Wieso wir schöne Kirchen brauchen

Meine Pfarrkirche ist eine typische 60er-Jahre-Kirche: Viel Grau, viele nackte Wände, wenig Kunst und die in eher dunklen Farben und etwas verfremdet. Es gibt schlimmere Kirchen; aber sie macht alles in allem einen etwas deprimierenden Eindruck und kein Nichtkatholik würde je auf die Idee kommen, sie sich aus Spaß an der Freud anzusehen, wenn er als Tourist in der Gegend unterwegs ist. Meistens gehe ich (aus hier nicht weiter zu diskutierenden Gründen) dort zur Messe; in der Osternacht war ich dieses Jahr nach längerer Zeit wieder einmal in einer Rokokokirche. Die Osternacht mit allem drum und dran ist natürlich immer etwas Besonderes; die Osterkerze, die Erneuerung des Taufversprechens, sämtliche Lesungen, die Heiligenlitanei, und was eben sonst noch dazu gehört – und das dann noch in einer Kirche, in der man umgeben ist von triumphalen Deckenfresken, Bildern verzückter Heiliger, überall Gold, Weiß, Stuck, überbordende Pracht, als würde der Himmel offenstehen, vorn ein unglaublich lebensechtes Kruzifix über dem silbergeschmückten Tabernakel –

Man fühlt sich daheim. Man fühlt sich angekommen. Man setzt sich aufrecht hin und lächelt spontan. Man muss, bevor die Messe beginnt, ständig umherblicken, um die ganze Pracht anzusehen. Man hat dann keine Schwierigkeiten, sich auf die Liturgie zu konzentrieren. Alles passt zusammen. Ich bin eigentlich eine Verfechterin der Ansicht, dass die Gotik der Höhepunkt der katholischen Baukunst ist, aber im Vergleich zu grauen Modernistenkirchen ist der Rokoko eine so krasse Erleichterung, dass man gar nicht mehr weiß, wie man jemals irgendetwas an ihm auszusetzen haben konnte.

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(Nicht die Kirche, in der ich Ostern war, aber ein noch schöneres Beispiel für den Rokoko. Bildquelle hier.)

Eine schöne Kirche ist nicht alles; das ist mir völlig klar. Eine schöne Kirche sorgt von selbst noch nicht für eine Begegnung mit Gott. Und die Messe ist ebenso gültig und Jesus ebenso gegenwärtig, wenn die Kirche scheußlich aussieht; selbstverständlich. Aber was eine schöne Kirche tut: Sie bietet Hilfestellungen und räumt Hindernisse aus dem Weg, damit man sich leichter auf Gott einlassen kann. Vielleicht können Heilige völlig gleichgültig gegenüber ihrer Umgebung sein, solange nur Jesus wirklich da ist. Aber als nicht so fortgeschrittene Katholikin hat man ein bisschen Hilfe gern: lauter Zeichen, die einem überdeutlich sagen: HIER IST GOTT. SCHAU AUF IHN HIN. DA IST ER, UND GROSS UND HERRLICH IST ER.

Manche Katholiken ziehen vielleicht schlichtere Kirchen vor, wie die Kichen vieler Zisterzienserklöster. Aber auch die sind in ihrer Schlichtheit klar, schön und harmonisch. Sie haben etwas auszusagen. Sie weisen ebenso auf den Gott hin, zu dessen Ehre sie gebaut wurden. Gegen solche schlichten Kirchen soll hier kein Wort gesagt werden – solange man mir nur auch meine überbordend prunkvollen lässt.

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(Abteikirche im Kloster Kamp. Gemeinfrei.)

Was genau wollen viele nach 1960 gebaute Kirchen eigentlich aussagen?

(Kirche des sel. Rupert Mayer in Poing. Bildquelle hier.)

Was sagt z. B. ein unförmiges weiß-graues Gebilde über Gott? Tatsache ist, dass es den meisten modernen Kirchenarchitekten vermutlich gar nicht darum geht, etwas über Gott auszusagen, sondern eher darum, irgendwie originell und modern zu sein. Und dann haben wir im Endergebnis graue Klötze und Innenräume mit dem ganzen Charme einer Tagungshalle, die bei der Einweihung vermutlich als „mutig“ und „innovativ“ (oder so ähnlich) gelobt werden. Wer unbedingt originell sein will, ist es meistens nicht.

(Canisiuskirche, Berlin-Charlottenburg. Bildquelle hier.)

