Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 2b: Erschaffung und Zweck des Menschen

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

 

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Gen 1-2, Ps 8, Weish 2,23f., Weish 9,1-3, Sir 17, 2 Makk 7,28, Mt 10,29-31, Mt 12,12.

 

Im letzten Teil ging es um die Lehre von Gott und der Schöpfung als Ganzes; heute einige Stellen dazu, wozu Gott den Menschen im speziellen erschaffen hat.

 

Gott hat den Menschen um seiner selbst willen geschaffen, schreibt Athenagoras von Athen, und er soll in der Erkenntnis Gottes sein ewiges Glück finden:

„Den von der Entstehungsursache abgeleiteten Beweis bekommen wir, wenn wir uns fragen, ist der Mensch von ungefähr und zwecklos erschaffen worden oder zu einem bestimmten Zwecke; und wenn das letztere der Fall ist, ist er dann da, um nach seiner Erschaffung für sich selbst zu leben und in der ihm angeschaffenen Natur fortzubestehen oder, weil ein anderes Wesen seiner bedarf; wenn er aber in Hinsicht auf ein Bedürfnis erschaffen wurde, ist es dann der Schöpfer selbst, der seiner bedarf, oder irgendein anderes Wesen, das diesem nahe steht und sich hoher Fürsorge erfreut. Was wir schon bei einer allgemeineren Betrachtung finden können, ist die Tatsache, daß jeder Verständige, jeder, der sich durch vernünftiges Urteil zu einer Tätigkeit bewegen läßt, nichts von dem, was er vorsätzlich ins Werk setzt, zwecklos tut, sondern entweder um ein eigenes Bedürfnis zu befriedigen oder einem anderen Wesen, für das er besorgt ist, zu nützen oder wegen des Werkes selbst, wenn ihn nämlich ein natürlicher Zug, eine natürliche Liebe zu dessen Hervorbringung bewegt.

So baut der Mensch (ein Beispiel möge die Sache erläutern) ein Haus, weil er selbst dessen bedarf; er baut aber auch für Rinder, Kamele oder für die anderen Tiere, die er benötigt, das einem jeden derselben passende Obdach; wenn man nach dem Augenschein urteilt, tut er dies nicht zu eigenem Gebrauche, wohl aber, wenn man den Endzweck berücksichtigt; zunächst tut er es aus Fürsorge für seine Pfleglinge. Er erzeugt auch Kinder, nicht etwa weil er selbst deren bedarf oder um eines anderen Wesens willen, das ihm nahe steht, sondern in der Absicht, daß seine Sprößlinge einfach da sind und da bleiben solang als möglich, wobei er sich mit der Nachfolge seiner Kinder und Enkel über sein eigenes Ende tröstet und das Sterbliche auf diese Weise unsterblich zu machen wähnt. So machen es die Menschen.

Indes hat auch Gott den Menschen wohl nicht zwecklos erschaffen; denn er ist weise; kein Werk der Weisheit aber entbehrt des Zweckes. Auch hat er ihn nicht erschaffen, weil er selbst seiner bedürfte; denn er bedarf überhaupt nichts; einem Wesen aber, das vollständig bedürfnislos ist, kann keines seiner Werke zu eigenem Bedarfe dienen. Er hat aber auch den Menschen nicht um eines andern Geschöpfes willen gemacht; denn kein vernünftiges und urteilsfähiges Wesen wurde oder wird ins Dasein gesetzt, um einem anderen Wesen, sei es nun ein höheres oder ein geringeres, zum Gebrauche zu dienen, sondern um selbsteigenes Leben zu haben, wenn es einmal geworden ist, und selbsteigenen Fortbestand. Auch kann die Vernunft die Entstehung des Menschen nicht auf irgendein Bedürfnis zurückführen; denn die unsterblichen Wesen sind bedürfnislos und brauchen zu ihrer Existenz in keiner Weise eine menschliche Hilfe; die unvernünftigen Wesen dagegen müssen sich nach dem natürlichen Lauf der Dinge beherrschen lassen und dem Menschen die ihrer Natur entsprechenden Dienste leisten, während sie selbst nicht fähig sind, sich der Menschen zu bedienen; denn recht war es nicht und ist es nicht, das Herrschende und Führende in den Dienst eines Geringeren zu stellen oder das Vernünftige dem Unvernünftigen unterzuordnen, das doch zum Herrschen ungeeignet ist.

Wenn also der Mensch nicht grund- und zwecklos geschaffen ist (denn kein göttliches Werk ist zwecklos), wenn ferner seine Entstehung weder auf ein Bedürfnis des Schöpfers selbst noch auf ein Bedürfnis eines anderen von Gott geschaffenen Wesens zurückzuführen ist, so ist es klar, daß in erster und allgemeinerer Hinsicht Gott den Menschen geschaffen hat, weil er eben Gott ist und weil überhaupt aus dem Schöpfungswerke seine Güte und Weisheit hervorleuchtet; betrachtet man jedoch die Sache mehr vom Standpunkt der geschaffenen Menschen aus, dann deswegen, weil er das Leben derselben will und zwar nicht ein Leben, das nur für kurze Zeit entfacht wird, dann aber gänzlich erlöschen soll. Den Reptilien freilich, den Luft- und Wassertieren, überhaupt allem Vernunftlosen hat Gott ein kurzes Leben beschieden, dagegen hat er den Menschen, die das Bild des Schöpfers selbst in sich tragen und mit Vernunft und unterscheidendem Verstande begabt sind, ewige Fortdauer verliehen.

Denn ihre Bestimmung ist es, in der Erkenntnis ihres Schöpfers und seiner Macht und Weisheit und in der Erfüllung des Gesetzes und Rechtes die ganze Ewigkeit hindurch ohne alles Leid in jenen Gütern zu leben, durch die sie auch schon ihrem vorausgehenden Leben Festigkeit und Halt gegeben haben, obwohl sie in sterblichen und irdischen Leibern wohnten. Alles, was um eines anderen willen entstanden ist, muß, sobald das, wofür es entstanden ist, aufhört, ebenfalls zu sein aufhören; es kann nicht zwecklos fortbestehen, da die Zwecklosigkeit in den Werken Gottes keine Stätte findet; was aber gerade zu dem Zwecke entstanden ist, daß es sei und seiner Natur entsprechend lebe, das kann, weil hier die Ursache mit der Hervorbringung dieser Natur am Ziele angelangt ist und offenbar nichts anderes als die Existenz bezweckte, nie einer anderen Ursache zugänglich sein, welche die Existenz völlig aufheben würde.“ (Athenagoras, Von der Auferstehung der Toten 12)

 

Gleichermaßen heißt es im schwer datierbaren, irgendwann aus dem 2. Jahrhundert stammenden Diognetbrief:

„Trägst auch du nach diesem Glauben Verlangen, so lerne zuerst den Vater kennen. Denn Gott hat die Menschen geliebt; ihretwegen schuf er die Welt, ihnen unterwarf er alles auf Erden, ihnen gab er Rede, ihnen Vernunft; ihnen allein gestattete er, aufwärts zu ihm zu blicken; sie gestaltete er nach seinem Ebenbilde, ihnen sandte er seinen eingeborenen Sohn, ihnen verhiess er das Himmelreich und wird es geben denen, die ihn lieben. Von welcher Freude aber glaubst du wohl erfüllt zu werden, wenn du ihn erkannt hast? Oder wie wirst du den lieben, der dich so zuvor geliebt hat? Liebst du ihn aber, so wirst du auch ein Nachahmer seiner Güte sein. Und wundere dich nicht, dass ein Mensch Nachahmer Gottes sein kann; er kann es, weil er Gott es will.“ (Diognetbrief 10)

 

Auch Theophilus von Antiochia schreibt, dass der Mensch darauf ausgerichtet ist, Gott zu erkennen:

„Denn nichts existierte neben Gott, sondern er selbst war sein Raum, war sich selbst vollkommen genug und war da vor allen Zeiten. Er wollte aber den Menschen schaffen, um von ihm erkannt zu werden; für diesen also bereitete er die Welt zu. Denn der Gewordene ist vieler Dinge bedürftig, der Ewige aber ist bedürfnislos.“ (Theophilus, An Autolykus II,10)

 

Irenäus von Lyon schreibt ebenfalls, dass Gott den Menschen nicht braucht, sondern der Mensch Gott; Gott hat ihn geschaffen, um ihn zu lieben:

„Also hat Gott im Anfang den Adam erschaffen, nicht als ob er selbst des Menschen bedurft hätte, sondern damit er auf jemand sein Wohlgefallen ausschütten konnte. Denn nicht nur vor Adam, sondern schon vor aller Schöpfung verherrlichte das Wort [= Gott Sohn, Jesus] seinen Vater, indem es in ihm blieb, und es selbst wurde von dem Vater verherrlicht, wie er selber sagt: ‚Vater, verkläre mich mit der Klarheit, die ich bei dir gehabt habe, bevor die Welt ward‘1 . Auch befahl er uns, ihm zu folgen, nicht als ob er unseres Dienstes bedurfte, sondern weil er uns sein Heil zuwenden wollte. Denn dem Erlöser nachfolgen, heißt teilnehmen am Heil, und dem Lichte folgen, heißt das Licht erlangen. Die aber im Lichte sind, erleuchten nicht selber das Licht, sondern werden von ihm erleuchtet und erhellt; sie selbst geben ihm nichts, sondern empfangen die Wohltat, vom Lichte erleuchtet zu werden. So bringt auch unsere Tätigkeit im Dienste Gottes Gott nichts ein, noch bedarf er des menschlichen Dienstes, wohl aber verleiht er denen, die ihm folgen und dienen, Leben, Unvergänglichkeit und ewigen Ruhm; aber von ihnen empfängt er keine Wohltat, denn er ist reich, vollkommen und ohne Bedürfnis. Nur deswegen verlangt Gott den Dienst der Menschen, weil er gut und barmherzig ist und denen wohltun will, die in seinem Dienste verharren. Denn ebenso sehr, wie Gott keines Menschen bedarf, bedarf der Mensch der Gemeinschaft Gottes, Das nämlich ist der Ruhm des Menschen, auszuharren und zu verbleiben im Dienste Gottes. Deswegen sagte der Herr zu seinen Schülern:
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt‘2 . Das bedeutet: Nicht sie verherrlichten ihn, indem sie ihm folgten, sondern dadurch, daß sie dem Sohne Gottes folgten, wurden sie von ihm verherrlicht. Und abermals sagt er: ‚Ich will, daß dort, wo ich bin, auch diese sind, damit sie meine Herrlichkeit sehen‘3 . Dessen rühmt er sich nicht in Eitelkeit, sondern er will, daß an seiner Herrlichkeit auch seinen Jüngern Anteil werde, wie Isaias sagt: ‚Vom Sonnenaufgang werde ich deinen Samen herbeiziehen und vom Sonnenuntergang dich sammeln; und ich werde zum Nordwind sprechen: Bring herbei! und zum Südwind: Halt nicht zurück! Ziehe herbei meine Söhne von ferne und meine Töchter von den Enden der Erde, sie alle, die berufen sind in meinem Namen. In meiner Herrlichkeit habe ich ihn bereitet, gebildet und gemacht‘4 . Weil, ‚wo immer ein Leichnam ist, sich dort auch die Adler versammeln‘5 , nehmen sie teil an der Herrlichkeit Gottes, der uns dazu geformt und bereitet hat, daß wir teilnehmen an seiner Herrlichkeit, solange wir bei ihm sind.“
(Irenäus, Gegen die Häresien IV,14,1)

Einer der bekanntesten Sätze aus Irenäus‘ Werk lautet knapp und prägnant:

„Denn Gottes Ruhm ist der lebendige Mensch, das Leben des Menschen aber ist die Anschauung Gottes.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,20,7)

Der Mensch als Abbild Gottes:

„Denn nach Gottes Bild ist der Mensch gemacht, und das Bild Gottes ist der Sohn, nach dessen Bild der Mensch geworden ist. Deshalb erschien jener auch in der Fülle der Zeiten, um zu zeigen, wie das Abbild ihm ähnlich ist.“ (Irenäus, Erweis der apostolischen Verkündigung 22)

Die Welt ist für den Menschen gemacht:

„Es ist also ein und derselbe Gott, der ‚den Himmel aufwickelt wie eine Schriftrolle‘1 und ‚das Angesicht der Erde erneuert‘2 . Er machte das Zeitliche wegen des Menschen, damit er, darin heranreifend, unsterbliche Frucht bringe, und umkleidet ihn mit Ewigem wegen seiner Güte, damit er den nachkommenden Zeiten die unaussprechlichen Reichtümer seiner Güte zeige3 . Er wurde vom Gesetz und den Propheten verkündet und von Christus als Vater bekannt. Er ist auch der Schöpf er und Gott über alles, wie Isaias sagt: ‚Ich bin Zeuge, spricht Gott, der Herr, und mein Knecht, den ich erwählte, damit ihr erkennet, glaubt und versteht, daß ich es bin. Vor mir war kein anderer Gott, und nach mir wird keiner kommen. Ich bin Gott und außer mir ist keiner, der da rettet. Ich habe verheißen, und ich habe gerettet‘4 . Und wiederum: ‚Ich bin der erste und der letzte‘5 . So spricht er nicht in eitlem, aufgeblasenem Stolze, sondern weil es unmöglich war, ohne Gott Gott kennen zu lernen, lehrte er durch sein Wort die Menschen die Kenntnis Gottes.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,5,1)

 

In einer Privatoffenbarung aus dem frühen 2. Jahrhundert, dem sog. „Hirten des Hermas“, sagt ein Engel zu Hermas, dem römischen Christen, der diese Offenbarung empfängt:

„Törichter, Unverständiger, Zweifler, weißt du nicht, wie groß, wie mächtig und wunderbar die Herrlichkeit Gottes ist1, weil er die Welt um des Menschen willen geschaffen hat2 und seine ganze Schöpfung dem Menschen unterstellt und ihm die Macht gegeben hat, über alles, was sich unter dem Himmel befindet, zu herrschen?“ (Hirte des Hermas II,12,4,2)

Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 2a: Gott und die Schöpfung

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

 

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Gen 1-2, Neh 9,6,Ps 33,6-9, Ps 89,6,-15, Ps 148, Ijob 38-42, Weish 1,1-15 u. 2,23f., Weish 9,1-3, Weish 11,21-26, Sir 18,1-14, Jes 40,12-31, Jes 45, 2 Makk 7,28, Est 4,17, Apg 17,22-31, Röm 1,19-23, 1 Tim 4,4

 

Heute geht es um das grundlegendste Faktum des Christentums, das gleich am Anfang der Glaubensbekenntnisse ausgedrückt wird („Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“): Den Monotheismus (beinhaltend die Ablehnung aller polytheistischen Götter) und den Glauben an Gott als den, der die Welt aus dem Nichts erschaffen hat und im Dasein erhält. Hier kommt auch die Frage hinein, inwiefern Gott aus Seinen Werken erkannt werden kann, und was Seine Eigenschaften sind. Im nächsten Post (Teil 2b) soll es dann speziell um die Erschaffung des Menschen durch Gott gehen.

