Am Ende des Buches finden sich ein kurzer Text mit der Überschrift „Anmerkungen der Verfasserin: Gab es Päpstin Johanna?“ und ein paar Seiten mit FAQ von Lesern und Anregungen für Lesekreise. Dieser Anhang ist so herrlich blöd, dass ich ihn meinen Lesern nicht ganz vorenthalten wollte. In dem Nachwort bringt die Autorin es eigentlich schon so gut fertig, sich selbst zu widersprechen, dass man gar nicht mehr unbedingt eigens nach Informationen suchen muss, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass Johanna nicht existiert hat (dazu trotzdem unten noch etwas mehr). So schreibt sie zum Beispiel:
„Die katholische Kirche führt derzeit zwei grundsätzliche Argumente ins Feld, die angeblich gegen Johannas Papstamt sprechen: zum einen das Fehlen jeglicher Erwähnung Johannas in zeitgenössischen Dokumenten, zum anderen der angebliche Mangel an ausreichendem zeitlichem Spielraum, um Johannas Pontifikat zwischen dem Ende der Amtszeit ihres Vorgängers, Papst Leo IV., und dem Beginn der Amtszeit ihres Nachfolgers, Papst Benedikt III., ‚unterzubringen’.
Diese Argumente sind jedoch alles andere als schlüssig. Es kann kaum verwundern, daß Johannas Name in keinem zeitgenössischen Dokument erscheint, wenn man bedenkt, wieviel Zeit der Kirche zur Verfügung stand – und wieviel Energie sie darauf verwendet hat – jeden Hinweis auf Päpstin Johanna zu verwischen.“ (S. 556)
Okay, die böse Kirche hat also alles vertuscht, gut. Und woher wissen wir dann von Johanna? Na, von der bösen Kirche, woher sonst. Zwei Seiten später heißt es:
„Heute wird Johanna von der katholischen Kirche als ‚Erfindung’ protestantischer Reformer betrachtet, die darauf bedacht gewesen seien, die papistische Korruption zu enthüllen. Doch Johannas Geschichte wurde bereits Jahrhunderte vor Martin Luthers Geburt niedergeschrieben. Außerdem waren die meisten Chronisten Johannas Katholiken, die hohe Ämter in der kirchlichen Hierarchie innehatten. Johannas Geschichte wurde sogar in einigen ‚offiziellen’ Geschichtswerken über die Päpste aufgeführt. (…)
Ein weiteres stichhaltiges historisches Beweisstück wurde in den Akten des ausführlich dokumentierten Prozesses gefunden, der 1413 wegen Ketzerei gegen Johannes Hus geführt wurde. Hus wurde verurteilt, weil er die häretische Lehre gepredigt hatte, der Papst sei nicht unfehlbar. Zu seiner Verteidigung führte Hus eine Vielzahl von Beispielen an, da Päpste gesündigt oder Verbrechen gegen die Kirche begangen hatten. Jede dieser Klagen wurde von Hus’ Richtern – allesamt Kirchenmänner – in allen Einzelheiten beleuchtet, als unrichtig zurückgewiesen und als ketzerisch abgestempelt. Nur eine der Aussagen Hus’ wurde akzeptiert: ‚Päpste sind viele Male der Sünde und dem Irrtum anheimgefallen, so zum Beispiel, als Johanna zum Papst gewählt wurde, obwohl sie eine Frau war.’ Kein einziger der 28 Kardinäle, 4 Patriarchen, 30 Metropoliten, 206 Bischöfe und 440 Theologen hat Hus dieser Aussage wegen der Lüge oder Blasphemie beschuldigt.“ (S. 559)
Und was sagt uns das? Dass die Kirche nie einen Grund hatte, eine Päpstin Johanna vertuschen zu wollen.