Die Erbauer älterer Kirchen legten es nicht darauf an, auf Gedeih und Verderb originell zu sein. Sie wollten Gott verherrlichen, wollten den Leuten, die ihre Kirche betreten würden, helfen, sich auf Gott einzulassen, hatten vermutlich auch einfach Vergnügen am Erschaffen von Schönheit, wollten etwas Bleibendes hinterlassen und sich vielleicht ein wenig Ruhm erwerben, und sie gaben sich dafür tatsächlich Mühe und schämten sich nicht, von Vorbildern zu lernen.

Aber krampfhaftes Bemühen um Originalität – nur ja nicht etwas nachmachen, das den Leuten seit Jahrhunderten gefällt – ist ja nicht das Einzige. Manchmal scheint bei modernen Architekten und Künstlern geradezu ein Vergnügen daran da zu sein, den Leuten Hässliches vorzusetzen und Erwartungen an sakrale Kunst zu enttäuschen (zu „dekonstruieren“) – eine Lust am Destruktiven; eine enorme Verachtung und Überheblichkeit gegenüber den Leuten, die sich nach lebensechter und konventionell-schöner Kunst sehnen; Überdruss gegenüber dieser Art Kunst, Lustlosigkeit, Faulheit.

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(Schmerzensmann. Abtei Seckau, Engelskapelle. Gemeinfrei.)

Wer solche Bilder malt, macht sich ganz offensichtlich keine Gedanken darum, ob seine Bilder anderen beim Gebet helfen könnten – oder er kennt die Leute nicht, was immerhin nicht ganz so schlimm wäre. Aber diese Leute müssen seine Bilder in der Kirche trotzdem ansehen. Wenn eine Kirche einfach nur kahl ist, bietet sie keine große Hilfe; wenn eine Kirche hässliche Bilder oder Statuen enthält, die man erst zwanzig Minuten lang analysieren müsste, um zu verstehen, was sie überhaupt möglicherweise sagen wollen, stört sie, irritiert sie, lenkt sie ab von dem eigentlichen Geschehen, anstatt darauf hinzuweisen; man muss sich anstrengen, um das alles auszublenden. Kein Mensch mag diese Art moderner Kunst tatsächlich (ja, ich weiß, dass es auch andere Arten moderner Kunst gibt); nur manche Menschen tun so, um nicht ungebildet zu wirken.

Ich nehme nicht an, dass hässliche Kirchen immer nur von Hochmut und Geltungssucht kommen. Vielleicht meinen manche dafür Verantwortliche wirklich, heutzutage müsste man so etwas bauen, um den „modernen“ Menschen den Glauben in ihrer „Lebenswirklichkeit“ zu vermitteln – offensichtlich falsch, wie man schon daran sieht, dass kein einziger Nichtkatholik von der Heiligkeit oder Schönheit modernistischer Kirchen beeindruckt ist und sie sich mal ansehen will, aber immer noch halbwegs verständlich.

Aber generell kann ich mir vorstellen, dass das nicht unbedeutende Motive hinter diesen Neuerungen sind.

 

Es sage niemand, es sei unmöglich, heute Kirchen wie früher zu bauen. Es wird getan. Das zum Beispiel ist eine russische Kirche, die 2012 fertiggestellt wurde. Was fehlt, ist der Wille – oder der Glaube, aus dem früher Kirchen gebaut wurden.

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(Bildquelle hier.)

Es sage auch niemand, es koste zu viel. Modernistische Kirchen sind nicht billig, nur wird hier das ganze Budget für bewusste Hässlichkeit (und Sitzheizungen und Soundanlagen – nein, gegen die habe ich prinzipiell gar nichts) verwendet. Was würde wohl herauskommen, wenn man versuchen würde, mit genau demselben Budget etwas so Schönes wie möglich zu bauen? Und mit „schön“ meine ich etwas, bei dem ein fünfjähriges Kind spontan „wow“ sagen würde.

Es sage auch niemand, das alles sei unnötig. Menschen brauchen Schönheit. Ich kann gut verstehen, wieso gerade im Barock – dieser schweren Zeit mit schlimmen Kriegen, Seuchen und der Kleinen Eiszeit* – jeder noch so kleine Weiler sich eine prächtige Kapelle oder zumindest einen Marienschrein oder etwas Ähnliches bauen wollte. Es ist so tröstlich. Es gibt einen kleinen Vorgeschmack auf den Himmel und das ewige Leben dort, das viel wichtiger und unglaublich viel schöner sein wird als alles hier.

Wenn materialistische Atheisten etwas gegen Schönheit und gegen diese weltlich betrachtet sinnlose Jenseitsfixierung haben, gut. Aber wie könnte irgendein Christ das so sehen?

