Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 11b: Wo sind die Toten vor dem Weltgericht und was ist mit dem Fegefeuer?

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Bibelstellen zum Vergleich:

Zum Fegefeuer: 2 Makk 12,40-45; 1 Kor 3,15

Zum Schicksal der Toten vor dem Weltgericht: Lk 16,19-31

Unter manchen christlichen Gemeinschaften ist heute noch die Vorstellung vom sog. „Seelenschlaf“ verbreitet; nach dem Tod würden die vom Körper getrennten Seelen erst einmal quasi schlafen oder sterben, und erst beim Weltende und Jüngsten Gericht, wenn die Körper auferstehen, würden die Seelen wieder erwachen und sich mit ihnen vereinigen, und dann würde der Mensch erst von Gott gerichtet werden. Die katholische Sicht ist dagegen: Nach dem Tod wird die Seele gleich gerichtet und kommt zu Gott in den Himmel (bzw. vorübergehend ins Fegefeuer und dann in den Himmel) oder in die Hölle; beim Weltgericht wird sie mit ihrem Körper wiedervereinigt, auch der erhält jetzt seine Strafe oder Belohnung, und das ganze Gericht über alle Menschen wird noch einmal öffentlich gemacht, aber das Urteil über den einzelnen ändert sich nicht. (Und natürlich werden jetzt auch die Menschen erstmals gerichtet, die beim Weltende noch nicht gestorben waren.) Dieses Thema war unter den frühen Christen durchaus noch umstritten; sie betonten sehr die leibliche Auferstehung und waren sich offenbar nicht ganz einig, was vorher mit den Seelen geschieht. Noch Papst Johannes XXII. im 14. Jahrhundert vertrat die Idee vom Seelenschlaf als theologische Privatmeinung in einigen Predigten, widerrief aber, als die Theologen dagegen protestierten, und sein Nachfolger klärte diese Frage endgültig 1336 in einer päpstlichen Bulle. (Das ist insofern ein gutes Beispiel für die Lehrentwicklung, und für die Tatsache, dass auch Päpste, wenn sie nicht ex cathedra sprechen (also nicht im Namen der Kirche eine Lehre als verbindlich für alle Christen verkünden wollen), irren können.)

Noch ein anderes Thema hängt damit zusammen, nämlich die katholische Lehre vom Fegefeuer oder Läuterungsort (Purgatorium), wo die Seelen, die zwar keine bewusste, unbereute schwere Sünde mehr auf dem Gewissen hatten, aber zu ihrem Todeszeitpunkt noch gewisse Dinge zu sühnen hatten und sich von manchen lässlichen Sünden nicht lossagen wollten, vor ihrem Eintritt in den Himmel geläutert werden. Das Gebet anderer kann dabei helfen, ihre Sünden zu sühnen und ihre Läuterung zu beschleunigen. Diese Lehre findet sich bereits im Alten Testament in den Makkabäerbüchern (2 Makk 12,40-45). Protestanten lehnen sie ab; es gäbe nur entweder Himmel oder Hölle (oder eben, die Seelen befänden sich im Seelenschlaf), und beten deshalb auch nicht für die Toten und erkennen die Makkabäerbücher nicht als Teil der Bibel an.

Fangen wir erst einmal mit dem Fegefeuer und dem Gebet für die Toten an.

Eine Aussage der heiligen Perpetua ist hier sehr interessant; sie war eine junge Christin aus Nordafrika, die im Gefängnis vor ihrem Martyrium im Jahr 203 n. Chr. ihre Erlebnisse aufschrieb. Da heißt es:

