Moraltheologie und Kasuistik, Teil 10b: Das 4. Gebot – Bürger und Staat

Die praktische moraltheologische Bildung der Katholiken muss dringend aufgebessert werden – ich hoffe, da werden meine Leser mir zustimmen. Und ich meine hier schon auch ernsthafte Katholiken. In gewissen frommen Kreisen wird man heutzutage ja, wenn man Fragen hat wie „Muss ich heute Abend noch mal zur Sonntagsmesse gehen, wenn ich aus Nachlässigkeit heute Morgen deutlich zu spät zur Messe gekommen bin?“ oder „Darf ich als Putzfrau oder Verwaltungskraft in einem Krankenhaus arbeiten, das Abtreibungen durchführt?“ oder „Wie genau muss ich eigentlich bei der Beichte sein?“ mit einem „sei kein gesetzlicher Erbsenzähler!“ abgebügelt. Und das ist nicht hilfreich. Gar nicht. Weil das ernsthafte Gewissensfragen sind, mit denen manche Leute sich wirklich herumquälen können. Und andere Leute fallen ohne klare Antworten in einen falschen Laxismus, weil sie keine Lust haben, sich ewig mit diesen Unklarheiten herumzuquälen und meinen, Gott werde es eh nicht so genau nehmen, und wieder andere in einen falschen Tutiorismus, wobei sie meinen, die strengste Möglichkeit wäre immer die einzig erlaubte.

 Auf diese Fragen kann man sehr wohl die allgemeinen moraltheologischen Prinzipien – die alle auf das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zurückgehen – anwenden und damit zu einer konkreten Antwort kommen. Man muss es sich nicht schwerer machen, als es ist. Und nochmal für alle Idealisten: „Das und das ist nicht verpflichtend“ heißt nicht, dass man das und das nicht tun darf oder es nicht mehr empfehlenswert oder löblich sein kann, es zu tun. Es heißt nur, dass die Kirche (z. B. in Gestalt des Beichtvaters) nicht von allen Katholiken verlangen kann, es zu tun.

 Zu alldem verweise ich einfach mal noch auf einen meiner älteren Artikel. Weiter werde ich mich gegen den Vorwurf der Gesetzlichkeit hier nicht verteidigen.

 Jedenfalls, ich musste öfters lange herumsuchen, bis ich zu meinen Einzelfragen Antworten gefunden habe, und deshalb dachte mir, es wäre schön, wenn heute mal wieder etwas mehr praktische Moraltheologie und Kasuistik betrieben/kommuniziert werden würde; aber manches, was man gerne hätte, muss man eben selber machen, also will ich in dieser Reihe solche Einzelfragen angehen, so gut ich kann, was hoffentlich für andere hilfreich ist. Wenn ich bei meinen Schlussfolgerungen Dinge übersehe, möge man mich bitte in den Kommentaren darauf hinweisen. Nachfragen sind auch herzlich willkommen. Bei den Bewertungen, was verpflichtend oder nicht verpflichtend, schwere oder lässliche oder überhaupt keine Sünde ist („schwerwiegende Verpflichtung“ heißt: eine Sünde, die wirklich dagegen verstößt, ist schwer), stütze ich mich u. a. auf den hl. Thomas von Aquin, ab und zu den hl. Alfons von Liguori, und auf Theologen wie Heribert Jone (1885-1967); besonders auf letzteren. Eigene Spekulationen werden (wenn ich es nicht vergesse) als solche deutlich gemacht. Alle diese Bewertungen betreffen die objektive Schwere einer Sünde; subjektiv kann es Schuldminderungsgründe geben. Zu wissen, ob eine Sünde schwer oder lässlich ist, ist für die Frage nützlich, ob man sie beichten muss, wenn man sie bereits getan hat; daher gehe ich auch darauf ein; in Zukunft muss man natürlich beides meiden.

Wer nur knappe & begründungslose Aufzählungen von christlichen Pflichten und möglichen Sünden sucht, dem seien diese beiden Beichtspiegel empfohlen. (Bzgl. dem englischen Beichtspiegel: Wenn hier davon die Rede ist, andere zu kritisieren, ist natürlich ungerechte, verletzende Kritik gemeint, nicht jede Art Kritik, und bei Ironie/Sarkasmus ist auch verletzende Ironie/Sarkasmus gemeint.)

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 (Der hl. Alfons von Liguori (1696-1787), der bedeutendste kath. Moraltheologe des 18. Jahrhunderts. Gemeinfrei.)

Alle Teile hier.

Nur zur Klarstellung: Das hier ist alles die grundsätzliche Theorie, um die Anwendung in der derzeitigen politischen Situation soll es überhaupt nicht gehen. Darüber schreibe ich schon bei anderen Gelegenheiten.

Unter dem 4. Gebot – „Du sollst Vater und Mutter ehren“ – hat man im erweiterten Sinn auch die Pflichten in größeren Gesellschaften, v. a. dem Staat, zusammengefasst. In diesem Gebot geht es eigentlich darum, was es bedeutet, als Gemeinschaftswesen zu leben. Hier in Teil 10a habe ich schon darüber geschrieben, wieso Familie und Staat natürliche Gesellschaften sind, in denen es Autoritäten braucht, und worauf diese Gesellschaften ausgerichtet sind.

Hier soll es erst einmal um die Grundlagen von Staaten im Allgemeinen gehen; wer nur über die konkreten Pflichten für einzelne Menschen im Staat lesen will, kann einfach weiter nach unten springen.

Der Staat ist, ebenso wie die Kirche und anders als die Familie, eine vollkommene/vollständige Gesellschaft – das heißt nicht fehlerlos, sondern ist ein Fachbegriff für eine souveräne Gesellschaft, die in sich alles hat, was sie zur Erreichung ihres Zwecks braucht (anders als die einzelne Familie, die selbst nicht für alles sorgen kann, was sie zu einem guten menschlichen Leben braucht, und daher ein Teil des Staates ist). Der Staat ist eine natürliche Gesellschaft, d. h. es ist natürlich und notwendig für Menschen, sich in Staaten zu organisieren. Er ist keine übernatürliche Gesellschaft wie die Kirche. Das heißt aber nicht, dass er Gott ganz ausklammern und sich nur für materielle Zweckmäßigkeit interessieren könnte. Die höchste natürliche Fähigkeit des Menschen ist die Vernunft, der höchste natürliche Zweck des menschlichen Lebens die natürliche Erkenntnis des Schöpfers, die Kontemplation seiner Herrlichkeit. Und auch Staaten – die ja nur Gemeinschaften von Menschen sind – haben wie die einzelnen Menschen die Pflicht, erstens durch die Vernunft Gott zu suchen und zweitens dann auch eine eventuelle Selbstoffenbarung Gottes anzuerkennen – was ja eigentlich nur heißt, dass der Staat sich in seinen Handlungen nach der Wirklichkeit richten soll und nicht nach irgendeiner falschen Idee, denn Ansichten über Gott und die Welt haben sehr reale Auswirkungen, nicht nur in der Ewigkeit, sondern auch irdisch. (Erlaubt man assistierten Suizid? Leihmutterschaft? Abtreibung? Etc.)

Ein Staat der noch nichts von dieser Offenbarung gehört hat, hätte also die Pflicht, sich nach der natürlichen Erkenntnis von Gott und dem Guten zu richten (wozu auch gehören würde, diejenigen monotheistischen Religionen zu fördern, die sich nicht gegen das Gute richten); ein Staat, der schon davon gehört hat, hätte die Pflicht, diese Offenbarung anzuerkennen und mit der von Gott eingerichteten übernatürlichen Gemeinschaft (also der katholischen Kirche) zusammenzuarbeiten und sie zu fördern, was in früheren Zeiten dadurch getan wurde, dass die katholische Religion Staatsreligion wurde und ihr solche Dinge wie die Zuständigkeit für das Eherecht der im Staat lebenden Katholiken überlassen wurden, die Staatsoberhäupter den Staat unter den Schutz Gottes gestellt haben und bei ihren Handlungen (zumindest theoretisch) darauf geschaut haben, was an natürlichen Mitteln den Menschen am besten hilft, ihr übernatürliches Ziel, d. h. ihr Seelenheil, zu erreichen. Der Staat ist für die natürlichen Dinge verantwortlich, und sollte sie mit Blick auf die übernatürlichen regeln. Und auch wenn man andere Religionsgemeinschaften natürlich tolerieren kann: Eigentlich sollte jeder Staat ein katholischer Staat sein. (Das kann radikal klingen, ist aber so banal, wie wenn z. B. Feministen wollen, dass jeder Staat sich nach feministischen Grundsätzen richtet.)

(Gott hat es konkret so einrichten wollen, dass zeitliche und geistliche Herrschaft getrennt sind; das hat auch Vorteile, weil im gefallenen Zustand der Menschheit einer Person zu viel Macht nicht guttut. Das heißt aber nicht, dass es zwangsläufig so hätte sein müssen und eine Gemeinschaft, die gleichzeitig Staat und Kirche wäre, in sich ungerecht gewesen wäre. Aber so hat es Gott nicht einrichten wollen, und auch Fürstbistümer o. Ä., in denen eine Person die zwei unterschiedlichen Gewalten in sich vereint, sollten eher Ausnahmefälle bleiben. Auf jeden Fall müssen aber auch die, die für die natürlichen Dinge wie Krankenversorgung, Infrastruktur oder öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig sind, dabei daran denken, nichts zu tun, was dem übernatürlichen Ziel der Menschen schadet.)

Eine Gemeinschaft ist ausgerichtet auf ein Gemeinwohl, ein Gemeingut (bonum communae), an dem alle teilhaben können, ohne dass es dadurch verringert wird. Das extrinsische Gemeingut ist der außerhalb der Gemeinschaft liegende Endzweck, das, wofür man in Gemeinschaft lebt, und das ist hier nicht nur das Überleben (das zwar auch), für das man zusammenarbeitet, sondern das gute menschliche Leben (im Endeffekt das Wahre, Gute, Schöne und damit Gott, in dem auch das Glück jedes einzelnen besteht). (Bei einem „Verein zur Erhaltung der Eichenallee“ wäre das extrinsische Gemeingut die Erhaltung der Eichenallee.) Das intrinsische Gemeingut einer Gemeinschaft ist der Frieden, die Freundschaft, die Gerechtigkeit, die Ordnung unter ihren Gliedern.

Das richtig verstandene Gemeinwohl steht daher nicht dem Privatwohl entgegen, denn das Gemeinwohl ist wirklich das, von dem alle am Ende am meisten haben, auch wenn einzelne Opfer gebracht werden müssen. Der Staat ist für die Menschen da, nicht der Mensch für den Staat; aber der Mensch ist eben als Gemeinschaftswesen auf dieses Gemeinwohl ausgerichtet; es ist etwas Gutes für jeden einzelnen, Teil einer guten Gemeinschaft zu sein, und das auch, wenn er in einer Extremsituation am Ende sogar sein Leben für diese Gemeinschaft opfern muss (z. B. in einem Verteidigungskrieg). Man dürfte nicht die unveräußerlichen/unbedingten Rechte eines einzelnen Menschen opfern, um einer größeren Zahl anderer Menschen zu nützen; damit würde man etwas Falsches tun, was übrigens somit auch wieder dem Wohl aller schaden würde; aber einige Rechte sind nicht bedingungslos und müssen manchmal dem Gemeinwohl untergeordnet werden. Freilich muss das in gerecht aufgeteilter Weise geschehen.

(Gemeinsam genutzte materielle Güter wie z. B. Straßen, Schulen, Parks sind übrigens kein Gemeingut im strengen Sinn, sondern eher geteilte Privatgüter.)

Generell steht die Kirche über dem Staat, weil das Übernatürliche über dem Natürlichen steht, wie die Seele über dem Körper steht. Das heißt allerdings nicht, dass der Staat nicht mehr eigenständig wäre und nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich selbst entscheiden könnte (er sollte freilich, wie gesagt, dabei die übernatürlichen Ziele der natürlichen Dinge beachten). Päpste und Bischöfe haben keine spezielle Kompetenz von Gott in politischen Sachfragen erhalten. Die Kirche hat allerdings z. B. das Recht, katholische Politiker zu exkommunizieren, die für ein gravierend falsches Gesetz stimmen (z. B. eins das Abtreibungen erlaubt) – weil sie dieses Recht ja gegenüber allen Katholiken hat. Von den großen Theologen im Lauf der Kirchengeschichte wurde aber auch generell gesagt, dass der Papst innerhalb der Christenheit, d. h. bei offiziell ihrer Verfassung nach christlichen Staaten, in Notfällen das Recht hat, tyrannische Staatsoberhäupter abzusetzen oder schwerwiegend ungerechte Gesetze für null und nichtig zu erklären – aber diese Frage ist gerade nicht besonders relevant, da die Christenheit leider schlicht nicht mehr existiert. Auch innerhalb der Christenheit dürfte ein Papst nicht die Tagespolitik diktieren und nicht in minder schweren Fällen eingreifen.

Ähnliches wie für Staat und Kirche gilt für Staat und Familie oder Kirche und Familie; auch die Familie als natürliche Gesellschaft hat ihre Rechte gegenüber Staat und Kirche (z. B. darf man ihr nicht ohne Grund die Kinder wegnehmen oder die genaue Art der Erziehung diktieren). Auch Individuen haben noch ihre Rechte gegenüber all diesen Gemeinschaften. Die verschiedenen Einheiten innerhalb der Menschheit heben sich gegenseitig nicht auf.

Nichtkatholische Staaten sind nicht ideal, aber verlieren deswegen nicht ihre Legitimität, ebenso wie nichtkatholische Familien, die ja auch das Recht haben, ihre Kinder zu erziehen usw. Katholiken können auch in nichtkatholischen Staaten, bei denen es nicht abzusehen ist, dass man bald die Mehrheit ihrer Bürger bekehren kann, an der Staatsgewalt Anteil haben und dem Gemeinwohl dienen. Ein Eid auf eine Verfassung ist in dem Fall natürlich ebenso erlaubt – hier verpflichtet man sich ja einfach zur Achtung dieser Verfassung (was gut ist) und erklärt nicht, dass man sie für die uneingeschränkt beste Verfassung aller Zeiten hält. (Soweit man nicht von Staaten ausgeht, die grundfalsche Verfassungen haben, die man auch nicht als geringeres Übel o. Ä. akzeptieren könnte, oder die von einem verlangen, sich zu einer falschen Weltanschauung zu bekennen. Wenn es z. B. im alten Rom Teil der Verantwortung eines Regierungsbeamten war, heidnische Opfer darzubringen, konnte ein Christ zumindest dieses spezielle Amt nicht guten Gewissens ausüben.)

Es gibt kein natürliches Recht darauf, nur von Staatsoberhäuptern regiert zu werden, die man sich selbst ausgesucht hat. Genau genommen ließe sich das in der Praxis gar nicht durchsetzen; und Gott verlangt nichts, was man unmöglich erfüllen kann, sodass man quasi notwendig sündigen müsste. (Selbst in einer Demokratie, in der alle Amtsinhaber direkt gewählt werden, muss sich die Minderheit der Mehrheit beugen, statt dass jeder das von ihm gewünschte Staatsoberhaupt bekommt, und die Kandidaten hat man sich auch nicht ausgesucht, außerdem handeln sie nach der Wahl oft genug gegen den Willen des Volkes.) Dass es einen Staat gibt, kommt vom göttlichen Gesetz, von der Art und Weise, wie Gott die Welt eingerichtet hat, nicht von den Menschen selbst, als ob sie ganz ohne Staat hätten leben können, und mehrere Arten von Verfassungen sind gut, solange sie dem Gemeinwohl dienen.

Wenn man in der Menschheitsgeschichte weit zurückgeht, kann man sagen, dass Staaten aus Zusammenschlüssen von Familien/Sippen entstanden sein müssen, die bestimmt haben, welche „Verfassung“ für sie und ihre Nachkommen gelten soll, aber in diesem Zustand, in dem man sich erst zusammenschließen muss, sind wir nicht mehr. Theologen wie Bellarmin und Suarez haben es etwa so formuliert: An sich sind Menschen frei und keiner darf über einen anderen regieren (auch nicht die Mehrheit über eine Minderheit); Gott hat aber diese Macht zu regieren den Menschen gegeben, weil sie in einer Gemeinschat leben sollten, und die Menschen, die sich erstmals zu einer solchen Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, haben diese Macht auf einen bestimmten Inhaber übertragen, sich eine bestimmte Form der Verfassung gegeben. Der Zusammenschluss an sich war naturnotwendig, die genaue Weise nicht. (Es gibt auch noch die andere Theorie, dass nicht nur durch die ausdrückliche oder stillschweigende Übereinstimmung der ersten Menschen, die sich zusammenschlossen, sondern auch dadurch, dass jemand fähig war, die Macht gut auszuüben, und sie praktisch immer mehr innehatte (z. B. der Anführer eines Klans), Gott ihm auch die Autorität dazu übertragen haben könnte, ohne den Umweg über die Zustimmung der großen Masse.)

Wichtig ist, dass das Staatsoberhaupt (und die Inhaber anderer Ämter) auf geregelte Weise bestimmt wird; verschiedene Formen von Monarchie (Herrschaft eines einzelnen), Aristokratie (Herrschaft einer Gruppe) und Demokratie (Herrschaft des Volkes) sind legitim, genauso wie Mischformen. Tatsächlich wurde traditionell eine Mischform als am geeignetsten gesehen, wobei der Monarch sowohl ein Erb- als auch ein Wahlmonarch sein kann, die Aristokratie sowohl ein Erbadel als auch eine auf andere Weise bestimmte Elite. (Siehe Teil 10a für genauere Erklärungen.) Von jeder dieser möglichen Formen gibt es auch eine pervertierte Form, die nicht legitim wäre und in der nur auf das Privatwohl statt auf das Gemeinwohl geschaut würde; das wären die Tyrannei, die Oligarchie und die Herrschaft des Mobs.

Usurpatoren, d. h. einzelne oder Gruppen, die entgegen der geregelten Ordnung widerrechtlich die Macht übernehmen (durch Putsch, Wahlfälschung, Königsmord o. Ä.), erlangen dadurch nicht das Recht zur Herrschaft, und solange es möglich ist, darf man sie bekämpfen.

