Man bekommt es manchmal zu hören und seltsamerweise scheinen es die, die es erzählen, immer für sehr beeindruckend zu halten: Eins der Paradoxa des griechischen Philosophen Zeno. Achilles macht einen Wettlauf mit einer Schildkröte, die einen Vorsprung bekommt. Achilles läuft zwar schneller, kann die Schildkröte aber nie einholen, weil er dafür erst ihren Vorsprung einholen müsste. Aber dafür müsste er erst den Punkt erreichen, an dem sie war, als er losgelaufen ist, dann den Punkt, an dem sie ist, wenn er diesen Punkt erreicht, und so kann man die Strecke immer weiter in unendlich viele Teile unterteilen, die immer kleiner werden.
Dass die Realität das Paradoxon widerlegt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass mit der Logik etwas nicht stimmt, und es ist eben auch nicht schwer zu sehen, was. Das Paradoxon geht davon aus, dass eine begrenzte Strecke, da in unendlich viele Teile teilbar, eigentlich unendlich ist, was offensichtlich falsch ist. Nehmen wir eine Strecke von einem Kilometer.
Wenn man diesen 1 Kilometer in 2 Teile teilt, braucht man für jedes 1/2 der Zeit.
Wenn man ihn in 4 Teile teilt, 1/4 der Zeit.
Und wenn man ihn in unendlich viele Teile teilt, 1/unendlich, d. h. unendlich wenig Zeit, für ein Teilstück. Wenn man ein Teilstück in dieser unendlich kleinen Zeit zurücklegt, legt man die Gesamtstrecke in einer begrenzten Zeit zurück.
Wenn man etwas Begrenztes in unendlich viele Teile teilt, werden diese auch unendlich klein. Und alle diese Teilungen existieren sowieso nur potentiell; konkret ist die Strecke, wie sie ist, oder kann sie jeweils immer nur in eine bestimmte Zahl von kleineren Strecken unterteilt sein.

Vielleicht müsste ich keinen Blogpost über etwas schreiben, das jeder bei Wikipedia nachlesen kann, aber ich will hier eigentlich sagen:
Manchmal kommen Leute mit scheinbar verblüffenden Sprüchen, Paradoxa, Vergleichen, die aber komplett gegen den gesunden Menschenverstand zu verstoßen scheinen. Und nicht immer, aber oft, sind diese Paradoxa tatsächlich einfach dumm und falsch, und da muss man sich nicht total aus dem Konzept bringen lassen davon, dass man im Moment keine ausführliche Widerlegung parat hat. Man kann ruhig erst mal abwarten und schauen.
Liebe Crescentia, Ihr Posting klingt mir ein bisschen danach, als seien Sie in eine Diskussion hineingeraten, in der irgendein Schwätzer stolz Zenons Paradoxa verkündet hat. Sie haben natürlich recht, dass man bei Wikipedia das Wesentliche darüber nachlesen kann. Neben der von Ihnen aufgezeigten Logik gibt es aber noch einen anderen Grund, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.
Falls Ihr Diskussionspartner das ernst gemeint und sich mit seinem Halbwissen aufgeblasen hat, muss man nämlich auch sagen, dass er geistesgeschichtlich wie mathematisch noch eine ganze Menge zu lernen hat. Im Grunde geht es bei Zenons Paradoxa ja um die geometrische Reihe – dass man unter bestimmten Voraussetzungen etwas ‚unendlich‘ aufsummieren kann und sich die Partialsummen dabei einem endlichen Wert annähern, ist schon seit Langem bekannt, im lateinischen Europa mindestens seit Richard Swineshead und Nikolaus von Oresme (14. Jh., darunter ein katholischer Bischof, ach?) bekannt; spätestens seit Leonhard Eulers (wirklich wunderbarem!) Lehrbuch zur Algebra (1770) darf das als Allgemeinwissen in deutscher Sprache angesehen werden.
Ein weiterer Punkt kommt noch dazu. Über Zenon von Elea wissen wir herzlich wenig – noch nicht einmal, ob er ‚Mathematiker‘ oder ‚Naturforscher‘ im engeren griechischen Sinne gewesen ist! –, eigentlich nur das, was in der Physik von Aristoteles zitiert ist. Daher können wir nichts darüber sagen, worauf Zenon eigentlich abgezielt und ob er seine Paradoxa überhaupt ernst gemeint hat. Es spricht viel dafür, dass sich Zenon der Unhaltbarkeit seiner Argumente bewusst gewesen ist und sie möglicherweise den Zweck hatten, bestimmte Argumentationsfiguren bei den Sophisten lächerlich zu machen. Bei Gelegenheit recherchiere ich mal, was die spätantiken Kommentatoren dazu sagen…
Als Beleg: „We know of Zeno’s Arguments only through Aristotle, who quotes them in his Physics in order to refute them, and it is not clear, what Zeno himself wished to achieve. Was there, for example, a tendency towards speculation about infinity that he disapproved of? His arguments are so extreme they could almost be parodies of loose arguments about infinity he heard among his contemporaries“; John Stillwell, Mathematics and its History. Third Edition, New York et al.: Springer 2010, 54.
(Dass Zenons Paradoxien durch Weierstrass [vgl. Sir Thomas Heath, A History of Greek Mathematics] und die Quantenphysik in gewisser Weise rehabilitiert worden sind, ist eine Sache, zu der ich mich nicht fundiert äußern kann – es würde aber für mich als Historiker wenig daran ändern, dass Zenons Paradoxien trotzdem eine antisophistische Parodie gewesen sein könnten.)
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Das ist interessant, das würde mehr Sinn ergeben!
– Crescentia.
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