 

* Die Frühe Neuzeit war definitiv eine schwerere Zeit als z. B. das Mittelalter.

14 Gedanken zu “Wieso wir schöne Kirchen brauchen

  1. In der Natur ist Gott der Schöpfer von unendlicher Erhabenheit und Schönheit. Gerade der Frühling ist ein Jauchzen der Natur. Die „Erbauer“ von Kirchen und Gotteshäusern in Betonoptik haben wohl beschlossen ihre Fähigkeit zum Häßlichen und Widerwärtigen dem Schöpfer entgegen zu schleudern. Gott wird das nicht jucken, ein Löwenzahn ist durchaus kunstvoller gestaltet als jedes Gebäude von Menschen gemacht und die gelben Wunderdinger wachsen bei mir im Garten in Massen. Man wird wohl annehmen können, dass ein „konstruiertes“ Gottesbild hinter den Bemühungen steckt uns in jedem Fall die Andacht zu nehmen und die Gottesdienste zu Veranstaltungen ausufern zu lassen. Der Gott, der uns eine Wohnung bereiten will, hat uns angeblich nix mehr zu sagen, wir wollen lieber Mietlinge in Gottes Schöpfung werden. Dass der Mietvertrag mit dem Ableben des Geschöpfes endet, spielt da keine Rolle und wird geflissentlch überbaut, hier ist Beton durchaus sinnvoll. Wir schaffen uns die Hölle lieber schon auf Erden, dann ist der Übergang in diesselbe vielleicht nicht so schmerzhaft.
    Schlimm wird es, wenn die Bausubstanz auf das Seelenleben der Gläubigen bröckelt. Und das ist definitiv der Fall. Osternacht in unserer Gemeinde: Die Predigt des Pfarrers: „Es ist egal ob das Grab leer war oder nicht.“ Dann können die Lesungen natürlich nicht das „Wort Gottes“ sein, wie der Pfarrer ausdrücklich betont, denn ein Gott der die Ägypter im Meer ertrinken lässt, kann nun wirklich nicht der Gott sein, an den wir glauben können. Und das alles in einer prachtvollen Kirche, zumindest für unsere Verhältnisse. Neugotik in vollendeter Form. Da bevorzuge ich lieber Betonoptik und höre das Wort Gottes unverfälscht.

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    1. Wenn der Löwenzahn in Massen in ihrem Garten wächst, dann ist das nur begrenzt ein Fingerzeit der Schönheit von Gottes Schöpfung. Vielmehr ist die Artenvielfalt in ihrem Garten nicht in Ordnung. Löwenzahn in Massen zeigt, wie gnaden- und gedankenlos wir mit der Schöpfung umgehen, weil nix anderes mehr wächst.

      Was Sie zu dieser modern-gefälligen Stammtischpredigerei sagen, ist richtig.

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      1. Für meinen Garten bin ich verantwortlich. Für den Löwenzahn Gott. Das hätte ich vielleicht noch erwähnen sollen. 😉

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    2. Ich finde es dermaßen lächerlich, wenn Modernisten sagen „es ist egal, ob das Grab leer war oder nicht“. Das sollten sie mal dem Apostel Paulus erzählen.

      Außerdem könnten sie es auch deutlich sagen, wenn sie nicht an die Auferstehung glauben.

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      1. Häresien werden gewöhnlich scheibchenweise an die Gläubigen verteilt. Wenn es egal ist, ob das Grab leer war oder nicht, ist es auch egal, ob ich die Osternacht in der Kirche verbringe oder in einem Tanzlokal. Die Mehrheit der Gläubigen allerdings ist über das Alter hinaus, wo man sich in Tanzlokalen näher kommt. Aber sie haben natürlich recht, es wäre ehrlicher, wenn sie den Glauben an die Auferstehung glattweg leugnen würden, aber dann entfernen sie sich wohlmöglich vom Fleischtrog der Kirchensteuern von denen u.a. auch ihr fettes Gehalt finanziert wird. Ich habe bei unserem Pfarrer übrigens schriftlich nachgefragt, warum am Ende der Lesungen nicht mehr die Formel „Wort des lebendigen Gottes“ genannt werden darf. Noch schweigt er sich aus. Ich nehme mal an, dass diese „Gottesdiener“ nicht mehr damit rechnen, dass es noch Laien gibt, die genau hinhören was in der Kirche verkündigt oder nicht mehr verkündigt wird.

