Dumm, dümmer, Materialismus

Es gibt falsche Ansichten, die eine gewisse Plausibilität für sich beanspuchen können, auch wenn es letztlich starke Gründe gegen sie gibt; darunter wären z. B. der Stoizismus oder der Islam. Dann gibt es Ansichten, die so dumm und abwegig sind, dass es der Menschheit kein gutes Zeugnis ausstellt, dass sie tatsächlich Anhänger haben; so etwas wie die Flache-Erde-Theorie, die Christian-Science-Sekte, das Mormonentum, oder auch der Materialismus.

Ich war ja nicht immer streng katholisch; aber den Materialismus fand ich nie auch nur annähernd überzeugend. Der Materialismus gibt vor, Dinge zu erklären, indem er sie einfach leugnet. Ach, du hast Gedanken? Nein, hast du gar nicht. Wie östliche Religionen die Welt für eine Illusion erklären, erklären Materialisten alles Nichtmaterielle einfach für eine Illusion.

Materialisten scheinen unfähig, die einfachen Tatsachen zu bemerken, die jeder sonst kennt – z. B. dass Materie und Geist – beim Menschen – selbstverständlich zusammenhängen, voneinander abhängen. Ein Gedanke äußert sich durch Neuronen im Gehirn – ach ne, echt. Dass das Denken seinen Sitz im Kopf hat und irgendwie mit dem Gehirn zusammenhängt, ist ja eine Erkenntnis, auf die die Menschheit bisher nie gekommen ist.

Materialisten verhalten sich wie jemand, der proklamiert „ein Gerichtsurteil besteht ja nur aus ausgestoßenen Lauten und Klecksen auf Papier“. Natürlich ist das offensichtlicher Blödsinn; es besteht in dem Richterspruch, der eine rechtliche Folge hat (z. B. dass der Verurteilte für ein Jahr ins Gefängnis muss). Selbstverständlich muss sich das Urteil auch durch die Worte des Richters, und dadurch, dass es aufgeschrieben wird, ausdrücken. So hängt auch die Denktätigkeit vom Gehirn ab; dadurch wird sie nicht mit ihm identisch.

Da nützt auch das viel gebrauchte Argument nichts, dass Medikamente, Drogen u. Ä. das Denken beeinflussen oder ausschalten können. Wenn der Richter von einem Verbrecher als Geisel genommen und geknebelt wird, oder wenn er schon zu Beginn des Gerichtsprozesses krank zusammenbricht (das Gehirn unter Drogen gesetzt wird), kann er auch kein Urteil sprechen und die rechtliche Folge tritt nicht ein (man kann nicht normal denken); die Schlussfolgerung „also ist das Gerichtsurteil nur irgendwelche Laute“ („also ist Denken nur Neuronen“) wäre trotzdem komplett widersinnig.

Gehen wir das Ganze noch einmal von vorn an. Es gibt einen Unterschied zwischen Lebewesen und nicht lebenden Dingen; das dürfte schwer zu leugnen sein. Alles, was lebt, ist nun, solange es lebt, zusammengesetzt aus dem (sozusagen) „Lebensprinzip“, das wir Seele nennen, und dem Körper. Erst wenn das Leben weg ist, ist nur noch die Materie, nur noch der Körper da; dann haben wir eben einen Leichnam. Auch der strengste Materialist behauptet nun kaum, dass Leben nicht existiert (obwohl er sich schon allein, wenn er das anerkennt, genau genommen nicht mehr „Materialist“ nennen dürfte); wenn es sich bei Gedanken nur um elektrische Blitze im Gehirn handeln würde, würde es aber kein Leben geben. Solche elektrischen Blitze gibt es auch in der unbelebten Natur ohne die typischen Merkmale von Leben wie Empfindungen, evtl. Bewusstsein, und dergleichen.

