Mal wieder ein bisschen Kunst: John Duncan

St. Columba bidding farewell to the white horse:

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Jeanne d’Arc et sa Garde Ecossaise (Jeanne d’Arc und ihre Schottische Garde) :

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Head of an Angel (Study for the Painting „St. Bride“):

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St. Bride:

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Marjory Kennedy Fraser:

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Tristan & Isolde:

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The taking of Excalibur:

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[Zu diesem Bild habe ich den Titel nicht gefunden]:

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Wunderschön, nicht wahr?

(Quelle für alle Bilder: Wikimedia Commons.)

Toleranz, Freiheit und Burkinis

Es gibt Zeiten, da komme ich mir ziemlich radikalisiert, mittelalterlich und antiliberal vor (eigentlich habe ich nicht mal ein besonderes Problem mit diesen Labeln – ich mag das Mittelalter*). Aber dann gibt es auch wieder Zeiten, da bin ich erstaunt, wie liberal und tolerant ich anscheinend im Vergleich zu manchen bin, die sich selbst als Vorkämpfer für die Freiheit sehen. Zum Beispiel glaube ich tatsächlich nicht, dass der Staat Leuten, die Mohammeds Irrlehre folgen, ihre Kleidung vorschreiben sollte.

Das ist anscheinend eine sehr umstrittene Ansicht. Man schaue sich nur mal die Aufregung an, zu der die neuesten Äußerungen von Familienministerin Giffey über Burkinis im schulischen Schwimmunterricht geführt haben. Frau Giffey hat in den sozialen Medien noch einmal klargestellt, was sie gemeint und nicht gemeint hat:

Zur aktuellen Burkini-Debatte stelle ich folgendes klar:

1. Um es deutlich zu sagen: ich befürworte nicht das Tragen von Burkinis im Schwimmunterricht.

2. Zu keinem Zeitpunkt habe ich das Tragen von Burkinis im Schwimmunterricht für „unproblematisch“ erklärt. Im Gegenteil – es ist ein sehr schwieriges Thema.

3. Wir müssen aber sehr konsequent darin sein, dafür zu sorgen, dass alle Kinder schwimmen lernen, egal welcher Herkunft sie sind und welche Religion sie haben. Schwimmen ist Teil des Sportunterrichts und damit Teil der Schulpflicht. Diese ist durchzusetzen.

4. Wir erleben aber in der Praxis, dass dies umgangen wird. Zum Beispiel durch ärztliche Atteste. Im Ergebnis nehmen Mädchen nicht am Schwimmunterricht teil und lernen deswegen nicht schwimmen. Das kann nicht unser Ziel sein.

5. Wenn Schulleiter dann vor Ort eine pragmatische Lösung finden, ist das zwar nicht optimal, aber ich finde nicht, dass sich Bundespolitiker darüber erheben sollten. Ich habe mich zu dem pragmatischen Weg der Schule geäußert, aber nicht grundsätzlich Burkinis befürwortet.

6. Ich habe erlebt, was es für die Familie und Freunde bedeutet, wenn ein kleines Mädchen ertrunken ist, das nicht schwimmen konnte. Für mich ist das Vermitteln einer Überlebenstechnik wichtiger als die Badebekleidung.

7. Eine Ausstattung von Schulen mit Burkinis aus öffentlichen Geldern lehne ich ab. Badesachen sind von jeder Schülerin und jedem Schüler selbst mitzubringen.

8. Ich bin Initiatorin und Schirmherrin des Neuköllner Wassergewöhnungsprojektes Neuköllner Schwimmbär, mit dem wir die Nichtschwimmerquote in den letzten vier Jahren halbiert haben – für alle Kinder, egal welcher Herkunft.

9. Ich engagiere mich seit Jahren für ein konsequentes Vorgehen gegen Gewalt an Frauen und Zwangsheirat und für ein selbstbestimmtes Leben von Mädchen und jungen Frauen. Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Dafür trete ich ein.

10. Aus meiner Sicht haben kleine Mädchen keine sexuellen Reize, die es zu verhüllen gilt.

Mit anderen Worten: Mädchen, die nicht bereit sind, normale Badeanzüge zu tragen, sollen lieber in Burkinis kommen dürfen, statt sich ganz vor dem Schwimmunterricht zu drücken und nicht schwimmen zu lernen. Aber nein, nein, gut findet sie Burkinis auch nicht. – Und darüber regen sich die Leute jetzt auf? Und wie sie das tun. Nach Ansicht vieler darf der Staat so etwas doch nicht zulassen; so weit, dass Mädchen ihre Badebekleidung (beim verpflichtenden Schwimmunterricht) selber wählen dürfen, kann die Religionsfreiheit dann wohl nicht gehen. Dafür werden hauptsächlich zwei Argumente vorgebracht:

  • Mädchen sollen selbstbestimmt entscheiden, was sie anziehen; deshalb soll man nicht zulassen, dass ihre Eltern ihnen eine bestimmte Kleidung vorschreiben.
  • Hier werden kleine Mädchen sexualisiert, indem suggeriert wird, sie würden sexuelle Reize aussenden, wenn sie nicht von Kopf bis Fuß verhüllt sind.

Zum zweiten Argument zuerst. Tatsächlich ziehen die meisten muslimischen Mädchen Kopftuch und Burkini erst ab der Pubertät an; Ausnahmen gibt es wie bei allem, aber sie sind nicht häufig – aber natürlich ist es Unsinn, ein Mädchen, das – o Graus – seine Haare oder seinen Hals zeigt, als Gefahr für die Keuschheit der sie umgebenden Männerwelt zu behandeln, egal, ob es jetzt acht oder fünfzehn Jahre alt ist. (Für ein „Mittelding“ zwischen Burkini und Bikini, z. B. Badekleider, die noch ein bisschen was von den Beinen bedecken und auch den Ausschnitt nicht zeigen, gibt es allerdings gute Argumente.)

Aber was, wenn manche Mädchen, oder ihre Familien, das eben trotzdem so sehen? Hier sind wir wieder beim ersten Argument: Wer darf dann über die Kleidung der Mädchen entscheiden? Die Wahl hier lautet jedoch nicht: Das Mädchen oder die Eltern? Sondern: Die Eltern / das Mädchen oder der Staat? Wenn der Staat sich heraushält, gibt es vier Möglichkeiten: Ein Mädchen entscheidet sich selbst, den Burkini zu tragen; Eltern schreiben einem Mädchen vor, den Burkini zu tragen; ein Mädchen entscheidet sich selbst, keinen Burkini zu tragen; Eltern schreiben einem Mädchen vor, keinen Burkini zu tragen. Wenn dagegen der Staat vorschriebe, dass soundsoviel von Armen, Beinen und Kopf zu zeigen ist (wie viel wäre wohl das Minimum?), wäre gar keine Freiwilligkeit mehr möglich.

Wäre das auch schon zu züchtig? (Um 1900. Quelle: Wikimedia Commons.)

Aber, wird argumentiert, man muss die Leute eben mit Zwang zur Freiheit führen. Man muss eben Zwang anwenden, um die Mädchen von den Vorstellungen ihrer Eltern zu befreien. Nun ist es aber so, dass kein Kind frei von den Vorstellungen der Eltern und irgendwie „neutral“ erzogen werden kann. Das ist auch gut so – Eltern haben das natürliche Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen, und der Staat hat erst dann einzugreifen, wenn die Kinder wirklich gefährdet oder vernachlässigt werden. Kinder werden irgendwann erwachsen, und dann sind sie unabhängig und fähig, eigene Entscheidungen zu treffen; aber zuvor stehen sie immer unter dem Einfluss der Eltern. Die Frage dreht sich dann also darum, ob der Burkini eine grobe Gefährdung des Kindeswohls genannt werden kann, die das Eingreifen des Staates rechtfertigt. Und glaubt mir, Leute, so wollt ihr „grobe Gefährdung des Kindeswohls“ nicht definieren. Es wird behauptet, der Burkini sexualisiere die Kinder. Aber wie wäre es z. B. mit einer Art „direkteren“ Sexualisierung – sagen wir, eine Mutter bringt ihrer zehnjährigen Tochter bei, sich sexy anzuziehen und sich zu schminken. Auch Kindeswohlgefährdung? Burkini und Kopftuch wären gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter gerichtet – aber, was wenn z. B. ein älteres Mädchen sich nicht mit der Vorstellung der Gesellschaft von der Gleichberechtigung anfreundet und von selber der islamischen Vorstellung folgen will? Soll man ihr das auch verbieten?

Solche Debatten sagen im Endeffekt weniger über den Islam aus, meine ich, als über die Verlogenheit vieler Säkularisten. Säkularisten haben es nur in der Theorie mit der Religionsfreiheit; praktisch endet sie für sie, sobald eine Religion ihren eigenen Überzeugungen zuwiderläuft. Das zeigt sich in ihrem Umgang mit falschen Religionen wie dem Islam ebenso wie im Umgang mit der richtigen Religion. Im 18. Jahrhundert wetterten die sog. „Aufklärer“ gegen das unfreie und unnatürliche Leben in den Klöstern; als sie an die Macht kamen, lösten sie die Klöster folglich zwangsweise auf und vertrieben die Nonnen und Mönche.

„Die Karmelitinnen von Compiègne angesichts der Guillotine“ (Illustration von Louis David OSB, 1906; Quelle: Wikimedia Commons). Die 16 Karmelitinnen von Compiègne wurden 1794 von der französischen Revolutionsregierung hingerichtet, weil sie sich geweigert hatten, ihr Ordensleben aufzugeben.

Die Kirche hat immer schon mit guten Gründen Zwangstaufen abgelehnt; vielleicht sollte sich der Säkularismus mal ihre Argumente in der Hinsicht ansehen, bevor er mit seinen unlauteren Missionsmethoden fortfährt.

* Das richtige Mittelalter; nicht die falsche Vorstellung vom Mittelalter, die die Geschichtslegenden des 19. Jahrhunderts uns hinterlassen haben.

Ein nicht ganz realitätsferner Kommentarbereich, irgendwo im Internet

(Heute mal bloß eine kleine Spielerei.)

 

Vor gar nicht allzu langer Zeit, in einem unbekannten Sozialen Medium…

 

Katholischer Literaturblog hat gepostet:

Hallo alle miteinander! Heute etwas für alle Eltern mit Kindern im Grundschulalter: Erinnert ihr euch noch, wie begeistert ihr in eurer eigenen Kindheit „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ oder „Jim Knopf und die Wilde 13“ gelesen habt? Lasst uns die Kinderbuchklassiker wiederentdecken! Nicht nur Michael Ende, sondern auch Otfried Preußler oder Paul Maar haben viel Spaß & Spannung zu bieten… (click to read more)

Ottomar St. Michael hilf uns hat kommentiert:

„Jim Knopf“ auf einem KATHOLISCHEN Blog????? Dieses Buch dient in WAHRHEIT der satanischen Unterminierung unseres Glauben!!!! Scheinbar eine Marginalie: Gleich am Anfang des 1. Bands warnt König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte vor „Überbevölkerung“ – „‚Unser Land leidet jetzt einfach an Überbevölkerung. Fast alle Länder der Welt leiden daran, aber Lummerland besonders. Ich mache mir schreckliche Sorgen.“ Wegen dieser sog. „ÜBERBEVÖLKERUNG“ verlassen Jim, Lukas und Emma überhaupt erst Lummerland!! Und dann kommen sie nach Mandala (=China) und Jim denkt sich: „Aber er wollte doch lieber dahin, wo etwas weniger Leute waren, Leute, die man auseinanderhalten konnte.“ ES WIRD KLAR: Auf subtile Weise soll hier Kindern eingehämmert werden dass ÜBERBEVÖLKERUNG eine drohende GEfahr ist damit sie der satanischen BEVÖLKERUNGSKONTROLLE durch die UN keinen WIderstand entgegensetzen und der NEUEN WELTORDNUNG nichts mehr im WEg steht!!!!!111 Das ist GEHIRNWÄSCHE!!!1 Wetten dass Michael Ende die Ein-Kind-Politik von China unterstützt hat??? Und wer will wissen wie viel Geld er von SOROS für dieses Buch bekommen hat???? Wir müssen zum HEILIGEN ERZENGEL MICHAEL beten und zu UNSERER LIEBEN FRAU VON FATIMA!!!!!!!! httpp://www.gebete-gegen-die-nwo.blogspot.com

    Anneliese Müller hat kommentiert:

Ich LIEBE Jim Knopf! Ich habe es in der Augsburger Puppenkiste gesehen! Und die Unendliche Geschichte habe ich damals im Kino gesehen! Tolle Erinnerungen!!! 😀 😀 #Kindheit #Kindheitserinnerungen #Kinderbuchklassiker #Augsburger Puppenkiste #Jim Knopf #UnendlicheGeschichte #MichaelEnde #Kinderbücher #Puppentheater #Kino #Erinnerungen #Literatur #ChristlicherLiteraturblog #Lieblingsbücher #Schönwars #Bücher #Filme #SchöneJugendzeit

    Gisela Sefferputt hat kommentiert:

Jim Knopf mag ja eine nette Geschichte sein. ABer sollten wir nicht die Auswirkungen auf unsere Kinder bedenken wenn wir ihnen so was vorlesen??? Gibt es da nicht rassistische Stellen z B das Jim mit dem N-Wort bezeichnet wird????

