schwer oder lässlich ist, ist für die Frage nützlich, ob man sie beichten muss, wenn man sie bereits getan hat; daher gehe ich auch darauf ein; in Zukunft muss man natürlich beides meiden.
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Die wichtigsten ethischen Pflichten kann man anhand der 10 Gebote durchgehen. Das 1. lautet: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Es gibt nur einen Gott; und dem gebührt der vorrangige Platz im Leben. Im 3. Teil bin ich schon darauf eingegangen, wieso es richtig und geboten ist, an Gott zu glauben, auf Gott zu hoffen und Gott zu lieben; außerdem schreibt das 1. Gebot vor, Gott zu ehren und anzubeten, und verbietet, irgendetwas Ihm in dieser Hinsicht gleichzustellen.
Eins ist beim 1. Gebot (ebenso wie beim 2. und 3.) zu beachten: Pflichten gegenüber Gott ergeben sich nicht daraus, dass Gott Menschen bräuchte oder es Ihm schaden würde, wenn sie Ihn nicht angemessen verehren würden. Gott kommt sehr gut ohne uns aus. Sie ergeben sich schlicht daraus, dass das die angemessene Haltung gegenüber Gott ist. Ein Vergleich: Wenn man über einen Toten Lügen verbreitet, kann man ihm damit auch nicht mehr schaden; trotzdem ist es eine Sünde ihm gegenüber. Und letztlich schadet es immer dem Menschen selbst, wenn er Gott durch etwas anderes ersetzt (egal welche falsche Religion oder Ideologie das ist); die Gebote sind um unsretwillen da.
Erst einmal zur göttlichen Tugend des Glaubens. Sie erfordert manchmal das, was in der Moraltheologie als „Akt des Glaubens“ bezeichnet wird: Damit, einen „Akt des Glaubens zu setzen“ ist einfach gemeint, die Willensentscheidung für den Glauben zu treffen, sich bewusstzumachen, sich zu sagen: Gott, ich glaube an dich, du bist vertrauenswürdig; ich glaube dir das und das, was du offenbart hast. (Dabei kann auch ein Gebet wie dieses helfen: „Herr und Gott, ich glaube fest und bekenne alles und jedes, was die heilige katholische Kirche zu glauben lehrt. Denn du, o Gott, hast das alles geoffenbart, der du die ewige Wahrheit und Weisheit bist, die weder täuschen noch getäuscht werden kann. In diesem Glauben will ich leben und sterben. Amen.“) Das ist immer mal wieder im Leben als Katholik nötig, weil der Glaube die Basis des Lebens und Handelns ist; oft tut man es schon automatisch einschlussweise (z. B. wenn man das Glaubensbekenntnis in der Sonntagsmesse spricht, oder überhaupt, wenn man zu Gott betet). Insbesondere ist es nötig, diese bewusste Zustimmung zu Gottes Offenbarung zu erwecken: Wenn man als Ungetaufter erstmals zum Glauben kommt; wenn man als Getaufter allmählich alt genug wird, bewusste Entscheidungen zu treffen (die Kirche setzt dieses Alter etwa bei sieben Jahren an; der Glaube an sich wird einem schon bei der Taufe vom Hl. Geist „eingegossen“, aber auch wenn man das Glück hat, getauft zu sein, muss man später auch dazu ja sagen); wenn einem eine Glaubenslehre, die man vorher nicht kannte, bewusst wird und man sie annehmen muss; wenn man wieder zum Glauben zurückkommt, nachdem man eine Glaubenslehre geleugnet hat (Sünde der Häresie oder Apostasie, s. u.). Wie gesagt: Das tut man in der Regel schon automatisch.