Einiges an diesen Texten wird nicht überraschen; es ist altbekannt, dass die Christen nur an einen Gott glauben. Aber hier sticht heraus, wie „philosophisch“ die frühen Kirchenväter reden, dass sie ständig davon sprechen, dass man aus der Ordnung der Welt auf einen Schöpfer schließen kann, dass sie sagen, dass er der Beweger der Welt ist, die sich nicht von selbst bewegt, dass Er vollkommen einfach im Sinn von nicht aus Teilen zusammengesetzt ist, dass Er notwendiges Sein statt nur mögliches Sein (wie die Geschöpfe, die auch nicht existieren könnten und nicht notwendigerweise existieren) ist, und dergleichen: Solche Darlegungen kamen nicht erst in der mittelalterlichen Scholastik bei Theologen/Philosophen wie dem hl. Thomas von Aquin auf. Natürlich reden sie auch von der Offenbarung Gottes, zitieren aus der Bibel usw.; aber sie reden auch viel davon, was allein durch die Vernunft, noch ohne Propheten etc., von Gott erkannt werden kann.

 

Aristides von Athen, einer der ersten christlichen Apologeten (er muss zwischen 138 und 161 geschrieben haben), also jemand, der das Christentum gegen seine Gegner verteidigte, schreibt in seiner dem Kaiser gewidmeten Schrift:

„Ich bin, o Kaiser, durch Gottes Vorsehung1 auf die Welt gekommen. Und als ich den Himmel betrachtete2 und Erde und Meer, und Sonne und Mond [erblickte] und die übrigen Schöpfungswerke, da erstaunte ich über dieses Weltgebäude3. Ich begriff aber, daß sich die Welt und alles darin (nur) aus Zwang [seitens eines andern] bewegt, und ich sah ein, daß derjenige, der sie bewegt und erhält, Gott ist, [der darin verhüllt und dadurch verborgen ist4]; auch ist klar, daß das Bewegende stärker5 ist als das Bewegte, und das Erhaltende stärker als das Erhaltene. Aber nachzugrübeln über den Beweger des Alls, wie beschaffen er (nämlich) ist – denn soviel ist mir ersichtlich: er ist ja seiner Natur nach unbegreiflich – und zu handeln über die Festigkeit seiner Weltordnung, um sie ganz zu begreifen, bringt mir keinen Gewinn, kann sie ja doch niemand vollkommen begreifen. Ich behaupte aber von dem Weltbeweger, daß er der Gott des Alls ist, der alles um des Menschen6 willen gemacht hat; und mir scheint das (allein) von Wert zu sein, daß man Gott verehre und den (Mit-) Menschen nicht kränke. Ich behaupte aber, daß Gott ungezeugt7 ist und ungemacht8, von niemand umfaßt wird, selbst aber alles umfaßt9, (daß er ist) eine durch sich seiende10 Form11, anfangslos12 und endlos, unvergänglich13, unsterblich, vollkommen und unbegreiflich14. Wenn ich sagte: vollkommen, so heißt das, daß er keinen Mangel hat und nichts bedarf15, während alles seiner bedarf; und wenn ich sagte, daß er anfangslos ist, so heißt das, daß alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat, und alles, was ein Ende hat, auflösbar ist.

Er hat keinen Namen16; denn alles, was einen Namen hat, gehört mit zum Geschaffenen. Er hat keine Gestalt und keine Zusammensetzung von Gliedern; denn wer solches hat, gehört mit zu den Gebilden. Er ist nicht männlich und nicht weiblich17. Der Himmel umfaßt ihn nicht, vielmehr wird der Himmel und alles Sichtbare und Unsichtbare von ihm umfaßt. 6. Er hat keinen Gegner; denn es gibt niemand, der stärker wäre als er18. Er hat nicht Grimm und Zorn19; denn es gibt nichts, das ihm widerstehen könnte. Irrtum und Vergeßlichkeit liegt nicht in seiner Natur; denn er ist ganz und gar Weisheit und Einsicht und durch ihn besteht alles20, [was besteht]. Er heischt nicht Schlacht- und Trankopfer21, noch eines von den sichtbaren Dingen; [von niemand heischt er etwas,] aber alle Lebewesen heischen von ihm. (Aristides von Athen, Apologie 1)

Kürzer schreibt er an späterer Stelle:

„Die1 Christen aber, o Kaiser, haben umhersuchend die Wahrheit gefunden und stehen, wie wir ihren Schriften entnommen haben, der Wahrheit und genauen Erkenntnis näher als die übrigen Völker. Denn sie kennen2 Gott und glauben an ihn als den Schöpfer und Werkmeister des Alls3, durch den alles und von dem alles ist4, der keinen andern Gott neben sich hat, von dem sie die Gebote empfingen5, die sie in ihren Sinn eingezeichnet haben6 und beobachten in der Hoffnung und Erwartung7 der künftigen Welt.“ (Aristides von Athen, Apologie 15,1-3)

 

Clemens von Rom, einer der ersten Päpste, schreibt ca. 95 n. Chr. in einem Brief an die Gemeinde von Korinth:

„Die Himmel, die nach seiner Anordnung sich bewegen, gehorchen ihm in Frieden. Tag und Nacht vollenden sie den von ihm bestimmten Lauf, ohne einander im geringsten zu hindern. Sonne und Mond und der Sterne Reigen durchkreisen nach seinem Gesetze einträchtig ohne jede Abschweifung die ihnen vorgeschriebenen Bezirke. Die Erde bringt Frucht nach seinem Willen zur rechten Zeit und erzeugt für Menschen und Tiere und jegliches Wesen, das auf ihr lebt, reichliche Nahrung; dabei zögert sie nicht noch ändert sie etwas an seinen Befehlen. Der Abgründe unzugängliche und der Unterwelt unerforschliche Gerichte bestehen durch die gleichen Gesetze. Das Becken des unendlichen Meeres – nach seiner Schöpfung zur Sammlung (der Wasser) festgebaut – überschreitet nicht die ihm rings gesetzten Schranken, sondern wie er ihm befohlen, so tut es. Er sagte nämlich: ‚Bis hierher sollst du kommen, und deine Wogen sollen in dir selbst zerfallen‘1. Der Ozean, den Menschen nicht durchfahren können, und die Welten hinter ihm, werden durch die nämlichen Gesetze des Herrn regiert. Des Frühlings, Sommers, Herbstes und Winters Zeiten lösen einander in friedlichem Wechsel ab. Der Winde Posten tun zur bestimmten Zeit ohne Anstoß ihren Dienst. Nichtversiegende Quellen, zum Gebrauch, für die Gesundheit geschaffen, reichen unaufhörlich ihre den Menschen Leben spendenden Brüste; auch die kleinsten Tiere halten ihre Versammlungen in Eintracht und Friede. Dies alles besteht nach des großen Schöpfers und Herrn der Welt Befehl in Friede und Eintracht, da er allen Wohltaten spendet, in reichstem Übermaße aber uns, die wir unsere Zuflucht genommen zu Seinen Erbarmungen durch unseren Herrn Jesus Christus. Ihm sei Ruhm und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ (1. Clemensbrief 20)

In einem Gebet spricht Clemens Gott folgendermaßen an:

„auf dass wir hoffen auf Deinen Namen, der aller Schöpfung den Anfang gab, da Du uns geöffnet hast die Augen unseres Herzens, damit wir Dich erkennen, den einzigen ‚Höchsten in der Höhe, den Heiligen, der im Heiligtume ruht‘1, ‚Dich, der Du den Stolz der Prahler demütigst‘2, ‚die Pläne der Heiden vereitelst‘3, ‚die Demütigen erhöhst und die Hohen erniedrigst‘4, ‚der Du reich machst und arm‘5, ‚tötest und rettest und Leben weckst‘6, ‚Dich, den einzigen Wohltäter der Geister und den Gott alles Fleisches‘7, ‚der Du hineinsiehst in die Unterwelt‘8, schaust auf die Werke der Menschen, den Helfer in Gefahr, ‚den Retter in der Verzweiflung‘9, den Schöpfer und Aufseher jeglichen Geistes; der Du die Völker zahlreich machst auf der Erde und von allen die erwählt hast, die Dich lieben durch Jesus Christus, Deinen geliebten Sohn, durch den Du uns erzogen, geheiligt und geehrt hast.“ (1. Clemensbrief 59,3)

 

Im „Hirten des Hirmas“, einer Schrift eines römischen Christen, die mehrere Privatoffenbarungen (v. a. zum Thema Kirchenbuße) enthält, und spätestens zwischen 140 und 155 n. Chr., evtl. auch früher, entstanden ist, heißt es:

„Fürs allererste: glaube, dass es einen Gott gibt, der alles erschaffen und vollendet1 und aus Nichts gemacht hat2, dass es sei, indem er auch alles umfasst, während er allein unfassbar ist.“ (Hirte des Hermas 2,1,1)

„Siehe, der Herr der Heerscharen1, der mit seiner unsichtbaren Macht und Stärke und großen Weisheit die Welt erschuf2 und in seinem lobwürdigen Ratschlusse seine Schöpfung mit Schönheit umgab und mit seinem mächtigen Wort den Himmel befestigte und die Erde gründete über den Wassern 3 und in der ihm eigenen Weisheit und Vorsicht seine heilige Kirche schuf, die er auch segnete, siehe, er versetzt die Himmel, die Berge4, die Hügel und die Meere, und alles wird ebenes Land für seine Auserwählten, damit er ihnen das Versprechen einlöse, das er mit großem Ruhm und großer Freude gegeben, wenn sie nämlich die Satzungen Gottes halten, die sie in großem Vertrauen empfangen haben.“ (Hirte des Hermas 1,1,3,4)

 

In einem um 200 n. Chr. entstandenen Werk von Minucius Felix, das in der Form eines Dialogs zwischen einem Christen und einem Heiden gehalten ist, heißt es:

„Doch vielleicht meinst du, weil über die Existenz einer Vorsehung kein Zweifel obwalten kann, erforschen zu müssen, ob das himmlische Reich durch die Macht eines Einzigen oder durch den Willen einer Mehrheit regiert wird. Aber das klarzustellen ist nicht schwer; man darf nur die irdischen Reiche überdenken, welche jedenfalls ihr Muster im Himmel haben. Wann hat je die Teilung einer Herrschaft mit Vertrauen begonnen und ohne Blut geendet? […] Sieh weiterhin: Eine Königin haben die Bienen, einen Führer die Herden, einen Leitstier die Zugtiere. Du glaubst, daß im Himmel die höchste Macht geteilt ist und die Gewalt jener wahren, göttlichen Majestät gespalten ist.

Aber es ist sonnenklar, daß Gott der Vater aller weder einen Anfang noch ein Ende hat. Er verleiht allen Dingen Dasein, sich selbst Unendlichkeit; er war vor der Welt sich selbst eine Welt. Er regiert durch sein Wort alles, was ist, ordnet es durch seine Vernunft und vollendet es durch seine Macht. Man kann ihn nicht sehen; er ist zu licht für das Auge. Ebensowenig kann er betastet werden, denn er ist für die Berührung zu fein; auch nicht gemessen werden, denn er ist über unsere Sinne erhaben, unendlich, unermeßlich und nur sich selbst in seiner ganzen Größe bekannt. Unser Herz aber ist zu beschränkt, um ihn zu begreifen und deshalb schätzen wir ihn so am besten, wenn wir ihn unschätzbar nennen. Ich möchte sprechen, wie ich denke: Wer Gottes Größe zu kennen glaubt, schmälert sie; wer sie nicht schmälern will, kennt sie nicht. Man suche auch keinen Namen für Gott: ‚Gott‘ ist sein Name. Nur da braucht man mehrere Worte, wo man die Einzelwesen in der Mehrheit durch besondere kennzeichnende Benennungen unterscheiden muß: dem Gott, welcher nur Einer ist, gehört das Wort ‚Gott‘ ganz allein an. Wenn man ihn z. B. Vater nennt, so könnte man an einen fleischlichen Vater denken; wenn König, so könnte man einen irdischen vermuten; wenn Herrn, so wird man sicherlich ein sterbliches Wesen darunter verstehen. Laß die Namenszutaten weg und du wirst ihn in seiner vollen Klarheit schauen.

Übrigens herrscht in diesem Punkt nicht allgemeine Übereinstimmung? Ich horche auf das gewöhnliche Volk. Wenn es zum Himmel seine Hände emporhebt, sagt es nichts anderes als ‚Gott‘ und ‚Gott ist groß‘ und ‚Gott ist wahrhaftig‘ und ’so Gott will‘. Ist das die natürliche Ausdrucksweise des Volkes oder das Gebetet eines gläubigen Christen? Auch wer Jupiter als Oberherrn anerkennt, täuscht sich im Namen, nimmt aber mit uns eine einheitliche Macht an. (Minucius Felix, Octavius 18,5-11)

 

Die Christen wandten sich immer wieder gegen die Götzenverehrung, z. B. die Verehrung der Gestirne als göttliche Wesen. Nur der Gott, der hinter all dem steht, ist wirklich Gott; das alles ist nur geschaffen. Die Schöpfung ist schön, schreibt Athenagoras von Athen, aber verdient keine Anbetung:

Gewiß ist die Welt schön, imposant durch ihre Ausdehnung, durch die Stellung der Himmelskörper im Tierkreis und um den Bären, und durch ihre Kugelgestalt; aber deswegen verdient sie noch keine Anbetung; wohl aber verdient eine solche ihr erhabener Künstler. So wenden sich auch Eure Untertanen, wenn sie zu Euch kommen, nicht an Eure prunkvolle Residenz, anstatt Euch, den Herrn und Gebietern, bei denen sie die Erfüllung ihrer Bitten finden könnten, ihre Aufwartung zu machen, sondern Ihr selbst seid in ihrer Wertschätzung alles in allem; den schönen Fürstenpalast bewundern sie nur nebenbei. Außerdem baut Ihr Fürsten Eure Paläste für Euch; die Welt aber ist keinem Bedürfnis entsprungen; denn Gott ist alles selber: unnahbares Licht, vollendete Schönheit, Geist, Kraft, Wort. Und wenn die Welt ein wohlgestimmtes, rhythmisch bewegtes Musikinstrument ist, so bete ich nicht das Instrument an, sondern den, der es gestimmt hat, der ihm die Töne entlockt und das der Melodie des Spieles entsprechende Lied dazu singt. Auch bei den Bewerbern im musischen Wettkampf übergehen die Preisrichter nicht die Zitherspieler und bekränzen statt dieser die Zithern. Ist also die Welt, wie Plato sagt, Gottes Kunstwerk, so bewundere ich zwar ihre Schönheit, wende mich aber im übrigen an ihren Künstler. Ist sie, wie die Peripatetiker wollen, Substanz und Leib, so unterlassen wir es nicht, dem Gotte, der die Bewegung dieses Leibes bewirkt, unsere Huldigung darzubringen; nicht vor den armseligen, ohnmächtigen Elementen fallen wir nieder; nicht beten wir wie jene nebst der unbildsamen Luft die bildsame Materie an. Denkt sich ferner jemand die Teile der Welt als Kräfte Gottes, so wenden wir uns wieder nicht an die Kräfte, um sie zu verehren, sondern an deren Schöpfer und Beherrscher. Ich bitte nicht die Materie um Dinge, die sie nicht hat; auch verehre ich nicht mit Übergehung Gottes die Gestirne, die nichts weiter vermögen als den Befehlen, die an sie ergehen, zu gehorchen; denn wenn sie auch infolge der Kunst ihres Bildners schön anzusehen sind, so sind sie doch wegen der Natur der Materie vergänglich. Dies bezeugt auch Plato; er sagt: ‚Was man Himmel und Welt genannt hat, hat vom Vater viel Erfreuliches mitbekommen; aber nun hat es auch einen Körper erhalten; folglich kann es nicht ohne Veränderung bleiben‘ 1. Wenn ich also nicht einmal den Himmel und die Gestirne, die ich doch wegen ihrer Kunst bewundere, als Götter verehre, wie kann ich dann solche Werke, deren Verfertiger unzweifelhaft Menschen sind, Götter nennen?“ (Athenagoras, Bittschrift für die Christen 16)

