Ein Blog über Katholisches und was mir so einfällt; Skrupulosität, Biblisches, Philosophisches, meine Lieblingsbücher, meine Lieblingsheiligen, und so weiter und so fort. "Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen, bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat. Und auf seinen Namen werden die Völker ihre Hoffnung setzen." (Mt 12,20-21)
Wenn Pro-Choicer (der beliebte Euphemismus für Abtreibungsbefürworter) versuchen, die Argumente von uns Abtreibungsgegnern in ihren eigenen Worten wiederzugeben, kommt da manchmal etwa das heraus:
„Ihr wollt doch nur Frauen dafür bestrafen, dass sie Sex haben – wenn sie Sex haben, müssen sie damit gestraft werden, dass ihr Leben zerstört wird und sie neun Monate lang ihre komplette körperliche Autonomie verlieren.“
Aus Pro-Life-Sicht wäre das etwa so, als würde man sagen „Wer will, dass Männer den Unterhalt für ihre Kinder zahlen, will sie doch nur dafür bestrafen, dass sie Sex hatten und ihre ganze finanzielle Unabhängigkeit ruinieren“ – völliger Blödsinn. (Wobei Väter unter normalen Umständen mehr Pflichten und auch mehr Rechte haben als bloß den Unterhalt zu zahlen, aber belassen wir es mal bei dem Beispiel.) Pro-Choicer versuchen so krampfhaft, das Kind, um dessen Beseitigung es hier eigentlich geht, zu vergessen, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, dass andere an es denken. Nein, natürlich muss es darum gehen, die Frau zu bestrafen.
Aber ein Kind ist keine Strafe für eine Frau – die Existenz keines Menschen ist die Strafe für einen anderen. Es ist ein Mensch mit seinem eigenen Leben und seinen eigenen Rechten. Ein Kind ist einfach da, und verdient Fürsorge und Liebe statt Tötung. Wenn die Frau es beseitigen will, obwohl sie selber das Risiko in Kauf genommen hat, dass es überhaupt entsteht, ist das ein Umstand, der die Sache verschlimmert, aber nichts grundsätzlich ändert. Es gibt auch Fälle, in denen die Frau überhaupt nichts dafür kann. In der Serie „Jane the Virgin“ (von der ich nur die Vorschau gesehen habe und zu der ich weiter nichts sagen kann, das soll keine Schleichwerbung sein) wird eine junge Frau aus Versehen von ihrem Frauenarzt künstlich befruchtet und schwanger. In dieser Situation war sie überhaupt nicht verantwortungslos, hat nichts Falsches getan, aber trotzdem ist ihr Kind jetzt da und hat ein Recht auf Leben. (In der Serie bekommt sie es auch.)
Anderes Beispiel: Man hat einen Autounfall auf einer einsamen Straße, der andere Fahrer wird schwer verletzt, einem selbst passiert nichts. Jetzt ist man verpflichtet, dem anderen zu helfen und den Rettungsdienst zu rufen, egal, ob man schuld war. Wenn man Fahrerflucht begeht, nachdem man den Unfall fahrlässig verursacht hat, ist das noch schlimmer, aber man dürfte auch keine Fahrerflucht begehen, wenn nur unvorhersehbare Umstände (z. B. ein aus dem Wald herausstürmendes Reh) verantwortlich waren und man selbst nichts dafür kann.
Bei der Frage, ob man einen Menschen, der sich nichts zu Schulden kommen hat lassen, sondern einfach da ist (Notwehr ist etwas anderes), gezielt töten darf, ist es völlig gleichgültig, wie seine Existenz andere Menschen betrifft und ob die Umstände banal oder tragisch sind. Es spielt schlichtweg keine Rolle. Man kann darüber debattieren, wie man über mildernde und verschlimmernde Umstände debattiert, aber es lenkt eher von der eigentlichen Frage ab.
Menschen haben nicht Gott zu spielen und anderen ihr Leben zu stehlen, und Punkt.
Die Unterstellung kommt recht oft, manchmal explizit, manchmal unterschwellig, und man hat sie auch schon von unserem lieben Heiligen Vater gehört: Diese Traditionalisten, das sind doch alles Pharisäer. Bilden sich was auf ihre Riten und ihre Gesetzestreue ein; Jesus hätte sie verurteilt. Vielleicht mag es noch einzelne tolerierbare geben, aber der Traditionalismus kann einen sicher nicht näher zu Jesus bringen und ist seinem Geist voll und ganz entgegengesetzt.
Ich habe manchmal einen ganz gegensätzlichen Eindruck. Oh, nicht dass alle Tradis immer perfekt wären (auch wenn ich in meiner neuen Tradi-Gemeinde immer noch einen praktisch ungetrübt positiven Eindruck habe, und im Internet einen eher positiven). Aber ich meine, dass im Großen und Ganzen die Tradis öfter diejenigen sind, die zu unterscheiden wissen, wann man den Regeln und Befehlen folgen muss, und wann nicht, weil der Geist des Gesetzes verletzt wird.
Man muss schauen, was Jesus den Pharisäern eigentlich vorgeworfen hat: Dass sie Gottes einfache, alte, schon beim Exodus offenbarte Gebote durch neue, nur menschengemachte Regeln und Detailvorschriften außer Kraft setzten, und sich mehr um die Gebote der Theologen, die jetzt gerade in Mode waren, als die Gebote Gottes kümmerten. Ein Beispiel: „Und weiter sagte Jesus: Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure eigene Überlieferung aufzurichten. Denn Mose hat gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter! und: Wer Vater oder Mutter schmäht, soll mit dem Tod bestraft werden. Ihr aber lehrt: Wenn einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Korbán – das heißt: Weihgeschenk sei, was du von mir als Unterstützung erhalten solltest – , dann lasst ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun. So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und ähnlich handelt ihr in vielen Fällen.“ (Mk 7,9-13) Pharisäer konnten also ihren Besitz für geweiht erklären, um ihre alten Eltern nicht mehr unterstützen zu müssen. Ein klarer Verstoß gegen Gottes Gesetz, das Jesus hier sehr fundamentalistisch ernst nimmt. (Anmerkung: Bei dem, was von Mose mit der Todesstrafe bedroht wurde, geht es um schwere Misshandlung der Eltern, nicht um eine kleine Beleidigung.)
Dann wären da Seine Heilungen am Sabbat; es lohnt sich, hier näher hinzusehen. Eine Begebenheit sah so aus: „Am Sabbat lehrte Jesus in einer Synagoge. Und siehe, da war eine Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, weil sie von einem Geist geplagt wurde; sie war ganz verkrümmt und konnte nicht mehr aufrecht gehen. Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sagte: Frau, du bist von deinem Leiden erlöst. Und er legte ihr die Hände auf. Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott. Der Synagogenvorsteher aber war empört darüber, dass Jesus am Sabbat heilte, und sagte zu den Leuten: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat! Der Herr erwiderte ihm: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Diese Frau aber, die eine Tochter Abrahams ist und die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen? Durch diese Worte wurden alle seine Gegner beschämt; das ganze Volk aber freute sich über all die großen Taten, die er vollbrachte.“ (Lk 13,10-17)
Die Pharisäer waren also nicht generell dagegen, dass Jesus heilte; aber man könnte doch bitte einen Tag warten! Gehorcht doch einfach dem Gesetz, das ist doch wirklich kein übertriebenes Opfer, noch einen Tag zu warten, wenn man schon achtzehn Jahre lang krank ist! Das klingt erst einmal nicht völlig unlogisch. Aber darauf entgegnet Jesus: Nein, das ist nicht nötig, solche Lasten muss man nicht aufbürden. Eine Kranke soll nicht wegen eines falsch ausgelegten Gesetzesbuchstabens noch einen Tag länger leiden müssen.
Die Pharisäer erinnern mich hier an die Leute, die immer den Tradis (manchmal auch den Konservativen) vorhalten: Was stellt ihr euch denn so an, seid doch einfach gehorsam. Dann verbietet euch der Papst eben die alte Messe, also nehmt gefälligst mit der neuen vorlieb. Dann verbietet der Bischof eben während des Corona-Lockdowns, eure Kinder zu taufen, also wartet eben ab. Dass diese Gesetze keinen Sinn machen und gegen die gesamten überlieferten Grundsätze unserer Religion verstoßen, interessiert nicht; solange diejenigen befehlen, die jetzt etwas gelten, gelten nur deren Befehle. Hier kann man sich über die überheben, die sich zerrissen fühlen und zum Ungehorsam gezwungen sehen, und sich dabei wunderbar gerecht vorkommen. Man ist gut, man hält sich an die Gesetze.
Aber hier haben eben die Gesetze nicht recht. Um das Beispiel der Taufe zu nehmen: Als Taufen verboten waren, wären alle Eltern im Recht gewesen, die ihre Kinder selbst getauft hätten, und alle Priester, die trotzdem heimlich getauft hätten. Wegen des Gesetzesbuchstabens soll einem Kind nicht auch nur einen Tag die Gemeinschaft mit Gott vorenthalten werden. Manchmal hat man das Recht, gegen einen Befehl zu handeln, und manchmal sogar die Pflicht. Bei Pflichtenkollision geht das höhere Gesetz vor, und ungerechte Gesetze haben überhaupt keine Gesetzeskraft.
In den letzten fünfzig, sechzig Jahren waren es die Tradis, die gezwungen waren, nachzugrübeln, was eigentlich der Sinn von kirchlichen/päpstlichen/bischöflichen Geboten ist, und auch mal ungehorsam zu sein. Den einfachen Luxus, den Gesetzen unbeschwert folgen zu können, hatten wir da nicht mehr. In den letzten Jahren unter Franziskus (den ich, ohne Übertreibung, für den schlechtesten Papst aller Zeiten halte, das muss man leider so sagen) ist es immer mehr Katholiken so gegangen. Und da bekommt man dann sehr schnell von triumphierenden selbstgerechten Leuten vorgehalten, dass man eben der Autorität folgen müsse. Der Papst sagt das, die führenden Theologieprofessoren sagen das, was bildet man sich also ein. Es wird nicht darüber nachgedacht, was der Zweck dahinter ist, das gilt eben gerade als So-muss-man-das-machen, und wer es nicht so macht, wird gemieden – asoziales Fundamentalistengesindel.