Zum Glauben gehört es außerdem:
1) Den Glauben zu kennen. Es ist keine Pflicht für jeden Katholiken, ein gebildeter Theologe zu werden; es geht hier darum, grob zu wissen, was das eigentlich ist, woran man glaubt; was der Inhalt von Gottes Offenbarung, die man annimmt, ist. Die zentralsten Glaubensinhalte sind: Die Tatsache, dass es einen Gott gibt, der das Gute belohnt und das Böse bestraft; die Dreifaltigkeit; die Menschwerdung in Jesus. (Ein Erwachsener, der diese Glaubensinhalte nicht kennt, kann z. B. auf keinen Fall getauft werden.) Außerdem gibt es für den Katholiken die schwerwiegende Pflicht, sich einigermaßen zu informieren über (auch wenn es keine schwere Sünde ist, sie nicht perfekt auswendig zu kennen): das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Zehn Gebote, die fünf Kirchengebote, die Sakramente (zumindest Taufe, Beichte, Eucharistie, die zu empfangen manchmal vorgeschrieben ist; die anderen, wenn es daran geht, sie zu empfangen). Soweit das absolute Mindestmaß. Außerdem besteht die Pflicht, sich näher über den Glauben zu informieren, wenn man in der Gefahr ist, den Glauben zu verlieren.
2) Den Glauben zu bekennen. Das Bekenntnis des Glaubens ist prinzipiell dann verpflichtend, wenn das Schweigen oder eine ausweichende Antwort als Ableugnen des Glaubens verstanden werden würde; wenn man also z. B. vor einem Gericht gefragt werden würde, ob man katholisch ist, muss man eine klare Antwort geben. Die Verleugnung des Glaubens (durch Worte, Gesten, Handlungen, was auch immer, die einer Leugnung des Glaubens oder auch dem Bekenntnis eines falschen Glaubens gleichkommen würden) ist an sich eine schwere Sünde und niemals erlaubt – wirklich niemals. (Dem verdanken wir unsere ganzen heiligen Märtyrer.) Auch eine indirekte Verleugnung des Glaubens, durch Dinge, die nicht in sich selbst eine Ableugnung des Glaubens bedeuten würden, aber aufgrund der Umstände wie eine solche wahrgenommen werden, ist nie erlaubt.
Außerdem ist das Bekenntnis des Glaubens dann nötig, wenn die Ehre Gottes oder das Heil des Nächsten es dringend erforderlich machen. Ein Beispiel für eine Situation, in der es darum ging, durch das offene Bekenntnis des Glaubens ein „Ärgernis“ (s. dazu Teil 2) für den Nächsten zu vermeiden, bietet eine Geschichte aus dem 2. Buch der Makkabäer, das die religiöse Verfolgung der Israeliten durch die Griechen schildert, die sie zu Opfermahlzeiten mit Schweinefleisch zwingen wollten:
„Unter den angesehensten Schriftgelehrten war Eleasar, ein Mann von schon hohem Alter und sehr edlen Gesichtszügen. Man sperrte ihm den Mund auf und wollte ihn zwingen, Schweinefleisch zu essen. Er aber zog den ehrenvollen Tod einem Leben voll Schande vor, ging freiwillig auf die Folterbank zu und spuckte das Fleisch wieder aus, wie es jemand tun musste, der sich standhaft wehrte zu essen, was man nicht essen darf, auch nicht aus Liebe zum Leben. Die Leute, die mit dem gesetzwidrigen Opfermahl beauftragt waren und den Mann von früher her kannten, nahmen ihn heimlich beiseite und redeten ihm zu, er solle sich doch Fleisch holen lassen, das er essen dürfe, und es selbst zubereiten. Dann solle er tun, als ob er von dem Opferfleisch esse, wie es der König befohlen habe. Wenn er es so mache, entgehe er dem Tod; weil sie alte Freunde seien, würden sie ihn menschlich behandeln. Er aber fasste einen edlen Entschluss, wie es sich gehörte für einen Mann, der so alt und wegen seines Alters angesehen war, in lange bewährter Würde ergraut, der von Jugend an aufs Vorbildlichste gelebt und – was noch wichtiger ist – den heiligen, von Gott gegebenen Gesetzen gehorcht hatte. So erklärte er ohne Umschweife, man