„Nach wenigen Tagen, während wir alle beteten, brach mir plötzlich mitten im Gebete die Stimme hervor und ich nannte den Dinokrates. Ich staunte, daß er mir nie in den Sinn gekommen war als nur in diesem Augenblicke, und ich dachte mit Trauer an sein Schicksal. Ich erkannte auch sofort, daß ich würdig sei und für ihn beten müsse, und fing an, für ihn viele Gebete zu sprechen und zum Herrn zu seufzen. Sofort noch in derselben Nacht hatte ich folgendes Gesicht. Ich sehe den Dinokrates aus einem finsteren Orte, wo viele ganz erhitzt und durstig waren, in schmutziger Kleidung und blasser Farbe hervorkommen mit einer Wunde im Gesicht, die er hatte, als er starb. Dieser Dinokrates war mein leiblicher Bruder, der im Alter von sieben Jahren aus Schwäche wegen eines Krebsleidens im Gesichte elend starb, so daß sein Tod allen Menschen ein Abscheu war. Für diesen also hatte ich gebetet, und es war zwischen mir und ihm ein großer Zwischenraum, so daß wir beide nicht zueinander kommen konnten. Es war ferner an dem Orte, an welchem Dinokrates sich befand, ein Bassin voll Wasser, dessen Rand aber höher war als die Größe des Knaben, und Dinokrates streckte sich aus, als ob er trinken wollte. Ich war traurig darüber, daß jenes Bassin voll Wasser war und er doch wegen der Höhe der Umfassung nicht trinken konnte. Da erwachte ich und wurde inne, daß mein Bruder leide; aber ich vertraute, daß ich seiner Not abhelfen werde, an all den Tagen, bis wir in den Kerker des Lagers übersiedelten; denn bei den Spielen nahe dem Lager sollten wir kämpfen; es war damals der Geburtstag des Cäsars Geta. Und ich betete für ihn Tag und Nacht mit Seufzen und Tränen, damit er mir geschenkt werde.

An dem Tage, an welchem wir im Kerker gefesselt blieben, hatte ich folgende Erscheinung. Ich sehe jenen Ort, den ich früher gesehen hatte, und den Dinokrates mit gewaschenem Leibe, gut gekleidet und sich erholend; wo die Wunde gewesen war, sehe ich eine Narbe, und die Umfassung jenes Teiches war tiefer geworden bis an den Nabel des Knaben; ohne Aufhören schöpfte er Wasser aus dem Bassin. Über der Umfassung war auch eine goldene Schale voll Wasser; Dinokrates trat hinzu und fing an, aus der Schale zu trinken, und diese wurde nicht leerer; nachdem er genug Wasser getrunken hatte, fing er froh nach Art der Kinder an zu spielen. Da erwachte ich und erkannte, daß er aus der Strafe entlassen war.“ (Akten der hl. Perpetua und Felicitas 7-8)

Etwas ganz Ähnliches kommt in den Akten des Paulus und der Thekla (wohl aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts) vor, die diverse Geschichten aus Paulus‘ Leben erzählen, die in der Apostelgeschichte fehlen. Thekla, eine geweihte Jungfrau, die Paulus begleitet, ist in Antiochia zum zweiten Mal vor ein Gericht gebracht worden (nachdem sie sich gegen die sexuelle Belästigung durch einen hochrangigen Mann gewehrt hat) und zum Tod durch wilde Tiere verurteilt worden; dann heißt es:

„Thekla aber bat den Statthalter, daß sie unberührt bliebe, bis sie mit den Tieren kämpfen müsse. Und eine reiche Frau, namens Tryphäna, deren Tochter gestorben war, nahm sie in ihre Obhut und fand an ihr Trost. […] Ihre Tochter nämlich, die gestorben war, hatte im Traum zu ihr gesprochen: ‚Mutter, die Fremde, die verlassene Thekla, sollst du an meiner Stelle annehmen, damit sie für mich bete und ich an den Ort der Gerechten versetzt werde.‘ Als nun nach dem Umzug Tryphäna sie zu sich nahm, war sie einerseits traurig, weil sie am folgenden Tag mit den Tieren kämpfen sollte, andererseits aber liebte sie sie wie ihre Tochter Falconilla; und sie sprach: ‚Mein zweites Kind, Thekla, komm bete für mein Kind, daß es lebe; denn das habe ich im Traum geschaut.‘ Sie aber erhob, ohne zu zögern, ihre Stimme und sprach: ‚Du Gott der Himmel, Sohn des Höchsten, verleihe ihr nach ihrem Willen, daß ihre Tochter Falconilla leben möge in Ewigkeit!‘ Und als Thekla so sprach, trauerte Tryphäna, da sie daran dachte, daß solche Schönheit vor die Tiere geworfen werden sollte.“ (Paulusakten 3,27-29, in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 248; hier eine englische Übersetzung.)