Stefanie Ditthart-Schnallenhauser hat auf diesen Kommentar geantwortet:

Hallo liebe Frau Sefferputt, ich glaube nicht, dass Rassismus gg. Afro-Stämmigen ein zentrales Problem in „Jim Knopf“ ist. Es gibt Ausgaben, in denen die Sprache an den ein oder zwei problematischen Stellen der heutigen Zeit angepasst wurde, und selbstverständlich würde ich meinen Kindern eine solche Ausgabe kaufen, wenn ich vorhätte, es ihnen vorzulesen. Aber zum Zeitpunkt des Erscheinens war Endes Sprache nicht unbedingt rassistisch; für seine Zeit war der Autor sogar eher fortschrittlich bei der Wahl eines afro-stämmigen Protagonisten und einer asiatischen Protagonistin. (Sicherlich könnte man aber die unzähligen Klischees kritisieren, in die er bei der Beschreibung der „Mandalanier“ verfällt!!!) Was ich allerdings WIRKLICH problematisch finde, ist die Beschreibung der WEIBLICHEN FIGUREN. Mädchen brauchen Vorbilder, die NICHT dem klassischen Heimchen am Herd oder der schutzbedürftigen Jungfrau in Nöten entsprechen. Aber was präsentiert „Jim Knopf“ uns? Frau Waas spielt nur die Rolle des besorgten Hausmütterchens, backt und näht und stellt Erdbeereis her. Und dann ist da Prinzessin Li Si, die eigentlich nichts Handlungsentscheidendes TUT. Im ersten Band muss sie einfach vor Frau Mahlzahn gerettet werden. Im zweiten Band wird ihr verboten, auf die Suche nach der Wilden 13 mitzukommen – Jim bezeichnet das Ganze als „Männersache“ und Lukas sagt: „Für kleine zarte Mädchen (sic!!!) ist ein Kampf mit Seeräubern bestimmt nicht das Geeignete.“ Und nachdem Li Si sich doch heimlich aufs Schiff geschlichen hat, bekommt sie Angst und ist von dem „Abenteuer“ überfordert – mit anderen Worten, die Männer haben Recht behalten. Mansplaining much??? Zwar wird Li Si immerhin als besonders klug dargestellt, aber sogar da sagt sie gegen Ende des 1. Bandes zu Jim, als sie sich von ihm wünscht, dass er Lesen und Schreiben lernt: „also, ich möchte eben, dass mein Bräutigam nicht nur mutiger ist als ich, er soll auch viel klüger sein, damit ich ihn bewundern kann“. Was ist das für eine Sicht auf Beziehungen?? A propos „Bräutigam“. Ende hat nicht einmal auf die Storyline „Der Fürst gibt seine Tochter demjenigen zur Frau, der sie vor dem Drachen rettet“ verzichtet!!!! Ich könnte kotzen bei so was!!! Wie soll ich meinen zwei Töchtern IRGENDWAS über gesunde Beziehungen, informed consent usw beibringen, wenn sie solche Geschichten hören? Meine ältere Tochter hat mich vor ein paar Tagen schon gefragt, ob sie die neue Verfilmung sehen darf, wenn die auf DVD raus kommt! Deswegen habe ich auch meine Buchausgabe wieder herausgekramt und mir das Ganze noch mal durchgelesen. Also, jetzt steht für mich fest, ich werde ihr den Film NICHT kaufen! Solches Zeug wird heute wieder „recycelt“ – haben wir nicht bessere Geschichten, die man verfilmen könnte???

Gisela Sefferputt hat auf diesen Kommentar geantwortet:

Hallo Frau Ditthart-Schnallenhauser also ICH würde meinem Enkelkind grundsätzlich NIE ein Buch vorlesen wo ein Junge als „N****baby“ oder so was bezeichnet wird! Dabei bleibe ich auch!!

Melanie Heller-Danninger hat auf diesen Kommentar geantwortet:

Liebe Stefanie, ich sehe das genau so wie du! Toller Kommentar! Die Gender-Aspekte bei dem Buch sind wirklich schlimm. Was noch dazu kommt: Auch mit der Toleranz, die es angeblich Kindern beibringen soll, ist es nicht so weit her. Die Drachen (klassische Repräsentation des Fremden, (scheinbar) Bedrohlichen) müssen besiegt werden und sich völlig verwandeln, und der Halbdrache muss auch seine Drachenartigkeit (also einen Teil seines WESENS) ablegen, bevor er von den Hauptfiguren akzeptiert wird. Mich wundert es gar nicht, dass ein fundamentalistisch-katholischer Blog diese Bücher empfiehlt – fühlt sich hier irgendwer an die Sicht der Amtskirche auf LGBTQ-Personen erinnert??? „Wir lieben dich ja, aber dass du lesbisch oder queer oder non-binary bist, DAS können wir nicht akzeptieren“ Dasselbe verlogene Konzept!! Sogar der Scheinriese Herr Tur Tur wird nur toleriert, weil er eben nur ein SCHEINriese ist, sprich, er wird akzeptiert, weil er eigentlich genauso ist wie die anderen Figuren und nur auf den ersten Blick anders wirkt – ohne dass IRGENDWO erklärt wird, wieso richtige Riesen böse sein sollten!!

Stefanie Ditthart-Schnallenhauser hat auf diesen Kommentar geantwortet:

Hallo Melanie, das wäre mir noch gar nicht aufgefallen! Gut beobachtet!

Gabriele von Kärten hat kommentiert:

Wieso wird auf diesem „katholischen“ Blog ständig sog. „Fantasy“ empfohlen?? Kindern sollte man REALISTISChE Geschichten zu lesen geben und nicht solches Zeug mit „Halbdrachen“ und fliegenden Lokomotiven!!

Katholischer Literaturblog hat kommentiert:

Die Kommentare sind ab jetzt geschlossen.

Divine Renovation: Eine praktische Anleitung für katholische Pfarreien

Nachdem ich mir „Die Benedikt-Option“ (okay) und „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“ (nein, danke) angeschaut habe, heute mal noch eine Rezension zu einem dritten Buch mit einem Konzept dafür, wie die Kirche in Zukunft agieren könnte, um weiter zu bestehen (oder zu wachsen): „Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert. Von einer bewahrenden zu einer missionarischen Kirchengemeinde“ von James Mallon, einem kanadischen Priester aus Halifax.

Father Mallons Buch wurde 2014 auf Englisch veröffentlicht und 2017 ins Deutsche übersetzt. Er berichtet darin, kurz gesagt, über sein Konzept für die Erneuerung von Pfarreien, das er anhand seiner (sehr erfolgreichen) Erfahrungen in der Pfarrei St. Benedict in Halifax entwickelt hat. Father Mallon ist inzwischen Bischofsvikar für Pfarreierneuerung in der Diözese Halifax-Yarmouth und auch ein international gefragter Redner; er hat u. a. auf der MEHR 2018 gesprochen und auch schon Vorträge bei Veranstaltungen in den Bistümern Augsburg und Passau gehalten.

Das Buch macht schon einen sympathischen Eindruck, sobald man es aufschlägt: Zuerst kommt da ein Vorwort von Bischof Stefan Oster von Passau und einem seiner Diözesanpriester für die deutsche Ausgabe (ich bin sehr angetan von Bischof Oster), und dann ein Hinweis, dass die Übersetzer darauf verzichtet haben, „um die Lesbarkeit zu verbessern“, „neben der männlichen jeweils auch die weibliche Form anzuführen, wenn sie gedanklich mitgemeint ist“.* Jetzt aber zum eigentlichen Inhalt!

In den ersten vier Kapiteln beschreibt Father Mallon sowohl die Aufgabe der Kirche, die aus ihrer grundsätzlich missionarischen Identität resultiere, als auch die gegenwärtige Krise. Die Schwierigkeit heutzutage sei, dass die uns umgebende Kultur Kirchenbesuch und Glaube nicht mehr stütze, also genüge nicht mehr, was man in vergangenen Zeiten getan hatte, um den Glauben weiterzugeben (z. B. sein Kind auf eine katholische Schule zu schicken und es am Sonntag in die Kirche mitzunehmen); man müsse zielbewusster vorgehen. (Was mir übrigens sehr positiv aufgefallen ist: Father Mallon stellt im dritten Kapitel ausführlich klar, dass man sehr wohl darum klagen und trauern dürfe, was aus den alten Zeiten verloren gegangen ist – er zitiert ausführlich aus dem Buch der Klagelieder –, auch wenn man dann vorangehen und auf Gott hoffen müsse.)

Der Auftrag der Kirche ist es Father Mallons  Ansicht nach vor allem, „Jünger zu machen“. Hier bezieht er sich auf den Missionsauftrag Jesu im Matthäusevangelium, der wörtlich übersetzt lautet: „Hingehend also macht alle Völker zu meinen Jüngern, sie taufend auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, sie lehrend, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ (Matthäus 28,19f.) In diesem Satz ist also das Verb „macht zu Jüngern“ (matheteusate) den anderen Verben (gehen, lehren, taufen) grammatikalisch übergeordnet, und für Father Mallon sollte das Jünger-machen demnach im Zentrum der kirchlichen Aktivität stehen. Was sind Jünger? „Jünger zu sein bedeutet also, Lernender zu sein. Ein Jünger Jesu Christi zu sein bedeutet demnach, sich in einem lebenslangen Prozess des Lernens von und über Jesus, den Meister und Lehrer, zu befinden.“ (S. 34) Er schreibt weiter: „Die einzig derzeit mögliche Lösung liegt darin, zu dem zurückzukehren, was Jesus vor 2.000 Jahren von uns verlangt hat – nicht nur Gläubige zu machen oder ‚praktizierende Katholiken’, sondern Jünger.“ (S. 35f.) Die Leute müssten wirklich die Frohbotschaft von Gottes Liebe kennenlernen und eine persönliche Beziehung zu Jesus finden, und so könnten sie dann auch von Jüngern zu Aposteln werden (d. h. ihrerseits die Frohbotschaft weitergeben).

Das Ganze ist in einem Tonfall gehalten, der einen manchmal an Evangelikale erinnert. Auf diesen absehbaren Vorwurf geht der Autor im zweiten Kapitel ein, das einen Überblick über lehramtliche Aussagen der letzten fünfzig Jahre zur Neuevangelisierung gibt. „Vielleicht kommt unser Widerwille, uns einer solchen Ausdrucksweise [d. h. Ausdrücken wie ‚persönliche Beziehung zu Jesus’ oder ‚persönliche Begegnung mit Jesus’, von deren Auftauchen in kirchlichen Dokumenten etwa ab Papst Benedikt XVI. zuvor die Rede war] zu bedienen, daher, dass uns in der heutigen Kultur jeder Individualismus verdächtig scheint. Möglicherweise ist unserer geistlichen Tradition dieser Begriff fremd, die Tatsache jedoch, dass ein Mensch eine Begegnung mit dem lebendigen Gott hat, ist uns keineswegs fremd. Sie ist im Herzen unserer mystischen katholischen Tradition.“ (S. 49f.)

Father Mallon spricht in diesem Kapitel auch ein eher unbekanntes Dokument an, das 2007 von den lateinamerikanischen Bischöfen in dem mexikanischen Heiligtum Aparecida veröffentlicht wurde, und hier sieht man vielleicht auch einen weiteren Grund für die sprachliche Nähe zum Evangelikalismus, den sich Father Mallon an vielen Stellen zum Vorbild nimmt. In Lateinamerika machen bekanntlich die Freikirchen der Kirche immer größere Konkurrenz, und als Gründe führt das Aparecida-Dokument u. a. an, dass laut Umfragen viele zu den Freikirchen abgefallene Katholiken den Glauben in der katholischen Kirche als etwas Unpersönliches, rein Theoretisches erlebt hätten, und erstmals bei den Evangelikalen eine persönliche Bekehrung und eine persönliche Begegnung mit Jesus erlebt hätten – dass also, kurz gesagt, die pastorale/spirituelle Praxis in ihren Pfarreien nicht so aussah, wie sie sollte, was ihnen größere Probleme machte als irgendwelche lehrmäßigen Angelegenheiten.