solle ihn ruhig zur Unterwelt schicken. Wer so alt ist wie ich, soll sich nicht verstellen. Viele junge Leute könnten sonst glauben, Eleasar sei mit seinen neunzig Jahren noch zu der fremden Lebensart übergegangen. Wenn ich jetzt heuchelte, um eine geringe, kurze Zeit länger zu leben, leitete ich sie irre, brächte meinem Alter aber Schimpf und Schande. Vielleicht könnte ich mich für den Augenblick einer Strafe von Menschen entziehen; doch nie, weder lebendig noch tot, werde ich den Händen des Allherrschers entfliehen. Darum will ich jetzt wie ein Mann sterben und mich so meines Alters würdig zeigen. Der Jugend aber hinterlasse ich ein edles Beispiel, wie man mutig und in edler Haltung für die ehrwürdigen und heiligen Gesetze eines guten Todes stirbt. Nach diesen Worten ging er geradewegs zur Folterbank.“ (2 Makk 6,18-28)
Eleasar ging es also darum, andere nicht dazu zu verleiten die Gebote der Tora zu verletzen, indem er ihnen den Eindruck gab, sich nicht dazu bekannt zu haben. (Übrigens ging es für ihn folgendermaßen weiter: „Da schlug die Freundlichkeit, die ihm seine Begleiter eben noch erwiesen hatten, in Feindschaft um; denn was er gesagt hatte, hielten sie für Wahnsinn. Als er unter Schlägen in den Tod ging, sagte er stöhnend: Der Herr weiß in seiner heiligen Erkenntnis, dass ich dem Tod hätte entrinnen können. Mein Körper leidet Qualen unter den Schlägen, meine Seele aber erträgt sie mit Freuden, weil ich ihn fürchte. Auf solche Weise starb er; durch seinen Tod hinterließ er nicht nur der Jugend, sondern den meisten aus dem Volk ein Beispiel für edle Gesinnung und ein Denkmal der Tugend.“ (2 Makk 6,29-31))
In so einer Situation hätten, wenn sie gemeint hätten, dass selbst ein Eleasar nicht am Glauben festhält, viele sich dazu verleiten lassen können, auch vom Glauben abzufallen; so etwas ist mit einer dringenden Gefahr für das Heil des Nächsten gemeint.

(Gustave Doré, Das Martyrium des Schriftgelehrten Eleasar. Gemeinfrei.)
Hier in Europa werden die meisten Katholiken nicht in Gefahr sein, für ihren Glauben ermordet zu werden (wobei es auch da Ausnahmen geben kann, z. B. bei ex-muslimischen Konvertiten); Situationen, in denen sich die Frage stellt, ob/wie man zum Glauben stehen sollte, werden eher so aussehen wie: Man sitzt mit anderen zusammen, die nicht besonders kirchenfreundlich sind und mit denen man es sich eigentlich nicht verderben will; sie fangen an, sich darüber zu unterhalten, wie schlimm und mittelalterlich die katholische Kirche sei, da sie „immer noch“ keine Frauen weihe oder homosexuelle Paare traue, und überhaupt wisse man ja nicht mal, ob Jesus jemals gelebt habe. Sagt man etwas dazu oder schweigt man? Ganz so schwarz-weiß ist es hier nicht. Grundsätzlich ist es so, dass es erlaubt sein kann, nichts dazu zu sagen, wenn das Schweigen nicht als Zustimmung gewertet würde und wenn es z. B. kontraproduktiv wäre, etwas zu sagen (z. B. weil man sich selbst mit einer bestimmten Glaubensfrage nicht gut genug auskennt, um die Kirche zu verteidigen, oder weil man schon oft darüber geredet hat und weiß, dass diese anderen einem nicht zuhören wollen und eher noch abweisender reagieren würden, wenn man etwas sagen würde). In solchen Situationen kann man abwägen, was das Praktischste und Zielführendste ist; wenn aber z. B. einer, der dabei ist, und bisher noch katholisch ist, dabei wäre, sich von einem anderen vom Glauben abbringen zu lassen, müsste man schon etwas sagen. Und natürlich ist es oft das Bessere, auch wenn es nicht streng geboten sein sollte, den Glauben zu verteidigen. Völliges Schweigen wäre in vielen solchen Situationen (schätze ich einmal) eine lässliche Sünde.
