Ein beleidigter Gott?

Im klassischen Akt der Reue, einem Gebet zur Erweckung der Liebesreue, heißt es: „Mein Gott, aus ganzem Herzen bereue ich alle meine Sünden, nicht nur wegen der gerechten Strafen, die ich dafür verdient habe, sondern vor allem, weil ich dich beleidigt habe, das höchste Gut, das würdig ist, über alles geliebt zu werden. Darum nehme ich mir fest vor, mit Hilfe deiner Gnade nicht mehr zu sündigen und die Gelegenheiten zur Sünde zu meiden. Amen.“

Das Wort „beleidigt“ kann einem hier erst mal komisch vorkommen – ist Gott beleidigt und zieht sich schmollend zurück, wenn wir etwas Falsches tun? Da sieht man aber einfach, wie sich Worte wandeln: früher meinte „beleidigt“ weniger „schmollend“ und eher einfach „verletzt“. Beleidigung = Verletzung. Be-LEID-igung = Zufügen von Leid. Wie ein Vater, der dich liebt und dir das Richtige beigebracht hat, verletzt ist, wenn du kriminell wirst, ist Gott gewissermaßen durch unsere Sünden verletzt, weil Er uns liebt, und weil Er auch die anderen Menschen liebt, gegen die wir sündigen, und weil Er das Gute in Person ist, das hier angegriffen wird.

Wobei man hier sagen muss, dass es das Wort „verletzt“ immer noch nicht hundertprozentig trifft; denn es ist so, dass Gott sich nicht wirklich angreifen und unglücklich machen lässt; Er hat in sich vollkommenes Glück. Und wenn Menschen sündigen, machen sie damit im Endeffekt sich selbst unglücklich und nicht Gott. Er ist verletzt nur in einem übertragenen, uneigentlichen Sinn.

Ein passender Vergleich könnte sein: Wer einen Leichnam schändet, kann damit dem Toten nicht mehr schaden, aber er zeigt trotzdem seine Verachtung oder seinen Hass oder seine Kaltherzigkeit – nur wütet er quasi ins Leere. Wer einen Altar anspuckt oder eine Kirche beschmiert, kann damit Gott nicht schaden, er macht sich nur selbst hasserfüllt. Sein Wüten ist real, es ist eine reale Verachtung Gottes, aber es geht ins Leere. Genauso haben wir bei allen Sünden nicht die Macht, Gott zu schaden – wäre ja noch schöner, wenn wir Macht darüber hätten, Ihn unglücklich zu machen -, aber damit verachten wir Ihn, zeigen unsere Verachtung dafür, wie sehr Er uns liebt und was Er für uns tut und getan hat, „beleidigen“ Ihn.

Man könnte also auch gut beten: „weil ich dich verachtet habe“ – dich und deine Liebe, Güte, Barmherzigkeit.

Ein Gedanke zu “Ein beleidigter Gott?

  1. Wenn Gott, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, leidensfähig wäre – wie kann Er dann „actus purus“ sein, reine Aktualität, reine Aktivität? Und doch hat Er, in einem Akt einer alles menschliche Verstehen übersteigenden Liebe, sich selbst Seiner Allmacht begeben, sich ent-äußert (ἐκένωσεν), wie es der Apostel nennt: der Logos, die zweite Person Gottes, wurde Mensch und damit leidensfähig. In einem über-zeitlichen Sinn wirken wir an Seiner Kreuzigung mit, wenn wir sündigen. Das Kirchenlied „O Haupt voll Blut und Wunden“ weiß von diesem Geheimnis (auch die Sünde hat ihre Geheimnisse), wenn es da heißt:

    Nun, was du, Herr, erduldet,
    ist alles meine Last;
    ich hab es selbst verschuldet,
    was du getragen hast.
    Schau her, hier steh ich Armer,
    der Zorn verdienet hat.
    Gib mir, o mein Erbarmer,
    den Anblick deiner Gnad.

    Im Grunde können daher nur Christen vom beleidigten Gott reden, denn nur Christen glauben an die Menschwerdung des allmächtigen Gottes. Indem Er uns in allem gleich geworden ist außer in der Sünde, wurde Er – in einem freiwilligen Liebes-Akt – auch leidensfähig.

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