Es ist ganz einfach: Wenn es jemals eine Päpstin gegeben hätte, hätten wir eben einen Gegenpapst mehr in der Liste der Gegenpäpste. Dann gäbe es eben neben den ca. 40 falschen Anwärtern auf den Papstthron, die es im Lauf der Geschichte gegeben hat, noch eine falsche Anwärterin. Ihre Weihe wäre ungültig gewesen, und der Stuhl Petri wäre während ihres Pontifikats vakant gewesen. Das ist etwas, das theoretisch durchaus vorkommen kann. Im Spätmittelalter glaubte man an die Legende, weil es keinen theologischen Grund gab, nicht an sie zu glauben; allerdings gibt es gute historische Gründe, es nicht zu tun, die wir heute besser kennen als die Leute im Spätmittelalter.
(Die Niederkunft der Päpstin in einem Holzschnitt von Jakob Kallenberg, Illustration zu einer Ausgabe von Boccaccios „De claris mulieribus“ (Über berühmte Frauen), 1353. Hinter der Säule steht der lachende Teufel.)
Dazu unten mehr; erst noch zu ein paar amüsanten oder interessanten Stellen im Nachwort. Um ihre Behauptungen zu untermauern, schreibt Donna W. Cross auch:
„Die Geschichte bietet viele weitere Beispiele einer derartigen vorsätzlichen Aktenfälschung. Die Bourbonisten datierten gar die Regierungszeit Ludwigs XVIII. schlicht und einfach vom Todestag seines Bruders an und ‚übersprangen’ dabei keinen Geringeren als Napoleon Bonaparte, der sich nun wahrhaftig nicht aus sämtlichen historischen Quellen entfernen ließ; dafür gibt es viel zu viele Chroniken, Tagebücher, Briefe und Dokumente anderer Art.“ (S. 560)
Das ist eine dieser Stellen, an denen ich keine Ahnung habe, ob die Autorin einfach lügt oder ob sie wirklich so doof ist, wie sie tut. Kein „Bourbonist“ wäre je auf die Idee gekommen, die Existenz von Napoleon Bonaparte leugnen zu wollen. Die Monarchisten dieser Zeit erkannten die Absetzung Ludwigs XVI. einfach nicht an; sie datierten also seine Regierungszeit nicht bis zu seiner Absetzung, sondern bis zu seinem Tod durch die Guillotine kurze Zeit später, und danach war ihrer Meinung nach sein kleiner Sohn, der ein Gefangener der Revolutionsregierung war und sehr jung starb, ohne je regiert zu haben, der rechtmäßige König Frankreichs, Ludwig XVII. Danach kam dann dessen Onkel, Ludwig XVIII., der Bruder Ludwigs XVI., auch wenn der erst zwanzig Jahre später tatsächlich an die Macht kam. Hier ging es um Legitimitätsansprüche, nicht um Geschichtsfälschung.
Außerdem heißt es:
„Insofern sind die schriftlichen Hinterlassenschaften von Johannas Zeitgenossen mit Vorsicht zu genießen. Dies gilt insbesondere für die römischen Prälaten, die ein starkes persönliches Interesse daran hatten, die Wahrheit zu unterdrücken. Bei den seltenen Gelegenheiten, da ein Pontifikat für ungültig erklärt wurde – wie es bei Johanna der Fall gewesen wäre, hätte man ihre weibliche Identität entdeckt –, wurden sämtliche bereits getroffenen Anordnungen, Erlasse und Entscheidungen des betreffenden Papstes automatisch null und nichtig. Sämtlichen Kardinälen, Bischöfen, Diakonen und Priestern, die von diesem Papst die Weihe empfangen hatten, wurden ihre Titel und Ämter aberkannt. Insofern kann es nicht verwundern, daß in den Dokumenten und Akten, die von diesen Männern geführt bzw. kopiert wurden, sich nirgends eine Erwähnung Johannas findet.“
Mrs. Cross versteht wirklich nicht, wie irgendetwas funktioniert. Als ob ein Kardinal direkt im Jahr 855 (oder so), wenn bekannt geworden war, dass der Papst, der ihn ernannt hatte, eine Frau gewesen war, seine Absetzung hätte verhindern können, indem er diese Frau nicht in einer späteren Chronik erwähnte.
