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Die Kirche hat immer klargestellt, dass Kirchenmitgliedschaft nicht automatisch gleichbedeutend ist mit ewigem Heil. Das heißt, auch ein Katholik kann ein schlechter Mensch sein und, ähm, letztlich gegebenenfalls in die Hölle kommen. Diese Lehre ist aber irgendwie ganz tröstlich. Denn sie bedeutet, dass die Kirche keine Kirche der Reinen sein will, sondern eine Kirche der Sünder, die immer und immer wieder der Umkehr bedürfen; kein Hochbegabtenprogramm, sondern ein Krankenhaus. Sünde schmeißt einen noch nicht aus der Kirche raus; wenn man sich im Krankenhaus eine neue Infektion einfängt, ist man ja auch immer noch drin und bekommt dort seine neuen Medikamente. Was sind die Sakramente wohl sonst?
Damit wandte sich die Kirche schon in der Antike gegen verschiedene Sekten, die meinten, eine Kirche der Reinen aufbauen zu müssen; gegen Hippolyt, Novatian, die Montanisten oder die Donatisten. In dieser Zeit stellte sich nämlich immer wieder die Frage: Was machen wir mit Christen, die in einer der immer wieder aufbrandenden Verfolgungswellen nachgegeben und dem Kaiser geopfert haben? Sie stellte sich besonders während der letzten Verfolgungen ab Mitte des 3. Jahrhunderts (die letzte und größte Verfolgung fand ca. 304/305 unter Kaiser Diokletian statt). Denn in dieser Zeit war die Kirche schon groß genug geworden, um als wirkliche Bedrohung wahrgenommen zu werden; also erließen die Kaiser reichsweite Opferbefehle. Jeder im Reich hatte sich vor den entsprechenden Staatsbeamten einzufinden und vor der Statue des als divus, Vergöttlichtem, verehrten Kaiser ein Opfer darzubringen, wer es nicht tat, konnte mit dem Tod bestraft werden. Man tat diesem Befehl Genüge, indem man ein paar Körnerchen Weihrauch in die Schale vor dem Kaiserbild warf; das war alles. Aber natürlich widersprach das dem Bekenntnis des christlichen Glaubens: Nur einer ist Gott, und einem falschen Gott huldigt man nicht. In dieser Zeit wurden einige der bekanntesten antiken Heiligen zu Märtyrern. Andere entkamen der Verfolgung – durch Flucht, oder vielleicht weil die Beamten das Edikt nicht mit dem größten Eifer durchsetzten, oder aus irgendwelchen anderen Gründen. Aber natürlich bestand die Kirche auch damals nicht nur aus Heiligen, und viele Christen opferten, um dem Tod zu entgehen. Wenn sie hinterher, sobald die Verfolgung abgeebbt war (nur wenige Jahre nach der letzten Verfolgung kam dann ja auch schließlich die endgültige staatliche Toleranz durch Konstantin), bereuten und wieder in die Kirche aufgenommen werden wollten, stellte sich natürlich die Frage, wie die in der Verfolgungszeit treu gebliebene Kirche damit umgehen sollte. Das gleiche Problem stellte sich übrigens nicht nur bei der Sünde der Glaubensverleugnung; Mord und Ehebruch wurden als ebenso schwere Sünden betrachtet, und es ist Unsinn zu meinen, dass sie bei den frühen Christen im Allgemeinen nie vorgekommen wären – vor allem wohl in Bezug auf Ehebruch. Die Kirche ging dann mit solchen besonders schweren Sünden folgendermaßen um: Der reuige Christ hatte eine Zeit der Buße vor sich, in der er nicht zur Kommunion treten durfte und gewisse Auflagen zu erfüllen hatte, z. B. bei der Messe nur ganz hinten stehen oder gar nicht oder nur in spezieller Bußkleidung teilnehmen durfte oder ein bestimmtes Fasten einhalten musste. (So genau kenne ich mich mit der antiken Bußpraxis nicht aus, aber ungefähr so lief es ab.) Diese Bußzeit konnte sogar mehrere Jahre dauern. Dann beichtete der Büßer seine Sünde, der Bischof sprach ihn los, und er wurde wieder zur Kommunion zugelassen. Nun ist das schon ein sehr strenges Vorgehen, verglichen mit unserer heutigen Disziplin, aber manchen der antiken Christen war auch das noch nicht streng genug.