Manchmal brüstet sich diese Art von Pharisäern sogar damit, sich brav an Gesetze zu halten, die (noch) gar keine Gesetze sind; das sieht man z. B. bei Leuten, die stolz darauf sind, dass sie alle Coronaauflagen übererfüllen, und die z. B. Ärzte verteidigen, die Ungeimpfte nicht behandeln wollen. Die könnten sich ja einfach impfen lassen, warum es einer nicht will, interessiert nicht (nicht mal, wenn es z. B. um Schwangere geht, die unbekannte Reaktionen bei ihrem Baby befürchten). Dass es keine Impfpflicht gibt, wird dabei leicht vergessen; auch, dass es sehr wohl eine Pflicht für Kassenärzte gibt, Kranke zu behandeln. Der perfekte Pharisäer interessiert sich nicht einmal mehr für den Gesetzesbuchstaben, auf den er vorher so gepocht hat, wenn er sich weiter für besser als andere halten kann (und meint, dass er das Gesetz bald auch noch auf seiner Seite haben wird).
Bei einer anderen Gelegenheit heißt es im Neuen Testament: „Von dort ging er weiter und kam in ihre Synagoge. Und siehe, dort saß ein Mann, dessen Hand verdorrt war. Sie fragten ihn: Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen? Sie suchten ihn nämlich anzuklagen. Er aber sprach zu ihnen: Wer von euch, der ein einziges Schaf hat, wird es nicht packen und herausziehen, wenn es ihm am Sabbat in eine Grube fällt? Wie viel mehr ist ein Mensch als ein Schaf? Darum ist es am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun. Dann sagte er zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und die Hand wurde wiederhergestellt – gesund wie die andere. Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.“ (Mt 12,9-14)
Im Judentum gab es tatsächlich zu dieser Zeit unterschiedliche Meinungen zu genau diesem Lehrbeispiel mit dem Schaf in der Grube. Manche hielten sogar das Herausholen des Schafs für falsch. Andere hielten es wegen ihrer Grundsätze für falsch, das Schaf mithilfe von Arbeitsgeräten herauszuholen, erlaubten aber, Kissen und Decken in die Grube zu werfen, damit es selbst herausklettern konnte – eine blödsinnige Verkomplizierung. Daran, dass manche sogar bei den einfachsten, deutlichsten Notwendigkeiten nicht sehen wollten, dass man nach dem Zweck eines Gebotes fragen muss, statt bloß dem Buchstaben (oder den Gewohnheitsregeln) zu folgen, sieht man, wie weit Pharisäertum gehen kann.
Und bei alldem war Jesus gar nicht zwangsläufig gegen Details des Gesetzes (solange sie nicht unter besonderen Umständen außer Kraft gesetzt waren, und solange sie als Bestandteil des Alten Bundes immer noch galten): „Doch weh euch Pharisäern! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Gewürzkraut und allem Gemüse und geht am Recht und an der Liebe Gottes vorbei. Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen.“ (Lk 11,42)
Jesus war überhaupt nicht gegen das Gesetz, sondern korrigierte schlicht und einfach seine Auslegung. „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ (Mt 5,17)
Mit anderen Worten: Es gibt keinen Grund, sich als Tradi zu fühlen, als wäre Jesus wütend auf einen.
Aber hey, auch zu den Pharisäern kam Jesus ja, und manche kamen zu ihm, man denke an Nikodemus, der am Ende zusammen mit Josef von Arimathäa einen der wichtigsten Dienste an Jesus leistete, nämlich nach Seiner Kreuzigung Seinen Leichnam anständig balsamierte und bestattete. Ich will auch nicht behaupten, dass übertriebene Gesetzestreue immer vor allem aus Selbstgerechtigkeit kommt – manchmal hat man vielleicht nur die Dinge nicht ganz durchdacht, oder will sich an den vermeintlich sichersten Weg halten. Nur sieht dieser Weg nicht immer so aus, wie es scheint.
Es hat eine gewisse Tradition: Vor hundert Jahren haben Missionare, wenn sie sich an ein europäisches Publikum wandten, auch schon gern herausgestellt, dass die nachlässigen europäischen Christen sich ein Vorbild an den eifrigen Neugetauften in China, Afrika oder sonstwo nehmen sollten. Und ebenso werden die Dritte-Welt-Christen heute noch gerne ein bisschen idealisiert. Da sei es noch nicht so säkularisiert, und der Klerus nicht damit beschäftigt, den Glauben zu unterminieren. Teilweise stimmt das; aber eben auch nur teilweise.
Erstens: die Dritte Welt ist eben kein abgeschiedener Urwald mehr, wo nichts hingelangt. Natürlich nehmen europäische und amerikanische Ideen dort Einfluss. Die Elite dieser Länder studiert in Europa und Amerika, und es kommen oft genug Entwicklungshelfer und ab und zu noch Missionare. Und auch das Zweite Vatikanum, die Liturgiereform und die ganzen nachkonziliaren Missbräuche haben diese Länder erreicht; da hat man auch einen Bruch und eine Verunsicherung dabei, wie der Glaube jetzt gelebt werden sollte, erlebt. Die Messe wurde in Kamerun ebenso plötzlich anders gefeiert wie in Deutschland, die Priester demonstrierten ein anderes Verhältnis zu rivalisierenden Religionen.
Aber es ist ja nicht nur der Westen, der hier Einfluss nimmt; früher sah die Sowjetunion sehr darauf, ihren Einfluss in der Dritten Welt auszubauen, und heute tut China das. In vielen solchen Ländern waren oder sind immer noch sozialistische, kirchenfeindliche Parteien an der Macht. Nach der Dekolonialisierung verbreitete sich in vielen afrikanischen Ländern teilweise die Idee, man müsse das Christentum als etwas von außen Übergestülptes wieder loswerden.
Und dazu kommen eben die üblichen Probleme einer Gesellschaft, in der noch viele Ungetaufte leben und auch die Christen oft erst in erster, zweiter, dritter Generation Christen sind. Neubekehrteneifer ist eine schöne Sache, aber irgendwann lässt auch der nach, auch wenn man noch nicht sein ganzes Leben umgestellt hat, und nicht jeder hat ihn. Gerade in viele Teile Afrikas sind Missionare erst im 20. Jahrhundert gekommen, und Bekehrungen passieren auch nicht von heute auf morgen. Das Christentum hatte noch keine Zeit, diese Kulturen in der Tiefe zu prägen, also geben auch Christen alten Aberglauben oder Praktiken wie Polygamie und Mädchenbeschneidung nicht so schnell auf. Was in Europa die Wiederverheiratet-Geschiedenen sind, sind in Afrika die Polygamisten. Aber selbst z. B. die alte christliche Kultur Äthiopiens – die sowohl von der katholischen Kirche getrennt als auch durch islamische Länder ziemlich abgeschnitten vom Rest der christlichen Welt war – ist nicht so ganz perfekt; auch da hat sich noch die Mädchenbeschneidung erhalten, die jede europäische Kirche als schwer sündhafte Verstümmelung sieht.
Und leider ist es auch so, dass eine dysfunktionale Gesellschaft mit viel Korruption und Kriminalität ihren Einfluss auch auf Christen ausübt. Natürlich tut sie das. Um ein besonders extremes Beispiel zu nehmen: In der Demokratischen Republik Kongo ist die Hälfte der Bevölkerung katholisch, und ca. 40% der Frauen werden irgendwann in ihrem Leben vergewaltigt.
In Afrika gibt es viel weniger Atheismus als hier, das stimmt. Da haben die Leute noch viel eher ein grundsätzliches, manchmal irgendwie auch fatalistisches, Vertrauen in Gottes Willen. Aber das heißt nicht, dass Afrika ein Hort der perfekten Frömmigkeit und Nächstenliebe wäre. Und in Südamerika haben die Kirchengegner schon mehr Erfolge und auch einige Leute auf ihrer Seite (siehe die ganzen Kampagnen für Abtreibung), und dazu kommen Synkretismus und der Abfall zu den Freikirchen. In Südkorea (nicht gerade Dritte Welt, das stimmt, aber auch eins dieser „exotischeren“ Länder) erlebt das Christentum einen Aufschwung, aber leider ist hier der Prosperity Gospel zu einflussreich.
Ein paar Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung:
Von einer deutschen Nonne, die in Tansania lebt, habe ich gehört, dass es manchmal vorkommt, dass der Orden jungen afrikanischen Nonnen ein Medizinstudium finanziert und sie dann einfach aus dem Kloster verschwinden, nachdem sie fertig sind und merken, wie viel sie außerhalb des Klosters verdienen könnten. Und Diebstahl sei so häufig, dass auch im Kloster geklaut werde (z. B. von Angestellten).
Die Interpretation, Jesus habe von der Kanaaniterin gelernt, keine Vorurteile zu haben, habe ich auch schon mal von einem nigerianischen Pfarrer gehört.
Ein brasilianischer Freund hat mir mal erzählt, in Brasilien gründen mittlerweile etliche ihre eigenen Garagenkirchen und Drogenhändler verlassen sich darauf, dass Jesus ihnen bei ihren Drogengeschäften hilft.
Ein anderer Freund hat mir von inkompetenten indischen Priestern erzählt, die bei der Beichte Bußen auftragen wie „zwei Wochen keine Pornos schauen“, und meinte, in Indien würden zu oft arme christliche Männer aus unteren Kasten das Priesterseminar als Weg zum Aufstieg nutzen, ohne wirklich berufen und geeignet zu sein.
Nicht jeder afrikanische Kleriker ist ein Kardinal Sarah. Und erst recht nicht jeder afrikanische Christ.
Was man natürlich sagen muss: In einigen Ländern haben Christen es viel schwerer als hier. In muslimischen Ländern werden sie ständig benachteiligt und ausgeschlossen und wer vom Islam zum Christentum konvertiert, muss um sein Leben fürchten. In Ländern wie Ägypten und Pakistan werden immer wieder christliche Mädchen von Moslems entführt, zwangs“konvertiert“ und zwangs“verheiratet“. In Indien werden Christen manchmal von Hindu-Nationalisten angegriffen und schikaniert. Die Leute, die das aushalten, muss man wirklich bewundern. Freilich: Manchmal haben auch verfolgte Minderheiten ihre internen Probleme, oder werden von der Verfolgung einfach nur geschwächt. Aber jedenfalls ist es bewundernswert, wie viele unter Verfolgung aushalten.
Nur: Man sollte sich nichts vormachen und nicht darauf hoffen, dass sich schon alles richten wird, wenn die Christen der Dritten Welt einflussreicher werden. Wir müssen schon auch dazu beitragen und unsere Erdteile sind nicht vernachlässigbar.
In den letzten Tagen wurde auf Twitter ja sehr viel über Afghanistan geredet, und u. a. darüber, wieso die hochgerüstete und zahlenmäßig überlegene afghanische Armee so schnell vor den Taliban kapituliert hat, Soldaten sogar übergelaufen sind, und wieso Bilder vom Flughafen in Kabul vor allem Männer zeigen, die versuchen, zu Flugzeugen zu gelangen, fast keine Frauen und Kinder. Auf Äußerungen wie „ich würde nicht kampflos aufgeben“ oder „ich würde nicht meine Familie auf der Flucht zurücklassen“ kamen dann schnell Beleidigungen im Stil von „Du wärst sicher ein Feigling, laber doch nicht“.