Die Autorin schreibt auch etwas dazu, worauf ihre Arnalda-Geschichte beruht:
„Doch ein uraltes Exemplar des Liber Pontificalis, in dem auch Johannas Pontifikat verzeichnet ist, existiert noch heute. Der Eintrag über Johanna stammt offensichtlich aus späterer Zeit und wurde unbeholfen in den Hauptteil des Textes eingefügt. Aber dies bedeutet keineswegs, dass der Bericht falsch ist; ein späterer Geschichtsschreiber, der von der Richtigkeit der Aussagen politisch weniger suspekter Chronisten überzeugt gewesen sein mag, fühlte sich möglicherweise moralisch verpflichtet, die ‚offizielle’ Akte zu korrigieren. Der protestantische Historiker Blondel, der den Text im Jahre 1647 untersuchte, gelangte zu dem Schluß, daß die Einfügung über Johanna im 14. Jahrhundert vorgenommen wurde; dabei stützte er seine Meinung jedoch ausschließlich auf die Unterschiede in Stil und Handschrift – bestenfalls subjektive Einschätzungen.“ (S. 557)
Die Paläographen werden erfreut sein über diese Einschätzung ihrer Wissenschaft als „bestenfalls subjektiv“. Ehrlich: Wer Paläographie für „bestenfalls subjektiv“ hält, soll erst mal einen Brief seines Urgroßvaters mit seinem letzten Einkaufszettel vergleichen.
Zum neunten Jahrhundert im Allgemeinen schreibt die Autorin:
„Das Leben in diesen unruhigen Zeiten war für die Frauen besonders schwer. Es war ein misogynistisches Zeitalter, das unter anderem von den frauenfeindlichen Schmähschriften solcher Kirchenväter wie Sankt Paul oder Tertullian geprägt wurde:
Und weißt du nicht, daß du die Eva bist? … Du bist das Tor des Teufels, die Schlange im Baum, die erste Abtrünnige vom göttlichen Gesetz; du bist die, welche jenen verführte, dem der Teufel sich nicht zu nähern wagte … des Todes wegen, den du verdient hast, mußte selbst der Sohn Gottes sterben.“ (S. 565)
Nix gegen den Apostel Paulus hier! Und Tertullian, den sie da zitiert, ist eh ein Ketzer.
„Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden Frauen als minderes und unterlegenes Geschlecht betrachtet – und entsprechend behandelt – ; ein Geschlecht, dem gesetzliche Rechte ebensowenig wie ein Recht auf Eigentum zustanden. Von Rechts wegen durften Männer ihre Frauen schlagen. Vergewaltigungen wurden als eine harmlosere Form des Diebstahls betrachtet. Frauen wurden von einer schulischen Ausbildung ferngehalten; denn eine gelehrte Frau wurde nicht nur als widernatürlich, sondern auch als gefährlich betrachtet.“ (S. 565f.)
Zur Bildung hab ich mich hier schon mehrfach geäußert, und es ist einfach Blödsinn, dass Frauen keine gesetzlichen Rechte gehabt hätten und kein Eigentum hätten besitzen können.
In den FAQ steht auch noch einiger Quatsch. Da kommt etwa Folgendes:
„F: Sind Sie katholisch?
