„Wächter der Tradition“ oder auch nicht

Am 16. Juli ist ein neues Motu Proprio von Papst Franziskus erschienen, und wer sich denkt, das lässt schon das Schlimmste vermuten, dem sei gesagt: Ja.

„Traditionis Custodes“, „Wächter der Tradition“ sind die ersten Worte des Textes, und der ganze Text bleibt ein zynisches Reinwürgen, ein einziger Schlag in die Magengrube. (Allerdings ist es auch bisher ein Reinwürgen mit begrenztem Erfolg geblieben, aber dazu nachher).

Erst mal zum Inhalt. Franziskus nimmt hier Summorum Pontificum zurück, das Motu Proprio von Benedikt XVI. aus dem Jahr 2007, mit dem die Zelebration der alten Messe allen Priestern erlaubt wurde, und geht eigentlich noch ein gutes Stück dahinter zurück. Der instabile liturgische Friede der letzten Jahre, der darin bestand, von der „ordentlichen“ und der „außerordentlichen“ Form des römischen Ritus zu reden, die beide Ausdrucksformen desselben Glaubens seien und nebeneinander bestehen sollten, wird gleich in Art. 1. aufgekündigt:

„Die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgierten liturgischen Bücher sind die einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus.“

Eigentlich erstaunlich: Hier wird gesagt, dass etwas, das jahrtausendelang ziemlich unverändert den Glauben ausgedrückt hat (die alte Messe), ihn jetzt nicht mehr ausdrücken dürfe. (Im Begleitbrief zum Motu Proprio heißt es dazu „Als die zum Ökumenischen Konzil versammelten Bischöfe eine Erneuerung dieses Ritus gefordert haben, wollten sie nicht seine Würde und seine Größe in Abrede stellen. Ihre Absicht war, dass die ‚Gläubigen diesem Geheimnis des Glaubens nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer beiwohnen; sie sollen vielmehr durch die Riten und Gebete dieses Mysteriums wohl verstehen lernen und so die heilige Handlung bewusst, fromm und tätig mitfeiern‘.“ Wirklich ein erstaunlicher Zynismus gegenüber den Gläubigen, die die heilige Handlung in der alten Messe viel bewusster mitfeiern können, und eine erstaunliche Frechheit, zu behaupten, die Gläubigen hätten zuvor in der Messe alle Außenstehende sein müssen.) Es war zwar immer ein bisschen gekünstelt, die neue Messe als eine legitime, einfach etwas andere Form zu sehen – sie war immer nur eine zusammengestutzte, aufs Allernötigste begrenzte Form der alten Messe, weder ketzerisch noch besonders ausdrucksvoll und gut -, aber es ist schon ein bisschen lächerlich, sie als die Form zu bezeichnen, die die größere Andacht bewirkt, angesichts dessen, wie viel herausgestrichen und banalisiert wurde.

In Art. 2 wird dann wieder dem Diözesanbischof die Zuständigkeit dafür zugewiesen, die Feier der alten Messe zu regeln. Dabei freilich soll er auch gewisse römische Vorgaben aus Art. 3 beachten. Er habe:

„sicherzustellen, dass diese Gruppen [die die alte Messe feiern] nicht die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste ausschließen“

In diesem eigentlich (für Franziskus‘ Verhältnisse) erstaunlich klar und knapp formulierten Dokument ein recht schwammiger Absatz. Wenn jemand sagt „akzeptierst du das Konzil und das Lehramt der letzten Päpste?“ kann erstens gemeint sein „hältst du es für ein gültiges Konzil und diese Päpste für legitime Päpste?“. Diese Frage sollte m. W. jeder Katholik bejahen. Die Gültigkeit von Konzilien und Pontifikaten sind mit der Lehre eng verbundene Tatsachen, und Gott gibt uns auch die Sicherheit, dass allgemein anerkannte Päpste und Konzilien gültig sind. (Zum Thema Sicherheit bei der Gültigkeit von Pontifikaten mehr hier.) Aber wie auch immer: Die allermeisten Tradis werden diese Frage ohne große Probleme eindeutig mit „Ja“ beantworten. Es könnte aber zweitens gemeint sein „hältst du jedes Wort, jeden Halbsatz und jede Fußnote in den Dokumenten des Konzils und der letzten Päpste für wahr?“. Auf diese Frage muss man nun nicht mit einem uneingeschränkten Ja antworten. Man kann die Dinge nicht einfach in Bausch und Bogen verurteilen, aber man kann sehr wohl der Meinung sein, dass in den nicht unfehlbaren Teilen Dinge falsch formuliert, missverständlich, zweideutig oder auch mal einfach falsch sein könnten – zumindest da, wo sie früheren Dokumenten des Lehramts widersprechen, denn ganz ohne Grund sollte man diese Dokumente auch nicht angreifen. Diese Meinung vertrete z. B. ich, die Piusbruderschaft, zumindest große Teile der „gemäßigteren“ Tradis in FSSP-Richtung, und auch manche konservative Novus-Ordo-Katholiken. Selbst wer noch die Konzilsdokumente verteidigt, was viele Konservative tun, wird zumindest mit einer gewissen Fußnote in Amoris Laetitia seine Probleme haben. Es könnte aber auch noch drittens gemeint sein „hältst du alle Neuerungen, die sich auf die Stoßrichtung des Konzils und der neueren Päpste berufen, für ganz toll?“ und hier kann jeder Katholik getrost „nein“ sagen, und alle Tradis und konservative Novus-Ordo-Katholiken werden das tun. Im Zuge der nachkonziliaren Reformen wurde bekanntlich auch vieles in einer Weise umgesetzt, die den zurückhaltend formulierten Konzilsdokumenten eindeutig widerspricht. (Aber als ob es etwas bringen würde, darauf hinzuweisen!)

