Die rote Pille und die Realität

Sie geistern seit einigen Jahren durch das Internet: die Ideen der Leute, die man als sog. Incels, involuntary celibates, bezeichnet, also Männer, die keine Frauen finden. Ich will hier nicht auf „pff, sind doch erbärmliche Idioten“ machen; Beziehungen sind eine Sache, die Menschen sehr nahegeht, das ist ein Bereich, in dem man sehr verletzlich ist und auch viel auf dem Spiel steht. Und ein Bereich, in dem heute viel kaputt ist.

Aber zum Glück sind viele dieser Ideen auch falsch. Solche Ideen sind z. B.:

  • 80% der Frauen würden sich an 20% der Männer – die attraktivsten, „ranghöchsten“ – heranschmeißen und die übrigen 80% der Männer ignorieren oder verachten; sie wären „hypergam“ (und würden evtl. auch in Kauf nehmen, dass der ranghöhere Mann dann noch andere Frauen nebenher hätte).
  • Frauen wären, wenn sie jung und attraktiv sind, promiskuitiv und würden sich „Alpha-Männer“ als Sexpartner suchen. Später, wenn sie vielleicht 35 wären und ein uneheliches Kind von einem Alpha-Mann hätten, würden sie sich einen Beta-Mann, den sie nicht arg attraktiv finden, der aber für sie sorgen soll, suchen. Auch wenn Frauen schon in einer Beziehung mit einem Beta wären, würden sie ihn gerne mal mit einem Alpha betrügen, weil sie vor allem in ihrer fruchtbaren Phase unbewusst gute Gene für ihre Kinder wollen würden. „Alpha f*cks, Beta bucks“ (Alpha f*ckt, Beta zahlt).
  • Vor allem heißt es dann: „AWALT“, „All women are like that“. Frauen wären einfach alle so, das wäre eben biologisch. Das wäre die rote Pille, die man nehmen müsste, der Realität müsste man ins Gesicht sehen.

Ich will hier nicht zu sehr die Soziologie loben. Aber Sexualverhalten kann nun mal objektiv gemessen werden – sowohl durch das, was Leute von sich selbst sagen, als auch durch das, was man an ihnen feststellen kann (z. B. die Übertragungsraten von sexuell übertragbaren Krankheiten). Und da findet man immer dasselbe, wieder und wieder repliziert:

Unter Heterosexuellen sind es ungefähr 10-20% der Männer und 10-20% der Frauen, die promiskuitiv sind und miteinander durchwechseln (und sich Geschlechtskrankheiten einfangen). Die übrigen 80-90% der Männer und 80-90% der Frauen sind eher auf langfristige Beziehungen aus und haben wenige Sexualpartner (Geschlechtskrankheiten sind eher selten). 80-90% der Männer und Frauen haben nur Sex mit Partnern in einer Beziehung und keine One-Night-Stands. Es hilft, sich anzusehen, wie häufig „Kuckuckskinder“ sind, also wie oft Kinder einen anderen Vater haben als den Partner der Mutter, der sich für den Vater hält. Die Zahl ist ziemlich konstant: Ca. 1%, und zwar sowohl für westliche Gesellschaften heute und in der Vergangenheit als auch für manche nicht-westliche Gesellschaften. Genanalysen sind durchaus hilfreich. Männer geben normalerweise an, im Lauf ihres Lebens etwas mehr Sexualpartner als Frauen gehabt zu haben; in den USA liegt der Medianwert bei etwas mehr als 4 für Frauen und etwas mehr als 6 für Männer; in Deutschland liegt der Durchschnitt (den Median habe ich nicht gefunden) bei 6 für Frauen und knapp 10 für Männer. (Vielleicht spielt in die unterschiedlichen Angaben hinein, dass Männer häufiger zu Prostituierten gehen, die Prostituierten aber selber in den Statistiken auf der weiblichen Seite nicht auftauchen, oder dass Männer großzügiger schätzen.) 90% der Männer und Frauen haben weniger als 20 Partner im Lauf ihres Lebens.

Einige heterosexuelle Männer und Frauen sind aber auch apathisch geworden und bleiben einfach Single, gehen nicht auf Dates und bemühen sich gar nicht um das andere Geschlecht. Das ist ein Problem, das heute größer ist als früher – z. B. durch Pornographiekonsum werden Männer apathisch und haben weniger stark den Wunsch nach einer realen Frau. Männer und Frauen sind sich weniger im klaren, was man von einer Beziehung erwarten soll oder kann, Kinderkriegen wird herabgesetzt, und die Leute sind sich in ihrer Identität als Mann oder Frau unsicherer (auch durch diese Geißel der Menschheit, den Feminismus). Heute sind einfach mehr Leute beider Geschlechter einsam als früher.

Natürlich sind die meisten Leute auch ein wenig promiskuitiver – man hat eben Sex mit drei oder vier Leuten in einer halbwegs stabilen Beziehung, die dann wieder auseinandergeht, bevor man mit 30 jemanden zum Heiraten findet (und vielleicht geht dann die Ehe später auseinander und man sitzt mit 45 Jahren und zwei Kindern einsam da). Aber die meisten Leute sind nicht sehr promiskuitiv; Promiskuität ist nun mal nicht natürlich. Sie wollen langfristige Beziehungen, auch wenn sie von unseren erbsündlichen Neigungen leider dazu getrieben werden, sich da erst mal nicht zu sehr zu binden und trotzdem schon miteinander zu schlafen, und dann die Beziehung auch schnell wieder aufzugeben. Serielle Monogamie, aber immer noch Monogamie.

Wie kommt es dann, dass Männer öfter die Erfahrung berichten, es auf Dating-Apps schwerer zu haben? Ganz einfach: Deutlich mehr Männer als Frauen benutzen Dating-Apps, auf den Apps sind gar nicht genug Frauen für alle Männer; zwangsläufig muss ein großer Teil der Männer ohne Match bleiben. (Und nebenbei: Statistiken, die nur messen, dass z. B. die meisten Frauen auf Tinder vor allem 20% der Profile der Männer anschauen sollen, messen auch nicht das Sexualverhalten, das am Ende dabei herauskommt – abgesehen davon, dass sie eben nur das Verhalten der Leute messen, die auf Tinder sind. Die meisten Leute treffen ihre Sexualpartner nicht auf Tinder.)

Haben Frauen es leichter, schnellen Sex zu haben? Wahrscheinlich. Wenn eine promiskuitive Frau gelegentlich, aber nicht ständig, Sex mit Fremden will, werden gleich genug Männer bereitstehen, auch wenn sie vielleicht nicht die attraktivste Frau auf dem Planeten ist, und sie wird eine größere Auswahl haben. Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage, die nicht übereinstimmen. Es ist unlogisch, Frauen für größere Schlampen zu halten, weil Männer mehr Sex wollen. Ich will hier nicht umgekehrt sämtliche Männer verurteilen; Biologie und Erbsünde prägen uns unterschiedlich. Aber es ergibt definitiv keinen Sinn, deswegen sämtliche Frauen zu verurteilen.

Für Statistiken zu diesem Thema kann ich diese Seite empfehlen.

Das alles zeigt letztlich auch die brutale Ironie der Sexuellen Revolution. Es kam nie dazu, dass alle miteinander ins Bett steigen wie die Bonobo-Äffchen (und erst recht nicht dazu, dass sie damit glücklich sind). Stattdessen haben wir einfach mehr Instabilität und Unsicherheit und Einsamkeit, aber immer noch das Streben nach Monogamie, Treue, Liebe.

Und da hilft es wenig, sich von Geldmachern auf Youtube zum Pick-up-artist ausbilden lassen zu wollen, damit man selber Alpha sein und Frauen manipulieren kann. (Wie glücklich würde man überhaupt mit Frauen werden können, wenn die tatsächlich alle nur geld- und statusgierige Schlampen wären?) Sondern eher, sich in Kreisen zu bewegen, in denen man normale Leute mit einer anständigen Grundeinstellung kennenlernen kann, die langfristige Beziehungen wollen, und diese idealerweise auch nicht schnell wieder aufgeben wollen. (Als Christ hat man zwangsweise eine gute Teststrategie: Man schaut einfach, ob Leute bereit sind, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten; sind sie es nicht, nicht mal widerwillig, haben sie offensichtlich die falschen Prioritäten; sind sie es, schaut es besser aus. Was eben mal wieder die Weisheit der Kirche zeigt.) Manchmal dauert das einige Zeit, und auch in solchen Kreisen kann es sein, dass man einfach Pech hat und niemanden findet, der zu einem passt; aber dieses Pech ist zum Glück nicht extrem weit verbreitet. Vielleicht kann man auch ein paar Sachen finden, die man verbessern kann und die die Chancen erhöhen. Die oben genannten Ideen haben den einen wahren Kern, dass Frauen gerne zu ihrem Mann aufsehen und ihn bewundern können wollen. Aber diese Bewunderung kann sich doch auf ein paar Sachen mehr erstrecken als, sagen wir, Körpergröße und Armmuskeln.

Gott hat uns kein Beziehungsglück versprochen; aber man muss nicht zu schnell aufgeben. Und auch keinen falschen Ideen zu den Gründen dafür aufsitzen, die einen nur frustrierter und hilfloser machen.

Ferdinand Georg Waldmüller, Eintritt der Neuvermählten.

Dinge, die ich gelernt habe

Es gibt immer wieder Dinge, bei denen man sich denkt: Hätte ich das und das doch früher gewusst oder jedenfalls verinnerlicht. Aber auch solche, bei denen man sich sagt: Bin ich froh, dass ich das früh genug beigebracht bekommen habe. Quasi diese Lebensweisheiten, die einem immer wieder helfen.

Mir ging es z. B. so bei folgenden Dingen:

  • Tägliches, konzentriertes Beten ist WIRKLICH wichtig. WIRKLICH WIRKLICH WIRKLICH. Und wenn es nur fünf Minuten sind. Wenn man etwas vernachlässigt, sollte es nicht das Gebet sein.
  • Vielen Menschen geht es wirklich nicht gut, und man sieht es ihnen nicht unbedingt an.
  • Es dauert lange, bis man Menschen wirklich kennt – sowohl ihre guten als auch ihre schlechten Eigenschaften.
  • Man muss sich nicht zu allem eine Meinung bilden. Wenn man nicht genug gesicherte Informationen hat, kann man auch einfach abwarten und Tee trinken.
  • Vorurteile sind manchmal böswillige Verleumdungen, und manchmal einfach Erfahrungswerte. Gruppen von Menschen erwerben sich genauso einen Ruf wie Einzelmenschen.
  • Man muss sich nicht entschuldigen dafür, auf Nummer sicher zu gehen, auch wenn man sich denkt, andere könnten dann denken, man vertraut ihnen nicht. Wenn sie wollen, dass man sich sicher fühlt, nötigen sie einen nicht zu vorschnellem Vertrauen.
  • Es ist wirklich besser, geringste Fortschritte zu machen als gar keine.
  • Man hat absolut keine Verpflichtung, es sich schwerer zu machen als nötig.
  • Es ist sehr wichtig, Menschen zu haben, die einem sagen, wenn man was falsch macht. Man braucht keine Freunde, die einem ständig in alles hineinreden, aber sehr wohl Freunde, die immer ehrlich mit einem sind, und die einen auf Fehler ansprechen.
  • Christen sind im Durchschnitt wirklich merklich netter und vertrauenswürdiger und eine angenehmere Gesellschaft als Nichtchristen – man erkennt den Baum tatsächlich an seinen Früchten. Und man muss sich trotzdem nicht wundern, dass sie alle ihre Fehler haben, und auch nicht darüber, unter ihnen ein paar Arschlöcher oder Nervensägen und vereinzelt Verbrecher zu finden.
  • Die meisten Menschen sind nicht sehr böswillig – wirklich nicht -, aber sehr beeinflussbar und nicht immer verlässlich und manchmal gemein und dumm.
  • Treue und Ehrlichkeit sind extrem wichtig, und dazu gehört auch die Verschwiegenheit; Dinge, die andere nicht wissen müssen, kann man auch einfach für sich behalten. Man muss nicht alles mit irgendwelchen Bekanntschaften bereden oder im Internet ausbreiten. Umgekehrt kann man selber auch auf Neugier verzichten; man muss nicht alles von anderen wissen, auch wenn es harmlos ist.
  • Wenn man was will, sollte man es einfach sagen, statt so zu tun, als wollte man es gar nicht, um zuvorkommend gegenüber anderen zu sein – wenn alle jeweils sagen, was sie am liebsten hätten, kann man dann einen Kompromiss finden oder einer kann immer noch sagen, dass er es ok findet, zu verzichten. Aber sich gegenseitig von vornherein mit der Rücksichtnahme überbieten zu wollen und nichts Klares zu sagen ist nicht hilfreich und selbst eine Art von Eitelkeit.
  • Man sollte generell nie von anderen erwarten, dass sie die eigenen Gedanken lesen können. Lieber einfach offen sein und davon ausgehen, dass andere Leute begriffsstutzig sind.
  • Wille und Tat sind immer wichtiger als das Gefühl. Wenn man bei etwas Gutem ein Gefühl der Unlust hat, aber es trotzdem tut, ist es erst recht verdienstvoll. Wenn man bei etwas Schlechtem ein schlechtes Gefühl hat, aber es trotzdem tut, wird die Tat nicht weniger schlimm.
  • Es ist eine ganz blöde Idee, etwas, das man als sinnvoll erkannt hat, nicht zu tun, nur weil nervige Menschen, von deren Meinung man nichts hält, einem raten, es zu tun.
  • Unsere Vorfahren waren ganz normale Menschen, und oft normaler als wir.
  • Vagheit und Zweideutigkeit ist oft schlimmer als Lüge.
  • Klischeehafte Aussagen wie „Gott hat alles in der Hand“ und „Gottes Wege sind unergründlich“ sind sehr viel tröstlicher als manche meinen, jedenfalls wenn sie nicht nur so dahingesagt werden, sondern jemand sie wirklich so meint. Weil sie nun mal stimmen. Vielleicht tut es manchen Leuten besser, wenn andere einfach still für sie da sind und sich nicht an tröstenden Worten versuchen, aber ich finde solche klischeehaften Tröstungen sehr hilfreich.
  • Wenn die Medien v. a. seit der Sexuellen Revolution einem einreden wollen, der Familie zu misstrauen und sein Glück ohne sie zu suchen, hat sich das in der Praxis meistens wie eine Missbrauchstaktik zur Isolierung von den Menschen, denen man wirklich am Herzen liegt, ausgewirkt; wie es bei Sekten und Triebtätern eben für gewöhnlich passiert. Eine liebende Familie gehört zu den wichtigsten Dingen, die man haben kann. (Deswegen ist es auch so extrem schlimm, wenn man eine nicht liebende Familie hat.)
  • Scheidung-und-Wiederheirat ist wirklich vom Teufel und macht so vieles kaputt, auch wenn viele das nicht realisieren, wenn sie sich scheiden lassen. Eine Ehe begründet eine Familie, und die lässt sich nicht einfach auseinanderreißen.
  • Viele Freundschaften (oder besser: Kameradschaften) sind zeitlich begrenzt; man versteht sich gut, und macht Dinge zusammen, wenn man sich oft sieht, und man unterstützt und hilft sich vielleicht auch, auch in wichtigen Dingen, aber wenn man nicht mehr zusammenkommt, verliert sich das. Das ist auch in Ordnung; Kameradschaft ist auch etwas sehr Gutes. Aber es ist noch nicht dasselbe wie die besonderen Freundschaften, wo man wirklich vertraut wird und bewusst den Kontakt hält, und die sollte man sehr schätzen.
  • Ärzte sind ziemlich oft oberflächliche Pfuscher, die sich keine Mühe machen wollen, weshalb man auch immer darauf drängen sollte, dass sie etwas machen, sowohl in Bezug auf wirkliche Symptomlinderung als auch in Bezug auf die Wurzel des Problems, und zweite Meinungen einholen sollte; Heilpraktiker sind vor allem ahnungslos und auch keine wirklich Alternative.
  • Sozialpädagogen und Journalisten ist nicht zu trauen, fast so wenig wie Politikern.
  • Linke, Atheisten und Abtreibungsbefürworter (ja, genau diese Gruppen) haben sehr wenig Probleme mit Halbwahrheiten und extremen Verdrehungen und manchmal auch einfach offenen Lügen; und auch Menschen aus nichteuropäischen Kulturen, auch wenn sie keine linken Atheisten sind, lügen leicht mal offen bei Kleinigkeiten. Und das kann einen wirklich zur Weißglut bringen.
  • Wer nicht logisch denken will, den wird man auch nicht dazu bringen, indem man ihm die Logik immer wieder vorkaut; und wer einen missverstehen will, wird einen auch missverstehen.
  • Und zuletzt: Wir können fröhlich und stark sein, denn Gott ist mit uns.

Und jetzt die Frage an die Leser: Was wären eure Lebensweisheiten oder Erfahrungen? So etwas sammelt man ja gerne.

Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 11a: Himmel und Hölle

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Offb 21-22; Offb 4; Lk 16,19-31; Mt 13,36-43; Mt 22,23-33; Mt 25; Lk 13,22-30; Jes 66,18-24; Phil 3,20

In den letzten Teilen ging es bereits um den Jüngsten Tag und das Weltgericht und dergleichen; heute dazu, wie man sich dann das Leben bei Gott im Himmel bzw. in der Hölle konkret vorstellte. Kurz die katholische Lehre zusammengefasst: Der Himmel bedeutet die Anschauung Gottes, bedeutet Liebe, Erkenntnis, Vereinigung, und enthält noch zusätzliches Glück z. B. durch das Wiedersehen mit den verstorbenen Angehörigen; alle im Himmel sind völlig selig und leiden keinen Mangel, aber die großen Heiligen werden von Gott noch besonders geehrt und mehr belohnt. In der Hölle gibt es zwei Arten von Strafen: Der Verlust der Anschauung Gottes, der alle Verdammten betrifft, und die „Sinnenstrafen“, also zusätzliche Strafen, deren Schwere sich nach der Schwere der Sünden richtet; wer sich mehr von Gott entfernt hat, ist eben am Ende mehr von Gott entfernt. Glückseligkeit bzw. Strafen betreffen zunächst nur die Seele; dann, nach der Auferstehung des Fleisches, auch den wieder mit der Seele vereinigten Körper, der ja auch das seinige getan hat und am Ende Anteil am Schicksal der Seele haben soll, damit der Mensch wieder vollständig ist. Sowohl für die Erlösten als auch für die Verdammten ist ihr Zustand endgültig; die Erlösten beharren in der Liebe zu Gott, die Verdammten im Hass auf Gott, und wollen sich gar nicht mehr ändern.

Fangen wir mit dem Himmel an. Der hl. Irenäus von Lyon hat um 180 n. Chr. einige sehr schöne Stellen darüber geschrieben, was der Himmel ist:

Denn wie die, welche das Licht schauen, in dem Lichte sind und an seinem Glanze teilnehmen, so sind die, welche Gott schauen, in Gott und haben teil an seiner Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit aber macht sie lebendig, denn das Leben empfangen, die Gott schauen. Und auf diese Weise macht sich der Unfaßbare und Unbegreifbare und Unsichtbare sichtbar, begreifbar und faßbar für die Gläubigen, damit er lebendig macht, die ihn durch den Glauben fassen und schauen. Denn wie seine Größe unerforschbar ist, so ist seine Güte unaussprechbar, durch die er sich sehen läßt und Leben verleiht denen, die ihn sehen. Denn zu leben ohne das Leben ist unmöglich; die Subsistenz des Lebens aber kommt her von der Teilnahme an Gott. An Gott aber teilnehmen, heißt ihn schauen und seine Güter genießen. Die Menschen also werden Gott sehen, damit sie leben, indem sie durch das Schauen unsterblich geworden sind und in Gott eintauchen.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,20,5-6)

„Denn unser Angesicht wird schauen das Angesicht Gottes, des lebendigen, und wird sich freuen in unaussprechlicher Freude, wenn es nämlich seine Freude sieht.“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,7,2)

„Wenn wir also jetzt, wo wir bloß das Unterpfand haben, Abba, Vater, rufen, was wird dann erst geschehen, wann wir nach der Auferstehung ihn von Angesicht zu Angesicht schauen werden, wann alle Glieder in überströmender Freude den Jubelhymnus anstimmen und den preisen werden, der sie von den Toten auferweckt und mit dem ewigen Leben beschenkt hat? Denn wenn schon das Unterpfand dadurch, daß es den Menschen umfängt, ihn rufen läßt: Abba, Vater, was wird dann die gesamte Gnade des Geistes bewirken, die dem Menschen von Gott verliehen werden wird? Ähnlich mit ihm wird sie uns machen und vollenden nach dem Willen des Vaters, denn sie wird den Menschen machen nach dem Bild und Gleichnis Gottes.“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,8,1)

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(Gustave Doré, Darstellung des Himmels.)

Über die Erlösten und die Verdammten und ihr jeweiliges selbstgewähltes Los schreibt er:

„Gott aber, der alles voraussieht, hat beiden passende Wohnungen zubereitet: Denen, die das unvergängliche Licht suchen und nach ihm laufen, schenkte er gütig das Licht, das sie begehren; für die anderen aber, die es verachten und sich von ihm abwenden, die es fliehen und gleichsam sich selbst blenden, machte er die Finsternis, die für die Feinde des Lichtes paßt. So legte er denen, die sich dem Gehorsam gegen ihn entzogen, die geziemende Strafe auf. Der Gehorsam aber gegen Gott ist die ewige Ruhe; und die, welche vor dem Licht fliehen, haben einen Platz, der ihrem Fliehen entspricht, und die, welche die ewige Ruhe fliehen, haben eine Wohnung, passend zu ihrer Flucht. Da aber bei Gott alles Gute ist, so berauben sich jene selbst aller Güter, die aus eigenem Entschluß Gott fliehen, und fallen dementsprechend in das gerechte Gericht Gottes. Wer die Ruhe flieht, wird gerechterweise in Strafe umherziehen, wer das Licht flieht, wird gerechterweise in Finsternis wohnen. Wie aber die, welche dies zeitliche Licht fliehen, sich der Finsternis überantworten, sodaß es ihre Schuld ist, wenn sie von dem Lichte verlassen werden und in Finsternis wohnen und das Licht, wie gesagt, daran keine Schuld hat, so sind auch die, welche das ewige Licht Gottes fliehen, das alles Gute in sich enthält, allein daran schuld, daß sie in der ewigen Finsternis wohnen, verlassen von allen Gütern.

Es ist ein und derselbe Vater, der denen, die nach seiner Gemeinschaft verlangen und im Gehorsam gegen ihn verharren, seine Güter bereitet hat, dem Urheber des Abfalls aber und seinen Mitschuldigen das ewige Feuer, in das nach den Worten des Herrn die zur Linken Abgesonderten geschickt werden.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,39,4 u. IV,40,1)

„Und wer immer die Liebe zu ihm bewahrt, dem schenkt er seine Gemeinschaft. Die Gemeinschaft mit Gott aber ist Licht und Leben und der Genuß der Güter, die bei ihm sind. Welche nun immer aus eigenem Entschluß von ihm sich abwenden, die führt er in die von ihnen erwählte Trennung. Die Trennung von Gott aber ist der Tod, und die Trennung von dem Licht ist die Finsternis, und die Trennung von Gott ist der Verlust aller Güter, die in ihm sind. Die aber wegen ihrer Apostasie die genannten Güter verloren haben — aller Güter sind sie ja verlustig gegangen —, die verfallen jeglicher Strafe, ohne daß Gott die Bestrafung im voraus in die Hand nimmt; auf dem Fuße folgt ihnen die Strafe, indem sie aller Güter beraubt werden. Weil aber die Güter bei Gott ewig und ohne Ende sind, deswegen ist auch ihre Strafe ewig und ohne Ende, wie ja auch bei der Unermeßlichkeit des Lichtes die, welche sich selbst blenden oder von andern geblendet werden, endlos des Genusses des Lichtes beraubt sind, ohne daß das Licht sie mit Blindheit bestraft. Denn gerade ihre Blindheit ist ihr Unglück. Deswegen sprach auch der Herr: ‚Wer an mich glaubt, wird nicht gerichtet‘, d. h., wird nicht von Gott getrennt, denn immer ist er mit Gott durch den Glauben vereinigt. ‚Wer aber nicht glaubt‘, spricht er, ‚der ist schon gerichtet, da er an den Namen des eingeborenen Sohnes nicht geglaubt hat‘, d. h., sich selbst durch freiwilligen Entschluß von Gott getrennt hat. ‚Das ist nämlich das Gericht, daß das Licht in diese Welt gekommen ist, und die Menschen die Finsternis mehr liebten als das Licht. Denn jeder, der Böses tut, haßt das Licht und kommt nicht an das Licht, damit seine Werke nicht gerügt werden. Wer aber den Willen tut, kommt ans Licht, damit seine Werke offenbar werden, die er in Gott gewirkt hat.‘

Da nun in dieser Welt einige dem Lichte zueilen und durch den Glauben sich mit Gott vereinen, die andern aber sich vom Lichte abwenden und von Gott sich absondern, so kam das Wort Gottes, um allen die passende Wohnung zu bereiten: Die da im Lichte sind, sollten das Licht genießen und alle Güter, die darinnen sind; die aber in der Finsternis sind, sollten ihren Teil haben an all dem Übel, das in dieser ist. Und deswegen sagt er, daß die zur Rechten in das Reich des Vaters gerufen würden, daß er die zur Linken aber in das ewige Feuer senden werde. Denn diese beraubten sich selber aller Güter.“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,27,2 u. V,28,1)

Im 2. Clemensbrief heißt es, dass Gottes Gericht alles richtigstellen wird; die Bösen, denen es gut gegangen ist, bestrafen, und die Guten, denen es schlecht gegangen ist, entschädigen und belohnen wird:

„Darum lasst uns die Gerechtigkeit üben, dass wir schließlich gerettet werden. Glückselig, die diese Vorschriften befolgen; auch wenn es ihnen kurze Zeit auf dieser Welt übel ergeht, so werden sie doch die unsterbliche Frucht der Auferstehung ernten. Deshalb soll sich der Fromme nicht kränken, wenn er in dieser Zeit dulden muss; eine glückselige Zeit wartet auf ihn; dort oben wird er neu aufleben unter den Vätern und wird frohlocken durch eine selige Ewigkeit.

Aber auch dies soll euch nicht beunruhigen, dass wir die Bösen in Reichtum und die Diener Gottes in Armut sehen. Wir wollen den Glauben festhalten, Brüder und Schwestern! Wir müssen die Prüfung des lebendigen Gottes bestehen und werden in diesem Leben geschult, damit wir im künftigen gekrönt werden. Keiner der Gerechten hat alsbald seinen Lohn bekommen, sondern er erwartet ihn. Denn wenn Gott den Lohn der Gerechten unverzüglich ausbezahlen würde, dann würden wir eilends ein Geschäft betreiben, aber nicht die Gottesverehrung; denn wir würden als gerecht gelten, nicht wenn wir die Frömmigkeit, sondern den Gewinn erstrebten. Und deshalb verwirft das Gericht einen Geist, der nicht gerecht ist und legt ihn in schwere Ketten.“ (2. Clemensbrief 19,3-20,4)

Athenagoras schreibt in einer Schrift, in der er die Christen gegenüber heidnischen Gerüchten, sie würden alle möglichen Verbrechen begehen, verteidigt, dass die Christen das wohl kaum tun würden, da sie um das Gericht Gottes wissen:

„Hätte wir nämlich den Glauben, daß sich unser Leben auf diese Welt allein beschränke, so könnten wir wohl auch in den Verdacht kommen zu sündigen, etwa indem wir den Regungen des Fleisches und Blutes nachgeben oder der Gewinnsucht und Begehrlichkeit unterliegen. Nachdem wir aber wissen, Gott wacht Tag und Nacht über unsere Gedanken und Worte, er sieht, da er ganz Licht ist, auch unser Inneres, nachdem wir ferner überzeugt sind, wir werden nach diesem Leben ein anderes Leben führen, entweder ein besseres als das gegenwärtige, ein himmlisches, kein irdisches, insofern wir bei Gott und mit Gott sein werden, durch nichts mehr in der Seele beeinflußt und beirrt, nicht als Fleisch, obwohl wir Fleisch noch haben werden, sondern als himmlischer Geist, oder, wenn wir mit den übrigen zusammenfallen, ein schlechteres, ein Leben im Feuer (denn Gott hat uns nicht wie Herdenvieh und Zugtiere als Nebensache erschaffen mit der Bestimmung umzukommen und zu verschwinden), nach all dem ist nicht zu erwarten, daß wir Schlechtes begehen und uns der Bestrafung des großen Richters aussetzen wollen.“ (Athenagoras, Bittschrift für die Christen 31)

Justin der Märtyrer schreibt um 150 n. Chr. über die Hölle:

„Schaut nur hin auf das Ende eines jeden der früheren Herrscher, sie starben den allen gemeinsamen Tod. Führte nun dieser zu einem Zustande der Bewußtlosigkeit, so wäre er für alle Ungerechten ein Glück; da aber allen, die einmal gelebt haben, Empfindung verbleibt und ewige Strafe ihnen bevorsteht, so versäumt es nicht, euch überzeugen zu lassen und zu glauben, daß diese Dinge wahr sind. […] Die Hölle aber ist ein Ort, wo diejenigen gezüchtigt werden sollen, die unrecht gelebt haben und nicht an die Erfüllung dessen glauben, was Gott durch Christus gelehrt hat.“ (Justin, 1. Apologie 18f.)

Da Gott gerecht ist, folgt logischerweise die Existenz von Himmel und Hölle, sonst kämen ja die Ungerechten mit ihren bösen Taten davon:

„Damit aber niemand das nachspreche, was die vermeintlichen Philosophen einzuwenden pflegen, daß es nur Prahlerei und Schreckmittel sei, wenn wir von der Bestrafung der Ungerechten in ewigem Feuer sprechen, und daß wir verlangen, die Menschen sollten aus Furcht tugendhaft leben und nicht, weil es schön und beglückend sei, so will ich kurz darauf antworten. Wenn jene unsere Behauptung nicht zutrifft, so gibt es entweder keinen Gott, oder, wenn es einen gibt, kümmert er sich nicht um die Menschen; Tugend und Laster sind dann leere Worte und die Gesetzgeber bestrafen dann, wie wir schon sagten, mit Unrecht die Übertreter ihrer guten Anordnungen. Aber da weder diese ungerecht sind noch ihr Vater, der durch den Logos dasselbe zu tun lehrt, was er selbst tut, so sind auch die, welche diesen folgen, nicht ungerecht. Sollte aber jemand die Verschiedenheit der menschlichen Gebräuche geltend machen und sagen, bei den einen Menschen gelten gewisse Dinge als löblich, die bei anderen als schimpflich betrachtet werden, gewisse Dinge aber als schimpflich, die bei anderen hinwiederum als löblich angesehen werden, so mag er hören, was wir hierüber zu sagen haben. Einerseits wissen wir, daß die bösen Engel Gebräuche eingeführt haben, die ihrer eigenen Bosheit entsprechen; andererseits erweist die rechte Vernunft nicht alle Lehrmeinungen und Satzungen, an die sie herantritt, als gut, sondern die einen als schlecht, die andern als gut. Darum will auch ich solchen Leuten Gleiches oder Ähnliches und, wenn es nötig ist, sogar in größerer Ausführlichkeit antworten. Für jetzt aber kehre ich zu meinem Gegenstande zurück.“ (Justin, 2. Apologie 9)

Minucius Felix schreibt folgendes über die Hölle, wobei er auch meint, dass diejenigen, die Gott bewusst nicht kennen wollten, dorthin kommen (vgl. Röm 1,19f., wo Paulus schreibt, dass grundsätzlich alle Menschen Gottes Existenz erkennen können):

„Und für diese Martern gibt es weder Maß noch Ende. Dort brennt ein klug berechnendes Feuer die Glieder und heilt sie wieder, zerfrißt sie und nährt sie wiederum. Und wie das Feuer des Blitzes den Körper berührt, aber nicht verzehrt, wie die Feuer des Ätnaberges und des Vesuvs und sonstiger Erdbrände lodern, ohne sich zu verbrauchen, so wird jenes strafende Feuer nicht durch Verzehrung der brennenden Körper genährt, sondern durch deren unaufhörliche Zerfleischung erhalten. Daß aber diejenigen, welche Gott nicht kennen, mit Recht gemartert werden, als Ruchlose, als Ungerechte, das kann nur ein Gottloser bezweifeln; ist es ja gewiß kein geringerer Frevel, den Vater des Alls und Herrn des Alls nicht zu kennen, als ihn zu beleidigen. Es reicht nun zwar schon die Unkenntnis Gottes zur Strafwürdigkeit hin, wie seine Erkenntnis zur Aussicht auf Verzeihung beiträgt. Indessen werden wir Christen im Vergleich mit euch, wenn auch bei einigen unsere Vorschriften zu wenig ausgeprägt sind, viel besser als ihr befunden. Denn ihr verbietet den Ehebruch und begeht ihn; wir sind als Ehemänner nur für unsere Ehefrauen auf der Welt. Ihr straft Vergehen, die ihr zulaßt; bei uns gilt schon der bloße Gedanke daran als Sünde. Ihr fürchtet die Mitwisser, wir sogar das Gewissen allein schon, ohne das wir nicht sein können. Von euren Leuten endlich wimmeln die Gefängnisse; Christ ist dort keiner, es sei denn, er ist wegen seiner Religion angeklagt oder abtrünnig geworden.“ (Minucius Felix, Octavius 35,3-6)

Dann gäbe es die sog. Offenbarung des Petrus (ein Text, der sich als von Petrus geschrieben ausgibt), in der die Hölle ausführlich beschrieben wird. (Ich zitiere aus der äthiopischen Version; die Unterschiede zwischen den Versionen sind aber nicht groß.)