Ich möchte eine These aufstellen, ganz unabhängig davon, was Leute in dem Chaos in Kabul getan oder nicht getan haben: Es ist nicht einfach überhebliche Prahlerei, wenn Leute sagen „Im Krieg würde ich nie allein fliehen und meine Familie zurücklassen“ oder auch „ich würde nie meine Kinder zurücklassen, um schneller vor einem Feuer zu fliehen“ oder auch „auch wenn mich ein antichristlicher Diktator oder ein islamischer Terrorist dazu zwingen wollen würde, würde ich niemals Christus verleugnen“.
Der Grund dafür: Es ist gut, sich drauf einzustellen, was einem selber theoretisch mal passieren könnte, und dass man dann mutig sein müsste, dass Gott einem auch die Kraft dazu geben würde. Viele Menschen werden irgendwann in schlimme Situationen kommen, welcher Art auch immer. Und es ist ja nicht so, dass alle Menschen in solchen Situationen nicht mehr sie selbst sind, Menschen können auch über sich hinauswachsen. Ich habe das Gefühl, wenn Leute über Heldengeschichten die Nase rümpfen, dann machen sie solche Geschichten in der Realität unmöglich, weil jemand gar nicht mehr an den Gedanken gewöhnt ist, dass er selbst so etwas tun könnte, oder dass man so etwas sogar von irgendjemandem verlangen kann. Da sollen alle auf ein moralisch möglichst tiefes Niveau heruntergezogen werden, damit sich keiner mehr schlecht fühlt, wobei man sich mit dem Gedanken „wenigstens sind wir nicht überheblich und bilden uns was auf unsere Tugend ein“ tröstet.
Deswegen würde ich z. B. auch gegenüber den Argumenten von Abtreibungsbefürwortern inzwischen deutlicher sagen „wenn ich vergewaltigt und davon schwanger werden würde, würde ich mein Kind niemals abtreiben, sondern es lieb haben, Babykleidung kaufen und einen Namen aussuchen, vielleicht Cäcilia oder Konstantin, wobei Clemens auch sehr schön wäre“. Ich bin kein besonders mutiger Mensch und heule schon bei Kleinigkeiten, aber in so einer Situation könnte ich mir tatsächlich nichts anderes mehr vorstellen – sogar so ein Kind zur Adoption freigeben kommt mir unschön vor und das möchte ich einfach nicht. Genauso würde ich sagen „Wenn mir ein Islamist drohen würde, mich zu erschießen, wenn ich nicht das islamische Glaubensbekenntnis aufsage, würde ich es nicht aufsagen“. Gut, das ist eine relativ einfache Situation, weil kurzer schneller Märtyrertod – vor Dingen wie Folter und Gefängnis hätte ich viel mehr Angst, wirklich sehr viel mehr. Aber auch da: Ich finde es wichtig, sich im Vorhinein – wer weiß, ob wir irgendwann noch mal Kriege oder Ähnliches erleben werden – klar zu machen, was man tun müsste. Das gilt natürlich auch für harmlosere Situationen, die man vorhersieht.
Natürlich: Wenn man selber anderen Vorhaltungen macht, muss man auch Vorhaltungen von anderen ertragen. Ich finde sehr wohl, dass Deutsche über Afghanen sagen dürfen: „Wieso hat die ausgebildete Armee nicht mal versucht, zu kämpfen? Und wieso lassen so viele Männer, die zum Flughafen fliehen, offensichtlich ihre Familien zurück?“ Aber genauso hat jeder Ausländer das Recht, zu sagen: „Wieso haben die deutschen Männer, sogar die Polizisten, den Frauen bei der Kölner Silvesternacht, die massenhaft bedrängt, gedemütigt und teilweise vergewaltigt wurden, nicht geholfen?“ Denn beides ist schlimm und feige, auch trotz der Situation.
Man muss natürlich hier zwei Dinge unterscheiden: In manchen Situationen sind heroische Taten wirklich notwendig, verpflichtend. Man darf nicht, wenn man gefoltert wird, Christus verleugnen, oder seine Freunde verraten, oder zustimmen, selbst irgendwelche Gräueltaten an anderen zu begehen. Das ist eine furchtbare Situation, aber dasjenige zu tun, wäre trotzdem sehr falsch, auch wenn die Zurechnungsfähigkeit gemindert wäre, und viele Leute im Lauf der Geschichte haben es geschafft, hier das Richtige zu tun. In anderen Situationen ist Heldenhaftigkeit mehr als das Geforderte, z. B. wenn es darum geht, als unbeteiligter Nicht-Polizist bei einer Messerstecherei dazwischenzugehen, um jemanden vor dem Tod zu retten, oder z. B. jemandem unter großer Gefahr vor einem gefährlichen Tier zu retten, oder eine Laufbahn beim KSK anzustreben. Man kann das nicht von jemandem verlangen und ihm sagen, er lädt Schuld auf sich, wenn er das nicht tut. Aber es ist eben trotzdem heldenhaft, gerade auch weil es mehr ist, als man verlangen kann, und solche Leute gehören gehörig gepriesen.
Und ich würde sagen, sogar wenn es um eine moralisch gebotene Heldentat geht, kann jemand, der diese Heldentat nicht geschafft hat, der feige und schwach war und eingeknickt ist, sich wieder aufrappeln, und die Leute bewundern, die es geschafft haben, sich an ihrem Beispiel aufrichten und sie ggf. um ihre Hilfe dabei bitten, stärker zu werden. So können wir uns gegenüber den Heiligen im Himmel verhalten, unter denen ja sehr viele Märtyrer sind; sowohl, wenn es um ein richtiges eigenes Martyrium geht, als auch, wenn man ein kleines Pseudo-Martyrium, z. B. Verleumdung oder Ausgrenzung wegen des Glaubens, aushalten muss (was sich evtl. gar nicht so klein anfühlen kann).
Ja, es ist sympathischer, wenn man nur bei Sachen, bei denen man sich einigermaßen sicher ist, dass man sie schaffen würde, sagt „ich würde das niemals tun“, und bei zweifelhafteren Sachen eher sagt „das wäre das Richtige, und ich hoffe, dass ich mit Gottes Hilfe die Kraft hätte, das zu tun“. Prahlerei kann eine Sünde sein – eine lässliche freilich. Aber es ist mir ehrlich gesagt sympathischer, wenn kleine Jungen herumprahlen, was sie als Ritter der Tafelrunde, Kreuzfahrer oder Entdecker getan hätten, als wenn sie sich weder was zutrauen noch anständige Helden als Vorbilder haben.
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Noch ein kurzes PS zu Afghanistan, auch wenn das eigentlich nicht zum Thema gehört: Es ist erstaunlich, wie viele Leute hier wieder auf das linke Scheindilemma „Flüchtlinge in Afghanistan sterben lassen oder nach Deutschland holen“ hereinfallen – als wäre es keine Möglichkeit, die Nachbarländer Afghanistans dabei zu unterstützen, dass sie Flüchtlinge aufnehmen, sowohl finanziell als auch mit Hilfskräften, die auch vor Ort zusehen können, dass die Hilfe ankommt. Viele Afghanen gehören zu Volksgruppen, die auch in Pakistan, Usbekistan oder Tadschikistan leben, und könnten sich viel leichter in solchen Ländern zurechtfinden und ein neues Leben anfangen als in Europa.
Ich habe ja bis jetzt nicht so viel über Coronapolitik geschrieben. Am Anfang dieser ganzen Geschichte gab es ja schon einige schlimme Gesetze und Verordnungen, z. B. wenn Coronakranke allein sterben mussten, ohne dass jemand zu ihnen gelassen wurde, was ein absolutes Verbrechen war. Aber andere Maßnahmen konnte man noch gut und gerne für verhältnismäßig und ok halten, z. B. die Maskenpflicht. (Mich haben Masken nie sehr gestört, aber ich finde es ja auch ganz nett, meine hässlichen Zähne dahinter verstecken zu können.) Und bei den extremeren Bestimmungen konnte man denken, das sind Panikreaktionen, die hoffentlich bald aufgegeben werden, wenn man bessere Behandlungsmöglichkeiten hat. Man konnte sich ja auch mit vielem abfinden, vor allem, wenn man nur von den Verordnungen betroffen war, die nervig, aber eben nur nervig waren. Jetzt fallen mir nicht gerade viele Coronabestimmungen ein, die man noch als „verhältnismäßig“ hinbiegen könnte, und das Ganze geht jetzt schon anderthalb Jahre lang.
Jetzt soll es also für alles und jedes einen Impfnachweis oder einen Test brauchen, und die Tests sollen ab Oktober kostenpflichtig werden (während die Impfungen natürlich schön weiter von den Steuerzahlern gezahlt werden). Mit anderen Worten: Möglichst viel Schikane für alle, und eine Impfpflicht für die Armen, die sich keine ständigen Tests leisten können. Und wenn man arm ist und eine Krankheit hat, bei der eine schlechte Reaktion auf die Impfung wahrscheinlicher ist? Das interessiert nicht.
Das Interessante ist, dass es eine solche Testpflicht nicht mal Anfang 2020 gab – damals haben nach dem ersten großen Lockdown meistens die Masken gereicht, und zwar noch Stoffmasken, keine FFP2-Masken. Und damals wusste man weniger über Corona, hatte noch nicht sehen können, welche Medikamente am besten helfen, und es gab noch kaum Menschen, die eine Immunabwehr dagegen entwickelt hatten. Dazu kommt ja, dass die Varianten jetzt harmloser geworden sind (worüber nicht gern geredet wird).
Es bleibt einfach eine Tatsache: Diese Impfung ist und bleibt eine ziemlich neue Methode, konventionelle Impfstoffe sind noch nicht auf dem Markt, und so viele Impfnebenwirkungen, Fehlgeburten bei schwangeren Geimpften und Impftote gibt es bei keiner standardmäßigen Impfung. Auch wenn die meisten Geimpften mit leichten Nebenwirkungen davonkommen, es gibt solche Fälle nun mal gelegentlich. Und einem anderen Menschen vorschreiben, sich einen solchen Stoff mit teilweise unbekannter, möglicherweise schädlicher Wirkung in den Körper zu jagen, das dürfte man nur bei einer wirklich dringenden Notlage und sicherem Nutzen. Und die haben wir schlicht und ergreifend nicht. Hier hat jeder selbst das Recht, eine Risikoabwägung vorzunehmen.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der mitdenkt, glauben kann, es ginge hier noch um das Chinavirus. Wie willkürlich die deutschen Reaktionen sind, kann man sehen, wenn man sich andere Länder ansieht, die die Maßnahmen aufgegeben haben – England oder Dänemark zum Beispiel. Nirgendwo sterben die Leute wie die Fliegen auf den Krankenhauskorridoren. Und in so gut wie vollständig durchgeimpften Ländern wie Israel steigen die Infektionen auch wieder an; irgendwie scheint dieses Virus den erwartbaren Gesetzmäßigkeiten nicht so ganz zu folgen, und irgendetwas stimmt hier nicht ganz.