 

Der monotheistische Glaube der Christen hatte auch Konsequenzen für sie; in einem christlichen Bericht über einige Märtyrer, die zwischen 161 und 180 n. Chr. hingerichtet wurden, weil sie den heidnischen Göttern nicht opfern wollten, heißt es:

„Der Prokonsul aber sprach. zornig: Opfert den Göttern und seid vernünftig! Karpus entgegnete lächelnd: Götter, die den Himmel und die Erde nicht geschaffen haben, mögen zugrunde gehen! Der Prokonsul sprach: Du mußt opfern; denn der Kaiser hat es befohlen. Karpus antwortete: Die Lebenden opfern nicht den Toten. Der Prokonsul sprach: Die Götter hältst du für tot? Karpus entgegnete: Willst du hören? Sie haben nicht einmal als Menschen gelebt, um zu sterben. Willst du sehen, daß das wahr ist? Entzieh ihnen deine Ehre, die du ihnen zu erweisen scheinst, und du wirst erkennen, daß sie nichts sind; Erdstoff sind sie und gehen mit der Zeit unter. Unser Gott nämlich, der zeitlos ist und die Zeit geschaffen hat, bleibt selbst immer unvergänglich und ewig; er ist immer derselbe und erleidet keinen Zugang noch Abgang; jene aber werden von Menschen gemacht und, wie ich sagte, von der Zeit vernichtet.“ (Martyrium der Heiligen Karpus, Papylus und Agathonike 2)

 

Der hl. Justin der Märtyrer / der Philosoph, der im Jahr 165 in Rom ebenfalls den Märtyrertod starb, schreibt in seiner 1. Apologie (also auch einer Verteidigungsschrift gegenüber den Heiden, entstanden um 150) über die Erkennbarkeit Gottes:

„Und er hat von Anbeginn das Menschengeschlecht mit Vernunft begabt und mit der Fähigkeit geschaffen, das Wahre zu erwählen und das Gute zu tun, so daß die Menschen samt und sonders vor Gott keine Entschuldigung haben, weil sie als vernünftige und erkenntnisfähige Wesen auf die Welt gekommen sind. Wer aber glaubt, Gott kümmere sich um die Menschen nicht, der leugnet entweder indirekt3 sein Dasein oder er sagt, wenn er existiere, habe er Freude am Bösen oder verharre in Ruhe wie ein Stein, Tugend und Laster seien leere Begriffe und es sei nur ein Wahn, wenn die Menschen das eine für gut, das andere für bös halten; das ist freilich die größte Ruchlosigkeit, die gedacht werden kann.“ (Justin, 1. Apologie 28)

 

Бог Саваоф.jpg

(Gott der Vater, Bild von Viktor Vasnetsov. Gemeinfrei.)

 

Tatian, ein Schüler Justins, schreibt in einer Streitschrift gegen die polytheistischen Griechen:

Unser Gott hat seinen Anfang nicht in der Zeit; er allein ist anfangslos, zugleich aber aller Dinge Anfang. Ein Geist ist Gott, aber kein Geist, der in der Materie waltet, sondern der Schöpfer der Geister und Formen, die an der Materie haften. Selbst unsichtbar und untastbar, ist er der Vater alles Fühlbaren und Sichtbaren. Ihn erkennen wir aus seiner Schöpfung und nehmen das Unsichtbare seiner Kraft an den geschaffenen Werken wahr3. Das Gebilde, das er unsretwegen geschaffen, will ich nicht anbeten. Sonne und Mond sind um unsretwillen geworden: wie sollte ich sie also anbeten, da sie mir dienstbar sind? Wie sollte ich Hölzer und Steine für Götter erklären? Denn der Geist, der in der Materie waltet, ist geringer als der göttliche Geist, und da er der Materie angeglichen ist, so darf er auch nicht in gleicher Weise wie der vollkommene Gott verehrt werden. Aber auch mit Geschenken darf man den unnennbaren Gott nicht behelligen; denn der keines Dinges bedarf, soll nicht von uns zu einem Bedürftigen entwürdigt werden. Doch ich will unsere Lehren deutlicher auseinandersetzen.“ (Tatian, Rede an die Bekenner des Griechentums 4,3-5)

 

Eine Fundgrube ist das lange Werk „Gegen die Häresien“ des hl. Bischofs Irenäus von Lyon, das er um 180 n. Chr. gegen die gnostischen Sekten verfasste. (Zum Verständnis: Die Gnostiker glaubten an eine seltsame Vielzahl von höheren Mächten über der Welt, und dass die materielle Welt von einem bösen Untergott erschaffen worden war, und dass die überlegenen Menschen durch eine geheime Erkenntnis erleuchtet werden und aus ihr entkommen konnten.)

„Wir halten an der Richtschnur der Wahrheit fest: Es gibt nur einen Gott, der alles durch sein Wort erschaffen und geordnet hat, der ihm aus dem Nichtsein das Dasein verliehen hat gemäß dem Worte der Schrift: ‚Durch das Wort des Herrn sind die Himmel gefestigt worden, und von dem Hauche seines Mundes ist all ihre Kraft‘1 ; und abermals: ‚Alles ist durch ihn gemacht worden, und ohne ihn ist nichts gemacht worden‘2 . Alles ohne Ausnahme — denn alles machte der Vater durch ihn, das Sichtbare und Unsichtbare, die Sinnendinge und die Gedankendinge, was gewisse Zeit dauern soll gemäß seiner Anordnung und was ewig bestehen soll. Dies alles aber nicht durch Engel oder von seiner Erkenntnis abgesonderte Kräfte, denn Gott bedarf keiner Hilfe, vielmehr durch sein Wort und seinen Geist macht er alles und lenkt und leitet alles und gibt allem das Dasein: Er, der die Welt gemacht hat, die ja aus allem besteht, er, der den Menschen erschaffen hat, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, über den es keinen andern Gott gibt, noch einen Anfang, noch eine Kraft, noch ein Pleroma, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, wie wir zeigen werden.“ (Irenäus, Gegen die Häresien I,22,1)

Billig ist es, das erste und wichtigste Kapitel mit Gott dem Schöpfer zu beginnen, der Himmel und Erde gemacht hat und alles, was in ihnen ist; mit ihm, den jene gotteslästerlich als eine Frucht des Hysterema bezeichnen. Wir wollen zeigen, daß weder über ihm etwas ist, noch nach ihm, daß er nicht von jemand angetrieben, sondern nach seinem Ratschluß und freien Willen alles gemacht hat, da er allein Gott ist, allein Herr, allein Schöpfer, allein Vater, allein in sich alles enthaltend und für alles die Ursache des Daseins.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,1,1)

„Die Alten bewahrten zunächst diesen Glauben aus der Überlieferung des Urvaters und priesen den einen Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde; alsdann empfingen die folgenden Geschlechter die Erinnerung an diese Wahrheit von den Propheten Gottes; die Heiden aber lernten es aus der Schöpfung selber. Denn die Schöpfung weist hin auf den einen Schöpfer, das Werk verlangt einen Meister, und die Weltordnung offenbart den Ordner. Diese Überlieferung empfing die gesamte Kirche auf dem ganzen Erdkreise von den Aposteln.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,9,1)

„Wir schreiben die Schöpfung der Weltenmaterie der Kraft und dem Willen des allerhöchsten Gottes zu. Das ist glaublich, annehmbar, verständig. Mit Recht heißt es in Bezug hierauf: ‚Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist möglich bei Gott‘1 . Menschen vermögen nicht, aus nichts etwas zu machen, sondern sie bedürfen der Materie als Unterlage. Gott aber ist darin den Menschen zuerst überlegen, daß er die Materie seiner Schöpfung, die vorher nicht war, selbst erfand. Wenn aber jemand sagt, die Enthymesis eines verirrten Äonen habe die Materie hervorgebracht, und weit sei der Äon von seiner Enthymesis getrennt worden, und deren nach außen getretene Leidenschaft und Gemütsstimmung sei nun die Materie — so ist das unglaublich, töricht, unmöglich und unvernünftig.“ (Irenäus, Gegen die Häresien, II,10,4)

„Weit entfernt ist Gott von den menschlichen Leidenschaften und Affekten. Einfach ist er und nicht zusammengesetzt, in allen Teilen und im Ganzen sich selbst ähnlich und gleich, da er ganz Verstand, ganz Geist, ganz Empfinden, ganz Vorstellung, ganz Vernunft, ganz Gehör, ganz Auge, ganz Licht und ganz die Quelle aller Güter ist. So geziemt es sich für die religiösen und frommen Seelen von Gott zu sprechen.

Er ist aber mehr als dies und deswegen unaussprechlich. Sein Verstand wird nämlich gut und recht als allumfassend bezeichnet, aber dem menschlichen Verstande ist er nicht ähnlich. Auch Licht wird er ganz mit Recht genannt, aber unserm Lichte ist er nicht ähnlich. So wird der Vater aller auch in den übrigen Beziehungen keiner der menschlichen Kleinigkeiten ähnlich sein. Demgemäß nennen wir ihn Vater wegen seiner Liebe, aber gemäß seiner Größe geht er über unsere Vorstellung hinaus.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,13,3-4)

„Aber diese und ähnliche Begriffe sind nicht nacheinander von Gott ausgegangen, sondern sind nur Namen für jene Vollkommenheiten, die zu Gott immer gehören. Denn unvollkommen und inadäquat ist alles, was wir von Gott hören oder sagen. In dem Worte Gott sind einbegriffen Verstand und Wort und Leben und Unvergänglichkeit und Wahrheit und Weisheit und Güte und seine andern Eigenschaften. Den Verstand kann man nicht älter nennen als das Leben, denn sein Verstand ist das Leben, noch kann man das Leben jünger nennen als den Verstand, sonst käme noch heraus ein Weltverstand, d. h. ein Gott, ohne Leben.“ (Irenäus, Gegen die Häresien, II,13,9)

„Die mannigfache Verschiedenheit aber der erschaffenen Dinge läßt sich so erklären: In Bezug auf die ganze Schöpfung sind alle passend und wohlgeordnet, zueinander jedoch sind sie entgegengesetzt und nicht passend, so wie der Klang der Zither durch den Unterschied der verschiedenen Töne eine schöne Melodie hervorbringt, die aus vielen und entgegengesetzten Tönen besteht. Wer also die Wahrheit liebt, darf sich durch den Unterschied der verschiedenen Töne nicht verleiten lassen, für diese verschiedene Künstler und Urheber anzunehmen, so daß der eine die hohen, der andere die tiefen, der dritte die mittleren Töne gemacht habe, sondern ein und derselbe hat das ganze weise Werk schön und richtig, gut und prächtig hergestellt. Wer nun ihren Klang hört, der muß den Künstler loben und preisen, bei dem einen die Kraft bewundern, bei dem andern auf die Weichheit des Tones achten, bei dem dritten die Mischung von Kraft und Weichheit heraushören, ein andermal wieder die besondere Art und Bedeutung erwägen und ihre Ursachen aufsuchen. So1 wird man nie von der gegebenen Lehre abweichen, noch an dem Künstler irre werden, noch den Glauben an den einen Gott verwerfen, der alles gemacht hat, noch unsern Schöpfer lästern.

Sollte einer aber auch nicht von allem, was er sucht, die Ursache finden, so möge er bedenken, daß er ein Mensch ist, der unendlich kleiner ist als Gott, nur stückweise die Gnade empfangen hat und seinem Schöpfer noch nicht gleich oder ähnlich ist und demgemäß nicht die Erfahrung oder Einsicht haben kann wie Gott. Um wieviel der Mensch von heute, der eben geworden ist, kleiner ist als der Unerschaffene und Unveränderliche, um soviel muß er auch an Wissenschaft und Kenntnis der innern Gründe aller Dinge kleiner sein als der Schöpfer. Nicht unerschaffen bist du, o Mensch, und lebtest nicht von Ewigkeit mit Gott, wie es dem Worte zukommt, sondern wegen seiner überströmenden Güte hast du jetzt einen Anfang genommen und lernst von seinem Worte den Heilswillen Gottes, der dich erschaffen.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,25,2-3)

„Da wir nun als Richtschnur die Wahrheit selbst und das offen vorliegende Zeugnis in betreff Gottes haben, so dürfen wir uns nicht noch auf die Suche begeben und immer neue Erklärungen ausfindig machen, indem wir die zuverlässige und wahre Kenntnis in betreff Gottes verwerfen, sondern müssen uns geziemenderweise in die Erforschung der Geheimnisse und der Heilsordnung Gottes versenken, indem wir hierauf die Erklärung der Fragen richten und in der Liebe dessen wachsen, der für uns so große Dinge getan hat und noch tut, und dürfen niemals von der Überzeugung abtrünnig werden, die auf das klarste gepredigt wird, daß es in Wahrheit keinen andern Gott und Vater gibt als den, der diese Welt erschaffen, den Menschen gebildet hat; daß er es ist, der seiner Kreatur Wachstum verlieh, sie von kleinen Anfängen zu dem höheren Glücke, das in ihm selber ist, berief, gleichwie er das im Mutterleibe empfangene Kind an das Licht der Sonne hinausführt und den Weizen, nachdem er am Halme erstarkt ist, in die Scheune einbringt. Ein und derselbe Weltenschöpfer ist es, der den Mutterleib gebildet und die Sonne erschaffen hat, ein und derselbe Herr, der den Halm hervorbringt, der den Weizen wachsen läßt und mehrt und auch die ‚Scheune‘ zubereitet hat.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,28,1)

„In seiner Größe also können wir Gott nicht erkennen, denn unmöglich ist es, den Vater zu messen. In seiner Liebe aber, die uns durch das Wort zu Gott hinführt, werden wir, wenn wir ihm gehorchen, immer besser verstehen, daß Gott so groß ist und durch sich selbst alles beschlossen, erwählt und ausgeschmückt hat und alles umfängt. Somit auch diese Welt hienieden.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,20,1)

Zur Erkennbarkeit Gottes sagt Irenäus folgendes:

„Der Herr aber lehrte keineswegs, daß die Kenntnis des Vaters und des Sohnes ganz unmöglich sei; dann wäre ja seine Ankunft überflüssig gewesen. Oder ist er etwa zu dem Zwecke auf die Erde gekommen, um uns zu sagen: ‚Ihr sollt Gott nicht suchen, denn unbekannt ist er, und ihr werdet ihn nicht finden?‘ Es ist töricht und erlogen, wenn die Valentinianer Christus so zu ihren Äonen sprechen lassen. Vielmehr lehrte uns der Herr, daß keiner Gott kennen kann, wenn Gott ihn nicht belehrt, d. h. ohne Gott ist es unmöglich, Gott zu erkennen; daß wir aber ihn erkennen, ist gerade der Wille des Vaters. Es erkennen ihn aber die, denen der Sohn es geoffenbart hat. […]

Denn durch die Schöpfung selber offenbart das Wort Gott als den Schöpfer und durch die Welt den Herrn als den Schöpfer der Welt und durch das Geschöpf, das er geschaffen hat, den Künstler, und durch den Sohn als Vater den, der den Sohn erzeugt hat. So ähnlich sind auch die Worte aller, aber verschieden ist ihr Glaube. Doch auch durch Gesetz und Propheten hat das Wort in ähnlicher Weise sich und den Vater verkündet — und obwohl das gesamte Volk es in gleicher Weise hörte, glaubten nicht alle in gleicher Weise. Auch wurde durch das sichtbar und greifbar gewordene Wort der Vater allen gezeigt. Es glaubten nicht alle ihm gleichmäßig, und doch sahen alle in dem Sohne den Vater, denn das Unsichtbare an dem Sohne ist der Vater, und das Sichtbare des Vaters ist der Sohn.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,6,4.6)