Zwei Dinge bei der Beschreibung der Hölle sind auffällig: Erstens, die Strafen sind unterschiedlich; zweitens, die Strafen hängen mit den Vergehen zusammen. Wer mit Worten gesündigt hat, wird an der Zunge aufgehängt usw. Unter den Bestraften sind auch solche, die Christen an ihre Verfolger verraten und umgebracht haben, oder die die Armen schlecht behandelt haben:

„Dann werden Männer und Weiber an den ihnen bereiteten Ort kommen. An ihrer Zunge, mit der sie den Weg der Gerechtigkeit gelästert haben, wird man sie aufhängen. Man breitet ihnen hin nie verlöschendes Feuer. …

Und siehe wiederum ein Ort: da ist eine große volle Grube. Darin die, welche verleugnet haben die Gerechtigkeit. Und Strafengel suchen (sie) heim, und hier in ihr zünden sie das Feuer ihrer Strafe an. Und wiederum zwei Weiber: Man hängt sie an ihren Nacken und Haaren auf, in die Grube wirft man sie. Das sind die, welche sich Haarflechten gemacht haben nicht zur Schaffung des Schönen, sondern um sich zur Hurerei zu wenden, damit sie fingen Männerseelen zum Verderben. Und die Männer, die sich mit ihnen in Hurerei niedergelegt haben, hängt man an ihren Schenkeln in diesen brennenden Ort und sie sagen untereinander: ‚Wir haben nicht gewußt, daß wir in die ewige Pein kommen müßten.'“ (Petrusoffenbarung 7, in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 475f.)

„Es bringt der Zornengel Ezrael Männer und Weiber zur Hälfte (des Körpers) brennend und wirft sie an einen Ort der Finsternis, der Hölle der Männer, und ein Geist des Zornes züchtigt sie mit jeglicher Züchtigung, und nimmer schlafendes Gewürm frißt ihre Eingeweide. Das sind die Verfolger und Verräter meiner Gerechten.

Und bei denen, die hier waren, andere Männer und Weiber, die kauen ihre Zunge, und man quält sie mit glühendem Eisen und verbrennt ihre Augen. Das sind die Lästerer und Zweifler an meiner Gerechtigkeit.

Anderen Männern und Weibern – und ihre Taten (bestanden) in Betrug – schneidet man die Lippen ab, und Feuer geht in ihren Mund und in ihre Eingeweide. [Das sind die], welche die Märtyrer getötet haben lügnerischerweise.

Und an einem nahe bei ihnen gelegenen Orte, auf dem Stein eine Feuersäule (?), und die Säule ist spitzer als Schwerter – Männer und Weiber, die man kleidet in Lumpen und darauf wirft, damit sie das Gericht unvergänglicher Qual erleiden. Das sind die, welche vertrauen auf ihren Reichtum und Witwen und das Weib (mit) Waisen … verachtet haben Gott ins Angesicht.“ (Petrusoffenbarung 9, in: Ebd., S. 477f.)

Die Bestrafung der Bösen bedeutet eine Genugtuung für deren Opfer – also z. B. die Opfer von Mord, Abtreibung und Kindstötung:

„Und die Mörder und die mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht haben, wirft man ins Feuer, an einen Ort, der angefüllt ist mit giftigen Tieren, und sie werden gequält ohne Ruhe, indem sie ihre Schmerzen fühlen, und ihr Gewürm ist so zahlreich wie eine finstere Wolke, und der Engel Ezrael bringt die Seelen der Getöteten herbei; und sie sehen die Qual [derer, die sie] getötet haben, und sie sagen untereinander: ‚Gerechtigkeit und Recht ist das Gericht Gottes. Denn wir haben es zwar gehört, aber nicht geglaubt, daß wir an diesen ewigen Gerichtsort kommen würden.‘

Und bei dieser Flamme ist eine große und sehr tiefe Grube, und es fließt dahinein (?) alles von überall her: Gericht (?) und Schauderhaftes und Aussonderungen. Und die Weiber (sind) verschlungen (davon) bis an ihren Nacken und werden bestraft mit großem Schmerz. Das sind also die, welche ihre Kinder abtreiben und das Werk Gottes, das er geschaffen hat, verderben. Gegenüber von ihnen ist ein anderer Ort, wo ihre Kinder sitzen; aber beide lebendig, und sie schreien zu Gott. Und Blitze gehen aus [und] von diesen Kindern, welche die Augen derer durchbohren, welche durch diese Hurerei ihren Untergang bewirkt haben.

Andere Männer und Weiber stehen nackt oberhalb davon. Und ihre Kinder stehen hier ihnen gegenüber an einem Ort des Entzückens. Und sie seufzen und schreien zu Gott wegen ihrer Eltern: ‚Das sind die, welche vernachlässigt und verflucht und deine Gebote übertreten haben. Und sie töteten uns und fluchten dem Engel, der (uns) geschaffen hatte, und hängten uns auf. Und sie enthielten das Licht, das du für alle bestimmt hast, (uns) vor.‘ Und die Milch ihrer Mütter fließt von ihren Brüsten und gerinnt und stinkt, und daraus gehen fleischfressende Tiere hervor, und sie gehen heraus, wenden sich und quälen sie in Ewigkeit mit ihren Männern, weil sie verlassen haben das Gebot Gottes und ihre Kinder getötet haben. Und ihre Kinder wird man dem Engel Temlakos geben. Und die sie getötet haben, wird man ewig quälen, weil Gott es so will.“ (Petrusoffenbarung 7-8, in: Ebd., S. 476f.)

Am Ende der Beschreibung der Hölle wird das noch einmal im Allgemeinen gesagt:

„Darauf brachten Engel meine Auserwählten und Gerechten, die vollkommen sind in aller Gerechtigkeit, indem sie sie trugen auf ihren Händen, indem sie bekleidet waren mit den Kleidern des ewigen Lebens. Sie sehen (ihre Lust) an jenen, die ihn gehaßt haben, indem er sie bestraft. Qual (ist) einem jeden in Ewigkeit nach seinem Tun.“ (Petrusoffenbarung 13, in: Ebd., S. 480)

Jetzt bereuen die Verdammten zwar, aber es ist zu spät:

„Und alle, die in der Qual sind, sagen einstimmig: ‚Erbarm dich unser, denn jetzt haben wir erkannt das Gericht Gottes, das er uns vorher angekündigt hat und wir nicht geglaubt haben.‘ Und es kommt der Engel Tatirokos (=Tartarouchos) und züchtigt sie mit noch größerer Qual und sagt zu ihnen: ‚Jetzt habt ihr Reue, wo es nicht mehr Zeit zur Reue gibt und nichts vom Leben übriggeblieben ist.‘ Und alle sagen: ‚Gerecht ist das Gericht Gottes; denn wir haben gehört und erkannt, daß gut ist sein Gericht, denn wir werden gestraft nach unserm Tun.'“ (Petrusoffenbarung 13, in: Ebd., S. 480)

Die Gerechten dagegen werden mit dem Himmel belohnt:

„Dann werde ich meinen Erwählten und Gerechten die Taufe und das Heil geben, um das sie mich gebeten haben, bei dem Gefilde: Akrosja (=Acherusia), das man nennt: ‚Anelasleja (= Elysium). Sie schmücken mit Blumen das Teil der Gerechten, und ich gehe, … ich mich mit ihnen erfreuen. Ich lasse eintreten die Völker in mein ewiges Reich, und erweise ihnen das Ewige, worauf ich ihre Hoffnung gerichtet habe, ich und mein himmlischer Vater.“ (Petrusoffenbarung 14, in: Ebd., S. 480)

Die Petrusoffenbarung schildert auch die Verklärung Jesu auf dem Berg, wobei Mose und Elija erscheinen. Petrus stellt Fragen und erhält einen kurzen Einblick in den Himmel (oder noch den limbus patrum?):

„Und ich trat zu Gott Jesus Christus und sagte zu ihm: ‚Mein Herr, wer ist das?‘ Und er sagte zu mir: ‚Das ist Moses und Elias.‘ Und ich sagte zu ihm: ‚(Wo sind denn) Abraham, Isaak, Jakob und die anderen gerechten Väter?‘

Und er zeigte uns einen großen geöffneten Garten. (Er war) voll von schönen Bäumen und gesegneten Früchten, voll von Duft von Wohlgerüchen. Sein Duft war schön, und sein Duft reichte zu uns. Und von ihm … sah ich viele Früchte.

Und es sagte zu mir mein Herr und Gott Jesus Christus: ‚Hast du gesehen die Scharen der Väter? Wie ihre Ruhe ist, so ist die Ehre und Herrlichkeit derer, die man um meiner Gerechtigkeit willen verfolgt.“ (Petrusoffenbarung 16, in: Ebd., S. 481f.)

In den christlichen Sibyllinen gibt es auch Stellen über Hölle und Himmel, und es kommt eine Stelle, die (anders als die anderen frühen Christen es normalerweise glaubten und die Kirche es lehrt) nahelegt, durch Fürbittgebete der Erlösten könnten die Verdammten doch noch aus der Hölle befreit werden:

„Und dann werden sie alle den Strom des Feuers durchschreiten,
Unauslöschlicher Flammen verzehrende Glut. Die Gerechten
Werden gerettet; verloren, verdammt sind auf ewige Zeiten
Alle, die früher in Sünden gelebt und Böses getan und
Morde verübet, auch alle, die Mitwisser waren, die Lügner,
Diebe, Betrüger und schreckliche Frevler an anderer Habe,
Schlemmer, Ehebrecher und solche, die üble Nachrede führen,
Schlimme Verbrecher und Frevler, vor allem die Götzenanbeter,
Solche, die abgefallen vom großen, unsterblichen Gott, und
Alle, die Gotteslästerung getrieben, die Frommen verfolgten,
Gläubige gemordet, und die nach dem Leben Gerechter getrachtet,
Auch alle, welche mit schlauem und schamlosem Mienenspiele
Einst als Presbyter und ehrwürd’ge Diakonen schauten
Auf die Person und den Reichtum der Partner und ungerecht richtend (?)
Anderen Unrecht taten, von falschen Zeugen beeinflußt …
Schlimmer als Perdel und reißende Wölfe …
Und die entsetzlichen Stolz und Hochmut zeigten, die Wuch’rer,
Welche sich häuserweise ihr Geld auf Zinsen anlegten
Und arme Witwen und Waisen sogar um das Letzte gebracht und
Welche den Witwen und Waisen nur geben von unrechtem Gute,
Die aber, wenn sie für ehrliche Arbeit haben gegeben,
Noch dafür schmähen; und solche, die ihre Eltern im Alter
Haben verlassen, ohn‘ ihnen etwas zu geben; den Eltern
Nicht mal die Notdurft des Lebens gegeben; und die nicht gehorchten,
Gegen die Eltern nur harte Worte im Munde geführet;
Ferner die Treu und Glauben genommen und dann es geleugnet,
Auch die Diener, die gegen den eigenen Herrn auftraten,
Und wieder die ihr eigenes Fleisch mit Unzucht befleckten,
Und alle, die den jungfräulichen Gürtel gelöset und heimlich
Beilager suchten, und Frauen, die töten im Leibe die Frucht, und
Welche den Eltern ganz recht- und gesetzlos weisen die Schwelle,
Giftmischer oder Giftmischerinnen mitsamt ihrem Anhang
Wird der Zorn des himmlischen, unvergänglichen Gottes
Nun an den Pranger stellen da, wo um sie alle im Kreise
Unermüdlich der Feuerstrom fließt, doch all diese zusammen
Fesseln mit unzerreißbaren Ketten von oben herab und
Zücht’gen gar schrecklich mit lodernden Peitschen und feurigen Ketten
Abgesandte des ew’gen und immerwährenden Gottes.
Dann aber werden im schwarzen Dunkel der Nacht sie geworfen
Unter die vielen und schrecklichen Tiere im Tartarus drunten,
In der Gehenna, wo undurchdringliche Finsternis herrschet.
Aber wenn sie dann vielerlei Pein allen auferlegt haben,
Deren Herz grundschlecht war, dann wieder das feurige Drehrad
Aus dem mächtigen Strom sie dränget und wirbelt umher, weil
All ihr Sinnen und Trachten auf törichte Werke gerichtet. […]
Nicht wird der Tränen je Sättigung sein, und niemand vernimmt das
Flehen der bald hier bald dort wehklagenden Jammergestalten
Drunten jedoch in des weiten und breiten Tartarus Dunkel
Marter erduldend sie schrein, an unheiligem Orte sie büßen
Dreifach jeglichen Frevel, den einst sie aus Bosheit begangen
Brennend in ewiger Glut. Mit den Zähnen knirschen sie alle,
Furchtbar geplagt von brennendem Durst und harter Bedrängnis.
Und sie rufen: ‚Wie schön wär‘ der Tod!‘, doch der meidet sie alle;
Denn sie wird nicht mehr der Tod, nicht mehr die Nacht sie erlösen.
Ach, vergebens sie flehen zu Gott, dem Herrscher der Höhe.
Offensichtlich wendet er jetzt sein gnädiges Antlitz von ihnen.
Siebenmal schon ist verstrichen die Frist zur Bekehrung und Buße,
Die er den Irrenden gab durch der heiligen Jungfrau Vermittlung.
Aber die anderen Menschen, die Werke der Tugend verrichtet,
Und in Frömmigkeit wandelnd, die rechte Gesinnung betätigt,
Werden, von Engeln entrückt, aus dem Strome des brennenden Feuers
Auf zum Lichte geführt in ein Leben voll Wonne und Freude.
Wo der ewige Pfad des gewaltigen Gottes hinführt und
Dreifach Quellen entspringen von Wein und von Milch und von Honig.
Gleich ist die Erde für alle, und nicht durch Mauern und Schranken
Abgeteilt, bringt dann sie hervor noch viel mehr Früchte
Ganz von selber: gemeinsam das Leben im herrenlosen Reichtum!
Knechte gibt es nicht dort noch Gebieter, nicht hoch oder niedrig,
Könige nicht noch Fürsten, und alle sind gleich vor dem Höchsten.
Niemand sagt mehr: ‚Die Nacht bricht an‘, und keiner: ‚Auf morgen‘;
Niemand spricht mehr von Gestern und zählet die Menge der Tage,
Kümmert sich nicht um Frühling und Herbst, um Sommer und Winter,
Nicht um Hochzeit und Tod, um Käufe nicht oder Verkäufe,
Nicht um Morgen und Abend: es gibt nur verlängerte Tagzeit.
Und der allherrschende ewige Gott wird noch etwas andres
Jenen Frommen verleihen, wenn sie flehen zum ewigen Gotte:
Aus dem schrecklichen Feuer und unvergänglichen Peinen
Wird er die Menschen zu retten verleiten. Dies wird er vollführen.
Denn er sammelt sie wieder, versetzt sie aus rastloser Flamme
Anderswohin und entsendet sie seinem Volke zuliebe
Zu einem andern und ewig währenden Leben, zur Flur des
Sel’gen Elysiums, wo weithin Wasser ihm fließen
Des Acherussischen Sees, des ew’gen, von grundloser Tiefe.
Wehe mir Armen, wie wird’s mir an jenem Tage ergehen!
Habe ich Törin doch alle an Frevelmut überboten,
Hab‘ nicht an Heirat gedacht und keine Vernunft angenommen.
Und auch im eig’nen Palast eines schwerreichen Mannes verwies ich
Darbende oft von der Schwelle. Und wieviel Schlechtes hab‘ früher
Wissentlich ich getan! Du Heiland, errette mich Hündin,
Vor meinen Peinigern mich, die so schamlose Dinge getan hat!
Dich auch flehe ich an, laß ein wenig vom Sange mich ausruhn,
Heiliger Mannaspender, du König des mächtigen Reiches!“
(Christliche Sibyllinen II,252-347, in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 507-509.)

Man beachte auch die Stelle, dass Gott den Menschen „durch der heiligen Jungfrau Vermittlung“ mehr Zeit zur Buße gegeben hatte – mit der heiligen Jungfrau könnte Maria (oder evtl. auch die gesamte Kirche oder beide) gemeint sein.

In der Epistula Apostolorum sagt Jesus über den Himmel:

„Und er sprach zu uns: ‚Ihr werdet ein Licht sehen, das mehr leuchtet als Licht und vollkommener ist als das Vollkommene. Und der Sohn wird durch den Vater, das Licht, vollendet werden – denn der Vater ist vollkommen -, welchen Tod und Auferstehung vollenden, und die eine Vollendung übertrifft die andere. Und die Rechte des Vaters bin ich ganz, ich bin in ihm, der vollendet.‘ […] ‚Habt Vertrauen und seid guten Mutes! Wahrlich, ich sage euch, eine solche Ruhe wird euch zuteil werden, wo es nicht Essen und Trinken und nicht Trauer und Singen (oder Sorge) und weder irdisches Gewand noch Vergänglichkeit gibt. Und nicht an der Schöpfung von unterhalb werdet ihr Anteil haben, sondern werdet zur unvergänglichen meines Vaters gehören, ihr, die ihr nicht vergehen werdet. Wie ich beständig im Vater bin, so auch ihr in mir.'“ (Epistula Apostolorum 19 (30) (äthiopische Version), in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 1. Band. Evangelien, 4. Auflage, Tübingen 1968, S. 136.)