Ähnlich sieht es mit der Frage nach der Legitimität der Liturgiereform aus. Sie ist eine rein gesetzliche Änderung und damit nicht unfehlbar. Und was soll man jetzt akzeptieren? Dass in der neuen Messe keine Häresie ausgedrückt wird? Das akzeptiert auch die Piusbruderschaft. Soll man sie für genauso gut wie die alte Messe halten, nur eben nicht nach dem eigenen Geschmack, soll man finden, dass die Reform eine gute Idee war und den Menschen geholfen hat? Das muss kein Katholik finden. Jeder Katholik kann z. B. der Meinung sein, dass hier eine Verstümmelung der Liturgie passiert ist, die dazu beigetragen hat, die Leute aus den Kirchen zu treiben, indem sie ihnen den Eindruck gab, jetzt werde hier ein anderer Glaube verkündet und es wäre eh nichts, was die Kirche verkünde, fest und sicher. Dafür kann man nicht zum Häretiker erklärt werden.

Und dieser Art. 3 § 1 bietet jetzt eine leichte Handhabe dafür, gegen Tradis vorzugehen, die solche für Katholiken völlig erlaubten Meinungen vertreten.

Außerdem hat der Bischof nach Art. 3 § 2:

„einen oder mehrere Orte zu bestimmen, wo die Gläubigen, die zu diesen Gruppen gehören, sich zur Eucharistiefeier versammeln können (jedoch nicht in den Pfarrkirchen und ohne neue Personalpfarreien zu errichten)“

Mit anderen Worten, wenn die FSSP bisher in der Pfarrkirche zelebriert hat, soll sie daraus vertrieben werden und sich irgendwo eine andere Bleibe suchen. So verringert man natürlich auch die „Gefahr“, dass neugierige Gläubige aus der Novus-Ordo-Pfarrei einfach mal reinschauen. Kirchliche Einheit? Nein, man sperrt die eine Gruppe eben aus. Neue Personalpfarreien sollen die Tradis auch nicht bekommen; sie sollen also ausnahmsweise schon mal die Messe für Leute feiern dürfen, die dazu kommen, aber ihre Gläubigen nicht in der Form eigener Pfarreien organisieren dürfen. (Eine Personalpfarrei ist eine Pfarrei, in der die Zugehörigkeit nicht über den Wohnort bestimmt ist wie bei einer Territorialpfarrei, sondern über Merkmale der Personen.)

Der Bischof habe außerdem:

„am angegebenen Ort die Tage zu bestimmen, an denen die Feier der Eucharistie unter Verwendung des vom heiligen Johannes XXIII. 1962 promulgierten Römischen Messbuchs möglich ist. Bei diesen Feiern sollen die Lesungen in der Volkssprache vorgetragen werden, wobei die Übersetzungen der Heiligen Schrift zu verwenden sind, die von den jeweiligen Bischofskonferenzen für den liturgischen Gebrauch approbiert wurden“

Der Bischof könnte also nach diesem Motu Proprio auch bestimmen, dass die alte Messe z. B. nicht sonntags gefeiert werden dürfe und die Gläubigen damit nach Möglichkeit an den Sonntagen in den Novus Ordo zwingen. Was die Lesungen angeht: Ich finde es tatsächlich am besten, wie ich es bei der alten Messe bisher immer erlebt habe: Der Priester trägt zuerst feierlich gegenüber Gott die heiligen Worte aus der Schrift auf Latein am Altar vor, und dann werden sie noch einmal auf der Landessprache (in einer älteren Übersetzung) von der Kanzel aus vorgelesen, bevor die Predigt kommt. So leidet weder die Heiligkeit noch die Verständlichkeit. Jetzt soll die Lesung sofort in der Landessprache vorgetragen werden, und das in manchmal neueren, zweifelhaften Übersetzungen.

Dann habe der Bischof:

„einen Priester zu ernennen, der als Beauftragter des Bischofs mit der Zelebration und der pastoralen Sorge für diese Gruppen von Gläubigen betraut wird. Der Priester soll für diese Aufgabe geeignet sein, eine Kompetenz im Hinblick auf den Gebrauch des Missale Romanum vor der Reform von 1970 besitzen, eine derartige Kenntnis der lateinischen Sprache haben, die es ihm erlaubt, die Rubriken und die liturgischen Texte vollständig zu verstehen, von einer lebendigen pastoralen Liebe und einem Sinn für die kirchliche Gemeinschaft beseelt sein. Es ist nämlich erforderlich, dass dem beauftragten Priester nicht nur die würdige Feier der Liturgie, sondern auch die pastorale und spirituelle Sorge um die Gläubigen am Herzen liegt

Mit anderen Worten, die Tradis sollen einen Aufpasser bekommen, der schaut, dass sie nicht zu aufsässig werden, und darum wird ein gewisses Blabla mit Schlagworten von wegen „würdig“, „pastoral“ usw. gemacht.

Der Bischof habe auch:

„in den Personalpfarreien, die zum Wohl dieser Gläubigen kanonisch errichtet worden sind, eine entsprechende Überprüfung in Bezug auf deren tatsächliche Nützlichkeit für das geistliche Wachstum durchzuführen und zu bewerten, ob sie beizubehalten sind oder nicht“

„deren tatsächliche Nützlichkeit für das geistliche Wachstum“ – so etwas zu hören, während Tradipfarreien wachsen und gedeihen und in Novus-Ordo-Pfarreien der Altersdurchschnitt bei ca. 75 liegt, ist schon etwas zynisch. Hier wird eben ein leichter Vorwand geschaffen, unliebsame Personalpfarreien loszuwerden.

Zuletzt habe der Bischof:

„dafür Sorge zu tragen, die Bildung neuer Gruppen nicht zu genehmigen“

Spätestens hier wird es klar: Der Papst ist erschrocken über das Wachstum der Tradis und will sie jetzt so lange im Würgegriff halten, bis sie ausgestorben sind. Noch ein paar Ausnahmeerlaubnisse für die alte Messe, vorübergehend, am Ende soll nur der Novus Ordo übrig bleiben.