Soweit zu Leben/Seele an sich; jetzt zur Art von Seelen. Wir unterscheiden vegetative Seelen (bei Pflanzen), Tierseelen und rationale Seelen. Zu beweisen, dass Menschen Vernunft und nicht nur Empfindungen (wie etwa Tiere) besitzen, ist nicht schwer; wir ziehen logische Schlussfolgerungen (wie hier gerade), und wir erfassen nicht nur Partikularien, sondern auch Universalien. (Partikularien sind z. B. dieses Dreieck oder dieser Mensch hier; Universalien wären Dreieckigkeit und Menschlichkeit; wir schließen von Einzelexemplaren darauf, was objektiv das Wesen einer Kategorie ausmacht. Tiere dagegen erleben immer nur gerade ein konkretes Ding. Zur tatsächlichen Realität dieser Kategorien, also zur Frage, ob sie nicht nur willkürliche Konstrukte sind, kommt noch mal ein eigener Beitag, da das ein Thema ist, das gesonderte Behandlung verdient.)

Der Materialismus ist nicht nur falsch, er ist sogar in sich widersprüchlich. Wenn jemand annehmen will, dass alle seine Gedanken unzuverlässige Erzeugnisse von Materie sind, dann auch sein Gedanke, dass alle Gedanken unzuverlässige Erzeugnisse von Materie sind. Also beißt sich die Katze in den Schwanz und der Materialismus führt sich selbst ad absurdum.

Das ist ein ganz zentrales Argument gegen den Materialismus, und sehr einfach einzusehen. Wenn derjenige will, kann er den Materialismus natürlich immer noch „einfach so“ postulieren und jedes Denken aufgeben; aber das ist dann eben weder falsifizierbar noch belegbar. Und für gewöhnlich reden Atheisten ja so gern von Falsifizierbarkeit. Die einzige Alternative dazu ist, davon auszugehen, dass nicht alles hier Illusion ist, sondern dass Vernunft/Geist/Denken tatsächlich existiert und, wie von der Erfahrung bestätigt, zu richtigen Ergebnissen führen kann. Es macht auch keinen Sinn, zu sagen „eigentlich glaube ich nicht an das Denken, aber ich mache trotzdem einfach mal das Beste daraus und benutze es, wenn ich z. B. naturwissenschaftliche Tatsachen herausfinden will“; wenn es etwas nicht gibt, kann man daraus gar nichts machen.

Tatsache ist, wir leben nicht in einer Welt, die es wahrscheinlich machen würde, dass alles oder vieles, was man erfährt und zu wissen meint, nur Illusion ist. Wir erleben nicht wie in einem Albtraum plötzlich willkürliche und abstruse Dinge, die wir nicht begreifen könnten. Das Denken funktioniert. Dinge fallen herunter, man leitet daraus das Gesetz der Schwerkraft ab, und kann sich darauf verlassen, dass sie diesem Gesetz auch in Zukunft folgen werden. Sicher gibt es immer wieder Illusionen (z. B. optische Täuschungen) und schwer verständliche Dinge; aber allein die Tatsache, dass sich diese Illusionen oft aufdecken lassen, indem man genau hinsieht, Informationen sammelt und ordentlich nachdenkt, zeigt doch, dass Sinnen und Verstand eine gewisse Verlässlichkeit innewohnt.

Natürlich ist unser Verstand alles andere als perfekt; wir sind ja nur Geschöpfe, und gefallene und verdorbene noch dazu. Aber wenn manche aus seiner Beschränktheit auf seine Nichtexistenz schließen wollen, deutet das höchstens darauf hin, dass sie ihren gerade nicht nutzen wollen.

Auch zu sagen, dass es das Immaterielle zwar gäbe, es aber nur aus dem Materiellen komme, ist unlogisch, da es gegen das „Prinzip vom zureichenden Grund“ verstößt. Etwas, das etwas anderes verursacht, muss dieses Ding auf irgendeine Weise selbst haben – entweder formell (jemand mit einer Fackel hat Hitze real da und kann sie weitergeben), oder zumindest virtuell oder eminent (jemand mit Streichhölzern, Zeitungspapier und Feuerholz kann Hitze generieren und sie dann weitergeben). Das gilt auch für Leben und Geist.