 

Ein kurzes PS: Falls manche Leser sich noch Fragen zum Thema Himmel und Hölle stellen, könnten vielleicht diese Artikel für sie hilfreich sein:

Wie viele werden gerettet werden? Ein paar Bemerkungen

Heilsmöglichkeit für Nichtkatholiken: Kirchliche Aussagen vor dem 2. Vatikanum

Korrektur: Kongogräuel, Missionare und Waisenkinder

Teil 2 meiner kurzen Reihe zu den Kongogräueln (1885-1908) enthielt neben vielem anderen auch einen Vorwurf an die katholischen Missionare im Kongo-Freistaat, nämlich dass sie die Augen vor den Verbrechen schlossen, während die protestantischen Missionare sie in Europa bekannt machten. Ich habe in der Zwischenzeit noch ein bisschen weiter recherchiert, und denke, dass man den Vorwurf zumindest abmildern muss; ich will auch historischen Personen schließlich nur genau das vorwerfen, was man ihnen einigermaßen sicher vorwerfen kann.

Der korrigierte Abschnitt lautet jetzt:

„Ein öfter vorgebrachter Vorwurf gegen die katholischen Missionare lautete, dass sie vor den Gräueltaten außerhalb ihrer Stationen häufig die Augen schlössen und manchmal auch die Aussagen der englischen oder amerikanischen protestantischen Missionare darüber als Verleumdungen bezeichneten. Die Situation ist allerdings nicht so einfach. Es waren insgesamt nicht sehr viele Missionare im Land, und keine Konfession hatte überall Stationen. Die protestantischen Missionare hatten ihre Stationen nun tendenziell in Gebieten mit vielen Missbräuchen, nämlich im Gebiet der ABIR-Gesellschaft, von Mongala und des Leopold-II-Sees, und reisten auch mehr umher; die katholischen Missionare hatten ihre Stationen tendenziell eher in bessergestellten Gebieten. Der Kongo war ein extrem großes, dünn besiedeltes Land, in dem Informationen nicht schnell reisten; ein Missionar im Gebiet der Stanley Falls bekam einfach nichts davon mit, wenn im Gebiet der ABIR-Gesellschaft ein Massaker begangen wurde. Dazu kam, dass der Staat seine Agenten anwies, mit brutalen Aktionen im Umfeld von Missionsstationen generell vorsichtig zu sein. So hieß es in einem Rundschreiben der Regierung von 1903: „Ich empfehle Ihnen, in der Umgebung der Missionsstationen, noch mehr als sonst überall, alles zu vermeiden, was für gewaltsames Vorgehen in Bezug auf die Einheimischen gehalten werden könnte. […] Ich empfehle Ihnen die größte Vorsicht in Ihrem Verhältnis zu den Missionaren jeder Konfession. Sie müssen es sich zur Regel machen, nie irgendeine Frage mit ihnen zu diskutieren.“ (Quelle: Arthur Vermeersch, La question congolaise, Brüssel 1906, S. 281, Fußnote 1, meine Übersetzung) Natürlich war das nicht überall der Fall; auch manche katholische Missionare bekamen Gräueltaten mit, und wandten sich dann oft auch mit Beschwerden an die Verwaltung und Gerichtsbarkeit und hatten teilweise kleine Erfolge. Was allerdings stimmt, ist, dass die katholische Seite irgendwie viel zögerlicher dabei war, die Verbrechen vor der Öffentlichkeit anzuprangern, als noch nicht viel davon bekannt war. Viele der Missionare waren Belgier, die ihr Land wohl nicht von Ausländern in Misskredit gebracht sehen wollten; vielleicht teilten sie die Meinung vieler anderer Belgier, dass es sich (auch) um eine Kampagne Englands handle, das den Kongo einfach nur für sich wolle (s. Teil 3) und meinten, die Probleme würden intern schon nach und nach gelöst werden; vielleicht hatten sie als Belgier mehr Vertrauen darin, dass die Gräueltaten nur vereinzelt und vorübergehend wären und die Regierung endlich etwas dagegen tun würde; vielleicht wollten sie auch nicht riskieren, Schwierigkeiten mit dem Staat zu bekommen und ihr (ja für die Kongolesen sehr nützliches) Wirken im Kongo ganz aufgeben zu müssen; vielleicht hielten sie es auch nicht für zielführend, sich an die Presse zu wenden. Dennoch: Am Ende waren es die Proteste der protestantischen Missionare, die eine Änderung bewirkten, und der Erfolg wäre vielleicht rascher gekommen, wenn sie sich auch angeschlossen hätten. Den katholischen Missionaren wird man wohl keine Böswilligkeit unterstellen können – sie waren ja, anders als andere Europäer, ohne jede Hoffnung auf persönlichen Gewinn und nur aus religiösen und humanitären Motiven ins Land gekommen – , aber wahrscheinlich schon zu wenig Einsatz und zu viel Rücksicht auf den Staat und den König.“

Um Genaueres, auch über einzelne, sagen zu können, müsste ich sicher viel mehr recherchieren, als ich so einfach könnte, in Archive gehen usw.

Dann wäre da noch das Thema der Waisenkinder, die in staatliche Schulen gebracht oder vom Staat Missionsschulen anvertraut wurden. Die Untersuchungskommission kritisierte hier, dass oft Waisen in die Schulen gebracht wurden, die noch Verwandte hatten, die für sie gesorgt hätten. Es gibt aber auch Berichte aus dem Kongo, dass Waisen zwar für gewöhnlich bei Verwandten unterkamen, aber von ihnen auch oft wie Arbeitssklaven behandelt worden seien. Hier konnte ich jetzt nicht genau nachprüfen, ob das zutraf (bzw. für welche Gebiete im Kongo es vielleicht zutraf oder für welche nicht), aber ich wollte es erwähnt haben.

Von „Instrumentalisierung“, Phrasen, und den Zielen von Terroristen

Als „Instrumentalisierung“ würde man es im normalen Sprachgebrauch bezeichnen, wenn jemand etwas rein taktisch-rhetorisch als Werkzeug benutzt, um etwas nicht oder kaum damit Zusammenhängendes durchzusetzen, und sich für diese Sache selber eigentlich nicht interessiert. Nach jedem islamischen Terroranschlag wird heutzutage denjenigen „Instrumentalisierung“ vorgeworfen, die Analysen und Lösungsvorschläge anbieten.

Da heißt es dann auf der einen Seite ungefähr:

„Menschen werden getötet, und das liegt daran, dass in der Vergangenheit das und das hier falsch gelaufen ist (das hätte man wissen können und manche haben es auch gewusst). Wenn wir wollen, dass nicht noch mehr Menschen getötet werden, müssen wir für die Zukunft endlich xyz tun.“

Und von der respektablen Seite kommt dann eine Antwort, die etwa auf das hier hinausläuft:

„Wie kannst du nur die Toten verunehren, indem du Lösungsvorschläge anbietest? Worauf es jetzt ankommt, ist, die immer gleichen Betroffenheitsphrasen abzuspulen, daher: Wir stehen fest an der Seite unserer Freunde in xyz, wir verurteilen diesen feigen und sinnlosen Terroranschlag, wir stehen zusammen und lassen uns durch Terror und Gewalt nicht einschüchtern, unser Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Opfer. So, und jetzt husch-husch weitermachen wie bisher. Wir wollen doch die Terroristen nicht gewinnen lassen, nicht wahr? Und wehe, einer erwähnt den Hintergrund. Terror gibt es in allen Religionen. Das Problem ist Fundamentalismus.“

Da hört man dann auch oft Phrasen wie „Terroristen wollen die Gesellschaft spalten und Hass säen“: Eine unglaublich dumme Erklärung.

Kein Terrorist ist ein hirnloses Monster, das „muss hasserfüllte Gesellschaft haben“ vor sich hin murmelt. Terrorismus ist nicht sinnlos (und normalerweise auch nicht feige: Es erfordert schon Mut, auf andere Menschen loszugehen und sich selbst der Todesgefahr durch Polizeikugeln oder die eigene Bombe auszusetzen; Terroristen kann man pervers, gefühllos, mörderisch, selbstgerecht, hochmütig nennen, aber feige m. E. nicht). Terroristen wollen mit ihrem Terror konkrete Ziele durchsetzen.

Im Fall islamischer Terroristen wollen sie die Gesellschaft einschüchtern und sie mit der Bedrohung durch weiteren Terror davon abbringen, den Islam zu kritisieren oder gegen den wachsenden Einfluss des Islam in der Gesellschaft vorzugehen. Sie wollen Allah oder Mohammed zugefügte Beleidigungen rächen, indem sie konkrete Ungläubige töten. [In diesem Fall halte ich übrigens das schnodderige Gegenargument „dein Gott muss aber schwach und empfindlich sein, wenn du jemanden töten musst, der ihn beleidigt“ für ziemlich schlecht. Jemandem, der sagen würde, „wer meine Mutter beleidigt, den schlag ich zusammen, dass alle seine Knochen gebrochen sind“ würde man auch nicht entgegnen „deine Mutter ist aber empfindlich“. Das wäre noch ein bisschen etwas anderes als Mord und dieser Vergleich soll auch nicht im Entferntesten Sympathie für Mord ausdrücken (Vergleiche sind nun mal keine Gleichsetzungen, auch wenn der Durchschnittsmensch das immer weniger auseinanderhalten kann), sondern einfach klarmachen, dass das Argument nicht zieht.] Sie wollen vielleicht auch ihre eigenen Verbündeten bestärken, indem sie ihre Stärke beweisen und zeigen, dass sie Städte in Angst und Schrecken versetzen können. Und ihr Endziel ist die islamische Weltherrschaft, ganz einfach, das wird offen gesagt. „Weltherrschaft“ klingt immer so nach Zeichentrickfilmschurke, aber eigentlich will ja jeder, dass seine Ideale irgendwann auf der ganzen Welt angenommen werden; andere Leute wollen eben, dass irgendwann die ganze Welt liberal und demokratisch (was übrigens zwei verschiedene Sachen sind) ist. Radikale Muslime wollen, dass auf der ganzen Welt der Islam herrscht, islamische Regeln gelten und die verbliebenen Ungläubigen sich unterwerfen und die Schutzsteuer zahlen, oder einfach konvertieren.

Und hätten sie denn gewonnen, wenn man nicht weitermacht wie bisher? Man kann nicht einfach weitermachen wie bisher, in der Hinsicht, dass man sich einredet, dass es ja nur Einzelfälle sind und man nicht viel machen kann, das schuldet man den Opfern und möglichen zukünftigen Opfern; hier hätten sie gewonnen, wenn man weitermacht wie bisher. Und in anderer Hinsicht wird jetzt bereits nicht weitergemacht wie bisher, trotz aller Phrasen, dass man sich nicht einschüchtern lässt: Je mehr Terror und Gewalt, desto weniger öffentliche Kritik am Islam wird man hören, weil Einzelne das nicht mehr wagen. Die Leute, die davon reden, dass die Gesellschaft sich ihr Leben durch Terror nicht kaputt machen lassen wird, lassen sich vom Terror vielleicht nicht davon abhalten, vom Islam (manchmal zu Recht) als verdorben gesehene Lebensweisen weiter zu leben, aber sehr wohl davon, Mohammed öffentlich als falschen Propheten zu bezeichnen.

Terroristen sagen deutlich, was sie wollen; aufschlussreich z. B. eine Veröffentlichung des IS („Why we hate you and why we fight you“, ab S. 30 – Warnung, weiter unten in anderen Artikeln sind sehr brutale Bilder). Der erste Grund für Kampf und Terror gegen den „Westen“ – ausdrücklich wird gesagt, dass die westliche Außenpolitik ein untergeordneter Punkt ist – ist, dass man Gott verunehre, indem man ihm einen Sohn an die Seite stelle. Islamische Terroristen hassen sicherlich den Säkularismus und Liberalismus (wie sie dann auch an zweiter Stelle, ebenfalls vor der Außenpolitik, sagen), aber sie hassen zuerst auch das Christentum (und manchmal scheinen sie beides kaum auseinanderzuhalten). Illustriert wird dieser Teil des Textes mit einem Bild aus einer traditionellen lateinischen Messe, nicht gerade Ausdruck moderner Dekadenz.

Da helfen auch keine von vierzigjährigen Sozialpädagoginnen durchgeführten Programme zur Demokratiebildung oder Deradikalisierung, über die jeder Sechzehnjährige lachen wird, der sie über sich ergehen lassen muss.

Wenn man will, dass Leute nicht dem radikalen Islam verfallen, muss man ihnen etwas Ernstzunehmendes bieten; das (richtige) Christentum wäre hier nötig, und manchmal funktioniert das auch, aber viele Muslime sind dagegen leider schon zu sehr „geimpft“: Christentum ist Polytheismus, weil man Allah einen Sohn an die Seite stellt, eins ist nicht drei, und Allah kann ja wohl nicht leiden, weiter wird nicht gedacht und nicht diskutiert, obwohl es wunderbare Antworten auf das alles gäbe.

Tatsache ist, in jeder muslimischen Gesellschaft wird es viele Muslime geben, die ihren Glauben ernst nehmen, und die es daher z. B. für unbedenklich halten, in der Polygamie zu leben, die mit enormer Wut auf Mohammedkritik oder -karikaturen reagieren (anbei: mit Charlie Hebdo, diesem Atheistenblatt, kann ich auch nicht viel anfangen), die finden, dass in einer idealen islamischen Gesellschaft die Christen etc. Dhimmis sein sollten, und die es nicht über sich bringen, den historischen Dschihad zu verurteilen. Freilich werden die meisten von denen immer noch finden, dass heutige Terrorgruppen keine rechtmäßige Autorität sind, die den Dschihad ausrufen kann, und werden willkürliche Morde an Zivilisten in Friedenszeiten normalerweise ablehnen – auch wenn sie nicht allzu sehr trauern, wenn ganz gezielt jemand getötet wurde, der Blasphemie gegen den Islam betrieben hat. Aber es wird auch immer eine Minderheit geben, die da fanatischer ist, und die irgendwann Terroranschläge verübt.

Und deswegen muss das Ziel erst mal sein, dass der Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Europa nicht immer weiter wächst, denn diese Minderheit ist in allen islamischen Ländern da. Viele Muslime kommen noch durch Einwanderung, daher wären logische Möglichkeiten solche Dinge wie weniger Einwanderung, auch weniger legale; Abschiebung Ausreisepflichtiger; höhere Hürden für Einbürgerungen; Anreize zur freiwilligen Ausreise; Verlust der Aufenthaltsgenehmigung bei vielen Verbrechen; usw. Es gäbe viele gute denkbare Möglichkeiten, mit denen etliche Länder schon lange arbeiten, und die niemandes Rechte verletzen, die ihm geschuldet sind. Dann haben Muslime oft eine höhere Geburtenrate; das ist ihnen nicht vorzuwerfen, denn Kinderkriegen ist gut und ein natürliches Recht, aber man kann auch Anreize für eine höhere Geburtenrate bei Nichtmuslimen schaffen. Wenn die Gesellschaft kinderfreundlich ist, geht die Geburtenrate oft wenigstens ein Stück weit hoch, weil die Leute eigentlich doch ein bisschen mehr Kinder wollen, als sie derzeit haben (nicht in allen Industrienationen ist sie so niedrig wie in Deutschland; Frankreich hat 2 Kinder pro Frau und Israel 3, mehr als einige seiner islamischen Nachbarstaaten). Demographische Fakten sind nun mal mächtig, egal, ob einem das gefällt oder nicht. Dann gibt es auch Konversionen von Nichtmuslimen zum Islam; die verhindert man am besten durch glaubwürdige Alternativen, d. h. die Kirche hat endlich mal wieder ernsthaft das zu verkünden, was sie zu verkünden hat, ohne sich dafür zu schämen oder es zu verwässern. Natürlich müsste man auch diejenigen Moscheen schließen und Imame ausweisen, bei denen Terror verherrlicht wird, strenger gegen Polygamie, Kinderehen und dergleichen vorgehen, und allgemein klarmachen, dass der Islam als etwas Fremdes geduldet wird, aber nicht die Gesellschaft zu prägen hat („christliche Leitkultur“, wie das dann so genannt wird).

Über solche Mittel zur Abwehr oder Eindämmung des radikalen Islam muss man reden. Wenn Säkularisten „Radikalisierung“ verhindern wollen, indem sie versuchen, Muslimen eine verwässerte Version ihrer Religion als modernen Islam unterzujubeln, der kaum mehr als Äußerlichkeiten mit der ursprünglichen Version gemein hat, oder wenn sie muslimische Mädchen zwingen wollen, gegen ihren Willen Kleidungsstücke abzulegen, dann ist das nicht nur bescheuert, sondern auch moralisch falsch. Und mit stärkerer Kontrolle durch Polizei und Verfassungsschutz kann man zwar was tun, aber irgendwann ist das einfach nicht mehr genug. Wenn die Seele raus ist, kann man den Körper nicht mehr reanimieren.

Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 5a: Die Kirche – was sie ist und woher sie stammt

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Mt 16,18f., 1 Tim 3,15, Lk 10,16, Apg 9,4f., Apg 20,28, Kol 1,18, 1 Kor 12, Eph 1,22f., Eph 3,10, Eph 5,22-33, Apg 14,23, 2 Tim 1,6, Tit 1,5-9, 1 Tim 1-13, 1 Kor 1,1f., 1 Thess 1,1.

Der Begriff „ecclesia“ (=Kirche, „die Herausgerufenen“) wurde zum einen für die einzelnen Ortskirchen unter den einzelnen Bischöfen verwendet und zum anderen für die Weltkirche; in diesem Artikel zunächst zur Weltkirche (zur Rolle Roms in dieser Weltkirche kommt auch ein eigener Artikel, da das für einen zu viel wäre).

Sie wird bezeichnet als die universale – „katholische“ – Kirche; zum ersten Mal taucht dieser Begriff bei Ignatius von Antiochia auf, der um 107 n. Chr. auf dem Weg zu seinem Prozess und Märtyrertod in Rom Briefe an mehrere Gemeinden schreibt:

„Alle sollt ihr dem Bischof gehorchen wie Jesus Christus dem Vater, und auch dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakonen aber ehret wie Gottes Anordnung. Keiner tue ohne den Bischof etwas, das die Kirche angeht. Nur jene Eucharistie gelte als die gesetzmäßige, die unter dem Bischof vollzogen wird oder durch den von ihm Beauftragten. Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist. Ohne den Bischof darf man nicht taufen noch das Liebesmahl feiern; aber was immer er für gut findet, das ist auch Gott wohlgefällig, auf dass alles, was geschieht, sicher sei und gesetzmäßig.“ (Brief des Ignatius an die Smyrnäer 8)

Ignatius of Antioch.jpg
(Martyrium des hl. Ignatius. Gemeinfrei.)

In einem Bericht über das Martyrium des hl. Bischofs Polykarp von Smyrna (Kleinasien), an den Ignatius einen seiner Briefe gerichtet hatte und der in sehr hohem Alter im Jahr 155 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, finden sich folgende Stellen:

„Die Kirche Gottes zu Smyrna an die Kirche Gottes zu Philomelium und an alle Gemeinden der heiligen und katholischen Kirche allerorten. Erbarmung, Friede und Liebe Gottes des Vaters und unseres Herrn Jesus Christus mögen euch in Fülle zuteil werden.“ (Martyrium des hl. Polykarp 1)

„Einer von diesen ist der bewunderungswerte Blutzeuge Polykarp gewesen, der in unserer Zeit durch seine Lehre ein Apostel und Prophet geworden ist, der Bischof der katholischen Kirche zu Smyrna; denn jedes Wort, das aus seinem Munde kam, hat sich erfüllt und wird sich erfüllen.“ (Martyrium des hl. Polykarp 16)

„Denn durch seine Standhaftigkeit hat er den ungerechten Statthalter besiegt und so die Krone der Unsterblichkeit erlangt; er verherrlicht, mit den Aposteln und allen Gerechten in Jubel vereinigt, Gott den Allvater und preist unsern Herrn Jesus Christus, den Heiland unserer Seelen, den Lenker unserer Leiber und den Hirten der katholischen Kirche auf dem weiten Erdkreise.“ (Martyrium des hl. Polykarp 19)

Polycarp.jpg
(Polykarp von Smyrna. Gemeinfrei.)

Die Kirche wird in einem Glaubensbekenntnis erwähnt, das sich in der Epistula Apostolorum findet, einem Werk, das sich als Brief der Apostel ausgibt und einen angeblichen Dialog Jesu mit den Aposteln nach Seiner Auferstehung enthält:

„an den Vater, den Herrscher der ganzen Welt, und an Jesum Christum, unsern Heiland, und an den heiligen Geist, den Parakleten, und an die heilige Kirche und an die Vergebung der Sünden.

(Epistula Apostolorum 5(16)-6(17), in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 1. Band. Evangelien, 4. Auflage, Tübingen 1968, S. 129. Englische Übersetzung hier.)

Die einzelnen Bischöfe konnten ihre Einsetzung auf die Apostel zurückführen; die Kirche wurde als diejenige gesehen, die die apostolische Überlieferung bewahrt. Zu diesem Thema findet man sehr viele Stellen.

Einer der ersten Päpste, Clemens von Rom, schreibt um 95 n. Chr. in einem Brief an die Ortskirche von Korinth:

„Die Apostel haben uns das Evangelium verkündet, (das sie) vom Herrn Jesus Christus (bekommen haben), Jesus Christus aber ist gesandt von Gott. Christus ist also von Gott und die Apostel von Christus (gesandt); beides ist demnach geschehen in aller Ordnung nach dem Willen Gottes. Sie empfingen also ihre Aufträge, wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewissheit erfüllt, wurden im Glauben an das Wort Gottes gefestigt, und dann zogen sie voll des Heiligen Geistes hinaus zur Predigt, dass das Reich Gottes nahe sei. Indem sie nun in Ländern und Städten predigten, setzten sie die Erstlingsfrüchte ihrer (Predigt), nach vorhergegangener Prüfung im Geiste, zu Bischöfen und Diakonen der zukünftigen Gläubigen ein.“ (1. Clemensbrief 42,1-4)

Justin der Märtyrer, ein zum Christentum konvertierter Philosoph, der in Rom lebte, schreibt um 150:

„Und daß das eingetroffen ist, davon könnt ihr euch überzeugen; denn von Jerusalem gingen Männer aus in die Welt, zwölf an der Zahl, ganz ungebildet und der Rede nicht mächtig; aber durch die Kraft Gottes haben sie dem ganzen Menschengeschlechte gezeigt, daß sie von Christus gesandt waren, allen das Wort Gottes zu predigen.“ (Justin, 1. Apologie 39)

Im Diognetbrief heißt es (mit „Logos“ (griechisch Wort, Rede, Vernunft) ist Jesus, das Wort Gottes, gemeint):

„Nicht Fremdartiges predige ich und stelle keine vernunftwidrigen Untersuchungen an, sondern nachdem ich Schüler der Apostel geworden bin, werde ich Lehrer der Heiden und biete das Überlieferte in rechter Weise solchen dar, die Schüler der Wahrheit werden. Denn welcher Mensch, der rechtgläubig unterwiesen und dem Logos befreundet geworden ist, hat nicht das Bestreben, klar zu erfassen, was durch den Logos den Jüngern deutlich gezeigt wurde, denen der Logos, als er sichtbar erschienen war, es offenbarte, indem er freimütig zu ihnen redete? Von den Ungläubigen wurde er zwar nicht begriffen, zu den Jüngern aber redete er deutlich, die, als Gläubige von ihm erkannt, die Geheimnisse des Vaters kennen lernten. Deswegen sandte er den Logos, damit er der Welt erschiene, der von seinem Volke missachtet, von den Aposteln gepredigt und von den Heiden gläubig aufgenommen wurde. Dieser ist es, der von Anfang an war, als ein Neuer erschien und als der Alte erfunden wurde, der immerfort neu in den Herzen der Heiligen geboren wird. Er ist der Ewige, von dem es heisst, er sei ‚heute der Sohn‘1; durch ihn wird die Kirche bereichert und die Gnade, die sich in den Heiligen entfaltet, vermehrt, die da Verständnis gewährt, Geheimnisse erschliesst, Zeiten ankündigt, sich an den Gläubigen erfreut, sich den Suchenden mitteilt, jenen nämlich, von denen die Gelöbnisse des Glaubens nicht gebrochen und die von den Vätern gesteckten Grenzen nicht überschritten werden. Dann wird die Gesetzesfurcht gepriesen, die Prophetengabe erkannt, der Glaube der Evangelien gefestigt und die Überlieferung der Apostel bewahrt; es frohlockt die Gnade der Kirche. Wenn du diese nicht betrübst, wirst du erkennen, was der Logos verkündet, durch wen und wann er will. Denn was wir nach dem Willen des gebietenden Logos mühsam auszudrücken bewogen wurden, das teilen wir euch mit aus Liebe zu dem Geoffenbarten.“ (Diognetbrief 11)

Bischof Irenäus von Lyon, der noch Polykarp gekannt hatte, schreibt um 180 n. Chr. (die meisten Zitate sind aus einem Werk, das er gegen die Gnostiker, eine Ansammlung esoterischer Sekten, die besonderes Geheimwissen versprachen, verfasste):

„Die Kirche erstreckt sich über das ganze Weltall bis an die äußersten Grenzen der Erde. Sie hat von den Aposteln und ihren Schülern den Glauben empfangen, den Glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde und der Meere und alles was in ihnen ist, und an den einen Christus Jesus, den Sohn Gottes, der, um uns zu erlösen, Fleisch angenommen hat, und an den heiligen Geist, der durch die Propheten die Heilsordnung Gottes verkündet hat, die zweifache Ankunft des Herrn, seine Geburt aus der Jungfrau, sein Leiden, seine Auferstehung von den Toten und die leibliche Himmelfahrt unseres lieben Herrn Christus Jesus und seine Wiederkunft vom Himmel in der Herrlichkeit des Vaters, um ‚alles wiederherzustellen‘1 und alles Fleisch der ganzen Menschheit wiederzuerwecken, damit vor Jesus Christus, unserm Herrn und Gott, unserm Heiland und König, nach dem Wohlgefallen des unsichtbaren Vaters, ‚jedes Knie sich beuge derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und jegliche Zunge ihn preise‘2 . Dann wird er ein gerechtes Gericht über alle halten. Die Geister der Bosheit und die ungehorsamen Engel, die von Gott abfielen, und die Gottlosen und Ungerechten und Frevler und Gotteslästerer wird er in das ewige Feuer schicken. Den Gerechten aber und Frommen und denen, die seine Gebote beobachtet haben, und die in seiner Liebe verharrt sind teils von Anfang, teils seit ihrer Bekehrung, denen wird er das ewige Leben in Gnaden schenken und mit ewiger Herrlichkeit sie umkleiden.

Nun wohl, diese Botschaft und diesen Glauben bewahrt die Kirche, wie sie ihn empfangen hat, obwohl sie, wie gesagt, über die ganze Welt zerstreut ist, sorgfältig, als ob sie in einem Hause wohnte, glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet und überliefert ihre Lehre so einstimmig, als ob sie nur einen Mund besäße. Und wenngleich es auf der Welt verschiedene Sprachen gibt, so ist doch die Kraft der Überlieferung ein und dieselbe. Die in Germanien gegründeten Kirchen glauben und überliefern nicht anders als die in Spanien oder bei den Kelten, die im Orient oder in Ägypten, die in Lybien oder in der Mitte der Welt. So wie Gottes Sonne in der ganzen Welt eine und dieselbe ist, so dringt auch die Botschaft der Wahrheit überall hin und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wollen. Der größte Redner unter den Vorstehern der Kirche kann nichts anders verkünden, denn niemand geht über den Meister; und auch der Schwachbegabte wird nichts von der Überlieferung weglassen. Es ist nur ein und derselbe Glaube, ihn kann nicht vermehren, wer viel versteht zu reden, nicht vermindern, wer wenig spricht..“ (Irenäus, Gegen die Häresien I,10,1-2)

„Die von den Aposteln in der ganzen Welt verkündete Tradition kann in jeder Kirche jeder finden, der die Wahrheit sehen will, und wir können die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe der einzelnen Kirchen aufzählen und ihre Nachfolger bis auf unsere Tage. Diese haben von den Wahngebilden jener nichts gelehrt und nichts gehört. Denn wenn die Apostel verborgene Geheimnisse gewußt hätten, die sie in besonderem, geheimem Unterricht nur die Vollkommenen lehrten, dann hätten sie die Geheimnisse am ehesten denen übergeben, denen sie sogar die Kirchen anvertrauten. Ganz vollkommen nämlich und in allem untadelig wünschten sie die, denen sie ihren Lehrstuhl übergaben, und die sie als ihre Nachfolger zurückließen, von deren gutem oder schlechtem Verhalten für das Wohl und Wehe der Ihrigen soviel abhing.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,3,1)

Da also die apostolische Tradition, wie gesagt in der Kirche ist und bleibt, so wollen wir zurückkehren zu dem Beweise aus den Schriften der Apostel, die das Evangelium verfaßt haben, indem wir aus dem, was sie als Lehre über Gott geschrieben haben, den Nachweis führen, daß unser Herr Jesus Christus die Wahrheit, und daß keine Lüge in ihm ist.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,5,1)

„Die Kirche aber hat über die gesamte Welt hin ihren sicheren Ursprung von den Aposteln und verharrt in ein und derselben Lehre über Gott und seinen Sohn.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,12,7)


(Christus und die zwölf Apostel, Fresko aus der Domitilla-Katakombe in Rom. Bildquelle: Wikimedia Commons, Nutzer Dnalor 01.)

Die Predigt der Kirche aber ist in jeder Hinsicht unveränderlich und gleichmäßig; sie hat für sich, wie nachgewiesen, das Zeugnis der Propheten und Apostel und aller Jünger, wie am Anfang der Zeiten, so in der Mitte und am Ende, die ganze Heilsordnung Gottes hindurch und in all dem, was er zum Heil der Menschen zu tun gewohnt war, wie unser Glaube es lehrt. Diesen haben wir von der Kirche empfangen und bewahren ihn so auf. Ihn hat der Hl. Geist gleichsam in ein ganz kostbares Gefäß jugendfrisch hineingetan, und jugendfrisch erhält er das Gefäß, in dem er sich befindet. Dieses göttliche Geschenk nämlich ist der Kirche anvertraut, damit gleichsam das Geschöpf beseelt werde und alle Glieder, die an ihr Anteil haben, das Leben empfangen. In ihr ist niedergelegt die Gemeinschaft mit Christus, d. h. der Hl. Geist, die unverwesliche Arche, die Befestigung unseres Glaubens, die Himmelsleiter zu Gott. ‚In der Kirche nämlich‘, heißt es, ‚hat Gott eingesetzt Apostel, Propheten, Lehrer und die gesamte übrige Wirksamkeit des Geistes‘1 , an der keinen Anteil haben, die sich von der Kirche fernhalten und durch ihre schlechte Lehre und ihr ganz schlechtes Leben sich selber des Lebens berauben. Wo die Kirche, da ist auch der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes, dort ist die Kirche und alle Gnade; der Geist aber ist Wahrheit. Die den Geist der Wahrheit nicht aufnehmen, empfangen von den Brüsten der Mutter keine Nahrung zum Leben, noch das von dem Leibe Christi ausgehende, hellsprudelnde Quellwasser, sondern ‚graben sich durchlöcherte Zisternen aus Erdlöchern‘2 , und trinken aus Gruben faules Wasser. Um nicht widerlegt zu werden, fliehen sie vor dem Glauben der Kirche; um nicht belehrt zu werden, verwerfen sie den Hl. Geist.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,24,1)

„Angesichts solcher Beweise darf man nicht lange bei andern nach der Wahrheit suchen. Ohne Mühe kann man sie von der Kirche in Empfang nehmen. In sie haben die Apostel wie in eine reiche Schatzkammer auf das vollständigste alles hineingetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens schöpfen kann. Sie ist der Eingang zum Leben; alle übrigen sind ‚Räuber und Diebe‘1 . Diese muß man deshalb meiden, alles aber, was zur Kirche gehört, auf das innigste lieben und die Überlieferung der Wahrheit umklammern. Sollte jedoch über eine unbedeutende Frage ein Zwiespalt entstehen, dann muß man auf die ältesten Kirchen zurückgehen, in denen die Apostel gewirkt haben, und von ihnen die klare und sichere Entscheidung über die strittige Frage annehmen. Hätten nämlich die Apostel nichts Schriftliches uns hinterlassen, dann müßte man eben der Ordnung der Tradition folgen, die sie den Vorstehern der Kirchen übergeben haben.