Die Tiere greifen Thekla dann übrigens nicht an, und sie wird freigelassen, führt noch ein längeres Leben und verkündet Christus.

Diese Stelle ist auch dahingehend interessant, dass die frühen Christen sich durchaus vorstellen konnten, dass Heiden, die Christus ohne eigene Schuld nicht gekannt hatten, in den Himmel kommen könnten (evtl. eben nach einem Läuterungsprozess und mit Hilfe des Gebets von Christen); Tryphäna lernt erst durch Thekla das Christentum kennen. Das schreibt ja auch Justin der Märtyrer (1. Apologie 46), den ich hier schon zitiert habe: „Die, welche mit Vernunft lebten, sind Christen, wenn sie auch für gottlos gehalten wurden, wie bei den Griechen Sokrates, Heraklit und andere ihresgleichen, unter den Nichtgriechen Abraham, Ananias, Azarias, Elias und viele andere, deren Taten und Namen aufzuzählen wir jetzt als zu weitläufig unterlassen möchten. Daher waren auch die, welche vorher ohne Vernunft gelebt haben, schlechte Menschen, Feinde Christi und Mörder derer, die mit Vernunft lebten, wohingegen, wer mit Vernunft gelebt hat und noch lebt, Christ ist und ohne Furcht und Unruhe sein kann.“


(Paulus und Thekla auf einem Fresko aus dem 6. Jh.)

Bischof Aberkios von Hierapolis in Phrygien bittet gegen Ende des 2. Jahrhunderts in seiner Grabinschrift (die nur verschlüsselt über den christlichen Glauben spricht) andere um ihr Gebet für ihn:

„Einer auserwählten Stadt Bürger habe ich dies errichtet,
da ich noch lebe, auf dass ich hätte seiner Zeit für
meinen Leib hier eine Stätte.
Aberkios bin ich mit Namen, der welcher Jünger ist
eines reinen Hirten,
der da weidet der Schafe Herden auf Bergen und Fluren,
der Augen hat gewaltig, die überall herniederschauen;
denn er hat mich gelehrt … untrügliche Zeichen.
Der nach Rom mich sandte, einen König zu schauen
und eine Königin zu sehen mit goldnem Gewand und
goldnen Sandalen;
einen Stein aber sah ich dort mit einem leuchtenden Gepräge.
Und Syriens Flur sah ich und seine Städte alle; ich überschritt
den Euphrat und sah Nisibis. Überall aber gewann ich Kultgenossen;
Paulos war mein (Begleiter?). Nestis leitete mich überall
und schaffte mir Nahrung überall, einen Fisch vom Quellwasser
gar gross und rein, den gefangen hatte eine reine Jungfrau,
und den gewährte sie den Genossen immer zu essen
und spendete Wein in guter Mischung mit Brot.
Dies habe ich Aberkios unter meiner eignen Aufsicht so
zu schreiben geheissen.
Das zweiundsiebzigste Jahr hab‘ ich wirklich vollbracht.
Wer dies versteht, bitte für Aberkios, ein jeder Genosse.
Aber keiner soll in mein Grab noch einen andern oben
darauf beisetzen.
Wenn er es thut, soll er dem römischen Fiscus spenden
zweitausend Goldstücke
und der guten Vaterstadt Hierapolis tausend Goldstücke.“ (Aberkiosinschrift)


(Nachbau von Aberkios‘ Grabstein.)