Ach, und noch etwas. Der Materialismus ist keine moderne Erfindung, für die irgendwelche Viehhirten in der Eisenzeit einfach zu dumm gewesen wären. Gottesleugner waren schon immer gern Materialisten. Der folgende Text, der die Ansichten der „Gottlosen“ beschreibt, findet sich in der Bibel, im Alten Testament:

Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Kurz und traurig ist unser Leben; für das Ende des Menschen gibt es keine Heilung und man kennt keinen, der aus der Unterwelt befreit. Durch Zufall sind wir geworden und danach werden wir sein, als wären wir nie gewesen. Rauch ist der Atem in unserer Nase und das Denken ein Funke beim Schlag unseres Herzens; verlöscht er, dann zerfällt der Leib zu Asche und der Geist verweht wie dünne Luft.

Unser Name wird mit der Zeit vergessen, niemand erinnert sich unserer Werke. Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke und löst sich auf wie ein Nebel, der von den Strahlen der Sonne verscheucht und von ihrer Wärme zu Boden gedrückt wird. Unsere Zeit geht vorüber wie ein Schatten, unser Ende wiederholt sich nicht; es ist versiegelt und keiner kommt zurück.

Auf, lasst uns die Güter des Lebens genießen und die Schöpfung auskosten, wie es der Jugend zusteht! Erlesener Wein und Salböl sollen uns reichlich fließen, keine Blume des Frühlings darf uns entgehen. Bekränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken. Keine Wiese bleibe unberührt von unserem Treiben, überall wollen wir Zeichen der Fröhlichkeit zurücklassen; denn dies ist unser Anteil und dies das Erbe.

Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt, die Witwe nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen! Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das Schwache erweist sich als unnütz.

Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich einen Knecht des Herrn. Er ist unserer Gesinnung ein Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden. Als falsche Münze gelten wir ihm; von unseren Wegen hält er sich fern wie von Unrat. Das Ende der Gerechten preist er glücklich und prahlt, Gott sei sein Vater.

Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. Durch Erniedrigung und Folter wollen wir ihn prüfen, um seinen Gleichmut kennenzulernen und seine Widerstandskraft auf die Probe zu stellen. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.

So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit macht sie blind. Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts, sie hoffen nicht auf Lohn für Heiligkeit und erwarten keine Auszeichnung für untadelige Seelen. Denn Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ (Weisheit 2)

Ja, ja, Gott liebt mich, klar

„Gott liebt dich“: Wenn es was gibt, das im christkatholischen Glauben als altbekannte Platitüde behandelt wird, dann wahrscheinlich diese Aussage. Eigentlich seltsam; in anderen monotheistischen Religionen ist es gar nicht selbstverständlich. Würden Muslime so reden? Ich weiß nicht. Auch monotheistische antike griechische Philosophen hätten nicht so vom „lieben Gott“ gesprochen.

Gott liebt dich, das heißt Gott will dir Gutes, weil Gott selbst das vollkommene Gute ist, und zwar liebt Gott dich mehr als du dich selbst liebst oder irgendein Mensch dich lieben könnte. „Gott ist mehr bereit, einem reuigen Sünder zu verzeihen, als eine Mutter, ihr Kind aus dem Feuer zu retten“, hat der hl. Pfarrer von Ars einmal gesagt.

Manzoni_Brautleute

(Ein kurzer Abschnitt aus diesem Roman; hier spricht Kardinal Federigo Borromeo mit einem Mann, der so eine Art Raubritter ist. Ich fand die Stelle gerade sehr passend.)