In einem kleineren Irenäus zugeschriebenen Werk heißt es:

“ Und daß das ewig und beständig Seiende für Gott gehalten werde und hoch über allem Gewordenen4 steht, und daß alles andere5 ihm unterworfen ist, und daß das Gott Unterworfene alles ihm zu eigen machen soll, denn nicht über Fremdes gebietet er und herrscht er, sondern über das Seinige. Gottes sind alle Dinge. Deshalb ist Gott der Allmächtige und alles, was ist, ist von Gott.“ (Irenäus, Erweis der Apostolischen Verkündigung 3)

„Das Gewordene muß von einer großen Ursache den Anfang zum Werden genommen haben. Der Anfang von allem ist Gott. Er wurde nicht von irgend etwas, aber alles wurde von ihm. Deshalb muß man zuvörderst würdig bekennen, daß ein Gott und Vater ist, der alles schuf und ordnete, der das Nichtseiende ins Dasein rief, der, alles umfassend, selbst unermeßlich ist. Unter dem All ist aber auch diese unsere Welt enthalten und auf der Welt der Mensch. So ist auch unsere Welt von Gott erschaffen.“ (Irenäus, Erweis der Apostolischen Verkündigung 4)

„Und der Vater wird im Geiste Erhabener1 und Allmächtiger2 genannt und Herr der Heerscharen3 , damit wir lernen, daß Gott dies eben ist, d. h. Schöpfer des Himmels und der Erde und aller Welten und Erschaffer der Engel und Menschen und Herr von allem, derjenige, von dem alles ist und alles erhalten wird, barmherzig, mitleidig und mildreich, gütig, gerecht, Gott aller, der Juden auch und der Heiden, wie der Gläubigen, und zwar der Gläubigen als Vater.“ (Irenäus, Erweis der Apostolischen Verkündigung 8)

 

Bischof Theophilus von Antiochia (gest. ca. 183) schrieb in einer apologetischen Schrift:

„Du wirst nun zu mir sagen: ‚Beschreibe mir du, der du siehst, die Gestalt Gottes!‘ Höre, o Mensch: die Gestalt Gottes ist unaussprechbar, unerklärbar und für leibliche Augen unsichtbar. Seine Herrlichkeit ist unfaßbar, seine Größe unbegreifbar, seine Hoheit dem Denken unerreichbar; seine Stärke unermeßlich, seine Weisheit unvergleichlich, seine Güte unnachahmlich, sein herrliches Wirken unbeschreiblich. Denn nenne ich ihn Licht, so nenne ich ein Geschöpf von ihm; nenne ich ihn Wort, so nenne ich das Prinzip von ihm1; nenne ich ihn Vernunft, so nenne ich sein Denken; nenne ich ihn Geist, so nenne ich seinen Odem2; nenne ich ihn Weisheit, so nenne ich ein Erzeugnis von ihm3; nenne ich ihn Kraft, so nenne ich seine Stärke; nenne ich ihn Macht, so nenne ich seine Wirksamkeit; nenne ich ihn Vorsehung, so nenne ich seine Güte; nenne ich ihn Herrschaft, so nenne ich seine Herrlichkeit; nenne ich ihn Herrn, so nenne ich ihn Schöpfer; nenne ich ihn Richter, so nenne ich ihn gerecht; nenne ich ihn Vater, so nenne ich ihn den Liebevollen; nenne ich ihn Feuer, so nenne ich seinen Zorn. Wird also Gott zornig? wirst du nun zu mir sagen. Allerdings! Er zürnet denen, die Übles tun, gütig aber, gnädig und erbarmungsvoll ist er gegen die, so ihn lieben und fürchten; denn er ist der Lehrmeister der Frommen und der Vater der Gerechten, aber der Richter und Rächer der Gottlosen.

Er ist ohne Anfang, weil er nicht geworden ist, unveränderlich, weil er unsterblich ist. Gott [theos](θεός) heißt er, weil er alles auf seine Unbeweglichkeit festgegründet hat [dia to tetheikenai](διὰ τὸ τεθεικέναι), oder vom Worte [theein] θέειν. Dies bedeutet aber soviel wie laufen, bewegen, tätig sein; auch nähren, sorgen, lenken, beleben — alle Dinge nämlich. Herr aber ist er, weil er alles beherrscht; Vater, weil er vor allen Dingen ist; Weltbildner und Schöpfer, weil er es ist, der alles erschaffen und gemacht hat; der Allerhöchste, weil er über alles ist; Allherrscher, weil er alles regiert und umfaßt. Denn die Höhen des Himmels und die Tiefen des Abgrundes und die Grenzen des Erdkreises sind in seiner Hand, und es ist kein Ort seiner Ruhe. Denn die Himmel sind sein Werk und die Erde seine Schöpfung, das Meer ist seine Gründung und der Mensch ein Gebilde und Ebenbild von ihm. Sonne, Mond und Sterne sind von ihm geschaffene Weltkörper, zu Zeichen, Zeiten, Tagen und Jahren zur Leitung und zum Dienste der Menschen bestimmt; und alles hat Gott aus dem Nichts ins Dasein gerufen, auf daß man aus seinen Werken erkennen und ermessen könne seine Größe.“ (Theophilus, An Autolykus I,3-4)

Er schreibt zur Erkennbarkeit Gottes:

„Wenn du aber sagst: ‚Zeige mir deinen Gott!‘ so möchte ich dir antworten: ‚Zeige mir den Menschen in dir, und ich will dir meinen Gott zeigen!‘ Zeige mir also, daß die Augen deiner Seele sehen und die Ohren deines Herzens hören! Denn gleichwie die mit ihren leiblichen Augen Sehenden die Vorgänge im Erdenleben wahrnehmen und zugleich die verschiedenen Erscheinungen unterscheiden, ob Licht oder Finsternis, ob etwas weiß oder schwarz, mißgestaltet oder wohlgestaltet, harmonisch und ebenmäßig, oder unharmonisch und ohne Ebenmaß, oder über das Maß hinaus oder einseitig ist; (wie man auch in gleicher Weise unterscheiden kann) die Dinge, die unter das Gehör fallen, ob nämlich ein Ton hoch oder tief oder angenehm sei: so verhält es sich auch mit den Ohren des Herzens und den Augen des Geistes, wenn es sich um die Möglichkeit handelt, Gott zu schauen. Gott wird nämlich von denen gesehen, die imstande sind, ihn zu sehen, wenn sie nämlich die Augen ihres Geistes offen halten. Denn es haben zwar alle ihre Augen, aber bei einigen sind sie getrübt, und sie sehen das Licht der Sonne nicht. Und wenn die Blinden nicht sehen, so folgt daraus gewiß nicht, daß auch die Sonne nicht scheint, sondern die Blinden müssen sich und ihren Augen die Schuld zuschreiben. So hast auch du, o Mensch, infolge deiner Sünden und schlechten Handlungen getrübte Augen. Wie ein blanker Metallspiegel, so rein sei die Seele des Menschen. Wenn nun Rost auf dem Metallspiegel liegt, so kann man das Antlitz des Menschen im Spiegel nicht sehen; so kann auch, wenn die Sünde im Menschen ist, ein solcher Mensch Gott nicht sehen. Zeige also dich selbst, ob du kein Ehebrecher, kein Dirnenjäger, kein Dieb, kein Räuber, kein Wegelagerer, kein Knabenschänder, kein Mann der Gewalttat, ob du nicht schmähsüchtig, zornmütig, neidisch, prahlerisch, argwöhnisch, ein Raufbold, ein Geizhals, ungehorsam gegen die Eltern, ein Verkäufer deiner Kinder bist. Solchen, die derlei Dinge tun, erscheint Gott nicht, wenn sie sich nicht zuvor von allem Schmutze reinigen. Alles (dieses) also verdunkelt dich auch, wie das Eindringen eines Splitters ins Auge, so daß dieses das Licht der Sonne nicht schauen kann. So umgibt auch dich, o Mensch, mit Finsternis die Abkehr von Gott, so daß du Gott nicht sehen kannst.“ (Theophilus, An Autolykus I,2)

(Zum Verständnis bzgl. „Knabenschänder“ und „Verkäufer deiner Kinder“: Damals waren sowohl die Päderastie als auch das Verkaufen oder Aussetzen der eigenen Kinder legal.)

„Denn gleichwie die Seele im Menschen nicht gesehen, da sie für den Menschen unsichtbar ist, aber doch aus der Bewegung des Leibes wahrgenommen wird, so verhält es sich auch mit der Unmöglichkeit, Gott mit menschlichen Augen zu schauen; er wird aber aus seiner Vorsehung und seinen Werken erkannt. Denn gleichwie man, wenn man ein Schiff auf dem Meere sieht, das wohlausgerüstet dahin eilt und in den Hafen einläuft, offenbar auf den Gedanken kommen wird, daß auf ihm sich ein Steuermann befindet, der es lenkt: so muß man auch Gott als Lenker des Alls erkennen, wenn er auch von leiblichen Augen, weil für sie unfaßbar, nicht gesehen wird. Denn wenn der Mensch nicht einmal in die Sonne, einen so kleinen Himmelskörper, schauen kann wegen der außerordentlichen Hitze und Kraft derselben, um wieviel weniger kann das Auge eines sterblichen Menschen die Herrlichkeit Gottes, die unaussprechlich ist, ertragen! Wie ferner ein Granatapfel mit seiner ihn umschließenden Schale in seinem Innern viele Fächer und Kapseln, durch Häutchen geschieden, hat und viele Kerne eingeschlossen enthält, so wird die ganze Schöpfung vom Odem1 Gottes umgeben, und dieser umgebende Odem Gottes mitsamt der Schöpfung wird von der Hand Gottes umschlossen. Wie nun der Kern im Innern des Granatapfels, eben weil er innen ist, die Dinge außerhalb der Schale nicht sehen kann, so kann auch der Mensch, weil er mitsamt der Schöpfung von der Hand Gottes um- und eingeschlossen ist, Gott nicht sehen. Und ferner, man glaubt doch an das Dasein eines irdischen Königs, der, obwohl nicht von allen gesehen, doch durch seine Gesetze und Verordnungen, durch seine Behörden, seine Heeresmacht und seine Bildnisse erkannt wird: daß aber Gott aus seinen Werken und Wirken erkannt werde, willst du nicht gelten lassen?

Betrachte, o Mensch, seine Werke: den rechtzeitigen Wechsel der Jahreszeiten, die Veränderungen der Witterung, den geordneten Lauf der Himmelskörper, den regelmäßigen Gang der Tage und Nächte, der Monate und Jahre, die bunte Schönheit der Samen, Pflanzen und Früchte, die verschiedenen Arten der Vierfüßler, der Vögel, Schwimm- und Kriechtiere, der Fluß und Wassertiere; oder den in die Tiere selbst gelegten Trieb für die Fortpflanzung und Ernährung ihrer Jungen, nicht zum eigenen Nutzen, sondern zum Gebrauche des Menschen; dann die Fürsorge, die Gott trägt, indem er Nahrung bereitet allem Fleische, oder die Unterordnung, in der nach seiner Anordnung alle Wesen unter dem Menschen stehen; betrachte, wie süße Quellen sprudeln und stets strömende Flüsse dahin eilen, Tau, Regen und Güsse sich rechtzeitig einstellen, der Himmelskörper verschiedenen Bahnen folgt, den aufgehenden Morgenstern, der die Ankunft des vollkommenen Lichtgestirnes verkündet, die Verbindung der Plejaden und des Orion1, den Arcturus und die übrigen Gestirne, wie sie ringsum am Himmel ihren Weg nehmen, und denen allen die vielfältige Weisheit Gottes ihre Namen gegeben2. […]

Das ist mein Gott, der Herr des Alls, der allein den Himmel ausgespannt und die Breite der Erde festgestellt, der den Grund des Meeres aufwühlt und seine Wogen brausen macht1, der über die Gewalt des Meeres gebietet und seine brausenden Wogen besänftigt2, der die Grundfesten der Erde über den Wassern gelegt hat3 und ihr den nährenden Odem gegeben, dessen Odem allem das Leben gibt, der diesen Odem nur zurückzuhalten braucht, und alles wird vergeben4. Dessen5 Odem redest du, dessen Odem atmest du, und diesen Gott kennst du nicht, o Mensch! Das ist die Folge der Blindheit deiner Seele und der Verhärtung deines Herzens. Doch du kannst geheilt werden, wenn du willst. Überlasse dich dem Arzte, und er wird dir an den Augen des Geistes und des Herzens den Star stechen.“ (Theophilus, An Autolykus I,5-7)

 

Noch einmal Athenagoras von Athen: Er schreibt gegen die gegnerische Behauptung, die Christen seien „Atheisten“ (weil sie die allgemein verehrten Götter nicht verehrten):

„Da wir nun tatsächlich keine Atheisten sind (ich will jetzt jeder Beschuldigung einzeln entgegentreten), so wäre es ein Armutszeugnis, die Anklagen wegen Atheismus nicht widerlegen zu können. Einem Diagoras 1 warfen die Athener mit Recht Atheismus vor, da dieser nicht nur die orphische Lehre 2 mitteilte, und die Mysterien zu Eleusis und die der Kabiren 3 im Volke bekannt machte und das Holzbild des Herkules zusammenschlug, um seine Rüben zu kochen, sondern ganz unverhohlen erklärte, es existiere überhaupt kein Gott. Kann man aber uns, die wir Gott von der Materie wohl unterscheiden und den Beweis liefern, daß die Materie etwas anderes ist als Gott und daß der Abstand ein gewaltiger ist (wir weisen nämlich nach, daß das göttliche Wesen ungeworden und ewig ist, nur dem denkenden Geiste erfaßbar, die Materie dagegen geworden und vergänglich), kann man uns, frage ich, mit Recht Atheisten nennen? Hätten wir die Weltanschauung eines Diagoras, obwohl wir so sichere Unterpfänder für unsere Gottesverehrung haben, nämlich die Ordnung, die alles beherrschende Harmonie, die Größe, die Schönheit, die Gestalt, die Planmäßigkeit der Welt, dann würden wir freilich mit Recht als gottlos verschrieen und wären selbst daran schuld, wenn man uns mißhandelt. Nachdem wir aber das Bekenntnis ablegen, daß einer Gott ist, nämlich der Schöpfer dieses Universums, der selbst nicht geworden ist, weil das Notwendigseiende nicht wird, sondern nur das Möglichseiende, der aber alles durch sein Wort gemacht hat, so erleiden wir beides, sowohl die übel Nachrede als die Verfolgung, ohne jeden vernünftigen Grund.(Athenagoras, Bittschrift für die Christen 4)

Er erklärt auch, wieso es nur einen Gott (=Ungewordenen) und nicht zwei geben könnte:

