Es gibt falsche Ansichten, die eine gewisse Plausibilität für sich beanspuchen können, auch wenn es letztlich starke Gründe gegen sie gibt; darunter wären z. B. der Stoizismus oder der Islam. Dann gibt es Ansichten, die so dumm und abwegig sind, dass es der Menschheit kein gutes Zeugnis ausstellt, dass sie tatsächlich Anhänger haben; so etwas wie die Flache-Erde-Theorie, die Christian-Science-Sekte, das Mormonentum, oder auch der Materialismus.
Ich war ja nicht immer streng katholisch; aber den Materialismus fand ich nie auch nur annähernd überzeugend. Der Materialismus gibt vor, Dinge zu erklären, indem er sie einfach leugnet. Ach, du hast Gedanken? Nein, hast du gar nicht. Wie östliche Religionen die Welt für eine Illusion erklären, erklären Materialisten alles Nichtmaterielle einfach für eine Illusion.
Materialisten scheinen unfähig, die einfachen Tatsachen zu bemerken, die jeder sonst kennt – z. B. dass Materie und Geist – beim Menschen – selbstverständlich zusammenhängen, voneinander abhängen. Ein Gedanke äußert sich durch Neuronen im Gehirn – ach ne, echt. Dass das Denken seinen Sitz im Kopf hat und irgendwie mit dem Gehirn zusammenhängt, ist ja eine Erkenntnis, auf die die Menschheit bisher nie gekommen ist.
Materialisten verhalten sich wie jemand, der proklamiert „ein Gerichtsurteil besteht ja nur aus ausgestoßenen Lauten und Klecksen auf Papier“. Natürlich ist das offensichtlicher Blödsinn; es besteht in dem Richterspruch, der eine rechtliche Folge hat (z. B. dass der Verurteilte für ein Jahr ins Gefängnis muss). Selbstverständlich muss sich das Urteil auch durch die Worte des Richters, und dadurch, dass es aufgeschrieben wird, ausdrücken. So hängt auch die Denktätigkeit vom Gehirn ab; dadurch wird sie nicht mit ihm identisch.
Da nützt auch das viel gebrauchte Argument nichts, dass Medikamente, Drogen u. Ä. das Denken beeinflussen oder ausschalten können. Wenn der Richter von einem Verbrecher als Geisel genommen und geknebelt wird, oder wenn er schon zu Beginn des Gerichtsprozesses krank zusammenbricht (das Gehirn unter Drogen gesetzt wird), kann er auch kein Urteil sprechen und die rechtliche Folge tritt nicht ein (man kann nicht normal denken); die Schlussfolgerung „also ist das Gerichtsurteil nur irgendwelche Laute“ („also ist Denken nur Neuronen“) wäre trotzdem komplett widersinnig.
Gehen wir das Ganze noch einmal von vorn an. Es gibt einen Unterschied zwischen Lebewesen und nicht lebenden Dingen; das dürfte schwer zu leugnen sein. Alles, was lebt, ist nun, solange es lebt, zusammengesetzt aus dem (sozusagen) „Lebensprinzip“, das wir Seele nennen, und dem Körper. Erst wenn das Leben weg ist, ist nur noch die Materie, nur noch der Körper da; dann haben wir eben einen Leichnam. Auch der strengste Materialist behauptet nun kaum, dass Leben nicht existiert (obwohl er sich schon allein, wenn er das anerkennt, genau genommen nicht mehr „Materialist“ nennen dürfte); wenn es sich bei Gedanken nur um elektrische Blitze im Gehirn handeln würde, würde es aber kein Leben geben. Solche elektrischen Blitze gibt es auch in der unbelebten Natur ohne die typischen Merkmale von Leben wie Empfindungen, evtl. Bewusstsein, und dergleichen.
Soweit zu Leben/Seele an sich; jetzt zur Art von Seelen. Wir unterscheiden vegetative Seelen (bei Pflanzen), Tierseelen und rationale Seelen. Zu beweisen, dass Menschen Vernunft und nicht nur Empfindungen (wie etwa Tiere) besitzen, ist nicht schwer; wir ziehen logische Schlussfolgerungen (wie hier gerade), und wir erfassen nicht nur Partikularien, sondern auch Universalien. (Partikularien sind z. B. dieses Dreieck oder dieser Mensch hier; Universalien wären Dreieckigkeit und Menschlichkeit; wir schließen von Einzelexemplaren darauf, was objektiv das Wesen einer Kategorie ausmacht. Tiere dagegen erleben immer nur gerade ein konkretes Ding. Zur tatsächlichen Realität dieser Kategorien, also zur Frage, ob sie nicht nur willkürliche Konstrukte sind, kommt noch mal ein eigener Beitag, da das ein Thema ist, das gesonderte Behandlung verdient.)
Der Materialismus ist nicht nur falsch, er ist sogar in sich widersprüchlich. Wenn jemand annehmen will, dass alle seine Gedanken unzuverlässige Erzeugnisse von Materie sind, dann auch sein Gedanke, dass alle Gedanken unzuverlässige Erzeugnisse von Materie sind. Also beißt sich die Katze in den Schwanz und der Materialismus führt sich selbst ad absurdum.