Gott vergisst dich nicht einen Augenblick lang; Er hat dich gemacht und erhält dich im Leben, weil Er will, dass du bist; weil du für Ihn nicht überflüssig und keine Platzverschwendung bist. Er sieht mit Mitleid auf dich, wenn es dir schlecht geht (auch wenn Er das aus Gründen zulassen muss) und wenn du dich in Sünden verrennst. Er will dich bei sich haben. Er will dir Trost, Freude, Frieden geben.

Eigentlich eine bekannte Grundtatsache der katholischen Religion; der frohen Botschaft, die der Herr Jesus Christus zu bringen gekommen ist. Trotzdem steht sie einem auch als Katholik nicht immer vor Augen. Besonders, wenn man Probleme mit Skrupulosität hat.

Für mich ist der Gedanke die meiste Zeit über fern und theoretisch. Ja. Gott liebt mich. Ich leugne es nicht, aber habe es sicher nicht gefühlsmäßig verinnerlicht. Schon der Versuch, es zu verinnerlichen ist, sagen wir, schwierig. Da ist immer die Angst dabei, und die Hilflosigkeit. Ich könnte unehrerbietig sein. Schließlich kann ich nicht einfach proklamieren, dass Gott mit mir zufrieden ist, nicht wütend auf mich ist, meine Reue akzeptiert, oder irgendetwas, das wirklich über das theoretische Mindestwissen, dass Er etwas namens Liebe für mich hat, hinausgeht. Was heißt diese Liebe denn in der Praxis? Bei so vielen Gelegenheiten weiß ich z. B. nicht, ob ich mir etwas vormache in Bezug darauf, ob ich Seine Liebe in einem gerade noch ausreichenden Maß erwidere oder nicht, und wie Er dann jetzt zu mir steht – und dann habe ich wieder das Gefühl, dass Er mich vielleicht gar nicht wirklich haben will. Er weiß das alles, Er weiß auch, was ich eigentlich tun sollte; ich weiß es nicht, oder vielleicht sage ich mir das auch nur. Es wäre nett, wenn Gott direkt mit einem reden würde, denke ich mir dann. So viel einfacher. Wenn er einem sagen würde, was genau Er hier und jetzt von einem will, und dass Er sich für einen interessiert. Er tut das nicht, und dafür wird Er Gründe haben (vielleicht, dass Er einem beibringen will, auf das zu vertrauen, was Vernunft und Kirche einem sagen, statt sich von rein gefühlsmäßigen Eindrücken leiten zu lassen? Dass man manche Dinge selbst herausfinden muss?); aber danach sehnen werde ich mich trotzdem weiterhin. Hat Gott Geduld mit dieser meiner Schwierigkeit? Ist das hier falsch, oder ist es das nicht? Was heißt es, dass Gott milde und barmherzig ist? Kann ich im Frieden sein oder nicht? Ich weiß es eben nicht, und es gibt nun mal genug Dinge, die ich falsch mache.

Gott ist nicht der Feind, versuche ich mir (oder anderen; gerade wenn man bei den eigenen Problemen als Skrupulantin offen ist, bekommt man manchmal auch die anderer anvertraut) öfter mal zu sagen. Der Teufel will uns in der Hölle haben, um uns zu quälen, Gott geht uns nach wie der Hirt dem verlorenen Schaf, Er ist barmherzig zu uns wie zum guten Schächer am Kreuz – Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein(Lk 23,43). Er wartet nicht auf eine Gelegenheit, uns zu verdammen. Ja, schwere Sünden trennen uns wirklich von Ihm, aber nicht alles und jedes ist schwere Sünde, und Er ist jederzeit bereit, schwere Sünden zu vergeben.*

Das ist ein schönes Prinzip, ja; die Praxis schaut aber eben schwieriger aus.

Da geht man so drüber hinweg. Gott liebt mich. Klar. Weiß ich schon, das ist Katholizismus auf Erstklässlerlevel, so wie man bei der Schulanfangsfeier „Ja, Gott hat aaalle Kinder lieb“ krakeelt und hinterher „Aaaaaalle Kinder lernen leeeeeeeesen“**. Aber es ist eben tatsächlich wahr.