„Derjenige, dem die Macht geraubt wurde, verliert dadurch nicht seine Autorität, d. h. sein Recht zu regieren. Er kann sie verlieren, indem er öffentlich darauf verzichtet, ausdrücklich oder implizit, denn da er sie unter der Bedingung hat, für das Wohl seiner Untergebenen zu regieren, hat er sie aus freiem Willen und hat daher die Möglichkeit zum Rücktritt. Wenn er seine Autorität nicht in dieser Weise aufgibt, darf er versuchen, dem Usurpator die Macht wieder zu entreißen, solange das Übel eines solchen Konflikts aufgewogen wird von dem Guten, das durch den Erfolg erreicht werden kann, was von der Überlegenheit seiner Prinzipien über die des Usurpators, und der Zahl, Stärke und Macht der Untergegebenen, die ihn willkommen heißen würden, abhängt. Wenn er allerdings sieht, dass das Übel des Konflikts das Gute überwiegen würde, und das, aller Wahrscheinlichkeit nach, ob der Versuch jetzt unternommen würde oder später von denen, die seine legitimen Nachfolger gewesen wären, zum Beispiel weil der überwiegende Teil des Volkes den Usurpator willig akzeptiert hat, dann sollte er seinen Anspruch aufgeben, denn wenn er weiterhin beabsichtigen würde, seine Macht wiederzugewinnen, hätte er nicht mehr das allgemeine Wohl des Volkes im Sinne, und würde daher selbst ein Tyrann werden. Wenn er sieht, dass das Gute des Konflikts wahrscheinlich irgendwann in der Zukunft das Übel aufwiegen wird, so wenn das Volk sich dem Usurpator nur widerwillig fügt, kann er seinen Anspruch aufrechterhalten und auf seinen Moment der Rückkehr warten. Die katholischen Familien Spaniens zum Beispiel, davon können wir ausgehen, akzeptierten die Usurpatoren nicht, als sie von den Mauren überrannt wurden; daher die Rechtmäßigkeit der Reconquista. Wenn er seinen Anspruch zurückzukehren nicht deutlich macht, wenn er das tun kann, kann man davon ausgehen, dass er auf sein Amt verzichtet hat.

Wenn nach einer Usurpation der rechtmäßige Herrscher auf sein Amt verzichtet hat, oder wenn es aufhört, wahrscheinlich zu sein, dass das Gute des Konflikts das Übel aufwiegen würde, besitzt der Usurpator nicht allein aufgrund dieser Tatsache das Recht, zu regieren, denn das würde aus Diebstahl einen Anspruch auf Eigentum machen. Eher hört die zeitliche Gesellschaft jetzt streng genommen auf, zu existieren, da sie ihr Oberhaupt verloren hat. Die Haushaltsoberhäupter, oder wenn sie nicht protestieren, wenn sie könnten, eine in ihrem Namen sprechende Körperschaft, kann daher diese Gesellschaft neu gründen, indem sie ihre Autorität verwenden, eine neue Verfassung zu etablieren. […]

Zuletzt, während der Usurpator de facto die Macht hat, obwohl er nicht das Recht besitzt, zu regieren, und die Leute vielleicht weder das Recht noch die Pflicht haben, seine Autorität anzuerkennen, können sie nichtsdestotrotz die Pflicht haben, individuellen Gesetzen oder Geboten, die er erlässt, zu gehorchen, zum Beispiel einem Gebot, wie man sich im Fall irgendeiner Naturkatastrophe zu verhalten hat, wo jemand die Führung übernehmen muss, und niemand außer ihm in der direkten Position ist, das zu tun.“ (Thomas Crean und Alan Fimister, Integralism. A manual of political philosophy, editiones scholasticae 2020, S. 99f. Meine Übersetzung.)

(Auch hier, wenn, wie im Urzustand der Menschheit, kein legitimes Staatsoberhaupt existiert, stellt sich die Frage, ob nur durch die ausdrückliche oder stillschweigende Übereinkunft des Volkes oder auch aufgrund der Umstände ein neuer Herrscher bestimmt werden kann, den man dann als von Gott bestätigt sehen kann.)

Im äußersten Notfall, wenn ein Staatsoberhaupt immer wieder zeigt, dass es nicht gewillt ist, für das Gemeinwohl zu handeln, wäre es erlaubt, auch dieses früher legitime, jetzt illegitime Staatsoberhaupt abzusetzen und die Staatsverfassung zu ändern (ähnlich wie es erlaubt wäre, im äußersten Notfall Kinder aus ihrer Familie zu holen und zu Pflegeeltern zu geben, oder als Kind selbst wegzulaufen und sich bei Verwandten zu verstecken), was am besten durch die nächstrangige nichttyrannische Institution in der Gesellschaft geschehen sollte. Voraussetzung ist allerdings wieder, dass ein solcher Putsch nicht voraussichtlich zu noch größeren Übeln führen wird, was im Lauf der Geschichte häufig der Fall war. Ein Beispiel für einen legitimen Putschversuch wäre z. B. der der Gruppe um Stauffenberg, ein Beispiel für einen offensichtlich illegitimen die Französische Revolution (genauer: die Gründung der Ersten Republik 1792 und der Königsmord 1793). Generell: Putsche und Bürgerkriege sind große Übel und bringen viele Risiken mit sich, die wirklich nur in Extremsituationen in Kauf genommen werden können.

In solchen Fällen ist auch eine Intervention von außen durch einen anderen Staat erlaubt.

Wenn man unter einer Diktatur lebt, gibt es aber keine generelle moralische Pflicht zum aktiven Widerstand, bewaffnet oder nicht. Sich durchzuwursteln, ohne sich selber direkt am Bösen zu beteiligen, ist moralisch in Ordnung (auch dann, wenn Widerstand heldenhafter wäre), und manchmal das einzig Sinnvolle.

Gewaltsame Rebellionen, illegale Verschwörungen und humanitäre Interventionen sind also wirklich nur im Notfall, und wenn sie nicht für noch schlimmere Verhältnisse sorgen, erlaubt. Eine Änderung der Staatsverfassung mit Zustimmung der Autorität wäre wieder etwas anderes, also wenn z. B. die Regierung zustimmt, über eine neue Verfassung oder die Abspaltung oder weitgehende Autonomie eines Landesteils abstimmen zu lassen. Solche Änderungen anzustreben, sofern sie an sich vernünftig und gut sind, dürfte m. E. nicht verwerflich sein, solange man damit nicht auch totalen Unfrieden im Land stiftet.

Gegenüber ungerechten Rebellionen, Putschversuchen, Terrorismus hat ein Staat natürlich das Recht und die Pflicht, sie zu bekämpfen und so schnell wie möglich die Ordnung wiederherzustellen. Das ist auch dann der Fall, wenn kleinere oder gelegentliche Machtmissbräuche den Terrorismus oder Putschversuch provoziert haben; denn so etwas kommt überall vor, und der öffentliche Friede und die Sicherheit all der anderen nicht-terroristischen Bürger gehen vor.

Die ganze Menschheit hat unter sich eine gewisse Einheit (gleiche Natur, gleiche Abstammung von Adam) und ein gemeinsames Ziel (Gott). Gegenüber anderen Staaten hat ein Staat die Pflicht, das Völkerrecht zu beachten (sowohl das gewohnheitsrechtliche Völkerrecht als auch die konkreten Verträge). Außerdem haben reiche Staaten gegenüber armen Staaten vergleichbare Pflichten wie reiche Personen gegenüber armen Personen, d. h. sie müssen nicht gerade zwangsläufig die Hälfte ihres Besitzes abgeben, aber sehr wohl in gewissem Maß helfen. Flüchtlingen in schwerer Not (Lebensgefahr, persönliche Verfolgung) beispielsweise muss man helfen; ein allgemeines Recht auf Migration gibt es allerdings nicht, da ein Staat hier auch darauf sehen muss, was dem Wohl seiner Bürger dient oder schadet, und Migranten haben Pflichten gegenüber dem sie aufnehmenden Staat.

Krieg zu führen ist erlaubt, wenn einem Unrecht mit friedlichen, diplomatischen Mitteln nicht abgeholfen werden kann und folgende Bedingungen erfüllt sind: rechte Absicht (also z. B. nur einen Angriff abzuwehren oder ihm zuvorzukommen, nicht aber, das andere Volk dann auch noch auszurotten oder ihm seinen Besitz zu rauben), Kriegserklärung durch die legitime Autorität, gerechter Grund (z. B. ein Angriff des anderen Staates) und gerechte Kriegsführung (keine gezielten Angriffe auf Zivilisten, keine Misshandlung von Kriegsgefangenen o. Ä.). Ein Krieg ist auch dann erlaubt, wenn man nicht viel Aussicht auf Erfolg hat, wenn es darum geht, ein extrem schwerwiegendes Unrecht abzuwehren oder zumindest abzuschwächen.

Der Staat hat das Recht, Gesetze zu erlassen, die dann unter Sünde verpflichten, d. h. es wäre eine Sünde, ihm (in gerechten Dingen) nicht zu gehorchen. Moraltheologen unterschieden manchmal zwischen Gesetzen, bei denen der Gesetzgeber im Gewissen verpflichten will, damit man das Gewünschte auch wirklich tut, und bloßen Pönalgesetzen, bei denen er nur zur Übernahme der Strafe verpflichten will. Um den Unterschied ein bisschen näherzubringen: Wenn der Gesetzgeber sagt, man soll Diebstahl unterlassen, will er einen wirklich im Gewissen verpflichten, Diebstahl zu unterlassen; ein Dieb, der später seine Strafe akzeptiert, hat das Gesetz nicht erfüllt. Wenn der Gesetzgeber sagt, dass eine Firma soundsoviel Prozent Schwerbehinderte einstellen oder stattdessen eine Ausgleichsabgabe zahlen soll, erfüllt die Firma das Gesetz durch Zahlung der Ausgleichsabgabe. In diesem Fall macht es der Staat wirklich selber ganz deutlich, dass er bloß ein Pönalgesetz einführt, in anderen Fällen kann man unter Umständen davon ausgehen. (Z. B. wenn kaum einer es für wirklich schlimm hält, das Gesetz zu übertreten, und der Staat es eher nutzt, um mit den Geldbußen seine Finanzen aufzubessern, wie z. B. wahrscheinlich bei unerlaubtem Parken. (Wobei es auch hier darauf ankommt: Wenn man durch das Parken unerlaubt eine Feuerwehrzufahrt blockiert, kann man davon ausgehen, dass derjenige, der das Verbotsschild aufgestellt hat, das sehr wohl wirklich verbieten wollte.))

Auch wer z. B. als Parlamentarier Immunität genießt, ist im Gewissen verpflichtet, sich an die Gesetze zu halten.

„Das Gesetz ist eine vernunftgemäße, dauernde Norm des freien Handelns, die vom Obern eines öffentlichen Gemeinwesens zum Zwecke des Allgemeinwohls erlassen und genügend bekanntgemacht wurde.“ (Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, S. 40, Nr. 43.) Der Zweck der Gesetze ist es letztendlich, die Menschen gut zu machen; das Gesetz ist auch ein Lehrer und formt Einstellungen und Gewohnheiten.

Es gibt das Naturrecht, das von Gott in die Natur der Dinge gelegt wurde; das Naturrecht verpflichtet absolut. (Z. B. ist es gegen das Naturrecht, zu lügen, da der natürliche Zwecke der Sprache die Verständigung, die Weitergabe der Wahrheit unter Menschen ist.) Für Naturrecht sagt man auch natürliches Sittengesetz oder Moral. Dann gibt es das positive (=gesetzte, von lat. ponere) göttliche Gesetz, das Gott so erlassen hat, aber auch anders hätte erlassen können (z. B. das Gebot, den siebten Tag zu heiligen, oder für die Eucharistie Weizenbrot und Wein zu verwenden). Dann gibt es positive menschliche Gesetze, erlassen von Kirche oder Staat.

Gesetze befehlen, verbieten, erlauben oder bestrafen. Der Zweck von Strafen ist es, die gestörte gerechte Ordnung wiederherzustellen, dem Täter quasi etwas gegen seinen Willen zuzufügen, weil er seinen Willen auf Kosten anderer ausgelebt hat. Nebenzwecke sind der Schutz der Gesellschaft vor weiteren Verbrechen, die Besserung des Täters, die Wiedergutmachung (z. B. durch Schadensersatzzahlungen) und die Abschreckung anderer. (Das sind legitime Nebenzwecke, aber dürfen nur Nebenzwecke bleiben; denn wenn man die Wiederherstellung der Gerechtigkeit als Hauptzweck ganz abschaffen würde und nur noch auf Abschreckung und Besserung schauen würde, könnte das zu so einigen Ungerechtigkeiten führen. Nicht nur in dem Sinn, dass man manche Verbrecher, die eine schwere Strafe verdient hätten, nur kurz zum Psychologen schicken könnte, sondern auch in dem Sinn, dass man Kleinkriminelle ewig einsperren könnte, bis der zuständige Psychologe sie für ausreichend gebessert hält, oder dass man jemanden auf härtere Weise als verdient bestrafen könnte, um andere abzuschrecken. Man darf nur dann und höchstens in dem Maß strafen, wie jemand es verdient hat, und dann ist Strafe auch etwas Gutes, und sollte in etwa dem entsprechen, was derjenige eben durch die Tat verdient hat.) Ein Staat hat grundsätzlich auch das Recht, schwere Verbrechen (Mord, Landesverrat, Vergewaltigung o. Ä.) mit der Todesstrafe zu ahnden, wenn er das für zweckmäßig erachtet. „Denn nicht ohne Grund trägt sie [die staatliche Gewalt] das Schwert.“ (Röm 13,4) Gen 9,6 begründet die Todesstrafe für Mörder sogar mit der Menschenwürde der Opfer.

Verbrechen gegen das Naturrecht (z. B. Mord) dürfte man auch rückwirkend bestrafen, da es immer gilt, auch wenn die positiven Gesetze diesen Mord zuerst erlaubt haben (Bsp.: Bestrafung von Ärzten, die in der Nazizeit Kranke und Behinderte getötet haben), aber Verbrechen gegen positive menschliche Gesetze dürfen nicht rückwirkend bestraft werden; diese Gesetze gelten erst ab Promulgation, d. h. wenn die Menschen sie auch kennen können. Es kann freilich auch unzweckmäßig sein, naturrechtliche Verbrechen rückwirkend zu bestrafen, z. B. wenn es sehr viele Täter gibt, die Täter nicht mehr genau ermittelt werden können, oder viele Täter unter Zwang oder Gehirnwäsche gehandelt haben, aber das hängt vom Einzelfall ab.

Ein Staat sollte dem Naturrecht zusätzlichen Schutz durch positive Gesetze geben, wobei er nicht alles bestrafen muss, was das Naturrecht verbietet; z. B. wenn es Kleinigkeiten sind, die mit Gewalt durchzusetzen unverhältnismäßig und aufwendig wäre. (Z. B. könnte ein Staat schwerlich Notlügen mit Bußgeldern belegen.) Außerdem müssen die positiven Gesetze auf dem Naturrecht basieren, indem sie sich innerhalb des naturrechtlich erlaubten Rahmens bewegen und/oder die allgemeinen Vorschriften des Naturrechts auf den konkreten Fall anwenden. Ein Staat kann allerdings Übel, die er schlecht verhindern kann, zulassen, um größere Übel zu vermeiden.

Es gibt Fälle, in denen man Gesetzen nicht gehorchen darf, und Fälle, in denen man ihnen nicht gehorchen muss. (Genau genommen sind ungerechte Gesetze gar keine Gesetze, sondern nur Scheingesetze. Ein ungerechtes Gesetz ist kein Gesetz.) Nur naturrechtliche Vorschriften, die die Unterlassung einer bestimmten Handlung (z. B. direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, Ehebruch o. Ä.) ausnahmslos zur Pflicht machen, gelten immer und können auch immer erfüllt werden, während naturrechtliche Vorschriften, die eine bestimmte Handlung zur Pflicht machen, nicht immer erfüllt werden können. Staatliche Gesetze gelten generell nicht ausnahmslos.

Man darf nicht gehorchen, wenn ein staatliches Gesetz eine Sünde befiehlt.

Man muss nicht gehorchen, wenn:

  • es physisch unmöglich ist, das Gesetz zu erfüllen (z. B. man zu einem Gerichtstermin erscheinen müsste, aber im Krankenhaus liegt)
  • es moralisch unmöglich ist, d. h. eine unverhältnismäßig große Anstrengung erfordert. Was unverhältnismäßig ist, hängt natürlich davon ab, wie wichtig das Gesetz ist, von weniger wichtigen Gesetzen ist man leichter entschuldigt. Außerdem: Das Allgemeinwohl kann in besonderen Fällen manchen extreme Anstrengungen abverlangen (z. B. Soldaten in einem Krieg), und auch ein freiwillig gewählter Stand, z. B. Missionar, kann besondere heroische Verpflichtungen auferlegen.

Bei Pflichtenkollision geht die höhere Pflicht vor, die andere muss zurücktreten und verliert ihre verpflichtende Kraft. „Kann jemand bei Pflichtenkollision trotz aller angewandten Mühe nicht erkennen, welche Pflicht die wichtigere ist, so sündigt er nicht, für welchen Teil er sich auch immer entscheiden mag“ (Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, S. 53, Nr. 70)

Das Gesetz verpflichtet auch nicht, wenn man davon ausgehen kann, dass der Gesetzgeber es nicht für einen bestimmten Einzelfall gedacht haben kann. Z. B. wird ein Gesetzgeber nicht wollen, dass man eine rote Fußgängerampel achtet, wenn kein Auto in Sicht ist, aber auf der anderen Straßenseite jemand zusammengebrochen ist, und man schnell hinüberrennen muss, um ihm zu helfen. Diese Auslegung der Absicht des Gesetzgebers nennt sich Epikie. (Wobei man die Auslegung durch den Gesetzgeber selbst zurate ziehen muss, wenn das leicht geschehen kann; vielleicht hat er ja schon ausdrücklich geklärt, ob es in einem solchen Fall gilt oder nicht. In dem Fall mit der Ampel wäre die Sachlage allerdings offensichtlich.)

Wenn das Gesetz seinen Zweck verliert, gilt folgendes:

„Seinen Zweck kann ein Gesetz verlieren für die Gesamtheit oder nur für Einzelpersonen; ferner so, daß seine Beobachtung nur nutzlos oder auch schädlich wird.

1. Wird für die Allgemeinheit ein Gesetz auch nur nutzlos, so hört es damit auf.

Einem solchen Gesetze fehlt ein wesentliches Merkmal: es dient nicht mehr dem Allgemeinwohl (vgl. Nr. 43).

2. Wird für eine Einzelperson das Gesetz schädlich, so hört seine Verpflichtung für den Betreffenden auf, wenn die Beobachtung für ihn moralisch unmöglich wird, oder wenn man Epikie anwenden kann. […]

3. Wird für eine Einzelperson die Beobachtung eines Gesetzes nutzlos, so bleibt diese Person nach der weitaus allgemeinen Ansicht zur Beobachtung des Gesetzes verpflichtet.

Im entgegengesetzten Falle würde nämlich das Allgemeinwohl leiden, weil viele sich einbildeten, das Gesetz sei für sie nutzlos. – Nur wenn in einem Einzelfall die Nutzlosigkeit evident und kein Ärgernis zu befürchten ist, dürfte man der milderen Ansicht folgen. Aber auch diese letztere Ausnahme ist unstatthaft bei Gesetzen, die erlassen wurden, um einer allgemeinen Gefahr vorzubeugen“ (Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, S. 58, Nr. 78)

(Man darf also nicht, sagen wir, eine gefährliche Schlange halten, wenn das Gesetz das verbietet, weil man sich denkt, in diesem Fall wäre das Gesetz überflüssig, weil man sich gut genug mit Schlangen auskennt und schon aufpasst.)