Seltsamerweise gilt es als irgendwie „verschwörungstheoretisch“, davon auszugehen, dass Politiker bei diesen ihren Anordnungen irgendetwas falsch machen oder schlechte Motive haben könnten. Wieso eigentlich? Ich kann mir in diesem Fall einige unrühmliche Motive vorstellen. Manche wollen sich vielleicht einfach als besonders harte Kämpfer gegen Corona herausstellen, weil das mal eine der wenigen Gelegenheiten ist, bei denen sie sich trauen, sich als hart und kompromisslos aufzuspielen. Einige genießen vielleicht unterbewusst das Gefühl, so viel Macht über Millionen Menschen auszuüben, vielleicht sind sie deswegen überhaupt erst in die Politik gegangen. Vielleicht wollen sich viele auch nicht eingestehen, dass sie irgendwann überreagiert haben könnten und eskalieren deshalb immer weiter. Manche laufen wohl auch bei dieser Entwicklung mit, weil sie das parteipolitisch gesehen für ihre beste Chance halten und sich nicht unbeliebt machen wollen. Ich kann mir aber noch einen Grund vorstellen: Einige Grüne oder zum Grünentum Geneigte haben schon ziemlich deutlich gesagt, dass es bald ähnlich harte Einschränkungen brauchen könnte, um „die Klimakrise“ anzugehen. Solche Leute könnten relativ gezielt die Bürger an harte Einschränkungen in allen Bereichen des Alltagslebens gewöhnen, damit die sich später dran gewöhnt haben, wenn man ihnen noch mehr solche Gebote und Verbote aufzwingen will. Das sind verbohrte Ideologen, die ihre Ideologie durchbringen wollen, und dabei natürlich auch mal taktisch denken könnten.
[Zum Thema Ideologie: Ich denke nicht, dass es den Klimawandel nicht gibt, auch wenn ich keine Ahnung habe, was am Ende genau seine Auswirkungen sein werden, und viele Klimaforscher die wohl auch nicht haben – es wurde ja auch schon vorhergesagt, dass manche Inseln jetzt schon überschwemmt sein sollten, von Millionen von Klimaflüchtlingen und verschwundenen Gletschern gar nicht zu reden. Aber es ist eine verbohrte Ideologie, davon auszugehen, dass ein einzelner Staat, der für 2% des CO2-Ausstoßes auf der Welt verantwortlich ist, jetzt deswegen eine Diktatur einführen und sämtliche anderen Rechte und Werte hintanstellen müsste, und damit etwas an der Situation ändern könnte. Am Ende wird es das Klügste sein, moderate technische Veränderungen vorzunehmen, viele Bäume zu pflanzen und sich an ein verändertes Klima anzupassen; und wenn Leute behaupten, der Klimawandel würde das Leben auf der Erde unmöglich machen, haben sie nicht mal die Vorhersagen der Wissenschaftler auf ihrer eigenen Seite gelesen. Mehr alte Leute, die in den Sommermonaten an Hitzschlägen sterben – das kann man sich schon vorstellen. Ernterückgänge in Teilen Afrikas, Südasiens, Südamerikas, während die Erträge auf der Nordhalbkugel eher steigen – das auch. Eine unbewohnbare, verwüstete Erde wegen einem Temperaturanstieg von durchschnittlich 2 oder 3 Grad? Jeder weiß, dass das nicht so kommen wird. Durchschnittlich 3 Grad heißt eben wirklich nur durchschnittlich 3 Grad; d. h. wenn es im Sommer irgendwo schon 25-36 Grad und im Extremfall mal 40 Grad hatte, wird es dann eben 28-39 haben und im Extremfall mal 43; unangenehmer, aber aushaltbar.]
Hier ist einfach so viel totalitäres Denken am Werk, in das sich diese Gesellschaft immer weiter hineinsteigert; was man z. B. auch sieht, wenn Politiker die Leute anstiften, ihre Familienmitglieder und Freunde so lange zu nerven, bis die sich impfen lassen. Jeder müsse „für die Impfung werben“ (können diese Leute sich vorstellen, dass man Werbung kennen kann und das Produkt trotzdem nicht kaufen will?). Schlimm ist natürlich, wie viele Leute darauf vertrauen, dass im Grunde in Deutschland nichts absolut falsch laufen kann, und denen gar keine wirklichen Bedenken deswegen kommen, und schlimmer ist, wie viele unangenehme Leute jetzt die Möglichkeit nutzen, sich als die Lieblinge des Staates aufzuspielen und über alle sog. „Impfgegner“ und „Coronaleugner“ zu lästern.
Und was kann man da machen? Nicht so viel. Nicht, wenn man nur einer von 80 Millionen ist, die jetzt mit diktatorischen Gesetzen klarkommen müssen.
Es ist keine Sünde, sich aus einem ernsthaften Grund impfen zu lassen (auch wenn die meisten dieser Impfstoffe unter ethisch komplett widerlichen Bedingungen hergestellt wurden), und ein ernsthafter Grund ist auch, es zu tun, weil man endlich wieder ein normales Leben haben und nicht im Extremfall noch seinen Job verlieren will. Die Einschränkungen der letzten anderthalb Jahre sind nicht normal, und Menschen sollten nicht so leben müssen; es ist erlaubt, etwas an sich Erlaubtes zu tun, um das zu erreichen. Aber ja, ich sehe es als besser, sie rein aus Trotz schon nicht zu nehmen. Ich habe vor, sie möglichst lange nicht zu nehmen. Vielleicht werde ich mich mit einem der konventionellen Impfstoffe impfen lassen, falls die 2022 rauskommen. Aber ich mache mir wirklich Sorgen. Das hier ist keine gute Entwicklung, und sie hat nicht bei diesem Thema angefangen (totalitäres Denken sieht man auch Themen wie Antirassismus und LGBTQ), und wird auch dabei nicht stehen bleiben. Alles in allem kann man sich wohl auf eine ziemliche DDRifizierung gefasst machen, und das macht mir schon Angst. Diese Angelegenheit zeigt eben auch, wie schnell eine Verfassung mit ihren Rechten einfach ignoriert werden kann, ohne irgendwelche offenen Änderungen oder Machtergreifungen.
Wenn man von Gottesbeweisen hört, wird man oft den kosmologischen zu hören bekommen. Der ist kein schlechter Anfang, aber er ist oft eine sehr vereinfachte Version von dem, was Philosophen wie Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin und ihre Anhänger früher ausgeführt haben.
Eine vereinfachte Version ist z. B. das „Kalam“-Argument (das eher aus dem islamischen Bereich kommt). Es geht etwa so: Alles, was einen Anfang hat (also nicht ewig ist), muss eine Ursache haben; das Universum hat einen Anfang; also hat das Universum eine Ursache; diese Ursache nennen wir Gott. Das ist nicht schlecht oder falsch; das Prinzip „von nichts kommt nichts“ ist sehr einsichtig, und die Urknalltheorie deutet sehr stark auf einen Anfang des Universums hin, während Theorien wie die eines Multiversums sehr spekulativ sind. Es gibt allerdings andere Beweise, die kein Wissen über den Anfang des Universums erfordern, und die philosophisch ein bisschen komplizierter sind. (Unter den hier angeführten ist der vierte m. E. der einfachste und stärkste.)
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1. Von den Teilen auf das Eine
Das wäre ein Gottesbeweis, der auf Überlegungen von Platon und antiken Platonikern zurückgeht. Man fängt mit der offensichtlichen Tatsache an, dass die Welt, in der wir leben, aus Teilen besteht. Man kann sehr weit ins Detail gehen bis zu Protonen und Quarks usw., und selbst diese kann man sich noch als „zerschneidbar“ denken, wobei das hier nicht die Frage ist. Jedenfalls: Alles, was wir wahrnehmen, besteht aus Teilen, und die müssen irgendwie zusammengehalten werden.
Die Beine und die Platte eines Tisches zum Beispiel werden von den Nägeln, der Erde mit ihrer Schwerkraft, der richtigen Raumtemperatur, etc. zusammengehalten. (Bei einer zu hohen Temperatur würde das Holz in Flammen aufgehen, die Nägel würden schmelzen; bei einer größeren Erdanziehungskraft würden alle einzelnen Bretter zu stark von der Erde angezogen werden, um zusammengehalten zu werden). So ist alles von vielen anderen Dingen gleichzeitig abhängig – der Tisch z. B. von den Nägeln, von der Erde, von den Luftpartikeln, die sich in dieser und jener Geschwindigkeit bewegen, was die Temperatur ausmacht. Diese Dinge sind wiederum von anderen Dingen abhängig (z. B. die Erde von der Sonne, die sie in ihrer Umlaufbahn hält, die Lufttemperatur ebenfalls von der Sonne).
Man kann hier lange Kausalreihen aufstellen, und das sind Kausalreihen, in denen alle Ursachen und Wirkungen gleichzeitig stattfinden. Die Nägel müssen jetzt im Tisch stecken, damit er zusammenhält, die Sonne jetzt die Erde mit genau der richtigen Temperatur erwärmen, die Erde jetzt ihre bestimmte Masse und damit ihre bestimmte Anziehungskraft haben. Es ist wie mit einem Glas, das auf einem Tablett steht, das auf einem Tisch steht, der auf dem Fußboden im dritten Stock steht, der von den Wänden gehalten wird, die vom Fundament gehalten werden etc. Wenn man ein Element aus dieser Reihe entfernt (z. B. den Fußboden im dritten Stock), stürzt alles weitere zusammen; das Glas steht nicht mehr da. Die Einzelelemente haben nur abgeleitete, keine eigene Kausalkraft. Eine solche Kausalreihe nennt man eine hierarchische Kausalreihe. Das Gegenteil dazu ist eine lineare Kausalreihe, in der die Zwischenursachen eigene kausale Kraft haben und die einzelnen Glieder zeitlich nacheinander kommen. Ein Beispiel: Herr Müller bringt Fritz das Malrechnen bei, Fritz bringt es seinem kleinen Bruder Franz bei. Oder: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob. Herr Müller ist nicht mehr notwendig, damit Fritz sein Wissen weitergeben kann, und genausowenig Abraham, damit Isaak einen eigenen Sohn zeugen kann.