Das waren jetzt alles keine Lehrschreiben von Theologen, und die Paulusakten sind an ein paar Stellen auch theologisch fehlerhaft (z. B. tauft Thekla sich selbst) oder vielleicht etwas legendarisch, aber diese Aussagen zeigen alle, dass unter den Christen des 2. und frühen 3. Jahrhunderts die Ansicht verbreitet war, man sollte für die Toten beten und könnte ihnen damit helfen, an einen besseren Ort zu kommen.

Jetzt zum Schicksal der Seelen vor dem Weltgericht:

Der hl. Ignatius von Antiochia schreibt um 107 n. Chr. auf dem Weg zu seiner Gerichtsverhandlung und seinem Martyrium in Rom an eine Gemeinde, dass er, wenn er im Himmel sei, für sie beten werde, was impliziert, er werde bei Gott sein, während die Trallianer noch auf Erden leben:

„Meine Seele opfert sich für euch nicht nur jetzt, sondern auch wenn ich zu Gott gelangt bin.“ (Brief des Ignatius an die Trallianer 13,3)

Vor ihrem Tod wird von mehreren Märtyrern von Visionen berichtet. Die oben schon erwähnte Perpetua berichtet von einem ihrer Leidensgenossen, dass er eine Vision hatte, laut der sie gleich nach ihrem Martyrium in den Himmel kommen würden:

„Aber auch der selige Saturus hat folgende Erscheinung, die er selbst gehabt hat, aufgeschrieben und bekannt gemacht. Wir hatten, sagt er, gelitten und gingen aus dem Fleische hinaus; da wurden wir von vier Engeln, deren Hände uns nicht berührten, nach Osten getragen. Wir machten den Weg aber nicht mit dem Rücken liegend und aufwärts gerichtet, sondern so, als wenn wir einen sanften Hügel hinanstiegen. Und als wir aus der ersten Welt heraus waren, sahen wir ein großes Licht, und Perpetua, die an meiner Seite war, sagte: Das ist, was uns der Herr verheißen hat, wir haben die Verheißung empfangen. Und indem wir so von den vier Engeln getragen wurden, öffnete sich uns ein weiter Raum, wie ein Lustgarten; darin waren Rosenbäume und Blumen aller Art. Die Bäume waren so hoch wie Zypressen und ihre Blätter fielen ohne Unterlaß herab. Dort in dem Lustgarten waren vier andere Engel, herrlicher als die vorigen; als diese uns sahen, erwiesen sie uns Ehre und sagten zu den anderen Engeln: Da sind sie, da sind sie! Mit Verwunderung und staunend setzten uns nun jene Engel, die uns getragen hatten, ab und wir durchschritten den Raum zu Fuß auf einem breiten Wege. Dort fanden wir den Jokundus, den Saturninus und den Artaxius, die in derselben Verfolgung lebendig verbrannt wurden, und den Quintus, der als Märtyrer im Kerker gestorben war, und fragten sie, wo die übrigen seien. Die Engel aber sprachen zu uns: Kommt zunächst hinein und grüßet den Herrn.

Und wir kamen zu einem Orte, dessen Wände aus Licht gebaut zu sein schienen; vor dem Eingange dieses Ortes bekleideten uns, als wir eintraten, vier Engel mit weißen Gewändern. Wir traten ein und hörten eine vereinte Stimme, die unaufhörlich: Heilig, heilig, heilig rief. Und wir sahen in diesem Orte einen alten Mann sitzen, der schneeweißes Haar, aber ein jugendliches Angesicht hatte; seine Füße aber sahen wir nicht. Zu seiner Rechten aber und zu seiner Linken standen vier Älteste und hinter ihnen noch mehrere andere Älteste. Voller Bewunderung traten wir ein und standen vor dem Throne; die vier Engel hoben uns in die Höhe, wir küßten ihn und er warf es uns von seiner Hand ins Antlitz zurück. Die übrigen Ältesten aber sagten uns: Laßt uns stehen! Und wir stellten uns und gaben den Friedenskuß. Und die Ältesten sagten zu uns: Gehet jetzt und spielet! Da sagte ich zu Perpetua: Da hast du, was du verlangst. Und sie entgegnete mir: Gott sei Dank; wie ich im Fleische fröhlich war, will ich es jetzt noch mehr sein.