Artikel 4 geht in dieselbe Richtung:

„Die Priester, die nach der Veröffentlichung dieses Motu Proprio geweiht werden und beabsichtigen, nach dem Missale Romanum von 1962 zu zelebrieren, müssen eine formale Anfrage an den Diözesanbischof richten, der vor der Erteilung der Genehmigung den Apostolischen Stuhl konsultiert.“

Also doch keine so vollkommene Zuständigkeit des Diözesanbischofs; Rom kann neugeweihten Priestern einfach verweigern, die alte Messe zu feiern, selbst wenn der Bischof es erlauben würde. Aber auch für bereits geweihte Priester gibt es gemäß Art. 5 keine so wirkliche Sicherheit:

„Die Priester, die schon nach dem Missale Romanum von 1962 zelebrieren, sollen vom Diözesanbischof die Genehmigung erbitten, weiterhin von dieser Befugnis Gebrauch zu machen.“

Art. 6 legt fest:

„Die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, die seinerzeit von der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei errichtet wurden, gehen in die Zuständigkeit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften apostolischen Lebens über.“

Man will keine dauerhaft neben den Novus-Ordo-Gemeinschaften bestehenden traditionellen Orden, sie sollen eingegliedert werden und wahrscheinlich in absehbarer Zeit die neue Messe übernehmen. Nicht nur Summorum Pontificum wird zurückgenommen, nicht einmal mehr die Garantien von Ecclesia Dei von 1988 sollen gelten.

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Elevation der Hostie, aus einem Volkschullehrbuch von 1920.

In einem Begleitbrief erklärt Franziskus seine Gründe für das Motu Proprio. Die Erlaubnis zur Feier der alten Messe sei bisher nur gegeben worden, um denen, die noch an der alten Messe hingen, die Einheit mit der Kirche zu erleichtern, aber die Tradis hätten sich als Spalter, die das 2. Vatikanum ablehnten und damit am Heiligen Geist zweifelten, gezeigt. Gründe, die alte Messe vorzuziehen, werden nicht anerkannt: „Wer mit Andacht nach der vorherigen Form der Liturgie zelebrieren möchte, wird keine Schwierigkeiten haben, im gemäß der Absicht des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerten Römischen Messbuch alle Elemente des Römischen Ritus zu finden, besonders den Römischen Kanon, der eines der charakteristischsten Elemente darstellt.“

Eine Stelle klingt schon extrem zynisch: „Bei dieser Entscheidung ermutigt mich die Tatsache, dass auch der heilige Pius V. nach dem Konzil von Trient alle Riten außer Kraft gesetzt hat, die nicht ein nachgewiesenes Alter für sich in Anspruch nehmen konnten, und für die ganze lateinische Kirche ein einziges Missale Romanum vorgeschrieben hat.“ Pius V. hat kleine Neuerungen abgeschafft, also muss man jetzt eine extreme Neuerung zur einzig gültigen Form erheben?

Dass die neue Messe bald die einzige Messe sein soll, wird hier sehr deutlich gemacht:

„Es ist vor allem Eure Aufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass man zu einer einheitlichen Zelebrationsform zurückkehrt, und in jedem einzelnen Fall die Realitäten der Gruppen zu überprüfen, die nach diesem Missale Romanum zelebrieren.

Die Anweisungen, wie in den Diözesen vorzugehen ist, werden hauptsächlich von zwei Grundsätzen geleitet: Einerseits gilt es, für das Wohl derer zu sorgen, die in der vorhergehenden Zelebrationsform verwurzelt sind und Zeit brauchen, um zum Römischen Ritus zurückzukehren, wie er von den Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II promulgiert wurde.“

Man erlaubt ein wenig Zeit, um zum neuen Ritus „zurückzukehren“ – und das war es dann schon. „Traditionis Custodis“ ist eine Regelung, die das kontrollierte Aussterben der Tradis einleiten soll. Aber eine Regelung, die zu spät kommt.

Da wäre erst einmal die erstaunlich postive Reaktion der Bischöfe zu nennen: Bis jetzt hört man vor allem, dass die Bischöfe bisher bestehende Gemeinschaften bestehen lassen wollen (und das sogar aus so absolut verlotterten Diözesen wie Rottenburg-Stuttgart!), oder dass sie das Motu Proprio erst noch studieren müssten. Auch in solchen Hochburgen der Tradition wie Frankreich und den USA sieht es zumindest nach Bestandsschutz aus und zumindest einige Bischöfe unterstützen die Tradis sogar aus offensichtlicher Sympathie. Natürlich gibt es auch ein paar andere Reaktionen – die Bischöfe Costa Ricas verbieten schon mal im Vorhinein alle Bemühungen um die alte Messe, die es bei ihnen vielleicht geben könnte -, aber diese Reaktionen sind nicht so häufig, wie man zuerst erwartet haben könnte.

Die alte Messe ist inzwischen normalisierter geworden, und hat sich weiter verbreitet. Vielleicht wollen manche Bischöfe einfach keinen Wirbel und lassen die Dinge deshalb wenigstens erst mal so, wie sie sind. Vielleicht wollen sie auch nicht, dass frustierte FSSP-Messbesucher zur FSSPX abwandern. Es fragt sich, mit wie vielen Bischöfen Franziskus sich tatsächlich beraten hat, wie er in der Einleitung seines Motu Proprio behauptet.

Bzgl. der alten Messe gab es ja seit der Liturgiereform mehrere Perioden in der Kirche:

1970-1988: Die neue Messe ist eingeführt worden; die alte nicht so wirklich offiziell abgeschafft, aber gilt als abgeschafft. Pfarrer, Ordensgemeinschaften und die neu gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX), die die alte Messe feiern, werden teilweise zuerst toleriert, dann mit Sanktionen belegt, und machen oft einfach unerlaubterweise weiter. Es gibt aber erst einmal relativ wenige von ihnen.

