Ein Jahr bei der Piusbruderschaft

Seit etwas mehr als einem Jahr gehe ich jetzt zur Piusbruderschaft in die Messe. Das Theoretische, was ihre kirchenrechtliche Stellung usw. angeht, wieso es gerechtfertigt ist, zu ihr zu gehen, habe ich schon mal woanders angesprochen; heute will ich nur über meine praktische Erfahrung schreiben. Klar, ein Jahr ist auch noch nicht so lang, aber ein kleines Zwischenfazit kann man ja ziehen.

Damit der Artikel nicht nur ein reiner Lobgesang wird, erst mal alle negativen Dinge, die mir überhaupt einfallen:

  • Der Parkplatz bei meiner Kapelle ist zu eng, das ist frauenfeindlich (oder so).
  • Die Liederbücher sind verwirrend nummeriert.
  • Die vielen süßen Kleinkinder lenken einen bei der Messe ab.

Ok, ich bin wieder ernst. Also jetzt wirklich mal alle Kritikpunkte, die mir einfallen:

  • Nach der Messe wird in der Kapelle, in der ich meistens bin, immer noch ein Gebet für mehr Priester- und Ordensberufungen gebetet (was sehr gut ist); am Ende beten dabei nur die Mütter im Raum noch dafür, dass Gott ihnen die Gnade gibt, dass einer ihrer Söhne Priester wird. Das ist an sich kein falsches Anliegen, aber könnte vielleicht ein bisschen unnötigen Druck auf die Jungs der Gemeinde ausüben; es kommt etwas komisch rüber. Wobei ich davon ausgehe, dass die Priester der FSSPX, wenn wirklich ein Junge sich unklar über seine Berufung ist, keine arg falschen Ratschläge geben werden, die ein unnötig schlechtes Gewissen machen.
  • In den Veröffentlichungen und Predigten ist manchmal ein etwas überdramatischer/pathetischer Tonfall zu finden, und manchmal wird bei „Wir sollen alle Heilige werden“-Predigten nicht genau unterscheiden, was Christen müssen (wobei sie sündigen, wenn sie es unterlassen), und was lobenswerte Werke der Übergebühr sind. Aber das ist wohl eine Unvollkommenheit, von der sich wohl keine Gruppe ernsthafter Christen frei weiß. Und nach meiner Erfahrung kann einen der Priester, wenn man etwas für Sünde hält, das es nicht ist, im Einzelfall in der Beichte gut korrigieren.
  • Manche Leute unterscheiden bei der Corona-Impfung nicht genau und halten sie für so illegitim, dass man sie nicht mal nehmen dürfte, um die schlimmsten Nachteile zu vermeiden (was allerdings keine Meinung der FSSPX an sich ist; in ihren offiziellen Verlautbarungen unterscheidet sie da schon). Auf der anderen Seite stellt sich die offizielle FSSPX meiner Meinung nach nicht deutlich genug gegen sicher falsche Coronamaßnahmen (wie z. B. die Idee der Impfpflicht), sondern will hier zu neutral bleiben.
  • Der Gründer, Erzbischof Lefebvre (der meiner Ansicht nach absolut ein sehr zu bewundernder Heiliger und ein Mann mit viel Weitblick war) wird manchmal ein bisschen zu sehr gepriesen; z. B. konnte er in einzelnen theologischen Fragen oder Ausdrucksweisen manchmal ungenau sein, das kann man auch anerkennen. Aber natürlich bewundert man so jemanden sehr; gerade die Priester, von denen ihn viele wahrscheinlich noch persönlich gekannt haben (ich beneide sie).
  • Es gibt manchmal die üblichen Tradiprobleme, z. B. dass man liberale Vorstellungen – völlig zu Recht – kritisiert, und dabei das Framing der Liberalen übernimmt, dass sie erst die Menschenrechte o. Ä. erfunden hätten.
  • Manchmal übertreibt man es vielleicht damit, alles von vor dem Jahr 1962 zu bewahren (z. B. auch die alte Version des Vaterunsers – ich mag die neue mit „befreie uns von dem Bösen“ tatsächlich lieber als die alte mit „befreie uns von dem Übel“, weil sie die Zweideutigkeit (der Böse oder das Böse?), die auch im griechischen Original vorhanden ist, bewahrt). Aber das ist wohl Geschmackssache.
  • Kein wirklicher Kritikpunkt, sondern eher eine neutrale Beobachtung: Auf Außenstehende kann manches vielleicht erst mal komisch wirken, z. B. dass manche Priester bei den lateinischen Gebeten sehr schnell sprechen, sie fast schon herunterrattern. (Irgendwie assoziiert man hierzulande langsames Sprechen mit Frömmigkeit. Aber ich habe irgendwie angefangen, jetzt selber oft beim Beten so schnell zu sprechen und kann mich dabei gut konzentrieren, und es ist ja auch manchmal so, dass man, wenn man mit jemand Geliebtem spricht, am liebsten alles auf einmal herausbringen will, und hastig spricht und sich fast verhaspelt.) Eventuell wirkt auch die Improvisiertheit und Verstecktheit mancher Kapellen auf Außenstehende seltsam („sektenartig“), aber daran kann man wohl auch nichts ändern, solange die FSSPX mit ihrem begrenzten Geld auskommen muss und nicht in die Pfarrkirchen gelassen wird.