Ausgehend vom Aparecida-Dokument stellt Father Mallon ein Schema auf, wie Neuevangelisierung in vier Schritten funktionieren soll:

  • Vor-Evangelisierung (Öffnen: Beziehung, Dazugehören, Einladen, Gebet, Lebenszeugnis)
  • Evangelisierung (Bekehrung: Verkündigung, Begegnung, Persönliche Beziehung)

Dann kommt eine persönliche Entscheidung für ein Leben mit Gott, und es geht weiter mit der nächsten Stufe:

  • Jüngerschaft (Reifen: Katechese, Sakramente, Zurüsten, Erneuern)
  • Apostolat (Dienen: Hinausgehen: Evangelisierung und soziale Gerechtigkeit)

D. h. jemand öffnet sich erst für eine Kirche, die er als einladend erlebt, ihm wird dann die Grundbotschaft des Evangeliums verkündet („Erstverkündigung“), er widmet sein Leben Gott, reift danach noch weiter als Christ, und dient dann auch seinerseits anderen und verkündet ihnen die Botschaft.

Hier kommt mir – auch wenn ich gegen andere typisch evangelikale Ausdrücke überhaupt nichts habe – die Ausdrucksweise übrigens doch etwas zu evangelikal vor. Die evangelikale Vorstellung ist ja die: Erlöst wird man an genau dem Punkt einer solchen Entscheidung für Gott – dann reift man auch noch weiter als Christ, ja, aber das Entscheidende ist gemacht und das zukünftige Heil, das Gott einem versprochen hat, kann auch nicht wieder verloren gehen. Für uns Katholiken ist die Heiligung aber eher ein andauernder Weg, ist Bekehrung nach Sünden immer und immer wieder notwendig, muss man die Entscheidung für Gott immer neu treffen. Ich weiß auch nicht, ob man bei jedem Christen einen solchen klaren Punkt auf seinem Glaubensweg festmachen, an dem er sagt: So, ab jetzt lebe ich für Gott! Manchmal ist es ein allmählicher Prozess – und manchmal gibt es wieder Rückschläge. Freilich ist es gut, wenn man jemanden dazu führen kann, dass er bewusst die Entscheidung trifft, von nun an als Christ leben zu wollen.

Da Father Mallon ja nicht die evangelikale Erlösungslehre (die die Erlösung mit einer solchen Entscheidung identifiziert) teilt, könnte das Buch einem gelegentlich auch fast „weltlich“ vorkommen – in dem Sinne, dass Father Mallon sich darauf konzentriert, wie die Leute auf Erden zu guten Jüngern werden, aber wenig über den Umgang mit den geistlichen Gefahren auf ihrem Weg sagt, und das Wort „Seelenheil“ so gut wie nicht vorkommt. Auch die Beichte, mit der man wieder von Sünden gereinigt wird, wird kaum erwähnt. Klassischerweise beginnen katholische Katechismen mit der Aussage, dass das Ziel unseres Lebens ist, Gott zu erkennen, zu lieben und einmal bei Ihm im Himmel zu sein; der dritte Punkt scheint in „Divine Renovation“ ein bisschen herauszufallen. Sicher; der Autor geht auf viele Punkte ein und man kann nicht immer alles erwähnen; vielleicht hat er das Thema „Seelenheil“ auch einfach für zu selbstverständlich und zu innerlich verwoben mit dem irdischen Leben als Christ gehalten, um es ausdrücklich anzusprechen. Aber ich hätte es gut gefunden, wenn er noch ein paar Ideen dazu eingefügt hätte, wie man die Leute z. B. an die regelmäßige Beichte heranführt. Das ist ja nicht gerade einfach, da es deutlich mehr Überwindung kostet, in einem Beichtstuhl einem anderen Menschen seine Sünden zu bekennen, als sich sonntags um zehn in eine Kirchenbank zu setzen.

Als ein Problem, das der Erneuerung der Kirche im Weg steht, sieht Father Mallon übrigens eine Art Klerikalismus, den er folgendermaßen beschreibt: „Klerikalismus ist nichts anderes als die Vereinnahmung dessen, was eigentlich jedem Getauften zukommt, durch die Kaste der Kleriker. […] Priester und Ordensschwestern werden zu Super-Christen, die außergewöhnliche Kräfte haben, das zu tun, was gewöhnliche Christen nicht tun können. Diese Überhöhung hat zwei Folgen: Isolierung der Priester und Ordensleute und mangelnde Reife der Getauften. […] In einem solchen System können wir die Priester und Schwestern und ihre großartige Arbeit hochhalten und sie aus einer gewissen Entfernung beklatschen Das gibt Sicherheit und muss auch so sein, solange der durchschnittliche Laie seine eigene Unreife für normal und akzeptabel hält. In dieser Isolation darf der Priester niemals irgendeine menschliche Schwäche zeigen, sonst ist das Spiel aus.“ (S. 97f.) Kurz gesagt, Klerikalismus schadet (unterforderten) Laien ebenso wie (überfordertem & überschätztem) Klerus und verdunkelt den allgemeinen Ruf zur Heiligkeit.

Kommen wir jetzt zum Herzstück des Buches, dem 140 Seiten langen fünften Kapitel: „Das Fundament legen: Wie die Kultur der Pfarrgemeinden verwandelt werden kann.“ Hier beschreibt Father Mallon planvoll und detailliert, welche Maßnahmen eine Pfarrei treffen kann, um „Jünger zu machen“. Er stellt anfangs klar, dass sich das, worauf eine Pfarrei wirklich Wert legt, nicht darin zeige, wovon am meisten geredet werde, sondern darin, wofür das Geld ausgegeben und die Zeit aufgewendet werde; auf das Jahresbudget und auf den Kalender des Pfarrers muss man schauen, wenn man etwas verändern will. Außerdem zieht sich ein grundsätzliches Prinzip für den Umgang mit dem Priestermangel, der in immer größeren Pfarreien resultiert, durch sämtliche Pläne: Der Pfarrer soll sich auf seine zentralen priesterlichen Aufgaben konzentrieren, die da laut dem Codex des Kanonischen Rechts sind: lehren, leiten, heiligen (d. h. die Sakramente spenden); er soll also predigen, eine gute Gesamtleitung über die Pfarrei ausüben, die Messe feiern, Beichten hören, taufen, die Krankensalbung spenden etc.; alle anderen Aufgaben aber sollen an fähige haupt- oder ehrenamtliche Laien delegiert werden, die Verantwortung tragen können. Ein Pfarrer mit mehreren Tausend Gemeindemitgliedern kann nicht jedes einzelne kennen und ihm beratend zur Seite stehen – aber es gibt Laien, die das auch können.

Er führt in diesem Kapitel insgesamt zehn Punkte an. Die ersten vier davon befassen sich mit dem Sonntagsgottesdienst:

1. Der Vorrang des Wochenendes

Da die Sonntagsmesse die Veranstaltung ist, bei der die meisten aktiven Gemeindemitglieder zusammenkommen, solle man auch ausreichend Zeit in sie investieren, was ihre Vorbereitung und „Inszenierung“ anbelangt. Father Mallon zeigt sich ziemlich genervt von 50-Minuten-Messen und von Gläubigen, die sich über zu lange Predigten beschweren oder gleich nach der Kommunion die Kirche verlassen, weil sie es nicht erwarten können, nach Hause zu kommen. Nun finde ich, dass es schon gute Gründe geben kann, aus denen manche Leute kurze Messen vorziehen (z. B. Eltern mit kleinen Kindern, die noch eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben), aber insgesamt ist ja nichts dagegen zu sagen, auch mal eine längere Messe zu feiern.

2. Gastfreundschaft

Auch hier bezieht sich Father Mallon vor allem auf die Gottesdienste, speziell auf den Eindruck, den Neuankömmlinge und Zufallsgäste haben, wenn sie in einer Pfarrei an der Sonntagsmesse teilnehmen. „Wie willkommen fühlt sich jemand, der nicht aussieht wie wir, nicht so klingt wie wir, sich nicht so kleidet wie wir und nicht so riecht wie wir? Wie fühlt sich jemand, der mit einer Geisteskrankheit kämpft, wenn er unsere Kirche betritt?“ (S. 135) Er appelliert hier sowohl an die einzelnen Gemeindemitglieder, auch mal jemandem in der Kirchenbank Platz zu machen und ihm ein Lächeln zu schenken, als auch an die Pfarreien, ordentlich geputzte Toiletten zu haben und z. B. einen Willkommensstand mit ausreichend Infomaterial im Eingangsbereich, an dem auch Freiwillige nach der Messe bereitstehen, um Auskünfte zu geben. Außerdem spricht er davon, wie ein Priester bei Anlässen, zu denen viele nicht-praktizierende Katholiken auftauchen, z. B. bei Begräbnissen, denen, die mit der Liturgie nicht vertraut sind, weiterhelfen kann, indem er an passenden Stellen der Messe kurze Erklärungen dazu einfügt, was als nächstes passiert.

3. Aufbauende Musik

Father Mallon plädiert dafür, in der Messe verschiedene Musikstile zuzulassen – solange nur die Texte nicht häretisch sind und die Qualität hoch ist. Besonders warme Worte findet er für Praise&Worship (Lobpreismusik): „So richtig und passend die verschiedenen Liedarten auch sind, so bin ich doch der Meinung, dass Loblieder den Ehrenplatz haben sollten. Sie haben die stärkste Verwandlungskraft, denn sie schlagen uns nicht nur vor zu beten, sie rufen uns nicht nur zum Gebet auf oder sagen uns, wie wunderbar es ist zu beten, sondern sie sind selbst Gebet.“ (S. 148)

4. Predigten

Father Mallon ist für etwas längere, sprich 15-20minütige, Predigten, die die Lesungen des Tages auslegen, das Gewissen und den Willen (nicht nur das Hirn) ansprechen, und immer auch die sog. „Erstverkündigung“ enthalten sollen: „Jede Predigt, gleich vor welcher Hörerschaft – ob am Sonntag oder Wochentag, bei Hochzeit oder Begräbnis – sollte Jesus Christus verkündigen, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung und das neue Leben, das man in ihm durch ein Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe finden kann.“ (S. 160) Außerdem gibt er weitere praktische Tipps für die Predigtvorbereitung.

Die nächsten sechs Punkte befassen sich mit dem Rest des Gemeindelebens.

5. Echte Gemeinschaft

Der Autor hebt hervor, dass es in den Gemeinden echte Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft geben müsse, statt dass nur Individuen einmal die Woche zur selben Veranstaltung auftauchen. „Die meisten Menschen heute fühlen sich nicht genötigt, nach der Wahrheit zu suchen. Sie sind an einer Lehre oder einem Angebot, das zu einer systematischen, umfassenden Weltsicht führt, weitgehend uninteressiert. […] Das mag für manche unter uns traurig sein, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das unsere neue Realität ist. […] Glaubensüberzeugungen werden nicht mit Predigten und durch Lehre verändert, sondern indem man Vertrauen aufbaut durch Beziehungen, durch Anteilnahme, durch Zugehörigkeit.“ (S. 179) Er macht verschiedene Vorschläge für Aktionen, die die Gemeinschaft stärken, darunter die bereits oft von ihm erwähnten Alphakurse, bei denen an zehn Abenden (einmal wöchentlich) ein gemeinsames Essen, danach ein Vortrag über ein zentrales Glaubensthema (z. B. „Ist Jesus auferstanden?“) und dann Austausch in Kleingruppen stattfindet. Außerdem schlägt er z. B. einen Gebetsdienst für Gottesdienstbesucher nach der Messe vor: „Jede Woche gibt es Teams, die in der Sakramentskapelle mit denjenigen beten, die das Gebet wünschen.“ (S. 191)