Das ist ein ganz zentrales Argument gegen den Materialismus, und sehr einfach einzusehen. Wenn derjenige will, kann er den Materialismus natürlich immer noch „einfach so“ postulieren und jedes Denken aufgeben; aber das ist dann eben weder falsifizierbar noch belegbar. Und für gewöhnlich reden Atheisten ja so gern von Falsifizierbarkeit. Die einzige Alternative dazu ist, davon auszugehen, dass nicht alles hier Illusion ist, sondern dass Vernunft/Geist/Denken tatsächlich existiert und, wie von der Erfahrung bestätigt, zu richtigen Ergebnissen führen kann. Es macht auch keinen Sinn, zu sagen „eigentlich glaube ich nicht an das Denken, aber ich mache trotzdem einfach mal das Beste daraus und benutze es, wenn ich z. B. naturwissenschaftliche Tatsachen herausfinden will“; wenn es etwas nicht gibt, kann man daraus gar nichts machen.
Tatsache ist, wir leben nicht in einer Welt, die es wahrscheinlich machen würde, dass alles oder vieles, was man erfährt und zu wissen meint, nur Illusion ist. Wir erleben nicht wie in einem Albtraum plötzlich willkürliche und abstruse Dinge, die wir nicht begreifen könnten. Das Denken funktioniert. Dinge fallen herunter, man leitet daraus das Gesetz der Schwerkraft ab, und kann sich darauf verlassen, dass sie diesem Gesetz auch in Zukunft folgen werden. Sicher gibt es immer wieder Illusionen (z. B. optische Täuschungen) und schwer verständliche Dinge; aber allein die Tatsache, dass sich diese Illusionen oft aufdecken lassen, indem man genau hinsieht, Informationen sammelt und ordentlich nachdenkt, zeigt doch, dass Sinnen und Verstand eine gewisse Verlässlichkeit innewohnt.
Natürlich ist unser Verstand alles andere als perfekt; wir sind ja nur Geschöpfe, und gefallene und verdorbene noch dazu. Aber wenn manche aus seiner Beschränktheit auf seine Nichtexistenz schließen wollen, deutet das höchstens darauf hin, dass sie ihren gerade nicht nutzen wollen.
Auch zu sagen, dass es das Immaterielle zwar gäbe, es aber nur aus dem Materiellen komme, ist unlogisch, da es gegen das „Prinzip vom zureichenden Grund“ verstößt. Etwas, das etwas anderes verursacht, muss dieses Ding auf irgendeine Weise selbst haben – entweder formell (jemand mit einer Fackel hat Hitze real da und kann sie weitergeben), oder zumindest virtuell oder eminent (jemand mit Streichhölzern, Zeitungspapier und Feuerholz kann Hitze generieren und sie dann weitergeben). Das gilt auch für Leben und Geist.
Ach, und noch etwas. Der Materialismus ist keine moderne Erfindung, für die irgendwelche Viehhirten in der Eisenzeit einfach zu dumm gewesen wären. Gottesleugner waren schon immer gern Materialisten. Der folgende Text, der die Ansichten der „Gottlosen“ beschreibt, findet sich in der Bibel, im Alten Testament:
„Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Kurz und traurig ist unser Leben; für das Ende des Menschen gibt es keine Heilung und man kennt keinen, der aus der Unterwelt befreit. Durch Zufall sind wir geworden und danach werden wir sein, als wären wir nie gewesen. Rauch ist der Atem in unserer Nase und das Denken ein Funke beim Schlag unseres Herzens; verlöscht er, dann zerfällt der Leib zu Asche und der Geist verweht wie dünne Luft.
Unser Name wird mit der Zeit vergessen, niemand erinnert sich unserer Werke. Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke und löst sich auf wie ein Nebel, der von den Strahlen der Sonne verscheucht und von ihrer Wärme zu Boden gedrückt wird. Unsere Zeit geht vorüber wie ein Schatten, unser Ende wiederholt sich nicht; es ist versiegelt und keiner kommt zurück.
Auf, lasst uns die Güter des Lebens genießen und die Schöpfung auskosten, wie es der Jugend zusteht! Erlesener Wein und Salböl sollen uns reichlich fließen, keine Blume des Frühlings darf uns entgehen. Bekränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken. Keine Wiese bleibe unberührt von unserem Treiben, überall wollen wir Zeichen der Fröhlichkeit zurücklassen; denn dies ist unser Anteil und dies das Erbe.
Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt, die Witwe nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen! Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das Schwache erweist sich als unnütz.
Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich einen Knecht des Herrn. Er ist unserer Gesinnung ein Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden. Als falsche Münze gelten wir ihm; von unseren Wegen hält er sich fern wie von Unrat. Das Ende der Gerechten preist er glücklich und prahlt, Gott sei sein Vater.
Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. Durch Erniedrigung und Folter wollen wir ihn prüfen, um seinen Gleichmut kennenzulernen und seine Widerstandskraft auf die Probe zu stellen. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.
So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit macht sie blind. Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts, sie hoffen nicht auf Lohn für Heiligkeit und erwarten keine Auszeichnung für untadelige Seelen. Denn Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ (Weisheit 2)