1988-2007: Nachdem Erzbischof Lefebvre, der Gründer der Piusbruderschaft, zusammen mit einem brasilianischen Bischof unerlaubterweise vier Weihbischöfe geweiht hat, werden die sechs Bischöfe für automatisch exkommuniziert erklärt und den Gläubigen wird noch strikter als bisher verboten, an den Messen der FSSPX teilzunehmen. Dafür gibt es ein leichtes Entgegenkommen gegenüber einigen Priestern, die Lefebvres Schritt nicht mitgehen wollen und die Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) gründen, und ein paar kleineren Gemeinschaften. Diese Gemeinschaften bekommen gemäß Ecclesia Dei die beschränkte Erlaubnis, die alte Messe zu feiern (wobei die Diözesanbischöfe sie noch behindern können), halten sich mit Kritik an der nachkonziliaren Entwicklung mehr zurück und beharren auf der „Hermeneutik der Kontinuität“. Sie sind jetzt der vatikanischen Kommission Ecclesia Dei unterstellt.

2007-2021: Benedikt XVI. erklärt in Summorum Pontificum, dass die alte Messe nie verboten war und neben der neuen Messe bestehen soll; grundsätzlich hat jeder Priester die Erlaubnis, sie zu feiern; die FSSP wächst, und auch mehr Diözesanpriester feiern zumindest neben der neuen auch die alte Messe.

Es ist für einen Bischof jetzt nicht mehr so leicht, die alte Messe zu behindern wie, sagen wir, 1980; das macht die Reaktion der Bischöfe verständlich. Trotzdem; mit einigen Schwierigkeiten mehr werden viele zu rechnen haben, zumindest wenn bisher unentschlossene Bischöfe das Motu Proprio ausreichend „studiert“ haben, oder es darum geht, für neugeweihte Priester eine Zelebrationserlaubnis zu bekommen.

Und die sonstigen Reaktionen? Ich habe von Freunden gehört, dass sie jetzt entschlossener sind, immer zur alten Messe zu gehen, oder dass sie jetzt die FSSPX besser verstehen – also das Gegenteil von dem, was Franziskus bewirken wollte. Man ist schon lange genug teilweise am Rand gestanden und jetzt bereit für ein bisschen mehr Gegenwind von einem Papst, zumindest von diesem Papst, der schon lange gezeigt hat, dass er uns hasst, während man Benedikt und Johannes Paul II. noch einiges zugute halten musste. Man lässt sich nicht mehr so leicht einschüchtern, weil man mittlerweile gewöhnt ist, sowieso nur noch ärgerlich auf Pius XIII. zu warten.

Die FSSPX selber fühlt sich bestätigt und fordert die Gläubigen, die die alte Messe entdeckt haben, auf, sich klarzumachen, wie wichtig sie ist. Papst Franziskus vertritt eigentlich aufs Klarste das, was sie von Rom immer wieder befürchtet hat und weswegen sie sich den Anweisungen der Päpste verweigert hat, nämlich das Ziel, die alte Messe ganz zu unterdrücken. Jetzt zeigt sich: Diese Einstellung war zwar bei Benedikt XVI. irgendwann nicht mehr da, aber auf jeden Fall ist sie bei Franziskus wieder aufgetaucht.

Die FSSP verhehlt ihre Empörung darüber, dass sie, obwohl sie immer die „Hermeneutik der Kontinuität“ vertreten hat und den Bischöfen gehorsam war, jetzt angegriffen wird, nicht sehr. („Die Petrusbruderschaft erkennt sich in keiner Weise in den vorgebrachten Kritikpunkten wieder. […] In diesem Zusammenhang möchten wir einerseits unsere unerschütterliche Treue zum Nachfolger Petri bekräftigen und andererseits zum Ausdruck bringen, dass wir unseren Konstitutionen und unserem Charisma treu bleiben und den Gläubigen weiterhin dienen wollen, wie wir es seit unserer Gründung getan haben. Wir hoffen, auf das Verständnis der Bischöfe zählen zu können, deren Autorität wir immer respektiert und denen gegenüber wir uns stets loyal verhalten haben.„) Wobei hier auch nicht ganz klar wird, zu wie viel Gehorsam sie weiterhin bereit ist, wenn Bischöfe sie jetzt behindern wollen.

(Ich weiß ja nicht, wie es kommen wird, aber es wäre schön, wenn sich angesichts dessen, dass man jetzt gemeinsam an den Rand gedrängt wird, FSSPX und FSSP wieder annähern würden.)

Denn eins ist ja klar: Dieses Motu Proprio ist absolut illegal. Ein ungerechtes Gesetz ist kein Gesetz; ein Gesetz, das dem Gemeinwohl widerspricht, hat keine Gesetzeskraft, und das hier widerspricht ihm eindeutig, indem es die Messe abschaffen will, die Gott objektiv mehr ehrt und vielen Gläubigen hilft, und indem es die anständig ausgebildeten Priester in ihrer Seelsorge behindern will.