Anschließend geht er auch auf Analysen des Marktforschungsinstituts Gallup zur Struktur von gesunden Organisationen ein. Diese Analysen teilen Mitglieder von Organisationen in drei Gruppen ein: Engagierte, Nicht-Engagierte, und aktiv Nicht-Engagierte. „Engagierte Pfarreimitglieder werden als solche beschrieben, die total begeistert von ihrer Pfarrgemeinde sind. Sie haben das Gefühl, dass diese sie wirklich etwas angeht und sie identifizieren sich auch mit ihren Plänen. Engagierte Angehörige dienen mehr, geben mehr und sind viel bereiter, andere in ihre Kirche einzuladen. Nicht-engagierte Mitglieder sind im Allgemeinen zufrieden mit ihrer Pfarrgemeinde, aber sie tendieren dazu, passiv zu sein und sich nicht einzubringen. Die letzte Kategorie sind die aktiv Nicht-Engagierten. Das sind jene, die zutiefst unzufrieden damit sind, wie die Dinge laufen, sie wollen keinerlei Wandel und sind in der Regel negative und destruktive Teilnehmer.“ (S. 193f.) Die Ergebnisse einer ersten Umfrage in St. Benedict hätten ergeben, dass man 24% zu den Engagierten, 47% zu den Nicht-Engagierten, und 29% zu den aktiv Nicht-Engagierten zählen könnte. Idealerweise läge das Verhältnis von Engagierten zu aktiv Nicht-Engagierten jedoch bei 4:1. Zweieinhalb Jahre später sei das Ergebnis immerhin schon 41 : 44 : 15 gewesen. „Drei Jahre nach Umsetzung der auf Engagement und Zugehörigkeit basierenden Strategie in St. Benedict hat sich die Zahl der Erwachsenen, die an Evangelisierungs-Programmen und an der Glaubensunterweisung teilnehmen, verdreifacht. Die Anzahl jener Pfarrangehörigen, die Dienste übernommen haben, hat sich verdoppelt und unsere wöchentliche Kollekte ist von durchschnittlich 10.000$ pro Wochenende auf 20.000$ bis 21.000$ angewachsen. Und dabei ist die durchschnittliche Zahl der Messbesucher ungefähr gleich geblieben. Viele Neue sind dazugekommen, aber genauso viele sind auch weggegangen. Gesund wird man durch Wachstum und durch Schrumpfung.“ (S. 196) In den nächsten Punkten wird die Strategie noch genauer erläutert:

6. Klare Erwartungen

Eine Pfarrei brauche nicht nur eine gute Willkommenskultur, sondern auch Erwartungen gegenüber ihren Mitgliedern: „Eine hohe Willkommenskultur und eine hohe Erwartungshaltung sind tatsächlich eine respektvollere Reaktion auf Menschen, denn wir sagen ihnen: ‚Wir glauben, dass Gott in dir und durch dich wirken wird. Wir erwarten das und du solltest dasselbe tun.’“ (S. 198f.) Die Erwartungen, die die Pfarrei St. Benedict an ihre neuen Mitglieder stelle, seien folgende fünf: Jedes Mitglied soll am Sonntag zu einer Messe kommen, einmal im Jahr an einem Glaubensseminar teilnehmen, um seinen eigenen Glauben zu stärken, einmal im Jahr eine Aufgabe in der Pfarrei übernehmen, um anderen zu dienen, die Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedern pflegen, und die Pfarrei finanziell unterstützen (in Kanada gibt es keine Kirchensteuer). Father Mallon fordert hier auch, dass man auch darauf sehen müsse, dass die besonders engagierten Mitglieder, die sich oft alles Mögliche aufbürden lassen, nicht nur Dinge für andere tun, sondern auch Gelegenheiten haben, ihren eigenen Glauben in Glaubenskursen etc. zu stärken.

Man muss die Leute natürlich auch dazu bewegen, sich bei einem konkreten Kurs anzumelden, sich bei einem Dienst einzubringen oder zu spenden, also veranstaltet die Pfarrei St. Benedict drei Initiativen im Jahr: Im September werden an mehreren Sonntagen nacheinander Glaubenskurse, Buchklubs o. Ä. in der Predigt vorgestellt und Broschüren dazu verteilt und die Gläubigen können sich eintragen; im Januar passiert dasselbe bzgl. der Dienste in der Pfarrei, und im Mai wird das Budget vorgestellt und erklärt, damit die Leute wissen, wofür sie spenden und wofür noch Geld benötigt wird. Der Autor betont, dass es für jedes Pfarreimitglied einen möglichen Dienst gäbe: „Wir haben sogar einen Dienst für ans Haus gefesselte und kranke Menschen entwickelt, der ‚Gesellschaft der Seligen Therese Neumann’ heißt. Dort können sich Menschen, die ihr Haus nicht verlassen können, eintragen und ihre Gebete und unvermeidlichen Leiden Gott aufopfern als eine Art Fürbitte für die Erneuerung der Pfarrgemeinde. Im Gegenzug informiert sie ein monatlicher Newsletter darüber, was in der Pfarrgemeinde geschieht, und stellt dort auch besondere Intentionen vor, für die sie von daheim aus für die Pfarrgemeinde beten können.“ (S. 210)

Insgesamt kann ich dazu sagen: Es kommt mir wie eine gute Herangehensweise hervor; das Minimum sollte die Leute nicht überfordern, und kann ihnen sehr auf ihrem Glaubensweg weiterhelfen. Allerdings würde ich mir wünschen, dass bei den fünf Mindestanforderungen einerseits noch etwas mehr dabei wäre, und andererseits ein paar Dinge unterschieden werden würden. Es gibt schließlich die fünf Kirchengebote: An Sonntagen und gebotenen Feiertagen die Messe besuchen, die Kirche finanziell unterstützen, einmal jährlich beichten, mindestens zu Ostern und in Todesgefahr die Kommunion empfangen, die Fast- und Abstinenztage einhalten. Die letzten drei Gebote werden von Father Mallon nicht erwähnt. Es wäre meiner Ansicht nach besser, wenn die Pfarrei St. Benedict den Leuten vermitteln würde, dass die fünf Kirchengebote für alle Katholiken verpflichtend sind, und die Pfarrei es außerdem gern sähe (es aber nicht zu einer strengen Verpflichtung machen kann), wenn ihre Mitglieder einen Dienst im Jahr übernehmen, an einem Glaubenskurs im Jahr teilnehmen und sich als Teil der Gemeinschaft verstehen würden. Besonders auf die regelmäßige Beichte könnte mehr Wert gelegt werden.

7. Dienen mithilfe unserer Stärken

Für die Dienste sei es wichtig, dass die Leute ihre individuellen Fähigkeiten kennen, wobei auch Tests wie der „Stärkenfinder“ von Gallup helfen könnten.

8. Die Bildung kleiner Gemeinschaften

In einer großen Pfarrei kann der Priester nicht alle kennen und an ihren persönlichen Problemen Anteil nehmen; und Glaubenskurse sind meistens auf einige Wochen begrenzt und lösen sich dann wieder auf. Die Lösung sind für Father Mallon Kontaktgruppen mit 25-35 Mitgliedern. Den Teilnehmern an Glaubenskursen wie dem Alphakurs wird angeboten, Kontaktgruppen beizutreten, die sich jede Woche in Privathäusern treffen. „Einige der derzeitigen zehn Gruppen sind altersspezifisch, einige sind generationsübergreifend und einige sind familienfreundlich, wo Eltern mit ihren Kindern zusammenkommen.“ (S. 225) In solchen Kontaktgruppen wird über verschiedene Glaubensthemen gesprochen, die Leiter werden entsprechend geschult, und jeder Teilnehmer hält auch einmal ein eigenes Referat.

9. Die Erfahrung des Heiligen Geistes

Die Leute sollten die Möglichkeit haben, das Wirken des Heiligen Geistes in ihrem eigenen Leben zu erfahren. Father Mallon betont, dass wir nicht nur an Jesus und Gottvater glauben, sondern auch an den Heiligen Geist, und auch zu Ihm beten sollten. Dieser Punkt bleibt allgemein etwas unspezifisch, finde ich.

10. Eine einladende Kirche werden

Die Leute sollten sich trauen, ihre Familienmitglieder, Freunde, Kollegen und Nachbarn zum Sonntagsgottesdienst, zu einem Alphakurs, einem Gebetsfrühstück oder einem Konzert einzuladen.

Während es in Kapitel 5 um diejenigen geht, die immerhin bereits in den Gottesdienst kommen oder die man mit einer Einladung zum Alphakurs erreichen kann, befasst sich Kapitel 6 mit den Unengagierten, die zur Pfarrei kommen, weil sie ein Sakrament verlangen, also eine Taufe, Erstkommunion, Firmung oder Hochzeitsfeier. Hier stellt sich das altbekannte Problem, etwa bei der Firmung, die für viele Jugendliche das letzte Mal ist, dass sie eine Kirche betreten: „Wie lange können Priester und Gemeinde froh und innig die Firmung als Vervollständigung der christlichen Initiation feiern und dabei nur zu gut wissen, dass die meisten der neu Initiierten in ihren Köpfen gerade den Entlassungsschein aus der Kirche erhalten haben? Noch schlimmer ist, dass die Jugendlichen wissen, dass wir es wissen, und schlimmer noch, wissen, dass wir wissen, dass sie es wissen. Unsere Integrität als Kirche steht auf dem Spiel.“ (S. 264) Father Mallon betont, dass man sich nicht nur Gedanken darüber machen solle, ob jemand ein Sakrament gültig, sondern auch, ob er es fruchtbar empfinge. Er schreibt: „Ich bin der festen Meinung, dass wir grundsätzlich die Bitte um ein Sakrament nie mit ‚Nein’ beantworten dürfen. Sonst schneiden wir die Chance für Bekehrung und Veränderung schon in ihren Anfängen ab. Dennoch wirft das die Frage auf, was es bedeutet, hier ‚Ja’ zu sagen. Ja darf nicht heißen, nur einen Termin auszumachen, den Papierkram zu erledigen und kurzen Ehevorbereitungsunterricht zu geben.“ (S. 254)

Man kann zwei hauptsächliche Prinzipien in der Herangehensweise von St. Benedict finden: Erstens werden die Eltern stärker in die Erstkommunion- und Firmvorbereitung ihrer Kinder eingebunden. Father Mallon hat erkannt: „Und sobald die Kinder merken, dass, was sie empfangen, ihren Eltern wenig bedeutet, bringt auch ihr eigener Glaube wenig Frucht.“ (S 270f.) So sollen Eltern, die ihre Kinder zur Erstkommunion anmelden, regelmäßig mit ihrer Familie zur Messe kommen und dann ebenso wie ihre Kinder einen Glaubenskurs, einen Erstbeichtkurs und einen Erstkommunionkurs absolvieren, bevor sie für das Sakrament zugelassen werden. Zweitens soll, wie hieran schon deutlich wird, in der Vorbereitung nicht nur die Bedeutung des Sakraments erklärt werden, sondern auch die „Erstverkündigung“ stattfinden; auch Brautpaare etwa sollen nicht nur einen Ehevorbereitungskurs machen, sondern auch einen Glaubenskurs.

Das Kapitel enthält noch weitere Konzepte (z. B. dass Erstkommunion und Firmung nicht strikt an ein bestimmtes Alter gebunden sein müssen, dass Taufen auch im Kreis der ganzen Gemeinde in einer Sonntagsmesse stattfinden können, dass man von engagierten Pfarreimitgliedern, die schon ihr drittes Kind zur Taufe bringen, nicht das gleiche Vorbereitungsprogramm verlangen muss wie von einem Paar, das man noch nie gesehen hat, usw.); aber diese beiden Punkte sind wohl die wichtigsten: Auch Erstverkündigung statt „nur“ Katechese über das Sakrament, und Einbeziehung der ganzen Familie, wenn es um Sakramente für die Kinder geht. Die Folgen: „Die jährlichen Zahlen der Firmungen sind etwa auf 40% zurückgegangen, aber die Zahl der Jugendlichen, die dann ihren Glauben in der Kirche weiterleben, liegt bei etwa 80%. Das ist ein radikaler Umbruch verglichen mit der Situation wenige Jahre zuvor, als 75% der Gefirmten verschwanden und nie wieder gesehen wurden.“ (S. 280f.) Bei den Taufen seien die Zahlen etwa um die Hälfte gesunken, aber zwei Drittel der Familien blieben danach der Kirche treu.

Im siebten Kapitel geht es dann um die Leitung der Pfarrei. Der Autor beklagt, dass Seminaristen kaum etwas über Führungsqualitäten lernen, und auch, dass sie später oft nicht die Gelegenheit haben, eine Pfarrei länger zu führen, sprich, dass Pfarrer oft schon nach wenigen Jahren versetzt werden, bevor sie wirkliche Veränderungen anstoßen können: „Wenn wir die Gaben der Hirten verteilen und sie ständig versetzen, dann erhalten wir bestenfalls mittelmäßige Gemeinden. Wenn wir es möglich machen, dass Pfarrer in Pfarreien, die großen Einfluss ausüben können, Reformen durchführen dürfen, dann schaffen wir wenigstens für einige Gemeinden die Möglichkeit, gesund und stark zu werden.“ (S. 304) Er betont, dass Leiter ihre eigenen Schwächen kennen müssen, auch, um zu wissen, was sie delegieren müssen, und dass sie (unter Beteiligung der einflussreichen Laien der Pfarrei) eine übergreifende Vision für ihre Pfarrei entwickeln sollen; außerdem geht er ausführlich auf die Rolle von Gremien, von ehrenamtlichen Helfern und hauptamtlichen Mitarbeitern und die konstruktive Zusammenarbeit eines Teams ein.