Neben den mehr oder weniger irrationalen Ängsten, die einen quälen können, gibt es leider auch noch die finstereren, durchdachteren Zweifel vonseiten der Calvinisten und ihrer Sympathisanten, die einen auch beeinflussen können (selbst wenn man sie intellektuell an sich ablehnt, wie ich das tue). Ich bin ja der Meinung, dass Calvinismussympathien in den meisten Fällen entweder von Verzweiflung (bei denen, die sich für wahrscheinlich verworfen halten) oder Hochmut (bei denen, die sich für erwählt halten) kommen; aber woher auch immer sie kommen, ihre Früchte sind nach allem, was ich beobachtet und bei mir selbst erlebt habe, jedenfalls Verzweiflung oder Hochmut.

Screenshot (5)Screenshot (6)

 (Reale Aussagen eines Calvinisten aus einer Twitterunterhaltung vor einiger Zeit, bei denen ich immer noch etwas fassungslos bin, wie offenherzig sie die willkürliche Grausamkeit des Calvinismus zeigen.)

Der Calvinismus (bzw. mit ihm sympathisierende Theologien) ist nicht überall direkt unlogisch; das ist seine Stärke. Er sagt (in seiner milden Variante) praktisch: Alle Menschen haben die Hölle verdient, und einigen gibt Gott einfach das, was sie verdienen; anderen schenkt Er aus Barmherzigkeit mehr, als sie verdienen, nämlich den Himmel, aber einen Anspruch darauf hat keiner, also können sich die Verdammten auch nicht beschweren. Direkt widersinnig wird es freilich, wenn Calvinisten, um Gottes „Souveränität“ und Allmacht zu wahren (in ihrer Sorge um Seine Hoheit und Unantastbarkeit erinnern sie an Muslime, die Ihm vorschreiben wollen, dass Er sich doch bitte nicht mit einer Menschwerdung zu erniedrigen habe), erklären, Gott sei auch der direkt Verantwortliche für die Sünden der Menschen, insbesondere die Ursünde von Adam und Eva, also wirklich Urheber des Bösen, nicht nur der, der durch sekundäre Ursachen (wie den freien Willen des Menschen) die Entstehung des Bösen zugelassen hat. Das ist eigentlich nur noch Teufelsanbetung unter einem anderen Namen. Aber selbst die „milde“ Variante übersieht etwas: Zwar nicht so sehr Gottes Gerechtigkeit, aber Seine über die Gerechtigkeit hinausgehende Liebe. Gott ist die Liebe.

Nun ist es tatsächlich so, dass der Katholizismus mit der Idee kompatibel ist, dass Gott manchen Menschen, z. B. solchen, die Er für besondere Aufgaben erwählt hat (wie etwa dem Apostel Paulus), ein noch größeres Ausmaß an Gnaden gibt als anderen (freilich wird von denen, denen mehr gegeben wurde, auch mehr erwartet); aber Er gibt allen wirklich genug Gnade für eine ganz reale Chance auf die Erlösung, weil Er alle liebt. Wirklich liebt, nicht nur „liebt.“ Wer verloren geht, hätte gerettet werden können, wenn er gewollt hätte. Ich halte es da mit den tröstenden Worten der Heiligen Schrift:

„[E]r will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4)

Und:

Darum will ich euch richten, jeden nach seinem Weg, ihr vom Haus Israel – Spruch GOTTES, des Herrn. Kehrt um, kehrt euch ab von all euren Vergehen! Sie sollen für euch nicht länger der Anlass sein, in Schuld zu fallen. Werft alle Vergehen von euch, die ihr verübt habt! Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist! Warum wollt ihr denn sterben, ihr vom Haus Israel? Ich habe doch kein Gefallen am Tod dessen, der sterben muss – Spruch GOTTES, des Herrn. Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!“ (Ez 18,30-32)

(Auch Calvinisten berufen sich auf die Heilige Schrift, sicher; aber da kommt dann immer dieselbe falsch interpretierte Paulusstelle; und das war es mehr oder weniger.)