Wenn man nach einzelnen Lehren der Kirche gefragt wird, kann aus einem guten Grund Schweigen oder ausweichendes Antworten erlaubt sein, wenn das nicht so verstanden werden würde, als würde man den Glauben verleugnen oder sich des Glaubens schämen; man muss nicht in jeder Situation ganz genau erklären, was eine Lehre bedeutet, wenn das z. B. jemanden dazu bringen würde, die Kirche noch weniger zu mögen. Besser ist allerdings oft Klarheit. Wenn man in solchen Situationen zu halbherzig dabei ist, zum Glauben zu stehen, wären wir vermutlich auch wieder im Bereich der lässlichen Sünde.
Zu verbergen, dass man katholisch ist, solange man nicht direkt danach gefragt wird, oder zu verbergen, was genau man als Katholik glaubt, ist erlaubt, wenn man einen drängenden Grund dafür hat – also z. B. in Zeiten der Verfolgung. In so einem Fall wäre es auch erlaubt, Dinge zu tun, die nicht in sich schlecht sind, wie etwa, an einem Fastentag Fleisch zu essen, um nicht preiszugeben, dass man katholisch ist. Die Teilnahme an andersreligiösen Riten und ähnlichem wäre natürlich nicht erlaubt. Die Flucht aus Ländern, in denen Christen verfolgt werden, ist grundsätzlich auch erlaubt, außer für die Hirten der Kirche, wenn sie dringend von den Gläubigen dort benötigt werden. Wenn man neu konvertiert ist, muss man sich für gewöhnlich irgendwann als Katholik „outen“; wobei es schon erlaubt ist, einen passenden Zeitpunkt abzuwarten, um so eine Nachricht z. B. einer ungläubigen Familie beizubringen (wenn man z. B. fürchten müsste, von der Familie ermordet oder vom Staat ins Gefängnis gesteckt zu werden, gilt natürlich das Gesagte über das Verbergen des Glaubens).
Außerdem schreibt die Kirche manchmal ein ausdrückliches Bekenntnis des Glaubens vor; grundsätzlich natürlich bei Erwachsenentaufe/Konversion/Rekonziliation; ansonsten z. B. bevor jemand von ihr einen Lehrauftrag an einer Theologischen Fakultät erhält.
3) Die Pflicht, den Glauben zu verbreiten betrifft vor allem die kirchliche Hierarchie. Man könnte die Frage stellen, ob es nicht auch für Laien eine Sünde wäre, nie irgendetwas, weder durch Gebet noch Spenden noch aktive Mitarbeit, für die Verbreitung des Glaubens beizutragen; aber vorrangig ist das nur eine Pflicht für die Kirchenhierarchie. (Eltern haben natürlich die Pflicht, ihre Kinder zum Glauben zu führen, und auch Paten haben eine gewisse Pflicht, zur religiösen Erziehung ihrer Patenkinder etwas beizutragen. Aber dazu im Detail in einem späteren Teil.)