Und jetzt zu allem Positiven:

  • Die Priester, die ich bisher kennengelernt habe, sind alle sehr sympathisch, feiern die Messe andächtig, und sind gute Beichtväter. Ich hatte immer mal wieder, wenn ich zu einem mir unbekannten Priester zur Beichte gegangen bin, ein bisschen Angst davor, ob der besonders streng sein könnte oder ich etwas nicht richtig machen könnte, aber die Angst war tatsächlich ziemlich unnötig.
  • Auch alle anderen Leute, die ich da bis jetzt getroffen habe, sind richtig freundlich und nett und nehmen einen gleich mit offenen Armen in der Gemeinde auf; ich bin nie von irgendjemandem unfreundlich behandelt worden. Man wird gleich zur KJB oder zu einem Studienkreis eingeladen oder gefragt, ob man beim Kuchenverkauf helfen will. Man merkt, dass eine Zusammengehörigkeit da ist; die Leute unterhalten sich nach der Messe noch miteinander, es gibt gemeinsame Wallfahrten und Gemeindefeste; wahrscheinlich sorgt auch das Bewusstsein, dass man in der Kirche allgemein nicht so angesehen ist, für ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. (Es ist aber gerade keine „sektenartige“ Zusammengehörigkeit, wo die Gruppe sofort die Freizeit in Anspruch nimmt oder anfängt, einen zu kontrollieren. Man wird eingeladen, mal bei dieser Wallfahrt mitzugehen oder zu jenem überregionalen KJB-Treffen zu kommen, aber niemanden stört es, wenn man mal nicht will oder nicht kann.) In meiner Gemeinde scheinen vor allem Leute zu sein, deren Familien schon lange zur FSSPX gehen und die sich schon ewig kennen, aber als Neuankömmling wird man auch willkommen geheißen, und insgesamt hat die FSSPX offenbar immer wieder Konvertiten aus nichtkatholischen Religionen oder Neuankömmlinge aus Novus-Ordo-Gemeinden (z. B. kenne ich solche in einer Nachbargemeinde).
  • Die Messe ist einfach wunderbar; das wird bei anderen Tradi-Gemeinschaften genauso sein, aber man kann es wohl kaum unerwähnt lassen. Man hat nie das Gefühl, den Priester ausblenden zu müssen, um sich irgendwie auf Jesus zu konzentrieren, der trotz liturgischer Missbräuche noch da ist. Es passt einfach alles zusammen, und auch wenn es mir immer schwerfällt, mir da wirklich klar zu machen, was da Heiliges und Unglaubliches passiert, bietet die Messe genau den richtigen Rahmen, es etwas besser zu verstehen. Man merkt auch den Leuten an, dass sie wirklich Gott ehren wollen.
  • Den Kapellen merkt man es auch an, dass versucht wird, sie so schön und heilig wie möglich zu gestalten; sowohl bei den richtigen Kirchenbauten als auch bei den improvisierten, halb versteckten Kapellen.
  • Niemand macht auf Coronafanatiker; es ist völlig akzeptiert, wenn man z. B. nicht geimpft ist (wahrscheinlich werden nur wenige aus meiner Gemeinde geimpft sein). Und die Gemeinde würde nie auf die Idee kommen, 3G- oder gar 2G-Regeln für die Messen einzuführen; es bleibt bei „Maske und Abstand“, und in manchen Gemeinden soll man sich für die Gottesdienste vorher anmelden. Die meisten Leute werden zu Corona (und anderen politischen Fragen) Meinungen im richtigen Rahmen haben, die einen vielleicht in dieser Hinsicht ein bisschen übertrieben, die anderen in jener.
  • Die Predigten sind auch gut, und in den seltenen Fällen, in denen es dabei mal politisch wird, kommen solche Aussagen wie: Jesus soll auch über die Gesellschaft herrschen, also beten wir für die Politiker, oder: Bitte beten Sie, dass die Grünen die Bundestagswahl nicht gewinnen. Man merkt auch eins: Kein Priester versucht, besonders originell zu sein und seine eigene Genialität herauszustellen, sie wollen einfach die Kirchenlehre verkünden. Je nach Redekunst und Einstellung des Priesters kann es manchmal ein bisschen langweilig oder ein bisschen unzusammenhängend oder zu fordernd oder zu pessimistisch werden, aber es wird einfach nie häretisch, und meistens wird es gut.
  • Ich glaube, es ist auch eine gewisse missionarische Offenheit da; ein alter Herr hat mir mal erzählt, dass er vor Jahrzehnten durch eine Kollegin, eine Putzfrau in seinem Betrieb, zur FSSPX gefunden hat, und eine Bekannte von mir ist gerade dabei, ihren Freund zu bekehren. Wobei die FSSPX-Leute sonst auch oft einfach unauffällig-normal wirken. Sie binden es nicht jedem sofort auf die Nase, zu was für einer komischen Gruppe sie gehören, aber sind offen dafür, andere zu Christus zu bringen – so mein Eindruck.