Man ist nicht verpflichtet, alle Gesetze zu kennen, aber muss sich auf gewöhnliche Weise informieren, wenn man etwas tun will, wobei man weiß, dass irgendwelche Vorschriften gelten (z. B. ein Unternehmen gründen will).

Gewohnheitsrecht kann auch Gesetzeskraft haben, wenn es in einem Bereich keine ausdrücklich geregelten Gesetze gibt.

Der hl. Thomas von Aquin schreibt über gerechte und ungerechte Gesetze:

„Ich antworte, die menschlichen Gesetze seien entweder gerecht oder ungerecht. Im ersten Falle haben sie vom ewigen Gesetze her die Kraft, im Gewissen zu verpflichten, nach Prov. 8.: ‚Durch mich herrschen die Könige und entscheiden Rechtes die Gründer der Gesetze.‘ Gerecht aber sind die Gesetze 1. vom Zwecke aus, wenn sie auf das Gemeinbeste sich richten; — 2. vom Urheber her, wenn sie von dem ausgehen, der rechtmäßige Gewalt hat und die Grenzen seiner Gewalt nicht überschreitet; — 3. von ihrer inneren Form aus, wenn sie nach rechtmäßigem, gleichem Verhältnisse den Unterthanen Lasten auflegen für das allgemeine Beste. Denn da jeder Mensch ein Glied der Menge ist und sonach das, was er ist und hat, dem Ganzen schuldet, so werden ihm, wenn das richtige Verhältnis zu den anderen eingehalten erscheint, mit Recht Lasten aufgelegt zu Gunsten des Ganzen; duldet ja auch die Natur, daß ein Glied Nachteil erleidet, damit das Ganze heil sei. Ungerecht sind die Gesetze also: 1. vom Zwecke aus, wenn jemand, nicht für das gemeine Beste, sondern zur Befriedigung seiner Geld- oder Ruhmgier Gesetze macht; — 2. vom Urheber aus; wenn jemand über seine Gewalt hinaus Gesetze aufstellt; — 3. von der Form aus, wenn in der Verteilung der Lasten nicht das gebührende Verhältnis gewahrt wird. Dergleichen sind mehr Gewaltthaten wie Gesetze; denn, sagt Augustin, ‚es ist kein Gesetz jenes, das nicht gerecht ist.‘ Solche Gesetze also verpflichten nicht im Gewissen außer etwa, damit man Ärgernis vermeide oder Verwirrung; weshalb ja der Mensch auch bisweilen sein Recht aufgeben muß, nach Matth. 5.: ‚Wer dir das Kleid genommen hat, gieb ihm auch den Mantel.‘ Sind aber die Gesetze ungerecht, weil sie dem göttlichen Gute entgegengesetzt sind und gegen Gottes ausdrückliches Gebot befehlen, so darf man sie nicht beobachten, sondern ‚man muß Gott mehr gehorchen wie den Menschen.‘ (Act. 4.)“ (Summa Theologiae II/I,96,4)

Ein Staat hat das Recht, Steuern zu erheben (was ja auch Jesus und Paulus bestätigt haben), in dem Maße, wie er sie für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Es ist allerdings eine Sünde (von unterschiedlicher Schwere) vonseiten der Staatsbeamten, Steuergelder zu verschwenden, und vonseiten der Gesetzgeber, unnötig hohe Steuern zu erheben oder die Steuerlast ungerecht zu verteilen. (Bei einer ungerecht hohen Steuerlast wäre es theoretisch keine Sünde, wenn jemand seine Steuern insoweit zahlt, als sie gerecht sind, und den Rest hinterzieht. Besonders klug wäre das allerdings normalerweise sicher nicht, insbesondere wegen des Schadens für sein Leben, seinen Ruf, seine Familie, wenn seine Steuerhinterziehung herauskäme.)

Die katholische Soziallehre kennt das „Subsidiaritätsprinzip“, d. h. größere Institutionen sollten untergeordneten Institutionen das überlassen, was sie selbst schaffen können, und nur bei größeren Aufgaben helfend eingreifen. (Z. B. ist es sinnvoll, wenn der Staat den Gemeinden das Einrichten von Kindergärten überlässt, aber selber Autobahnen baut.) Föderalistische Staaten wie Deutschland entsprechen diesem Prinzip besser als zentralistische wie Frankreich. Das Subsidiaritätsprinzip gilt auch in der Wirtschaft; der Staat sollte den einzelnen und den privaten Zusammenschlüssen (Firmen, Genossenschaften, Innungen…) nicht alle Entscheidungen abnehmen und alles diktieren, sondern Raum für Eigenständigkeit lassen, aber eben auch helfen, wenn es nötig ist.

Das Subsidiaritätsprinzip wird ergänzt durch das Solidaritätsprinzip, d. h. dass der einzelne der Gemeinschaft und die Gemeinschaft dem einzelnen verpflichtet ist. Beispielsweise entspricht die Einrichtung einer Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (oder anderer Systeme, die Ähnliches leisten) dem Solidaritätsprinzip.

Noch kurz ein bisschen genauer zur Wirtschaft (wobei das eher ins 7. Gebot gehört): Die Güter der Erde wurden an sich der ganzen Menschheit von Gott gegeben, um für ihre Bedürfnisse zu sorgen, aber es entspricht der menschlichen Natur, dass es konkret aufgeteiltes Privateigentum gibt, sodass jeder für seines verantwortlich ist und auch etwas von seiner eigenen Arbeit damit hat; der Sozialismus ist widernatürlich und schädlich. Eigentum verpflichtet. Es ist generell besser, wenn das Eigentum an den Produktionsmitteln auf viele kleinere Besitzer aufgeteilt ist, und wenn z. B. größere Betriebe genossenschaftlich von den Beschäftigten selber geführt werden. Wer andere einstellt, ist verpflichtet, ihnen im Austausch für ihre Arbeit einen Lohn zu zahlen, der für ihr Leben und das ihrer Familie reicht; denn der Zweck der Arbeit ist es, den Lebensunterhalt für die Familie zu beschaffen, so dass sie in der jeweiligen Gesellschaft einigermaßen anständig leben kann. Der Staat hat das Recht, die Verwendung des Eigentums durch Gesetze zu regeln, z. B. Preis- und Zinswucher zu unterbinden, einen Mindestlohn festzulegen, Steuern zu verlangen etc. Politiker müssen sich, so weit möglich, nach solchen Grundsätzen der katholischen Soziallehre richten. Wirtschaftssysteme, die immerhin von dieser Lehre inspiriert waren/sind, waren/sind Korporatismus, Distributismus und soziale Marktwirtschaft.

So weit mal einige allgemeine Prinzipien. Generell haben sowohl die Teilhaber an der Staatsgewalt als auch die Untergebenen der Staatsgewalt die Pflichten, in ihrer jeweiligen Situation das Gemeinwohl zu respektieren, d. h. nicht gegen das Gemeinwohl zu handeln, ihre Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu erfüllen.

Heribert Jone schreibt über die genauen Pflichten der Amtsinhaber eines Staates:

Zweites Kapitel

Die Pflichten im Staate

I. Die Obrigkeit hat die Pflicht, in erster Linie für das allgemeine Wohl zu sorgen.

Sie muß deshalb nach Kräften alle Übel vom Staate fernhalten und sein Wohl fördern, Religion und Sittlichkeit beschützen, für gerechte Verteilung der Rechte und Pflichten sorgen, die Gesetze ohne persönliche Rücksichten durchführen, die öffentlichen Ämter nur geeigneten Personen geben und ungeeignete aus denselben entfernen.

II. Die Abgeordneten müssen ähnlich wie die Obrigkeit in positiver Weise das Allgemeinwohl fördern, besonders in den Punkten, in denen sie es ihren Wählern ausdrücklich versprochen haben.

1. Annahme der Wahl ist verboten, wenn jemand nicht die nötigen Fähigkeiten hat. Sie ist aber Pflicht, wenn jemand die entsprechenden Fähigkeiten hat und sonst keine geeignete Person zu finden ist, außer man hätte triftige Entschuldigungsgründe.

2. Teilnahme an den Beratungen und Beschlußfassungen ist Pflicht.

Besonders gilt dies von der Teilnahme an den Sitzungen, von denen das Zustandekommen eines guten Gesetzes oder die Verhütung eines schlechten abhängt.

3. Mitwirkung zu einem schlechten Gesetz ist Sünde.

Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn die Abgeordneten durch ihre Mitwirkung noch Schlimmeres verhüten können (vgl. Nr. 144, 147); sie müssen dann aber ihren Standpunkt öffentlich darlegen.“ (Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, S. 165, Nr. 203)

Der konkrete Teilhaber an der Staatsgewalt – Abgeordnete, Richter, Minister, Kanzler, Verwaltungsbeamte, Polizisten etc. – hat vor allem die Pflicht, die Pflichten seines jeweiligen Amtes gewissenhaft zu erfüllen und sich natürlich auch die nötigen Kenntnisse zu erwerben; das zu vernachlässigen ist je nach Fall lässliche oder schwere Sünde. Was die Mitwirkung an der Ausführung schlechter Gesetze o. Ä. angeht, siehe Teil 9b.

Korruption und Bestechlichkeit sind Sünden, deren Schwere davon abhängt, was auf dem Spiel steht. Ein Richter, der sich bestechen lässt, um einen Unschuldigen für zehn Jahre ins Gefängnis zu stecken, begeht offensichtlich eine schwerere Sünde als ein Polizist, der jemanden laufen lässt, der außerorts auf einer geraden übersichtlichen Strecke 25 km/h zu schnell gefahren ist, weil der sein Nachbar ist und sie sich gut verstehen. Insgesamt unterminiert Korruption allerdings das ganze Funktionieren des Staates und das Vertrauen in ihn und in andere Bürger (wer seinen Nachbarn verklagt, würde den von vornherein auch noch verdächtigen, den Richter zu bestechen etc.), was die Schwere der Sünde verstärkt.

Jone schreibt dann über die Staatsbürger:

III. Die Untertanen haben folgende Pflichten:

1. Liebe gegen das Vaterland, dem wir den Schutz und die weitere Ausbildung unserer von den Vorfahren überkommenen gemeinsamen guten Anlagen verdanken.

Diese Liebe zum Vaterland muß uns besonders veranlassen, sein Wohl zu fördern und in Eintracht mit unseren Mitbürgern zu leben. – Besonders muß man sich davor hüten, zum Vorteil eines Standes oder einer Interessengruppe das Allgemeinwohl zu schädigen.

2. Achtung vor der Obrigkeit.

Innerliche Verachtung der Obrigkeit als solcher, d. h. der obrigkeitlichen Gewalt (formelle Verachtung), ist schwere Sünde. Innere Verachtung gegenüber der Privatperson, welche die obrigkeitliche Gewalt innehat, ist insofern sündhaft, als Verachtung anderer Privatpersonen sündhaft ist. Schmähung des Inhabers der obrigkeitlichen Gewalt ist schwer sündhaft, unter anderem besonders, wenn sie öffentlich ist oder leicht öffentlich werden kann; ferner wenn sie ihm in seiner Gegenwart zugefügt wird. [Dazu unten mehr, Anmerkung von mir.]

3. Wahl von guten Abgeordneten

Wahlenthaltung ohne Grund scheint wenigstens eine läßliche Sünde zu sein, wenn der gute Kandidat einen schlechten Gegenkandidaten hat. Eine schwere Sünde kann es sein, wenn man durch Wahlenthaltung Ursache ist, daß ein schlechter Kandidat gewählt wird. [Anmerkung von mir: Das könnte ja z. B. in kleinen Wahlkreisen oder bei lokalen Wahlen ausnahmsweise der Fall sein, oder wenn ein Gremium, z. B. der Gemeinderat, jemanden wählt.]

Einem schlechten Kandidaten darf man nur dann seine Stimme geben, wenn dies notwendig ist, um die Wahl eines schlimmeren Kandidaten zu verhindern; durch eine entsprechende Erklärung aber soll der Grund dieser Handlungsweise angegeben werden. Ausnahmsweise dürfte man auch einmal einem unwürdigen Kandidaten seine Stimme geben, um einem ungewöhnlich großen persönlichen Nachteil zu entgehen. [Anmerkung von mir: Hier ist vielleicht an Länder gedacht, die keine geheimen Wahlen haben und wo man Schwierigkeiten bekommen kann, je nachdem, wie man wählt.]

4. Treue gegen die rechtmäßige Autorität und Gehorsam gegen die Gesetze im allgemeinen.

Die heimliche Flucht eines Gefangenen ist aber kein positiver Widerstand gegen die Staatsgewalt und daher an sich nicht verboten.

Unsittlichen Gesetzen eines gottlosen Staates darf man nicht gehorchen; ihrer Ausführung darf man passiven Widerstand entgegensetzen. – Offene Gewalt darf man in einem solchen Falle auch mit Gewalt abwenden, vorausgesetzt, daß man begründete Hoffnung auf Erfolg hat und das Gemeinwohl durch den Widerstand nicht noch größeren Schaden leidet als durch die Gewalttätigkeit der Regierenden. Nach einigen Autoren ist in höchster Not des Volkes und nach Erschöpfung aller gesetzlichen Mittel auch Absetzung des Herrschers und Änderung der Staatsverfassung erlaubt.

5. Gehorsam gegen die Steuergesetze im besonderen. […]

IV. Die Soldaten, die sich freiwillig anwerben lassen, sind durch die ausgleichende Gerechtigkeit verpflichtet, ihren Dienstvertrag zu erfüllen und ihren Dienst zu leisten.

Im Falle eines Krieges verpflichten die Gesetze, welche allgemeine Wehrpflicht vorschreiben, im Gewissen, sogar in jenen Staaten, in welchen der Gesetzgeber die übernatürliche Sanktion seiner sämtlichen Gesetze ausschließen möchte. (Vgl. n. 57).“ (Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, S. 165-168, Nr. 204-206.)

Bzgl. dem, was Jone zur Schmähung von Staatsoberhäuptern sagt: Eine Regierung zu kritisieren ist natürlich erlaubt, manchmal (manchmal auch oft) auch notwendig. („Minister X ist ungeeignet für sein Amt, weil er seine Meinung beinahe täglich ändert.“) Aber das Amt an sich ist eben doch achtenswert. Dass es überhaupt legitimerweise einen Staat gibt, muss man respektieren; die jeweilige Person, die ein Amt innehat, verdient an sich Respekt, da sie eine wichtige Aufgabe ausfüllt und die staatliche Macht repräsentiert. Wenn sie diesen Respekt durch ihre eigene Schuld verwirkt und ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt, verdient sie evtl. weniger Respekt je nach Situation, aber ein gewisses grundsätzliches Maß an Respekt sollte wohl trotzdem da sein (ähnlich wie gegenüber einem schlechten Priester). Es gibt ja den alten Spruch: „Man grüßt die Uniform, nicht den Träger.“ Der Respekt ist vor allem dann wichtig, wenn man direkt mit dem Amtsinhaber zu tun hat, der ja eben auch die Staatsgewalt repräsentiert; dem Staatsoberhaupt bei einer öffentlichen Veranstaltung ins Gesicht zu spucken wäre daher ein Stück weit schlimmer, als das bei einem privaten Feind zu tun. (Wobei auch das nicht schön ist.)

Der Moraltheologe Augustin Lehmkuhl bringt ein paar Beispiele (von mir und einem Freund aus dem Lateinischen übersetzt):

„Blasius, vom Wein erhitzt, wettert in der Kneipe vor seinen Freunden gegen Minister und Könige: Regierung und Herrscher seien nun abzuschaffen, Steuern ihnen zu verweigern, und sie verdienten es wohl, dass die Zahlung gegenüber den Bürgern zu verhöhnen sei, ferner, in der Öffentlichkeit bei der Ankunft des Königs sollten sich alle von Zeichen der Freude enthalten, im Gegenteil sollte man das Bild des Fürsten zu Hause verhöhnen und dem Diener befehlen, dass er ein solches öffentlich ausgestelltes Bild heimlich mit Dreck beschmiert.

Fragen:

1) Was sind die Verpflichtungen gegenüber Fürsten und der Verwaltung?

2) Auf welche Weise hat Blasius gesündigt?

Lösung

Zu Frage 1)

1. Die Untergebenen sind gegenüber jenen, die die öffentliche Gewalt innehaben, zur Unterordnung und zum Respekt verpflichtet.

2. Aufgrund der Unterordnung ist ihnen die Rebellion verboten, sie sind verpflichtet, sich an die gerechten Gesetze zu halten und die gerechten Steuern, die verlangt werden, zu entrichten; aufgrund der Ehrfurcht sind sie gehalten, den höheren und niederen Obrigkeiten Ehre zu erweisen, innerliche Verachtung und äußerliche Beschimpfung/Schmähung/Misshandlung sind ihnen verboten. Wie es die heilige Schrift darlegt im Brief an die Römer 13,1-7.

3. Sündhaft ist immer die Verachtung der Staatsgewalt [selbst]; die Verachtung der Person [des Amtsinhabers] ist sündhaft, wenn und insofern sie auch ohne gerechten Grund geschieht.

Zu Frage 2)

1. Wenn man die objektive Gegebenheit betrachtet, enthalten Blasius‘ Worte schwere Sünden gegen die Pflicht zur Unterordnung, da sie nach Rebellion riechen und durch das Aufstacheln zur Verweigerung der Steuern zur schweren Sünde anstiften. Subjektiv kann er von der Todsünde entschuldigt sein, wenn er weder von Herzen gesprochen hat noch mit der Gefahr, dass die anderen zu solchem Verhalten überredet werden, sondern nur aus einer gewissen eitlen Prahlerei.

2. Wenn sich Blasius von allen Ehrenbezeigungen enthalten hat, müsste man betrachten, aus welchem Grund er so gehandelt hat. Wenn er aus Verachtung der Autorität so handelt, sündigt er schwer. Wenn er wirklich einen gerechten Grund gehabt hat, was z. B. sein könnte, um seine Trauer und Empörung zu zeigen, wenn dem Volk oder der Religion etwas Schlechtes und Ungerechtes durch den Fürst angetan worden wäre, sündigt er nicht, im Gegenteil, es könnte eine Pflicht, so zu handeln, bestehen, damit nicht Freudenzeichen als Gutheißen der ungerechten Gesetze und der Unterdrückung der katholischen Angelegenheiten verstanden worden wären.

3. Das öffentlich ausgestellte Bild des Fürsten zu entehren ist sicher schwerwiegende Verachtung, weil der Fürst in seinem Bildnis angegriffen wird, und deswegen an sich schwere Sünde. Hier ist nicht der Ort, danach zu forschen, ob von außen ein Grund hinzukommen könnte, aus dem subjektiv keine schwere Sünde begangen wird.