Diese Anordnung befolgen viele Barbarenvölker, die an Christum glauben. Ohne Papier und Tinte haben sie ihr Heil durch den Heiligen Geist in ihren Herzen geschrieben, und sorgfältig bewahren sie die alte Tradition. An einen Gott glauben sie als den Schöpfer des Himmels und der Erde und alles dessen, was darin ist, durch Jesum Christum, Gottes Sohn, der aus überfließender Liebe gegen sein Geschöpf aus der Jungfrau geboren werden wollte, der in sich den Menschen mit Gott vereinigte, unter Pontius Pilatus litt, auferstand, in Herrlichkeit aufgenommen wurde und in Majestät kommen wird als der Erlöser derjenigen, die gerettet werden, und als Richter derer, die gerichtet werden. In das ewige Feuer wird er die Entsteller der Wahrheit und die Verächter seines Vaters und seiner Ankunft schicken. Die diesen Glauben ohne Schrift angenommen haben, sind hinsichtlich unserer Sprache zwar Barbaren, in Anbetracht ihrer Gesinnung, ihrer Gebräuche und ihres Lebenswandels freilich wegen ihres Glaubens höchst weise und Gott wohlgefällig, da sie in aller Gerechtigkeit, Keuschheit und Weisheit wandeln. Käme ihnen einer mit den häretischen Erfindungen und wollte darüber mit ihnen in ihrer Sprache reden, dann würden sie sich sogleich die Ohren zuhalten und weit, weit fliehen, weil sie das gotteslästerliche Gerede nicht ertragen könnten. All deren Wundergerede hat in ihrem Geiste keinen Platz, denn keine1 [gemeint: gnostische] Versammlung oder Unterweisung hat bei ihnen bisher stattgefunden.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,4,1-2)

Deswegen muß man auch den Priestern der Kirche gehorchen, die, wie wir gezeigt haben, Nachfolger der Apostel sind. Sie haben mit der Nachfolge des Episkopats das sichere Charisma der Wahrheit nach dem Wohlgefallen des Vaters empfangen. Die anderen aber, die der apostolischen Nachfolge fernstehen und irgendwo zusammenkommen, muß man als Häretiker oder Irrlehrer betrachten, die sich von der Kirche aus Stolz oder Eitelkeit trennen, oder als Heuchler, die sich um Geld oder eitlen Ruhmes wegen mühen. Sie alle sind von der Wahrheit abgefallen, und jene Häretiker, die fremdes Feuer, d. h. fremde Lehren, zum Altare Gottes bringen, werden vom himmlischen Feuer verzehrt werden wie Nadab und Abiud1 . Die sich aber gegen die Wahrheit erheben und andere gegen die Kirche Gottes aufhetzen, die werden von dem Abgrund der Erde verschlungen und in der Hölle bleiben wie die mit Kore, Dathan und Abiron2 . Die aber die Einheit der Kirche spalten und trennen, werden von Gott dieselbe Strafe empfangen wie Jeroboam3 . […]

Von all solchen Personen muß man sich fernhalten, anhängen aber jenen, welche, wie gesagt, die Lehre der Apostel bewahren und außer dem Range des Priesters eine gesunde Lehre und einen Wandel ohne Tadel aufweisen zur Stärkung oder Zurechtweisung der übrigen. […]

Wo also die Charismen des Herrn niedergelegt sind, da muß man die Wahrheit lernen, da ist die apostolische Nachfolge der Kirche, ein vernünftiger, untadeliger Wandel und offenbar die unversehrte, unverfälschte Lehre. Sie bewahren nämlich unseren Glauben an den einen Gott, der alles gemacht hat, und vermehren unsere Liebe zu dem Sohn Gottes, der unseretwegen so große Dinge getan hat, und legen ohne Gefahr uns die Schriften aus, sodaß wir weder Gott lästern, noch die Patriarchen verunehren, noch die Propheten verachten.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,26,2.4-5)

Die wahre Gnosis [Erkenntnis] ist die Lehre der Apostel und das alte Lehrgebäude der Kirche für die ganze Welt. Den Leib Christi erkennt man an der Nachfolge der Bischöfe, denen die Apostel die gesamte Kirche übergeben haben. Hier sind die Schriften in treuer Überlieferung bewahrt; nichts ist hinzugetan, nichts ist fortgenommen. Hier werden sie unverfälscht verlesen und gesetzmäßig, sorgfältig, gefahrlos und gottesfürchtig erklärt. Hier ist vor allem das Geschenk der Liebe, das kostbarer ist als die Erkenntnis, ruhmvoller als die Prophetengabe, vortrefflicher als alle übrigen Charismen.“ (Irenäus, Gegen die Häresien IV,33,8)

„Sind sie [die Häretiker] doch alle viel später als die Bischöfe, denen die Apostel die Kirchen übergeben haben, was wir im dritten Buche mit aller Sorgfalt nachwiesen. Da nun also die genannten Häretiker für die Wahrheit blind sind, so schweifen sie immer auf andere Wege ab, und ohne Sinn oder Zusammenhang sind die Spuren ihrer Lehre. Der Pfad derer aber, die zur Kirche gehören, führt um die ganze Welt herum; er hat die feste, apostolische Tradition und läßt uns erkennen, daß aller Glaube ein und derselbe ist: alle bekennen ein und denselben Gott Vater, alle glauben an dieselbe Ordnung der Menschwerdung des Sohnes Gottes, wissen von ebenderselben Gabe des Geistes, beobachten ebendieselben Gebote und bewahren ebendieselbe Form der kirchlichen Verfassung, erwarten ebendieselbe Ankunft des Herrn und erhoffen ebendieselbe Heiligung des ganzen Menschen, d. h. des Leibes und der Seele. Wahr und fest ist die Predigt der Kirche; ein und derselbe Weg zum Heil wird in der gesamten Welt gewiesen. Ihr ist das Licht Gottes anvertraut, und deshalb wird die Weisheit Gottes, die alle Menschen rettet, ‚an dem Ausgang besungen, und auf den Straßen wirkt sie mit Zuversicht, oben auf den Mauern wird sie gepriesen, an den Toren der Stadt redet sie ständig‘1 . Überall nämlich predigt die Kirche die Wahrheit, sie ist der siebenarmige Leuchter, der Christi Licht trägt. (Irenäus, Gegen die Häresien V,20,1)

„Das ist, Geliebter, die Predigt der Wahrheit, das ist die Art und Weise unserer Erlösung, das ist der Weg des Lebens. Ihn haben die Propheten angekündigt, ihn hat Christus bestätigt, ihn haben die Apostel bekannt gemacht und die Kirche hat ihn ihren Kindern auf der ganzen Welt eröffnet1 .“ (Irenäus, Erweis der apostolischen Verkündigung 98)

„Von keinem andern als von denen, durch welche das Evangelium an uns gelangt ist, haben wir Gottes Heilsplan gelernt. Was sie zuerst gepredigt und dann nach dem Willen Gottes uns schriftlich überliefert haben, das sollte das Fundament und die Grundsäule unseres Glaubens werden. Frevelhaft ist die Behauptung, sie hätten gepredigt, bevor sie die vollkommene Kenntnis besessen hätten, wie jene zu sagen sich erkühnen, die sich rühmen, die Apostel verbessern zu können. Nicht eher nämlich zogen sie aus bis an die Grenzen der Erde, allen die frohe Botschaft zu bringen und den himmlischen Frieden den Menschen zu verkünden, als unser Herr von den Toten auferstanden war und sie alle die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten, der über sie kam. Dadurch empfingen sie die Fülle von allem und die vollkommene Erkenntnis, und so besitzt auch jeder einzelne von ihnen das Evangelium Gottes, Matthäus verfaßte seine Evangelienschrift bei den Hebräern in hebräischer Sprache, als Petrus und Paulus zu Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach deren Tode zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher Petri, dessen Predigt für uns auf. Ähnlich hat Lukas, der Begleiter Pauli, das von diesem verkündete Evangelium in einem Buch niedergelegt. Zuletzt gab Johannes, der Schüler des Herrn, der an seiner Brust ruhte, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien das Evangelium heraus.“ (Irenäus, Gegen die Häresien III,1,1)

„Die Schüler desselben und die Zeugen aller seiner Guttaten, seiner Lehre, seiner Leiden, seines Todes und seiner Auferstehung, und der nach der leiblichen Auferstehung folgenden Auffahrt in den Himmel waren die Apostel. Dieselben wurden von ihm, nachdem sie die Kraft des Hl. Geistes empfangen hatten2 , in alle Welt hinausgesandt und vollführten die Berufung der Heiden, indem sie den Menschen den Weg des Lebens zeigten, und sie zur Abkehr vom Götzendienst, von der Unzucht und dem Wucher bewegten. An Seele und Leib heiligten sie dieselben durch die Taufe im Wasser und den Hl. Geist, den sie vom Herrn empfangen hatten. Indem sie diesen den einzelnen Gläubigen erteilten, begründeten sie die Kirche. Durch Glaube, Liebe und Hoffnung führten sie die Berufung der Heiden ins Werk, welche zuvor von den Propheten verheißen worden war gemäß der Barmherzigkeit Gottes, welche auch über diese sich aufgetan hatte. Durch ihre Amtserfüllung brachten sie diese zur Offenbarung und nahmen diejenigen, die glaubten und Gott liebten, auf zur Teilnahme an den den Vätern gewordenen Verheißungen. An den Stätten der Heiligkeit, Gerechtigkeit und Beharrlichkeit sollten auch sie von Gott allen Zutritt zum ewigen Leben erhoffen durch die Auferstehung von den Toten. So war es verheißen durch den, der gestorben und auferstanden ist, Jesus Christus. Ihm ist gegeben die Herrschaft über alle Wesen und die Macht über die Lebendigen und die Toten und das Gericht3 . Sie gaben also durch das Wort der Wahrheit auch die Anleitung, den Leib für die Auferstehung unbefleckt und die Seele in Lauterkeit zu erhalten.“ (Irenäus, Erweis der apostolischen Verkündigung 41)

Eusebius von Cäsarea zitiert aus einer nicht mehr erhaltenen Schrift des Irenäus:

„Gegen die, welche in Rom die gesunde Ordnung der Kirche störten, verfaßte Irenäus verschiedene Briefe. Einen betitelte er ‚An Blastus über das Schisma‘, einen anderen ‚An Florinus über die Monarchie oder daß Gott nicht der Urheber des Bösen sei‘. Diese Meinung schien nämlich Florinus zu verfechten. Wegen dieses Mannes, der sich zum Irrtum des Valentinus hinüberziehen ließ, verfaßte Irenäus auch noch die Studie ‚Über die Achtzahl‘.1 Darin gibt er auch zu erkennen, daß er der ersten nachapostolischen Generation nahegestanden. Ebendort haben wir gegen Ende des Buches eine sehr beachtenswerte Bemerkung gefunden, die wir unserer Schrift einfügen zu müssen glauben. Sie lautet: ‚Wenn du dieses Buch abschreiben willst, dann beschwöre ich dich bei unserem Herrn Jesus Christus und bei seiner glorreichen Wiederkunft, wann er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, daß du deine Abschrift sorgfältig vergleichest und nach dieser Urschrift berichtigest, von der du sie abgeschrieben hast. Auch diese Beschwörung sollst du in gleicher Weise abschreiben und deinem Exemplare beigeben!‘2 Diese heilsame Bemerkung des Irenäus geben wir wieder, auf daß wir jene alten, wahrhaft heiligen Männer als schönstes Beispiel einer äußerst gewissenhaften Sorgfalt vor Augen haben. In dem vorhin erwähnten Briefe an Florinus gedenkt Irenäus auch seines Verkehrs mit Polykarp, wenn er sagt: ‚Diese deine Lehren, Florinus,3 sind — um mich schonend auszudrücken — nicht gesunder Anschauung entsprungen. Diese Lehren widersprechen der Kirche; sie stürzen ihre Bekenner in die größte Gottlosigkeit. Selbst die außerhalb der Kirche stehenden Häretiker haben niemals solche Lehren aufzustellen gewagt. Auch die vor uns lebenden Presbyter, die noch mit den Aposteln verkehrten, haben dir diese Lehren nicht überliefert. Denn als ich noch ein Knabe war, sah ich dich im unteren Asien bei Polykarp; du hattest eine glänzende Stellung am kaiserlichen Hofe und suchtest die Gunst Polykarps zu erwerben. Ich kann mich nämlich viel besser an die damalige Zeit erinnern als an das, was erst vor kurzem geschah; denn was man in der Jugend erfährt, wächst mit der Seele und bleibt mit ihr vereint. Daher kann ich auch noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß, wenn er sprach, auch die Plätze, wo er aus- und einging, auch seine Lebensweise, seine körperliche Gestalt, seine Reden vor dem Volke, seine Erzählung über den Verkehr mit Johannes und den anderen Personen, welche den Herrn noch gesehen, seinen Bericht über ihre Lehren, ferner das, was er von diesen über den Herrn, seine Wunder und seine Lehre gehört hatte. Alles, was Polykarp erfahren von denen, die Augenzeugen waren des Wortes des Lebens, erzählte er im Einklang mit der Schrift. Seine Worte habe ich durch die mir gewordene Gnade Gottes damals mit Eifer aufgenommen; nicht auf Papier, sondern in mein Herz habe ich sie eingetragen. Ich erinnere mich auch immer wieder durch die Gnade Gottes genau daran. Vor Gott kann ich bezeugen, daß, wenn jener selige, apostolische Presbyter solche Irrlehren gehört hätte, er laut aufgeschrien, sich die Ohren verstopft und seiner Gewohnheit gemäß ausgerufen hätte: ‚O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!’ Er wäre fortgeeilt von dem Orte, an dem er sitzend oder stehend solche Lehre vernommen hätte. Diese Wahrheiten werden bestätigt durch die Briefe, welche Polykarp4 teils an benachbarte Gemeinden, die er zu befestigen suchte, teils an einzelne Brüder, die er mahnte und ermunterte, geschrieben hat.‘5 So berichtet Irenäus.“ (Eusebius, Kirchengeschichte V,20)

Der Autor des Berichts über das Martyrium der hl. Perpetua und Felicitas (Nordafrika, 203 n. Chr.) schreibt, dass der Hl. Geist noch immer in der Kirche wirke, Gott habe nicht nur den Menschen früherer Generationen beigestanden – der Hl. Geist wirke jetzt sogar noch mehr als früher, findet er:

„Die aber die gleiche Kraft des einen Heiligen Geistes allen Zeitaltern zuschreiben, mögen sich vorsehen, da das Neuere für größer zu halten ist, weil es dem Ende näher steht und ein Überfluß der Gnade gerade für die letzten Zeiten vorbehalten ist. Denn in den letzten Tagen, spricht der Herr, werde ich von meinem Geiste ausgießen über alles Fleisch und ihre Söhne und Töchter werden weissagen; auch über meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geiste ausgießen, Jünglinge werden Gesichte sehen und Greise Traumerscheinungen haben1 . Darum müssen wir, da wir, wie die Prophezeiungen, so auch die neuen gleichfalls verheißenen Gesichte anerkennen und verehren und auch die übrigen Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes als bestimmt zur Unterstützung der Kirche ansehen — dieser ist er gesandt worden, der alle Gaben in allen wirkt, wie der Herr einem jeden zuerteilt hat –, das aufzeichnen und durch Lesung zur Ehre Gottes verherrlichen, damit nicht Schwachheit oder Verzweiflung am Glauben meine, nur mit den Alten sei die Gnade Gottes gewesen und habe sie der Märtyrer und Offenbarungen gewürdigt, da doch Gott immer wirkt, was er verheißen hat, den Ungläubigen zum Zeugnis, den Gläubigen zum Troste.“ (Akten der hl. Perpetua und Felicitas 1)

Die Christen werden in den Paulusakten (einer Erzählung aus dem späten 2. Jahrhundert mit Legenden und Überlieferungen über Paulus) als Söhne der Kirche bezeichnet. Die Paulusakten enthalten einen angeblichen Brief des Paulus, den sog. 3. Korintherbrief, in dem es heißt:

„Denn ihr seid nicht Söhne des Ungehorsams, sondern der geliebtesten Kirche. Deswegen ist die Zeit der Auferstehung gepredigt worden.“ (3 Kor 22f., in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 260)

Im „Hirten des Hermas“, einer Privatoffenbarung eines römischen Laien, bringt die Kirche, personifiziert als eine ehrwürdige alte Frau, die sich nach und nach verjüngt, Hermas einige Offenbarungen. Da heißt es zum Beispiel:

„Brüder, im Schlafe erhielt ich eine Offenbarung von einem gar schönen Jüngling, der mir sagte: ‚Was meinst du, wer die alte Frau war, von der du das Büchlein bekamst?‘ Ich sagte: ‚Die Sibylle‘1. ‚Du irrst‘, versetzte er, ‚die ist es nicht.‘ ‚Wer ist es denn?‘ fuhr ich fort. ‚Die Kirche‘, war seine Antwort. Ich sagte ihm: ‚Warum ist sie alt?‘ ‚Weil sie‘, antwortete er, ‚von allem zuerst gegründet wurde; deswegen ist sie alt, und ihretwegen wurde die Welt geschaffen.‘ Danach sah ich ein Gesicht in meinem Hause. Die alte Frau kam und fragte mich, ob ich das Buch schon den Presbytern gegeben habe. Ich sagte: ‚Nein.‘ ‚Du hast recht getan‘, fuhr sie fort. ‚Ich habe noch einiges hinzuzufügen. Wenn ich nun vollends alle Worte hinzugefügt habe, werden sie durch dich allen Auserwählten bekanntgegeben werden. Du wirst zwei Abschriften fertigen und eine dem Klemens, eine der Grapte senden. Klemens wird es an die auswärtigen Städte schicken, das ist ihm aufgetragen worden; Grapte wird die Witwen und Waisen mahnen. Und du wirst es in dieser Stadt gemeinsam mit den Presbytern, den Vorstehern der Kirche, vorlesen.'“ (Hirte des Hermas I,2,4)