Kurz gesagt: Man merkt, dass Gott wirklich geehrt wird, und außerhalb des Gottesdienstes ist alles einfach so nett und normal. Ich weiß nicht, ob andere Tradis die Beschreibung „nett und normal“ für ein übergroßes Kompliment halten, aber so meine ich es. Man fühlt sich wohl, wird nicht verurteilt, muss nicht vorsichtig dabei sein, was man sagt, und die Leute sind einfach hilfsbereit, wenn man z. B. mal eine Fahrgemeinschaft braucht, ältere Leute schenken einem einfach mal Andachtsbildchen oder eine wundertätige Medaille. Die Leute gehen alle so freundlich miteinander um; die kleinen Kinder schenken dem Pater nach der Messe mal ein selbergekritzeltes Bild oder eins ihrer Überraschungseier, und wenn die KJB Kuchen verkauft, um ihre Aktivitäten zu finanzieren, geben die Leute ein gutes Stück mehr, als so ein bisschen Apfel- oder Schokokuchen wert wäre. Es macht auch nichts, wenn man neu dazukommt und sich mit allem noch nicht so auskennt; z. B. hat der Pater an meiner Kapelle mich einmal nach der Messe beiseitegenommen und mich gefragt, ob ich noch kurz in der Sakristei die Mundkommunion mit unkonsekrierten Hostien üben möchte, weil ich oft aus Versehen reflexhaft die Zunge zurückgezogen habe, und er es ein bisschen schwer dabei hatte, mir die Hostie in den Mund zu legen. Und wenn man von der neuen Messe kommt: In die alte Messe findet man sich nach und nach sehr gut ein, auch wenn es am Anfang sehr ungewohnt sein kann.

Fazit: Nach meinen Erfahrungen kann ich die FSSPX nur weiterempfehlen. (Und um das klarzustellen: Natürlich sollte man nicht „nur“ wegen einer guten Gemeinde zur FSSPX gehen, wenn man sich noch nicht sicher ist, ob sie überhaupt wirklich katholisch ist, aber um das zu klären, siehe den ganz oben verlinkten Artikel.)

Erzbischof Marcel Lefebvre.

An dieser Stelle noch ein kleines PS zur neuen Messe: Ich habe noch einige Male über sie nachgedacht, auch nachdem ich noch einmal (notgedrungen) in einer neuen Messe war, die dann von einem jungen Priester recht gut und andächtig gefeiert wurde. Es bleibt dabei, sie ist schon sehr zurechtgestutzt worden, manche Dinge sind verdunkelt worden und werden nicht so deutlich, und einige Missbräuche gibt es selbst in den streng nach Vorschrift gefeierten neuen Messen (z. B. die schreckliche Praxis der Handkommunion, die wirklich abgeschafft gehört). Aber irgendwie ist es trotzdem die Messe, und auch ihr Opfercharakter ist nicht komplett verdunkelt; deswegen vermute (!) ich: Wenn man eine alte Messe praktisch erreichen kann, sollte man im Regelfall dahin gehen (auch wenn es im Einzelfall Gründe geben kann, das nicht zu tun); aber wenn nicht, dann könnte es schon ok sein, in eine gut gefeierte neue Messe zu gehen, um eben doch in dieser besonderen Gegenwart Jesu zu sein und an Seinem Opfer teilzunehmen. Dagegen könnte man sagen: „Wird man dabei nicht wie ein schleichendes Gift eine falsche Vorstellung von der Messe und damit vom katholischen Glauben aufnehmen? Die Messe sollte ja vollständig zeigen, wie viel Ehre Gott zu erweisen ist.“ Ich weiß es ehrlich gesagt nicht; vielleicht ist wirklich die Gefahr da, dass man falsche Vorstellungen unbewusst aufsaugt. Man sollte sich dann zumindest im Vorhinein dagegen wappnen, wenn man zu dieser Notlösung greift. [Einige Probleme findet man z. B. hier in der „kurzen kritischen Untersuchung des neuen Ordo Missae“ von Kardinal Ottaviani aufgezählt.]

Als Priester sollte man sich jedenfalls nicht damit zufrieden geben, eine verstümmelte Messe zu feiern, sondern die feiern, die Christus gefallen wird, auch wenn die Priester, die die neue Messe gut feiern, subjektiv nichts Falsches tun werden.

Wobei ich mir immer noch sicher bin, ist aber, dass es keine Pflicht gibt, zu einer wirklich sakrilegisch gefeierten Messe von einem Priester, der den Glauben offensichtlich verloren hat, zu gehen, oder seine Kinder mit häretischen Predigten indoktrinieren zu lassen; solche Messen kann man ruhig boykottieren. Wenn man merkt, dass einem die Messe geistlich schadet oder einem nur Verwirrung bringt, entfällt die Sonntagspflicht ganz offensichtlich.