Besonders positiv fällt an diesem Buch die starke Praxisorientierung und Detailgenauigkeit auf. Immer wieder gibt es sehr konkrete Beispiele z. B. für die Möglichkeiten der Gottesdienstgestaltung. Außerdem finde ich es sehr gut, wie Father Mallon betont, dass die Leute erst einmal die Grundsätze des Glaubens kennenlernen müssen („Erstverkündigung“), bevor man darauf aufbauen kann; Wissen über einzelne Details, ohne das Gesamtbild, ohne Begegnung mit dem liebenden Gott, reicht nicht. Viele seiner Vorschläge bauen außerdem auf biblischen Vorbildern oder lehramtlichen Dokumenten auf, sind also gut fundiert. Außerdem findet Father Mallon, was man hierzulande selten findet, einen Weg, praktische Vorschläge für den Umgang mit dem Priestermangel zu machen, ohne endlos über notwendige Pfarreienzusammenlegungen zu lamentieren, oder eine Laienkirche vorzuschlagen, die keine Priester mehr braucht.

Es hat einzelne Dinge gegeben, die mir an dem Buch weniger gefallen haben. Die 2014-typische Franziskus-Begeisterung, die gelegentlich durchscheint, ist einfach nicht meins. Dann sind da einzelne Stellen, die man kritisieren könnte – etwa, wenn Father Mallon auf S. 130 die Kasuisten der alten Zeiten dafür kritisiert, dass sie die Frage „Wieviel von einer Messe darf ich versäumen,wenn sie dennoch gültig sein soll?“ diskutiert haben. (Das taten diese Kasuisten nämlich nicht unbedingt, weil sie einem legalistischen Minimalismus verfallen gewesen wären, sondern weil Menschen gelegentlich durch diverse Umstände in die Lage kommen konnten, dass sie bereits einen Teil der Messe versäumt hatten, und sich dann fragten, ob sie jetzt noch eine andere Messe besuchen müssten, oder später, ob, wenn sie das nicht getan hatten, es eine Sünde gewesen war; die Kasuistik stand in solchen Fällen mit konkreten Ratschlägen zur Seite.) Ein gravierenderer Fehler zeigt sich auf S. 262, wo er die Kindertaufe als, historisch betrachtet, eine „Ausnahme“ bezeichnet: „Es ist eine Tatsache, dass Säuglinge in der frühen Kirche getauft wurden. […] Die Norm war pastoral und theologisch immer noch die Taufe Erwachsener. Kinder wurden getauft als eine Erweiterung des Glaubens, den die Eltern bekannten und lebten, die ihre Kinder mitbrachten. […] Biblisch gesehen war die Taufe eine Antwort des erwachsenen Glaubens. Über Jahrhunderte jedoch änderte sich die Praxis und es entstand eine Tauftheologie, die nicht mehr in Verbindung stand zu Umkehr und persönlichem Glauben […].“ Das ist ein falscher Blickwinkel, finde ich. Die antike Situation, dass die Erwachsenen alle erst noch bekehrt werden mussten, war die Ausnahme. Die Normalität – so, wie es eigentlich sein sollte – ist die mittelalterliche Situation, in der die Erwachsenen alle schon gläubig waren und jedes neugeborene Kind gleich in den Gottesbund aufgenommen wurde, d. h. in der Familie Gottes aufwachsen konnte.

Aber insgesamt muss ich dieses Buch sehr loben. Es ist besonders für Priester, Diakone, pastorale Mitarbeiter und in Pfarreien engagierte Laien zu empfehlen. Es muss nicht jede Pfarrei alle darin enthaltenen Ideen übernehmen, aber sicher kann jede irgendetwas mitnehmen. Wenn ich Rod Drehers „Die Benedikt-Option“ eine 2- und Erik Flügges „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“ eine 5 geben würde, würde ich sagen, dass „Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert“ eine 1- verdient.

 

* KEIN BINNEN-I, KEIN UNTERSTRICH, KEIN GENDERSTERN!

Aus dem Denzinger: Der Anti-Modernisten-Eid

Der „Denzinger“, genau genommen das „Enchiridion symbolorum definitionum et declarartionum de rebus fidei et morum / Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen“ ist eine ursprünglich von Heinrich Denzinger, in der um neue Dokumente erweiterten Fassung dann von Peter Hünermann, herausgegebene Sammlung von Glaubensbekenntnissen, Konzilsentscheidungen und päpstlichen Lehrschreiben im lateinischen/griechischen Original und in deutscher Übersetzung. Die Dokumente reichen vom Jahr 96 bis ins Jahr 2003 (in der 42. Auflage).

 Ich habe festgestellt, dass es ziemlich spannend ist, im Denzinger zu stöbern – da kommt einiges Unerwartete aus der Kirchengeschichte ans Tageslicht, und auch manches Kuriose. Vor allem aber bekommt man ein Gespür dafür, welche Probleme die Kirche zu einer bestimmten Zeit beschäftigten. Manche Themen kommen immer wieder auf (z. B. Fragen zur Ehe, oder zur Union der zwei Naturen in Christus, oder zum Vergehen der Simonie); manche nur ein- oder zweimal (z. B. wenn eine Synode diejenigen exkommuniziert, die Schiffbrüchige berauben). Im 17. Jahrhundert streiten die Theologen um die Gnadenhilfen, im 19. muss man sowohl den religiösen Indifferentismus als auch den Fideismus verurteilen.

 In dieser Reihe möchte ich einfach regelmäßig Zitate aus den meiner Meinung nach besonders interessanten Dokumenten bringen, wenn nötig mit einer kurzen historischen Einordnung. Die Zitierweise „DH [Zahl]“ gibt die Nummer an, unter der die Stelle im „Denzinger-Hünermann“ zu finden ist.

 Alle Teile hier.

 

Der folgende vom hl. Pius X. eingeführte Eid musste zwischen 1910 und 1967 von allen Pfarrern, Theologiestudenten vor Erhalt der akademischen Grade, Ordensoberen usw. abgelegt werden:

 

„Ich, N.N., umfasse fest und nehme samt und sonders an, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche definiert, behauptet und erklärt wurde, vor allem diejenigen Lehrkapitel, die den Irrtümern dieser Zeit unmittelbar widerstreiten.

Und zwar erstens: Ich bekenne, daß Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft ‚durch das, was gemacht ist’ [Röm 1,20], das heißt, durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als Ursache vermittels der Wirkungen sicher erkannt und sogar auch bewiesen werden kann.

Zweitens: Die äußeren Beweise der Offenbarung, das heißt, die göttlichen Taten, und zwar in erster Linie die Wunder und Weissagungen lasse ich gelten und anerkenne ich als ganz sichere Zeichen für den göttlichen Ursprung der christlichen Religion, und ich halte fest, daß ebendiese dem Verständnis aller Generationen und Menschen, auch dieser Zeit, bestens angemessen sind.

Drittens: Ebenso glaube ich mit festem Glauben, daß die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und geschichtlichen Christus selbst, als er bei uns lebte, unmittelbar und direkt eingesetzt und daß sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie, und seine Nachfolger in Ewigkeit erbaut [wurde].

Viertens: Ich nehme aufrichtig an, daß die Glaubenslehre von den Aposteln durch die rechtgläubigen Väter in demselben Sinn und in immer derselben Bedeutung bis auf uns überliefert [wurde]; und deshalb verwerfe ich völlig die häretische Erdichtung von einer Entwicklung der Glaubenslehren, die von einem Sinn in einen anderen übergehen, der von dem verschieden ist, den die Kirche früher festhielt; und ebenso verurteile ich jeglichen Irrtum, durch den an die Stelle der göttlichen Hinterlassenschaft, die der Braut Christi überantwortet ist und von ihr treu gehütet werden soll, eine philosophische Erfindung oder eine Schöpfung des menschlichen Bewusstseins setzt, das durch das Bemühen der Menschen allmählich ausgeformt wurde und künftighin in unbegrenztem Fortschritt zu vervollkommnen ist.

Fünftens: Ich halte ganz sicher fest und bekenne aufrichtig, daß der Glaube kein blindes Gefühl der Religion ist, das unter dem Drang des Herzens und der Neigung eines sittlich geformten Willens aus den Winkeln des Unterbewußtseins hervorbricht, sondern die wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen aufgrund des Hörens empfangenen Wahrheit, durch die wir nämlich wegen der Autorität des höchst wahrhaftigen Gottes glauben, daß wahr ist, was vom persönlichen Gott, unserem Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart wurde.

Ich unterwerfe mich auch mit der gehörigen Ehrfurcht und schließe mich aus ganzem Herzen allen Verurteilungen, Erklärungen und Vorschriften an, die in der Enzyklika ‚Pascendi’ und im Dekret ‚Lamentabili’ enthalten sind, vor allem in bezug auf die sogenannte Dogmengeschichte.

Ebenso verwerfe ich den Irrtum derer, die behaupten, der von der Kirche vorgelegte Glaube könne der Geschichte widerstreiten, und die katholischen Glaubenslehren könnten in dem Sinne, in dem sie jetzt verstanden werden, nicht mit den wahren Ursprüngen der christlichen Religion vereinbart werden.

Ich verurteile und verwerfe auch die Auffassung derer, die sagen, der gebildetere christliche Mensch spiele eine doppelte Rolle , zum einen die des Gläubigen , zum anderen die des Historikers, so als ob es dem Historiker erlaubt wäre, das festzuhalten, was dem Glauben des Gläubigen widerspricht, oder Prämissen aufzustellen, aus denen folgt, daß die Glaubenslehren entweder falsch oder zweifelhaft sind, sofern diese nur  nicht direkt geleugnet werden.

Ich verwerfe ebenso diejenige Methode , die heilige Schrift zu beurteilen und auszulegen, die sich unter Hintanstellung der Überlieferung der Kirche, der Analogie des Glaubens und der Normen des Apostolischen Stuhles den Erdichtungen der Rationalisten anschließt und – nicht weniger frech als leichtfertig – die Textkritik als einzige und höchste Regel anerkennt.

Außerdem verwerfe ich die Auffassung jener, die behaupten, ein Lehrer, der eine theologische historische Disziplin lehrt oder über diese Dinge schreibt, müsse zunächst die vorgefaßte Meinung vom übernatürlichen Ursprung der katholischen Überlieferung oder von der von Gott verheißenen Hilfe zur fortdauernden Bewahrung einer jeden geoffenbarten Wahrheit ablegen; danach müsse er die Schriften der einzelnen Väter unter Ausschluß jedweder heiligen Autorität allein nach Prinzipien der Wissenschaft und mit derselben Freiheit des Urteils auslegen, mit der alle weltlichen Urkunden erforscht zu werden pflegen.

Ganz allgemein schließlich erkläre ich mich als dem Irrtum völlig fernstehend, in dem die Modernisten behaupten, der heiligen Überlieferung wohne nichts Göttliches inne, oder, was weit schlimmer [ist], dies in pantheistischem Sinne gelten lassen, so dass nichts mehr übrig bleibt als die bloße und einfache Tatsache, die mit den allgemeinen Tatsachen der Geschichte gleichzustellen ist, dass nämlich Menschen durch ihren Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihren Geist die von Christus und seinen Aposteln angefangene Lehre durch die nachfolgenden Generationen hindurch fortgesetzt haben.

Daher halte ich unerschütterlich fest und werde bis zum letzten Lebenshauch den Glauben der Väter von der sicheren Gnadengabe der Wahrheit festhalten, die in ‚der Nachfolge des Bischofsamtes seit den Aposteln’* ist, war und immer sein wird; nicht damit das festgehalten werde, was gemäß der jeweiligen Kultur einer jeden Zeit besser und geeigneter scheinen könnte, sondern damit die von Anfang an durch die Apostel verkündete unbedingte und unveränderliche Wahrheit ‚niemals anders geglaubt, niemals anders’ verstanden werde**.

Ich gelobe, daß ich dies alles treu, unversehrt und aufrichtig beachten und unverletzlich bewahren werde, indem ich bei keiner Gelegenheit, weder in der Lehre noch in irgendeiner mündlichen oder schriftlichen Form, davon abweiche. So gelobe ich, so schwöre ich, so [wahr] mir Gott helfe und diese heiligen Evangelien Gottes.“

(Pius X., Motu Proprio „Sacrorum antistitum“, 1910; in: DH 3537–3550)

 

* Vgl. Irenäus von Lyon, Adversus haereses IV 40, n. 2 (hrsg. vonW. W. Harvey [Cambridge 1857] 2,236 / = IV 26, n. 2: SouChr 100/II, 718 / PG 7,1053C).