Soweit zu den intellektuellen Zweifeln; aber gefühlsmäßige verschwinden ja nicht einfach, wenn die intellektuelle Seite geklärt ist. Ich weiß auch nicht ganz, wie man sie wirklich verschwinden lassen kann. Akut hilft es mir immer ein bisschen, in der Bibel zu lesen oder einen Teil des Stundengebets zu beten. Das beruhigt. Aber unten drunter sind Angst und Unruhe da. Vielleicht wird so sein, bis dieses Leben hier beendet ist. Hat eben jeder sein Kreuz; immerhin hat man dann etwas zum Aufopfern.

Und am Ende ist es ja trotzdem wahr, dass Gott einen liebt, ob man es fühlt oder nicht.

 

* Hier eine kurze Anmerkung: Es hat mir wirklich geholfen, als ich gelernt habe, dass Gott einem bei einem Akt der Liebesreue inklusive Vorsatz zur Beichte auch schon vergibt, bevor man wirklich zur Beichte kommt, und dass es zwar das Gebot der Kirche ist, zur Beichte zu gehen, aber nicht, zum schnellstmöglichen Zeitpunkt zur Beichte zu gehen. [Ein Gebet zur Erweckung der Liebesreue: „Mein Gott, aus ganzem Herzen bereue ich alle meine Sünden, nicht nur wegen der gerechten Strafen, die ich dafür verdient habe, sondern vor allem, weil ich dich beleidigt habe, das höchste Gut, das würdig ist, über alles geliebt zu werden. Darum nehme ich mir fest vor, mit Hilfe deiner Gnade nicht mehr zu sündigen und die Gelegenheiten zur Sünde zu meiden. Amen.“]

** Okay, vielleicht krakeelt man letzteres heute nicht mehr wegen der Indianer und Eskimos. Meine Einschulung war ja auch schon vor 17 Jahren.

Christliche Kultur am Sonntag: Der Gesandte des Großen Geistes

Bei christlichen Sachbüchern findet man bekanntlich relativ leicht gute Sachen; bei Romanen, Filmen oder Kinderbüchern sieht es allerdings manchmal schwieriger aus, auch wenn einige vermutlich gern mehr davon besäßen. Dabei gibt es eigentlich auch hier viel Gutes, wenn man näher hinschaut, und weil nicht allen alles bekannt ist, dachte ich, ich stelle meinen Lesern hier mal jede Woche kurz ein Werk vor – hauptsächlich katholische Sachen, aber wenn es von guter Qualität ist, auch mal was aus anderen Konfessionen; nicht nur Hochkultur, sondern auch eher Populärkultur (aber halbwegs gut gemacht soll es sein); und sowohl solches mit explizit religiösen Inhalten (im Einzelfall auch mal, wenn es von persönlich nicht sehr frommen Menschen kommt), als auch Werke von überzeugten Christen ohne explizite Botschaft. Viele werden bestimmte Klassiker schon kennen, aber andere vielleicht noch nicht.

Und weil ich ja auch nicht alles kennen kann: Wer ein katholisches Lieblingsbuch, einen Film o. Ä. hat, von dem er schon immer mal mehr Leuten erzählen wollte, darf mir gern über die „Contact“-Seite schreiben und vielleicht ergibt sich ein Gastbeitrag.

 

Heute: Franz Weiser: „Der Gesandte des Großen Geistes“

Heute wieder ein Kinderbuch; ein österreichisches Kinderbuch aus den 1930ern, das von einem berühmten Indianermissionar, Pater Pierre-Jean De Smet SJ (1801-1873), handelt. Darauf gekommen, es zu lesen, bin ich über diese interessante Rezension hier.