Da muss man sich auch keine Sorgen machen, zum Schismatiker zu werden. Ungehorsam ist etwas anderes als Schisma; wenn der Papst einem sagt „hol meine Schuhe“, und man gehorcht nicht, ist man auch noch kein Schismatiker, sondern einfach ungehorsam. Schismatiker ist man, wenn man sich grundsätzlich vom Papst trennen will, grundsätzlich seine Autorität nicht anerkennt. Und bloßer Ungehorsam kann manchmal gerechtfertigt sein. (Das Gegenargument „wenn du selber entscheidest, wann du gehorchen willst, gehorchst du ja nicht wirklich“ ist Unsinn. Im Normalfall zu gehorchen und in Ausnahmefällen nicht, ist natürlich Gehorsam, es ist nur kein blinder Gehorsam. Wenn jemand, der keine Befehlsgewalt hat, mir etwas sagt, das gut und nützlich wäre, muss ich nicht auf ihn hören, weil ich meine Freiheit habe; beim Papst muss ich es grundsätzlich, auch wenn ich etwas anderes vielleicht für nützlicher halten würde oder gerade keine Lust darauf habe. Aber wenn ich einen guten Grund habe, darf ich ungehorsam sein.) Wenn etwas Schädliches, Lächerliches, Entwürdigendes oder Sündhaftes befohlen wird, überschreitet der Papst schlichtweg seine Befehlsgewalt. Man sagt auch nicht, Kinder dürften einem Vater, der sie misshandelt, nie ungehorsam sein. Von einem solchen Vater muss man sich auch manchmal ein Stück weitentfernen, ohne dabei zu leugnen, dass er der eigene Vater ist. Und genau das ist die Situation, in der wir uns jetzt befinden, und man muss sich auch nicht Leuten unterwerfen, die diese Misshandlungen ermöglichen oder schönreden.

Der Papst kann jemanden nicht gegen seinen Willen zum Schismatiker machen. Wenn er sagen würde, „Zenzi, mach jetzt 50 Liegestütze, sonst bist du nicht mehr katholisch“, könnte ich ihm den Vogel zeigen und weggehen, und wäre noch genauso katholisch wie vorher. (Wobei ich dem Papst vermutlich nicht den Vogel zeigen würde, sondern etwas respektvoller Nein sagen würde.)

Es kann sein, dass es sich manchmal als taktisch klüger erweise, in einzelnen Dingen zu gehorchen (z. B. gegenüber einem Bischof, der einem gegenüber halbwegs freundlich eingestellt ist), aber das ist eine Frage der Taktik, nicht der moralischen Verpflichtung.

Eins zeigt dieses Motu Proprio aber auch: Benedikts Rücktritt war ein Fehler. Auch wenn er meinte, es wäre das Richtige, er hätte uns nicht verlassen dürfen mit der Aussicht darauf, einen möglicherweise schlechten Papst zu bekommen. Jede Art von Häme wäre hier furchtbar; mir tut Benedikt einfach nur leid, wenn er jetzt hören muss, wie Franziskus sein Werk zerstört.

Aber wir werden das überleben. Es werden sich Möglichkeiten finden. Und irgendwann vielleicht doch noch Pius XIII.

19 Gedanken zu “„Wächter der Tradition“ oder auch nicht

  1. Das ganze Leben ist ein einziger Lernprozeß. Hatte ich doch nach sieben Jahren Lateinunterricht geglaubt, einen gewissen Wortschatz mein Eigen zu nennen, muß ich nun realisieren, daß mir die wichtigste Bedeutung des Wortes „custos“ wohl durch die Lappen gegangen ist.

    Ich sprechen von der Bedeutung „Schlächter“.

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  2. Laut Ihrer Typologie bin ich also ein konservativer Novus Ordo-Katholik. 😃

    „Eins zeigt dieses Motu Proprio aber auch: Benedikts Rücktritt war ein Fehler.“

    Ja, das sehe ich auch so. Ich vermisse seine Intellektualität und seine Aufrichtigkeit sehr. Es hängt natürlich mit meiner persönlichen Entwicklungsgeschichte zusammen. Aber ich bedauere sehr, dass ich die Persönlichkeit Papst Benedikts erst so richtig schätzen und würdigen gelernt habe, als er schon zurückgetreten war. Das jetzige Pontifikat ist mit dem 16. Juli 2021 vorbei, egal wie lange es noch dauert und ob es durch Rücktritt oder Tod endet. Pius XIII. klingt gut, ich hätte aber auch große Sympathien für einen Johannes Paul III.

    „Jetzt soll die Lesung sofort in der Landessprache vorgetragen werden, und das in manchmal neueren, zweifelhaften Übersetzungen.“

    Wenn ich mein persönlich größtes Problem mit der Kirche nach dem II. Vaticanum benennen müsste, dann liegt es hier begraben. Sowohl aus wissenschaftlicher Sicht als auch der Sicht eines katholischen Gläubigen habe ich massive Probleme mit dem – vorsichtig formuliert – protestantisch inspirierten Umgang mit den biblischen Textgrundlagen. Auch wenn die Überlieferung des Neuen Testamentes im Grunde ganz hervorragend ist, verwenden wir einen eklektisch rekonstruierten griechischen Text, der nirgends irgendwo in der Kirche jemals eine Tradition gehabt hat, pappen aber das Label „Wissenschaft“ drauf. Es gibt natürlich Varianten, z.B. zwischen verschiedenen Texttypen des neuen Testamentes, oder zwischen dem hebräischen Tanach oder der griechischen Übersetzung in der Septuaginta. Aber anstatt darin das Wirken des Heiligen Geistes zu sehen, dass Überlieferungen in verschiedenen Sprachen vielleicht verschiedene Aspekte der göttlichen Offenbarung ans Tageslicht bringen, wird das alles eingeebnet und das Wort Gottes per Dekret im Bibelwerk Stuttgart festgelegt. Die Vulgata Clementina war auch nicht perfekt, aber sie ist zuletzt doch auf eine gute Grundlage gestellt, aber dann vom Tisch gefegt worden. Die Nova Vulgata sieht auf dem ersten Blick wie die alte Vulgata, ist aber eine glatte Katastrophe. Nur ein kleines Beispiel von vielen: Aus „mingentem ad parietem“ – „wer an die Wand pisst“ (1 Sam. 25, 22 u.a.) – wird „quidquid masculini sexus“. Was für eine linguistische Parodie aus den 60er/70er Jahren.