„Daß also Gott, der Schöpfer dieses Alls, von Ewigkeit her nur einer ist, dafür nehmet, damit Ihr auch eine rationelle Rechtfertigung unseres Glaubens habt, folgenden Beweis entgegen. Gäbe es von Ewigkeit her zwei Götter oder mehr, so befänden sie sich entweder in einem und demselben (übergeordneten) Wesen oder jeder von ihnen wäre für sich . Nun aber könnten sie nicht in einem und demselben Wesen sein; denn wenn sie Götter sind, sind sie nicht zusammenstimmend, sondern, weil ungeworden, widersprechend, denn nur das Gewordene stimmt mit seinen Vorbildern überein; ungewordene Wesen würden einander widersprechen, da sie weder von einem andern Wesen noch im Hinblick auf andere Wesen gemacht sind. Sollten jene jedoch in der Weise integrierende Bestandteile einer Einheit sein, wie etwa die Hand, Auge, Fuß integrierende Bestandteile eines Organismus sind, dann wäre allerdings Gott auch wieder einer; indes so etwas (= eine Zusammensetzung aus Teilen) ist etwa bei Sokrates der Fall; dieser ist, weil er geworden und vergänglich ist, zusammengesetzt und teilbar; Gott aber als der Ungewordene und über jede Veränderung Erhabene ist unteilbar; er besteht also überhaupt nicht aus Teilen. Und nun zur zweiten Annahme! Ist jeder der Götter für sich und ist der, welcher die Welt erschaffen hat, über den gewordenen Dingen, über dem, was er geschaffen und geordnet hat, wo soll dann der andere Gott sein oder die sonst noch übrigen? Ist nämlich die Welt als ein kugelförmiges Gebilde durch die Himmelskreise abgeschlossen und befindet sich der Schöpfer der Welt über den gewordenen Dingen, sich lediglich durch seine Fürsorge manifestierend, welches ist dann der Ort des anderen Gottes, beziehungsweise der anderen? Denn der andere befände sich weder in der Welt, da diese einem anderen Gott gehört, noch um die Welt, da über der Welt sich der Gott befindet, der die Welt geschaffen hat. Wenn er aber weder in der Welt ist noch um die Welt (denn ringsum wird alles von diesem eingenommen), wo ist er dann? Etwa über der Welt und ihrem Gott in einer anderen Welt und um eine andere? Aber wenn er in einer anderen Welt ist und um eine andere, so ist er nicht um uns (er hat dann gar keine Herrschaft über die Welt) und hat auch keine große Macht (denn er ist an einem durch Grenzen eingeschränkten Orte). Wenn er nun weder in einer anderen Welt ist (denn alles wird von jenem Gotte ausgefüllt) noch um eine andere (denn alles wird von jenem Gotte eingenommen), so ist er überhaupt nicht, da es keinen Ort gibt, wo er sein könnte. Oder was hätte er zu tun, wenn es einen andern Gott gibt, dem die Welt gehört, und er selbst zwar über dem Schöpfer der Welt ist, jedoch nicht in der Welt und um die Welt? [Oder gibt es vielleicht unter dem Seienden etwas, wo der Gewordene seinen Ort haben kann? Dann sind aber Gott und die Werke Gottes über ihm. Und welches sollte sein Ort sein, da, was über der Welt ist, dieser ausfüllt?] 1 Kann er etwa Fürsorge tragen? Auch das kann er nicht, wenn er nicht zuvor schöpferisch tätig war. Wenn er aber nicht schafft und nicht sorgt, wenn überhaupt kein Ort übrig bleibt, an dem er sein könnte, so gibt es eben nur einen Gott, der da von Ewigkeit her existiert und allein der Schöpfer der Welt ist.

Begnügten wir uns jetzt mit derartigen Erwägungen, so müßte man meinen, unsere Rechtfertigung sei Menschenwort. Nachdem aber auch die Aussprüche der Propheten unsere Beweisführungen beglaubigen (bei Eurer seltenen Wißbegierde und Eurem hohen Bildungsgrad werdet Ihr selbst schon von den Aussprüchen eines Moses, Isaias, Jeremias und der übrigen Propheten vernommen haben, die, ihrem eigenen Denken entrückt, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes, was ihnen eingegeben wurde, verkündeten, wobei sich der Geist ihrer bediente, wie wenn ein Flötenspieler die Flöte bläst), so laßt uns hören, was diese sagen. ‚Herr ist unser Gott; neben ihm kann kein anderer in Betracht kommen‘; und wiederum: ‚Ich bin Gott vorher und nachher und außer mir gibt es keinen Gott‘. In ähnlicher Weise: ‚Vor mir war kein anderer Gott und keiner wird nach mir sein; ich bin Gott und außer mir ist keiner‘. Und von seiner Größe heißt es: ‚Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Welches Haus wollt ihr mir erbauen oder welches soll der Ort meiner Wohnung sein?‘ Ich überlasse es Euch, diese Schriften selbst einzusehen und die Aussprüche jener Männer genauer zu prüfen, damit Ihr mit der gehörigen Einsicht den brutalen Mißhandlungen, mit denen man uns quält, ein Ende macht 1.“ (Athenagoras, Bittschrift für die Christen 8-9)

 

In den christlichen Sibyllinen (es gab nicht nur heidnische, sondern auch ein paar christliche Sibyllinen), also Weissagungen (v. a. handeln sie vom Weltende), heißt es:

„Gott hat mir selber das alles gelegt in den Sinn und wird alles,
Was er durch meinen Mund hat vormals verkündet, erfüllen:
‚Ja, ich weiß der Sandkörner Zahl und die Maße des Meeres,
Weiß die Verstecke der Erde und kenne des Tartaros Luftraum,
Weiß die Zahlen der Sterne, die Bäume, und wieviel Geschlechter
Der Vierfüßler, der schwimmenden Tiere, der hurtigen Vögel,
Auch der Menschheit, die jetzt und in Zukunft lebt, und der Toten.
Denn ich selbst hab‘ Gestalten und Sinn der Menschen gebildet,
Gab ihnen rechten Verstand und vermittelte ihnen Erkenntnis.
Ich bin’s der Augen und Ohren gebildet, sehend und hörend,
Jeden Gedanken ersinnend und allen Mitwisser seiend.
Drinnen im Herzen, ich schweige und werd‘ sie dann selbst überführen.

Auch den Tauben versteh‘ ich und höre auf den, der nicht spricht, und
Wie groß im ganzen die Höh von der Erde zum Himmelsgewölbe,
Anfang und Ende ich weiß, weil ich Himmel und Erde geschaffen.
Denn ich allein bin Gott, und es gibt keinen anderen daneben.“

(Christliche Sibyllinen VIII,360-377, in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 522.)

Christliche Kultur am Sonntag: „Auferstanden“

Bei christlichen Sachbüchern findet man bekanntlich relativ leicht gute Sachen; bei Romanen, Filmen oder Kinderbüchern sieht es allerdings manchmal schwieriger aus, auch wenn einige vermutlich gern mehr davon besäßen. Dabei gibt es eigentlich auch hier viel Gutes, wenn man näher hinschaut, und weil nicht allen alles bekannt ist, dachte ich, ich stelle meinen Lesern hier mal jede Woche kurz ein Werk vor – hauptsächlich katholische Sachen, aber wenn es von guter Qualität ist, auch mal was aus anderen Konfessionen; nicht nur Hochkultur, sondern auch eher Populärkultur (aber halbwegs gut gemacht soll es sein); und sowohl solches mit explizit religiösen Inhalten (im Einzelfall auch mal, wenn es von persönlich nicht sehr frommen Menschen kommt), als auch Werke von überzeugten Christen ohne explizite Botschaft. Viele werden bestimmte Klassiker schon kennen, aber andere vielleicht noch nicht.

Und weil ich ja auch nicht alles kennen kann: Wer ein katholisches Lieblingsbuch, einen Film o. Ä. hat, von dem er schon immer mal mehr Leuten erzählen wollte, darf mir gern über die „Contact“-Seite schreiben und vielleicht ergibt sich ein Gastbeitrag.

 

Heute: „Auferstanden“

Die Hauptfigur dieses Films (Regie Kevin Reynolds, erschienen 2016) ist der römische Offizier Clavius (Joseph Fiennes), der in Jerusalem das Ende der Kreuzigung und die Grablegung Jesu überwacht. Als wenige Tage später, trotz der angeordneten Bewachung des Grabes, der Leichnam verschwunden ist, wird Clavius vom Statthalter Pilatus beauftragt, den Leichnam wiederzufinden, um weitere Unruhen in Judäa zu verhindern. Er sucht nach Jesu Anhängern, stößt auf Maria Magdalena und Bartholomäus und versucht sie zu verhören; außerdem spürt er einen der desertierten Soldaten auf, die das Grab bewacht haben. Und schließlich findet er das Versteck der Jünger, und dort trifft er auf sie; und auf den Gekreuzigten selbst.

Der Film ist nicht so überragend wie z. B. Mel Gibson’s Passion Christi; aber er gehört sicher zu den ganz guten Jesusfilmen. Die Perspektive ist die eines Außenstehenden, eines Heiden, der Jesus nicht gekannt hat, erst spät mit dieser Geschichte zu tun bekommt, und quasi wie ein Kriminalbeamter Nachforschungen anstellt. Dabei ist die Darstellung eindeutig: Jesus ist wirklich auferstanden, es ist nicht nur so, dass den Jüngern offenbart wird, dass Er irgendwie bei Gottvater weiterlebt, sondern Er ist da: ein hereinplatzender Römer kann Ihn sehen. (In Filmkritiken säkularer Herkunft wird dementsprechend bedauernd von „jenen altbekannten Zeichen und Wundern, die sich symbolisch verstehen ließen, die der Film in seinem letzten Drittel leider aber sehr wörtlich nimmt“ gesprochen.) Es ist etwas her, dass ich selber den Film gesehen habe, aber er dürfte wirklich recht lohnenswert gewesen sein.

Hier noch der Trailer:

Mehr Patriarchat bitte!

Der Begriff „Patriarchat“ ist ja heutzutage nicht allzu beliebt; auch wenn man in der Kirche manchmal noch im positiven Sinn von „Patriarchen“ spricht – die Erzväter Israels (Abraham, Isaak, Jakob usw.) haben den Titel „heilige Patriarchen“, und die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Jerusalem, Alexandria tragen neben ihren jeweiligen anderen Titeln auch den des „Patriarchen“.

„Patriarch“ kommt von „pater“, Vater, und im Christentum nennt man auch Gott Vater. Es wird heute sehr gern gesagt, dass Gott nicht ein „alter bärtiger Mann auf einer Wolke“ ist. Ja, danke, wir wissen auch, dass Gott reiner Geist ist, allgegenwärtig, ewig, unendlich, die unverursachte Ursache und der Erhalter von allem, was existiert, das subsistierende Sein selbst, allmächtig, allwissend, allgütig, die Liebe selbst, nicht aus Teilen zusammengesetzt, nicht vergänglich, undsoweiterundsofort. Aber gegen das Bild des alten bärtigen Mannes auf der Wolke ist eigentlich nichts einzuwenden (sofern man überhaupt Bilder von Gottvater haben will, worüber man ja diskutieren kann). Es zeigt einen weisen, gütigen, persönlich ansprechbaren, über die Welt wachenden, sie schützenden Gott, und jeder ist sich bewusst, dass es ansonsten nur ein Bild ist. Es zeigt einen Gott, den man Abba, Vater, „Papa“, nennen kann.

Cima da Conegliano - Dieu le Père.jpg

(Cima da Conegliano, Gott der Vater. Gemeinfrei.)

Wenn man von Gott als Vater spricht, tauchen immer gleich die Leute auf, die betonen müssen, dass Gott auch mütterlich sei, wofür sie dann immer dieselben zwei bis drei Bibelstellen heranziehen (die beste sind noch die wunderschönen Verse Jes 49,14-16: Doch Zion sagt: Der HERR hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergisst: Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände, deine Mauern sind beständig vor mir.“). Jetzt könnte man genauer ausführen, dass und wieso in Bibel und Tradition zwar vereinzelte Vergleiche göttlicher Eigenschaften mit mütterlichen Eigenschaften auftauchen (und das sind sehr schöne Vergleiche, wie der hier, der klar macht, dass Gottes Liebe noch viel größer ist als die einer Mutter), aber generell in männlichen Begriffen von Gott geredet wird und es für Ihn nie die Anrede „Mutter“, sondern nur die Anrede „Vater“ gibt. Aber dafür verweise ich einfach mal hierauf. Hier genügt es mir erst einmal, zu sagen: Wieso kann man das Wort „Vater“ nicht einfach mal so stehen und auf sich wirken lassen? Über die Väterlichkeit Gottes reden, an Gott als Vater denken? Hier muss nichts „problematisiert“ werden, es ist eine wunderschöne Vorstellung.

(Sicher wird es manche Leute geben, die Schwierigkeiten mit dem Vaterbild haben, weil sie selber einen missbräuchlichen Vater hatten, aber so kann es Leuten auch gehen, wenn Maria als Mutter oder Jesus als Bruder bezeichnet wird, und sie entsprechende Erfahrungen mit Mutter oder Bruder hatten. Wenn ein einzelner Schwierigkeiten mit einem Titel Gottes hat, muss er sich dafür auch nicht schämen. Aber während ein menschlicher Vater in seiner Rolle furchtbar versagen und sie pervertieren kann, ist Gott der wahre, der eigentliche Vater.)

Tiziani, assunta 05.jpg

(Gott der Vater, Ausschnitt eines Bildes von Tizian. Gemeinfrei.)

Feministisch geprägte Gesellschaften wie unsere scheinen oft keinen rechten Platz für Männer zu haben, kommt es mir vor. Da wird oft gesagt, was Männer nicht sein sollen oder nicht zu sein bräuchten. Mädchen wird gesagt, dass sie alles machen und sein und erreichen können sollen (außer natürlich Heimchen am Herd bei vier kleinen Kindern, wag das ja nicht), bei Jungen wird erst mal problematisiert und zurückgehalten. Keine toxische Männlichkeit, kein Sexismus, blabla. Ist ja schön, wenn Männer uns Frauen nicht verachten und keine falsche Vorstellung davon haben, was Männlichkeit sein muss. Aber das Negative allein ist etwas wenig.

Ich bin ja der Meinung, dass man z. B. falschen Nationalismus am besten dadurch verhindert, indem man den Leuten etwas zeigt, wofür sie ihr Land wirklich lieben können. Ähnlich bei falschen Vorstellungen von Männlichkeit (oder Weiblichkeit, anbei – das gibt es ja auch, sogar in ganz verschiedenen Formen; sowohl wer Heidi Klum als auch wer Zarin Katharina II. als auch wer Frau Dr. Merkel als Vorbild für Frauen nimmt, hat etwas falschgemacht).

Davon abgesehen ist es freilich ziemlich seltsam, was inzwischen als „toxische Männlichkeit“ bezeichnet wird. Selbst wenn Männer kleine Gesten der Zuvorkommenheit üben, z. B. Frauen die Tür aufhalten oder ihnen den Koffer die Treppe hoch hieven, gilt das ja einigen schon als anmaßend und überheblich. Danke auch, liebe Feministinnen!

Was sollen Männer eigentlich sein? Meistens kommt darauf überhaupt keine Antwort.

Zurück von Männlichkeit an sich zur Vaterschaft speziell (wobei Männlichkeit ja am besten Väterlichkeit in irgendeiner Weise bedeuten sollte): In Filmen und Romanen – ganz besonders in sog. „historischen“ – scheinen Väter ständig in negativen Rollen aufzutauchen: Der Vater, der seine Tochter zu einer Ehe drängen will, der Vater, der seinem Sohn einen Beruf aufzwingen will, der Vater, der seinem Kind eine Liebe ausreden will, der verständnislose, tyrannische Vater. Entweder muss er am Ende aufgeben, oder er darf, wenn es gut kommt, seine Fehler einsehen und abtreten. (In den Filmen, die in der Gegenwart spielen, wird der tyrannische Vater dann gern durch den nutzlosen Vater ersetzt, dessen Frau alles erledigen muss, weil er nichts zustande bringt. Natürlich alles ganz tolle Vorbilder.) Der Vater, der sein Kind vor einem Fehler oder vor Menschen, die ihm übelwollen, beschützt, der Anleitung, Halt, Sicherheit gibt, ermutigt, sorgt… den findet man nicht wirklich. Auch wenn die Wirklichkeit anders aussieht.