Nein. Seltsamerweise hat sich das wider Erwarten als Vorteil herausgestellt. Wäre ich katholisch, wäre ich in der Tradition, mit den Ritualen und der Theologie der heutigen Kirche aufgewachsen, dann wäre ich mit sehr vielen sehr falschen Vorstellungen an den christlichen Glauben des neunten Jahrhunderts herangegangen. Ich habe in meinem Roman zu zeigen versucht, in wie vielen Aspekten sich die religiöse Praxis von vor tausend Jahren von unserer heutigen unterscheidet. Wenn wir eines aus historischen Studien lernen können, dann das: Die Ketzerei von gestern ist oft die Wahrheit von heute – und umgekehrt.“ (S. 568)
Also, ich bin katholisch, und mir würde es nicht einfallen, Hochzeitsmessen und Bischofskonferenzen ins 9. Jahrhundert zu verlegen. Und tatsächlich weiß ich nicht, was genau Donna W. Cross mit der Ketzerei meint. Weder bei der Abendmahlslehre noch bei der Prädestinationslehre noch bei der Dreifaltigkeitslehre vertritt die Kirche heute etwas anderes als im 9. Jahrhundert; und was kommt sonst an theologischen Fragen in diesem Buch vor? Oder kann sie einfach unveränderliche Lehre und veränderliche Bräuche nicht unterscheiden? Bräuche wie z. B. die Anzahl der Festtage oder die Sprache der Liturgie haben mit Ketzerei (bei der es um die Lehre geht) nichts zu tun. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie wäre katholisch.
„F: Wie hat der Vatikan auf das Buch reagiert?
Überhaupt nicht. Und das hatte ich auch nicht anders erwartet. Heutzutage treibt ja jede öffentliche Kontroverse die Verkaufszahlen in die Höhe. Hätte der Vatikan sich gegen meinen Roman ausgesprochen, dann wäre das Buch wahrscheinlich gleich am nächsten Tag auf der Bestsellerliste der New York Times aufgetaucht.
Wenn man eine Geschichte für alle Zeiten begraben will, schweigt man sie am besten tot – wie das ja auch Johannas tausend Jahre alte Geschichte beweist.“ (Ebd.)
Und nicht mal das Opus Dei hat einen Albino-Auftragsmörder zu ihr geschickt? Unsere Kirche wird aber nachlässig. – Irgendwie enttäuscht wirkt sie allerdings schon, dass der Vatikan keine kostenlose Werbung für ihr Buch gemacht hat.
„F: Warum sind so viele brutale Szenen in dem Roman – zum Beispiel die Vergewaltigung Gislas während des Normannenüberfalls auf Dorstadt?
Die Frage unterstellt, daß ich im Interesse sensationslüsternen Erzählens die Brutalität im Leben des neunten Jahrhunderts übertrieben hätte. Die Wahrheit ist, daß ich diese im Gegenteil im Interesse meiner Leser eher gemildert habe; das Leben im neunten Jahrhundert war wesentlich brutaler und ungerechter als irgendetwas, das ich in meinem Roman geschildert habe.“ (S. 569)
Ach, jetzt komm. „Wesentlich brutaler als irgendetwas im Roman“? Echt jetzt?
Am Ende des Anhangs stehen noch Fragen als Anregungen für Lesekreise, „auf die nicht einmal ich eine Antwort habe, die aber stets lebhafte und produktive Diskussionen nach sich ziehen“ – hier ein paar ausgewählte Beispiele:
„4. Johanna hat aus Liebe zu Gerold viel aufgegeben. Kennen Sie Frauen, die aus Liebe zu einem Mann Gelegenheiten aufgegeben haben, ihren Verstand, ihr Herz und ihren Geist vollständig zu nutzen? Aus Liebe zu einem Kind? Sind Opfer dieser Art gerechtfertigt?“
Tatsächlich hat Johanna aus Liebe zu Gerold nichts aufgegeben. Ich will hier nicht sagen, dass sie das hätte tun sollen – sie hätte zunächst mal ihr Ordensgelübde halten sollen – aber Tatsache ist, sie hat nichts aufgegeben. Sie wollte erst mit ihm fortgehen, als sie schwanger war und ihr nichts anderes mehr übrig blieb. Und was soll es heißen, aus Liebe eine Gelegenheit aufzugeben, sein Herz zu nutzen? Sein Herz nutzen – was kann das anderes heißen, als lieben? Auch die letzte Frage macht keinen Sinn. Es macht Sinn, zu fragen, ob das Opfern eigener Interessen aus Liebe in dieser oder jener Situation unbedingt notwendig bzw. moralisch gefordert ist, aber es macht keinen Sinn, anzudeuten, das Opfern eigener Interessen aus Liebe könnte ungerechtfertigt (also direkt moralisch falsch) sein.