** Vgl. Tertullian, De praescriptione haereticorum 28 (R. F. Refoulé: CpChL 1 [1954] 209 / CSEL 70,34 / PL 2,47).

Eine Kirche für viele Individualisten, die es nicht so genau wissen wollen

Ich hatte ja nicht sehr hohe Erwartungen an das dünne Büchlein „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“ von Erik Flügge. Aber es ist eher noch schlechter, als ich erwartet hatte. Es liest sich von der ersten Seite ab so, wie man es von Flügges Opus gewohnt ist: arrogant und der Inhalt eine Mixtur aus einer Menge Unsinn und ein paar originellen, sinnvolle Gedanken. Oder genau genommen, einem originellen, sinnvollen Gedanken. „Eine Kirche für viele“ bringt eine praktische Idee vor, die die Kirche voranbringen soll, nämlich regelmäßige Hausbesuche bei allen ihren Mitgliedern.

Fangen wir am Anfang an. Flügge beklagt, dass der „heilige Rest“, definiert als die 10% der Kirchenmitglieder, die sich in den Pfarreien, Verbänden usw. engagieren und zum Gottesdienst erscheinen, alle Ressourcen verheizen würden. Die Kirche gebe ihre Kirchensteuereinnahmen für den Unterhalt von Kirchen und Gemeindehäusern aus, für Seniorenkränzchen und Pfarrfeste; und was hätten die 90% nicht Engagierten davon? Um die würde man sich gar nicht kümmern, sondern bloß ihr Geld nehmen.

Diese Kritik setzt so sehr an völlig falschen Punkten an, dass ich gar nicht recht weiß, wo ich bei meiner Erwiderung anfangen soll. Wirft man es den 10% jetzt vor, dass sie nicht gleichgültig gegenüber der Kirche sind? Zum Pfarrfest und zur Messe kann schließlich jeder erscheinen, der möchte. So ein bisschen ist Flügge das auch bewusst: Nachdem er sich seitenweise über den Egoismus des heiligen Rests ausgelassen hat, beruhigt er seine Leser schließlich dahingehend, dass er diese Christen natürlich individuell alle als sehr selbstlos und engagiert ansehe; es sei nur ein struktureller Egoismus da, der jedes Mal protestiere, wenn man irgendeinem Programm, das nur dem heiligen Rest nütze, das Geld streichen wolle (vgl. S. 22f.).

Flügge erzählt, wie er manchmal an seiner Kirche verzweifeln könne, die sich gar nicht für ihn interessiere – aber er bleibt ihr trotzdem (erstmal) noch treu:

 „Meine Kirche, die bedeutet mir etwas. Das Christentum in unserer Welt halte ich für bereichernd. Die Gesamtorganisation Kirche mag ich, weil sie mich biografisch prägte. Aber immer, wenn ich ihr real begegne, regt ihr Desinteresse an 90 Prozent ihrer Mitglieder mich furchtbar auf. Ich habe ein paar Mal darüber nachgedacht, auszutreten. Weil es am kirchlichen Leben so gar nichts gibt, was mit meinem Leben in Verbindung steht. Noch tue ich es nicht. Aus Verbundenheit – weil diese Kirche mir mal Heimat war. Aber wie lange mag es noch dauern, bis die Erinnerung daran verblasst? […] Wissen Sie, ich habe dieses Christentum noch nicht aufgegeben. Ich glaube noch daran, dass es bestehen kann. Weil das Christentum vielleicht die faszinierendste unter allen Religionen ist. Die eine Religion, die nicht den Sieger feiert, sondern den Gekreuzigten.“ (S. 10f.) (Die letzten zwei Sätze bilden eine dieser Stellen, an denen man ihm mal zustimmen kann.)

Flügge sieht sich nicht als Glied der Kirche, sondern als ihr Kunde.  Man merkt ihm nicht das geringste Bewusstsein dafür an, dass er auch Verantwortung als Teil der Kirche trägt. Er redet wie ein Ehemann, der selbst nichts für die Beziehung zu seiner Frau tut, aber lamentiert, dass sie nichts für ihn tue; noch wolle er sich jedoch noch nicht scheiden lassen, weil er sich ja noch an die alten Zeiten mit ihr erinnere, eine Chance wolle er ihr noch geben… Er zählt sich auch selbst zu den Un-Engagierten:

„Mein Name ist Erik Flügge und ich bin einer von den 90 Prozent. Jeden Monat frage ich mich: Was passiert eigentlich mit meinen Kirchensteuergeldern? Wahrscheinlich viel – nur halt nichts für mich. Das ist nicht schlimm, denn andere könnten es nötiger haben, dass die Kirche sich um sie kümmert. Aber nicht mal ‚Danke’ wird mir gesagt dafür, dass ich Monat für Monat mit meiner Kirchensteuer mitfinanziere, was andere Leute nutzen. Was wird denn an Gemeindeleben finanziert? Gemeindehäuser. Ach je. Klar, auch ich könnte in ein muffiges Gemeindehaus gehen, um am Seniorennachmittag teilzunehmen – nur will ich das nicht. Mir bedeutet das Gemeindehaus gar nichts. […] Mir bedeutet das Pfarramt gar nichts.“ (S. 9)

Es gibt allerdings Leute, die das Pfarramt brauchen; zum Beispiel solche, die heiraten oder ihre Kinder taufen lassen wollen. Das könnte auch Erik Flügge noch passieren. Und ja, Senioren verdienen die Seniorennachmittage.

Aber vor allem: Wenn er irgendeine andere Gruppe oder Veranstaltung in seiner Pfarrei organisieren wollte, die Leute wie ihn selbst ansprechen würde: Ich bin mir relativ sicher,  dass die Pfarrei da entgegenkommend wäre und Räume zur Verfügung stellen und vielleicht auch im Pfarrbrief dafür werben würde. Aber, wie gesagt, er scheint sich nicht als Mitglied, sondern ausschließlich als Kunde der Kirche zu sehen.

Sein verquerer Blick auf die 90% und die 10% wird besonders deutlich, als er gegen Ende des Buches versucht, das Gleichnis vom verlorenen Sohn neu zu deuten:

„9 von 10 Söhnen sind gegangen. Sie sind nicht ausgetreten, gehören noch zur Familie, aber sie kommen nicht mehr, um am Leben der Gemeinde teilzuhaben.

 Nicht die anderen sind verlorene Söhne, sondern die Aktiven in den Gemeinden sind es. Die haben das Erbe genommen und es verprasst. Verprasst für Orgeln und Kirchenbauten, Küchen im Gemeindehaus und Fachstellen. Langsam wird das Leben in den Gemeinden knapp. Immer weniger ist los und das frustriert. Das Gemeindeleben fühlt sich hohl an ohne die Familie, die wir irgendwo zurückgelassen haben. Der letzte Rest Gemeindeleben ist viel zu oft so frustrierend wie das Schweinehüten. Die Aktiven in der Kirche sind der verlorene Sohn, der in der Ferne wehmütig an den eigenen Vater denkt. Sie sind diejenigen, die aufbrechen und zurückkommen in der Hoffnung, dass sie fröhlich empfangen werden.“ (S. 64)

An dieser, äh, sagen wir mal, kreativen Auslegung stört weniger die beabsichtigte Aussage, als dass das Ganze einfach keinen Sinn macht. Ist der Vater auf einmal ausgezogen und der Mehrheit der Söhne hinterhergegangen, als entsprechend viele weg waren, so dass der letzte verbliebene Sohn jetzt fern von ihm ist? Und was ist mit den 9 Söhnen geschehen, das sie zu nicht-mehr-verlorenen Söhnen gemacht hat? Flügge hätte das Gleichnis z. B. auch folgendermaßen umdeuten können: „Der ältere Sohn soll nicht nur den väterlichen Hof verwalten, sondern sich aktiv auf die Suche nach seinem Bruder machen, so, wie es der Hirt im Gleichnis vom verlorenen Schaf tut.“ Das wäre immerhin logisch gewesen – aber Flügge scheint einfach gerne den Provokateur zu spielen, auch wenn es dann nicht mehr logisch ist.

Kommen wir jetzt zu Flügges praktischen Vorschlägen. Er rechnet vor, dass, wenn man die ganzen Einnahmen, die einer Pfarrei zustehen, nicht in kirchliche Schulen, Kirchen und Gemeindehäuser stecken würde, sondern nur in Personal, man in einer durchschnittlich großen Pfarrei 30 Leute einstellen könnte (Büromiete und Betriebsausflug eingerechnet); diese Angestellten hätten für jeden Haushalt der Pfarrei mehr als einen Arbeitstag Zeit pro Jahr – und damit mehr als genug Zeit für Hausbesuche. „30 Personen, die sich keine andere Aufgabe geben, als Menschen zu besuchen. Ein Besuch für jeweils zwei Stunden und das sechs Stunden am Tag, also drei Besuche pro Mitarbeiter pro Tag. […] Bei 5000 Haushalten bedeutet das, dass man über acht Mal pro Jahr die Mitglieder besuchen könnte. […] Man könnte über Gott und die Welt sprechen und vielleicht genau das werden, wofür sich viel zu viele Menschen heute Therapeuten suchen: ein Seelsorger.“ (S. 20) Das ist natürlich schon allein deshalb eine Milchmädchenrechnung, weil man die 30 Angestellten, die einigermaßen theologisch ausgebildet sein und sich einigermaßen mit der Mission der Kirche identifizieren müssten, irgendwo herbekommen müsste – und so viele junge Leute, die nach dem Abi was studieren wollen, mit dem sie „irgendwas mit Menschen“ machen können, und noch dazu mit der Kirche was anfangen können, finden sich dann doch nicht. (Tatsächlich gibt Flügge am Ende des Buches auch zu, dass es sich um keine realistische Kalkulation handelt: „Niemand wird alle bestehenden Strukturen in der Kirche auflösen. Nirgendwo werden 30 Personen in einer Gemeinde mit nur 5000 Haushalten eingesetzt werden. Aber der Gedanke hilft. Eine Maximalprojektion nennt man das, ein radikales Gedankenspiel ‚Was wäre, wenn?’“ (S. 59f.))

An sich ist der Grundgedanke, mit Hausbesuchen auf die Leute zuzugehen, natürlich nicht schlecht – er ist sogar sehr sinnvoll. Und er ist deutlich besser als gewisse andere Ideen zur „Erneuerung“ der Kirche, die seit Jahrzehnten herumgeistern, was Flügge auch erkannt hat:

 „Denn Frauenpriestertum, Zölibat und Sexualmoral, das alles finde ich nicht sonderlich spannend. Tot gekaut und ausgelutscht sind diese Fragen.“ (S. 24) Er beschreibt an dieser Stelle eine Veranstaltung bei einer evangelischen Landeskirche, an der er einmal teilnahm, bei der über Strukturen der Jugendarbeit diskutiert wurde. „Der ganze Diskurs drehte sich nur um Rückzug, Rückbau oder Werbung für bestehende Angebote. In der Landeskirche, in der ich zu Besuch war, sind Frauen selbstverständlich Pfarrerinnen, der Landesbischof steht zusammen mit seiner ganzen Synode für eine moderne Sexualmoral und zölibatär ging es echt nicht zu. […] Trotzdem liegt auch diese Kirche im Sterben.“ (S. 25)

Als er bei dieser Veranstaltung seine Idee mit den Hausbesuchen aufgebracht habe, hätten die anderen ihm am Ende zustimmen müssen:

 „Sofort meldete sich ein Pfarrer zu Wort. Er sagte, das hier käme ihm doch alles wie die Zeugen Jehovas vor. Die meisten Leute wollen doch gar nichts von ihrer Kirche wissen. Er könne das mit Gewissheit sagen, denn er habe schon einmal ein Jahr lang Hausbesuche gemacht. […]

 Ich stellte eine schnelle Rückfrage: ‚Wie lief’s denn?’ Seine Antwort: ‚Ich würde sagen, nur rund ein Drittel wollte reden.’

 Wow, nur ein Drittel aller Kirchenmitglieder wollte reden? Übrigens nicht kurz, sondern über eine Stunde lang, berichtete der Pfarrer. ‚Nur’ ein Drittel?