Die Donatisten etwa spalteten sich im 4. Jahrhundert in Nordafrika genau wegen dieser Frage von der Kirche ab. Nach dem Ende der Verfolgungen wurde dort ein neuer Bischof geweiht und eine Gruppe um einen gewissen Donatus hielt seine Weihe für ungültig, weil einer der Konsekratoren während der Verfolgung abgefallen sei. Sie meinten, ein abgefallener Christ müsse neu getauft und, wenn es ein Kleriker sei, neu geweiht werden; er könne nicht einfach so wieder eingegliedert werden, er habe sein Christsein und, als Kleriker, seine Vollmacht, Sakramente zu spenden, verloren. Die Kirche dagegen hielt daran fest, dass Taufe und Weihe den Menschen unauslöschlich prägen; ein sündiger Christ oder Bischof war trotzdem noch Christ oder Bischof.
Während sie Apostaten zumindest nach einer Wiedertaufe wieder zulassen wollten, gab es, noch früher in der Geschichte der Kirche, auch Christen, die meinten, eine so schwere Sünde, die nach der Taufe begangen worden sei, könne überhaupt nicht mehr vergeben werden – oder sie könne zumindest nicht von der Kirche, sondern nur von Gott nach dem Tod vergeben werden, oder wenn von der Kirche, dann erst am Totenbett, das heißt, ein Büßer müsse bis zu seinem Tod im Stand der Buße verbleiben. (Es gab da verschiedene Gruppierungen.)
Eine davon, die Montanisten, denen sich Tertullian gegen Ende seines Lebens anschloss, waren eine dieser Bewegungen, die direkte Inspiration durch den Heiligen Geist für ihre Propheten beanspruchen und das nahe Weltende ankündigen; die Bewegung entstand so ungefähr um 170 n. Chr. Die Montanisten verlangten nicht nur allgemein eine sehr strenge Moral (z. B. keine Wiederheirat nach dem Tod des Ehepartners), sondern auch den endgültigen Ausschluss von Mördern, Ehebrechern und Apostaten aus der kirchlichen Gemeinschaft; diese Sünden seien zu schwer, als dass die Kirche sie vergeben könne. Auch die frühesten Gegenpäpste kamen aus dieser Richtung – St. Hippolyt von Rom (ca. 170-235) beispielsweise; er überwarf sich mit Papst St. Calixt I. wegen der Frage, ob Unzuchtsünden vergeben werden könnten, und wurde der erste Gegenbischof von Rom. (Er ist der einzige heilige Gegenpapst, denn er sah seinen Fehler nach Jahren schließlich ein und versöhnte sich wieder mit dem späteren rechtmäßigen Papst, St. Pontianus, nachdem beide gemeinsam von Kaiser Maximinus Thrax zur Zwangsarbeit in ein Bergwerk geschickt worden waren.) Nur wenige Jahre später, 251, gab es in Rom dann schon den nächsten Gegenbischof, der für eine Abspaltung von der Kirche sorgte, nämlich Novatian; auch er lehnte die Wiederaufnahme schwerer Sünder, besonders der Apostaten, ab. Seine Anhänger nannten sich die „Katharoi“, die „Reinen“. (Nicht mit den mittelalterlichen Katharern verwechseln!)