„8. Warum hat man wohl in der mittelalterlichen Gesellschaft so fest daran geglaubt, daß sich Bildung negativ auf die Gebärfähigkeit einer Frau auswirken könnte? Welchen Zweck hat man wohl mit einer solchen Behauptung verfolgt?“
Ja, Mrs. Cross, welchen?
Und hier die beste:
„9. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede sehen Sie zwischen Päpstin Johanna und Johanna von Orleans? Warum wurde die eine Johanna aus den Geschichtsbüchern getilgt und die andere zu einer Heiligen gemacht?“
Äh – die eine gab es wirklich, die andere nicht? (Abgesehen davon, dass Jeanne d’Arc niemanden über ihr Geschlecht täuschte, sondern einfach nur zum Kampf passende Kleidung trug, oh, ja, und dass sie nach Gottes Willen handelte.)
(Die heilige Jeanne d’Arc in einer Miniatur aus dem 15. Jahrhundert.)
Jetzt also: Was steckt hinter dieser Legende? Wie kam sie auf?
Die ersten Erwähnungen einer Päpstin Johanna finden sich im 13. Jahrhundert, wobei sich die Geschichten teilweise erheblich widersprechen: Der Dominikanermönch Jean de Mailly berichtet von einer Frau, die um 1100 als Mann verkleidet erst Notar an der Kurie, dann Kardinal, dann Papst wurde; sie soll entlarvt worden sein, als sie bei einem Ausritt einen Sohn zur Welt brachte. Das Volk von Rom habe sie dann am Schwanz ihres Pferdes rund um die Stadt schleifen lassen und dann gesteinigt. Donna W. Cross orientiert sich dagegen offensichtlich an der Version aus der Chronik des päpstlichen Kaplans Martin von Troppau, der von einem Joannes Anglicus (Johannes der Engländer) aus Mainz berichtet, der nach Leo IV. auf den Papstthron gekommen und in Wahrheit eine Frau gewesen sei. Diese sei mit ihrem Geliebten als junge Frau nach Athen gegangen und hätte sich dort große Gelehrsamkeit erworben und sei dann nach Rom gekommen, sei aber, nachdem sie zum Papst gewählt worden war, schwanger geworden, und habe ihr Kind geboren, als sie auf dem Weg von Sankt Peter zum Lateran gewesen sei; bei der Geburt sei sie gestorben. Ein Manuskript von Martin von Troppaus Chronik enthält allerdings eine leicht veränderte Version: Die Päpstin habe überlebt, sei aus ihrem Amt entfernt worden, und habe Buße getan; ihr Sohn sei später Bischof von Ostia geworden.
Mit dem Beginn der modernen Geschichtswissenschaft wurde die Geschichte als Legende erkannt – hauptsächlich natürlich wegen des völligen Fehlens zeitgenössischer Quellen. Dazu kommt die Widersprüchlichkeit der Quellen (z. B., was die Zeit angeht, zu der die Päpstin gelebt haben soll) und die Tatsache, dass z. B. auch der byzantinische Patriarch Photios I. (ca. 820-891), ein Gegner des Papsttums, in seinen Schriften Benedikt III. als den direkten Nachfolger Leos IV. darstellt und keine Päpstin erwähnt. Und es gab eben keinen Anlass, die ganze Geschichte zu unterdrücken. Die Erzählung von der Päpstin war im Spätmittelalter eine beliebte Skandalgeschichte unter den Römern, ebenso wie die Erzählungen von anderen Ausschweifungen und Intrigen am päpstlichen Hof, von denen es ja tatsächlich genug gab, vor allem im 9. und 10. Jahrhundert und dann wieder in der Renaissance. Es gab keine theologischen Probleme damit – da war eben eine intrigante falsche „Päpstin“, die durch ihre eigene Unkeuschheit entlarvt worden war.