Etwas Ähnliches zuhause oder privat, nicht vor anderen, zu tun, kann Todsünde sein aufgrund der innerlichen Verachtung, wenn jene tödlich sündhaft ist; wegen der [äußerlichen] Schmähung besteht keine schwere Sünde, denn diese Schmähung, damit sie existiert, muss entweder im Herzen der Person sich offenbaren, oder die Sache muss bekannt werden, oder man muss aus der Natur der Sache vorhersehen können, dass sie bekannt wird.

4. Den staatlichen Bediensteten, die im Namen des Fürsten den Staat regieren, gebührt freilich nicht dieselbe Ehrerbietung wie dem Fürsten; daher können ihre öffentlichen Taten frei diskutiert und sie für die entstandenen Dinge getadelt werden. Nichtsdestoweniger gebührt ihnen Ehre für ihren Dienst und gewiss muss man sich davor hüten, nicht durch zügellose Rede und auf zersetzende Weise die gemeinsame Liebe oder Gerechtigkeit zu beschädigen oder die Legitimität der staatlichen Grundordnung selbst zu erschüttern. Die Nächstenliebe, die ein jeder schuldet, kann auch verpflichten, dass man sich auf diese Weise vor offensichtlich unnützer Schmähung in der Regel hütet.“

Eine gewisse Rolle spielt vielleicht auch das, was man klassischerweise „Landesbrauch“ oder „Gewohnheit“ nennen kann. Z. B. wird eine normale Karikatur über einen Politiker heutzutage nicht als schwerwiegende Beschimpfung verstanden. Die Frage wäre eher noch, wie es sich verhält, wenn z. B. jemand auf Facebook oder in einem Leserbrief über „dieses Arschloch, den Ministerpräsidenten“ schimpft, angenommen, dass der jeweilige Ministerpräsident wirklich einiges Schlechte zu verantworten hat und persönlich auch nicht den Eindruck von Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit macht. Ich würde schon davon ausgehen, dass es zumindest eine lässliche Sünde wäre; man kann ein hartes Urteil auch ohne solche Beschimpfungen abgeben. Die innerliche Verachtung wäre hier keine Sünde, aber äußerlich sollte man wohl ein Mindestmaß an Respekt wahren.

Generell: Die Beschimpfung ist dann eine schwere Sünde, wenn man die Ehre eines anderen ungerechterweise in schwerwiegender Weise angreift, also z. B. jemanden als Nazi oder Verbrecher beschimpft, weil man eine persönliche Abneigung aus banalen Gründen gegen ihn hat. Eine leichte Beschimpfung („Wieso bist du jetzt so zickig??“) ist nur lässliche Sünde, auch wenn sie ungerecht ist und die angesprochene Person sich nicht wirklich zickig verhalten hat. (Unbekannte Sünden vor anderen bekannt zu machen, ohne dass es nötig ist, ist auch falsch, aber bei Politikern reden wir in der Regel eher von bereits öffentlichen Sünden, oder Sünden, die zu erfahren die Öffentlichkeit ein Recht hat.)

Die frühen Christen (bis 200 n. Chr.), Teil 9: Endzeit, Wiederkunft Christi und Weltgericht

Wer wissen will, was es mit dieser Reihe auf sich hat, möge bitte diese kurze Einführung hier lesen; knapp gesagt: ich habe Zitate aus christlichen Schriften vom Jahr 95 bis ca. 200 n. Chr. gesammelt, um einen Eindruck von der frühen Kirche zu vermitteln. (In der Einführung findet sich eine Liste mit allen herangezogenen Werken mitsamt ihrer Datierung.)

Alle bisher veröffentlichten Teile gibt es hier.

Bibelstellen zum Vergleich (Auswahl): Mt 24-25; Lk 21; Mk 13; Offb; 1 Kor 15,51-53; 1 Thess 4,15-17; 2 Thess 2; Dan 7.

Über die Wiederkunft Christi, die stetige Wachsamkeit wegen des unbekannten Zeitpunkts, die Schwierigkeiten der Endzeit, die Tyrannei des Antichrists vor der Wiederkunft des Herrn usw. finden sich etliche Aussagen bei den frühen Christen. Sie glaubten auch (ebenso wie Christen heute) daran, dass dann die leibliche Auferstehung der Toten (wobei ihre Körper sich wieder mit ihren Seelen vereinen) und das Jüngste Gericht, bei dem die Guten und Bösen öffentlich vor allen geschieden werden, folgen werden.

In der Didache, einer Gemeindeordnung von ca. 100 n. Chr., heißt es ganz am Ende über die Prüfungen und Leiden der Endzeit und dann über die Wiederkunft Christi:

„‚Wachet‘ für euer Leben; ‚eure Lampen sollen nicht ausgehen und der Gurt um eure Lenden‘ soll sich nicht lockern, ’seid vielmehr bereit, denn ihr wisset nicht die Stunde, in der unser Herr kommt‘. Ihr sollt fleißig zusammenkommen, indem ihr nach dem strebet, was euren Seelen zukommt; denn es wird euch die ganze Zeit des Glaubens nichts nützen, wenn ihr nicht in der letzten Stunde vollkommen seid. Denn in den letzten Tagen werden sich mehren die falschen Propheten und die Verderber, und die Schafe werden zu Wölfen umgewandelt, und die Liebe wird verwandelt werden in Hass. Wenn nämlich die Gesetzwidrigkeit sich steigert, werden sie einander hassen, verfolgen und ausliefern, dann wird erscheinen der Verführer der Welt, wie der Sohn Gottes wird er auch ‚Zeichen und Wunder tun‘, und die Erde wird in seine Hände überliefert werden, und er wird Greuel verüben, wie sie von Ewigkeit her noch nicht geschehen sind. Dann wird das Geschlecht der Menschen kommen in das Feuer der Prüfung, und ‚viele werden Ärgernis nehmen‘ und zugrunde gehen; die aber ausharren in ihrem Glauben, werden von dem (durch die Verführer) Verfluchten selbst ‚gerettet werden‘. ‚Und dann werden die Zeichen der Wahrheit erscheinen; zuerst das Zeichen, dass der Himmel sich auftut, dann das Zeichen des Trompetenschalles‘ und das dritte: die Auferstehung der Toten, aber nicht aller, sondern, wie gesagt ward: ‚Kommen wird der Herr und alle Heiligen mit ihm‘. ‚Dann wird die Welt den Herrn kommen sehen auf den Wolken des Himmels‘.“ (Didache 16)

Papst Clemens von Rom schreibt um 95 n. Chr.:

„Wahrhaftig, schnell und plötzlich wird sein Wille Vollendung finden, da ja auch die Schrift selbst hierfür Zeugnis gibt: ‚Schnell wird er kommen und nicht zögern, und plötzlich wird einziehen der Herr in seinen Tempel und der Heilige, den ihr erwartet‘.“ (1. Clemensbrief 23,5)

Bischof Ignatius von Antiochia schreibt um 107 n. Chr. in seinen Briefen folgendes:

„Die letzten Zeiten sind da; deshalb wollen wir auf der Hut sein und Furcht haben vor Gottes Langmut, dass sie uns nicht zum Gerichte werde. Entweder müssen wir Furcht haben vor dem kommenden Zorn oder die gegenwärtige Gnade lieben, eins von beiden, nur dass wir in Christus Jesus erfunden werden zum wahren Leben.“ (Brief des Ignatius an die Epheser 11,1)

„Lerne die Zeiten kennen. Den erwarte, der über der Zeit ist, den Zeitlosen, den Unsichtbaren, der unseretwegen sichtbar geworden, den Unbetastbaren, den Leidenlosen, der unseretwegen gelitten hat, der auf alle Arten unseretwegen geduldet hat.“ (Brief des Ignatius an Polykarp 3,2)

Justin der Märtyrer schreibt um 150 n. Chr. in einer Schrift, in der er den christlichen Glauben gegenüber den Heiden verteidigt:

„Die Propheten haben nämlich ein zweimaliges Kommen Christi vorhergesagt, das eine, das schon der Geschichte angehört, als das eines mißachteten und leidensfähigen Menschen, das andere aber, wenn er ihrer Verkündigung gemäß in Herrlichkeit vom Himmel her mit seiner Engelschar erscheinen wird, wenn er auch die Leiber aller Menschen, die je gelebt haben, wieder auferwecken und die der Würdigen mit Unverweslichkeit bekleiden, die der Ungerechten aber in ewiger Empfindungsfähigkeit mit den bösen Geistern ins ewige Feuer verweisen wird.“ (Justin, 1. Apologie 52)

In einer Fortsetzung dieser Schrift schreibt er:

„Darum, nämlich um der zarten Saat des Christentums willen, das Gott als Grund für den Fortbestand der Natur ansieht, verzögert er den Untergang und die Zerstörung der ganzen Welt, durch die dann auch die bösen Engel, Dämonen und Menschen ihr Ende finden würden. Wenn das nicht wäre, so könntet auch ihr nicht mehr solches tun und euch von den bösen Dämonen als Werkzeuge gebrauchen lassen; es hätte vielmehr das herniederfahrende Feuer des Gerichtes schonungslos allein ein Ende gemacht, wie einst die große Flut, die niemanden übrig ließ als den Noe allein mit den Seinen; so nennen wir jenen, während er bei euch Deukalion heißt, von dem dann wieder so viele Menschen entstammt sind, teils schlechte, teils gute.“ (Justin, 2. Apologie 6)

Und in einem Dialog mit einem Juden namens Tryphon sagt er:

„Wenn sich aber zeigt, daß seine Leidensmacht von solchen Wundern begleitet wurde und begleitet ist, wie groß sind erst die Wunder, wenn er in Herrlichkeit erscheint? Denn, wie Daniel offenbarte, wird er als Menschensohn auf den Wolken unter Begleitung von Engeln kommen.“ (Justin, Dialog mit Tryphon 31,1)

Auf die jüdische Ansicht, dass Jesus nicht der Messias gewesen sei, weil er nicht in Macht und Herrlichkeit gekommen sei, erwidert er, dass von den Propheten sowohl ein Leiden als auch ein Triumph des Messias vorhergesagt worden war:

„Die Toren, nicht verstehen sie, was immer wieder dargetan worden ist, daß es nämlich nach den Prophezeiungen zwei Parusien von ihm gibt; bei der einen leidet er, ist er der Herrlichkeit und der Ehre beraubt und wird er gekreuzigt gemäß der Verkündigung; bei der anderen wird er in Herrlichkeit vom Himmel erscheinen. Diese tritt dann ein, wenn der Mann der Apostasie, der auch gegen den Höchsten Ungehöriges predigt, auf Erden Sündhaftes gegen uns Christen wagt, die wir von dem Gesetze und dem Worte, das aus Jerusalem durch Jesu Apostel ausging, Gottesverehrung gelernt und zu dem Gotte Jakobs und dem Gotte Israel unsere Zuflucht genommen haben.“ (Justin, Dialog mit Tryphon 110,2)

Im 2. Clemensbrief heißt es:

„Wisset nämlich, dass bereits der Tag des Gerichtes kommt wie ein glühender Ofen, und ein Teil der Himmel wird schmelzen, und die ganze Erde (wird sein) wie Blei, das auf dem Feuer schmilzt, und dann werden sichtbar werden die geheimen und offenen Werke der Menschen.“ (2. Clemensbrief 16,3)

„Denn der Herr hat gesagt: ‚Ich komme, um alle Völker, Stämme und Sprachen zu versammeln.‘ Damit meint er den Tag seines Erscheinens, wenn er kommen und uns erlösen wird, jeden nach seinen Werken. Und sehen werden seine Herrlichkeit und seine Macht die Ungläubigen, und sie werden verwundert anstaunen das Weltreich Jesu und sagen: Wehe uns, da du warst, und wir wussten es nicht und glaubten nicht und gehorchten nicht den Presbytern, die uns von unserem Heile predigten; und ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht erlöschen, und sie werden am Pranger stehen für jegliches Fleisch. Er meinte jenen Tag des Gerichtes, wenn sie diejenigen sehen werden, die unter uns gottlos lebten und die Gebote Jesu Christi übertraten. Wenn aber die Gerechten, die Gutes taten, die Prüfungen bestanden und die Lüste der Seele hassten, sehen, wie die vom Ziele Abgeirrten, die in Wort und Tat Jesus verleugneten, mit schrecklichen Qualen durch das unauslöschliche Feuer gepeinigt werden, werden sie ihren Gott verherrlichen und sprechen: Gute Hoffnung wird sein für den, der Gott aus ganzem Herzen gedient hat.“ (2. Clemensbrief 17,4-7)

Irenäus von Lyon schreibt um 180 n. Chr.:

„Aber für alle zumal ist er der Erhalter und Ernährer, der König und Richter. Denn niemand wird seinem Gerichte entrinnen, nicht Jude noch Heide und kein Sünder aus den Reihen der Gläubigen und kein Engel. Diejenigen, welche jetzt seiner Güte nicht vertrauen, werden im Gerichte seine Macht erkennen, gemäß dem Worte des Apostels: ‚Du weißt nicht, daß die Güte Gottes dich zur Buße führt, sondern sammelst in Halsstarrigkeit und Unbußfertigkeit des Herzens den Zorn für den Tag der Rache und der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken.'“ (Irenäus, Erweis der Apostolischen Verkündigung 8)

„Auferstanden und erhöht verharrt er zur Rechten des Vaters bis zur vom Vater festgesetzen Stunde des Gerichts über alle seine Feinde nach ihrer Unterwerfung. Die Zahl seiner Feinde in ihrer Gesamtheit besteht aus den abgefallenen Engeln, Erzengeln, Mächten und Thronen, welche die Wahrheit mißachten.“ (Irenäus, Erweis der apostolischen Verkündigung 85)

Über den Antichrist, der in der Endzeit auftreten soll, schreibt Irenäus:

„Weiterhin erweist sich auch aus dem, was unter dem Antichrist geschehen soll, daß der Apostat und Räuber als Gott verehrt werden und als König ausgerufen werden will, obwohl er doch ein Sklave ist. Indem nämlich jener alle Kraft des Teufels annehmen wird, wird er nicht als gerechter König kommen, nicht als gesetzmäßiger in der Unterwerfung unter Gott, sondern als ein ungerechter, gesetzloser, gottloser, als Apostat, Übeltäter, Menschenmörder und Räuber, der die Apostasie des Teufels in sich rekapituliert. Die Götzen wird er abtun und sich selbst als Gott ausgeben, sich als den einzigen Götzen erheben, der in sich den mannigfachen Irrtum der übrigen Götzenbilder enthält, damit die, welche in mancherlei Greueln den Teufel anbeten, ihm in dem einen Götzen dienen. Von ihm spricht der Apostel in dem zweiten Thessalonicherbriefe, wenn er sagt: ‚Zuerst muß der Abfall kommen und der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, offenbar werden, der bekämpft und sich erhebt über alles, was Gott heißt oder als Gott verehrt wird, so daß er sitzet im Tempel Gottes, indem er sich selbst zeigt, gleich als ob er Gott sei.‘ Deutlich also hat der Apostel seine Apostasie kundgetan und verkündet, dass er sich über alles, was Gott heißt, erheben wird, oder was als Gott verehrt wird, d. h. über alle Götzenbilder — denn diese werden von den Menschen so genannt, sind es aber nicht —, und daß er nach Tyrannenart versuchen wird, sich als Gott zu zeigen.

Ferner lehrt er auch offenkundig, was wir schon vielfach gezeigt haben, daß der Tempel zu Jerusalem auf Anordnung des wahren Gottes erbaut wurde. Denn der Apostel nennt für seine Person ihn ausdrücklich den Tempel Gottes. Wir haben aber im dritten Buche gezeigt, daß die Apostel für ihre Person niemand Gott nennen als den, welcher in Wahrheit Gott ist, den Vater unseres Herrn, auf dessen Befehl der Tempel in Jerusalem aus den angegebenen Gründen gebaut worden ist. Hier wird der Feind sitzen und versuchen, sich als Christus auszugeben, wie der Herr spricht: ‚Wenn ihr aber sehen werdet den Greuel der Verwüstung, welcher durch den Propheten Daniel verkündet ist, der auf dem heiligen Orte steht, wer es liest, verstehe es, dann mögen fliehen, die in Judäa sind, auf die Berge, und wer auf dem Dache ist, steige nicht herab, etwas aus dem Hause zu holen. Es wird nämlich dann eine große Angst sein, wie sie nicht geschehen ist vom Anfang der Welt bis jetzt, noch geschehen wird.'“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,25,1-2)

Außerdem schreibt er über die Zahl 666, die in der Offenbarung des Johannes (Offb 13,18: Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig“) mit dem Antichrist verbunden wird (im Griechischen konnten die Buchstaben auch Zahlen bedeuten, und jeder Name konnte daher auch als Zahl, nämlich als Quersumme seiner einzelnen Buchstaben, gelesen werden).

„Wenn daher am Ende die Kirche plötzlich erhöht werden wird, dann wird, wie geschrieben steht, ‚eine Trübsal sein, wie sie von Anfang an nicht gewesen ist, noch sein wird‘. Das ist nämlich der letzte Kampf der Gerechten, in welchem die Sieger mit Unverweslichkeit gekrönt werden.