Update: Ich bin inzwischen zu dem Ergebnis bekommen, dass es zumindest eine wahrscheinliche Meinung ist, dass man, wenn man ab und zu nicht zur alten Messe kann, einfach zu Hause beten darf, und man dieser Meinung also folgen darf, was ich persönlich in Zukunft tun werde. (Komplizierter wäre es, wenn man nie in die alte Messe könnte und einem nur neue Messen zur Verfügung stehen, und in ähnlichen Fällen. Dazu will ich kein Urteil fällen.)

Aber bei unterschiedlichen Novus-Ordo-Priestern merkt man jedenfalls sehr deutlich, welcher zumindest das glauben und tun will, was die Kirche lehrt und immer gelehrt hat, auch wenn er vielleicht in einigen Dingen verworrene Vorstellungen oder Vorurteile über die vorkonziliare Kirche hat, und welcher nur so halb glaubt oder kaum noch.

24 Gedanken zu “Ein Jahr bei der Piusbruderschaft

  1. Nach Ihrer Gegenüberstellung von alter und neuer Messe frage ich mich: Sehen Sie etwas Negatives an der alten Messe? Einen Reformbedarf? Ich denke, das ist ein empfindlicher Punkt zwischen Tradis und NO-Katholiken. Über das Gelungensein der Reform kann man streiten (muss man aber auch nicht, ich würde Ihnen bei fast allem sofort zustimmen) – aber die Aufgabe der Reform? Sacrosanctum Concilium und so? Sehen Sie da überhaupt einen Bedarf?

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    1. Ehrlich gesagt, nein. Ich wüsste nicht, was hier nicht passt. Ich weiß nicht genau, wie es in der Praxis im Jahr, sagen wir, 1960 immer so gefeiert wurde, aber bei den alten Messen, bei denen ich bis jetzt war, sehe ich nicht den geringsten Reformbedarf. Wenn man vom Novus Ordo kommt, kommt es einem zuerst sehr seltsam vor, dass das Hochgebet still ist, aber man erkennt dann auch den Sinn dahinter. Wie sehen Sie das – würden Sie was ändern, irgendwelche Kleinigkeiten vielleicht?

      – Crescentia.

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      1. Ich muss sagen, ich bin mit der alten Messe wenig vertraut, habe sie vielleicht ein halbes Dutzend mal an verschiedenen Orten besucht, nie bei FSSPX, und bin zudem von der Mainstream-Liturgiewissenschaft geprägt. Ein wenig zumindest. Meine Frustration mit dem NO bringt mich immer wieder dahin, mich in die alte Messe zu wünschen. Mein Frust bezieht sich auf Praxis wie das Messbuch selbst. Ein großes Thema ist für mich zB die Musik: Dadurch, dass es kaum parallele Handlungen im NO gibt, werden große Messkompositionen und selbst Gregorianik an bestimmten Stellen schwierig bis unmöglich. Das ist nicht unwichtig: Der Ritus ist dadurch nicht als ein Gesamtkunstwerk zu erleben, der die Schönheit des Himmels wiederspiegelt. Wenn ein Chor singt und die Leute warten, bis es vorbei ist, gleicht er eher einer Sitzung, in der man einen TOP nach dem anderen abarbeiten muss, schön der Reihe nach.

        Dennoch: Die Reform ist von SC aufgegeben. Es geht also in gewissem Sinne schon um die Autorität dieses Konzils (mal wieder). Und man sollte sich zurückerinnern, was man erreichen wollte. Das Stichwort „Bibel“ ist schon gefallen. Ein anderes ist das Thema „deutliche Zeichenhaftigkeit“. Und das bringt mich zu meinem (wie gesagt: auf schmaler Erfahrungsbasis stehenden) Eindruck von der alten Messe:

        Sie machte immer einen verklemmten Eindruck auf mich. Alle Zeichen sind extrem ritualisiert, sodass sie mühsam auseinander dividiert werden müssen, zB in Messerklärungen, die man die Kinder parallel lesen lässt. Pädagogisch ist das vielleicht gar nicht schlecht, aber warum? Warum soll man die Evangeliumsprozession in so einem zusammengestutzten Zustand lassen? Warum muss alles in einem Buch zusammengefasst sein und an einem Ort stattfinden? Warum wäscht man die Hände (eher Finger) des Priesters mit drei Tropfen Wasser?

        Das ist ein typisch „römisches“ Problem, dass sich in den NO auch fortgesetzt hat: Die Orientierung am minimal Notwendigen. Auch im NO werden Kinder mit drei Tropfen Wasser getauft. Es betrifft auch die Ästhetik. Ich finde zB Bassgeigen eher furchtbar, weil sie für mich genau diesen ökonomischen Ungeist symbolisieren. Die Ärmel wurden mit der Zeit halt gekürzt, damit der Priester besser hantieren kann.