Eine hierarchische Kausalreihe muss ein erstes Glied haben. Bei einer linearen Kausalreihe ist die Frage schwieriger; hier waren manche Philosophen, von denen ich sehr viel halte (wie Thomas von Aquin), der Ansicht, dass sie theoretisch auch unendlich zurückreichen könnte. Ich würde das eher bezweifeln, aber das muss ich gar nicht endgültig herausfinden und auch niemanden davon überzeugen, denn hier geht es nicht um lineare Kausalreihen. Und eine hierarchische Kausalreihe muss auf jeden Fall ein erstes Glied haben, das wirkliche Kausalkraft hat und von dem die Zwischenglieder alle ihre abgeleitete Kausalkraft haben.
Wenn es um die aus Teilen bestehende Welt geht, haben wir also eine hierarchische Kausalreihe. Jedes aus Teilen bestehende Ding muss zeitgleich von einem oder mehreren anderen Dingen zusammengehalten werden, diese wiederum von anderen. In dieser Reihe kann man immer weiter zurückgehen, und irgendwann muss man zu einer Erstursache kommen, die selbst nicht mehr aus Teilen besteht, also nicht mehr zusammengehalten werden muss. Man kann diese Reihe noch über das Universum hinausführen (z. B. behaupten, dass ein sehr mächtiger Engel das gesamte physikalische Universum zusammenhält), aber dann muss dieser Engel wiederum von etwas anderem zusammengehalten werden. Am Ende muss man zu etwas kommen, das aus sich bestehen kann und nicht wieder zusammengehalten werden muss: etwas absolut Einem oder Einfachen im Sinn von „nicht zusammengesetzt“.
Könnte es mehrere „Eine“ geben, die alle Teile des Universums zusammenhalten, oder die vielleicht verschiedene Welten zusammenhalten? Das könnte es nicht. Zwei Dinge, die nicht dasselbe Ding sind, müssen etwas haben, das sie unterscheidet. Selbst wenn man sich zwei Stahlwürfel mit denselben Eigenschaften und demselben Aussehen vorstellt, unterscheiden sie sich doch dadurch, dass der eine dieses Stück Materie, diese Atome und nicht jene, beansprucht, und der andere aus einem anderen Stück Materie, anderen Atomen, besteht. Wenn es zwei vollkommen einfache Wesen gäbe, müsste das eine Wesen X + A sein und das andere Wesen X + B. Dann aber wären beide nicht mehr vollkommen einfach.
Es gibt also „das Eine“, das einzige vollkommen einfache Wesen, das die ganze Welt jetzt in diesem Augenblick im Dasein erhält. Dieses Wesen muss rein geistig sein, denn Materie bedeutet Zerteilbarkeit. Ist es geistig, muss es auch – zumindest in gewisser Weise – personal sein, denn ein Geist bedeutet immer ein konkretes Bewusstsein, etwas, das sich seiner selbst bewusst ist und Intellekt und Willen hat, und nie eine herumwabernde Kraft (genau genommen findet man so etwas gar nicht für sich; Kräfte sind immer Fähigkeiten, die in einem Geist, einer Materie oder einem Mischwesen aus Geist und Materie wie Menschen liegen, nie etwas für sich Bestehendes). Es muss auch unveränderlich sein, weil es keine Teilmerkmale hat, die es gewinnen oder verlieren könnte. Es ist kausal wirksam auf die Welt, und zwar auf alles in der Welt. Es ist also ein vollkommen einfacher, unveränderlicher, personaler Geist [eben nicht im Sinn von „Gespenst“, sondern von „Bewusstsein“], der die ganze Welt zusammenhält.
Dieses Wesen nennt man auch „Gott“.
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2. Von Existenz und Wesen auf die reine Existenz
Dieses Argument ist leicht verständlich, wenn man auf dem vorigen aufbaut. Wie jedes Wesen aus materiellen Teilen besteht, besteht es auch aus metaphysischen „Teilen“, wie etwa seinem Wesen und seiner Existenz – was es ist und dass es ist. Dass das zwei verschiedene Sachen sind, sieht man leicht an folgendem Argument: Wenn man das Wesen eines Dings kennt, weiß man noch nicht, ob es auch existiert – man kann das Wesen eines ausgestorbenen Tieres oder eines Fabelwesens kennen, ohne zu wissen, ob es existiert. Wesen und Existenz sind also wirklich verschiedene Aspekte, Teile eines Dings, die kombiniert und zusammengehalten werden müssen, damit das Ding jetzt und hier da ist. Es muss eine Existenz haben und es muss ein Wesen haben, nur dann ist es da. Es muss also etwas geben, das z. B. das Wesen und die Existenz dieses Stück Eisens oder dieses Menschen zusammenhält. Diese beiden Teile kommen nicht automatisch zusammen, aus dem bloßen unverkörperten Wesen kann keine Existenz entstehen – es hat ja keine Existenz.
Das einzige Ding, das nicht auf diese Weise von etwas anderem zusammengehalten werden müsste, wäre ein Ding, dessen Wesen gleich die Existenz ist, d. h. das pure Existenz ist.
Wir können wieder eine hierarchische Kausalreihe aufstellen: Das Wesen und die Existenz dieses Menschen werden von etwas zusammengehalten. Hier könnte man eigentlich gleich Gott einsetzen, man könnte aber auch irgendein Zwischenwesen, einen Engel o. Ä. postulieren. Dessen Wesen und Existenz müssten aber auch wieder von etwas zusammengehalten werden, und so muss man zu einem ersten Glied der hierarchischen Kausalreihe kommen: Etwas, das die reine Existenz selbst ist, und deswegen für sich selbst ewig existiert und gar nicht nicht existieren könnte. Es muss ohne Ursache sein. Dieses Wesen muss einzig sein, denn wenn es zwei solche Wesen gäbe, müssten sie wiederum etwas haben, anhand von dem sie sich unterscheiden; das eine Wesen müsste Existenz + A sein, das andere Existenz + B. Dann wären beide nicht mehr die reine Existenz. Da es nur ein solches Wesen gibt, muss es die Ursache sein, die alles andere, dessen Wesen und Existenz sich voneinander unterscheidet, im Dasein hält, also die ganze Welt, nicht nur einen Teil davon. Wir haben also ein ewiges, unverursachtes, einzigartiges Wesen, das die reine Existenz ist und die ganze Welt im Dasein hält.
Dieses Wesen nennt man auch „Gott“.
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3. Von Aktualität und Potentialität auf die pure Aktualität
Alles, was man in dieser Welt um sich herum sieht, besteht auch noch aus zwei anderen metaphysischen „Teilen“, nämlich Potentialität und Aktualität. (Früher sagten Philosophen auch knapper „Potenz“ und „Akt“.) Aktualität ist das, was ein Ding jetzt gerade ist – z. B. ist das Wasser im Glas aktual flüssig. Potentialität ist das, was es sein könnte – z. B. könnte das Wasser zu Wasserdampf oder Eis werden. Potentiale sind etwas Wirkliches, das jedes Ding seinem Wesen nach hat, und es hat dementsprechend nur bestimmte – z. B. könnte das Wasser nicht plötzlich laut bellen, dieses Potential hat es nicht. Man muss die Dinge in diese zwei „Teile“ unterteilen, um zu erklären, wie es Veränderung geben kann; Veränderung ist immer die Aktualisierung eines Potentials. Ein Ding muss Potentiale haben, damit es sich verändern kann, denn wenn es nur das wäre, was es aktual gerade ist, ohne Potentiale, könnte es immer nur das bleiben, was es ist.
Damit ein Potential aktual wird – also etwas Mögliches in die Wirklichkeit übergeht – muss es von etwas angestoßen (aktualisiert) werden, das selbst aktual ist – ein bloßes Potential kann nichts bewirken. Wenn z. B. das aktual flüssige Wasser sein Potential dazu, zu Dampf zu werden, verwirklich soll, muss eine Herdplatte, die jetzt aktual heiß ist, das bewirken, eine nur potentiell heiße Herdplatte brächte nichts, und das Wasser kann auch nicht von selbst verdampfen, es würde in dem Zustand bleiben, in dem es ist.
Die Aktualisierung (Verwirklichung) eines Potentials geschieht immer durch etwas anderes bereits Aktuales.
Nun ist aber schon die Existenz eines Dings die Verwirklichung eines Potentials, nämlich seines Potentials, zu existieren. (Es könnte auch nicht existieren; kein Ding in der Welt, das wir um uns herum sehen, existiert notwendigerweise.) Dieses Potential wird jetzt in diesem Moment andauernd verwirklicht, solange das Ding im Dasein bleibt. Es braucht also etwas Aktuales, das es im Dasein hält. Jedes aktuale Ding, das wir kennen, existiert aber wiederum nicht einfach aus sich selbst, sondern verwirklicht hier wieder ein Potential. Es muss selber von etwas anderem aktualisiert werden.
Und hier kommen wir wieder zu einer hierarchischen Ursachenreihe. Alles, was wir so sehen, wird von etwas anderem in der Existenz gehalten, sein Potential zur Existenz wird verwirklicht, also müssen wir zu einem ersten Glied kommen, das die anderen Dinge aktualisieren kann, ohne selbst aktualisiert zu werden, d. h. ein unaktualisierter Aktualisierer. (Man könnte auch zu allen anderen Veränderungen in der Welt solche Kausalreihen aufstellen, teilweise hiearchische, teilweise lineare Kausalreihen, und auch da endet man bei einem unaktualisierten Aktualisierer.)
Man könnte noch die Frage stellen: Können sich die Dinge nicht gegenseitig verursachen, sich gegenseitig im Gleichgewicht halten, sodass z. B. A B’s Potential aktualisiert und B A’s Potential? Das wäre nicht möglich. Wir reden hier von der Aktualisierung des Potentials zur Existenz. Alle Dinge in dieser Ursachenreihe aber geben diese Aktualisierung nur als Zwischenglieder ohne eigene kausale Kraft weiter, da wir uns in einer hierachischen Kausalreihe befinden, und da sie selbst nicht notwendigerweise existieren, sondern auch nicht existieren könnten. Irgendwo müssen wir zu einem Glied kommen, das eigene kausale Kraft hat, die es an die anderen Glieder weitergibt. Immer von A zu B und B zu A zu wechseln, führt uns zu keinem ersten Glied, keinem „Endglied“, das eigene kausale Kraft hat, und das aus sich existiert, ohne dass sein Potential zur Existenz aktualisiert werden müsste.