Weitere Sünden gegen den Glauben wären:
1) Unglaube: So bezeichnet man das Fehlen des Glaubens bei einem Ungetauften. Der Unglaube ist in dem Maß eine Sünde, wie jemand persönlich dafür verantwortlich ist; schon der hl. Thomas unterscheidet zwischen einer bloßen Abwesenheit des Glaubens, bei denen, die ihn nicht kennen, und einer bewussten Ablehnung bei denen, die ihn kennen würden; nur letztere ist Sünde. Für meine überzeugt katholischen Leser könnte ich es bei dieser kurzen Erklärung belassen, aber unter denen fragen sich vermutlich auch viele: Wie „schuldfähig“ sind eigentlich meine ungläubigen Familienmitglieder/Freunde/Mitschüler/Arbeitskollegen/Nachbarn? Fallen die in die Kategorie der in „unüberwindlicher Unwissenheit“ befindlichen Ungläubigen? Daher noch eine kurze Erklärung, wann es eigentlich eine persönlich zurechenbare Sünde ist, den wahren Gott nicht zu kennen, und wann nicht: Wenn jemand in einer anderen Religion, sagen wir mal, dem Islam, aufwächst, und ihm keine besonderen Zweifel daran kommen, hat er auch an sich nicht die schwere Gewissensverpflichtung, weiter danach zu suchen, was die Wahrheit ist. Jemand, der Zweifel an seinem falschen Glauben hat, aber aus Nachlässigkeit nicht weiter nach der Wahrheit forscht, sündigt schwer oder lässlich, je nachdem, wie stark die Zweifel sind und wie groß die Nachlässigkeit ist. Jemand, der wirklich ausreichend über den katholischen Glauben und über die Gründe dafür Bescheid weiß, hat die schwere Gewissensverpflichtung, ihn anzunehmen; wer entschlossen ist, nicht katholisch zu werden, selbst wenn der Katholizismus wahr sein sollte, z. B. weil er dann irgendetwas aufgeben oder sich mit seiner Familie überwerfen müsste, sündigt schwer. (Wann das allerdings der Fall ist, kann ein Außenstehender natürlich schwer beurteilen; wer nicht katholisch ist, hat sicher oft noch alle möglichen persönlichen Zweifel und Gründe, an seinem alten Glauben zu hängen, die ihm größer vorkommen als jemandem, der schon katholisch ist.) „Unüberwindliche Unwissenheit“ bedeutet jedenfalls nicht, dass jeder, für den es nicht völlig hundertprozentig unmöglich gewesen wäre, irgendetwas vom Glauben zu erfahren, verdammt ist.
2) Apostasie: So nennt man es, wenn ein Getaufter vom christlichen Glauben abfällt, also wenn z. B. ein Katholik Atheist oder Buddhist wird. Die Apostasie ist an sich eine schwerere Sünde als der einfache Unglaube (Der hl. Thomas vergleicht das damit, dass es eine schwerere Sünde ist, ein gegebenes Versprechen zu brechen, als es nie gegeben zu haben), aber auch hier können natürlich wieder mildernde Umstände ins Spiel kommen – wenn jemand z. B. als Kind einmal getauft wurde, dann aber nie gelernt hat, wieso man eigentlich katholisch sein sollte.
3) Häresie: So nennt man es, wenn ein Christ zwar noch Christ bleibt, also an den dreifaltigen Gott und die Menschwerdung glaubt, aber eine oder mehrere andere Glaubenslehren, die von der Kirche unfehlbar definiert sind, leugnet oder hartnäckig in Zweifel zieht. Mit „hartnäckig“ ist hier so etwas wie „unbelehrbar“ gemeint – wenn jemand nicht ganz versteht, ob/wieso die Kirche etwas lehrt und vielleicht auch kurz daran zweifelt, dann aber ihre Erklärungen dazu akzeptiert, ist er kein Häretiker. Der sel. John Henry Newman hat zudem einmal die Unterscheidung zwischen „Schwierigkeiten“ und „Zweifeln“ getroffen: „Zehntausend Schwierigkeiten machen noch keinen Zweifel.“ („Ten thousand difficulties do not make one doubt.“) Ein Vergleich: Auch ein Wissenschaftler kann alle möglichen Fragen haben und Schwierigkeiten sehen, wenn er z. B. den Aufbau eines Atoms untersucht, aber er wird deshalb nie daran zweifeln, ob Naturgesetze existieren, nach denen das alles funktioniert; sonst könnte er kein Wissenschaftler mehr sein. Auch ein Katholik darf Fragen dazu haben, wieso die Kirchenlehre so ist, wie sie ist, und sie herumwälzen und nach verschiedenen Antworten suchen (das macht sogar Sinn; man soll den Glauben mit dem Verstand durchdringen), aber deshalb muss er noch lange nicht daran zweifeln, ob die Kirche mit ihrer Lehre Recht hat.