        Ich würde auch sagen, dass es die Sprache der Lesung betrifft. Ich weiß nicht, wie die Praxis bei FSSPX ist. Nur Lateinisch zu rezitieren oder selbst ein separates Vortragen in der Landessprache scheint mir doch eher ein „uneigentliches Tun“. Liturgie ist natürlich nicht nur funktionales Handeln, aber es gibt funktionale Elemente und wenn das Tun der eigentlichen Funktion (hier: dem Hören der Heiligen Schrift) widerspricht, dann scheint mir das tatsächlich eine Form erstarrter Ritualität zu sein. Das Tempo der Gebete (ich fand es extrem) wäre ein nächster Punkt.

        Dass alles rechtfertigt natürlich nicht das Zusammenstreichen der ganzen Messe, Wegfall des Stufengebets, Kürzung „unnötiger“ Wiederholungen, Kalenderreform etc. Da gibt es viel, was ich vermisse. Aber ich denke, es wäre lohnend, darüber nachzudenken, wie eine „gute“, behutsame Reform ausgesehen hätte. Und als Fazit: Die schönsten Messen, die ich erlebt habe, waren NO-Messen an einem bestimmten Ort bei einem bestimmten Priester. Dass es diese Abhängigkeit so gibt, ist vielleicht aber das größte Problem.

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      2. >>Wenn ein Chor singt und die Leute warten, bis es vorbei ist, gleicht er eher einer Sitzung, in der man einen TOP nach dem anderen abarbeiten muss, schön der Reihe nach.

        Schön gesagt.

        >>Dennoch: Die Reform ist von SC aufgegeben. Es geht also in gewissem Sinne schon um die Autorität dieses Konzils (mal wieder).

        Es geht nicht um die Autorität des Konzils als den Glauben lehrende Versammlung, nicht einmal um die des Konzils als letztlich doch noch irgendwo fehlbar das ordentliche Lehramt des Bischofskollegiums ausübende Versammlung, sondern nur um die in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber, noch genauer als Auftraggeber an den kirchlichen Gesetzgeber. Die ist schon an sich recht gering.

        Und dann ist das in diesem Fall auch noch ein Konzil, das nicht weiß, was es will, weil es einmal gerade die Änderungen, die man am meisten mit den nachkonziliaren Reformen verbindet, ausdrücklich ablehnt, den römischen Ritus über den Schellen-König lobt und jede Änderung verbietet, die nicht ein sicherer (!) Nutzen für die Seelen verlangt (!) – was für jeden vernünftigen Tradi ein gutes Stück zu tradinös sein muß, dann hätte es niemals Polyphonie gegeben -; andererseits dann aber tatsächlich im Tonfall den Eindruck erweckt, es dürfe kein Stein auf dem anderen bleiben, und die Prim abschafft. Es ist dem Katholiken auch nicht verboten, den Unkenrufen der Bauart „die Bischöfe wollten sich wohl vor allem schnell auf etwas einigen“ eine gewisse Plausibilität zuzusprechen.

        – Es ist nachgerade fast schon ein Wunder, dass in den Teilen, wo das Konzil nicht Regeln für eine Neuordnung der Liturgie aufstellt, sondern darüber *lehrt*, was die Liturgie ist, was die Messe ist usw., es tatsächlich dermaßen exzellent ist. Aber das ist es wirklich.

        Als Katholik muß ich Lehren eines Konzils in gläubigem Gehorsam *annehmen* (im allgemeinen). Für disziplinarische Bestimmungen gilt im Höchstfall, daß ich sie annehmen muß wie ein Soldat einen Befehl eines Unteroffiziers, also „ich gehorche, aber ich finde es Mist und sage das auch“. Und Wünsche eines Konzils daran, wie die kirchliche Obrigkeit in Zukunft handeln soll – come on. Das nun geht mich gar nichts an. Außerdem: der Heilige Vater erlaubt, daß wir uns nicht an das Konzil halten müssen. Das beseitigt nicht die Argumente des Konzils, wohl aber das Argument der Autorität des Konzils. (Dies tut ja irgendwo selbst Papst Franziskus, indem er den alten Ritus nicht verbietet, sondern „nur“ versucht madig zu machen – aber darüber abschweifen will ich hier nicht. Natürlich handelt man als Besucher der alten Messe nicht im Sinne der persönlichen Vorlieben des Papstes, aber *das* ist auch nicht unsere *Aufgabe*.)

        Zum restlichen Eindruck: Teilweise mag ich tatsächlich gerade das, aber jedenfalls ist das ein anderes Thema (und wichtigere Einwände).

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      3. Und zu diesen eigentlichen Punkten:

        >>Sie machte immer einen verklemmten Eindruck auf mich.

        Tatsächlich ist „verklemmt“, so wie ich das Wort verwende, da überhaupt nichts. Es gibt wohl einzelne Priester, die den von Crescentia geschilderte überdramatischen Tonfall und auch die gewisse religiös gedehnte Sprache haben, die Msgr. Knox eher den Anglikanern zuschreibt; es gibt auch einzelne Chorsänger, die für eine Litanei zur Dreikönigswasserweihe doppelt so lange brauchen, wie auch schon andächtig wäre, und sogar Mesner, die „Wir sind nur Gast auf Erden“ zur Armseelenandacht bis ins Kaumerträgliche hinein langsam anstimmen (ich plaudere aus dem Nähkästchen); aber das sind zwar verbesserungsfähige Dinge (mE), aber nichts, wozu ich präzise „verklemmt“ sagen würde. Es gibt, natürlich, Tradis, die *im Privatleben* verklemmt sich; vielleicht sogar ein wenig mehr wie sonstwo, aus nachvollziehbaren Gründen (natürlich trotzdem kein Ideal, und auch trotzdem nicht typisch).