Wir gingen hinaus und sahen vor der Türe den Bischof Optatus zur Rechten und den Priester und Lehrer Aspasius zur Linken; sie standen da voneinander getrennt und traurig, warfen sich uns zu Füßen und sagten: Stiftet Frieden unter uns, weil ihr hinausgegangen seid und uns so zurückgelassen habt. Und wir sagten zu ihnen: Bist du nicht unser Bischof und du unser Priester, daß ihr euch uns zu Füßen leget? Und wir wurden gerührt und umarmten sie. Perpetua redete griechisch mit ihnen und wir gingen mit ihnen in den Lustgarten unter einen Rosenbaum. Und während wir mit ihnen redeten, sagten die Engel zu ihnen: Lasset sie, sie sollen sich ergötzen; und wenn ihr Streitigkeiten untereinander habt, so vergebet einander; sie trieben sie fort und sagten zu Optatus: Bessere dein Volk. Denn so kommt man bei dir zusammen, als ob man aus dem Zirkus zurückkehrte und in Parteien geteilt stritte. Es schien uns aber, als wollten sie die Tore schließen. Und wir erkannten dort viele Brüder, die auch Märtyrer waren; wir alle wurden mit einem unbeschreiblichen Wohlgeruche erfüllt, der uns sättigte. Darauf erwachte ich in freudiger Stimmung.“ (Akten der hl. Perpetua und Felicitas 11-13)

Bischof Irenäus von Lyon schreibt um 180 n. Chr., dass die Seelen der Toten schon vor dem Gericht an unterschiedliche Orte kämen; er wendet sich hier hauptsächlich gegen die Lehre von der Seelenwanderung, die manche antike Sekten vertraten:

„Hierdurch [das Gleichnis vom armen Lazarus und dem Reichen] ist deutlich erklärt worden, daß die Seelen nicht von Körper zu Körper übergehen, sondern fortdauern, die menschliche Gestalt beibehalten, um erkannt zu werden, und sich an die irdischen Dinge erinnern; daß ferner dem Abraham die Lehrgabe innewohnt, und daß auch schon vor dem Gerichte jede Menschenart den ihr gebührenden Wohnplatz erhält.“ (Irenäus, Gegen die Häresien II,34,1)

Außerdem schreibt er allerdings:

„Wenn also der Herr das Gesetz der Toten beobachtet hat, um der Erstgeborene von den Verstorbenen zu werden, und bis zum dritten Tage in den Tiefen der Erde sich aufhielt, dann aber, im Fleische auferstand, um den Jüngern die Male der Nägel zu zeigen, ehe er zum Vater aufstieg, dann sind die widerlegt, die da sagen, die Unterwelt, das sei diese irdische Welt, und dieser ihr unterer Mensch lasse hier seinen Leib zurück, um an den überhimmlischen Ort emporzusteigen. Wenn nämlich der Herr ‚mitten im Todesschatten hinging‘, wo die Seelen der Verstorbenen waren, dann aber leiblich auferstand und nach der Auferstehung emporgehoben wurde, dann werden offenbar auch die Seelen seiner Jünger, derentwegen der Herr dies getan hat, an jenen unsichtbaren Ort abgehen, der ihnen von Gott bestimmt ist, und dort bis zur Auferstehung verbleiben, ihre Auferstehung erwartend. Dann aber werden sie, ihre Leiber wieder empfangend und vollkommen, d. h. leiblich auferstehend, wie auch der Herr auferstanden ist, zur Anschauung Gottes gelangen. (Irenäus, Gegen die Häresien V,31,2)

Hier scheint er zu implizieren, die Seelen wären zwar in dieser „Zwischenzeit“ lebendig, würden aber noch nicht Gott schauen, sondern an einem anderen Ort warten.