Deshalb ist das ‚kommende Tier‘ die Zusammenfassung aller Ungerechtigkeit und allen Truges, damit in ihm der Abschluß und die Summe aller apostatischen Macht in den Feuerofen geworfen wird. Entsprechender Weise nun wird auch sein Name die Zahl 666 aufweisen, indem sie in sich alle Bosheit zusammenfaßt, die vor der Sintflut gewesen ist und eine Folge der Apostasie der Engel war. Noe nämlich war 600 Jahre alt, als die Sintflut über die Erde hereinbrach und die Empörung der Erde wegen des ganz verdorbenen Geschlechtes hinwegschwemmte, das zu Noes Zeiten lebte. Und dann rekapitulierte es auch den gesamten Greuel der Götzenbildner nach der Sintflut und die Ermordung der Propheten und die Verbrennung der Gerechten. Denn das von Nabuchodonosor errichtete Götzenbild war 60 Fuß hoch und 6 Ellen breit; und seinetwegen wurden Ananias, Azarias und Misael, die es nicht anbeteten, in den Feuerofen geworfen, indem sie durch ihr Schicksal auf die Verbrennung der Gerechten am Ende der Zeiten hinwiesen. Das Bild als solches aber wies hin auf die Ankunft jenes, der von allen Menschen überhaupt als der Einzige angebetet werden wollte. Die 600 Jahre des Noe also, unter dem die Sintflut wegen der Apostasie hereinbrach, und die Ellenzahl des Bildes, dessentwegen die Gerechten in den Feuerofen geworfen wurden, weist auf die Namenszahl dessen hin, in dem alle Apostasie, Ungerechtigkeit, Bosheit, Pseudoprophetie und List der sechstausend Jahre rekapituliert wird, derentwegen die Feuerflut hereinbrechen wird.“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,29,1-2)

„So also verhält sich die Sache, und in allen bewährten und alten Handschriften findet sich diese Zahl; und die, welche Johannes von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, bezeugen es, und die Rechnung lehrt es, daß die Namenszahl des Tieres nach griechischer Zählung in den einzelnen Buchstaben die Zahl 666 ergibt, in der die Zehner gleich den Hunderten und die Hunderte gleich den Einern sind. Die Zahl 6, dreimal wiederholt, stellt die Rekapitulation der gesamten Apostasie im Anfang, in den mittleren Zeiten und am Ende dar. So weiß ich nicht, wie einige irrtümlicher Weise, die Zahl um 50 vermindernd, auf 616 gekommen sind. Doch vermute ich einen Fehler der Abschreiber, die den gewöhnlichen griechischen Buchstaben, der 60 bedeutet, für Jota, d. h. 10, genommen haben. Dann haben die einen das ohne Untersuchung angenommen, die andern schlecht und recht den Zehner beibehalten; andere aber wagten dann in ihrer Unwissenheit, auch Namen aufzusuchen, welche diese falsche und irrtümliche Zahl aufweisen. Die nun arglos und in Einfalt dies getan haben, denen wird es Gott Ja verzeihen. Die aber eitlen Ruhmes halber Namen mit dieser falschen Zahl aufstellen, und den von ihnen erfundenen Namen als den Namen desjenigen ausgeben, der da kommen soll, die werden nicht straflos ausgehen, da sie sich selbst und ihre Anhänger verführt haben. Zunächst besteht ihre Strafe darin, daß sie eben von der Wahrheit abgewichen sind und das nicht Seiende als wirklich annehmen; sodann wird notwendig keine geringe Strafe den treffen, der zu der Schrift etwas hinzusetzt oder von ihr etwas fortnimmt. Und schließlich besteht keine geringe Gefahr für die, welche sich fälschlich einbilden, seinen Namen zu wissen. Wenn er nämlich in Wirklichkeit einen andern Namen haben wird, als sie glauben, dann werden sie leicht von ihm verführt werden, so als ob der noch gar nicht da wäre, vor dem sie sich geziemend hüten sollten. […]

Wissen sie aber die von der Schrift angegebene zuverlässige Zahl, d. h. 666, dann mögen sie zunächst die Teilung des Reiches unter die 10 Könige abwarten. Wenn dann diese regieren und anfangen, ihre Sachen auszuführen und ihr Reich zu mehren, und alsdann unvermutet der kommt, der die Herrschaft an sich reißt und die Vorgenannten in Schrecken setzt und den Namen mit der genannten Zahl führt, dann mögen sie diesen in Wahrheit als den Greuel der Verwüstung erkennen. […]

Sicherer und gefahrloser ist es also, die Erfüllung dieser Prophetie abzuwarten, als allerlei Namen zu vermuten und zu weissagen. Gibt es doch viele Namen der genannten Zahl, und somit kommt die Sache nicht weiter. Denn wenn es viele Namen gibt, welche diese Zahl aufweisen, dann bleibt immer die Frage offen, welchen von diesen er führen wird. Dies sagen wir nicht aus Mangel an solchen Namen, sondern aus Gottesfurcht und Liebe zur Wahrheit. Der Name Eythanos hat die gesuchte Zahl, doch wollen wir darüber nichts sagen. Lateinos hat auch die Zahl 666, und es ist sehr wahrscheinlich, daß das letzte Reich so heißen wird. Denn die Lateiner herrschen heute, doch wollen wir uns dessen nicht rühmen. Aber am meisten von allen Namen, die sich bei uns vorfinden, ist der Name Teitan glaubwürdig, die erste Silbe mit den beiden griechischen Vokalen e und i geschrieben. Er weist die genannte Zahl auf und hat sechs Buchstaben, indem jede Silbe aus drei Buchstaben besteht, und ist alt und abgelegen. Denn keiner von unsern Königen hieß Titan, noch trug einer von den griechischen oder barbarischen Götzen diesen Namen. Trotzdem gilt er bei vielen als göttlich, so dass bei den Modernen die Sonne Titan genannt wird, und enthält auch einen gewissen Hinweis auf Rache und einen Rachebringer, weil jener sich den Anschein gibt, die schlecht Behandelten zu rächen. Und auch sonst ist es ein alter, glaubwürdiger, königlicher oder vielmehr tyrannischer Name. Da also der Name Titan soviel Gründe für sich hat, so hat nach all dem es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß der, welcher kommen wird, vielleicht Titan genannt wird. Doch wollen wir uns nicht in Gefahr begeben und den Anschein erwecken, als ob wir über den Namen des Antichrists etwas Bestimmtes wüßten. Läge nämlich für die Verkündigung desselben im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Notwendigkeit vor, dann wäre er gewiß durch den gemeldet worden, der die Apokalypse geschaut hat. Das ist aber vor gar nicht langer Zeit geschehen, sondern soeben erst am Ende der Regierung des Domitian.

Diese Namenszahl offenbarte er, damit wir uns vor seinem Kommen hüten und wissen, wer er ist. Seinen Namen aber hat er verschwiegen, weil er nicht würdig ist, vom Hl. Geiste verkündet zu werden. Wäre er verkündet worden, dann würde er vielleicht für lange bleiben. Nun aber ‚war er und ist nicht, er wird aufsteigen aus dem Abgrunde und geht ins Verderben‘, gleich als ob er nicht wäre. So ist auch sein Name nicht verkündet worden, denn was nicht ist, davon wird auch der Name nicht verkündet. Wenn aber dieser Antichrist alles auf dieser Welt verwüstet haben wird, indem er drei Jahre und sechs Monate regierte und in dem Tempel zu Jerusalem thronte, dann wird der Herr vom Himmel in den Wolken in der Herrlichkeit des Vaters kommen. Jenen wird er samt seinem Anhang in den Feuerpfuhl werfen, für die Gerechten aber wird er die Zeiten des Reiches herbeiführen, d. h. die Ruhe, den heiligen siebenten Tag; wiederherstellen wird er die dem Abraham versprochene Erbschaft, und in diesem Reiche werden nach dem Worte des Herrn ‚viele vom Aufgang und Untergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen‘.“ (Irenäus, Gegen die Häresien V,30,1-4)

Interessant ist auch die „Offenbarung des Petrus“. Entstanden vermutlich in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, gab sie sich als Schrift des Apostels Petrus aus. Ihr Status war umstritten; der Kanon Muratori erkennt sie als Teil der Bibel an; letztlich wurde sie aber nicht in den Kanon aufgenommen. Dennoch wurde sie als rechtgläubig betrachtet.

In diesem Text ist Jesus mit den Aposteln auf dem Ölberg und erklärt ihnen Dinge über das Weltgericht, die Hölle und den Himmel. Dabei zitiert die Petrusapokalypse die kanonischen Evangelien und schmückt deren Texte aus. Ein falscher Messias (der Antichrist) wird für die Endzeit angekündigt, der vor der Wiederkunft Jesu auftreten soll. Ausführlich geht es dann um die leibliche Auferstehung der Toten, und darum, dass alle, die so auferstanden sind, zum Gericht zitiert werden. Ebenso wie bei Paulus wird hier auch eine Bekehrung vieler Juden am Ende der Zeiten vorhergesagt.

„Und indem er auf dem Ölberg saß, traten zu ihm die Seinigen, und wir beteten ihn an und flehten einzeln ihn an und baten ihn, indem wir zu ihm sagten: ‚Tue uns kund, was die Zeichen deiner Parusie [Wiederkunft] und des Endes der Welt sind, damit wir erkennen und merken die Zeit deiner Parusie und die nach uns Kommenden unterweisen, denen wir das Wort deines Evangeliums predigen und die wir in deiner Kirche einsetzen, damit sie, wenn sie es hören, sich in acht nehmen, daß sie merken die Zeit deiner Parusie.‘ Und unser Herr antwortete uns, indem er zu uns sagte: ‚Gebt acht, daß man euch nicht verführe und daß ihr nicht Zweifler werdet und anderen Göttern dienet. Viele werden kommen in meinem Namen, indem sie sagen: ‚Ich bin Christus.‘ Glaubet ihnen nicht und nähert euch ihnen nicht. Denn die Parusie des Gottessohnes wird nicht offenbar sein, sondern wie der Blitz, der scheint vom Osten bis zum Westen, so werde ich kommen auf der Wolke des Himmels mit großem Heer in meiner Herrlichkeit; indem mein Kreuz vor meinem Angesicht hergeht, werde ich kommen in meiner Herrlichkeit; indem ich siebenmal so hell wie die Sonne leuchte, werde ich kommen in meiner Herrlichkeit mit allen meinen Heiligen, meinen Engeln, wenn mein Vater mir eine Krone aufs Haupt setzt, damit ich richte die Lebendigen und die Toten und jedem vergelte nach seinem Tun.

Und ihr – nehmet von dem Feigenbaum das Gleichnis davon: Sobald sein Sproß hervorgekommen und seine Zweige getrieben sind, wird eintreten das Ende der Welt.‘ – Und ich, Petrus, antwortete ihm und sagte zu ihm: ‚Deute mir betreffs des Feigenbaums, [und] woran wir das erkennen, denn alle seine Tage hindurch sproßt der Feigenbaum und jedes Jahr bringt er seine Frucht [und] seinen Herren. Was bedeutet (also) das Gleichnis vom Feigenbaum? Wir wissen es nicht.‘ Und es antwortete mir der Meister und sagte zu mir: ‚Verstehst du nicht, daß der Feigenbaum das Haus Israel ist? Wie ein Mann in seinem Garten einen Feigenbaum gepflanzt hatte und der brachte nicht Frucht. Und er suchte seine Frucht lange Jahre. Und da er sie nicht fand, sagte er zu dem Hüter seines Gartens: ‚Reiß diese Feige aus, damit sie uns nicht unser Land unfruchtbar sein läßt!‘ Und der Gärtner sagte zu Gott: ‚Wir Diener (?) wollen ihn (vom Unkraut) reinigen und den Boden unter ihm umgraben und ihn mit Wasser begießen. Wenn er dann nicht Frucht bringt, wollen wir sogleich seine Wurzeln aus dem Garten entfernen und einen anderen an seiner Statt pflanzen.‘ Hast du nicht begriffen, daß der Feigenbaum das Haus Israel ist? Wahrlich, ich sage dir, wenn seine Zweige getrieben haben am Ende, werden lügnerische Christusse kommen und die Hoffnung erwecken (mit den Worten): ‚Ich bin der Christus, der ich (einst) in die Welt gekommen bin.‘ Und wenn sie die Bosheit seines Tuns sehen, werden sie sich abwenden hinter ihnen her und den verleugnen, dem unsere Väter Lobpreis sagten (?), die den ersten Christus kreuzigten und damit schwer sündigten. Dieser Lügnerische ist aber nicht Christus. Und wenn sie ihn verschmähen, wird er mit Schwertern (Dolchen) morden, und es wird viele Märtyrer geben. Alsdann werden die Zweige des Feigenbaumes, d. h. des Hauses Israels, treiben, allein es werden viele durch seine Hand Märtyrer werden, sie werden sterben und Märtyrer werden. Henoch und Elias werden gesandt werden, um sie zu belehren, daß das der Verführer ist, der in die Welt kommen und Zeichen und Wunder tun muß, um zu verführen. Und deshalb werden diese, welche durch seine Hand gestorben sind, Märtyrer und werden gerechnet zu den guten und gerechten Märtyrern, welche Gott in ihrem Leben gefallen haben.‘

Und er zeigte mir in seiner Rechten die Seelen von allen (Menschen) und auf seiner rechten Handfläche das Bild von dem, was sich am jüngsten Tage erfüllen wird; und wie die Gerechten und die Sünder geschieden werden, und wie diejenigen tun (?) werden, die rechten Herzens sind, und wie die Übeltäter für alle Ewigkeit ausgerottet werden. Wir sahen, wie die Sünder in großer Betrübnis und Trauer weinten, bis alle, die es mit ihren Augen sahen, weinten, seien es Gerechte oder Engel oder auch er selbst. Ich aber fragte ihn und sagte zu ihm: ‚O Herr, erlaube mir, daß ich inbetreff dieser Sünder dein Wort sage: ‚Es wäre ihnen besser, sie wären nicht geschaffen‘.‘ Und der Heiland antwortete mir und sagte zu mir: ‚O Petrus, warum redest du so, ‚das Nichtgeschaffensein wäre ihnen besser‘? Du bist es, der wider Gott streitet. Du würdest dich seines Gebildes nicht mehr erbarmen als er; denn er hat sie geschaffen und hat sie dahin gebracht, wo sie (vorher) nicht waren (wohl = und hat sie aus dem Nichtsein ins Dasein gebracht). Und weil du gesehen hast die Klage, welche die Sünder treffen wird in den letzten Tagen, darum ist dein Herz betrübt, aber ich will dir ihr Tun zeigen, mit dem sie sich an dem Höchsten versündigt haben.

Sieh jetzt, was sie treffen wird in den letzten Tagen, wenn der Tag Gottes kommt. Und am Tage der Entscheidung des Gerichtes Gottes werden alle Menschenkinder vom Osten bis zum Westen vor meinem Vater, dem ewig Lebendigen, versammelt werden, und er wird der Hölle gebieten, daß sie ihre stählernen Riegel öffnet und alles, was in ihr ist, zurückgibt. Und den wilden Tieren und Vögeln wird er gebieten, daß sie alles Fleisch, was sie gefressen haben, zurückgeben, indem er will, daß die Menschen (wieder) sichtbar werden; denn nichts geht für Gott zugrunde und nichts ist ihm unmöglich, da alles sein ist. Denn alles (geschieht) am Tage der Entscheidung, am Tage des Gerichtes mit dem Sprechen Gottes, und alles geschieht, wie er die Welt schafft, und alles, was darin ist, hat er geboten, und alles geschah; ebenso in den letzten Tagen, denn alles ist Gott möglich und also sagt er in der Schrift: ‚Menschenkind, weissage über die einzelnen Gebeine und sage zu den Knochen: Knochen zu den Knochen in Glieder, Muskel, Nerven, Fleisch und Haut und Haare darauf‘. Und Seele und Geist soll der große Urael [ein außerbiblischer Engelsname] auf Befehl Gottes geben. Denn ihn hat Gott bestellt bei der Auferstehung der Toten am Tage des Gerichtes. Sehet und bedenkt die Samenkörner, die in die Erde gesät sind. Wie etwas Trockenes, das seelenlos ist, sät man sie in die Erde. Und sie leben auf, bringen Frucht, und die Erde gibt (sie) wieder wie ein anvertrautes Pfand. Und dieses, was stirbt, was als Same in die Erde gesät wird, lebendig wird und dem Leben zurückgegeben wird, ist der Mensch. Wie viel mehr wird Gott die an ihn Gläubigen und von ihm Erwählten, um derentwillen er (die Erde) gemacht hat, auferwecken am Tage der Entscheidung, und alles wird die Erde wiedergeben am Tage der Entscheidung, weil sie an ihm zugleich mit gerichtet werden soll und der Himmel mit ihr.

Und es wird geschehen am Tage des Gerichtes derer, die abgefallen sind vom Glauben an Gott und die Sünde getan haben: Feuerkatarakte werden losgelassen, und Dunkel und Finsternis wird eintreten und die ganze Welt bekleiden und einhüllen, und die Wasser werden sich verwandeln und gegeben werden in feurige Kohlen und alles in ihr (d. Erde?) wird brennen, und das Meer wird zu Feuer werden; unter dem Himmel ein bitteres Feuer, das nicht verlöscht, und fließt zum Gericht des Zorns. Und die Sterne werden zerfließen durch Feuersflammen, als ob sie nicht geschaffen wären, und die Festen des Himmels werden aus Mangel an Wasser dahingehen und werden wie ungeschaffen. Und nicht (?) mehr werden sein die Blitze des Himmels, und durch ihre Zauberei werden sie die Welt erschrecken (vielleicht: Der Himmel wird zu Blitzen werden, und seine Blitze werden die Welt erschrecken). Und der Geist der Leichname wird ihnen gleichen und auf Befehl Gottes Feuer werden. Und sobald die ganze Schöpfung sich auflöst, werden die Menschen im Osten nach Westen fliehen [und die im Westen] nach Osten fliehen; und die im Süden werden nach Norden fliehen und die im [Norden nach] Süden, und überall wird sie der Zorn schrecklichen Feuers treffen. Und indem eine unverlöschliche Flamme sie treibt, bringt sie sie zum Zorngericht in den Bach unverlöschlichen Feuers, der fließt, indem Feuer darin flammt, und indem seine Wogen sich eine von der anderen im Sieden trennen, entsteht viel Zähneknirschen der Menschenkinder.

Und alle werden sehen, wie ich auf ewig glänzender Wolke komme und die Engel Gottes, die mit mir sitzen werden auf dem Thron meiner Herrlichkeit zur Rechten meines himmlischen Vaters. Der wird eine Krone auf mein Haupt setzen. Sobald das die Völker sehen, werden sie weinen, jedes Volk für sich. Und er wird ihnen befehlen, daß sie in den Feuerbach gehen, während die Taten jedes einzelnen von ihnen vor ihnen stehen. [Es wird vergolten werden] einem jeden nach seinem Tun. Betreffs der Erwählten, die Gutes getan haben, sie werden zu mir kommen, indem sie den Tod verzehrenden Feuers nicht sehen werden (?). Die Bösewichter, Sünder und Heuchler aber werden in den Tiefen nicht verschwindender Finsternis stehen, und ihre Strafe ist das Feuer, und Engel bringen ihre Sünden herbei; und bereiten ihnen einen Ort, wo sie für immer bestraft werden, je nach ihrer Versündigung.“ (Petrusoffenbarung 1-6, in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2. Band. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 4. Aufl., Tübingen 1971, S. 472-475.)

(Anschließend werden einzelne Sündergruppen und ihre Strafen aufgezählt; u. a. finden sich da Mörder, Ehebrecher, Eltern, die ihre Kinder abgetrieben haben, Christenverfolger, unbarmherzige Reiche. Dann geht es noch um den Lohn der Auserwählten. Aber zu genauen Vorstellungen von Himmel und Hölle in einem anderen Teil.)

In der Epistula Apostolorum, einer Schrift, die sich als Brief der Apostel ausgibt, sagt Jesus den Jüngern nach Seiner Auferstehung folgendes:

„Und er sprach zu uns: ‚Wahrlich, ich sage euch, ich werde kommen wie die Sonne, die erglänzt, so werde ich, indem ich siebenmal mehr als sie in Herrlichkeit leuchte, während ich auf dem Flügel der Wolke getragen werde in Glanz und indem mein Kreuz vor mir einhergeht, auf die Erde kommen, daß ich richte die Lebendigen und die Toten.

Und wir sprachen zu ihm: ‚O Herr, wie viel Jahre noch?‘ Und er sprach zu uns: ‚Wenn das hundertundfünfzigste Jahr vollendet ist, zwischen Pfingsten und Pascha wird stattfinden die Ankunft meines Vaters.‘ Und wir sprachen zu ihm: ‚O Herr, jetzt hast du zu uns gesagt: Ich werde kommen – und wiederum hast du gesagt: es wird kommen, der mich gesandt hat.‘ Und er sprach zu uns: ‚Ich bin ganz im Vater und der Vater in mir.'“ (Epistula Apostolorum 16(27)-17(28), in: Edgar Hennecke u. Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 1. Band. Evangelien, 4. Auflage, Tübingen 1968, S. 134f.)