        Aber in der Messe? „Verklemmt“ ist das, was ein aufs äußerste bürgerlich-anständiges, aber leider ungläubiges Elternpaar in der Erstkommunionsmesse seines Kindes ist; und das ist bei Tradis noch weniger zu finden als bei regelmäßigen Besuchern des Novus Ordo, und, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: bei denen schon kaum. Das zeigt schon allein die ganz erstaunliche Toleranz gegenüber Zuspätkommern (auch wenn das natürlich in der Pflichtmesse eine kleine Sünde ist und wir uns darauf geeinigt haben, die Berufung auf die Corona-Dispens soweit möglich zu unterlassen – aber wer weiß, vielleicht war einer ja in der Früh schon oder in einer NO-Vorabendmesse?), die dann durchaus gerne mit einem gewissen Getöse in die Kirche hineinstürmen. Und in der ganz versessenen Weigerung, *irgendeine* militärisch-einheitlich Disziplin in der Frage der Körperhaltung einzunehmen, etwa beim Sanctus oder beim Agnus Dei. Verklemmt ist das Gegenteil; und für mich sehr attraktiv, denn Bataillonsappelle kann die Bundeswehr rein technisch viel besser (selbst die Bundeswehr).

        Und auch die, die irgendwelche Rubriken ausführen: von Verklemmtheit keine Spur; nicht nur im Idealfall, sondern im praktischen Normalfall. Wohl aber ein gewisses Nerdtum à la: „Ich weiß, wie das gemacht wird, und dann will ich den Herrgott ja auch wirklich ehren und so.“ Nur daß das nicht verklemmt ist, sondern cool. („Hey, ich hab den Namen Jesu gehört! Kopf verneigen!“)

        Ein bißchen anders ist das beim Zelebranten (und eingeschränkt den Ministranten); hier ist das Prinzip wohl wirklich, daß im Zweifelsfall alles geregelt ist (außer während der Predigt). Das *wäre* dann verkehrt, wenn damit die Behauptung einherginge, daß *jeder Christ in seinem ganzen Gebetsleben* so handeln solle; aber das ist ja nicht so, es geht nur um das Handeln in functione, also etwas völlig anderes. Es hat schließlich auch nichts mit Verklemmtheit zu tun, wenn im schon erwähnten Formaldienst ein Abstand von genau 80 Zentimetern eingehalten werden muß.

        >>Warum soll man die Evangeliumsprozession in so einem zusammengestutzten Zustand lassen?

        Vielleicht überraschende Antwort: Damit die Priester hin und wieder auch Levitenämter feiern – wo sie dann *nicht* so zusammengestutzt ist.

        >>Warum muss alles in einem Buch zusammengefasst sein und an einem Ort stattfinden?

        Weil die Messe eine Einheit bildet und die Texte, gerade die Propria, auch aufeinander abgestimmt sind. Collecta, Epistel und Graduale künstlich in unterschiedlichen Büchern zu haben wäre in etwa so, wie wenn Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ in drei Büchlein daherkäme, eins für den Direktor, eins für den Dichter und eins für die Lustige Person; und die jeweils anderen nur mit […] angedeutet.

        >>Warum wäscht man die Hände (eher Finger) des Priesters mit drei Tropfen Wasser?

        Ich habe keine Ahnung. Umso mehr Gelegenheit, hier klassisch im Tradi-Style darauf zu reagieren: „Ist das so? Aha. Na, das wird halt so gemacht wie’s in der Rubrik steht. Und übrigens, es wird schon irgendwarum so sein. Vielleicht werd‘ ich das sogar irgendwann einmal wissen.“

        >>wenn das Tun der eigentlichen Funktion (hier: dem Hören der Heiligen Schrift) widerspricht, dann scheint mir das tatsächlich eine Form erstarrter Ritualität zu sein.

        Natürlich hat die Lesung *auch* die Funktion, den Leuten die Hl. Schrift zu verkünden; aber sie hat in der Messe noch *mehr* die Funktion, Gott zu loben, ihm zu danken, ihn zu bitten und ihm eine Sühneleistung darzubringen. (Mehrere Funktionen schließen sich nicht aus.) Und daher ist sie deswegen (meist) auf Latein, weil die ganze Messe eben auf Latein ist (was ja ähm eine ganz eigene Debatte ist). Ebenso hat auch die ganze Messe übrigens auch einen gewissen Lehrcharakter. Insofern wäre ein künstlicher Sprachenwechsel zur Lesung fast ein wenig untraditioneller als die ganze Messe auf deutsch zu haben (hat sich im NO ja auch nicht durchgesetzt).