Wenn jemand dazu gekommen ist, zu glauben, dass Jesus von Nazareth von Gott gesandt war und die Kirche gegründet hat, und ihr die Garantie gegeben hat, dass sie nicht in Irrtum verfallen kann, ist die Pflicht da, auch alles anzunehmen, was sie als Glaubenslehre vorlegt. Es ist falsch, sich aus Gottes Offenbarung nur die Teile herauspicken zu wollen, die einem angenehm sind, und andere zu verwerfen; genau das ist Häresie (von gr. hairein = wählen, auswählen); hierin liegt der Grund, warum Häresie Sünde ist. Die meisten Häretiker, die die Kirche im Lauf ihrer Geschichte als solche verurteilt hat, waren katholische Theologen, die irgendwann begannen, etwas anderes zu lehren, als die Kirche lehrt; ein Beispiel wäre Martin Luther. Wer schon in einer häretischen Religionsgemeinschaft aufwächst (also z. B. als Lutheraner), begeht erst einmal nicht die Sünde der Häresie, weil ihm die Autorität der katholischen Kirche gar nicht bewusst ist (und er es sogar für falsch hält, sich einer Kirche zu unterwerfen, erst recht dieser römischen). Die eigentliche Häresie, die der abweichenden Theologen, selbsternannten Propheten und Sektengründer, ging vermutlich oft vor allem aus dem Hochmut hervor, daraus, sich für das einsame, von Gott begnadete Genie halten zu wollen – oder einfach dem Wunsch, sich die Lehre so zurechtzulegen, dass man irgendetwas tun durfte, das die Kirche bisher untersagt hatte (z. B. bei Huldrych Zwingli: die Geliebte heiraten; bei Heinrich VIII. von England: die Ehefrau loswerden und die Geliebte heiraten). (Einige Sektengründer hatten auch sehr praktische weltliche Vorteile von ihrer neuen Position, etwa die Landesherren zur Zeit der Reformation, die in ihren Gebieten den protestantischen Glauben einführten, sich zu Herren über die Kirche machten und den Besitz der Klöster einzogen.)
Man muss unterscheiden zwischen „formeller“ und „materieller“ Häresie (erst die formelle Häresie ist Sünde; und zwar an sich prinzipiell schwere Sünde). Wenn ein Katholik sich mit der Lehre der Kirche nicht genau auskennt und etwas glaubt, von dem er meint, es stimme mit der katholischen Lehre überein, obwohl es in Wirklichkeit einmal von einem Konzil verurteilt worden ist, ist er materieller Häretiker (ebenso wie z. B. der als Protestant aufgewachsene Protestant), aber nicht formeller; formeller Häretiker wird er erst, wenn er weiß, dass die Kirche das verurteilt hat (und zwar wirklich definitiv verurteilt hat; nicht alle Verlautbarungen des Lehramts haben die Form eines Dogmas; und manche betreffen auch nur die kirchliche Disziplin statt die Lehre), und immer noch daran festhalten will, weil er sich damit bewusst außerhalb der Kirche stellt.