 Was dann passierte, war wirklich spannend. Dieser Pfarrer, der zuvor am Tag schon öfters davon gesprochen hatte, dass er in Bezug auf die Frage nach der Zukunft der Kirche resigniert habe, erzählte uns von seiner Erfahrung bei diesen Hausbesuchen. Dass das gute Gespräche gewesen seien. Manchmal über Probleme, manchmal nur über die Kirche und Gespräche, die immer weiter führten. Er erinnerte sich, dass er damals sogar aufgeschrieben habe, dass die Kirche mehr Kontakte suchen sollte. Dass er selbst eine Empfehlung geschrieben hätte, mehr Hausbesuche zu machen, nur dass der keiner gefolgt sei. Irgendwie wäre es am Ende wieder der gleiche Trott gewesen und der frustriere zutiefst.

 Wir debattierten weiter. […] Irgendwann meldete sich der Pfarrer nochmals zu Wort. ‚Ich ärgere mich. Ich nehme das jetzt zurück. Das ist nicht falsch mit den Hausbesuchen. Das ist richtig. Ich hab das für richtig gehalten und weiß, dass das richtig ist. Und jetzt war ich nur dagegen, weil es unsere Strukturen angreift. Aber ich bin dafür. Ich nehme das zurück. Ich will das zurücknehmen. Das ist richtig!’“ (S. 26-28)

Flügge hat auch noch ein paar detailliertere Ideen: „Im Idealfall bricht nicht nur hauptamtliches Personal auf zu den anderen Gemeindemitgliedern, sondern die aktiven Teile der Kirchengemeinde kommen gleich mit. […] Der erste Schritt dabei muss gar nicht der sein, an einer Haustüre zu klingeln. Der erste und vielleicht einfachste Schritt kann in einer Gruppe von Leuten erledigt werden, die sich im Gemeindehaus treffen. Diese können Postkarten zu Ostern schreiben. Von Hand und einfach eine nach der anderen an jedes Gemeindemitglied. Ein kleiner Gruß von den Aktiven in der Kirchengemeinde an alle anderen. Der Text für solch eine Karte ist nicht schwer zu finden. Er könnte lauten wie dieser: ‚Ostern ist das wichtigste Fest für uns Christen. Wir feiern, dass Jesus von den Toten auferstanden ist und hoffen deshalb darauf, dass auch wir von den Toten auferstehen. Sie sind Mitglied in unserer Kirche und darum wollen wir Ihnen mit dieser Karte Hoffnung machen. Wir glauben, dass sie auferstehen werden. Herzliche Grüße von Ihrer Kirchengemeinde. Schön, dass Sie bei uns Mitglied sind!’“ (S. 68f.)

Ich halte Postkarten und Hausbesuche auch für eine gute Idee. Postkarten (auch wenn die nicht unbedingt alle von Hand geschrieben sein müssten, und man vielleicht einen etwas gelungeneren Text als den von Flügge vorgeschlagenen darauf drucken könnte) wecken bei den Leuten schon mal das Bewusstsein dafür, dass sie ja doch noch Kirchenmitglieder sind; Hausbesuche sind ein niederschwelliges Kontaktangebot, bei dem sich Leute, die daran interessiert sind, ihre persönlichen Probleme oder auch ihre Kirchenkritik von der Seele reden können und hoffentlich auf einen guten Gesprächspartner treffen und so vielleicht wieder Interesse am Glauben bekommen. Es gibt ja auch schon Projekte, die genau in diese Richtung gehen; ein mir bekanntes Beispiel wäre etwa die „Missionarische Woche“ im Bistum Augsburg. Auf der Bistumswebseite heißt es dazu:

„Angeregt durch die ‚Misiones’ der Schönstatt-Bewegung 2013 in Dillingen hat das Institut für Neuevangelisierung, gemeinsam mit dem Bischöflichen Jugendamt und ‚Basical’ die ‚Missionarische Woche’ entwickelt, die 2015 in der PG Vöhringen/Iller, 2016 in der PG Breitenthal, 2017 in der PG Wallerstein und 2018 in der PG Pöttmes stattfand. […]

 Eine Missionarische Woche ist ein besonderes Ereignis für eine Pfarrei(engemeinschaft) und bietet zahllose Chancen, das Evangelium in Ihrem Ort zum Tagesgespräch zu machen.

 Tagsüber gehen junge Leute in der Regel zu zweit von Haus zu Haus, klingeln, geben einen Gruß der Pfarrei ab, bieten ein Gespräch über Fragen des Glaubens an und werben für das abwechslungsreiche Abendprogramm. Durch die gründliche und transparente Vorbereitung ist diese Aktion in der Öffentlichkeit einigermaßen bekannt und die Menschen vor Ort sind bereits im Voraus herausgefordert, sich Gedanken zu machen, wie sie reagieren wollen, wenn die Missionare vor der Türe stehen.

 Die jungen Missionare werden vorher kompetent geschult, wie sie

  • glaubwürdig von ihrem Glauben reden,
  • einfühlsam auf ihre Gesprächspartner eingehen,
  • freundlich das Evangelium Jesu Christi weitersagen,
  • angemessen auf Kritik reagieren,
  • auf Wunsch anteilnehmend für und mit den Besuchten beten.

Was sie NICHT tun, ist:

  • auswendig gelernte Gesprächsimpulse abspulen,
  • moralischen Druck ausüben,
  • Expertenantworten geben,
  • glänzende Versprechungen machen,
  • Drohungen verbreiten.

 Die jungen Missionare wohnen während der Missionarischen Woche vor Ort in Gastfamilien.

 Tagsüber finden Haus- und Schulbesuche statt.

 Für die Abende wird gemeinsam mit der gastgebenden Pfarrei ein abwechslungsreiches Programm vorbereitet (z.B. Vorträge, Gruppenstunden, Chöre, Gesprächsrunden, Konzerte, festliche Sondergottesdienste, Abend der Versöhnung, Pfarrfamilienabend).

 Die Missionare unter sich pflegen während dieser Woche ein intensives geistliches Leben, geprägt von gemeinsamen Gebetszeiten, Eucharistischer Anbetung und der Feier der Hl. Messe.

 Die Missionarische Woche wird bis auf weiteres in der ersten Fastenwoche und in der ersten Schulwoche nach den Sommerferien angeboten.

 Bewerben kann sich für dieses Projekt jede Pfarrei(engemeinschaft) im Bistum Augsburg. […]

 Wenn du selbst als Missionar bei der Missionarischen Woche mitmachen möchtest, dann melde dich doch einfach beim Bischöflichen Jugendamt oder beim Institut für Neuevangelisierung (Andreas Theurer, 0821/3166-2950 oder Katharina Weiß -2930)!

 Wir freuen uns auf dich!

 Nähere Auskünfte und Beratung bei Andreas Theurer

Wenn man Hausbesuche macht, stellt sich grundsätzlich die Frage: Wozu will man die Leute erreichen? Ist es mit Hausbesuchen getan, oder will man sie noch zu etwas anderem führen? Die „Missionarische Woche“ zeigt ganz klar, dass die Hausbesuche nicht alles sind, sondern nur ein Teil der Seelsorge. Bei Flügge sieht es anders aus: Er zeigt nicht das geringste Interesse an irgendwelchen Vorträgen, Gottesdiensten, Konzerten, Familienabenden oder Abenden der Versöhnung, zu denen man die Leute einladen könnte. Kirchengebäude und Pfarrheime tauchen in „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“ nur als Ballast auf, der zur Geldverschwendung beiträgt.

Aber wenn man die Leute in der Pfarrei mit der Individualseelsorge erreicht hat, will man sie dann nicht auch noch zu irgendeiner Gemeinschaft führen? Zur gemeinschaftlichen Verehrung Gottes, zum Empfang der Gnade durch die heiligen Sakramente? Zählt die Gemeinschaft der Kirche hier gar nichts? Im Gebet des Herrn heißt es mit guten Gründen „Vater unser“, nicht „mein Vater“. Christen, die immer nur in ihren Häusern bleiben und ab und zu mal vom Pastoralreferenten oder Pfarrer besucht werden und über ihre Anliegen und Probleme reden können, aber dann nicht dazu bewegt werden, auch in der Sonntagsmesse, und vielleicht noch beim Pfarrfest oder beim Glaubenskurs oder bei der Eucharistischen Anbetung, aufzutauchen – was sind das für Christen? Genauer: Wenn man ihnen die Möglichkeit zum Leben in der Gemeinschaft der Kirche nimmt, nimmt man ihnen dann nicht gerade die Möglichkeit, überhaupt Christen zu sein?

Und genau deshalb sind eben die Kirchengebäude, und zwar idealerweise die lokalen Kirchengebäude, so wichtig. Sie sind auch wichtig, weil sie geheiligte Orte sind, an denen das heilige Messopfer dargebracht wird, und sie bieten eben auch einen Versammlungsort für die Gemeinschaft der Gläubigen.

Flügges Entwurf passt in eine individualistische Dienstleistungsgesellschaft, aber leider nicht in die Kirche Gottes.

Er beschäftigt sich am Ende des Buches noch genauer mit der Frage, wozu er die Leute erreichen möchte, wie die Gespräche aussehen sollten:

 „In der Kirche sprechen wir ständig über den Wert von Glaubenszeugnissen. Besonders gerne wollen wir sie selbst abgeben. Viel wichtiger wäre es allerdings, wenn wir uns auf die Suche machen würden nach den Zeugnissen von Menschen, die kaum noch glauben oder anders. Vielleicht erkannten sie eine Seite von Gott, die wir stets übersahen in all unseren Ritualen, geprägten Formen und tradierten Gebeten. Vielleicht offenbarte Gott sich mal wieder in der Fremde statt im Gotteshaus. […]

 Ich muss ein bisschen schmunzeln bei der Vorstellung, dass bei mir mein Pfarrer klingelt und an der Türe sagt: ‚Entschuldigen Sie bitte, Herr Flügge, wir kennen uns nicht. Ich bin der Pfarrer Ihrer Gemeinde und ich wollte Sie mal fragen, wie Gott so ist.’ Ich glaube an dieser Frage hätte ich wirklich Spaß. Ich gebe zu, ich wäre auch heillos mit der Beantwortung überfordert. Aber genau das ist doch der Charme. Ich muss nicht wieder jemandem zuhören, der mir erzählt, was in irgendeinem katholischen Dogma steht, sondern ich bin selbst herausgefordert, Gott eine Stimme zu geben. Ich muss nicht wieder von irgendeinem Protestanten Bibelstellen heruntergerattert bekommen, sondern bin selbst in der Pflicht.

 Erwarten Sie bitte nicht, dass ich die Antwort weiß, wenn Sie bei mir klingeln. Ganz ehrlich, ich weiß die Antwort nicht! Aber genau die Tatsache, dass ich sie nicht abschließend und absolut weiß, hilft doch meinem Gesprächspartner weiter. Wer bei mir klingelt, weiß schon vorab, dass ich keine neue Wahrheit zu berichten habe, dass aber vielleicht genau das, was ich von Gott zu berichten habe, das Verständnis des Fragenden von Gott erweitert. Wer mich fragt, wie ich Gott kenne, wird seinen Glauben sicherlich nicht verlieren, aber im besten Fall seinen eigenen durch Abgrenzung on mir stärken oder durch meine Perspektive erweitern. Beides wäre schön.“ (S. 65-67)

Flügge hat leider den Sinn des Christentums nicht verstanden.

Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion: Gott zeigt uns, wie Er ist, Er zeigt uns Dinge von sich, auf die wir selber nicht oder nur sehr schwer gekommen wären. Wer diese Botschaft von Gott erhalten hat, soll sie anderen weiter sagen. Selbstverständlich hat jeder Mensch in seinem Leben wertvolle Erfahrungen gemacht; aber wenn es darum geht, eine ganz bestimmte Frohe Botschaft weiterzugeben, dann muss man einfach diese Botschaft kennen, da helfen alle anderen Erfahrungen nichts.

Und, mal ehrlich, Flügge überschätzt die Leute hier auch teilweise. Es gibt auch Menschen, die sich bisher überhaupt nur  wenige Gedanken über Gott gemachthaben, und andere, deren Gedanken weniger von eigenen Überlegungen und Erfahrungen, und mehr von Fernsehserien und Leitartikeln, vom „Wort zum Sonntag“ und Kalendern mit Dorothee-Sölle-Zitaten geprägt sind. Aber egal, wie viele kluge Gedanken sich Menschen von sich aus machen, auf manche Dinge kommt man einfach nicht von selbst. Manchmal ist es das Klügste, anzuerkennen, dass man nicht alles weiß und sich auch mal belehren lassen kann. Das habe ich selber immer wieder festgestellt. Die Heiligen und Theologen und Philosophen der letzten 2000 Jahre Kirchengeschichte haben so viele geniale Erkenntnisse zu lehren, auf die ich selber nie gekommen wäre. Soll man die einfach ignorieren?