Sehr viele Häretiker, die sich im Lauf der Geschichte von der Kirche abspalteten, störten sich an ihrer Sündhaftigkeit. Auch die Reformation beispielsweise wollte zur „reinen Urkirche“ – oder dem, was sie darunter verstand – zurückkehren (für die Reformatoren war die Kirche auch nicht die sichtbare Gemeinschaft aller Getauften, sondern nur die unsichtbare Gemeinschaft der Geretteten). Und das hat nie funktioniert, und es ist Unsinn, und es ist falsch. Joseph Ratzinger hat es in „Einführung in das Christentum“ sehr gut ausgedrückt:
„‚Heilig’ wird die Kirche im Symbolum [=Glaubensbekenntnis] nicht deshalb genannt, weil ihre Glieder samt und sonders heilige, sündenlose Menschen wären – dieser Traum, der in allen Jahrhunderten von neuem auftaucht, hat in der wachen Welt unseres Textes keinen Platz, so bewegend er eine Sehnsucht des Menschen ausdrückt, die ihn nicht verlassen kann, bis nicht wirklich ein neuer Himmel und eine neue Erde ihm schenken, was ihm diese Zeit niemals geben wird. Schon hier werden wir sagen können, dass die härtesten Kritiker der Kirche in unserer Zeit verborgenerweise ebenfalls von jenem Traum leben und, da sie ihn enttäuscht finden, die Türe des Hauses krachend ins Schloss schlagen und es als lügnerisch denunzieren. Aber kehren wir zurück: Die Heiligkeit der Kirche besteht in jener Macht der Heiligung, die Gott in ihr trotz der menschlichen Sündhaftigkeit ausübt. Wir stoßen hier auf das eigentliche Kennzeichen des ‚Neuen Bundes’: In Christus hat sich Gott selbst an die Menschen gebunden, sich binden lassen durch sie. […]
Die Kirche lebt ja nicht anders als in uns, sie lebt vom Kampf der Unheiligen um die Heiligkeit, so wie freilich dieser Kampf von der Gabe Gottes lebt, ohne die er nicht sein könnte. […] Eine Bitterkeit, die nur destruiert, richtet sich selbst. Eine zugeschlagene Tür kann zwar zum Zeichen werden, das die aufrüttelt, die drinnen sind. Aber die Illusion, als ob man in der Isolierung mehr aufbauen könnte als im Miteinander, ist eben eine Illusion genau wie die Vorstellung einer Kirche der ‚Heiligen’ anstatt einer ‚heiligen Kirche’, die heilig ist, weil der Herr in ihr die Gabe der Heiligkeit schenkt ohne Verdienst.“
Das alles hängt natürlich auch damit zusammen, dass der Mensch nicht richten darf. Die irdische Kirche wurde immer als Acker mit „Unkraut und Weizen“ gesehen, weil eben erst Gott wirklich hinter die Fassade sehen wird, wie es im Gleichnis beschrieben ist:
„Und Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune. […] Dann verließ er die Menge und ging nach Hause. Und seine Jünger kamen zu ihm und sagten: Erkläre uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker. Er antwortete: Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Arbeiter bei dieser Ernte sind die Engel. Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!“ (Mt 13,24-30.36-43)
Irgendwann einmal wird der Patient im Krankenhaus entweder sterben (und in diesem Krankenhaus kann er nur sterben, wenn er sich weigert, seine Medikamente zu nehmen), oder er wird geheilt entlassen werden. Das Krankenhaus ist etwas Vorläufiges; und darin befinden sich solche, die sterben werden und solche, die geheilt werden werden, und der Chefarzt darf bestimmten Patienten nicht weniger Sorge zukommen lassen, weil er ihre Heilungschancen als zu gering einschätzt. Sünder gehören zur Kirche, und die Kirche muss sie zur Umkehr rufen, und was daraus wird, wird man erst am Ende sehen.