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    1. @Gerd: Ich habe das auch gelesen, allerdings auch mit ein bisschen Bauchschmerzen. Die FSSPX hat die Kriegserklärung des Papstes angenommen und schreibt: „Diese Messe – unsere Messe – soll für uns wirklich zur Perle aus dem Evangelium werden…“ Ich wage zu widersprechen: Es ist nicht die Messe der FSSPX – so muss man das ja wohl als Reaktion auf die Äußerungen des Papstes zur lex orandi der Kirche ja wohl verstehen? – sondern die Messe der Kirche. Papst Franziskus kann sich gratulieren zu seinen Einheitsbemühungen. Für mich hat die Alte Messe bislang keine so große Rolle gespielt. Aber ich werde wohl in Zukunft nun wohl auch deutlich öfter hingehen und bin von Herzen froh, dass ich dafür keine bitteren Entscheidungen treffen muss…

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      1. „Eher so: Unsere Messe aller Katholiken im römischen Ritus, auf die wir ein Anrecht haben, nicht nur die Messe voriger Generationen.“

        Liebe Crescentia, ich versuche, meine kontroversiellen Neigungen unter Kontrolle zu halten und stimme Ihnen daher gerne zu.

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      2. Wer würde denn die „alte Messe“ überhaupt noch kennen ohne die FSSPX? Die sind ja nicht die „Erfinder“ der Messe.

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      3. Ich würde ehrlich gesagt schon davon ausgehen, daß sie mit „unser“ hier wenigstens zunächst die FSSPX meinen.

        Aber ich finde das nicht besonders schlimm. Ich würde nämlich nicht davon ausgehen, daß Sie das exklusiv à la „die Messe gehört uns, sonst aber niemandem“ meinen. Die Piusbrüder haben doch nichts dagegen und noch nie etwas dagegen gehabt, daß andere die alte Messe feiern! (Feiern. Leider wäre es nicht richtig zu sagen, daß kein Piusbruder jemals etwas dagegen gehabt hätte, daß Bruderschaftsanhänger diese Messen, selbst wenn es alte Messen sind, *besuchen*… aber laßt uns das kritisieren, was wirklich zu kritisieren ist.)

        Also: Wenn jemand zu mir sagt, „wie geht’s denn deinem Rom“, wenn ich gerade aus dem Urlaub zurückkomme in eine Stadt, in die ich gerne und häufig fahre, dann meint er damit ja auch nicht, daß mir Rom gehört; und wenn sich Schauspieler bei einem Glas Wein über ihre Stücke unterhalten und der eine sagt, das und das ist auch „in unserem Hamlet“ so (wenn sie den gerade auf die Bühne bringen), dann äußern sie damit auch keinen Zweifel an der Autorenschaft von William Shakespeare. Es käme mir auch nicht unnatürlich vor, in einer Diskussion über Datenbanksysteme zu sagen, „in unserem MySQL“ (wir haben das im Einsatz) sei etwas so und so.

        Immer mit der Ruhe und im Frieden.

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      4. @Nepomuk: Finde ich jetzt nicht überzeugend. Was Sie beschreiben, ist ein kolloquiales Setting, das aber wenig mit dem klar antithetischen Duktus („Messe Pauls VI.“ – „unsere Messe“) und der ausgeprägten Rhetorik des religiösen Kampfes zu tun hat (die ja auch eine altbewährte Tradition hat). Bei allem Willen zu Ruhe und Frieden haben meine Magenschmerzen damit leider doch noch nicht so recht nachgelassen.

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      5. Wie gesagt: Wenn Sie „unsere Messe“ im Sinne von „die der FSSPX gehörende Messe“ gemeint *hätten*, dann müssten sie etwas dagegen haben, dass andere Katholiken sie feiern, und das ist faktisch nicht der Fall. Sie fühlen sich der Messe besonders verbunden, ja, aber mehr ist aus dem Wort nicht herauszulesen. Oder: Wenn sie das kontrovers meinen (was naheliegt), dann schließen sie *dahinein* die anderen Tradis schon mit ein (durchaus möglicherweise um ihnen vielleicht ein paar Absätze weiter mangelnde Konsequenz vorzuwerfen).

        Damit möchte ich mir die Stellungnahme insgesamt nicht zu eigen machen (dazu vielleicht irgendwann 🙂 ); das Possessivpronomen aber ist okay.

        Zuzugebendermaßen besteht freilich in der Piusbruderschaft auch eine gewisse Tradition, die auf Erzbischof Lefebvre („ich bin Missionar und betreibe praktische Arbeit“ – kein wörtliches Zitat) selbst zurückgeht, daß man keine terminologische Präzision betreibt. Das finde ich nicht so toll. Aber ich verketzere aus Prinzip keine Mitkatholiken.

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  3. “Bei diesen Feiern sollen die Lesungen in der Volkssprache vorgetragen werden, wobei die Übersetzungen der Heiligen Schrift zu verwenden sind”

    Es haben schon viele Leute festgestellt, dass dies nichts darüber aussagt, wann die Lesungen im Vernakular vorgetragen werden sollen. Die übliche Praxis dies vor der Homilie zu tun, nachdem sie vorher feierlich auf Latein gesungen wurden, ist weiterhin möglich.

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  4. „Einerseits gilt es, für das Wohl derer zu sorgen, die in der vorhergehenden Zelebrationsform verwurzelt sind und Zeit brauchen, um zum Römischen Ritus zurückzukehren, wie er von den Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II promulgiert wurde.“

    Diese Formulierung des Papstes stößt mir besonders sauer auf. Es klingt so, als handelte es sich bei den Besuchern des überlieferten Ritus um Leute, die noch irgendwie unterentwickelt sind, und erst mal zivilisiert werden müssen. Vielleicht ist das etwas hart gesagt, aber für mich klingt es so. Als wären sie halt noch zu verknöchert, reaktionär und altmodisch, um die neue Liturgie akzeptieren zu können. Und das stört mich so an Franziskus – es scheint ihm egal zu sein, dass er damit vielen treuen Katholiken vor den Kopf stößt, die diese Messe für sich entdeckt haben. Die sind halt der dumme Rest, der jetzt an die Hand genommen werden muss.