Und:

„Wahrlich ich sage euch: ‚Das Fleisch wird auferstehen mit der Seele lebendig, damit sie bekennen und gerichtet werden mit dem Werk, was sie getan haben, es sei Gutes oder Böses, auf daß es werde zu einer Auswahl und Darstellung für die, welche geglaubt und getan haben das Gebot meines Vaters, der mich gesandt hat. Darauf wird das gerechte Gericht stattfinden; denn so will es mein Vater, und er sprach zu mir: Mein Sohn, am Tage des Gerichts sollst du dich vor dem Reichen nicht scheuen und den Armen nicht schonen, sondern übergib einen jeden gemäß seiner Sünde ewiger Bestrafung. Denjenigen aber, die mich geliebt haben und mich lieben und welche mein Gebot getan haben, werde ich Ruhe im Leben verleihen im Reiche meines himmlischen Vaters. Siehe, schaut, was für eine Macht er mir verliehen hat, und er hat mir gegeben, daß, … was ich will und wie ich gewollt habe, … und denen ich Hoffnung erweckt habe.“ (Epistula Apostolorum 26(37), in: Ebd., S. 140f.)

Und:

„Und er sprach zu uns: Dann werden die Gläubigen und auch die, welche nicht glauben werden, ein Horn am Himmel sehen und das Gesicht großer Sterne, die, während es Tag ist, sichtbar sind, und einen Drachen, indem er vom Himmel bis zur Erde reicht und indem Sterne, die wie Feuer sind, herabfallen und große Hagelschlossen von heftigem (?) Feuer, und wie Sonne und Mond miteinander streiten, und beständig der Schrecken von Donner und Blitzen, Donnerkrachen und Erdbeben wie Städte einstürzen und bei ihrer Zerstörung Menschen sterben, beständig Dürre infolge Ausbleiben des Regens, eine große Pest und ein ausgebreitetes und häufiges schnelles Sterben, so daß denen, die sterben, das Begräbnis fehlen wird; und es wird das Hinausgehen (=Hinausgetragenwerden) von Kindern und Verwandten auf einem Bett (=Bahre) geschehen. Und der Verwandte wird sich seinem Kinde nicht zuwenden noch die Kinder ihrem Verwandten, und ein Mensch wird sich seinem Nächsten nicht zuwenden. Die Verlassenen aber, welche verlassen wurden, werden auferstehen und die sehen, welche sie verlassen haben, indem sie sie hinausbrachten, weil Pest (war). Alles ist Haß und Bedrängnis und Eifersucht, und dem einen wird man nehmen und dem anderen schenken, und wie dies wird sein, was nach diesem kommt.

Dann wird mein Vater wegen der Bosheit der Menschen in Zorn geraten; denn zahlreich sind ihre Versündigungen, und der Schauder vor ihrer Unreinheit ist sehr wider sie in der Verderbnis ihres Lebens. […]

Und er sprach zu uns: ‚In jenen Jahren und Tagen (wird) Krieg über Krieg (sein), und die vier Ecken der Welt werden erschüttert werden und werden sich gegenseitig bekriegen. Und darauf (wird eintreten) eine Wolkenbewegung, Finsternis und Dürre und Verfolgung derer, die an mich glauben und (trotzdem) der Bosheit folgen und eitle Lehre lehren. Und diesen wird man folgen und wird sich ihrem Reichtum, ihrer Verworfenheit, ihrer Trunksucht und ihrem Bestechungsgeschenk unterwerfen, und Ansehen der Person wird unter ihnen herrschen.“ (Epistula Apostolorum 34(45)-37(48), in: Ebd., S. 145-147.)

Über Endzeit und Antichrist heißt es im Barnabasbrief:

„Das vollkommene Ärgernis ist nahe gerückt, von dem in der Schrift steht, wie Henoch sagt. Dazu nämlich hat der Herr die Zeiten und die Tage abgekürzt, damit sein Geliebter sich beeile und zu seinem Erbe gelange. Es sagt aber auch der Prophet so: ‚Zehn Königsherrschaften werden herrschen auf Erden, und danach wird ein kleiner König aufstehen, der drei von den Königen auf einmal erniedrigen wird.‘ Ähnlich sagt über denselben Punkt Daniel: ‚Und ich sah das vierte Tier, böse und stark und wilder als alle Tiere des Meeres, und wie aus ihm herauswuchsen zehn Hörner und wie aus ihnen ein kleines Nebenhorn wuchs und wie es auf einmal drei der großen Hörner erniedrigte.'“ (Barnabasbrief 4,3-5)

Wie zu allen Zeiten gab es auch damals schon Vermutungen, wer konkret der Antichrist sein könnte oder wann konkret er kommen werde; der Kirchenhistoriker Eusebius erwähnt folgendes:

„Um diese Zeit gab Judas, ein anderer Schriftsteller, in einer Abhandlung über die siebzig Wochen Daniels eine Chronographie bis zum zehnten Jahre der Regierung des Severus. Er glaubte, das vielbesprochene Erscheinen des Antichrist sei schon damals nahe gewesen. So sehr hatte die damals gegen uns wütende Verfolgung die Gemüter der Massen erregt.“ (Eusebius, Kirchengeschichte VI,7)

(Diese Verfolgung fand ca. um 200 n. Chr. herum statt.)

Die christlichen Sibyllinen (dichterische Weissagungen) sagen über die Endzeit und das Jüngste Gericht folgendes (dabei kommt auch der nicht in der Bibel erwähnte Engelsname Uriel vor):

„Und Gott wird alsdann ein großes Zeichen vollführen.
Denn es erglänzt ein Stern einem leuchtenden Kranze fast ähnlich,
Glänzend und überall leuchtend herab vom strahlenden Himmel
Und nicht wenige Tage hindurch; denn vom Himmel wird er dann
Zeigen am Siegerkranz den Menschen, die ihn sich erkämpfen.
Dann aber kommt auch die Zeit des festlichen großen Triumphzugs
In die himmlische Stadt, und zwar sämtlichen Menschen gemeinsam
Wird auf Erden er sein und den Ruhm der Unsterblichkeit haben.
Und es wird jedes Volk alsdann in unsterblichen Kämpfen
Ringen um herrlichen Sieg; denn nicht wird einer dann schamlos
Dort einen silbernen Kranz um Geld sich können erwerben;
Denn als Ordner des Kampfs mit strenger Gerechtigkeit waltet
Christus: den Besten verleiht er den Kranz, und die Märtyrerkrone
Allen, die treu und beharrlich den Kampf bis zum Tode durchkämpften.
Auch jungfräulichen Seelen, die rühmlich durchmaßen die Laufbahn,
Gibt er den Preis und jedem, der Recht und Gerechtigkeit übte,
Unter den Menschen zumal und den Völkern anderer Länder,
Welche untad’lig gelebt und Gott den Einen erkannten.
Denen jedoch, die lieben die Eh‘ und der Buhlerei fremd sind,
Gibt er reiche Geschenke dazu und ewige Hoffnung.
Denn eine jegliche Seele der Menschen ist göttliche Gabe,
Und kein Recht hat der Mensch, sie mit allerlei Schmach zu beflecken.
Dies ist der Kampf, dies ist das Bemühen und solches der Kampfpreis;
Das ist des Lebens Tür und das der Unsterblichkeit Eingang,
Welchen der himmlische Gott den gerecht befundenen Menschen
Setzte als Siegespreis. Die eher ruhmreich erhalten
Jenen Kranz, die werden durch diesen Eingang hindurchgehen.
Wenn aber einst auf der ganzen Welt dies Zeichen erscheinet,
Kinder von der Geburt an ergraut sind an ihren Schläfen,
Dann überkommt Pest, Hunger und Krieg als Drangsal der Menschen,
Wechsel der Zeiten und Kummer und Leid und zahllose Tränen.
Ach, wie vieler Kinder in allen Ländern verzehren
Jammervoll klagend die Eltern, das Fleisch in die Mäntel gehüllet
Sie im Mutterschoß der Erde bestatten, besudelt
Ganz von Blut und von Staub; ihr elenden, feigen Gesellen,
O des letzten Geschlechts unglückliche Menschen, ihr Frevler,
Merket ihr nicht, verblendetes Volk, sobald zu gebären
Aufhört der Weiber Geschlecht, daß nahe die Ernte?
Nah ist Vernichtung und Ernte, sobald gleich Gottes Propheten
Lügner erscheinen auf Erden und predigen unter den Menschen.
Und auch Beliar kommt und tut viel Zeichen und Wunder
Unter den Menschen. Und dann wird große Verwirrung entstehen
Unter den Frommen und Treuen; Vernichtung der Auserwählten,
Auch der Hebräer erfolgt. Doch gewaltige Wut überkommt sie,
Wenn das Volk, in zwölf Stämme geteilt, von Osten erscheinet,
Um zu suchen das Volk, das Assyriens Sproß hat vernichtet,
Der vereinten Hebräer. Die Heiden dann gehen zugrunde.
Und dann werden beherrschen die übermütigen Menschen
Auserwählte und treue Hebräer, nachdem sie geknechtet
All ihre Feinde wie vordem, da niemals die Kraft sie verlassen.
Und der Höchste im Himmel, der alles und jegliches schauet,
Wird die Menschen in Schlummer versenken, die Lider beschwerend.
O glückselige Knechte, die wachsam, wenn er erscheinet,
Findet der Herr, die den bleiernen Schlaf von den Lidern verscheuchten
Stets sein Kommen erwartend mit nimmer ermüdenden Augen.
Früh wird’s sein oder spät, vielleicht auch mitten am Tage,
Einmal kommt er gewiß und so, wie ich sage, geschieht es.
Schlummernden wird er erscheinen, wenn einst am sternenreichen Himmel
Alle Gestirne am hellichten Tag werden allen sich zeigen
Samt den zwei Leuchten in rasch verlaufender Folge der Zeiten.
Und dann fährt der Thesbite vom Himmel herab auf die Erde,
Lenkend den himmlischen Wagen, und gibt drei Zeichen den Menschen,
Welche die Erde bewohnen, die Zeichen des endenden Lebens. […]
Weh den Unseligen, weh! die den Tag des Grauens erleben!
Denn stockfinstere Nacht umhüllt den unendlichen Erdkreis,
Mitternachtslande zugleich und Morgen und Abend und Mittag.
Dann aber wird ein mächtiger Strom von brennendem Feuer
Fließen vom Himmel herab und vernichten die herrliche Schöpfung:
Trocknes Land und Meer, des Ozeans bläuliche Fluten,
Seen und Flüsse und Quellen, den unerbittlichen Hades
Und das Himmelsgewölbe. Der Mond und die leuchtende Sonne
Fließen zusammen in eins, und alles wird Wüste und Öde;
Denn vom Himmel herab in den Ozean fallen die Sterne.
Sämtliche lebenden Menschen da werden mit Zähnen knirschen,
Brennend im Strom voller Schwefel und von dem anstürzenden Feuer
In der gewaltigen Flur, und Asche wird alles verhüllen.
[Und es veröden zugleich die sämtlichen Weltelemente:
Luft und Erde und Meer, Licht, Himmel und Tage und Nächte]
Nimmer durcheilen die Luft unzähliger Vögel Geschlechter,
Nicht mehr ziehn in den Fluten die Scharen der schwimmenden Fische,
Kein beladenes Schiff fährt über die schaukelnden Wogen,
Nimmer durchschneiden am Pflug die Stiere mit Furchen das Erdreich;
Aufhört das Rauschen der Bäume von Winden geschüttelt. Doch alles
Klumpt sich in eins zusammen und trennt sich zur Läuterung wieder.
Wenn aber nun die unsterblichen Boten des ewigen Gottes,
Michael, Gabriel, kommen zusammen mit Raphael, Uriel,
Die da wissen genau, was vordem Böses begangen
Jeglicher Mensch: die führen sodann aus nebligem Dunkel
Alle die Seelen heran zum Richterstuhl des großen
Ewigen Gottes und Herrn; denn unvergänglich allein ist
Er, der Beherrscher des Alls, und Er ist Richter der Menschen.
Seele und Atem hierauf und Stimme verleiht den Entschlaf’nen
Neuerdings Gottes Geheiß; die Gebeine, verbunden zu Gliedern
Mancherlei Zwecken gemäß, im Fleische die kräftigen Sehnen,
Adern und Haut, die die Muskeln umspannt, das frühere Haupthaar.
Wunderbar kräftig gefügt, beseelt und frei sich bewegend,
werden der Sterblichen Leiber an einem Tage erstehen.
Unerbittlich und unzerreißbar, erbarmungslos ist
Hades‘ Riesenverschluß der ganz aus Erz gefertigten Tore:
Doch Uriel, der gewaltige Bote zerreißt sie und öffnet,
Alle Gestalten voll Trauer er führt zum Gottesgerichte:
Jene Schattenbilder der längst vergang’nen Titanen
Und der Giganten [Anmerkung: mit Titanen und Giganten werden einige der frühesten Menschen gemeint sein], und welche die Sintflut hatte verschlungen,
Und die auf hoher See vernichtet die Woge des Meeres,
Und die die Tiere und Schlangen und Vögel haben zerrissen,
All die wird er jetzt rufen zum Throne des göttlichen Richters;
Wiederum all die Gestalten, die fleischvernichtendes Feuer
Hatte verbrannt, die sammelt und stellt er vor Gottes Gerichtsstuhl.
Wenn er die Toten erwecket, nachdem er ihr Schicksal erfüllet,
Und auf dem himmlischen Thron sich gesetzet und eine gewaltige Säule
Festgefügt Sabaoth Adonai, der Donn’rer der Höhe,
Dann in den Wolken der Ewige selber zum Ewigen kommet,
Christus in all seinem Glanz mit all seinen heiligen Engeln,
Und er setzt sich dem Großen zur Rechten und richtet vom Thron das
Leben der Frommen und auch der gottlosen Männer Gesinnung.
Moses erscheint, der Große, der Freund des unsterblichen Gottes,
Fleischumkleidet, und Abraham selbst, der Große, wird kommen,
Isaak und Jakob zugleich, Elias und Josua, Daniel,
Jonas und Habakuk auch, und die die Hebräer erschlugen.“
(Christliche Sibyllinen II,34-248, S. 504-507)

Und:

„Jedes Geschöpf auf Erden erwartet den Richttag in Angstschweiß.
Endlich erscheint vom Himmel herab der ewige König,
Seiner Verheißung getreu, was Fleisch ist auf Erden, zu richten.
Und es erblicken sodann die Sterblichen, seien sie gläubig,
Seien sie Feinde des Glaubens, am Ende der Zeiten den Höchsten:
Christum, gefolgt von der Heiligen Schar, der alles, was Fleisch ist,
Richtet, sobald verdorrt ist das Land und Dornen nur sprießen.
Ihre armseligen Götzen verwerfen die Menschen, mit Abscheu,
Spähendes Feuer verzehrt den Himmel, die Erd‘ und des Meeres
Tosende Flut und verbrennt die Kerkertore des Hades.
Und an das Licht der Freiheit gelangt von den Toten ein jeder,
So sich im Leben bewährt; die Bösen erwartet das Feuer.
Gründlich und offen bekennt, was er heimlich gesündigt, ein jeder.
Ohne Erbarmen durchleuchtet der Herr des Herzens Geheimnis.
Tausende heulen vor Wut, man hört das Knirschen der Zähne.
Traurig verbleichen die Sterne, der Glanz der Sonne verliert sich.
Ebenso schwindet der Mond. Es wankt das Himmelsgewölbe.
Schluchten und Täler erblickst du nicht mehr, die Berge versinken:
Scheidet ja doch auch Menschen nicht mehr der leidige Rangstreit.
Offenes Land ersetzt die Gebirge, und keines der Meere
Hat jetzt Schiffe zu tragen. Die Erde ist dürr und vertrocknet.
Nicht mehr murmelt der Quell, die rauschenden Ströme versiegen.
Eines nur störet die Stille des Tods: der Klang der Trompete.
Ruchlose Greuel beklagt sie, beklagt den Jammer der Menschheit.
Lüstern nach menschlichem Fleisch gähnt furchtbar des Tartarus Rachen.
Öffentlich flehn um gnädigen Spruch die stolzesten Herrscher.
Schwefliger Dampf, dem Feuer gesellt, ergießt sich vom Himmel.
Ein verläßliches Zeichen, ein kenntliches Siegel indessen
Richtet die Gläubigen auf: das Kreuz, die Säule der Hoffnung;
Kraft verleiht es den Frommen, zum Ärgernis dient es den Bösen,
Rettet und heilt die Erwählten in zwölffach sprudelnder Quelle,
Eint als eiserner Stab in der Hand des Hirten die Völker.“
(Christliche Sibyllinen VIII,217-248, in: Ebd., S. 519)

Und:

„Der Bedrückten nimm dich stets an und hilf dem Erschöpften,
Bring dieses lebende Opfer doch mir, dem lebendigen Gotte,
Jetzt nur säend ins Wasser, damit auch ich dir einst gebe
Unvergängliche Früchte; das ewige Leben sollst du haben,
Unverwesliches Leben, wenn alle ich prüfe im Feuer.
Alles werde ich schmelzen und wieder zur Läuterung scheiden,
Werde den Himmel erschüttern, die Schlünde der Erde eröffnen,
Und dann will ich die Toten erwecken, das Schicksal lösend
Und den Stachel des Todes, und alsbald komm‘ ich zum Gerichte,
Um zu richten das Leben der frommen und gottlosen Menschen;
Und da werd‘ ich dem Widder den Widder, dem Hirten den Hirten,
Und den Stier dem Stier gegenüberstellen zur Prüfung.
Alle, die waren erhöht, überführt bei dem großen Verhör, und
Jedem den Mund verstopften, um selber voll Neid und voll Mißgunst
Alle, die Gutes getan, gleichermaßen zu knechten und schinden,
Schweigen ihnen gebietend, doch nur dem Gewinne nachjagten,
Die werden alle, bei mir nicht bewährt, jetzt abtreten müssen.
Nicht mehr sagst du in Zukunft voll Trauer: ‚Wird’s morgen wohl sein?‘
Oder: ‚Ist’s gestern gewesen?‘ Nicht sorgst du für mehrere Tage;
Frühling, Sommer und Winter und Herbsteszeit gibt es nicht mehr,
Auch keinen Abend und Morgen; verlängern werd ich den Tag jetzt,
Aber auf ewig ersehnt wird das Licht des gewaltigen Gottes.“
(Christliche Sibyllinen VIII,407-428, in: Ebd., S. 523f.)

Wieso ich AfD wählen werde

So, ich oute mich jetzt mal: Bei der Bundestagswahl werde ich meine Kreuzchen bei der AfD machen. Ich weiß, das gehört sich nicht, bei „AfD“ muss man sofort zurückschrecken und klarstellen, dass die natürlich überhaupt nicht gehen. Aber, doch. Früher hätte ich das auch nicht getan, aber ich musste meine Ansichten ein bisschen revidieren.