Die Legende wurde durch ein paar „Indizien“ gestützt, die vielleicht dazu beigetragen haben, dass sie überhaupt erst entstanden ist. Jean de Mailly berichtet zum Beispiel, dass ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Petre, pater patrum, papisse prodito partum“ (Petrus, Vater der Väter, offenbare die Kindsgeburt der Päpstin) an der Stelle errichtet worden sei, an der die Päpstin ihr Kind geboren habe. Der berühmte Historiker Ignaz von Döllinger, der 1863 ein Buch über „Papstfabeln“ veröffentlichte, sah eine Erklärung dafür in einer antiken Frauenstatue, die in der Nähe des Kolusseums entdeckt wurde, und auf der die Abkürzung PPP steht – eine Abkürzung für die Widmungsformel „proprie pecunia posuit“ („stellte die notwendigen Mittel zur Verfügung“) – und der Name des Spenders, der offenbar mit „Pap.“ begann (Papirius?) und zu dem auch der Titel „Pater Patrum“ gehörte, ein Priestertitel im Mithraskult. Tatsächlich wurden an der Stelle, an der laut Martin von Troppau die Päpstin gestorben sein soll, Überreste eines Mithrasheiligtums entdeckt. Zu einer solchen Inschrift dachte man sich vielleicht im Mittelalter eine neue Deutung aus. Dazu kam, dass die Straße, an der Johannas Niederkunft stattgefunden haben sollte, nach einer reichen Familie, den Papes, vicus Papessa genannt wurde. Manche Historiker denken auch, dass die Legende auf mächtige Frauen im Umfeld des päpstlichen Hofes zurückgehen könnte – etwa eine Marozia, die Anfang des 10. Jahrhunderts zwei Söhne auf den Papstthron brachte, von denen übrigens einer von Papst Sergius III. (nicht der Sergius aus dem Buch) stammte. Jo, an realen Skandalen ist zu der Zeit kein Mangel.
Wie auch immer die Legende entstanden ist: Es gibt schlichtweg keine Hinweise darauf, dass sie auf etwas anderem als der Fantasie der Römer des 13. Jahrhunderts beruhen könnte.
Mein Fazit zu dem Roman:
Er ist erstens schlecht geschrieben und zweitens furchtbar überdreht. Die Charaktere sind oft reine Klischeebilder: Johannas Vater ist schlichtweg böse, fanatisch und hasst Frauen, Odo oder Rabanus Maurus ebenso. Johanna ist schlichtweg gut, Gerold auch. Johanna zeigt keine einzige Eigenschaft, die aus der Sicht der Autorin negativ zu bewerten wäre. Aus meiner Sicht sieht es etwas anders aus; Johanna bricht ihr Ordensgelübde und unternimmt einen (wenn auch immerhin hinterher bereuten) Versuch, ihr Kind zu töten. Auch Gerold ist eigentlich nicht wirklich perfekt; er macht sich an eine Zwölfjährige heran und betrügt seine Frau. Die Autorin stört das allerdings nicht; Gerold ist für sie eine Idealversion eines Mannes: Er ist der Liebhaber, der jahrelang an einer alten Liebe festhält, und der Ritter, der in der Not stets zu Hilfe eilt, aber gleichzeitig respektiert er Johannas Unabhängigkeit, achtet ihre Klugheit und steht ihren Zielen nie im Weg.