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      2. @gerd:

        Was sie beschreiben, ist im Grunde der pure Klerikalismus, der über die Köpfe der Gemeinde weggeht, wobei wir uns wohl sicher sein können, dass sich Ihr Herr Pfarrer gegen einen solchen Vorwurf strikt verwahren würde.

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    1. Ich lese die Kommentare von Atheisten, wenn es z. B. darum geht, dass jemand für die Wiederherstellung einer gewissen Kathedrale spendet, die letztens gebrannt hat. Da scheinen sehr viele etwas gegen Schönheit zu haben – jedenfalls sobald irgendwie Mühe und Geld darauf verwendet werden.

      (Sicher sind die nicht repräsentativ für *alle* Atheisten, das ist mir schon klar.)

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      1. Alle Kommentare, die ich dafür gelesen habe, nennen da ganz andere Gründe
        Aber kann natürlich sein, dass du mit anderen Atheist*innen Kontakt hast als ich. Hast du Beispiele?

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  2. Grundsätzlich stimme ich dem Gedanken zu, dass diese Betonklotz-Kirchen nicht gerade der Gipfel der Ästhetik sind. Das mag in Deutschland vielleicht auch mit den zutiefst schuldhaft Erfahrungen aus den Weltkriegen zu tun haben (das unsinnige Argument, man dürfe nach „Holocaust“ diese und jene traditionellen Muster nicht mehr verwenden, habe ich im Zusammenhang mit Kunst und Literatur schon oft gehört).

    Die neuen russischen Kirchen, von denen es ja einige Beispiele gibt, scheinen mir aber dennoch ein etwas phantasieloses Nachbeten alter Formen zu sein (gleiches gilt übrigens für viele Moscheeneubauten in der Türkei, wo ich einige Jahre gelebt habe – politische Implikationen liegen nahe). Der Kirchenbau ist in seiner Geschichte ja auch nicht stilistisch stehengeblieben, auch wenn man die Gotik nicht ganz unberechtigt eher für eine Stilform des 19. Jahrhunderts als des Mittelalters ansehen könnte… 😉

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    1. Ich sage auch gar nichts gegen neue Formen – ich habe z. B. auch schon sehr schöne Bilder von Jugendstilkirchen aus dem frühen 20. Jahrhundert gesehen. Es fragt sich nur, *welche* neuen Formen. 😉

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    2. Ihr Hinweis auf den Holocaust ist sehr interessant. Ja, die Einstellung, man dürfe sich „Triumphalismus“, Trost, Schönheit, Geborgenheit quasi nicht mehr gönnen, ist komischerweise weit verbreitet. Obwohl man all das gerade dann bräuchte.

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  3. Tja, die Programmatik der 4B-Häresien… (Beton, Bronze, Bergkristall und Batik). Vorsätzliche Häßlichkeit getarnt als demütige Bescheidenheit. Symmetrie galt als Inbegriff von Schönheit, daher müssen Kirchen nun asymmetrisch sein. Und es soll bloß keiner wagen, damit zu argumentieren, daß Kirchen einen Eindruck der Herrlichkeit Gottes und des Paradieses vermitteln sollen.

    Die vom Konzil geforderte edle Einfachheit hatten wir in der Kirchengeschichte schon, mit den Kirchen der Zisterzienser vor deren Nachbarockisierung. Die waren aber trotzdem symmetrisch und schön.

    An den gewählten Bildern sieht man auch schön die heimliche Agenda der Umbau- und Neubauwütigen. Man will die gebaute Katechese vernichten! Keine Stufen mehr, kein Unterschied zwischen Gott und seinen Geschöpfen, keine Kniebänke mehr sondern Stühle (täglich umstellbar so wie die theologische Haltung), keine Abgrenzung des Sanctuariums.

    Man sieht sogar immer häufiger, daß neue Kirchen kein vollständiges Kruzifix mehr nötig haben. Entweder ist es nur ein rudimentäres Kreuz, gerne in der Optik einer mangelhaft ausgeführten Betonverschalung, oder nur ein Corpus, der irgendwie an der nackten Wand hängt. Katechese in Form von Bildern in der Kirche ist ja jetzt von Übel, da sie mühsam geändert werden müßten, wenn man die theologische Haltung öfter wechselt als die Unterwäsche. Außerdem verbaut man sich damit nur Projektionsflächen, auf die man tagesaktuell per Pinwand, Diaprojektor oder Beamer politische Agenden an die Wand werfen kann.

    Aber es soll ja immer noch komische Leute geben, die trotz aller pastoralen Bemühungen der letzten Jahrzehnte in die Kirche gehen, weil sie an etwas glauben. Beten wir für diese armen Gläubigen!

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