Jeder Vater ist anders, und natürlich gibt es tyrannische Väter; auch wenn das häufigere Negativbeispiel der abwesende, gleichgültige Vater sein wird. Aber ich habe den Eindruck, dass immer noch die Mehrheit der Väter halbwegs gute Väter sind, die ihre Kinder lieben und ihnen Gutes wollen. Und ich beispielsweise kenne aus meiner weiteren Verwandtschaft eher die tyrannische Mutter als den tyrannischen Vater. Aber was ich sagen will: Wieso ist der Vater manchen Leuten so sehr ein Dorn im Auge, dass sie ihm kaum mal eine reale, gute Rolle geben wollen?

God the Father and angels, Pietro Perugino, Stanza dell'Incendio di Borgo, medalion, part of the ceiling, Vatican City 1.jpg

(Pietro Perugino, Deckengemälde, Stanza dell’Incendio di Borgo, Vatikan. Gemeinfrei.)

Das Patriarchat wird gerade oft mit dem Islam in Verbindung gebracht – Tenor: „Der ist ja nur so schlecht wegen der patriarchalen Kultur, die gab es bei uns früher auch“. Aber der Islam ist nicht besonders patriarchal. Im Islam gibt es Männerherrschaft, natürlich – aber mit der Väterlichkeit ist es nicht weit her. Ein Herrscher, der seine Söhne, die von hunderten von Haremssklavinnen stammen, die Nachfolge mittels gegenseitiger Morde ausfechten lässt – was hat der mit einem Vater zu tun? (Die osmanische Sultansfamilie, in der das jahrhunderlang so üblich war, ist der Extremfall, sicher; aber der Islam erlaubt jedem Mann theoretisch bis zu vier Frauen und unbegrenzt viele Sklavinnen; und wenn ein Mann Kinder von verschiedenen, allesamt noch lebenden Frauen hat, kann er für keins davon ein besonders guter Vater sein.) Ein Mann, der, um sogenannte „Ehre“ zu bewahren, seine eigene Tochter umbringt, weil sie eine Sünde gegen die Keuschheit begangen hat – was hat der mit einem Vater zu tun? (Und bevor jemand fragt, nein, solche Ehrenmorde gab es dort, wo einst das christliche Abendland war, nicht. Da gab es vielleicht die auf fehlerhafte Weise doch beschützerische Variante „Der hat meine Tochter/Schwester verführt, den fordere ich zum Duell“, wofür man von der Kirche, die Duelle als Verabredung zum Mord verurteilte, freilich exkommuniziert wurde, aber die Variante „Ich muss meine Tochter/Schwester umbringen, was sagen denn sonst die Nachbarn“ gab es gerade nicht. Auch wenn es gefallene Mädchen und ledige Mütter nicht immer allzu leicht hatten, um ihr Leben musste keine fürchten.)

Natürlich gibt es im Islam einen gewissen Platz auch für gute Väterlichkeit; vielleicht etwas mehr als bei uns im modernistischen Säkularismus jetzt. Und man muss zugeben, dass der Islam in dieser Hinsicht nicht die schlimmste all derjenigen Kulturen ist, die man gern als „patriarchal“ bezeichnet. Männerherrschaft ohne Väterlichkeit oder Ritterlichkeit gab es schließlich in vielen Kulturen. Vor, sagen wir, 150 Jahren beklagten christliche Missionare in Asien, Afrika oder bei den amerikanischen Ureinwohnern oft sehr ähnliche Dinge, was das Verhältnis von Männern und Frauen betraf: Dass neugeborene Mädchen ausgesetzt wurden; dass Mädchen in früher Jugend verheiratet wurden, ohne gefragt zu werden; dass die Männer faul wären und den Frauen viel Arbeit (z. B. Feldarbeit) überließen; dass die Polygamie praktiziert wurde; dass Mädchen keinerlei Bildung erhielten und Frauen generell nichts gelten würden, Bräuche wie die Witwenverbrennung in Indien. (Was alles, wie man sieht, gerade das Gegenteil von dem ist, was ein Vater täte, der diesen Namen verdiente.) Die indische Männerherrschaft ist heute nur deshalb (fraglicherweise) weniger schlimm als die arabische, weil Indien sich mehr vom Westen hat beeinflussen lassen als das widerstandsfähigere und für den Westen zuerst auch uninteressantere Arabien.

Wie dem auch sei: Die Lösung dafür, dass Väter eine völlig pervertierte Rolle einnehmen, ist wohl kaum, ihnen gar keine Rolle mehr zu geben. Ich sage nicht, dass das frühere europäische Patriarchat dagegen perfekt war; dank der Erbsünde hat jede Kultur große Fehler und blinde Flecke, und auch hier gab es an einigen Stellen Verachtung gegenüber Frauen oder Regeln, die sie in ungerechter Weise benachteiligt haben. Aber es war sicher besser als die Männerherrschaft in anderen Kulturen, und sicher auch besser als der jetzige Zustand. Denn wozu führt es, wenn man Vaterschaft so ablehnt?Was ist das Resultat, wenn Männer als überflüssig hingestellt werden?

Männer, die nicht besonders charakterlich gefestigt sind, ziehen sich zurück, werden passiv und indifferent, nutzen Frauen aus, wenn die sich ausnutzen lassen, und sehen keinen Anreiz, sonst viel für sie zu tun. Das wäre ja zu patriarchalisch. Das ist nicht als Rechtfertigung, sondern als Erklärung gesagt; es gibt keine Rechtfertigung dafür, bei dieser Entwicklung mitzumachen. In äußerster Konsequenz (und leider nicht in seltenen Fällen) führt das dann dazu, dass Männer z. B. ihre schwangeren Freundinnen sitzenlassen oder zur Abtreibung überreden. Das kann man vielleicht „toxische Männlichkeit“ nennen (oder man kann es als Mangel an Männlichkeit betiteln, je nach Betrachtungsweise), aber als „patriarchal“ kann man es kaum bezeichnen, wenn Väter Vaterschaft so hassen, dass sie den Mord an ihren Kindern bewirken wollen.

Es wird ständig gepredigt, dass Frauen keine Männer bräuchten, dass z. B. eine Mutter ihr Kind sehr gut ohne Mann großziehen könnte (und inzwischen muss eine enorme Masse an Kindern dann so aufwachsen). Nun, für gewöhnlich sieht das Kind das noch etwas anders, und tatsächlich ist es ein sehr großer Risikofaktor für Kinder, ohne Vater aufzuwachsen. Kinder bei alleinerziehenden Eltern – i. d. R. Müttern – haben ein deutlich höheres Risiko für psychische Probleme, Verhaltensauffälligkeiten, Schwierigkeiten in der Schule, Übergewicht, Jugendarbeitslosigkeit, Teenagerschwangerschaft, unabhängig vom Einkommen der Eltern. (Siehe z. B. hier und hier für Statistiken.) Väter braucht man, genauso wie man Mütter braucht.

Und es geht hier auch nicht einfach nur darum, zwei Erwachsene da zu haben, damit das Kind genug Zuwendung hat. Es geht darum, einen Mann und eine Frau als Vorbilder zu haben. Jungen brauchen einen Vater, um zu lernen, wie sie später mal sein sollen, und Mädchen brauchen einen, damit sie lernen, wie ein Mann sein soll, auf den sie sich später mal einlassen.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/25/Henry_Ossawa_Tanner_-_The_Banjo_Lesson.jpg

(Henry Ossawa Tanner, The Banjo Lesson. Gemeinfrei.)

 

Freilich lässt sich das Wort „Patriarchat“ nicht einfach nur mit „Väterlichkeit“, sondern tatsächlich mit „Vaterherrschaft“ übersetzen (lat. pater = Vater, gr. arche = Herrschaft, Ordnung). Der Herrschaftsbegriff steckt hier irgendwo drin, ja.

Nun hat die heutige Welt ja schon ein Problem mit Herrschaft an sich, nicht nur mit bestimmten Formen von Herrschaft. Das ist allerdings ein grundsätzlicher Fehler, denn es kann keine Welt ohne Herrschaft geben, und wenn man so etwas versucht (z. B. in bestimmten Sekten oder linksextremistischen Gruppen), entstehen informelle, manipulative Herrschaftsformen. Wenn es keine klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gibt, kann der seine Macht ausüben, der am besten überreden und manipulieren kann, ohne dass man sich eingesteht, dass er herrscht, und er kann die Vorrechte eines Herrschers genießen, ohne dessen Pflichten ausüben zu müssen. Und Herrschaft ist ja in den wenigstens Fällen eine Herrschaft, die keinen Kontrollen, Regeln und Grenzen unterworfen ist.

Nun könnte man sagen: Herrschaft gut und schön, aber wieso sollte es eine patriarchale Herrschaft geben? Wieso nicht eine matriarchale, oder besser eine, bei der beide Geschlechter gleichermaßen vertreten sind?

Tatsächlich müssen (vergleichsweise) patriarchale Herrschaftsformen gut sein, weil Gott die Welt entsprechend eingerichtet hat. Das folgende Argument ist für Nichtkatholiken wahrscheinlich nicht sonderlich überzeugend; aber als Katholik wird man seine Gültigkeit m. E. schwer bestreiten können. Erst einmal zwei Dinge, die allgemein bekannt sein dürften:

1) In Gottes Kirche ist der Klerus rein männlich. Auch wenn Nonnen, Mütter, Theologinnen, Religionslehrerinnen, Mesnerinnen, Jugendgruppenleiterinnen usw. natürlich nicht ohne Einfluss sind, ist der Klerus trotzdem männlich. Der Sohn Gottes hat nur zwölf Männer als Apostel ausgewählt, keine einzige Frau, auch wenn er Frauen in seinem engen Jüngerkreis hatte, und zum Amt ihrer Nachfolger, der Bischöfe (und deren Helfer, der Priester und Diakone), gehört nicht nur das Sakramentespenden, sondern auch die Leitung der Kirche. Isso.

2) Es ist katholische Lehre, dass der Mann das Oberhaupt der Familie ist, nicht die Frau und auch nicht beide; s. z. B. Epheser 5 oder kirchliche Lehrdokumente wie die Enzyklika Casti Connubii über die Ehe von Papst Pius XI.:

„In der Familiengemeinschaft, deren festes Gefüge so die Liebe ist, muß dann auch die Ordnung der Liebe, wie es der hl. Augustinus nennt, zur Geltung kommen. Sie besagt die Überordnung des Mannes über Frau und Kinder und die willfährige Unterordnung, den bereitwilligen Gehorsam von seiten der Frau, wie ihn der Apostel mit den Worten empfiehlt: ‚Die Frauen sollen ihren Männern untertan sein wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie Christus das Haupt der Kirche ist.‘

Die Unterordnung der Gattin unter den Gatten leugnet und beseitigt nun aber nicht die Freiheit, die ihr auf Grund ihrer Menschenwürde und der hehren Aufgabe, die sie als Gattin, Mutter und Lebensgefährtin hat, mit vollem Recht zusteht. Sie verlangt auch nicht von ihr, allen möglichen Wünschen des Mannes zu willfahren, die vielleicht unvernünftig sind oder der Frauenwürde weniger entsprechen. Sie ist endlich nicht so zu verstehen, als ob die Frau auf einer Stufe stehen sollte mit denen, die das Recht als Minderjährige bezeichnet und denen es wegen mangelnder Reife und Lebenserfahrung die freie Ausübung ihrer Rechte nicht zugesteht. Was sie aber verbietet, ist Ungebundenheit und übersteigerte Freiheit ohne Rücksicht auf das Wohl der Familie. Was sie verbietet, das ist, im Familienkörper das Herz vom Haupt zu trennen zu größtem Schaden, ja mit unmittelbarer Gefahr seines völligen Untergangs. Denn wenn der Mann das Haupt ist, dann ist die Frau das Herz, und wie er das Vorrecht der Leitung, so kann und soll sie den Vorrang der Liebe als ihr Eigen- und Sonderrecht in Anspruch nehmen.

Grad und Art der Unterordnung der Gattin unter den Gatten können sodann verschieden sein je nach den verschiedenen persönlichen, örtlichen und zeitlichen Verhältnissen. Wenn der Mann seine Pflicht nicht tut, ist es sogar die Aufgabe der Frau, seinen Platz in der Familienleitung einzunehmen. Aber den Aufbau der Familie und ihr von Gott selbst erlassenes und bekräftigtes Grundgesetz einfachhin umzukehren oder anzutasten, ist nie und nirgends erlaubt.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Bernhard_Strigel_-_Holy_Family_-_WGA21884.jpg

(Bernhard Strigel, Heilige Familie. Gemeinfrei.)

Es ist ja auch so, dass es manchmal einfach jemanden geben muss, der in einer Familie das letzte Wort hat, und dass es wahrscheinlich keine Frau besonders mag, wenn ihr Mann sich von ihr herumkommandieren lässt.

So weit, so altbekannt; jetzt der dritte Punkt, auf den ich hier noch hinauswollte:

3) In einem Land, in dem der Katholizismus zum weltanschaulichen Grundkonsens gehören würde und die Leute ihren Glauben einigermaßen praktizieren würden, würde sich, bezogen auf die gesamte Gesellschaft, mehr oder weniger von selber eine relativ patriarchale Gesellschaftsform einstellen. Das liegt einfach an zwei Dingen:

Erstens, Katholiken schätzen größere Familien und erkennen als legitime Methode zur Kinderzahlbegrenzung nur die Natürliche Empfängnisregelung an, die zwar nicht unbedingt unsicherer, aber aufwendiger und anstrengender ist als die Pilleneinnahme, und für die man zudem laut Kirchenlehre einen rechtfertigenden Grund braucht (keinen extrem schwerwiegenden Grund, aber es muss einen vernünftigen Grund geben). Dementsprechend hätten mittelgroße Familien in einer katholischen Gesellschaft eher drei bis sechs Kinder anstatt nur zwei, und Familien mit neun oder zehn Kindern wären auch nichts Groteskes und Verachtetes.

Zweitens, Katholiken glauben, dass zuerst die Eltern und nicht der Staat für die Kindererziehung verantwortlich sind, und dass für Eltern zuerst ihre Familie kommt und dann erst solche Sachen wie Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Politik.