Der hl. Justin der Märtyrer schreibt um 150 n. Chr. ganz entschieden, die Auferstehung komme erst am Ende der Zeiten und verurteilt diejenigen, die anderer Ansicht sind, als Ketzer (wobei unklar ist, ob vielleicht diese anderen Gruppen die Auferstehung des Fleisches am Ende der Zeiten ganz leugnen):

„Wenn ihr zusammenkommen solltet mit solchen, welche sich Christen nennen und obige Anschauung nicht teilen, welche dazu aber noch sich erkühnen, den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs zu lästern, und ferner behaupten, es gäbe keine Auferstehung der Toten, sondern ihre Seelen würden schon beim Tode in den Himmel aufgenommen werden, dann haltet sie nicht für Christen, so wenig als einer, wenn er richtig urteilt, behaupten dürfte, die Sadduzäer oder die verwandten Sekten der Genisten, Meristen, Galiläer, Hellenianer, Pharisäer-Baptisten seien Juden; mögen sie auch sich Juden oder Kinder Abrahams nennen und mit den Lippen Gott bekennen, ihr Herz ist aber doch, wie Gott selbst gerufen hat, ferne von ihm. Höret nicht unwillig auf mich, wenn ich alles sage, was ich denke! Ich aber und die Christen, soweit sie in allem rechtgläubig sind, wissen, daß es eine Auferstehung des Fleisches gibt, und daß tausend Jahre kommen werden in dem aufgebauten, geschmückten und vergrößerten Jerusalem, wovon der Propheten Ezechiel und Isaias und die übrigen sprechen. […]

Ferner hat einer, der bei uns war, Johannes hieß und zu den Aposteln Christi gehörte, in einer Offenbarung prophezeit, die, welche an unseren Christus glauben, werden in Jerusalem tausend Jahre verbringen, und dann werde für alle ohne Ausnahme die allgemeine und sogenannte ewige Auferstehung und das allgemeine und sogenannte ewige Gericht folgen.“ (Justin, Dialog mit Tryphon 80,4f. u. 81,4)

Tatian wiederum (der allgemein etwas unorthodox war) vertritt in den 170ern n. Chr. ganz eigene Ansichten; die Seelen der Ungerechten würden sich im Tod auflösen, aber beim Jüngsten Gericht zusammen mit den Körpern wieder auferstehen, um bestraft zu werden, die Seelen der Gerechten dagegen würde es zu Gott hinziehen, weil sie mit seinem Geist Gemeinschaft haben:

„Nicht unsterblich, ihr Bekenner des Griechentums, ist unsere ‚Seele‘ an sich, sondern sterblich: sie kann aber trotzdem dem Tode entrinnen. Denn sie stirbt und erfährt zusammen mit dem Körper ihre Auflösung,  wenn sie die Wahrheit nicht erkannt hat; später, am Ende des Weltlaufs, steht sie freilich mit dem Körper auf, aber nur, um als Strafe den Tod in der Unsterblichkeit zu empfangen: dagegen stirbt sie überhaupt nicht, mag auch ihre zeitweilige Auflösung erfolgen, wenn sie mit der Erkenntnis Gottes ausgerüstet ist. An und für sich ist sie Finsternis und kein Licht ist in ihr und hierauf eben bezieht sich das Wort: ‚Die Finsternis fasset nicht das Licht‘. Denn nicht die Seele ist es, die den Geist rettet, sondern sie wird von ihm gerettet und ‚das Licht fasset die Finsternis‘, wobei der Logos als das von Gott ausgehende ‚Licht‘, als ‚Finsternis‘ aber die unkundige Seele zu verstehen ist. Wenn sie daher allein für sich lebt, so neigt sie sich niederwärts zur Materie und stirbt zugleich mit dem Fleische; hat sie aber Gemeinschaft mit dem göttlichen Geiste, so ist sie nicht hilflos, sondern steigt hinauf in jene Lande, zu denen sie der Geist führt: denn seine Wohnung ist in der Höhe, ihr Ursprung dagegen in der Tiefe. Im Anfang also wohnte der Geist mit der Seele zusammen; der Geist aber hat sie verlassen, als sie ihm nicht folgen wollte. Doch da sie gleichsam einen Funken seiner Kraft behielt und nur infolge der Scheidung das Vollkommene nicht erschauen konnte, suchte sie Gott in der Irre und bildete sich viele Götter, indem sie den streitsüchtigen Dämonen folgte. Der Geist Gottes ist nun nicht mehr bei allen Menschen; bei einigen aber, deren Wandel gerecht war, ist er eingekehrt und vermählte sich mit ihrer Seele, um durch Weissagungen den übrigen Seelen das Verborgene kundzutun: und die Seelen, die der Weisheit folgten, zogen den verwandten Geist an sich, die aber nicht folgten und den Boten des Gottes, der gelitten hat, verschmähten, die zeigten sich mehr als Gottesfeinde, denn als Gottesdiener. […]

So bleibt uns nichts übrig, als nach dem, was wir besaßen und verloren haben, jetzt zu suchen: die Seele mit dem heiligen Geist zu verbinden und die gottgewollte Vermählung mit ihm zu bewirken.

Die Seele der Menschen ist nicht ein-, sondern vielteilig; denn sie ist zusammengesetzt, so daß sie überall am Leibe offenbar wird: ja sie könnte ebensowenig ohne den Leib in Erscheinung treten wie das Fleisch ohne die Seele aufstehen kann. Denn der Mensch ist nicht, wie die Rabenkrächzer lehren, ein vernünftiges, für Verstehen und Wissen empfängliches Tier (nach ihnen wird man auch von den unvernünftigen Tieren ’nachweisen‘ können, daß sie fähig seien, zu verstehen und zu wissen), sondern der Mensch allein ist Ebenbild und Gleichnis Gottes und ich nenne nicht den einen Menschen, der wie die Tiere handelt, sondern den, der über sein Menschentum hinaus zu Gott selbst gelangt ist. […] Unvergleichbar ist nur das absolut Seiende (d.i. Gott), vergleichbar nur das Ebenbildliche (d.i. der Mensch). Unfleischlich ferner ist der vollkommene Gott, der Mensch aber ist Fleisch: das Band seines Fleisches ist die Seele, Träger seiner Seele das Fleisch. Nehmen wir nun an, dieser so gestaltete (aus Fleisch und Seele bestehende) Organismus gleiche einem Tempel, so will Gott in ihm wohnen durch den Geist, seinen Abgesandten; ist er aber kein solches Heiligtum, so ist der Mensch den Tieren nur durch seine artikulierte Stimme überlegen und, da seine anderen Lebensäußerungen durchaus den tierischen gleichen, auch kein ‚Gleichnis Gottes‘. […]

Aber (wohl gemerkt): die Dämonen, die mit den Menschen schalten, sind nicht die Seelen der abgeschiedenen Menschen. Denn wie sollten sie just nach dem Tode tatkräftig werden, außer man nähme an, daß der Mensch ohne Verstand und ohne Kraft ins Leben trete und erst durch den Tod eine gewisse Kraftfülle empfange. Doch das stimmt nicht, wie ich anderswo bewiesen habe, und es wäre auch schwer zu begreifen, daß die ‚unsterbliche‘ Seele von den Gliedern des (sterblichen) Leibes gehemmt sein und erst dann, wann sie sich von ihm trenne, vernünftiger werden so.“ (Tatian, Rede an die Bekenner des Griechentums 13 u. 15,1-4.6f. u. 16,1f.)

Man sieht also, dieses Thema war noch umstritten.