Der unaktualisierte Aktualisierer muss reine Aktualität sein, denn er ist eben unaktualisiert, hat keine Potentiale, die aktualisiert werden würden. Das gilt nicht nur für die Frage der Existenz; denn auch andere Potentiale müssen in einer Ursachenreihe aktualisiert werden, und am Ende dieser Ursachenreihe muss immer dieser unaktualisierte Aktualisierer stehen. Reine Aktualität (lateinisch actus purus) heißt pure Wirklichkeit.
Hier könnte man noch die Nebenfrage aufwerfen: Könnte dieser Aktualisierer nicht auch noch irgendwelche nebensächlichen Potentiale in sich haben, die einfach nicht verwirklicht werden und auch nicht verwirklicht werden müssen? Das könnte er nicht. Denn dieses Wesen ist dasselbe, auf das wir mit den vorherigen Beweisen kommen und muss daher vollkommen eins und ungeteilt sein, also nicht zusammengesetzt aus Potentialität und Aktualität, sondern reine Aktualität.
Aus der reinen Aktualität kann man nun besonders gut auf die Attribute dieses Wesens schließen. Die reine Aktualität hat keine Potentiale, ändert sich also nicht; sie ist unveränderlich. Sie hat auch nicht das Potential, zu existieren; sie ist einfach, aktual, ohne Anfang und Ende. Materielle Dinge haben immer Potentiale und sind veränderlich; dieses Wesen ist also immateriell / rein geistig. Was rein geistig ist, ist ein Bewusstsein, etwas Personales. Es aktualisiert das Potential aller Dinge, zu existieren, also ist es allmächtig.
Wenn etwas etwas anderes verursacht, muss es dieses andere in einer gewissen Weise in sich haben (Prinzip der proportionalen Kausalität). Es kann dieses andere real in sich haben: Feuer hat reale Hitze, die es an den Menschen, der vor dem Feuer sitzt, weitergibt. Es kann dieses andere virtuell (in eher potentieller Form) in sich haben: Wer Zündholzer hat, hat die Fähigkeit, Feuer zu verursachen. Dieses Wesen muss also in sich ein gewisses Bild sowohl der einzelnen Dinge haben als auch der Formen, denen diese einzelnen Dinge entsprechen (z. B. der chemischen Elemente, zu denen alle einzelnen Dinge gehören), weil es alle diese Dinge verursacht. Es ist daher allwissend.
Reine Aktualität heißt vollkommene Wirklichkeit, ohne jede Einschränkung. Nun ist das Schlechte und das Böse immer nur eine Privation, etwas Fehlendes oder Verdrehtes und hat keine Existenz in sich. (Schlechtes ist dann böse, wenn Wesen es aus freiem Willen hervorbringen. Wenn eine Katze mit nur drei Beinen geboren wird, ist das schlecht, aber nicht böse.) Etwas ist gut insofern als es seiner Natur entspricht, und insofern ihm etwas daran fehlt oder verdreht ist, ist es schlecht. Der reinen Aktualität fehlt aber nichts, also ist sie vollkommen gut.
Wir haben also ein unveränderliches, ewiges, geistiges, personales, allmächtiges, allwissendes, vollkommen gutes Wesen.
Dieses Wesen nennt man auch „Gott“.
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4. Von kontingenten Dingen zum notwendig Seienden
Das ist meiner Meinung nach der am leichten einsichtigste Beweis unter den vier. In der Philosophie kennt man das „Prinzip des zureichenden Grundes“, das besagt, dass alles, was existiert, einen Grund für seine Existenz haben muss. Achtung: Ein Grund ist nicht dasselbe wie eine Ursache. Wenn etwas seinen Grund in etwas anderem hat, ist das seine Ursache. Es ist aber auch denkbar, dass etwas seinen Grund in sich selbst hat, aus sich selbst heraus notwendigerweise existiert, also keine Ursache hat. Alle Ursachen sind Gründe, aber nicht alle Gründe Ursachen. Und nicht alles muss eine Ursache haben, aber alles einen Grund – zumindest laut diesem Prinzip.
Dieses Prinzip wird zunächst einmal durch die empirische Erfahrung mit der Welt nahegelegt. Man geht davon aus, dass es Gründe gibt und die Welt verstehbar ist, und man findet auch Gründe, oder weiß zumindest, warum Gründe einem verborgen sind (z. B. wenn sie nach langer Zeit nicht mehr feststellbar sind). Es passt einfach zusammen; die Welt ist kein pures Chaos, in dem plötzlich Dinge aus dem Nichts auftauchen und wieder verschwinden usw. Und selbst Dinge, in denen der Zufall am Werk ist, haben Gründe – wenn z. B. ein Würfel, der genau auf die Kante fällt, entweder nach rechts oder links kippt, ist der Zufall am Werk, aber dafür, dass er überhaupt fällt, braucht es einen Grund, nämlich dass er geworfen wurde. [Der Physiker mag einwenden, dass selbst hier hier winzige Unebenheiten genau determinieren, wohin der Würfel fallen wird, aber man stelle sich um des Arguments willen einen idealisierten Würfel auf einer idealisierten Oberfläche vor. Jedenfalls: Selbst wenn die Ursache hier (oder in einem anderen Fall) nicht genau deterministisch wirkt und das genaue Ergebnis determiniert, ist es eine Ursache, die eines von mehreren möglichen Ergebnissen verursacht, eine indeterministische Ursache.]
Man kann das Prinzip des zureichenden Grundes aber auch überhaupt nicht kohärent leugnen; das führt ad absurdum. Denn man müsste wieder Gründe anführen, aus denen dieses Prinzip abzulehnen ist – und dabei würde man es selbst anwenden. Nun könnte man sagen „ich nehme einfach ohne Grund an, dass es nicht immer Gründe gibt, und dass vieles keinen Sinn macht, das behaupte ich einfach, und leugne, dass wir fähig sind, zu begründen und zu erkennen“ – schön, kann man machen. Aber damit schließt man sich aus jeder vernünftigen Diskussion aus, und außerdem ist die Welt einfach absolut nicht so, dass sie eine solche Position nahelegen würde.
Nehmen wir also dieses Prinzip an. Nun haben also alle Dinge einen Grund für ihre Existenz. Wenn sie ihn in etwas anderem haben, sind sie „kontingent“, sie existieren nicht aus sich heraus. Wenn etwas aus sich heraus existiert, heißt das, dass etwas in seinem Wesen macht, dass es existiert, d. h. dass es nicht nicht existieren können, denn sonst wäre sein Wesen nicht mehr das, was es ist. Es muss also existieren, es ist ein „notwendiges“ Ding/Wesen. Nun ist kein Ding in der Welt von dieser Art, und auch nicht das Universum als Ganzes. Jedes Ding und die Ansammlung aller Dinge ist kontingent. Wir müssen aber nicht einmal vom ganzen Universum ausgehen, wir können auch von einem einzelnen Ding ausgehen. Jetzt haben wir hier wieder eine Ursachenreihe, wobei man zwei aufstellen kann, eine hierarchische Ursachenreihe dafür, wieso dieses Ding jetzt in der Gegenwart im Dasein bleibt, und eine lineare Ursachenreihe dafür, wie dieses Ding in der Vergangenheit entstanden ist: Dieses Ding hat eine Ursache, diese Ursache hat eine Ursache usw. Die hierarchische Ursachenreihe muss sowieso ein erstes Glied haben, wahrscheinlich auch die lineare. Und nehmen wir an, die lineare Ursachenreihe könnte unendlich weit in die Vergangenheit zurückreichen (was ich bestreiten würde): Nun, wieso existiert dann diese ganze unendliche Reihe, die ja nur aus kontingenten Dingen besteht, überhaupt? Wie kann die Ansammlung kontingenter Dinge selbst nicht kontingent sein? Sie ist selbst kontingent, also muss etwas außerhalb von dieser Reihe notwendig sein (oder eben an ihrem Ende, und dann wäre sie nicht unendlich).
Wir haben also ein notwendiges Wesen, das aus sich selbst heraus existiert. Dieses notwendige Wesen wäre die Ursache für alles außer ihm selbst, denn alle Reihen, die man aufstellen könnte, führen zu ihm, also ist es allmächtig. Es hat die Existenz in sich selbst und ist ewig.
Dieses Wesen ist dasselbe, auf das wir schon mit den anderen Beweisen gekommen sind, und das nennt man auch „Gott“.
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Fazit
Diese Gottesbeweise sagen alle nicht ganz dasselbe und kommen doch zu einem Ergebnis, das genau zusammenpasst; sie gehen quasi dieselbe Figur von unterschiedlichen Standpunkten aus an. Kurz zusammengefasst: Die Welt besteht aus Teilen, ist der Veränderung unterworfen, existiert nicht notwendigerweise / hat die Existenz nicht aus sich selbst, und muss daher jetzt in diesem Moment von etwas im Dasein gehalten werden, das notwendigerweise existiert, unveränderlich und ewig ist, reiner Geist ist und damit in gewisser Weise Willen und Intellekt hat, vollkommen einfach ist, allmächtig, allwissend, vollkommen gut, reine Aktualität, dessen Wesen einfach die Existenz ist.
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Außerdem: Von den Gesetzen auf den Gesetzgeber
Man kann noch mit weiteren Überlegungen kommen, ich halte z. B. folgendes Argument für intuitiv sehr überzeugend: Die Dinge in der Welt verhalten sich nach Gesetzen, nach Regelmäßigkeiten, die ein Verstand (d. h. ein vernunftbegabter Geist) erkennen kann und nicht einfach über sie überstülpt. Sie verhalten sich erfahrungsgemäß immer nach den gleichen Gesetzen, und verschiedene Menschen können von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus die gleichen Gesetze entdecken. Das zeigt, dass es wirkliche Wesenheiten gibt (wenn man ein Naturgesetz von der Seite aus betrachtet, dass es die inhärente Tendenz einer Substanz beschreibt, sich zu verhalten) oder wirkliche Gesetze. Das weist darauf hin, dass hinter der Welt wieder ein vernünftiger Geist stehen muss, der diese Naturgesetze in die Natur gelegt hat.
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Zum Theismus im Ausschlussverfahren
Wenn man alle diese naheliegenden Schlüsse ablehnt, kommt man so langsam in die Beweispflicht. Der Atheist muss begründen, wieso er von den drei Möglichkeiten Theismus (etwas Absolutes, Schöpferisches, Ewiges steht hinter der Welt, hat sie gemacht und erhält sie), Pantheismus (dieses Absolute, Schöpferische, Ewige ist die Welt selbst, die sich ewig selbst erhält) und Atheismus (die Welt braucht nichts Absolutes, Schöpferisches, Ewiges, das sie gemacht hat und erhält) den Atheismus wählt.