Die Leute, die verheiratet und nicht unfruchtbar wären (also die Mehrheit der Bevölkerung; selbst im katholischsten Land würde kaum eine Mehrheit ins Kloster gehen), hätten also i. d. R. mehrere Kinder, die höchstens im dringenden Notfall als Kleinkinder fremdbetreut würden; da die Frauen diejenigen wären, die auch mit Schwangerschaft, Geburt und Stillen zu tun hätten, würde es sich für viele Paare anbieten, dass sie diejenigen sind, die bei den Kindern daheim bleiben, und von der Geburt des ersten Kindes bis zum Kindergarteneintritt des letzten können bei vier oder fünf Kindern locker zehn bis fünfzehn Jahre vergehen; außerdem macht ein Haushalt mit mehreren Kindern auch dann mehr Arbeit, wenn die Kinder schon im Kindergarten oder in der Schule sind. (Zudem wäre in einer katholischen Gesellschaft sicherlich Homeschooling legal und zumindest ein paar Familien würden es machen.) Dass beide Teilzeit arbeiten ist oft auch eher unpraktisch – welche Frau arbeitet schon gerne genauso viel wie der Mann, wenn sie zwischendurch immer wieder schwanger ist und in Mutterschutz geht; außerdem kann der Mann eher eine höhere, besser bezahlte Arbeitsstelle finden, wenn er ganztags arbeitet, was für die Familie natürlich praktischer ist. Sicher würde es einzelne Paare geben, die es so organisieren würden, oder bei denen der Mann zuhause bliebe, aber das wären (auch wenn das dann sicherlich legitim wäre) Ausnahmefälle bei besonderen Umständen.

Dementsprechend würden wenige Mütter minderjähriger Kinder in Vollzeit einer Erwerbsarbeit nachgehen; wenn sie überhaupt arbeiten würden, würde es eher auf Teilzeitarbeit, Heimarbeit oder Hilfe im Familienbetrieb hinauslaufen. Da höhere Jobs für gewöhnlich Vollzeitjobs sind, und seltener von Leuten erreicht werden, die fünfzehn oder zwanzig Jahre lang gar keiner Erwerbsarbeit nachgegangen sind (was auch Sinn macht; man braucht hier einfach Leute mit Erfahrung und genug Zeit), wären Abteilungsleiter, Bürgermeister, Personalchefs, Unternehmer, Chefärzte, Professoren und dergleichen mehrheitlich Männer. Nicht ausschließlich; aber mit einer sehr deutlichen Mehrheit.

Wie gesagt: Hier habe ich jetzt nicht auf Geschlechterrollenideale geschaut, sondern nur auf die automatischen Folgen davon, wenn viele Leute viele Kinder haben, und alle tun, was das Praktischste für sie ist.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/88/John_William_Waterhouse_-_Gossip.jpg

(Bild von John William Waterhouse. Gemeinfrei.)

Es hat seine Gründe, dass Feministinnen immer die Familie, besonders die Großfamilie, als Hindernis der Emanzipation bekämpft haben; ganz blöd waren bzw. sind sie ja auch nicht. Eine Frau, die mit 24 heiratet, mit 25 das erste von sechs Kindern bekommt, einen großen Teil der nächsten zwei, drei Jahrzehnte damit verbringt, Windeln zu wechseln, Geschichten vorzulesen, bei den Hausaufgaben zu helfen, Nudeln mit Soße zu kochen, bei F-Jugend-Fußballspielen zuzuschauen und Geburtstagskuchen zu backen, die irgendwann 20 Enkelkinder hat und 60 Jahre mit demselben Mann verheiratet bleibt – die gibt einfach keine gute Feministin ab, in aller Regel. Grundvoraussetzung für den Feminismus, wie man ihn so kennt, sind eine Menge künstliche Hilfsmittel, die die Gesellschaft ohne allzu viel Mutterschaft und Vaterschaft mehr schlecht als recht am Laufen halten: funktionierende, billig verfügbare und weithin praktizierte Empfängnisverhütung, spätes Kinderkriegen, geringe Kinderzahl, großflächige günstige Kinderbetreuungsangebote, und evtl. Zugang zu Abtreibung. Mit Kindern kann der Feminismus einfach nicht. Kein Wunder, dass inzwischen öffentlich-rechtliche Sender für Jugendliche Propagandavideos verbreiten, in denen unsympathische Feministinnen mit gruseligen Augen erzählen, wie toll die Sterilisation ist und dass sie ein Kind auf jeden Fall abtreiben würden. Den Kindern muss einfach klargemacht werden, was für ein Hindernis sie für ihre Mütter sind.

Wie gesagt: In einer kinderfreundlichen katholischen Gesellschaft würde sich also ganz automatisch eine Ordnung ergeben, die heutige Feministinnen für gewöhnlich als „patriarchal“ betiteln würden. Nun kann es nicht sein, dass Gott Seine Natur und Seine Gebote so geordnet hätte, dass nichts Sinnvolles herauskommt, wenn man sich nach ihnen richtet; ergo kann dieser Zustand im Großen und Ganzen zumindest nicht schlechter sein als andere Anordnungen.

Nochmal: Patriarchat in diesem Sinne heißt nicht, dass Frauen keinen Einfluss hätten, keine wichtigen Positionen, keine Möglichkeit, eigene Anliegen geltend zu machen, usw.; aber es heißt schon, dass mehr Entscheidungsgewalt bei Männern läge als bei Frauen, dass der privat-häusliche Bereich weiblicher geprägt wäre und der öffentlich-politische männlicher, und Familien nach außen hin eher von den Vätern vertreten werden würden. Und das muss irgendeinen Sinn haben.

Was das für ein Sinn das wäre: Dazu mache ich mir vielleicht ein andermal mehr Gedanken. So lange Artikel liest eh irgendwann keiner mehr mit.

Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 1: Zusammenfassungen des Glaubens, Glaubensbekenntnisse

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Lk 24,46-49, Mt 28,18-20, 1 Kor 15,3-7, Phil 2,6-11, 1 Petr 1,3-4.18-23, 1 Petr 3,18-22, Joh 1, 1 Joh 1,1-4, 1 Joh 4,2.

Die früheste Stelle, die ich für diesen Artikel herangezogen habe, findet sich beim hl. Bischof Ignatius von Antiochia, der, wohl im Jahr 107, auf dem Weg von Syrien zu seinem Prozess und anschließenden Märtyrertod in Rom an eine Gemeinde schreibt:

„Verstopfet daher eure Ohren, sobald euch einer Lehren bringt ohne Jesus Christus1, der aus dem Geschlechte Davids, der aus Maria stammt, der wahrhaft geboren wurde, aß und trank, wahrhaft verfolgt wurde unter Pontius Pilatus, wahrhaft gekreuzigt wurde und starb vor den Augen derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, der auch wahrhaft auferweckt wurde von den Toten, da ihn sein Vater auferweckte; denn nach diesem Vorbild wird uns, die wir ihm glauben, sein Vater auch so auferwecken in Christus Jesus, ohne den wir das wahre Leben nicht haben.“ (Brief des Ignatius an die Trallianer 9)

(In der Fußnote heißt es: „Damit wendet sich Ignatius gegen die Irrlehre der Doketen, die Christus nur einen Scheinleib zuschrieben, um seine Gottheit zu wahren.“ Der Doketismus soll hier ein anderes Mal Thema sein.)

Kurz darauf schreibt der hl. Bischof Polykarp von Smyrna, mit dem Ignatius auf seiner Reise auch zu tun gehabt und an den er einen seiner Briefe gerichtet hatte, an eine andere Gemeinde:

„Darum gürtet eure Lenden und dienet Gott in Furcht1 und Wahrheit, verlasset das leere Gerede und den Irrtum der Menge, glaubet an den, der unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit und den Thron zu seiner Rechten verliehen hat2! Ihm ist alles untertan im Himmel und auf Erden, ihm dient jegliches Leben, er kommt als Richter der Lebendigen und Toten3, sein Blut wird Gott fordern von denen, die nicht an ihn glauben. Der aber ihn von den Toten erweckt hat, wird auch uns auf erwecken4, wenn wir seinen Willen tun und in seinen Geboten wandeln und lieben, was er geliebt hat, und uns frei halten von jeder Ungerechtigkeit, Habsucht, Geldgier, übler Rede, falschem Zeugnis; wenn wir Böses nicht mit Bösem vergelten oder Schmähung nicht mit Schmähung5, noch Faustschlag mit Faustschlag; noch Fluch mit Fluch; 3. eingedenk der Worte, die der Herr lehrend sprach: ‚Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet‘6; ‚Verzeihet, damit ihr Verzeihung findet; seid barmherzig, damit ihr Barmherzigkeit erfahret; mit dem Masse, mit dem ihr messet, wird man auch euch messen‘7, und: ‚Selig sind die Armen und die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich Gottes‘8.“ (Brief Polykarps an die Philipper 2)

(Die Fußnoten verweisen hier nur auf die entsprechenden Bibelstellen.)

Eine ganz einschlägige Stelle findet sich in der Epistula Apostolorum, einem vollständig in äthiopischer Übersetzung und fragmentarisch in einer koptischen Version erhaltenen Werk, das sich als Brief der Apostel ausgibt und einen angeblichen Dialog Jesu mit den Aposteln nach Seiner Auferstehung enthält: ein frühes Glaubensbekenntnis (offensichtlich eine feststehende Formel); abrupt eingeschoben mitten in einer Erläuterung der wundersamen Brotvermehrung (Hervorhebung von mir):

„Als wir darauf kein Brot außer fünf Broten und zwei Fischen hatten, gebot er den Leuten, sich zu lagern, und es belief sich ihre Zahl auf 5000 außer den Kindern und Frauen, denen wir Brotstückchen vorlegten; und sie wurden satt, und es blieb (davon) übrig, und wir trugen zwölf volle Körbe von Brocken weg, indem wir fragten und sagten: ‚Welche Bewandtnis hat es mit diesen fünf Broten?‘ Sie sind ein Bild unseres Glaubens betreffs des großen Christentums und d. h. an den Vater, den Herrscher der ganzen Welt, und an Jesum Christum, unsern Heiland, und an den heiligen Geist, den Parakleten, und an die heilige Kirche und an die Vergebung der Sünden.

Und dies offenbarte und zeigte uns unser Herr und Heiland und wir euch gleicherweise, damit ihr Genossen an der Gnade des Herrn und unseres Dienstes und an unserer Herrlichkeit seid, indem ihr auf das ewige Leben sinnt. Seid, ohne zu wanken, fest in der Erkenntnis und Erforschung unseres Herrn Jesu Christi, und er wird sich gnädig erweisen und retten immerdar und in alle niemals endende Ewigkeit.“

(Epistula Apostolorum 5(16)-6(17), in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 1. Band. Evangelien, 4. Auflage, Tübingen 1968, S. 129. Englische Übersetzung hier.)

Man sieht hier also dieselbe Struktur, die sich in späteren Bekenntnissen findet.

Aristides fasst den Glauben der Christen folgendermaßen zusammen:

„Die10 Christen nun leiten ihre Abkunft11 von12 Jesus Christus13 her. Dieser wird der Sohn des höchsten Gottes genannt14, und es heißt (von ihm), daß er (als) Gott vom Himmel niederstieg15 und von einer hebräischen Jungfrau Fleisch nahm16 und anzog, und (daß so) in einer Menschentochter der Sohn Gottes Wohnung nahm17. Dies wird gelehrt von dem Evangelium, das – so heißt es bei ihnen – (erst) vor kurzem gepredigt worden ist, (und) dessen Sinn auch Ihr, wenn Ihr darin leset, erfassen werdet. Dieser Jesus also entstammt dem Geschlechte der Hebräer. Er hatte aber zwölf Jünger, damit sein wunderbares18 Heilswerk vollendet würde19. Derselbe wurde von den Juden20 durchbohrt21 [und starb und wurde begraben], und es heißt (von ihm), daß er nach drei Tagen wieder auflebte22 und in den Himmel erhoben23 wurde. Und dann zogen diese zwölf Jünger aus24 in die bekannten Gegenden der Welt25 und lehrten seine Majestät in aller Milde und Ehrbarkeit. Deshalb werden auch diejenigen, die heute an jene Predigt glauben26, Christen genannt, wie sie allbekannt sind.“ (Aristides von Athen, Apologie 2,6-8)

(Die Fußnoten geben u. a. leicht abweichende Varianten in den verschiedenen Manuskripten an.)

Justin der Märtyrer schreibt:

„Unverständige werden, um unsere Lehren zurückweisen zu können, vielleicht einwenden: Da nach unserer Behauptung erst vor 150 Jahren Christus unter Quirinius1 geboren worden ist und da er das, was wir als seine Lehre ausgeben, noch später unter Pontius Pilatus gelehrt hat, so seien alle Menschen, die vorher lebten, der Verantwortung enthoben. Darum wollen wir im voraus diese Bedenken lösen. Daß Christus als der Logos [griechisch für Wort, Ausspruch, Vernunft, Logik: Jesus ist laut dem Prolog des Johannesevangeliums das Wort, der „Logos“ Gottes], an dem das ganze Menschengeschlecht Anteil erhalten hat, Gottes Erstgeborener ist, das ist eine Lehre, die wir überkommen und euch schon vorher dargelegt haben. Die, welche mit Vernunft2 [Logos] lebten, sind Christen, wenn sie auch für gottlos gehalten wurden, wie bei den Griechen Sokrates, Heraklit3 und andere ihresgleichen, unter den Nichtgriechen Abraham, Ananias, Azarias, Elias und viele andere, deren Taten und Namen aufzuzählen wir jetzt als zu weitläufig unterlassen möchten. Daher waren auch die, welche vorher4 ohne Vernunft gelebt haben, schlechte Menschen, Feinde Christi und Mörder derer, die mit Vernunft lebten, wohingegen, wer mit Vernunft gelebt hat und noch lebt, Christ ist und ohne Furcht und Unruhe sein kann. Aus welchem Grunde er nun durch die Kraft des Logos nach dem Ratschlusse Gottes, des Allvaters und Herrn, durch eine Jungfrau als Mensch geboren und Jesus genannt wurde, dann gekreuzigt und gestorben, wieder auferstanden und in den Himmel aufgestiegen ist, das wird aus unseren früheren weitläufigen Darlegungen der Verständige sich erklären können. (Justin, 1. Apologie 46)

Laut dem Bericht, der über sein Martyrium verfasst wurde, sagte Justin bei der Gerichtsverhandlung vor dem römischen Präfekt:

„Der Präfekt Rustikus sagte: An der Gelehrsamkeit dieser Menschen hast du deine Freude, Unseliger! Justinus antwortete: Allerdings, weil ihre Lehre wahr ist. Der Präfekt Rustikus fragte: Welches ist diese Lehre? Justinus antwortete: Die christliche Gottesverehrung besteht darin, daß wir an einen Gott glauben, der die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung gemacht und hervorgebracht hat, und an den Herrn Jesus Christus, von dem die Propheten vorherverkündet haben, daß er dem Menschengeschlechte erscheinen werde als Herold des Heiles und als Verkünder trefflicher Lehren. Ich, ein Mensch, bin zu schwach, solches auszusagen, was seiner unendlichen Gottheit würdig wäre, ich kenne aber eine prophetische Macht an; denn über ihn, den ich hier Sohn Gottes genannt habe, ist vorherverkündet worden; ich weiß, daß durch Eingebung Gottes die Propheten über sein zukünftiges Verweilen unter den Menschen vorhergesagt haben.“ (Martyrium des hl. Justin und Gefährten 2)

Bischof Irenäus von Lyon schreibt gegen Ende des 2. Jahrhunderts:

„Der Glaube bewirkt dies in uns, wie uns die Alten2 , die Schüler der Apostel, überliefert haben. Zuvörderst mahnt er uns zu gedenken, daß wir die Taufe zur Nachlassung der Sünden im Namen Gottes des Vaters empfangen haben, und im Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, der einen Leib angenommen hat, gestorben und von den Toten auferstanden ist, und im heiligen Geist Gottes, und daß diese Taufe das Siegel des ewigen Lebens und der Wiedergeburt in Gott ist, so daß wir nicht mehr Kinder der sterblichen Menschen, sondern des ewigen, immerwährenden Gottes3 sind. Und daß das ewig und beständig Seiende für Gott gehalten werde und hoch über allem Gewordenen4 steht, und daß alles andere5 ihm unterworfen ist, und daß das Gott Unterworfene alles ihm zu eigen machen soll, denn nicht über Fremdes gebietet er und herrscht er, sondern über das Seinige. Gottes sind alle Dinge. Deshalb ist Gott der Allmächtige und alles, was ist, ist von Gott.“ (Irenäus, Erweis der Apostolischen Verkündigung 3)

Die frühen Christen: Eine neue Reihe

Über die frühen Christen – die der ersten drei Jahrhunderte, vor der Konstantinischen Wende – sind besonders zwei Mythen im allgemeinen Bewusstsein verankert: Erstens, dass man über sie eigentlich kaum etwas wisse und kaum Quellen hätte, zweitens, dass sie sicher nicht so gewesen wären wie die spätere katholische Kirche, sondern irgendwie „einfacher“ und vermutlich protestantischer und vermutlich undogmatischer. Ich habe vor über einem Jahr hier schon einmal einen kleinen (unvollständigen) Überblick darüber präsentiert, was für eine Masse an Quellen wir tatsächlich von ihnen haben; seit anderthalb Jahren bin ich jetzt damit beschäftigt, diese Quellen zu lesen und aussagekräftige Exzerpte zu allen möglichen Themen zu sammeln. Inzwischen ist diese Materialsammlung so weit gediehen, dass ich einiges davon meinen Lesern zur Verfügung stellen kann.