Mein Gedankengang ist ganz einfach der: Das gravierendste Problem, das wir im Moment haben und das sich noch einigermaßen abmildern lassen würde, wenn man es angehen würde, ist das der massenhaften Einwanderung und der Verkleinerung des deutschen Bevölkerungsansteils, und um dieses Problem abzumildern, ist es taktisch am klügsten, die AfD zu wählen. (Gründe: siehe weiter unten.) Außerdem schneidet sie auch bei einigen anderen Problemen (auch bei solchen, bei denen eine wirkliche Lösung nicht in Aussicht steht, wie z. B. der Abtreibungsgesetzgebung) immer noch um einiges besser oder zumindest weniger schlecht ab als die anderen Parteien. Außerdem ist sie einfach in vielen Fällen dazu bereit, Opposition zu machen, was sich andere nicht trauen, gerade jetzt in Coronazeiten; das sorgt zumindest für ein gewisses Gegengewicht zu anderen Parteien. Ihr Wahlprogramm kann jeder lesen, und darin finde ich weniges, was ich ablehne. (Ein paar Sachen gibt es immer.) Die meisten Punkte – z. B. solche wie Volksentscheide auf Bundesebene, keine Änderung des Grundgesetzes ohne Volksentscheid, Begrenzung der Amtszeit von Abgeordneten und Kanzler, Ablehnung von Frauenquoten, Erhalt des Bargelds, Abschaffung mancher Steuern wie Erbschafts- und Grunderwerbssteuer, Betreuungsgeld für Eltern oder Großeltern in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes, Kontrolle der Jugendämter, um unnötige Kindesentziehungen zu verhindern, Ablehnung von Leihmutterschaft, keine Geschlechtsumwandlungen bei Kindern und Jugendlichen, keine Legalisierung von Cannabis außer als Medikament, Erhalt des mehrgliedrigen Schulsystems und der Förderschulen, Förderung von Wohneigentum – gefallen mir.

Ich bin keine Spezialistin, was die inneren Querelen der AfD angeht, ich weiß nur, dass es da genug gibt, sicher auch genug Inkompetenz und persönliche Rivalitäten. Ich weiß, dass viele AfDler sich bei Wirtschafts- und Umweltthemen nicht ganz einig sind. Aber solche Querelen oder Debatten finde ich jetzt nicht dermaßen schlimm, das kann manchmal auch gut sein. Die Idee vom deutschen EU-Austritt finde ich relativ sinnlos, aber das kümmert mich eigentlich auch nicht sehr (und die Schuldenunion und die Idee vom europäischen Bundesstaat lehne ich auch ab). Bei finanzpolitischen Fragen kenne ich mich selber nicht sehr gut aus und kann deswegen die Parteien nicht gut beurteilen. Manche AfDler denken für meinen Geschmack zu isolationistisch (wenn sie z. B. grundsätzlich Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen), aber auch das ist zu ertragen. Banal gesagt: Ich will nicht, dass noch mehr vierzehnjährige Mädchen von Algeriern oder Marokkanern vergewaltigt werden, die dann Bewährung bekommen und natürlich nicht abgeschoben werden. Ich will nicht, dass sich die Kölner Silvesternacht wiederholt, und Messerangriffe finde ich auch nicht so toll. Und ja, natürlich habe ich auch selber eine gewisse Angst vor so etwas. Angst ist manchmal sehr rational, man macht Kindern nicht ohne Grund Angst davor, die heiße Herdplatte anzufassen oder über die Straße zu gehen, ohne nach links und rechts zu schauen. Angst zu haben, bedeutet nicht automatisch, in Panik zu handeln, sondern kann auch das Fundament dafür sein, rational zu handeln, um eine reale Gefahr anzugehen. Und diese Gefahr ist mir jetzt erst einmal das Wichtigste.

Wieso das Einwanderungsthema so gravierend ist:

Erstens: Kriminalitätsstatisken kann man nicht ignorieren. Die sog. „Zuwanderer“ (Asylzuwanderer der letzten Jahre) sind einfach stark überrepräsentiert bei Mord, Totschlag, sexueller Gewalt. Nehmen wir allein Gruppenvergewaltigungen, von denen es in Deutschland mittlerweile zwei am Tag gibt: Die Hälfte der Täter haben keine deutsche Staatsbürgerschaft – hier sind Männer mit Migrationshintergrund, aber Staatsbürgerschaft, noch gar nicht eingerechnet. Afghanen allein beispielsweise machen 0,3% der Bevölkerung aus, aber 6% (also das 20fache) bei den Tätern bei Gruppenvergewaltigungen. In den Gefängnissen stellen Ausländer einen ziemlich überproportionalen Teil der Insassen.

Um das klarzustellen: Niemand sagt „Alle Flüchtlinge sind Verbrecher“. (Genau genommen ist das Hetze und Verleumdung, zu behaupten, jemand würde das sagen.) Es wird nicht mal gesagt „die meisten Flüchtlinge sind Verbrecher“. Aber es sind überdurchschnittlich viele.

Wenn in einem Land durchschnittlich 2% Rothaarige leben, aber in einer Region 15% Rothaarige, sind unter den Einwohnern dieser Region überdurchschnittlich viele Rothaarige im Vergleich zum Rest des Landes, auch wenn sie nicht die Mehrheit stellen. Und die Rothaarigen aus dieser Region werden einen auf jeden Fall überdurchschnittlichen, wahrscheinlich einen mehrheitlichen Teil der Rothaarigen dieses Landes insgesamt stellen. Ähnlich ist es bei Ausländerkriminalität.

Da kann man jetzt langwierig die kulturellen oder sonstigen Gründe untersuchen, es bleibt einfach eine Tatsache: Einige – natürlich nicht alle, aber numerisch gesehen so einige – dieser in den letzten Jahren neu gekommenen Einwanderer verachten den Westen, verachten vor allem westliche Frauen, und sind schneller zu Gewalt bereit als Deutsche, auch die, die noch nicht gleich die schlimmsten Verbrechen begehen. Und da kann man noch so sehr sagen „es gibt aber auch deutsche Verbrecher“ – ja, und deswegen sollen wir uns noch mehr Verbrecher ins Land holen? Dann geht es uns bestimmt besser. Außerdem kommen ja auch aus einigen Ländern gerade die Leute, die diese Länder gerne los sind und nicht die friedfertigen und strebsamen.

Viele dieser Männer zeigen auch ganz offen ihre Verachtung für den Westen insgesamt, und besonders für die westliche Zahnlosigkeit, die es ihnen erlaubt, das Ausländer- und das Sozialamt anzulügen, sich als 17jährige Syrer auszugeben, wenn sie 30jährige Algerier sind, und unter mehreren Identitäten Sozialhilfe zu kassieren. Wenn Deutschland meint, es mache sich hier mit Milde beliebt, irrt es gewaltig. Solche Leute sehen den Westen als degeneriert (wobei sie nicht völlig Unrecht haben, aber der Islam ist ebenfalls eine sehr degenerierte Kultur, siehe allein seine abartige höchstoffizielle Position zu Polygamie und Sexsklaverei) und götzendienerisch (weil er irgendwie noch als christlich gilt), sehen keine Gemeinsamkeit zwischen sich und uns, und erst recht keinen Grund zur Dankbarkeit gegenüber dem Land, das sie aufnimmt. Bestenfalls sehen sie es als ihr gutes Recht, von Deutschland versorgt zu werden, weil sie ein völlig verzerrtes Geschichtsbild haben, in dem der Westen grundsätzlich der böse Aggressor und Imperialist und sowieso schuld an allen Problemen in ihren eigenen Ländern ist (auch wenn diese Länder selber im Lauf der Geschichte wahnsinnig aggressiv waren und entweder nie/kaum unter westlicher Herrschaft standen oder unter dieser Herrschaft weniger unter Korruption, Gewalt und Armut gelitten haben).

Es ist okay, anzuerkennen, dass manche Leute, die behaupten, Schutz zu suchen und dann Messerstechereien begehen, nicht nur missverstanden, traumatisiert und eigentlich nett sind. Deutschland verhält sich manchmal wie eine hilflose alte Tante, die sich selbst einreden muss, dass ihr Neffe doch nur Spaß machen wollte, als er die Katze in Brand gesteckt hat, und bestimmt von seinen Freunden irgendwie unter Druck gesetzt wurde, als er am Busbahnhof Gras verkauft hat, statt zu Onkel Manfreds Beerdigung zu kommen. Es ist nicht böse, anzuerkennen, wenn jemand einem feind ist, und es ist erst recht nicht böse, für Verbrechen höhere Strafen als Bewährung zu geben, oder Verbrecher abzuschieben.

Leute lassen sich auch nicht schnell mal durch Integrationskurse umformen; sie haben immer noch ihren eigenen Willen. Wenn man andere Kulturen herholt, hat man diese anderen Kulturen da. „Die muss man nur integrieren und ihnen Sprachkurse, Arbeit und Therapien bieten“ ist lächerliches Wunschdenken, auf einer Stufe mit „Ich kann meinen Freund ändern, er will mich eigentlich gar nicht schlagen“.

Das gilt nicht nur für Kriminelle. Auch jemand, der nicht kriminell ist, eine anständige Ausbildung als Koch macht und Deutsch auf Stufe B2 spricht, wird deswegen nicht seine Überzeugungen aufgeben, weder die guten noch die schlechten.

Die meisten, die kommen, sind junge, unverheiratete Männer; und ein Überschuss an solchen Männern ist in jeder Gesellschaft gefährlich, vor allem, wenn sie unzufrieden werden, weil es eben doch, so reich Europa ist, in anderen Erdteilen immer überzogene Erwartungen daran gibt, was man hier bekommen kann, oder weil man nicht so richtig dazugehört.

Viele, die kommen, sind Muslime, und zwar überzeugte. Je mehr Muslime da sind, desto schwieriger ist es für andere Muslime, den Islam zu verlassen, und desto mehr Konvertiten zum Islam gibt es. Und auch wenn eine atheistische Gesellschaft an sich theoretisch schlimmer ist als eine muslimische: sie wieder christlich zu machen ist nicht so schwierig, wie eine muslimische wieder christlich zu machen. Für Muslime ist die Bedrohung, wenn sie den Islam wieder verlassen, viel zu groß. Und ich will in keiner muslimischen Gesellschaft leben.

Die Linken wollen, dass man hier wegschaut, aber im Grunde können sie es nicht leugnen, und ich glaube, in ihrem Inneren wissen sie, dass es diese Probleme gibt. Sie denken nur, dass man das alles nun mal in Kauf nehmen muss, weil man eine Pflicht hätte, diese Männer trotzdem aufzunehmen. Aber die hat man nicht. So eine Pflicht kann man gar nicht proklamieren; man kann nicht die halbe Welt aufnehmen, und wenn man das versucht, wird nur Deutschland zum Dritte-Welt-Land und in anderen Ländern ändert sich gar nichts. Die Leute, die hierherkommen, sind größtenteils nicht aus Kriegsgebieten geflohen, und wenn, dann haben sie zwischendrin schon so einige sichere Länder durchquert. Das ist einfach eine Tatsache. Es wäre etwas völlig anderes, wenn in Frankreich oder Polen plötzlich Krieg wäre, dann müssten natürlich wir helfen, nicht Syrien oder Afghanistan – aber wieso sollten nicht so reiche islamische Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mal ausnahmsweise Flüchtlinge aus ihrem eigenen Kulturkreis aufnehmen? Das ist natürlich Kalkül vonseiten dieser Länder, dass sie die Leute lieber nach Europa schicken; man hat selber keine Probleme damit, sie zu integrieren und weitet den islamischen Einfluss aus. Und wer nicht nur zu einer überdurchschnittlich kriminellen Gruppe gehört, sondern selber persönlich schwer kriminell ist, hat sein Gastrecht sowieso grundsätzlich verwirkt.

Natürlich sind die Durchschnittsmenschen in Nigeria oder Marokko ärmer; aber deswegen sind sie in aller Regel nicht am Verhungern und werden nicht persönlich verfolgt und gefoltert. Es gibt Grenzen dessen, wobei man helfen muss, und es gibt sinnvollere und weniger sinnvolle Weisen der Hilfe. Mit der sog. „Hilfe vor Ort“ erreicht man auch mehr mit weniger Geld. Ich glaube ehrlich gesagt aber auch nicht, dass es den politisch Linken wirklich darum geht, was am effektivsten hilft. Eher haben sie so eine grundsätzliche Neigung zum Masochismus, einen Hass auf ihr eigenes Land, wollen ihre Landsleute dazu zwingen, angebliche oder tatsächliche Sünden der Vergangenheit zu sühnen, und gehen davon aus, dass das, was Deutschland am meisten schadet und/oder es am ehesten weniger deutsch macht, das moralisch Beste sein muss. Dabei wäre es für alle besser, wenn diese Männer ihre eigenen Länder aufbauen würden. In Deutschland werden sie am Ende auch relativ entwurzelt sein und es schwer finden, dazuzugehören, und die nächste Generation wird noch weniger wissen, womit sie sich identifizieren soll. (Man könnte auch zynischerweise spekulieren, ob die linken Parteien sich einfach neue Wähler heranholen wollen, weil Migranten kaum konservativ wählen, aber ich weiß nicht, ob das so zentral ist.)

[Hier noch kurz zum Thema Afghanistan, das aufkam, als ich diesen Artikel schon fast fertig hatte: Ja, auch hier bin ich dagegen, Afghanen aufzunehmen, und das hat mehrere Gründe:

  1. Die Alternative lautet nicht „von den Taliban massakrieren lassen oder herholen“. Ich hätte absolut nichts dagegen, Nachbarländer wie Tadschikistan, Usbekistan oder Pakistan finanziell und/oder mit Hilfspersonal zu unterstützen, damit sie afghanische Flüchtlinge versorgen können. In diesen Ländern herrscht einigermaßen Sicherheit, und dort können Afghanen sich viel schneller in der Gesellschaft zurechtfinden. Teile der afghanischen Bevölkerung gehören ja auch zu den Volksgruppen der Usbeken und Tadschiken. Wieso soll man sie um die halbe Welt in ein völlig fremdes Land fliegen? Hier in den Nachbarländern wäre Unterstützung aber wirklich angebracht; man sollte sich nach einem so langen Militäreinsatz nicht einfach so davonstehlen, und auch schauen, dass die Hilfe ankommt und nicht bei irgendwelchen korrupten Regierungen versickert.
  2. Sobald es heißt, dass Deutschland afghanische Hilfskräfte der Bundeswehr aufnimmt, wird jeder Pakistani oder Iraner, der mal sein Glück in Europa versuchen wollte, sich auf einmal zur afghanischen Hilfskraft deklarieren, wie vor ein paar Jahren jeder Flüchtling ein Syrer war. Hilfe vor Ort bietet keine solchen falschen Anreize, aber hilft gleichzeitig effektiver.
  3. Auch die Afghanen, die vielleicht nicht von den Taliban kontrolliert werden wollen, die sogar Musik verbieten und denen das Kopftuch noch nicht Verhüllung genug ist, sind in aller Regel überzeugte Muslime und eine völlig andere Kultur gewöhnt als Europäer. Auch im Afghanistan vor den Taliban wurde die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion mit der Todesstrafe bedroht, und das von der Bevölkerung weit überwiegend gutgeheißen.
  4. Die Leute, die mit der Bundeswehr und den übrigen ausländischen Streitkräften zusammengearbeitet haben, waren oft ja gerade diejenigen, die Afghanistan nach dem Truppenabzug vor den Taliban hätten verteidigen sollen. Sie haben sich selber als Soldaten usw. gemeldet und wurden ausgebildet. Afghanistan hatte eine hochgerüstete und zahlenmäßig starke Armee, die aber fast überall ohne Kampf kapituliert hat. Es geht doch hier um deren eigenes Land, da haben sie auch eine eigene Verantwortung, nicht nur ausländische Armeen. Und leider haben viele von diesen Soldaten einfach aufgegeben oder sind gleich zu den Taliban übergelaufen. Zum Vergleich: Die syrische Armee kämpft seit ungefähr 10 Jahren gegen hochgerüstete Terrorgruppen, und das erfolgreich. Und dann die ganzen Geschichten, die jetzt auf den Nachrichtenseiten auftauchen, von einzelnen Flüchtlingen, so gut wie immer Männern, bei denen es sehr häufig heißt, dass ihre Familien in Afghanistan zurückgeblieben sind. Krieg ist grässlich, Leute reagieren in Panik, aber wer, selbst wenn er Panik hat, würde Frau und Kinder einfach schutzlos zurücklassen? Mit anderen Worten: Nein, diese Leute sind nicht einfach hochverdiente, treue, moderat-liberal eingestellte Menschen, wie sie manchmal dargestellt werden. Das heißt absolut nicht, dass man ihnen nicht helfen soll, aber siehe Punkt 1.]

Man könnte gegen diese ganze Entwicklung jedenfalls noch einiges tun. Man könnte die Ausreisepflichtigen abschieben. Man könnte von den Leuten mit subsidiärem Schutz verlangen, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren, wenn ihnen dort keine Gefahr mehr droht. Und vor allem: Man könnte in Zukunft die Grenzen dicht machen, und Asylanträge außerhalb des Staatsgebiets entgegennehmen, weil es immer schwieriger ist, Leute loszuwerden, wenn sie schon mal da sind. Das würde nebenbei auch die Anreize verringern, die Reise überhaupt zu probieren, was für weniger Tote auf den gefährlichen Routen sorgen würde. Man könnte mehr Anreize für einheimische Deutsche schaffen, Kinder zu kriegen – das sollte man sowieso machen, weil Kinderkriegen einfach eine gute Sache ist, das Leben ist gut. Man könnte auch legal Eingewanderte nach einer schweren Straftat abschieben, und legale Arbeitsmigration beschränken (z. B. entweder indem man die Anforderungen höher macht oder ein festes Kontingent für die Neuerteilung von Arbeitsvisen schafft, pro Jahr nur soundsoviele). Den Fachkräftemangel kann man auch mit Deutschen (oder zumindest EU-Bürgern) angehen, man kann mehr deutsche Jugendliche motivieren, die entsprechenden Ausbildungen zu machen (und die Jobs besser bezahlen). Wieso sollten wir den Brain Drain aus Indien ausnutzen?

Mit lauter solchen Maßnahmen, die niemandes grundlegende Rechte verletzen, könnte man den Teil der Bevölkerung, der aus ganz anderen Kulturen kommt, immer noch auf einem akzeptabel kleinen, nicht viel weiter wachsenden Niveau halten.