Zu der allgemeinen Schwarz-Weiß-Malerei kommt die häufige Gleichsetzung von „gut“ mit „klug“: Die Eigenschaft, die Johanna von der Autorin am positivsten ausgelegt wird, ist ihre Wissbegier und Bildungsbeflissenheit. Man sieht es auch bei einem Vergleich von Johannas zwei Brüdern: Matthias ist freundlich und klug, Johannes selbstsüchtig, gemein und dumm. Im Kloster Fulda ist Bruder Thomas gleichzeitig ein überfrommer Heuchler und dumm, und deshalb neidisch auf Johannas Klugheit. Gut – wir haben auch mal eine Figur, die klug und böse zugleich ist: Anastasius. Aber das war’s auch schon. Johannas fanatische, fromme, frauenfeindliche Gegner sind ansonsten alle von ihren Argumenten und vom logischen Denken an sich überfordert und wollen sich nur an alten Formeln festklammern.
Erzähltechnisch ist das Buch schlecht gemacht. Es gibt zum Beispiel keinen klaren Antagonisten; die Bösen wechseln ständig, und zudem sind sie nicht besonders interessant. Das gilt auch für Anastasius. Er und Johanna kommen einander immer nur aus der Ferne in die Quere, weil sich ihre Ziele widersprechen; da ist kein Konflikt auf einer persönlichen Ebene da, der das Ganze interessanter machen würde.
Der penetrante Feminismus nervt unsäglich. Ehrlich, wenn man sich mal richtig antifeministisch fühlen will, muss man nur lange genug in diesem scheußlichen Buch lesen. Da kommt man direkt in die Stimmung, Spitzendeckchen mit „FÜR GOTT UND STAAT UND PATRIARCHAT“ zu besticken. Und das mit Blümchen zu verzieren. Sorry. Es nervt einfach.
Dazu kommt das Klischeebild vom finsteren Mittelalter. Die wirklichen Möglichkeiten, die Frauen damals hatten, kommen einfach nicht vor – Stichwort Nonnenklöster. Nonnen scheinen fast inexistent. Dadurch, dass man eine Lüge wiederholt, wird sie nicht wahrer; und es ist eine Lüge, dass man es damals als widernatürlich betrachtet hätte, wenn Frauen lesen und schreiben lernten und in der Bibel lasen, statt möglichst viele Kinder zu bekommen. Das sah man im Gegenteil als lobenswert an. Liebe Leute: Es gab Nonnenklöster und Klosterschulen. Es gab Nonnenklöster und Klosterschulen. Es gab Nonnenklöster und Klosterschulen.
In manchen Bewertungen auf Amazon wird kritisiert, Johanna sei eine Frau des 20./21. Jahrhunderts, die man ins Mittelalter zurückversetzt habe, keine authentische mittelalterliche Frau; ich sehe das anders: Sie ist auch keine authentische Frau des 20./21. Jahrhunderts. Sie ist eine Art Idealbild mancher Feministinnen des 20./21. Jahrhunderts: Wissbegierig und hochbegabt, uninteressiert an Kleidung, Kochen, Handarbeiten, Ehe, Kindern und anderem Frauenkram, aber trotzdem leidenschaftlich und sexuell selbstbestimmt, und noch dazu hochmoralisch und empathisch, ganz anders als diese fiesen Männer, gegen die sie sich mutig und unbeirrt durchsetzt. Solche Bücher lassen Frauen sich sagen, was wir doch alle inzwischen für tolle Wesen sind, nachdem wir das finstere Mittelalter überwunden haben – zum wirklichen Selberdenken regen sie freilich nicht an, genauso wenig, wie Johannas Liebe zur klassischen Bildung irgendeine Leserin dazu anregen wird, Homer oder Hippokrates aufzuschlagen.
Ach ja, diese Vergötzung der angeblich so tollen Antike. Was für ein Scheiß. Nicht, dass es da nicht sehr Lesenswertes gäbe. Aber es gäbe auch so einiges, was Donna W. Cross gar nicht gefallen würde – und so einiges, was niemandem gefallen sollte.