Ich bin ganz froh, dass ich von Kindheit an zumindest halbwegs katholisch sozialisiert bin. Das schützt vor falschen Kirchenbildern. Einerseits ist man so schon mal davor gefeit, in der Kirche finster vor sich hin mordende Opus-Dei-Mönche wie bei Dan Brown zu vermuten (selbst wenn man noch nicht weiß, dass es beim Opus Dei gar keine Mönche gibt, weil die nämlich kein Orden sind), oder auch in jeder Sakristei Kinderschänder zu wittern, andererseits wird man auch sehr effektiv daran gehindert, sich eine idealisierte Vorstellung von einer heiligen Gemeinschaft voller inniger Nächstenliebe, Frömmigkeit, Freundlichkeit und Klugheit zu machen. Stattdessen erwartet man langweilige Pfarrgemeinderäte, sehr schlecht singende Kinderchöre, rechthaberische Pfarrer, einfach nur unfähige Religionslehrer, arrogante ältere Damen, Bischöfe, die es allen recht machen wollen, Theologen, die mit Absicht so zu schreiben scheinen, dass es möglichst kryptisch bleibt, was sie einem eigentlich sagen wollen, und Oberministranten ohne logisches Denkvermögen oder Organisationstalent ebenso wie starke Anteilnahme und Hilfsbereitschaft in der Seelsorge, Ehrfurcht und Schönheit in der Liturgie, klare, geniale Gedanken in der Predigt oder der Theologie, nette Feiern und bewegende, gut geplante Fahrten nach Rom oder Jerusalem. Katholiken sind halt auch Menschen, und Menschen sind öfters mal schlecht und gelegentlich auch gut; sie sind Sünder. [Aber sie sind nicht nur Sünder, sondern alle auch einfach in nicht schuldhafter Weise unvollkommen: dumm, ungebildet oder hässlich, psychisch krank, physisch krank, unsportlich, schüchtern, ungeschickt, übergewichtig, alt, erfolglos, geistig behindert, körperlich behindert, unbeliebt, arbeitslos, arm… Wie viele Menschen wären nicht zumindest eins der Dinge aus dieser Liste? Die Heiligen, das ist sehr tröstlich, waren durchaus nicht alle strahlende, überirdische Lichtgestalten. Der hl. Alphons von Liguori war Skrupulant, die hl. Teresa von Kalkutta litt unter starken Depressionen, die hl. Anna Schäffer war gelähmt und bettlägerig, der hl. Pfarrer von Ars hatte große Lernschwierigkeiten, der hl. Thomas von Aquin war stark übergewichtig, der sel. Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn hatte keinen Erfolg mit seinen Friedensbemühungen im 1. Weltkrieg…]
Die Kirche ist keine Elitegesellschaft. Sie stellt ein paar Mindestanforderungen; solange man katholisch getauft ist, den katholischen Glauben hat und in Gemeinschaft mit dem Papst steht, ist man drin. Das kann durchaus heißen, dass man noch kein besonders guter Mensch ist und noch einen weiten Weg mit Gott vor sich hat. Aber deswegen gehört man trotzdem dazu. Natürlich; es gibt solche Dinge wie die Exkommunikation. Exkommuniziert wird man aber entweder, weil man den katholischen Glauben aufgegeben hat (Apostasie, Häresie), oder weil man sich von der Kirche abgespalten hat (Schisma), oder weil man bestimmte sehr schwerwiegende, im Kirchenrecht klar bestimmte Sünden begangen hat – Bruch des Beichtgeheimnisses, Hostienschändung, Abtreibung, Attentat auf den Papst, solche Sachen. (Auch das geduldigste Krankenhaus steckt einen in strenge Quarantäne, wenn man auf die Idee kommt, sich selber im Labor Pesterreger zu spritzen, und dann noch mit der Spritze herumzulaufen, um auch andere Patienten zu infizieren.) Aber selbst die Exkommunikation ist klar definiert als eine Beugestrafe, die den damit Belegten dazu führen soll, wieder in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückzukommen. Und eigentlich gehört man, kirchenrechtlich gesehen, immer irgendwie noch zu ihr, sobald man getauft ist, auch wenn man nicht mehr in der vollen Gemeinschaft mit ihr steht; da kann man so ketzerisch und sündhaft sein wie man will. (Auch die Quarantänestation ist noch ans Krankenhaus angeschlossen.) Die Verbindung mit der Kirche lässt sich für einen gültig Getauften nie ganz zerreißen.
Nebenbei: Das oben Gesagte über Kirchenmitgliedschaft und ewiges Heil gilt auch umgekehrt: Auch jemand, der offiziell nicht der katholischen Kirche angehört, kann seinem Gewissen folgen und zumindest schon auf dem richtigen Weg zu Gott sein, auch wenn er die wahre Religion noch nicht erkannt hat; wobei er dabei mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, um das Richtige zu erkennen und es dann auch zu tun.
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