Tatsache ist, dass demographische Fakten sehr mächtig sind. Das, was man offiziell „Ersatzmigration“ oder „Bestandserhaltungsmigration“ nennt, ist nichts Unproblematisches: Eine ethnische Gruppe wird kleiner, eine wird größer, Mehrheiten verschieben sich. Und das erinnert an den alten Witz von der Regierung, die sich ein neues Volk wählen sollte. Wenn, ohne das Volk zu fragen oder zumindest ohne sehr gute Gründe, die Zusammensetzung des Volkes grundlegend geändert wird, ist das schlimmer als ein Putsch. Wenn China massenhaft Han-Chinesen in die Gebiete der Tibeter und Uiguren schickt, sehen auch linkere Leute das ein. Manche sehen es auch, wenn Italien lauter Italiener nach Südtirol schickt, gegenüber denen die deutschsprachige Minderheit schwächer werden soll. Demographie ist, selbst dann, wenn die einzelnen Menschen nichts dafür können, oft genug eine politische Waffe.

Ich liebe meine Heimat, das habe ich schon immer, auch, als ich noch nicht die AfD gewählt hätte. Ich könnte mich nicht wirklich zuhause fühlen, wenn ich mehr als 30-40 km von daheim entfernt leben müsste, auch wenn das immer noch mein Land wäre, und auch wenn es ein sehr schönes Land ist. Erst recht nicht könnte ich im Ausland wirklich glücklich sein, auch wieder egal, wie schön es da ist. Und ich liebe mein Land mit den Leuten, die dazugehören. Ich will nicht, dass auf einmal die Bevölkerungsmehrheit aus Afrikanern und Arabern besteht. Ich möchte auch nicht, dass sie auf einmal aus Argentiniern, Japanern und Mongolen besteht; Verbrechen und Verachtung verschlimmern die ganze Sache, und gegen die Einwanderung von Japanern hätte ich weniger, aber das wäre trotzdem nicht ideal. Minderheiten sind okay, nichts dagegen einzuwenden; aber die einheimische Bevölkerung sollte in ihrem eigenen Land doch die Mehrheit stellen dürfen.

Ich mache absolut nicht dem einzelnen Einwanderer (ob Flüchtling oder nicht), der herkommt, einen Vorwurf, er tut ja durch die Einwanderung an sich nichts Böses; aber Deutschland ist es (wie jedes andere Volk/Land auch) einfach wert, erhalten zu werden, in etwa mit der Bevölkerung, die es als historisch gewachsene ethnisch-kulturelle Gemeinschaft hat, und deshalb sollte Deutschland nur eine begrenzte Menge an Einwanderern hereinlassen. Deutschland ist historisch gesehen auch kein Einwanderungsland wie die USA, die sich (bis zu einem gewissen Grad) als Schmelztiegel, offen für alles, definiert haben. Die letzte große Einwandererwelle, die es aufgenommen hat, kam zur Zeit der Völkerwanderung, und jeder weiß, wie brutal und katastrophal die ablief. (Oder könnte es wissen.) Seitdem kamen höchstens mal ein paar polnische Erntearbeiter oder aus Frankreich emigrierte Hugenotten.

Ebenso wie bei Deutschland ist es bei anderen Ländern; wenn ich mich auf einmal für Japan oder Neuseeland begeistern würde, würde ich es auch akzeptieren, wenn ich bei deren strengen Systemen kein Visum kriegen würde. Japan ist das Land der Japaner, und die sollen entscheiden dürfen, wie viele Gäste sie haben wollen, und als Gast würde ich das japanische Volk (nicht nur den abstrakt gedachten japanischen Staat, sondern die konkreten Leute) auch respektieren.

Es ist absolut nichts daran auszusetzen, wenn mal ein Deutscher eine Nigerianerin heiratet und sie herzieht und die beiden ein paar Kinder haben, oder wenn mal ein australischer Spezialist für die Arbeit nach Deutschland zieht, oder wenn mal ein Brasilianer ein paar Jahre in Deutschland studiert. Gastschüler, ausländische Studenten, wirklich gebrauchte Fachkräfte, u. U. mal ein Kontingent aus besonders bedrohten Flüchtlingen – alles gut, da ist ein bisschen internationaler Kontakt auch schön und hilfreich, so im Sinne der gegenseitigen Ergänzung und Hilfe und „Völkerfreundschaft“, wie man das vor sechzig oder siebzig Jahren genannt hätte. Es kommt schlicht und einfach auf die Menge an. Der einzelne Einwanderer muss überhaupt nicht die Absicht haben, die Deutschen/Europäer zu ersetzen oder zu dominieren, aber im Endeffekt kommt es nun mal so, dass eine Gruppe desto mehr dominiert (gesellschaftlich, kulturell, politisch), je größer sie wird. Niemand hat was dagegen, mal einen Gast aufzunehmen, das kann sogar sehr schön sein, aber man will nicht, dass er noch seine ganze Verwandtschaft mitbringt. Niemand hat was dagegen, wenn mal eine neue Familie ins Dorf zieht, aber wenn auf einmal ganze Horden von komischen Hippies und Sektenmitgliedern herziehen, die bald die Ortschaft dominieren und die Immobilienpreise hochtreiben, ist man nicht mehr so erfreut. Sogar Linke sind gegen „Gentrifizierung“ von Stadtvierteln, wo die Ärmeren verdrängt werden.

Multikulturelle Gesellschaften schaffen viel eher Probleme, als dass sie sie lösen. Je weniger man gemeinsam hat, desto weniger fühlt man sich wie eine Gemeinschaft, und kann dann auch Probleme weniger leicht gemeinsam angehen. Man kann weniger leicht zusammen gegen ein tyrannisches Gesetz protestieren oder sich für Nachbarschaftshilfe zusammenschließen. Das wird einfach schwieriger, wenn man oft nicht mal dieselbe Sprache spricht und wenig Kontakt hat. Multikulturelle Gemeinschaften sind oft extrem zerstritten und gespalten; man schaue mal nur auf den Balkan. Natürlich kann man diese Probleme in gewissem Maß angehen, wenn jeder gerecht und wohlwollend ist, aber es bleiben zusätzliche Probleme, die man sich sparen könnte (solange man noch kann). Und in der Praxis ist nicht jeder gerecht und wohlwollend.

Es ist okay, wenn eine kleine Gruppe, die nicht wirklich dazugehört, als Gäste in einem Land lebt, für sich bleibt und weiterhin ihre eigene Kultur pflegt, aber nicht die der Mehrheit beeinflussen will, und ihr Gastland auch respektiert. (Ja, gegen solche kleinen Parallelgesellschaften habe ich tatsächlich absolut nichts, solange zu ihrer Kultur keine besonders schlimmen Praktiken wie Witwenverbrennung, Genitalverstümmelung von Mädchen oder Polygamie und Kinderehen gehören.) Es ist auch okay, wenn eine gewisse Zahl an einzelnen Einwanderern herkommt, die die inländische Kultur als neue Kultur annehmen und unter den Einheimischen aufgehen. Absolut okay. Aber eine große Masse an Einwanderern, die ihre Kultur behalten und sie den Einheimischen evtl. auch noch aufdrängen und diese Einheimischen verachten, ist etwas komplett anderes.

Ich möchte Ausländern niemals die Rechte nehmen, die ihnen zustehen; auch gute Beziehungen zu anderen Ländern sollte man sich erhalten, solange man irgend kann; aber Deutsche haben auch Rechte.

Man muss das Thema angehen, ohne mit irrationalen Abwehrreaktionen heranzugehen, und ohne sich darum zu kümmern, was die Nachbarn sagen könnten. (Die Wahlentscheidung selbst ist ja sowieso zum Glück geheim.) Wieso soll man die AfD nicht genauso rational bewerten können wie die CDU oder die SPD? Sobald das Kürzel „AfD“ fällt, zucken alle zurück, als handle es sich um den Leibhaftigen. Wieso? Nur, weil gepredigt wird, man müsste das tun.

Es ist auch wahltaktisch sinnvoll, die AfD zu wählen, auch wenn es keine realistische Chance gibt, dass sie an die Regierung kommt. Erstens: Der Slogan „Eine Stimme für die AfD ist eine Stimme für Rot-Rot-Grün“ ist Unsinn. Je mehr Leute Parteien wählen, die nicht Rot-Rot-Grün sind, desto weniger Chancen hat Rot-Rot-Grün, eine absolute Mehrheit zu bekommen; dafür ist es egal, ob man AfD oder CDU wählt. Und wenn es keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt, müssen eben wieder linke Parteien mit CDU, FDP oder Freien Wählern koalieren. Eine starke AfD-Fraktion im Bundestag kann aber außerdem dazu beitragen, schlechte Verfassungsänderungen zu verhindern. Wenn man noch ein paar Abweichler aus den anderen Parteien hat und die AfD geschlossen dagegen stimmt, bekommt eine solche Verfassungsänderung nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Außerdem können auch Oppositionsparteien Druck machen, für Untersuchungen von Skandalen sorgen etc. Die AfD muss auch endlich normalisiert werden, man muss sich dem Versuch der Linken, das Overton-Fenster (den Bereich des Sagbaren) immer weiter zu verkleinern, entgegenstellen. Eine Oppositionspartei – vor allem, wenn sie genug außerparlamentarische Überzeugungsarbeit betreibt – kann allmählich die Überzeugungen der Bevölkerung und das Handeln der anderen Politiker verändern; das hat man an den Grünen gesehen. (Natürlich ist das schwerer, wenn man sämtliche Medien gegen sich hat, aber die öffentliche Meinung schwenkt manchmal sehr schnell um.)

Aber vor allem: Die AfD kann auch eine strengere Migrationspolitik durchgesetzt bekommen, wenn sie nicht an der Regierung ist, weil ihre Existenz und vor allem ein relativ gutes Abschneiden bei Wahlen eine permanente Drohung gegenüber den anderen Parteien ist: Wenn ihr noch mehr Migranten holt, wird die AfD noch stärker, also macht mal lieber die Grenzen nicht ganz so weit auf. Und das funktioniert nur, wenn auch genug Menschen bereit sind, zumindest als letzten Ausweg AfD zu wählen. Wenn die anderen Parteien wissen, dass sie sich darauf verlassen können, als alternativlos zu gelten, weil die AfD der Leibhaftige in Person ist, dann können sie ruhig durchziehen, was auch immer sie wollen.

Man kann auch einfach mit dem Ausschlussverfahren zur AfD kommen.

Dass SPD, Grüne und Linke überhaupt nicht in Frage kommen, ist von vornherein klar. Sie wollen durch die Abschaffung von § 218 StGB Abtreibung bis zur Geburt legalisieren, was gemäß den Erfahrungen anderer Länder für noch höhere Abtreibungszahlen als die jetzigen jährlichen 100.000 sorgen würde. Außerdem sind sie alle extrem pro-Einwanderung, wollen oft nicht mal Verbrecher und Terroristen abschieben, und haben nicht gut versteckte diktatorische Neigungen. Viele von ihnen sind pathologische Deutschlandhasser, die wahrscheinlich am liebsten nachträglich den Morgenthauplan vollstrecken würden. Die Linke will es übrigens verbieten, Kinder in eine Religionsgemeinschaft aufzunehmen – ja, das steht im Wahlprogramm.

Ich mache dagegen keinem einen Vorwurf, der die Freien Wähler wählt. Die sind echt manchmal besser als die Union, und Hubert Aiwanger ist, ganz im Gegensatz zu Markus Söder, ein Mann, der für einen Politiker recht sympathisch, ehrlich und standhaft wirkt. Vielleicht könnten die Freien Wähler im Bundestag einen guten Einfluss ausüben. Aber im Ganzen finde ich eben doch, dass sie zu wenig Opposition sind und zu viel Schlechtes mittragen, manchmal sogar extrem Schlechtes. Im Europaparlament haben die beiden einzigen Abgeordneten der Freien Wähler, Ulrike Müller und Engin Eroglu, für den Matic-Bericht gestimmt, der Abtreibung zum Menschenrecht deklariert.

Ich mache auch keinem einen Vorwurf, der die Union wählt mit der Begründung „dann haben die wenigstens in ihrer Koalition, mit wem auch immer sie sie eingehen, eine stärkere Position und der Weg zur grünlinken Neu-DDR wird ein bisschen verlangsamt“. Aber ich halte das für eine falsche Taktik, und halte es für völlig absurd, mehr von der Union zu erwarten als eine solche geringfügige Verlangsamung. Die Union war mal christlich, aber dann wurde sie zu einer bräsigen Partei, in der es hauptsächlich um Machterhalt und vielleicht noch eine gewisse Bürgerlichkeit und ein „aber nicht zu schnell mit den Reformen, Kinder!“ ging. Am Ende hat sie jede Reform, die die linken Parteien durchgeboxt haben, mitgetragen.

Ähnliches gilt für die FDP, von der man erwarten würde, sich gegen unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen zu stellen; mehr als eine halbherzige Verlangsamung wird man nicht bekommen, wenn überhaupt. Dazu kommt, dass die FDP sowieso von grundfalschen Ideen ausgeht, was z. B. dazu führt, dass die JuLis Inzest und Leihmutterschaft legalisieren wollen. Vollkommen konsequent entsprechend der Grundideologie des Liberalismus.

Ich mache auch keinem einen Vorwurf, der eine wirklich christliche Kleinstpartei wählt, die kaum 1% zusammenbekommt, oder meinetwegen die Bayernpartei; aber ich halte das für eine verschwendete Stimme.

Der Punkt ist eben auch der: Ich glaube AfDlern/Rechten im Großen und Ganzen, was sie sagen; Leute zeigen früher oder später schon, was sie meinen. Und es ist lachhaft, so zu tun, als würde die AfD, wenn sie die absolute Mehrheit hätte, schnell mal ein paar Millionen Türken und Afghanen vergasen wollen. Vielleicht sind Linke ja so schnell bereit, bei anderen Verstellung anzunehmen, weil sie selber so daran gewöhnt sind? Ich sehe nicht, dass in der AfD massenhaft Leute wären, die jedes Mittel für gerechtfertigt halten würden, um Probleme anzugehen. Ich erwarte auch nicht, dass die Wahl der AfD für solches Unrecht sorgen würde wie z. B. Leuten, die auf legale Weise ohne Täuschung eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben und nicht kriminell werden, die Aufenthaltsgenehmigung einfach zu entziehen. Das Schlimmste, was sie aus meiner Sicht vertritt, ist die Forderung nach einem Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen auch für Schülerinnen – diese Gewissensfreiheit muss man muslimischen Schülerinnen lassen, die sich ja die Schulpflicht nicht ausgesucht haben; ich würde auch nicht mitmachen, wenn man mich zwingen wollte, in der Öffentlichkeit mit Minirock oder Bikini zu erscheinen.

Man kann sie auch mit ähnlichen rechten Parteien im Ausland vergleichen, die schon länger etabliert sind und an Regierungen beteiligt waren oder sind. Ruft die FPÖ zu Pogromen auf?

Ja, ich weiß, dass es unter „Rechten“ auch Leute gibt, die die Nazis verharmlosen oder sie als Irrweg, aber gut verstehbaren Irrweg sehen, und dann auch die Leute, die noch radikaler sind. Aber Mainstream in der AfD scheint doch zu sein: Natürlich war das Dritte Reich sehr schlimm, aber deswegen war es nicht die einzige Inkarnation des Bösen, die es je in der Weltgeschichte gab, und es bringt nichts, deswegen noch bis in die dritte und vierte Generation Leuten einreden zu wollen, dass sie sich für ihre Nationalität schämen sollen, und in der deutschen Geschichte gibt es auch vieles, auf das man stolz sein kann. Manche werden dann eher auf das Kaiserreich stolz sein, manche eher auf das mittelalterliche Heilige Römische Reich deutscher Nation, aber Nazibewunderung sehe ich wirklich nicht in großem Ausmaß. Und ich werde nicht deshalb, weil auch ein Nazi die wählen könnte, weil er sie aus seiner Sicht als das geringste Übel sieht, eine Partei nicht wählen, die ich aus meiner Sicht als das geringste Übel sehe und die in vielen Dingen sogar sehr vernünftig ist.

Und na ja, es wurde schon oft gesagt, ist aber einfach wahr, dass die Linken heute jeden, der vor zehn Jahren übliche Meinungen vertreten hat, als Nazi sehen würden. Jemand wie Konrad Adenauer, den die Nazis 1933 von seinem Posten als Kölner Oberbürgermeister entfernt haben, wäre für sie ein absoluter Nazi.

Die AfD ist sicher nicht perfekt. Vor allem glaube ich nicht, dass es langfristig wirklich gut geht, wenn man seine Weltanschauung auf irgendetwas anderes als Jesus Christus baut, und die AfD besteht ja nicht nur aus Leuten wie Beatrix von Storch, sondern auch aus einigen rabiat antikirchlichen Konfessionslosen. (Wobei man sagen muss, dass es kein Wunder ist, wenn manche AfDler und AfD-Wähler einen redditmäßigen Antiklerikalismus vertreten, so verächtlich und verteufelnd, wie unsere lieben Bischöfe sie manchmal behandeln, ohne dass das irgendwie durch die unveränderliche Lehre der Kirche gerechtfertigt wäre.) Was mich auch ein wenig nervt, ist, wenn AfD-Politiker zu einer zynisch-realpolitischen Argumentation à la „Man muss auch mal egoistisch sein“ greifen, wenn sie ihre Positionen (z. B. dass man, um Deutschland zu schützen, nicht unbegrenzt viele Migranten herholen soll) wunderbar mit Moral und Gerechtigkeit begründen könnten. Aber ich wähle jetzt das Beste, was zu haben ist, und das ist die AfD.

Ich muss sagen, ich mag auch den neuen Spruch aus dem Wahlprogramm: „Deutschland. Aber normal.“ Einfach deswegen, weil es von den Leuten, die hier als normal gelten, absolut abgelehnt wird, zu sagen, irgendetwas wäre normal und anderes unnormal. „Normal“ bedeutet „Norm“, sprich, es gibt einen guten Zustand und einen schlechten. Ich finde es ehrlich gesagt großartig, wie man mit einem so völlig – na ja – normalen unaufgeregten Spruch manche Leute maximal provozieren kann. Das ist vielleicht kindisch von mir, aber es ist objektiv gesehen auch eine gute Taktik.

Und noch was: Ich habe keine Lust mehr, ständig aufzupassen, mit wem ich rede. Ich würde im sog. realen Leben einiges nicht öffentlich sagen, was ich hier sage, zumindest nicht so deutlich (allein schon, weil es in meiner Familie, die ich sehr liebe, auf ziemliches Unverständnis stoßen würde; und es ist moralisch nichts daran auszusetzen, eine harmonische Familie einer politischen Diskussion vorzuziehen, die eh nicht viel an Deutschlands Zustand ändern würde; da diskutiere ich mit meiner Familie lieber über die Religion, das ist schon Minenfeld genug). Und ich weiß auch, dass man vieles mit Disclaimern ausdrücken muss, damit es Leuten zumindest schwerer fällt, es zu verdrehen. Aber ich habe keine Lust mehr auf dieses Kontaktschuldgetue, und habe nicht vor, unfreundlich zu Leuten sein, weil „man nicht mit denen redet“.

Ich habe nichts gegen Leute, die nicht die AfD wählen. Wenn jemand was gegen mich hat, weil ich sie wähle, ist das seine Sache.