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      1. Leider. Barmherzigkeit eben nicht für die „Falschen“. Pachamama-Kult im Vatikan, Verbrüderung mit den Moslems – alles ok. Schismatische Tendenzen bei deutschen Bischöfen- Alles ok. Aber die Alte Messe – weg damit! Wo bleibt die konsequente Bekämpfung liturgischer Missbräuche? Wo bleiben die Strafen für die illegalen Homosegnungen? „Wer bin ich, zu urteilen“ – das ich nicht lache! Das Motu proprio und der Begleitbrief sind eine einzige Verurteilung. Deshalb teile ich Ihre Ausführungen zu Gehorsam und Ungehorsam dem Papst gegenüber.

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    1. @Michael Pascalis: Sie haben recht. Mein Eindruck ist aber schon, dass Papst Franziskus mit ziemlich heruntergelassenen Hosen dasteht. Die bischöflichen Reaktionen sind vielerorts tatsächlich recht klar, wie Crescentia angedeutet hat. Die Oratianer des hl. Philipp Neri in Wien haben Dispens bekommen. Sie dürfen die Alte Messe weiter in ihrer Pfarrkirche feiern und haben meines Erachtens ein sehr schlichtes, aber sehr kluges Statement dazu veröffentlicht: http://www.rochuskirche.at/pfarre/aktuell/die-hl-messe-in-der-aussordentlichen-form/

      Kardinal Schönborn ist sicherlich dem „liberalen“ Flügel zuzuordnen. Aber auf Foren wie kath.net ist der Zorn gegen ihn diesmal unberechtigt hochgekocht. Die zuerst angekündigte Verlegung in eine Kapelle ging auf Eigeninitiative der Brüder aus Gehorsam gegenüber dem Papst zurück. Außerdem gibt es ja in Wien auch viele Liturgien der katholischen Ostkirchen, da wäre es ja noch schöner, wenn die ‚alte‘ lateinische Liturgie ausgebürgert würde.

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      1. @Sokleidas
        Das ist der Aspekt, der auch mich irritiert. Wie oben erwähnt bleibt selbst in Rottenburg-Stuttgart alles erst mal beim Alten. Wozu macht Franziskus diese Front auf, wenn ihm nicht mal Liberale dabei zu folgen scheinen? Es gebe so viel Dringenderes. Wie gesagt, er hat ja mit dem Aufruf gegen liturgische Missbräuche im NOM ein wichtiges Thema angesprochen. Ich hielte es für viel wichtiger, Das flächendeckend anzugehen. Aber er ist ja bekannt für seine kuriosen Entscheidungen (eben Das, was man ihm als „peronistisch“ ankreidet. Etwas populistisch, nie ganz klar werden, immer Türen offen halten, allen etwas geben.)

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      2. „Wie gesagt, er hat ja mit dem Aufruf gegen liturgische Missbräuche im NOM ein wichtiges Thema angesprochen. Ich hielte es für viel wichtiger, das flächendeckend anzugehen. “

        Dem ist nichts hinzuzufügen. Anna von „Katholisch ohne Furcht und Tadel“ hat das ja so schön zum Ausdruck gebracht, dass Pater Recktenwald es auf kath-info.de zitiert hat.

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  5. Wenn ich mal meine (natürlich brodelnden) Emotionen zu diesem Motu proprio beiseite lasse, so ist folgendes festzustellen: beide Dekrete – Summorum Pontificum (SP) vom 7.7.7 und Traditionis Custodes (TC) vom 16.7.21 – stellen der Begründung ihrer Ausführungsbestimmungen eine Aussage voran, die in Verbindung mit dem alten und von beiden als wahr angenommenen Lehrsatz der „Korrespondenz von lex orandi und lex credendi“ steht. Diese beiden Aussagen sind:

    Bei Benedikt XVI. (SP): es gibt *zwei* Ausdrucksformen (expressiones) derselben lex orandi der katholischen Kirche des lateinischen Ritus: den ordentlichen und den außerordentlichen Ritus – und somit (nach der erwähnten Korrespondenz) – entsprechen diese beiden Ausdrucksformen derselben lex orandi auch derselben lex credendi, dem einen Glauben unserer Kirche. (Die Einheit insbesondere des Glaubens ist ja eines ihrer vier Wesensmerkmale.)

    Bei Franziskus (TC): es gibt nur *eine* Ausdrucksform der lex orandi des römischen Ritus, und dies ist der Ritus, wie er in den Meßbüchern von Paul VI. und Johannes Paul II. vorgelegt wurde. Er ist die *einzige* Ausdrucksform dieser lex orandi (l’unica espressione della lex orandi del Rito Romano).

    Leider können diese Aussagen nicht beide gleichzeitig wahr sein, da nun einmal 1 ≠ 2 ist. Einer der beiden Päpste muß sich also in seinem Motu proprio geirrt haben, und nur einer kann recht haben.

    Dieses Widerspruchs ist sich auch Papst Franziskus bewußt, deswegen abrogiert er (SP) ausdrücklich: „Art. 8: Previous norms, instructions, permissions, and customs that do not conform to the provisions of the present Motu Proprio are abrogated.“ [Hier könnte man einwenden, daß ja nur die Normen, Ausführungsbestimmungen usw. abrogiert werden und nicht die obige Aussage (SP) selbst. Nun werden aber die Normen usw. dort ja aus der Aussage (SP) gefolgert, und wenn die Folgerungen verboten werden, wird mit logischer Zwangsläufigkeit auch die Annahme für ungültig erklärt, aus der sie abgeleitet werden.- Aber selbst unabhängig von diesem Einwand bleibt es bei der Widersprüchlichkeit der beiden Aussagen.]