Und etwas später:

„Bei dem ersten Gesichte voriges Jahr war sie mir, Brüder, als eine ganz alte Frau, auf einem Sessel sitzend, erschienen. Bei der zweiten Erscheinung hatte sie ein jüngeres Gesicht, aber einen alten Körper und graue Haare, und sie stand, als sie mit mir sprach; sie war aber in besserer Stimmung als das erste Mal. Bei der dritten Erscheinung war sie ganz jung und von ausgezeichneter Schönheit, nur hatte sie graue Haare; aber sie war fröhlich bis zum Schlusse und saß auf einer Bank. Dies machte mich ganz traurig, weil ich die Deutung hiervon kennen wollte. Da schaute ich in einem nächtlichen Gesichte die alte Frau, und sie sagte mir: ‚Jedes Gebet bedarf demütiger Gesinnung; faste also und du wirst erhalten, was du vom Herrn begehrst.‘ So fastete ich denn einen Tag, und in der gleichen Nacht erschien mir ein Jüngling, der mir sagte: ‚Warum verlangst du im Gebete die Offenbarungen der Reihe nach? Sieh zu, dass du nicht zuviel verlangst und so deiner Gesundheit schadest. Diese Enthüllungen genügen dir. Oder kannst du stärkere Offenbarungen als die erlebten aushalten?‘ Ich antwortete ihm: ‚Herr, nur um das eine bitte ich, nämlich (um Aufklärung) über die dreifache Gestalt der alten Frau, damit die Offenbarung vollständig werde.‘ Da erwiderte er: ‚Wie lange seid ihr noch unverständig? Vielmehr sind es die Zweifel, die euch das Verständnis nehmen, und der Umstand, dass ihr euer Herz nicht beim Herrn habet.‘ Ich antwortete ihm, indem ich nochmals sagte: ‚Aber von dir, o Herr, werde ich es genauer erfahren.‘

‚So höre denn über die drei Gestalten, wie du es verlangst. Warum sie bei dem ersten Gesichte dir alt erschien und auf einem Sitze ruhend? Weil euer Geist schon alterte und schon abgezehrt war und keine Kraft mehr hatte wegen eurer Schwäche und eurer Zweifel; wie nämlich die alten Leute, weil sie keine Aussicht haben, wieder jung zu werden, nur noch auf das Einschlummern warten, so habt auch ihr, durch die zeitlichen Sorgen geschwächt euch der Sorglosigkeit überlassen und habt nicht alle eure Sorgen auf den Herrn geworfen1; vielmehr wurde euer Sinn niedergebeugt, und ihr seid gealtert durch eure Kümmernisse.‘ ‚Warum sie auf einem Sessel ruhte, möchte ich wissen, Herr.‘ ‚Weil jeder Schwache sich auf einen Ruheplatz niedersetzt wegen seiner Schwäche, damit die Schwäche seines Körpers überwunden werde. Damit hast du die Bedeutung des ersten Gesichtes.

Bei der zweiten Erscheinung sahest du sie stehend, mit einem jugendlicheren Gesichte und fröhlicher als das erste Mal, nur mit älterem Körper und grauem Haar. Vernimm‘, sagte er, ‚auch dieses Gleichnis! Wenn einer schon alt ist und sich schon wegen seiner Schwäche und seiner Armut aufgegeben hat, dann erwartet er nichts anderes mehr als den letzten Tag seines Lebens; da fällt ihm plötzlich eine Erbschaft zu, und er springt bei der Nachricht hiervon auf, und voll Freude bekommt er wieder Kraft und bleibt nicht mehr liegen, sondern steht auf, und sein Geist, der infolge der früheren Arbeiten schon abgemattet war, lebt wieder auf; er bleibt nicht mehr sitzen, sondern rührt sich männlich: so ist es auch euch ergangen, als ihr die Offenbarung hörtet, die euch der Herr gegeben hat. Weil er sich erbarmt hat über euch, hat sich auch euer Geist erneuert, habt ihr eure Schwäche abgelegt, habt ihr wieder Kraft geschöpft und seid wieder stark geworden im Glauben, und als der Herr eure Erstarkung sah, freute er sich; und deshalb hat er auch den Bau des Turmes geoffenbart und wird euch noch mehr offenbaren, wenn ihr aus ganzem Herzen unter euch Frieden bewahrt1.

Bei der dritten Erscheinung sahst du sie jung, schön, fröhlich und von edler Gestalt. Wie nämlich ein Trauriger, dem plötzlich eine gute Botschaft zukommt, sogleich das alte Leid vergisst und nichts anderes erwartet als die (Erfüllung der) frohen Botschaft, von der er hörte, und wie er künftighin stark sein wird im Hinblick auf das Gute und wie sein Geist sich erneuert wegen der Freude, die ihm zuteil geworden, so habt auch ihr eine Erneuerung eures Geistes erlebt, als ihr diese Güter sahet. Und wenn du sie auf einer Bank sitzen sahest, so wisse, dass es ein starker Sitz war, weil die Bank vier Füße hatte und fest stand; denn auch die Welt beruht auf vier Elementen. Wer also völlig sich bekehrt, wer nämlich aus ganzem Herzen seine Gesinnung ändert, der wird neu werden und fest gegründet. Nun hast du die Offenbarung vollständig, und du sollst fernerhin gar nichts mehr fragen über die Offenbarung; sollte aber etwas notwendig sein, so wird es dir geoffenbart werden.““ (Hirte des Hermas I,3,10,3-13,4)

Außerdem wird in dieser Schrift die Kirche in mehreren Visionen als Turm dargestellt, den Engel auf Geheiß Christi aufbauen; die einzelnen Christen sind die einzelnen Steine und sie können aus dem Bau entfernt werden, wenn sie sich von Gott abkehren, und wieder eingefügt werden, wenn sie Buße tun. Da heißt es etwa:

„Die aus der Tiefe heraufgezogenen Steine fügten sie alle so in den Bau; denn sie eigneten sich so und passten in den Mauerverband mit den übrigen Steinen; sie wurden so untereinander verbunden, dass man die Fugen nicht sah. Es schien, als ob das Gefüge des Turmes aus einem Stein hergestellt sei.“ (Hirte des Hermas I,3,2,6)

Eine etwas seltsame Stelle findet sich im 2. Clemensbrief (der wohl nicht wirklich von Clemens stammt):

„Wenn wir also, Brüder, den Willen Gottes, unseres Vaters, tun, werden wir angehören der ersten, der geistigen Kirche, die vor Sonne und Mond gestiftet ist; wenn wir aber den Willen des Herrn nicht tun, werden wir zu der gehören, von der die Schrift sagt: ‚Mein Haus ist geworden zu einer Räuberhöhle‘1. Deshalb wollen wir es vorziehen, der Kirche des Lebens anzugehören, auf dass wir gerettet werden. Ich glaube, es ist euch wohlbekannt, dass die lebende Kirche der Leib Christi ist2; denn die Schrift sagt: ‚Gott schuf den Menschen als Männliches und Weibliches‘3; das Männliche ist Christus, das Weibliche die Kirche. Auch die Bücher der Propheten und die Apostel (lehren), dass die Kirche nicht aus der jetzigen Zeit stamme, sondern aus früheren Zeiten; sie war nämlich geistig, wie auch unser Jesus; aber in den letzten Tagen ist er sichtbar erschienen, damit er uns erlöse. Die Kirche aber, die geistig ist, ist in dem Fleische Christi erschienen, um uns kund zu tun, dass, wer sie von uns behütet im Fleische und sie nicht entehrt, sie bekommen wird im Heiligen Geiste; denn dieses Fleisch ist das Abbild des Geistes; keiner also wird das Urbild bekommen, der das Abbild entehrt hat. Demnach also, Brüder, hat dies den Sinn: behütet das Fleisch, damit ihr teilbekommet am Geiste.“ (2. Clemensbrief 14,1-3)

An die, die daran denken, die Kirche (oder Papst Franziskus) zu verlassen

Ab und zu trifft man – online vor allem – auf Katholiken, die sich von Argumenten von Atheisten oder Säkularisten oder – manchmal – Anhängern anderer Religionen ziemlich nervös machen und durcheinanderbringen lassen, weil sie die Gegenargumente nicht kennen. Ein ähnliches Problem findet sich jetzt gerade bei manchen Katholiken, die an unserem derzeitigen Papst schier verzweifeln und gar nicht mehr wissen, was hier eigentlich los ist. Ein paar kurze generelle Worte an solche Katholiken über selbstverständliche Dinge, die man leicht vergisst (und unten noch ein bisschen zum Papst im speziellen).

1. Wenn etwas bereits bewiesen ist, und dann eine Schwierigkeit auftaucht, macht sie die Beweise nicht zunichte. Sagen wir, zahlreiche sicher belegte chemische Experimente beweisen eindeutig, dass Stoff X diese Eigenschaften hat. Dann reagiert Stoff X aber in einem weiteren Experiment ähnlich wie Stoffe, die diese Eigenschaften nicht haben. Was macht man? Man forscht weiter, man will herausfinden, wie sich das vereinbaren lässt. Vielleicht lief in dem letzten Experiment etwas falsch, vielleicht hat Stoff X aber auch weitere Eigenschaften, die diese untypische Reaktion erklären.

Was macht man nicht? Die ganzen Ergebnisse, die man bereits hatte, einfach verwerfen.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer Schwierigkeit und einem Gegenbeweis, einer Widerlegung. Das eine ist: „Okay, das scheint bewiesen zu sein, aber wie funktioniert es dann, dass das und das trotzdem so und so ist?“ Das andere ist: „Das hier beweist, dass das falsch ist.“

2. Es gibt auch einen Unterschied zwischen der Kritik, dass ein Beweis nicht ausreiche, und einer Widerlegung. „Das und das beweist noch nicht, dass Jesus auch wirklich Gottes Sohn ist“ ist eine andere Behauptung als „Das ist ein Beweis, dass Jesus nicht Gottes Sohn ist“, so wie „Die Studie reicht noch nicht aus, um zu sagen, ob dieses Medikament auch sicher bei der Mehrheit der Patienten wirkt, weil wir zu wenig Teilnehmer hatten“ eine andere Aussage ist als „Dieses Medikament wirkt nicht“.

Wenn man einmal zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es philosophisch und/oder historisch durch die biblische Offenbarung bewiesen ist, dass Gott existiert, dann können Schwierigkeiten wie „Wieso lässt Gott das Leid zu?“ an diesem Beweis nichts ändern. Das sind wichtige Fragen, aber wenn einem darauf nicht auf Anhieb Antworten einfallen, dann ändert das nichts daran, dass Gottes Existenz bereits bewiesen ist.

Die Sache ist die: Es gibt sehr viele hervorragende Antworten auf die Argumente von Säkularisten und Atheisten und auf die Schwierigkeiten, die einen als Christ selber plagen können. (Ich habe hier sehr viele Quellen dafür zusammengestellt.) Aber keiner kann die auf Anhieb alle wissen, und es ist würdelos und lächerlich, wenn man sich von jeder neuen Schwierigkeit aus der Bahn werfen lässt. Das Wichtige ist, ein gutes Fundament zu haben und darauf fest zu stehen. Dazu gehört vor allem, ein paar wichtige historische Argumente für die Glaubwürdigkeit Jesu und dafür, dass Er die katholische Kirche gegründet hat, zu kennen. (Wenn das so ist, ist auch klar, dass es Gott gibt, auch wenn es sehr gut ist, zusätzlich im Vorhinein die philosophischen Gottesbeweise zu kennen, die nicht davon abhängen, ob Gott selber sich in der Geschichte offenbart hat, und die schon die alten griechischen Philosophen kennen konnten.) Dieses Fundament bleibt. Weiters kann (und sollte) man sich mit all seinen Schwierigkeiten befassen, aber das Fundament muss man dafür nicht verlassen.

Dann sollte man nicht zu schüchtern und defensiv sein: Sämtliche alternativen weltanschaulichen Systeme zum Katholizismus laufen an vielen Stellen in enorme Probleme. Ruhig mal zum Angriff übergehen! „Okay: Du sagst, das würde Gott nicht beweisen; ich bin anderer Ansicht, aber lassen wir das kurz beiseite. Die Alternativen zum Theismus (es gibt etwas Höheres hinter der Welt) sind Pantheismus (die Welt selbst ist göttlich) und Atheismus (es gibt keinen Gott, die Welt ist aus dem Nichts aufgeploppt). Man muss sich in der Praxis nach irgendeiner Ansicht richten. Du richtest dich nach dem Atheismus: Dann sag doch mal deine Argumente dafür und widerleg diese und jene Gegenargumente und Schwierigkeiten.“

Dann sollte man daran denken, dass manche Leute – ohne es böse zu meinen – einfach Dinge nachplappern, die nicht stimmen. Dass jemand etwas als historischen Fakt behauptet, muss nicht bedeuten, dass das stimmt. Wenn Leute z. B. behaupten, in der antiken Kirche hätte es das Papsttum nicht gegeben, ist das nur eins: Falsch. Das haben sie aus vagen Klischees über die Kirchengeschichte, nicht aus den Quellen, die etwas ganz anderes sagen.

Ein letzter Punkt. Manchmal sieht man, dass Leute, die sich kurzfristig für den Katholizismus interessiert haben, oder auch, dass solche, die damit aufgewachsen sind, ihn innerhalb relativ kurzer Zeit aufgeben aus einem einfachen Grund: Man kommt in ein anderes Umfeld, wo man sich bewusst oder unterbewusst anpassen will, und/oder man hat schlicht und einfach keine Lust auf das 6. Gebot. Bischof Fulton Sheen soll mal einen Priester, der meinte, er würde am Glauben zweifeln, gefragt haben „Ist sie blond oder brünett?“. Manchmal ist der Wunsch der Vater des Gedankens und die Zweifel folgen dem Gefühl, dass es doch eigentlich irgendwie nett wäre, wenn man sich Tinder holen und ein Date mit Aussicht auf mehr haben könnte. Bei wem das nicht zutrifft, der braucht sich nicht angesprochen zu fühlen, aber manche Leute sollten sich fragen, ob sie dem Katholizismus auch mit all seinen Ansprüchen folgen würden, wenn sie Beweise sehen würden, die ihnen genügten, oder ob sie solche Beweise lieber nicht sehen wollen. (Und ob sie dieselben Maßstäbe dafür, dass etwas als bewiesen zählt, hier anlegen wie anderswo.)

Ich sage das auch an die Katholiken gerichtet, die immer meinen, wer die Kirche verlassen hat, müsse ja irgendwie traumatisiert worden sein oder man müsse ihm zumindest die intellektuellen Gründe für den Katholizismus nicht gut genug dargelegt haben. Manchmal stimmt das; manchmal nicht; und man kann auch nicht davon ausgehen, dass jeder über die Zeit seines Lebens, von der er sich abgewandt hat und mit der er nichts mehr zu tun haben will, immer hundertprozentig ehrlich redet. Apostasie, Abfall vom Glauben bei einem, der einmal ehrlich geglaubt hat, ist etwas Schreckliches, und sie beginnt meistens dann, wenn jemand irgendetwas in der Welt als seine eigentliche Autorität anerkennt und anhand dieser Autorität den Glauben beurteilt statt umgekehrt. Man kann nicht zwei Herren dienen.

Jetzt zum Papst. Wenn man einmal zum Ergebnis gekommen ist, dass das Papsttum als ununterbrochene Institution von Beginn der Kirche an historisch sehr gut belegt ist, dass es geholfen hat, in der Kirche immer dieselbe Lehre zu erhalten, sodass nie ein Dogma revidiert wurde, dass die Bibel seine Einsetzung und die Vernunft seine Notwendigkeit belegt: Dann bleiben diese Argumente und Beweise, auch wenn neue Schwierigkeiten auftauchen.

Wieder einmal, wie öfter seit 2013, sind Katholiken verwirrt nach Papst Franziskus‘ letztem verworrenen Kommentar, diesmal zu eingetragenen Lebenspartnerschaften für Homosexuelle.

Die eigentliche Sache mit Papst Franziskus ist, dass er viele wohl nach und nach mürbe macht und immer weiter demoralisiert. Man versucht, seinen Glauben normal zu leben, und verteidigt ihn, wenn nötig, gegen die Angriffe von säkularen Familienmitgliedern und Bekannten, und dann fällt der Papst einem in den Rücken, statt einen zu stärken. Säkularisten gefällt das, während sie weiterhin alles, wofür der Papst als Papst steht, ablehnen und gar nicht daran denken würden, zu Jesus zu beten. Wieder mal.