Hier passt sehr gut ein Ausschnitt aus dem 1. Kapitel von Ronald Knox‘ Buch „The belief of Catholics“ von 1927 (Übersetzung von mir; Quelle hier) :

„Es ist die gemeinsame Annahme all dieser modernen Propheten, welcher Schule auch immer sie angehören, dass die religiöse Wahrheit etwas noch nicht Festgelegtes ist, etwas, das nach und nach durch einen langsamen Prozess des Experimentierens und der Forschung entdeckt wird. Sie brüsten sich mit ihrer Unentschiedenheit; sie führen eine Parade ihrer Uneinigkeiten auf; das zeigt (so sagen sie) einen gesunden Geist der furchtlosen Forschung, diese Freiheit vom Albdruck der Tradition. Solche Empfindungen rufen, wie ich glaube, kein Echo des Applauses außerhalb ihrer eigenen unmittelbaren Zirkel hervor. Das ungute Gefühl bleibt dem durchschnittlichen Bürger, dass ‚die Pfarrer ihr eigenes Geschäft nicht verstehen‘; dass Uneinigkeiten zwischen Sekte und Sekte mehr, nicht weniger erbaulich sind, wenn jede Seite sich beeilt, zu erklären, dass die Uneinigkeit nur Äußerlichkeiten statt Essentielles betrifft; dass, wenn das Christentum sich nach zwanzig Jahrhunderten noch im Prozess der Erarbeitung befindet, es eine ungewöhnlich schwer zu fassende Sache sein muss.“

Flügge unterstellt seine Sicht auf das Christentum auch den frühen Christen, die erst noch einiges von den Heiden hätten lernen müssen, weil sie sich bei einigen Dingen bezüglich ihres eigenen Glaubens geirrt hätten:

Konfrontiert zu sein mit dem Scheitern des eigenen Glaubens angesichts der Realität, ist nichts Ungewöhnliches. Es begleitet das Christentum von Anfang an. Als die kleine jüdische Sekte der Christen auf die Griechen traf, die sie mit ihrer bestechend scharfen Logik konfrontierten, musste das Christentum sich neu ausrichten. […] Denn die Griechen fragten kritisch, wie denn zusammenzubringen sei, dass der eine Gott befiehlt, keine Götter neben sich zu haben und die Christen dennoch zu ihrem Messias Jesus Christus beten. Waren da plötzlich zwei Götter?“ (S. 52f.)

Er hält die frühen Christen schon für sehr blöd, was? Merken selber gar nicht, was sie eigentlich glauben. Ich kann mir nicht helfen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Flügge irgendwelche frühchristlichen Werke gelesen hat. Und dieses Bild von einem Glauben, der sich erst noch entwickeln muss – nicht im Sinne von John Henry Newman, dass man ihn tiefer versteht, sondern in dem Sinne, dass das Verständnis sich in grundlegenden Dingen ändert – entspricht einfach nicht dem christlichen Glauben.

Das Bistum Augsburg hat im Vergleich dazu eine Ahnung davon, worum es bei der Seelsorge geht:

„Warum überhaupt ‚missionieren’?

  • Weil Jesus selbst seinen Nachfolgern den Auftrag dazu gab (z.B. Mt 28,16-20).
  • Weil die frohmachende Gute Botschaft (=Evangelium) von Jesus Christus, der den Menschen das Heil bringt und sie mit Gott versöhnt, es wert ist, jedem Menschen gesagt zu werden.
  • Weil die meisten Menschen von dieser Guten Botschaft nur erfahren werden, wenn sie ihnen jemand in persönlicher Begegnung weitersagt.
  • Weil das 2. Vatikanische Konzil alle Gläubigen daran erinnerte, dass sie die Aufgabe haben, das Christus-Zeugnis im Alltag in ihrer Umgebung zu leben und ihren Mitmenschen weiterzugeben. Das ist in erster Linie gemeint mit ‚Priestertum aller Glaubenden’ und mit ‚Laienverantwortung’!“

Zuletzt noch etwas zum Co-Autor des Buches. Der Großteil der 78 Seiten stammt von Flügge, aber in der Mitte stecken ein paar Seiten von David Holte, der auf Flügges Wunsch seine Erfahrungen mit seinem Austritt aus der evangelischen Kirche beigesteuert hat. Holtes Stil ist etwas besser als Flügges, aber viel Interessantes erfährt man auf diesen paar Seiten auch nicht. Ein paar Auszüge:

„Eigentlich komisch: Ich bin getauft und zumindest meine Mutter hat mir stets christliche Werte vermittelt. Eigentlich gehöre ich doch zur Zielgruppe der Kirche. Wieso konnte sie meinen Austritt nicht verhindern?

 Vielleicht hätte eine kleine Geste gereicht. Denn: ich hatte von meiner Kirche schlicht seit Ewigkeiten nichts gehört. Klar, ich hätte mich auch darum bemühen können. Aber weshalb, wenn sich auch diese Kirche nicht um mich bemüht? Nicht einmal ein kleines Zeichen, dass die überhaupt wissen, dass ich noch da bin. Vielleicht hätte es auch gereicht, wenn jemand nach meinem Austritt einfach mal angerufen hätte, um mich zu fragen, was denn da los war.“ (S. 33)

„Wir alle haben Zweifel, Fragen oder benötigen Sinnbilder für schwierige Situationen. Ich glaube, dass eine Person, die sich wahrhaftig mit Glaubensfragen auseinandergesetzt hat, ein spannender Gesprächspartner sein kann. Irgendwas muss die Kirche ja zu bieten haben, immerhin gibt es sie schon seit zwei Jahrtausenden.

 […] Ich will als Mitglied ernst genommen werden. Ich will eine offene, leicht zugängliche Organisation, die mir in meinen Lebenssituationen hilft. Ich will mitbestimmen, was mit meinem Geld passiert. Ich will Diskussionen über aktuelle, relevante Fragen führen – gerne auch über Glaube und Gott. Was wäre dafür nötig gewesen? Ein, zwei persönliche Kontakte, vielleicht ein tiefergehendes Gespräch. Das hätte wohl gereicht. Schade eigentlich.“ (S. 40f.)

Holtes kundenmäßige Anspruchshaltung, die er mit Flügge teilt, macht ihn zwar auch nicht unbedingt sympathisch, aber die Aussage, dass die Kirche – die ja einen Missionsauftrag erhalten hat – aktiv zu denen gehen muss, die von ihr weggedriftet sind, wenn sie sie noch erreichen will, kann man ja trotzdem mitnehmen.

Abschließend: Ja, ein paar sinnvolle praktische Ideen stecken in dem Buch, die man auch hätte in einem rechtgläubigen Rahmen vorbringen können. Aber die Art, wie sich Flügge seine „Kirche für viele“ vorstellt, wie seine Hausbesuche konkret aussehen sollen… da soll eine Kirche von Individualisten entstehen, die sich alle ihren eigenen Glauben suchen, aber dabei auch nichts so Genaues wissen. Dieser Glaube muss sich erst formen – und kann sich auch in der Zukunft zu etwas ganz anderem formen, als er bisher war. Wer braucht einen solchen Glauben?

Verratet unsere Märtyrer nicht!

In der Diskussion darum, ob Wiederverheiratet-Geschiedene nun zur Kommunion gehen dürften oder nicht, erhält eine Bibelstelle, die das Thema Wiederheirat betrifft, überraschend wenig Beachtung. Der letzte Prophet des Alten Bundes, der Vorläufer des Herrn, über den dieser sagt „Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer“ (Matthäus 11,11), wurde ins Gefängnis geworfen und schließlich getötet, weil er seinem König gesagt hatte, dass dieser seine geschiedene Schwägerin nicht heiraten dürfte: „Herodes hatte nämlich Johannes festnehmen und in Ketten ins Gefängnis werfen lassen wegen der Herodias, der Frau seines Bruders Philippus. Denn Johannes hatte zu ihm gesagt: Es ist dir nicht erlaubt, sie zur Frau zu haben. Dieser wollte ihn töten lassen, fürchtete sich aber vor dem Volk; denn man hielt Johannes für einen Propheten. Als aber der Geburtstag des Herodes war, tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen. Und sie gefiel Herodes, sodass er mit einem Eid zusagte, ihr zu geben, was immer sie sich wünschte. Sie aber, angestiftet von ihrer Mutter, sagte: Gib mir hier auf einer Schale den Kopf Johannes’ des Täufers! Und der König, der traurig wurde wegen der Eide und wegen der Gäste, befahl, den Kopf zu bringen. Und er schickte und ließ Johannes im Gefängnis enthaupten. Man brachte seinen Kopf auf einer Schale und gab ihn dem Mädchen und sie brachte ihn ihrer Mutter. Und seine Jünger kamen, holten den Leichnam und begruben ihn. Dann gingen sie und berichteten es Jesus.“ (Matthäus 14,3-12) In der Bibel scheinen Patchworkfamilien irgendwie nicht so gut zu funktionieren.

(Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers in einem Gemälde von Carlo Dolci, Wikimedia Commons)

Etwa fünfzehn Jahrhunderte später war wieder ein König unzufrieden damit, dass „bis dass der Tod uns scheidet“ wirklich „bis dass der Tod uns scheidet“ heißen sollte, und wieder mussten andere dafür mit dem Leben bezahlen. Heinrich VIII. erklärte sich 1534 zum Oberhaupt der Kirche von England, damit er seine Ehe mit Katharina von Aragon, die der Papst für gültig und damit unauflöslich befunden hatte, für ungültig erklären und Anne Boleyn heiraten konnte. Sein Lordkanzler Thomas Morus trat von seinem Amt zurück und zog sich in sein Privatleben zurück, weil er diese Entscheidungen nicht mittragen konnte; aber Heinrich war nicht damit zufrieden: Thomas sollte einen Eid auf ihn als Oberhaupt der Kirche leisten. Da Thomas Morus dazu nicht bereit war und immer noch nur den Papst als Kirchenoberhaupt anerkennen wollte, wurde er in den Tower gesperrt und 1535 schließlich geköpft. Ebenso erging es Kardinal John Fisher, dem einzigen der englischen Bischöfe, der den Suprematseid auf Heinrich nicht leistete.

  

(Thomas Morus, links, und John Fisher, rechts, beide Darstellungen von Hans Holbein dem Jüngeren, Wikimedia Commons)

Weitere dreihunderfünfzig Jahre später konvertierten einige Pagen am Hof eines anderen Königs, Mwanga II. von Bugunda (heutiges Uganda), zum Christentum – einige zur katholischen, andere zur anglikanischen Kirche. Mwanga fielen sie bald negativ auf: Sie waren nicht bereit, als seine Geliebten zu dienen. Die christlichen Pagen wurden also im Jahr 1886 hingerichtet, die meisten von ihnen in Namugongo auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

(Die Märtyrer von Uganda, in der Mitte Charles Lwanga, Darstellung von Albert Wider)

Mit anderen Worten: Wir haben Heilige, die umgebracht wurden, weil sie nicht bereit waren, die Wahrheit über die Unauflöslichkeit der Ehe, die Autorität des Papstes oder die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen gegen Gottes Gebote sind, preiszugeben. Können diejenigen Christen, die solche Überzeugungen am liebsten aus der Lehre der Kirche tilgen würden, diese Heiligen noch verehren? Oder würden sie Johannes den Täufer, Thomas Morus und Charles Lwanga lieber als bigotte / diskriminierende / ultramontane / homophobe Fanatiker aus dem Heiligenkalender werfen? Wenn wir „barmherzig“ gegenüber (bestimmten) Sünden sein wollen (womit meistens gemeint ist, sie zu Nichtsünden zu erklären, was dann auch keine Barmherzigkeit mehr nötig machen würde), dann vergessen wir bitte nicht, wofür einige unserer Märtyrer ihr Leben gegeben haben. Wenn John Fishers Sturheit nicht in das ökumenische Konzept zu passen scheint, das man sich für die Zusammenarbeit mit den Anglikanern zurechtgelegt hat, ist vielleicht an diesem Konzept etwas falsch. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist nicht vernachlässigbar, nicht verhandelbar, nicht unwichtig; genausowenig die Einheit der Kirche unter dem Bischof von Rom. Bitte verraten wir unsere Märtyrer nicht. Kein weltlicher Herrscher ist unser Kirchenoberhaupt und hat uns was zu unserem Glauben zu sagen.

(Nicht mal, wenn derjenige so höfliche Worte findet wie Herr Steinmeier auf dem Katholikentag für seine Bitte, dass wir doch unseren Eucharistieglauben aufgeben sollten, um mit den Lutherischen besser auszukommen.)