    Nehmen wir an, die obige Aussage (TC) stimmt. Wenn aber der „usus antiquior“, wie er dort genannt wird, also nach dem von Pius V. 1570 promulgierten und zuletzt von Johannes XXIII. 1962 herausgegebenen Meßbuch, nicht die lex orandi des römischen Ritus repräsentiert, welche lex orandi repräsentiert er dann? Irgendeine lex orandi muß er ja auch repräsentieren – und die muß logischerweise eine *andere* sein als die, die die neue Messe repräsentiert. Nach der Korrespondenz von lex orandi und lex credendi, welchem Grundsatz ja alle zustimmen, würde die Ungeheuerlichkeit folgen, daß der „usus antiquior“ – auch eine andere lex credendi repräsentiert, einen anderen Glauben als der Novus-Ordo-Ritus: eine andere Religion!

    Nun sind diejenigen, die davon sprechen, die Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil sei „eine ganz andere, eine neue Religion“, gerade diejenigen Häretiker und Schismatiker, gegen die Franziskus mit diesem Motu proprio vorgehen wollte (auf dem Sedisvakantistenauftritt vaticancatholic.com bezeichnet man z.B. konsequent die allen Augen sichtbare Kirche als die „Vatikan-2-Sekte“)! Der Papst bestärkt also ironischerweise – spiegelbildlich – genau die, die schon immer von einem Bruch gesprochen haben. Er bricht damit selbst mit der „Hermeneutik der Kontinuität“, wie sie seine Vorgänger noch vertreten haben.

    Eine Aussage wie (TC), die eine solche un-katholische Schlußfolgerung zuläßt, lehne ich ab – mit Irrtumsvorbehalt, den ich als Laie nun einmal habe: ich kann mich natürlich ebenso irren wie es einer dieser beiden Päpste nach dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch zwingenderweise getan haben MUSS. So gelange ich dazu, um meines katholischen Glaubens willen (SP) für wahr annehmen zu müssen, trotz der von Franziskus ausgesprochenen Abrogation.

    Der Begleitbrief von Franziskus erklärt die Sache ja so, daß seine Vorgänger wie milde Väter den Kindern erlaubt haben, von dieser schönen Messform zu naschen, aber die Kinder hätten das Vertrauen, das ihnen gewährt worden sei, auf üble Weise mißbraucht, wären frech, ungehorsam und vorlaut geworden ihm gegenüber, und nun müsse er ihnen endgültig einen Riegel vorschieben: die Dose mit den süßen Sachen wird nun weggesperrt.

    Hier stimmt aber schon das Motiv nicht, das er bei seinen Vorgängern annimmt: auch wenn die Vorfälle um die FSSPX der Auslöser waren, so haben sie die traditionelle Messe ja ausdrücklich nicht zugelassen, um auf die Piusbrüder zuzugehen, sondern weil sie der traditionellen Messe ein zeitloses Bleiberecht in der Kirche gewährten. Hier z.B. ein Zitat von seinem Vorgänger:

    „Die Wiederzulassung der tridentinischen Messe wird oft in erster Linie als Zugeständnis an die FSSPX. interpretiert: Das ist einfach absolut falsch! Mir war wichtig, daß die Kirche innerlich eins ist mit sich selbst, mit ihrer eigenen Vergangenheit; daß das, was ihr früher heilig war, jetzt nicht irgendwie falsch ist“ (Benedikt XVI., zitiert in Kard. Burkes „19 Punkten“), http://beiboot-petri.blogspot.com/2021/07/kardinal-burke-19-punkte-zu-traditionis.html

    Das folgende Zitat von Ratzinger (2000, zitiert auf kath-info.de) wird seit Inkrafttreten von Traditionis Custodes nun leider wieder umfassender die Realität beschreiben. Schade, denn seit 2007 hatte sich schon eine schöne Entwicklung ergeben.

    „Wichtig für die rechte Bewußtseinsbildung in Sachen Liturgie ist auch, daß endlich die Ächtung der bis 1970 gültigen Form von Liturgie aufhören muß. Wer sich heute für den Fortbestand dieser Liturgie einsetzt oder an ihr teilnimmt, wird wie ein Aussätziger behandelt; hier endet jede Toleranz. Derlei hat es in der ganzen Geschichte nicht gegeben, man ächtet damit ja auch die ganze Vergangenheit der Kirche. Wie sollte man ihrer Gegenwart trauen, wenn es so ist? Ich verstehe, offen gestanden, auch nicht, warum viele meiner bischöflichen Mitbrüder sich weitgehend diesem Intoleranzgebot unterwerfen, das den nötigen inneren Versöhnungen in der Kirche ohne einsichtigen Grund entgegensteht.“

    Die Freunde der traditionellen Messe sind keine aussterbende Art, sondern Menschen mit jungem Herzen und Sinn. Menschen, die nach dem Heiligen suchen in einer unheiligen Welt. Mit jeder Heiligen Messe treten sie ein in das Heiligtum, hin zu dem Gott, der ihre Jugend erfreut:

    Im übrigen möchte ich noch diesen Blogpost von Edward Feser empfehlen. Keine Fragen des Glaubenslebens und der -lehre, zu denen es nicht Rat beim Hl. Thomas gibt!

    https://edwardfeser.blogspot.com/2021/07/aquinas-on-bad-prelates.html

    Es ist auch Geduld und eine gewisse weise Gelassenheit aus der Überschau der Jahrhunderte gefragt. Die aktuelle Infektion der Kirche mit dem modernistischen Ungeist kann durchaus noch Jahrzehnte dauern – es kann sein, daß wir alle das Konzil nicht mehr erleben werden, das die Dinge wieder richtigstellt – aber was sind schon Jahrzehnte für unsere ehrwürdige Mutter Ecclesia! Aus obigem Blogpost:

    „But Church history is not a Marvel movie, where everything works out in two hours, or at least by the next movie in the series. As the Cadaver Synod, the Great Western Schism, and other episodes illustrate, it can sometimes take decades to resolve the problems resulting from papal folly, corruption, and mismanagement. We modern Catholics are soft and impatient, and we need to recover the forbearance of our forebears.“

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