Um noch einmal kurz die Frage nach dem zeitlichen Anfang der Welt zu streifen: Ein Atheist kann entweder 1) sagen, die Welt (entweder dieses Universum, ein früheres, ein Multiversum oder was auch immer; die ganze Welt eben) wäre plötzlich aus dem Nichts entstanden, quasi aufgeploppt. Das ist von vornherein als völliger Blödsinn zu erkennen und halbwegs ernstzunehmende Atheisten sollten sich damit nicht aufhalten. Das absolute NICHTS heißt, dass es nicht nur keine Materie gibt, sondern auch keinen Raum, keine Zeit und keine Naturgesetze. Ich halte nicht viel davon, wenn Laien mit Quantenphysik argumentieren, denn irgendwie wird man das nie so ganz verstehen und Fehler machen, aber dass möglicherweise kleinste Teilchen in einem Vakuum auftauchen und wieder verschwinden können, beweist gar nichts. Denn diese Teilchen entstehen (wenn sie entstehen) nicht aus dem Nichts, sondern aus einem leeren Raum, in dem bereits Naturgesetze am Werk sind, anhand derer man auch die Wahrscheinlichkeit der Entstehung soundsovieler Teilchen berechnen kann, aus einem Raum, in dem Potentiale vorhanden sein können. Wenn wir aber das absolute NICHTS haben, ist es nicht nur unwahrscheinlich, sondern völlig unmöglich, dass daraus etwas entstehen kann; denn dann gibt es auch kein Potential für eine Entstehung, und keine Naturgesetze, die seine Entstehung regeln. Das zu leugnen, heißt, den Begriff „Nichts“ nicht ernst zu nehmen.
Es gibt jetzt ETWAS; das ist klar; und das heißt auch, dass es immer ETWAS gegeben haben muss; dass IRGENDETWAS ewig sein muss, denn wenn es einmal NICHTS gegeben hätte, könnte es auch jetzt NICHTS geben.
So könnte also ein Atheist 2) sagen, die Welt wäre ewig und hätte keinen Anfang, aber ihr nicht die göttlichen Eigenschaften zusprechen, die der Pantheist ihr zusprechen würde. Das allerdings macht keinen Sinn. Denn die Welt besteht eben immer noch aus Teilen, die dann auch zusammengehalten werden müssen; sie ist immer noch kontingent, nicht notwendig; sie ist, kurz gesagt, unvollständig und anfällig für den Zerfall. Sie braucht eben doch das Absolute, Schöpferische, Ewige, ohne kommt sie nicht aus.
Und der Pantheismus macht leider deswegen auch keinen Sinn, weil die Welt eben nicht die Eigenschaften hat, die das Göttliche haben müsste. Wenn man das leugnen wollte, wenn man sagen wollte, das sei alles nur Schein, müsste man die komplette Erkenntniskraft unserer Sinne und unseres Verstandes leugnen.
Das Ausschlussverfahren ist hier eigentlich sehr praktisch; denn es bleiben nur die drei Möglichkeiten Theismus – Pantheismus – Atheismus. Und wenn zwei einfach keinen Sinn machen, bleibt nur die dritte Möglichkeit.
Das ist tatsächlich die Herangehensweise, die mir persönlich am besten gefällt.
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Ein paar atheistische Gegenargumente
„Wenn alles eine Ursache hat, was hat dann Gott verursacht?“ Das ist ein Einwand, der am Kern der Argumente völlig vorbeigeht, und wer ihn vorbringt, sollte die Beweisketten noch einmal lesen. Die Prämisse ist gerade die, dass Dinge, die bestimmte Eigenschaften haben (z. B. kontingent sind) eine Ursache haben – nicht, dass alles eine Ursache hat. (Daher ja auch oben die Unterscheidung der zwei Begriffe „Grund“ und „Ursache“.)
„Ihr schlagt einen Lückenbüßer-Gott vor.“ Auch hier wird nicht auf die Beweise eingegangen. Ein Lückenbüßer-Gott wird dann vorgeschlagen, wenn es für ein Phänomen mehrere mögliche Erklärungen gibt, eine davon Gott ist, und man gleich einfach Gott nimmt, weil einem die anderen zu umständlich sind. Z. B.: Was hat diesen Blitz verursacht? Wir wissen es nicht, also sagen wir mal Gott. Bei dem, worum es hier geht, der tiefsten Zusammensetzung und dem Bestehen der Wirklichkeit, kommt man aber nicht zu mehreren möglichen Erklärungen, sondern nur zu einer Erklärung, die notwendigerweise die göttlichen Attribute haben muss und außerhalb des physikalischen Universums stehen muss, also auch nichts mit seinen Naturgesetzen zu tun hat.
„Wenn Gott gut sein soll, wieso hat er dann Leid zugelassen?“ Das ist bei weitem das beste der ansonsten sehr schlechten atheistischen Argumente, sowohl nach dem ersten Eindruck als auch, wenn man tiefer bohrt (auch wenn es eher Gottes Attribute als seine Existenz angeht). Zunächst ist darauf zu antworten: Hier wird eine Schwierigkeit aufgeworfen, keine Widerlegung vorgebracht. Wenn die oben angeführten Beweise schlüssig und fehlerlos sind, bleiben sie das, und beweisen Gott und Seine Attribute. Die Frage ist dann nicht, ob Gottes Güte mit der Existenz von Leid vereinbart werden kann, sondern nur noch, wie. In der Naturwissenschaft wird genauso vorgegangen. Wenn man über etwas stolpert, das zunächst nicht mit dem Gesetz der Schwerkraft zusammenzupassen scheint, verwirft man nicht dieses bereits bestens bewiesene Gesetz, sondern forscht nur danach, wie es doch zusammenpassen kann. Atheisten müssten nun beweisen, dass es überhaupt keine Möglichkeit gibt, Gott und das Leid zu vereinbaren; solange sie das nicht getan haben, beweist ihr Argument noch gar nichts. Und es sind tatsächlich mehrere Möglichkeiten denkbar. Zunächst mal kann man darauf hinweisen, dass das meiste Leid durch den freien Willen der Geschöpfe verursacht wird, und Gott das nur zulässt. Menschliche Bosheit ist die größte Katastrophe der Welt, und ohne sie würde man im Paradies leben. Wenn Gott seinen vernunftbegabten Geschöpfen aber den freien Willen nehmen würde, wären wir nur Roboter und auch nicht wirkungsvoll fähig, Gutes zu tun und zu lieben. Wenn Gott uns also zu guten Geschöpfen machen will, muss er auch die Möglichkeit zulassen, dass wir böse werden. Der stärkste Einwand darauf wiederum ist: Aber hätte Gott nicht eine Welt mit solchen Geschöpfen schaffen können, denen er den freien Willen gelassen hätte, bei denen er aber vorhergesehen (vorhergesehen, nicht verursacht!) hätte, dass sie sich immer nur für das Gute entscheiden werden, und andere Geschöpfe, die sich für das Böse entschieden hätten, einfach unerschaffen lassen können? Das hätte er natürlich tun können – vielleicht hat er auch neben unserer noch eine andere Welt erschaffen, in der das so ist. Aber in einer solchen Welt hätte es zwar Gutes gegeben, aber eine bestimmte Art von Gutem hätte nie existieren können: Z. B. Mitleid, Mut, gegenseitige Hilfe in Widrigkeiten, Treue auch wenn man bedroht wird, Vergebung für erlittenes Unrecht. Dass wir in dieser Welt durch das Böse erprobt werden, macht erst die Entwicklung dieser guten Dinge möglich. Das ist logisch notwendig; und auch Gott kann nichts Selbstwidersprüchliches tun (er könnte auch kein rundes Quadrat schaffen), weil das Selbstwidersprüchliche gar keine Existenz hat. Offensichtlich wollte Gott (auch) eine Welt schaffen, in der es diese Art von Gutem gibt und hat dafür Böses zugelassen (zugelassen, nicht verursacht; denn das würde tatsächlich dem Attribut der vollkommenen Güte widersprechen). Jetzt könnte man noch das Leid erwähnen, das nicht aus dem menschlichen Willen kommt (Naturkatastrophen, Krankheiten), aber hier ist die Behauptung zumindest einiger monotheistischer Religionen wie dem Christentum, dass es grundsätzlich eben auch aus dem freien Willen von Geschöpfen kam; dass die Welt in Mitleidenschaft gezogen wurde durch den Fall der gefallenen Engel (reiner Geistwesen, mit freiem Willen begabt, nicht allmächtig, nicht anfangslos, nicht allwissend, vor dem Menschen erschaffen, teilweise gut, teilweise böse geworden) und durch den Fall der ersten Menschen, die eine von Gott auferlegte Prüfung nicht bestanden und ansonsten ohne solches Leid hätten leben können. Hier geht es nicht darum, diese Sicht genau zu belegen: Solange sie möglich ist (und es vielleicht noch andere Möglichkeiten gibt) ist der atheistische Einwand gescheitert. Und die Sache ist nun mal die: Die Welt ist so komplex und wir haben eine so begrenzte Sicht, dass man keinen Überblick über das Gute und das Böse insgesamt hat, geschweige denn das Gute und das Böse, das es in anderen Szenarien hätte geben können. Man kann noch hinzufügen, dass viele theistische Religionen und Philosophien von einem Weiterleben im Jenseits (sozusagen nach bestandener Prüfung) reden, dessen Güter die diesseitigen Güter um vieles aufwiegen würden. Das Problem des Bösen macht also Gottes Existenz in jedem Fall nicht unmöglich; und wir haben unabhängig davon die oben genannten Beweise, die sie belegen.
„Ihr Theisten verwerft die polytheistischen Götter. Ich gehe nur einen Schritt weiter und verwerfe auch noch euren Gott.“ Dieses Argument ist überhaupt keine Erwiderung auf die Argumente. Es ist, wie wenn man sagen würde „ihr verwerft 5 und 3 als Antwort auf 2+2, ich gehe nur einen Schritt weiter und verwerfe auch 4“. Falsche Gottesvorstellungen zu verwerfen sagt nichts darüber aus, ob es eine richtige gibt. Zumal das Argument auch an anderer Stelle fehlgeht; denn Götter wie Zeus und Odin waren nie dasselbe wie Gott. Polytheisten gingen von ihren Göttern als mächtigen, innerweltlichen Wesen aus (vielleicht Naturgewalten verkörpernd), die nicht ewig waren und irgendwann entstanden waren, die begrenzt waren durch andere Götter. Die anfangslose Ursache des gesamten Universums ist etwas nicht nur graduell, sondern kategorisch Anderes. Die „Götter“ der Polytheisten waren Geschöpfe – nicht ohne Grund behaupteten z. B. die ersten Christen, die römischen und griechischen Götter wären alle nur vergöttlichte Menschen aus grauer Vorzeit oder Dämonen (gefallene Engel), die den Heiden erschienen wären und sich als wohlwollendere Geschöpfe ausgegeben hätten. Interessanterweise kannten aber auch viele Polytheisten jenseits ihrer mit Göttern, Halbgöttern und Geistern bevölkerten Welt noch den einen Schöpfer, bei den nordamerikanischen Ureinwohnern z. B. der „Große Geist“ genannt.