        Papst Benedikt XVI. hat in Summorum pontificum erlaubt, Lesung und Evangelium auf deutsch etc. zu halten; für mich ein klassischer Fall von „warum nicht, gelegentlich“, man kann ja auch in einer Messe in Deutschland ein englisches Lied singen. Petrus macht das bisweilen am Werktag (jetzt anscheinend in der Fastenzeit nach dem Motto „da is’s wirklich wichtig, dass ihr das hört“); Pius meines Wissens aber nicht, die haben dafür wohl *immer* die deutsche Übersetzung in der Predigt. Der Normalfall jedenfalls aber ist: eine Messe in einer Sprache – und die Wiederholung auf deutsch für mich übrigens ein schöner Ausdruck eben dieser zweifachen Funktion der Lesung (Teil der Messe und Lehre). (Und wenn man auf Latein schon mitgelesen hat, hat man mal Zeit selber was zu beten 😀 )

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      4. (zu dem „einen Buch“ noch: wobei im Levitenamt natürlich ein eigenes Evangeliar, meines Wissens, verwendet wird oder zumindest werden kann…)

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      5. Danke für die Antworten. Es ist ein heikles Thema, ich schreibe manches öffentlich nicht, weil ich niemanden verletzen möchte; die Benennung der heiligen Messe als „verklemmt“ (nein, natürlich nur eine bestimmte Form der Zelebration!) war schon das äußerste, zu dem ich mich verleiten lasse…

        Die Unterscheidungen, wo das Konzil bindend ist und wo nicht, hat immer etwas sehr gewolltes. Klar, das kann wichtig sein. Aber am Ende kann man eines nicht beseitigen: Das Konzil sah einen Reformbedarf im Bereich des liturgischen Lebens. Dazu sollte man sich als Trad positionieren: Wo lag der, wo liegt der?

        Das hat nichts damit zu tun, was man heute de facto mit der Reform verbindet, im Gegenteil: Es wäre gerade wichtig, um heute mit 50 Jahren Abstand zu reflektieren, was 1970 dran gewesen wäre und was tatsächlich passiert ist! Ich hoffe sehr, dass in den nächsten Jahrzehnten ein solches Buch geschrieben wird. Aber wie gesagt, ehrlich ist das nur, wenn man sich von der Vorstellung löst, man hätte einfach beim Missale 1962 bleiben können.

        Um auf einen einzelnen Punkt zu antworten: Die Zusammenfassung zu einem Buch ist ja eine späte Entwicklung, zuvor gab es ja Sakramentar, Lektionar, Evangeliar etc. Klar kann man das nachträglich als Ausdruck der Einheit der Messe framen (die war aber auch vorher nicht in Frage gestellt). Aber – ich hasse dieses Argument eigentlich, aber ein Körnchen Wahrheit ist doch darin – es scheint doch eher Ausdruck dessen zu sein, dass alle liturgischen Rollen im Priester vereint werden. Ein zentrales Anliegen der Reform war, und das liegt ganz auf Linie mit der Theologie des Konzils, Priester und Gläubige als gemeinsam Feiernde, in unterschiedlichen Rollen, sichtbar zu machen. Das passiert nicht, wenn es nur ein Buch und nur einen liturgischen Ort, den Altar, gibt.

        Dass die berühmte actuosa participatio allerlei Blüten getrieben hat und heute letztlich zur Infragestellung des Priesters auf dem synodalen Weg geführt hat… klar.

        Noch ein Gedanke, oder auch Frage: Ich orientiere mich in liturgischen Fragen immer an der Ostkirche, sie bildet quasi den Maßstab. Klar, wir haben eine andere und eigene Tradition, und ich könnte nicht griech-kath werden, weil ich gerade romanita brevitas sehr liebe und in ihr zu Hause bin. Aber dennoch scheint mir in der ungebrochenen Liturgietradition des Ostens viel deutlicher das verwirklicht zu sein, was SC theoretisch beschreibt. Ist das ein anschlussfähiger Gedanke, ein akzeptierter common ground?

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      6. Lieber JJA,

        keine Angst, ich bin nicht verletzt, nur verwundert. Weil „verklemmt“ zwar ganz sicher eine bestimmte Art von Tradis beschreibt, aber das ganz ernsthaft das letzte wäre, was mir in bezug auf die alte Messe eingefallen wäre. Disclaimer: ich kenne sie aber vor allem aus den entsprechenden Instituten. Es mag sein, dass Priester, die aus lauter Liturgiebegeisterung ihre erste etc. Alte Messe feiern, „verklemmter“ sind. Aber auch das ist natürlich, wo ich so drüber nachdenke kenne ich auch ein Beispiel; und es legt sich mit der Zeit.

        Aber hauen Sie nur ruhig raus. Bloß bitte kein „aber ich könnte ja noch viel mehr argumentieren, aber ich will niemand verletzen.“

        >>Aber am Ende kann man eines nicht beseitigen: Das Konzil sah einen Reformbedarf im Bereich des liturgischen Lebens. Dazu sollte man sich als Trad[i] positionieren: Wo lag der, wo liegt der?