Ich bilde mir nicht ein, in der Hinsicht selber sehr gebildet zu sein; das bin ich nicht; ich kenne keine einzige Zeile Homer, zum Beispiel. Aber ich habe das Kleine Graecum und habe zumindest ein wenig Platon und ein wenig Xenophon gelesen, und auch Auszüge aus anderen antiken Werken. In der Antike gab es Bücher zur professionellen Traumdeutung, es gab die widersprüchlichsten, seltsamsten Philosophien und Sekten, es gab große Brutalität und völliges Unverständnis dafür, was denn an Päderastie oder Sklaverei schlimm sein sollte; und ja, es gab Frauenfeindlichkeit, große Frauenfeindlichkeit. Aristoteles war schon frauenfeindlich.
Und, Hand aufs Herz, wer bewahrt denn das Wissen um die altgriechische Sprache und Literatur heute am ehesten? In den Griechischkursen, die ich an der Uni besucht habe, war unter dreißig oder vierzig Studenten genau einer, der nicht Theologie studiert hat. Wenn man heute in Deutschland jemanden trifft, der Altgriechisch lesen kann, ist es sehr wahrscheinlich, dass derjenige Religionslehrer oder anderweitig für die Kirche tätig ist und es gebraucht hat, um das Neue Testament im Original lesen zu können. Die säkulare Elite von heute schaut auf praktisches, möglichst modernes Wissen; die religiöse Elite von gestern hat auch altes, philosophisches Wissen ohne direkten praktischen Nutzen noch in Ehren gehalten. An welcher Schule wird heute noch Griechisch unterrichtet? Selbst Latein ist am Aussterben.
Die historischen Patzer in diesem Buch sind teilweise wirklich schlimm. Natürlich ist die Geschichte an sich unhistorisch; aber es geht mir auch um die Details. Hochzeitsmessen. „Bischofskonferenzen“. Gehörnte Wikingerhelme. Hexenprozesse. Es nervt. Aber am schlimmsten sind natürlich nicht die aus Fahrlässigkeit entstandenen Fehler, sondern die absichtliche Propaganda – etwa die offenen Lügen der Autorin über den Inhalt der Bibel.
Da ist ein letzter Kritikpunkt, bei dem ich nicht recht weiß, wie ich ihn formulieren soll. Ich versuche es mal so: In diesem Buch fehlt etwas, konkret, da fehlt eine zentrale Figur, die eigentlich vorkommen müsste – Jesus, der Herr. Oh, Sein Name wird ab und zu erwähnt, so abstrakt, am Rande, es ist klar, dass es da jemanden gibt, der so heißt. Aber Johanna beschäftigt sich nie mit Ihm als Person, wie Er ihr in den Evangelien begegnet, mit denen sie ja bei ihren Studien und Gottesdiensten ständig konfrontiert ist. Sie stellt sich im Lauf des Buches verschiedene theologische Fragen – ohne intensiv nach Antworten zu suchen, aber immerhin – , aber sie fragt nie nach Ihm, wer Er war, wer Er ist, was Er von ihren Handlungen hält… Man sieht hier eben doch die Auswirkungen, die es hat, wenn eine anscheinend einem vagen esoterisch-modernistischen Glauben anhängende Autorin ein Buch schreibt, das in einer komplett katholischen Welt spielt. Im katholischen Glauben geht es um einen persönlichen Gott, der uns begegnet, der bestimmte Dinge gesagt und getan hat, nicht nur um die vage Verehrung von irgendwas da oben. Es hätte sich ja gerade besonders angeboten, manchen Szenen in den Evangelien näher anzusehen, wenn es um das Thema Frauen & Kirche geht, z. B. die Maria-und-Marta-Geschichte oder das Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen.
Ach ja, das Fehlen einer zweiten Person ist auch auffällig – Maria. Nirgends Marienverehrung. Leute, das geht so nicht. Man kann keinen Roman über das Mittelalter schreiben, der noch dazu zum großen Teil unter Klerikern spielt, ohne Marienverehrung. Selbst, wenn wir erst im 9. Jahrhundert sind. Das geht einfach nicht.
Fazit: Eins der schlimmsten Bücher, die ich bisher gelesen habe, und definitiv das Schlimmste, das ich bisher hier rezensiert habe.