„Dieses philosophische Gelaber ist unwissenschaftlich, nur die Naturwissenschaft ist verlässlich.“ Das ist selbst wieder eine Ansicht, die keine wissenschaftliche These, sondern eine philosophische ist. Die Ansicht, dass nur die Naturwissenschaft Erkenntnis bringe, ist nicht selbst Naturwissenschaft, sondern mit ihr gehen manche Leute an die Naturwissenschaft heran. Und zwar, ohne sie zu beweisen. Und nicht nur dieser falsche Szientismus ist eine philosophische Behauptung, auch wahre Behauptungen, auf denen die Naturwissenschaft aufbaut, sind philosophische Behauptungen – z. B. die Behauptung, dass die Welt von allgemein gültigen Gesetzen regiert wird und kein unverständliches Chaos ist. Ohne Philosophie kommt man nicht aus. Die Naturwissenschaft ist gut bei naturwissenschaftlichen Problemen, so wie Metalldetektoren gut dabei sind, Metall zu finden. Schließe ich aus dem Erfolg der Naturwissenschaft, dass es nichts Meta-Physisches (= jenseits der Natur) gibt, ist das dasselbe, wie wenn ich aus dem Erfolg von Metalldetektoren schließen würde, dass es nichts anderes als Metall zu finden gibt – nicht mal Metalldetektoren.
„Wenn es Gott wirklich gäbe, müsste seine Existenz für alle offensichtlich sein.“ Hier wird nicht klar, worauf diese Behauptung basiert. Wieso müsste er das? Manche Theisten gehen oder gingen davon aus, dass Gott keine persönliche Beziehung zu seinen Geschöpfen haben will, sondern die Welt eher aufzieht wie eine Uhr und sie dann machen lässt. Nun ist es aber sogar so, dass die Mehrheit der Menschheit – besonders historisch gesehen, aber auch heutzutage – auf irgendeine Art und Weise religiös ist, und sehr viele davon (auch Polytheisten) einen höchsten Schöpfer anerkennen. Für die Mehrheit der Menschheit (auch für, historisch gesehen, so gut wie alle Philosophen) scheint Gottes Existenz relativ offensichtlich zu sein, und Hard-Core-Atheisten sind eine kleine Minderheit. Nun ist es offenbar so, dass Gottes Existenz einen nicht so direkt aus der Welt anspringt, dass es absolut unmöglich wäre, sie zu leugnen – wobei einige Menschen auch absolut Offensichtliches leugnen (z. B. entweder behaupten, dass der Geist oder dass die Materie nur Schein wäre). Vielleicht wollte Gott es so einrichten, dass er relativ leicht zu erkennen ist, aber sich Leute mit einer gewissen Verstellung, einem gewissen Blindstellen gegenüber den überdeutlichen Hinweisen, noch einreden können, es gäbe ihn nicht. Er hat nach Ansicht einiger Religionen in dieser Welt Prüfungen zugelassen, wieso nicht auch diese?
So weit mal also einige Beweise für Gott und Hinweise auf Ihn.
Manchmal hört man ja von Leuten den Gedankengang: Offensichtlich sind sich viele sehr kluge und gebildete Leute nicht einig, was die Wahrheit ist; wie soll ich dann erst drauf kommen? Es ist aber gar nicht nötig, so zu denken. Erstens sind nicht alle Gebildeten auch gescheit. Zweitens haben auch gescheite Gebildete oft keine Ahnung außerhalb ihres Fachgebiets, und viel philosophische und historische Bildung wird gar nicht mehr unterrichtet. (Wer weiß noch, was Aristoteles oder Platon selber wirklich alles gesagt haben? Ich nehme mich da gar nicht unbedingt aus, ich hab selber bis jetzt noch kaum was von denen im Original gelesen.) Und drittens können auch umfassend gebildete Gescheite sich einfach aus den banalsten Gründen irren – weil sie doch irgendwelchen Vorurteilen aufsitzen, oder weil sie eine bestimmte Motivation haben, etwas zu denken, oder weil sie über Scheineinwänden gegen X die gewichtigeren Gründe vergessen, die schon zu X geführt haben.
Und auch kluge Menschen suchen sich manchmal irgendetwas Absurdes aus, einfach um originell zu wirken, und suchen dann schlaue Gründe, um daran zu glauben. Man kann seine Intelligenz auch manchmal einfach nur nutzen, um offensichtliche, einfache Wahrheiten gekonnt zu verschleiern und zu verunklaren. (Ob man sich dessen ganz bewusst ist oder nur halb oder kaum.) Ein hoher IQ hat sicher viele Vorteile; aber man muss ihn auch richtig verwenden.
Da gibt es ja diese Philosophien, die hauptsächlich darauf aufbauen, irgendetwas zu leugnen, das eine Selbstverständlichkeit ist, die einen aus der Welt um einen herum quasi anspringt:
Der Materialismus, der den Geist für Schein erklärt
Das Gegenteil, östliche Philosophien, die alles Materielle für Schein erklären
Der Nominalismus, der es für Schein erklärt, dass mehrere Dinge eine Wesenheit teilen können, und der alle Einteilungen der Wirklichkeit für menschliche Konvention hält
Der Solipsismus, der nur das Selbst für wirklich hält
Die heraklitische Philosophie, alles sei im Fluss, nichts konstant
Die eleatische Philosophie, alles sei eins und völlig statisch, Werden und Vergehen nur Schein
(Im Gegensatz dazu ist der Thomismus eine relativ klare Philosophie, die immer wieder sehr gut mit dem gesunden Menschenverstand übereinstimmt.)
Das muss man nicht ernst nehmen, nur weil schlaue Menschen es gesagt haben. Auch schlaue Menschen können ganz grundlegend Unsinn reden – vielleicht einfach nur, weil sie sich von den dummen Menschen abheben wollen. Ich bin ja gerne vorlaut und besserwisserisch und bilde mir was auf mein Einserabitur ein, aber ich weiß schon, dass es auch einige wirklich geniale Menschen gibt, die schlauer sind als ich. Aber deswegen muss ich nicht jede Meinung von denen übernehmen, genausowenig wie andere von mir.
Zu diesen Philosophien also: Wenn man ein bisschen sucht, finden sich auch zu ihnen allen ausführliche Widerlegungen, die über den ersten Eindruck hinausgehen. Der Nominalismus wäre ein gutes Beispiel, weil er auf den ersten Blick ein wenig vernünftiger klingt als die anderen. Nominalisten könnten sagen: Es gibt doch keine Dinge, die wirklich ein Wesen teilen, wir ordnen sie nur in Gruppen ein, weil sie uns ähnlich erscheinen. Was grenzt diese zwei Stühle wirklich von diesen zwei Tischen ab? Nur menschliche Konventionen.
Dagegen kann man aber u. a. sagen: Es gibt sehr wohl Dinge, die eindeutig solche Wesenheiten teilen – z. B. zwei Teile desselben Elements, wie etwa zwei Stücke Eisen. Sie haben eine Einheit untereinander, die sie mit anderen Dingen nicht haben – wenn z. B. diese zwei Eisenstücke verschmelzen, ergeben sie wieder Eisen, das dieselben Eigenschaften hat wie die Eisenstücke davor; wenn Eisen mit einem anderen Metall verschmilzt, ist das nicht so. Ebenso haben zwei Menschen oder zwei Katzen unter sich eine gewisse Einheit; sie können sich miteinander fortpflanzen, mit anderen Wesen nicht (und sie leben auch miteinander). Und auch sonst zeigt sich die Welt ganz so, wie wir es erwarten würden, wenn Wesenheiten nicht nur beliebige menschliche Einteilungen wären. Natürlich können Menschen aus diesen Grundstoffen weitere Dinge herstellen, die keine wirklichen Substanzen sind – z. B. aus Holz einen Hocker, einen Stuhl und eine Bank. Deren Abgrenzung voneinander ist wirklich etwas willkürlich. Aber Abgrenzungen wie die von geometrischen Figuren, chemischen Elementen und biologischen Spezies ist vollkommen objektiv, und jeder Mensch kann sie unabhängig von anderen Menschen feststellen. So haben ja auch zwei Chemiker unabhängig voneinander das Periodensystem festgelegt.
Bei einer Idee wie dem Solipsismus kann man einfach sagen: Das kannst du schon postulieren; aber du kannst eben nichts als Begründung dafür bringen. Du gehst ja davon aus, dass alle unsere Sinne uns grundlegend etwas vortäuschen und wir überhaupt nichts wissen können; dann können wir auch nicht den Solipsismus beweisen. Da kann man dann im Endeffekt postulieren, was man gerade will, und hat keine Gründe dafür. (Dazu kommen natürlich noch andere Argumente: Z. B.: Meine Erinnerungen reichen nur eine begrenzte Zeit zurück; also macht es Sinn, davon auszugehen, dass ich nicht immer existiert habe. Wie hätte dann aber mein Bewusstsein überhaupt entstehen können, wenn es das einzige ist, das existiert und mir die ganze übrige Welt vorgaukelt?)
Beim Materialismus ist es ähnlich. Das Geistige (Gedanken usw.) komplett zu leugnen wäre extrem absurd, aber es nur für eine Art Ausgeburt der Materie zu halten, ist nicht viel besser. Gedanken haben schlicht nichts mit Materie gemein; und die Materie enthält in sich nichts, was Gedanken hervorbringen kann; jedenfalls gibt es keine Hinweise darauf. (Und die Ursache muss das Verursachte in irgendeiner Weise in sich enthalten, entweder real oder in eher potentieller Form. Von nichts kommt nichts.) Der Geist und die Materie hängen – zumindest bei Menschen – zusammen, insofern das richtige Funktionieren des Geistes vom richtigen Funktionieren der Materie (des Gehirns) abhängt. Aber dass etwas zusammenhängt, impliziert nicht die Entstehung des einen aus dem anderen. Der Fahrer und sein Auto hängen ebenso zusammen. Gedanken sind etwas, das selbst keine Materialität hat; denn der Gedanke ist nicht das Zucken im Gehirn, sondern die Denkaussage, z. B. „22 + 33 = 55“ oder „Wenn Max der Bruder von Moritz ist, ist Moritz auch der Bruder von Max“.
Was ich damit nur sagen will: Scheinbar absurde Ideen sind manchmal einfach wirklich absurd und dumm.