15812906340691107208438

„Der Gesandte des Großen Geistes“ beginnt damit, wie De Smet als junger Mann heimlich seine Heimat Belgien verlässt, um sich in Amerika den Jesuiten anzuschließen und Missionar bei den Indianern zu werden (ohne seine Eltern vorab zu informieren, weil er fürchtet, dass sie ihn von dieser waghalsigen Idee abbringen wollen würden). Weiser (der im Vorwort erzählt, wie er selbst in Amerika war, De Smets Grab gesehen, seine Briefe gelesen hat usw.) berichtet dann kurz davon, wie De Smet Priester wurde, und dann ausführlicher von seinen endlosen und einsamen Reisen von St. Louis aus quer durch die Prärien und die Rocky Mountains (das „Felsengebirge“ nennt er sie). Immer wieder zitiert er dabei auch De Smets Briefe.

So sah der Pater übrigens in echt aus; ein „Westmann“, wie Weiser sagen könnte:

(Das Foto ist laut Wikipedia von ca. 1860-65. Ich finde es ehrlich gesagt sehr sympathisch, auch wenn er so grimmig schaut; damals sollte man ja auf Fotos ernst und würdevoll dreinblicken. Gemeinfrei.)

Tatsächlich war es ja so, dass in dieser Zeit die katholischen Missionare (wegen ihrer Soutanen als „Schwarzröcke“ betitelt) bei vielen nordamerikanischen Ureinwohnern sehr freundlich aufgenommen und als Boten des Großen Geistes, den diese bereits anbeteten, gesehen wurden, und einige Erfolge erzielten. (Siehe z. B. hier, hier oder hier für Stimmen katholischer Indianer aus dieser Zeit, und Schilderungen ihres Lebens.) Weiser erzählt, wie Pater De Smet die verschiedenen Stämme besuchte (die Potawatomis, Plattköpfe usw.), wie er Glaubensunterricht erteilte und taufte; von seinen lebensgefährlichen Abenteuern auf Reisen; wie er sich später wegen seines Ansehens bei den Stämmen auch als Friedensmittler zwischen Indianerstämmen, und zwischen ihnen und der US-Regierung, betätigte (u. a. traf er Sitting Bull), wie er auch immer wieder nach Europa reiste, um Priesteramtskandidaten und Nonnen für die Mission anzuwerben und Spenden zu sammeln, und schließlich vom Ende seines Lebens in St. Louis.

Das Buch enthält natürlich viel Indianer- und Wildwestromantik, und dürfte (trotz der überwiegend positiven Darstellung der Indianer und der deutlichen Verurteilung der Verbrechen von Goldsuchern und Siedlern an ihnen) allein wegen der Sprache („Rothäute“ usw.) kaum als politisch korrekt durchgehen; aber gut, wer liest schon gern politisch korrekte Bücher. Es ist kein Werk der hohen Literatur, aber auch nicht schlecht geschrieben, und nicht allzu lang. Das ideale Publikum dürften vermutlich 11-13-jährige Jungen aus katholischen Familien sein, die sich für Indianer begeistern und Priester werden wollen; aber es lohnt sich auch für andere Leser. Nichtkatholiken würde ich es allerdings nicht schenken; dafür setzt es zu viel von der katholischen Weltsicht als selbstverständlich voraus, das heutige Säkularisten nicht gleich verstehen würden.

Eine Stelle, die mir besonders gefallen hat, war übrigens diese hier; da ja in letzter Zeit öfter über das Thema „Zölibat in Missionsländern mit Priestermangel“ diskutiert worden ist:

15812907656561570414334

„Der Gesandte des Großen Geistes“ ist nicht Franz Weisers einziges Buch; allerdings dürfte sein gesamtes Werk wahrscheinlich nur noch antiquarisch zu bekommen sein.

158129069960095432530