Seine jetzigen Kommentare sind eigentlich im Vergleich zu früheren weniger schlimm: Die Fußnote in Amoris Laetitia war näher an der Häresie. Es ist, wie die Kirche bisher immer wieder klargestellt hat, ein Irrtum, für „Lebenspartnerschaften“ zu sein, weil sie homosexuellen Beziehungen eine gesetzliche Anerkennung geben, die sie nicht verdienen, und weil sie in der Praxis ein Schritt auf dem Weg zur Homo“ehe“ sind. Aber eine Befürwortung einer rein juristischen Regelung einer Sache, die man weiterhin als unmoralisch sieht, ist noch keine Häresie, sondern ein Irrtum auf einer niedereren Stufe, und Papst Franziskus hat auch schon einige Kommentare abgegeben, die deutlich machen, dass er Sodomie als Sünde sieht (Bischöfe sollten nicht links sein „und wenn ich links sage, meine ich homosexuell“, sehr deutliche Statements gegen die Homoehe und dergleichen). Das Fatalste ist der praktische Effekt: Die Leute, die das über die Medien mitkriegen, meinen „aha, so langsam und allmählich gibt die katholische Kirche auf und gesteht zu, dass homosexueller Sex gut ist“.

Manche Katholiken schielen dann nach der Orthodoxie: Bewahren die den Glauben nicht auf traditionellere Weise? Einfache Antwort: Nein. Sie haben seit langem ziemlich genau die Probleme, die manche bei uns herankommen sehen.

1) Sie haben seit Ewigkeiten Wiederheirat nach Scheidung; und ich kann keine Kirche ernst nehmen, die das an mehreren Stellen in mehreren Evangelien und bei Paulus klar und deutlich kundgetane Verbot der Wiederheirat ignoriert, was so ziemlich jede Kirche getan hat, sobald sie sich von Rom getrennt hat; anscheinend verlieren sie die Gnade, diese extrem unpopuläre Lehre beizubehalten, als erstes.

2) Seit einiger Zeit hat sie eine unklare Position zu künstlicher Empfängnisverhütung, die am weitesten verbreitetste Meinung ist, dass künstliche Verhütungsmittel in Ordnung sind, wenn sie nicht frühabtreibend wirken, man gute Gründe hat und es mit seinem Priester besprochen hat. Bei diesem Thema genau wie bei der Scheidung findet man öfter die Ansicht, dass manche Menschen eben die Gebote nicht vollauf erfüllen können und man ihnen Zugeständnisse machen muss, was dann Oikonomia genannt wird – eine furchtbare Sache, denn hier unterstellt man Gott, er würde Unmögliches befehlen.

3) Auch bei weiblichen Diakonen „bewegt sich etwas“, wie Säkularisten sagen würden; es gibt inzwischen die ersten orthodoxen Diakoninnen, die zwar keine Weihe wie die männlichen Diakone haben, d. h. das Amt an sich ist nichts Schlimmes, sondern nur eine Art Pastoralreferentin mit nettem Titel, es wird aber ja auch manchmal als Durchgangsstufe zum richtigen Diakonat und zur Priesterweihe gesehen bzw. gefordert.

Eine schöne Liturgie ändert nichts an alldem. Was diesen zerstrittenen Nationalkirchen, die sich gegenseitig exkommunizieren, völlig fehlt, ist irgendeine Einheit. Auch die Klarheit in der Lehre – z. B. wann sind Taufen anderer Konfession gültig – findet man nicht; und in den letzten Jahrzehnten werden oft Lehren abgelehnt, die in der Orthodoxie früher normal und anerkannt waren, weil sie als zu „römisch“ gelten (z. B. wollen manche Orthodoxe auf Gedeih und Verderb einen Unterschied in der Erbsündenlehre von Ost und West finden).

Andere werden zu Sedisvakantisten: Auch keine gute Idee. Ich halte nichts von der leicht dahingesagten „Sedisvakantisten sind auch nur Protestanten“-Phrase; denn der Protestantismus ist eine bestimmte Kategorie von Häresie und leugnet, dass es überhaupt ein von Christus eingesetztes Papsttum gibt, während der Sedisvantismus meint, dass ein bestimmter Mann nicht der gültige Papst ist; aber trotzdem: Sedisvakantismus bedeutet erstens Schisma und zweitens massive theologische Probleme bis hin zur Häresie. Das ist auch wahr, wenn Sedisvakantisten gutgläubig in diesem Irrtum sind.

Nicht nur diejenigen, die meinen, wir hätten seit sechzig Jahren keine gültigen Päpste mehr, sondern auch diejenigen, die Benedikt noch für den gültigen Papst halten (und die den nicht ganz passenden Spitznamen „Benevacantisten“ erhalten haben), verfallen einer antikatholischen Denkweise:

Denn die Tatsache, dass ein bestimmter Mann der gültige Papst ist, muss akzeptiert werden, wenn nach einer friedlichen (d. h. nicht bestrittenen, umkämpften) Wahl die überwältigende Mehrheit der Kirche ihn anerkennt, diese Akzeptanz ist das Zeichen dafür, dass die Wahl gültig war. Sonst könnte jeder sich zum Papst aufstellen – à la „Pope Michael“ – und Katholiken könnten sagen „ich folge, wem ich will, ich leugne ja das Papsttum nicht, ich sage einfach, dass der und der Papst ist“.

Auch die konkrete Identität des Papstes gehört zu den Glaubenswahrheiten, die von Katholiken akzeptiert werden müssen, weil sie so eng mit den Dogmen zusammenhängen (wenn ein Papst ein Dogma verkündet, muss klar sein, dass er der Papst ist; dasselbe gilt für ein Konzil); auch sie sind sekundärer Gegenstand der Unfehlbarkeit der Kirche, direkt nach den Dogmen im ganz strengen Sinn. Bei einzelnen Fällen von umstrittenen Wahlen im Mittelalter, resultierend in einem Papst und einem oder zwei Antipäpsten, von denen alle, Papst und Antipapst, eine große Nachfolgerzahl hatten, war der Fall oft komplizierter und es war schwieriger für Katholiken, zu sehen, wer der gültige Papst war. Aber es gibt keinen Fall in der Kirchengeschichte, in denen der gültige Papst sich selbst nicht für den gültigen Papst hielt und so gut wie keine Anhänger hatte, und in denen die ganze Kirche einen falschen Papst akzeptierte; davor ist die Kirche geschützt. (Antworten auf Einwände unter dem obigen Link.)

Die „benevacantistische“ Position entbehrt auch jeder Logik; sie beruht z. B. darauf, dass Benedikt in seiner Abdankungsrede ein bestimmtes lateinisches Wort hätte verwenden müssen, damit es gültig ist. Das ist völlig lächerlich, denn ein päpstlicher Amtsverzicht ist an keine Form gebunden und Benedikt hatte offensichtlich die Absicht, zurückzutreten, hat diese Absicht zum Ausdruck gebracht, und sieht Franziskus als den jetzigen Papst.

Es ist außerdem Dogma, dass es bis zum Ende der Zeiten Päpste geben wird (s. 1. Vatikanisches Konzil von 1870, Dogmatische Konstitution „Pastor Aeternus“: „Was aber der Fürst der Hirten und große Hirt der Schafe, der Herr Christus Jesus, im seligen Apostel Petrus zum ewigen Heil und immerwährenden Wohl der Kirche eingesetzt hat, das muß auf sein Geheiß hin in der Kirche, die, gegründet auf dem Felsen, bis zum Ende der Zeiten sicher stehen wird, beständig fortdauern. […] Wer also sagt, es sei nicht aus der Einsetzung Christi, des Herrn, selbst bzw. göttlichem Recht, daß der selige Petrus im Primat über die gesamte Kirche fortdauernd Nachfolger hat: oder der Römische Bischof sei nicht der Nachfolger des seligen Petrus in ebendiesem Primat: der sei mit dem Anathema belegt.“). Und vor allem bei denen, die meinen, dass es seit 60 Jahren keinen gültigen Papst mehr gegeben hat, fragt man sich doch, wie die sich eigentlich vorstellen, dass dieses Versprechen des Herrn eingehalten werden wird. Eine kurze Sedisvakanz von ein paar Wochen oder Monaten oder einem Jahr nach dem Tod eines Papstes – selbst von mehreren Jahren – ist offensichtlich etwas anderes als eine von mehreren Jahrzehnten, bei der es auch keine Aussicht auf ein Ende gibt.

Auch das, was Sedisvakantisten darüber lehren, dass ein (öffentlich & formell) häretischer Papst automatisch sein Amt verlieren würde, ist eine theologische Meinung, keine Kirchenlehre, und eine ziemlich umstrittene theologische Meinung; hier ein guter Text von Weihbischof Athanasius Schneider zur Möglichkeit eines häretischen Papstes.

Sedisvakantisten verhalten sich oft inkonsequent; bei einem häretischen Bischof oder Priester gehen sie nicht davon aus, dass er gleich automatisch jede Jurisdiktionsgewalt in der Kirche verliert (oder jedenfalls habe ich sie das noch nie tun sehen). (Anmerkung: Die Jurisdiktionsgewalt, die Ausübung von Herrschaft in der Kirche, ist etwas anderes als die Vollmacht, z. B. eine gültige Eucharistie zu feiern. Ein von seinem Bischof wegen eines Vergehens abgesetzter Pfarrer hat z. B. nicht mehr die Jurisdiktionsvollmacht, um einem Angehörigen der Pfarrei Dispens von der Sonntagspflicht zu erteilen, aber er hat die Weihevolllmacht und könnte gültig die Eucharistie feiern, auch wenn ihm das vielleicht verboten worden ist.)

Sedisvakantisten verlieren auch Fälle von Häresie bei Päpsten früherer Zeiten aus dem Blick (wie Honorius, der von einem späteren Konzil verurteilt wurde), und dass die Hürden für den Beweis öffentlicher, formeller Häresie hoch sind. Es gibt Päpste, die zumindest materielle Häretiker waren (Honorius wohl, auch Liberius und Johannes XXII. sind Kandidaten); wieso sollte das bei diesem so undenkbar sein? Auch der Fall von Papst Vigilius ist interessant: „Was wir also haben ist ein Papst, den heterodoxe Parteiungen mochten und dessen Wahl sie anzettelten; der zum Papst gemacht wurde, während sein Vorgänger, der unter Druck gewesen war, zurückzutreten, noch lebte; dessen Legitimität als Papst daher von manchen in Frage gestellt wurde; und der dafür bekannt war, mal so und mal so zu reden, und für zweideutige theologische Positionen. Klingt das bekannt?“

Was uns versprochen ist, ist nur, dass kein Papst Häresie als Dogma verkünden wird, d. h. im Namen seiner höchsten päpstlichen Autorität Häresie als bindend für die Kirche erklären wird, nicht, dass einer nicht zumindest materielle Häresie in anderen Aussagen vertreten wird.

Kann ein Papst formeller Häretiker werden? Würde er dann sein Amt verlieren, oder dürfte er wenigstens von den Bischöfen abgesetzt werden, oder würde er es behalten und dürfte nicht abgesetzt werden? Das sind alles sehr umstrittene und auch komplizierte Fragen. Und wenn Sedisvakantisten behaupten, wer ihren Schlussfolgerungen darüber, was in so einem Fall passieren würde und wann genau formelle Häresie vorliegt, nicht folgt, wäre auf dem Weg in die Hölle – nun ja, dann verhalten sie sich einfach lächerlich und versuchen auf unredliche Weise, Katholiken Angst einzujagen.

Abgesehen davon, dass sie in einer Fantasiewelt leben, wenn sie denken, wir wären noch im Mittelalter, wo irgendwelche einflussreichen Bischöfe auch nur auf die Idee kommen könnten, zu versuchen, einen Papst für abgesetzt zu erklären, und irgendeine ihnen genehme Lösung der Papstfrage wäre in absehbarer Zeit in Aussicht.

[Anmerkung: Nur materielle Häresie besteht, wenn jemand etwas vertritt, von dem er denkt, es wäre keine Häresie, obwohl es Häresie ist (z. B. weil er die Kirchenlehre einfach nicht genau kennt, oder denkt, diese Lehre wäre veränderlich und nicht unfehlbar). Das ist v. a. bei Laien manchmal noch nicht tragisch – wobei Kleriker die Verantwortung haben, die Kirchenlehre wirklich zu kennen. Wenn derjenige dann lernt, wie die Lehre wirklich aussieht, und sie daraufhin akzeptiert, ist alles in Ordnung. Wenn er dann allerdings weiter an seiner Häresie festhält, obwohl er weiß, dass sie unfehlbar von der Kirche verworfen wurde, wird er ein formeller Häretiker. Ein bloß materieller Häretiker ist kein richtiger Häretiker.

Wenn z. B. Papst Franziskus einfach die Fähigkeit oder die Geduld zu klarem theologischen Denken abgeht und er denkt, es würde das Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe nicht anfechten, wenn man Ehebrecher zur Kommunion zulässt, dann hat er absolut Unrecht, aber ist kein formeller Häretiker.

Es macht außerdem einen Unterschied, ob jemand im Geheimen Häresie glaubt oder sie öffentlich vertritt. Ein geheimer Häretiker ist Mitglied der Kirche.]

Wir alle wissen seit Jahren, dass Papst Franziskus ein schlechter, ein extrem schlechter Papst ist, definitiv unter den Top Ten der schlechtesten Päpste der Kirchengeschichte, vielleicht auch ganz an der Spitze. Sich etwas anderes einreden zu wollen, wenn er gerade mal in den letzten Tagen nichts extrem Irreführendes gesagt hat, oder sich zu sagen, dass ihn die Medien einfach nur missverstehen wollen, hat etwas davon, wenn Frauen, die mit einem blauen Auge und ein paar gebrochenen Rippen im Krankenhaus sind, sich einreden, dass der Mann, der sie ihnen beigebracht hat, sie ja eigentlich trotzdem liebt. (Zu den Medien: Natürlich haben die meistens keine Ahnung. Aber es ist die Aufgabe des Papstes, hier für Klarheit zu sorgen; im Vatikan bekommt man mit, wie die Medien ihn interpretieren. Wenn er für Klarheit sorgen wollte, könnte er das sofort: Die Dubia sind übrigens immer noch unbeantwortet.)

Wenn einen das zu sehr angreift, ist es am besten, sich gewissermaßen von Franziskus fernzuhalten – ihn zu ignorieren, so weit es geht, und einfach seinen Glauben zu leben. Wir beten zu Gott, nicht zum Papst. Er hat ein bestimmtes Amt, dieses Amt verrät und vernachlässigt er und er tut nichts in diesem Amt, das beachtenswert wäre; also muss man ihn auch nicht beachten.

Und sonst, wenn man sich nicht zu sehr angreifen lässt, ruhig ab und zu mal kontra geben, z. B. bei Kommentaren von Säkularisten, die Papst Franziskus‘ Kommentare für ihre Zwecke verwenden wollen. Manchmal muss man auch einem Papst „ins Angesicht widerstehen“ (bzw. widerstehen ohne dass man sein Angesicht vor sich hätte), vgl. Gal 2,11. Wir müssen halt noch etwas länger den nötigen Widerstand leisten, bis wir erwarten können, dass es evtl. unter dem nächsten Papst besser wird.

Dass man – wie es wohl nicht anders zu erwarten ist, solange Gott bei ihm keine wundersame Bekehrung wirkt – immer neue Beweise dafür sieht, dass Franziskus ein außergewöhnlich schlechtes Exemplar eines Papstes ist, bedeutet nicht, dass deswegen die Argumente, dass er Papst ist, ungültig werden, oder die Argumente gegen den Katholizismus im Allgemeinen an Glaubwürdigkeit gewinnen. Hier muss man sich von einer rein gefühlsgesteuerten Sichtweise lösen und einfach nur die Fakten sehen. Es ist vorerst nichts anderes zu erwarten.

Der hl. Petrus mit den Schlüsseln, Ikone aus dem 6. Jh. aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai.

Säkularisten und die Nächstenliebe

Bei Säkularisten und der Nächstenliebe ist es ganz einfach:

Erst erzählen sie dir ausführlich, dass Christen keine Ahnung von der Nächstenliebe haben, die sie proklamieren, dass sie sie mit rigiden Regeln korrumpiert haben und sich eigentlich gar nicht um ihren Nächsten kümmern (z. B. weil sie es Leuten verbieten wollen, sich von einem scheiden zu lassen, mit dem sie sich auseinandergelebt haben und nicht mehr glücklich sind).

Wenn sie damit fertig sind, erzählen sie dir, dass man nicht immer an andere denken soll (z. B. in dem Sinne, dass man sich ja wohl von einem scheiden lassen darf, auch wenn der sich dann verraten und verlassen fühlt und die Kinder unglücklich sind*), weil der Zweck des Lebens ist, auf sein eigenes Glück zu schauen, weil man ja nur einmal lebt, und jeder sich selbst der Nächste ist.

Und ja, in ein und derselben Unterhaltung.

* Und bitte keine Kommentare zu „Was wenn er dich schlägt oder betrügt“. Jeder weiß, dass die katholische Kirche in solchen Fällen eine Trennung natürlich erlaubt (aber keine Wiederheirat, weil das Eheband bleibt). Den Leuten, die so argumentieren, geht es nicht um diese Extremfälle, sondern um Ablenkung und Ausreden, weil sie Scheidungen auch in Normalfällen wollen.