Wenn jemand eine Lehre leugnet, die von der Kirche schon ziemlich klar verurteilt wurde, aber noch nicht mit völliger dogmatischer Sicherheit, ist er kein Häretiker im strengen Sinn, sündigt aber trotzdem in gewisser Weise gegen den Glauben, und gegen den praktischen Gehorsam, den man der Kirche schuldet; das ist auch nicht harmlos. Manchmal hat die Kirche im Lauf ihrer Geschichte Lehren auch nicht definitiv verurteilt, sondern zu Theologen eher gesagt, sie sollten vorläufig aufhören, das und das in dieser und jener Form zu verkünden, weil es in einer konkreten Situation falsch verstanden werden könnte; hier geht es dann einfach um Gehorsam, Rücksichtnahme, Klugheit. Man kann sich privat weiter darüber Gedanken machen, ob die Lehre nicht vielleicht in einer anderen Form doch ganz gut mit dem Katholizismus zusammenpassen könnte.
Es kann eine mehr oder weniger schwere Sünde sein, wenn jemand aus schuldbarer Nachlässigkeit über eine wichtige Lehre der Kirche nicht Bescheid weiß, aber es ist nicht die Sünde der Häresie.
4) Auch die Gefährdung des eigenen Glaubens ist eine Sünde (die lässlich oder schwer sein kann, je nachdem, wie akut es wird). Wenn sich jemand z. B. oft mit evangelikalen Freunden in einer Freikirche trifft, und merkt, dass er durch sie so langsam vom katholischen Glauben abkommt, weil sie sich besser mit ihrer Theologie auskennen als er sich mit der katholischen und er ihrem Einfluss wenig entgegensetzen kann, muss er etwas dagegen tun: entweder, weniger Kontakt zu diesen Freunden haben, oder, sich gründlicher über den eigenen Glauben informieren, sich mehr damit beschäftigen, und auch mehr Kontakt zu Katholiken haben; oder das alles zusammen. Man wird nun einmal von Menschen und Ansichten beeinflusst, mit denen man oft zu tun hat; das passiert automatisch, auch ohne dass man es bewusst will. „Aus den Augen, aus dem Sinn“; was man sich nicht immer wieder vor Augen führt, kommt einem irgendwann weniger real vor. Daher sollte man auch hier aufpassen, welchen Einflüssen man sich aussetzt. Natürlich kann man Kontakte zu Nichtkatholiken nicht immer einfach sein lassen (das geht allein praktisch heutzutage nicht und wäre oft auch nicht sinnvoll); das Wichtigere ist, die Kontakte zu Katholiken und das Kennenlernen des katholischen Glaubens nicht zu vernachlässigen. Man sollte auch vorsichtig mit nichtkatholischen Büchern usw. sein; es ist nichts dagegen einzuwenden, ab und zu auch Bücher von z. B. guten orthodoxen oder protestantischen Theologen zu lesen, aber das sollte eher eine Ergänzung der eigenen Lektüre sein und man sollte genug über den eigenen Glauben Bescheid wissen, um zu merken, wo sich bei ihnen Denkfehler, Missverständnisse und Irrlehren finden. Wenn jemand merken würde, dass er sich allmählich ganz vom Glauben wegziehen lässt und dem gar nichts entgegensetzt, wäre das jedenfalls eine schwere Sünde.
5) Auch eine Art „Exzess“ im Glauben wäre möglich, nämlich eine übertriebene Leichtgläubigkeit gegenüber Dingen, die nicht zur Offenbarung gehören und nicht auf eine Stufe mit ihr gestellt werden dürfen, wie Privatoffenbarungen, eigenen „Eingebungen“, die man für vom Hl. Geist inspiriert hält usw. Aber das wird wohl nicht so schlimm, solange man sich noch dem Urteil der Kirche unterwirft, also es akzeptiert, wenn die Kirche eine Privatoffenbarung für nicht authentisch erklärt, oder nicht an einer mutmaßlichen Eingebung festhält, die im Widerspruch zur Lehre der Kirche stehen würde.
Zusammenfassung: Man muss an Gott glauben; den Glauben kennen und bekennen; und ihn unverfälscht bewahren.
Beim nächsten Mal genauer zur Hoffnung und den Sünden gegen sie.
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