Der Anspruch der katholischen Kirche ist etwa folgender:

Die Kirche des 1., 2., 3. Jahrhunderts ist der heutigen katholischen Kirche nicht nur ähnlich, sondern mit ihr identisch, wie ein Schößling identisch ist mit dem ausgewachsenen Baum. Sicher verändern sich manche Äußerlichkeiten; sicher entwickelt sich manches, reift manches, verfestigt sich manches; das ist auch gut so. Manche Lehren, die früher nur keimhaft vorhanden waren oder noch legitimerweise diskutiert wurden, wurden irgendwann klar definiert und festgelegt, manche Dinge in Liturgie, Kirchenrecht, Pastoral haben sich gewandelt. Wie der Baum verschiedene Jahreszeiten durchmacht und vielleicht im einen Jahr von jenen Schädlingen, im nächsten von diesen befallen wird, macht auch die Kirche bessere und schlechtere Zeiten durch und wird im Lauf der Jahrhunderte von verschiedenen schlechten Tendenzen befallen. Aber es findet keine Verwandlung, kein Bruch statt. Im Kern ist es dieselbe Kirche.

Dieser Anspruch muss natürlich belegt werden, und genau dafür sind solche Texte hilfreich – tatsächlich bin ich beim Lesen selber immer wieder ziemlich verblüfft gewesen, wie deutlich katholisch die frühen Kirchenväter waren. (Vulgärprotestantische Vorurteile über Kirchengeschichte stecken tief in einem drin.)

Es geht mir in meiner neuen Reihe nicht darum, die Texte genauer zu analysieren, oder zu bewerten, wo ein einzelner Kirchenvater Recht oder Unrecht hatte (auch die Kirchenväter irrten sich gelegentlich und waren sich gelegentlich uneinig); es geht darum, einen einigermaßen repräsentativen und authentischen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. Ich habe viele typische Stellen gesammelt, wo etliche Texte dasselbe sagen, aber auch die untypischen Ausreißer haben ihren Platz. Die Reihe soll eine Materialsammlung werden, keine wissenschaftliche Arbeit, und ich beschränke meine Kommentare hauptsächlich auf kurze Erklärungen, die zum Verständnis nötig sein könnten. Ich habe nicht den Anspruch, alle vorhandenen Quellen abzubilden, aber schon eine gewisse Masse davon.

Im Folgenden will ich insbesondere folgende Themen behandeln:

  • Was waren die zentralen Punkte des Glaubens? Was war die Gottesvorstellung der frühen Christen? Was für eine Bedeutung hatte Jesus für sie – für wen hielten sie Ihn, was bedeutete Sein Tod am Kreuz? Welche Ansätze gab es bzgl. der Dreifaltigkeitslehre?
  • Was verstanden sie unter dem Begriff „Kirche“, welche Kirchenämter gab es und wie sah das Gemeindeleben konkret aus? Welche Rolle spielten die Gemeinde und der Bischof von Rom (der Papst) in der Weltkirche?
  • Was bedeutete die Bibel, welche Texte galten als heilige Schriften?
  • Was hielt man von Abspaltungen und Irrlehren?
  • Wie sah es aus mit Taufe, Eucharistie, Buße, Fasten, Gebet, also mit den Sakramenten und der praktischen Frömmigkeit?
  • Wie sahen die ersten Christen das Thema Rechtfertigungslehre? Glaube und Werke oder nur der Glaube? Freier Wille oder Prädestination?
  • Welche Rolle spielte das gottgeweihte (ehelose) Leben (geweihte Jungfrauen, geweihte Witwen usw.)?
  • Welche Rolle spielten Propheten, Visionen, Träume?
  • Welche Moralvorstellungen gab es? Insbesondere auch zu Themen wie Abtreibung, Kindesaussetzung, Keuschheit?
  • Welche Rolle hatten christliche Frauen und Kinder, was waren die Idealvorstellungen für Ehe und Familie?
  • Freie, Sklaven, Arme, Reiche etc. – wie lebten die verschiedenen Gruppen in der Gemeinde zusammen, wie betrachtete man solche Dinge wie weltlichen Reichtum und Status?
  • Die letzten Dinge: Was glaubte man über Himmel, Hölle, Auferstehung des Fleisches, Wiederkunft Christi, Fegefeuer?
  • Wie dachte man über Engel, Dämonen und den Satan?
  • Die Christenverfolgungen: Welche Sicht hatten ihre Verfolger auf die Christen? Was bedeuteten die Verfolgungen für die Christen selbst? Wie gingen die Gemeinden damit um?
  • Wie verehrte man Heilige, insbesondere Märtyrer, Apostel, Propheten und die Jungfrau Maria?
  • Wie sah man heidnische Kulte und abergläubische Praktiken? Wie sah man heidnische Philosophien?

Hauptsächlich habe ich folgende Quellen verwendet: Die digitalisierte Version der „Bibliothek der Kirchenväter“ auf der Seite der Universität Freiburg (hier die alte Version der Seite), die „Siegener antiken Texte zur Umwelt des Neuen Testaments“ auf der Seite der Universität Siegen, das zweibändige Werk „Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung“ von Edgar Hennecke und Wilhelm Schneemelcher, und zur Ergänzung die englische Sammlung unter „Early Christian Writings“. Ich verlinke alle in den kommenden Artikeln aufgeführten Stellen, damit die Leser ihren Kontext nachschauen können (zu manchen Texten, deren deutsche Übersetzung ich aus Schneemelchers Buch habe, gibt es online leider nur eine englische auf Early Christian Writings).

Am Anfang jedes Artikels werde ich auch noch Bibelstellen nennen, die das jeweils behandelte Thema betreffen, damit die Leser sie mit den Schriften der Kirchenväter vergleichen können.

Weil inzwischen schon so enorm viel Material zusammengekommen ist und ich immer noch nicht mit allem fertig bin, habe ich das Ganze allerdings auf verschiedene Phasen aufgeteilt und veröffentliche schon mal einen Teil; in der ersten Phase kommen Artikel dazu, was verschiedene Kirchenväter bis ca. 200 n. Chr. über bestimmte Themen lehrten, in der zweiten Phase dann nochmal dasselbe von 200 bis 300 n. Chr. (bzw. kurz nach 300). In die erste Phase fallen viele kleinere Texte, in die zweite eher Schriften von bekannteren Kirchenvätern, die ziemlich viel produziert haben, von solchen wie Clemens von Alexandria, Tertullian, Origenes, Cyprian von Karthago, Hippolyt von Rom (und von ein paar unbekannteren wie Gregorius Thaumaturgus und Arnobius Major).

(Die Abgrenzung ist nicht ganz strikt; Tertullian hat ein paar seiner Werke schon in den 190ern geschrieben, Clemens von Alexandria auch um, vielleicht schon vor 200. Umgekehrt habe ich auch ein paar um 200 entstandene kleinere Werke noch in die erste Phase aufgenommen (z. B. die Märtyrerakten der hl. Perpetua und Felicitas aus dem Jahr 203).)

Ich bin für die erste Phase folgende Texte folgender Autoren ganz durchgegangen (ganz grob und mit Unsicherheiten im Detail chronologisch geordnet):

Bei ein paar Schriften ist die Datierung ziemlich schwer; man kann eigentlich nur sagen, dass sie ins 2. Jahrhundert fallen müssten. Das sind:

Dazu kommen Zitate aus Eusebius von Cäsareas „Kirchengeschichte“, die aus älteren, nicht mehr erhaltenen Werken stammen (z. B. von Papias oder Gaius von Rom), und seine Berichte über Vorkommnisse bis 200 n. Chr.; grob gesagt aus den ersten fünf der zehn Bücher der „Kirchengeschichte“. Er hat vermutlich teilweise vor, teilweise kurz nach der Konstantinischen Wende (313) geschrieben.

Diese Texte decken eine große Bandbreite von Genres ab: Da hätten wir u. a. Briefe von Bischöfen an Gemeinden und andere Bischöfe (z. B. Ignatiusbriefe, Brief des Polykarp); theologische und philosophische Werke (z. B. bei Irenäus, Athenagoras); Verteidigungsschriften von Christen, die an ein heidnisches Publikum gerichtet waren (die sog. Apologien, z. B. bei Aristides und Justin – griechisch „Apo-Logia“ = Gegenrede, Verteidigung); Berichte von Martyrien, die die Gemeinden hinterher anfertigten (z. B. über Polykarp, Justin, die Scilitanischen Märtyrer); Legenden über die Apostel (z. B. Paulusakten, Petrusakten); apokryphe Berichte über Jesus (z. B. Epistula Apostolorum); Privatoffenbarungen / prophetische Schriften (Hirte des Hermas, Sibyllinen), eine Grabinschrift eines Bischofs (Aberkios), usw.

Außerdem habe ich einzelne Stellen folgender nichtchristlicher Autoren herangezogen, ohne ihre vollständigen Werke gelesen zu haben:

Werke, die ich nicht mehr angeschaut habe, wären z. B. die Andreasakten, die Himmelfahrt des Jesaja oder das Kindheitsevangelium des Thomas. Irgendwann muss auch mal gut sein, und die wichtigsten Schriften aus dem späten 1. und dem 2. Jahrhundert sollte ich abgedeckt haben.

Für die Quellenangaben benutze ich die ausgeschriebenen deutschen Werktitel, nicht die lateinischen Abkürzungen, die in der wissenschaftlichen Literatur üblich sind, damit es für die Leser einfacher ist.

In beiden Phasen kommen auch ein paar archäologische Quellen dran, z. B. das Spottkreuz vom Palatin (2. Jahrhundert) oder Fresken aus der Hauskirche in Dura Europos (3. Jahrhundert).

Wenn ich mit beiden Phasen, die sich mit den Ansichten und dem Leben der rechtgläubigen – ach, sagen wir es doch einfach: der katholischen – Christen befasst haben, durch bin, kommt noch eine dritte Phase zum Verhältnis dieser Christen zu rivalisierenden/gegnerischen Gruppen, insbesondere Abspaltungen von der Kirche (Montanisten, Novatianer, Ebioniten etc.), pseudo-christlichen esoterischen Sekten (Gnostiker) und den damaligen nicht-christlichen Juden. Dazu gehe ich das durch, was Katholiken gegen sie schrieben, und das, was von ihnen selbst erhalten ist; dazu gehören ja z. B. auch eigene „Evangelien“ der Gnostiker aus dem 2. und 3. Jahrhundert. Diese Phase ist vermutlich eher für die historischen Interessierten von Bedeutung und hat wenig praktische Relevanz für heute.

Also: Enjoy! Hier geht es los mit dem ersten Teil und frühchristlichen Glaubensbekenntnissen; und alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Oh Haupt voll Blut und Wunden

O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!

Спаситель в терновом венце.jpg*

 
Du edles Angesichte,
davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte:
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht’?

Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht
ist hin und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.

Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last;
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad.

Erkenne mich, mein Hüter,
mein Hirte, nimm mich an.
Von dir, Quell aller Güter,
ist mir viel Guts getan;
dein Mund hat mich gelabet
mit Milch und süßer Kost,
dein Geist hat mich begabet
mit mancher Himmelslust.

Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen
im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen
in meinen Arm und Schoß.

Es dient zu meinen Freuden
und tut mir herzlich wohl,
wenn ich in deinem Leiden,
mein Heil, mich finden soll.
Ach möcht ich, o mein Leben,
an deinem Kreuze hier
mein Leben von mir geben,
wie wohl geschähe mir!

Ich danke dir von Herzen,
o Jesu, liebster Freund,
für deines Todes Schmerzen,
da du’s so gut gemeint.
Ach gib, dass ich mich halte
zu dir und deiner Treu
und, wenn ich nun erkalte,
in dir mein Ende sei.

Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

 

* Zeichnung von Viktor Vasnetsov. Gemeinfrei.

Christliche Kultur am Sonntag: Die Passion Christi

Bei christlichen Sachbüchern findet man bekanntlich relativ leicht gute Sachen; bei Romanen, Filmen oder Kinderbüchern sieht es allerdings manchmal schwieriger aus, auch wenn einige vermutlich gern mehr davon besäßen. Dabei gibt es eigentlich auch hier viel Gutes, wenn man näher hinschaut, und weil nicht allen alles bekannt ist, dachte ich, ich stelle meinen Lesern hier mal jede Woche kurz ein Werk vor – hauptsächlich katholische Sachen, aber wenn es von guter Qualität ist, auch mal was aus anderen Konfessionen; nicht nur Hochkultur, sondern auch eher Populärkultur (aber halbwegs gut gemacht soll es sein); und sowohl solches mit explizit religiösen Inhalten (im Einzelfall auch mal, wenn es von persönlich nicht sehr frommen Menschen kommt), als auch Werke von überzeugten Christen ohne explizite Botschaft. Viele werden bestimmte Klassiker schon kennen, aber andere vielleicht noch nicht.

Und weil ich ja auch nicht alles kennen kann: Wer ein katholisches Lieblingsbuch, einen Film o. Ä. hat, von dem er schon immer mal mehr Leuten erzählen wollte, darf mir gern über die „Contact“-Seite schreiben und vielleicht ergibt sich ein Gastbeitrag.

 

Heute: „Die Passion Christi“

Passend zur beginnenden Karwoche ein entsprechender Film: Über diese unglaubliche Verfilmung der Passion, die mit Mel Gibson übrigens ein Tradi-Katholik gemacht hat, muss wohl nicht viel gesagt werden. Zwei Sachen sind vielleicht noch ausdrücklich zu erwähnen, die den Film von anderen neueren Jesus-Filmen abheben:

Erstens, der Jesus-Darsteller schaut tatsächlich annähernd wie Jesus aus.

Zweitens, der ganze Film ist in den Originalsprachen gehalten – die Darsteller sprechen Aramäisch, Griechisch, Latein. (Dazu gibt es Untertitel.) Das gibt schon ein gewisses Gefühl davon, mittendrin zu sein in Jerusalem vor 2000 Jahren.

Wenn man sich am Karfreitag oder auch vorher neben der gestreamten Karfreitagsliturgie noch etwas anderes ansehen will, sollte es dieser Film sein.