        Der war im wesentlichen nicht vorhanden (und wenn überhaupt, darin, daß das Papsttum im Reformieren zurückhaltender vor sich geht als in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten).

        Das Konzil ist eine Autorität in Glaubensfragen, kein Orakel. Wenn es einen Bedarf gesehen hat, heißt das nicht unbedingt, daß einer da war. (Davon abgesehen sagt es ja in *anderen* Wendungen, daß es gar nicht so wirklich einen Bedarf gibt.)

        >>Klar kann man das nachträglich als Ausdruck der Einheit der Messe framen (die war aber auch vorher nicht in Frage gestellt).

        Das hat mit Framing gar nichts zu tun – und die Ausgliederung in Bücher hat ja durchaus auch zu so Späßlen geführt, daß man im NO selbst zum Apostelfest (ich übertreibe vielleicht, aber nur wenig; sicher aber zu großen Drittklaßfesten bzw. „gebotenen Gedenktagen“) auch schon mal die Bahnlesung aus dem AT oder Apostelbrief vom Werktag hört, als ob die, reden wir mal deutsch, an so einem Festtag *irgendeinen* Meßbesucher interessieren würde.

        Und was mach ich denn als Laie, wenn ich am Sonntag vorher die Texte der hl. Messe lesen will, zum Vorbereiten, oder weil ich nicht hingehen kann oder dergleichen? Immer aus drei verschiedenen Büchern zusammenkramen?

        >>Aber – ich hasse dieses Argument eigentlich, aber ein Körnchen Wahrheit ist doch darin – es scheint doch eher Ausdruck dessen zu sein, dass alle liturgischen Rollen im Priester vereint werden.

        Das wäre insoweit dann schon auch nicht ganz unrichtig, denn letztlich bringt der Priester die Messe dar und der Laie tut das nicht. (Er tut es *mit*, ja, aber egal wie viel Fokus Konzilien auf die Mitwirkung legen wollen, beißt die Maus keinen Faden ab, daß es eine Messe ohne Volk, aber keine Messe ohne Priester gibt. Wenn sich insofern die Liturgie ein wenig entwickelt, das ein wenig deutlicher auszudrücken, dann ist das ein legitimer Fortschritt.)

        >>Ein zentrales Anliegen der Reform war, und das liegt ganz auf Linie mit der Theologie des Konzils, Priester und Gläubige als gemeinsam Feiernde, in unterschiedlichen Rollen, sichtbar zu machen. Das passiert nicht, wenn es nur ein Buch und nur einen liturgischen Ort, den Altar, gibt.

        Doch, das passiert eben schon; am „liturgischen Ort Kirchenbank“ und den vielen Büchern, die teilweise schon ein einzelner Meßbesucher so vor sich liegen hat 🙂 Spaß beiseite, Sie können ja sagen, daß Ihnen der Fokus auf „in unterschiedlichen Rollen“ weit zu groß ist, aber sicher nicht, daß Priester und Volk, von der echten Stillmesse vielleicht abgesehen (die wenigstens jetzt mit Recht die Ausnahme ist, als solche aber mMn auch eine Berechtigung hat) nicht gemeinsam feiern würden. Es hat eben auch mit gemeinsamem Feiern – vielleicht nicht dem, das Ihnen gefällt, aber sehr wohl objektiv mit gemeinsamem Feiern zu tun, wenn der Priester seinen Introitus rechts am Altar betet, während das Volk „Wohin soll ich mich wenden“ oder „Zu Dir, o Gott, erheben wir“ singt.

        >>Aber dennoch scheint mir in der ungebrochenen Liturgietradition des Ostens viel deutlicher das verwirklicht zu sein, was SC theoretisch beschreibt. Ist das ein anschlussfähiger Gedanke, ein akzeptierter common ground?

        In bezug auf common ground gilt für mich ja „nihil mihi dogma nisi dogma“, und die bestreiten wir alle nicht, insofern sehe ich gar nicht, warum wir einen brauchen… Der Osten ist liturgisch sicher sehr schön, allerdings weiß ich zum Beispiel nicht (wirklich nicht!), wie denn die das Problem lösen, wenn ein Priester täglich zelebrieren will, aber kaum Volk da ist oder nicht genügend für die ganzen feierlichen Ämter… (Insofern ist im Westen übrigens auch schon die Frage, ob denn eigentlich die „Pfarrliturgie“ überhaupt als typisch angesehen werden kann und dies nicht eigentlich eher die der Kathedralen und Klosterkirchen wäre. Andererseits ist es schlicht nicht möglich, ein solches Niveau in allen Pfarrkirchen zu bieten…)

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      7. Lieber Nepomuk,

        ich glaube Ihnen ja, dass Sie das ab können, aber es gilt hier trotzdem Anstand zu wahren. Im Gespräch könnte ich deutlicher werden. Vielleicht hat mich die typische Gestik der AO-Priester zu der Vokabel „verklemmt“ geführt. Die zusammengehaltenen (und so vorgeschriebenen) Finger ab der Wandlung sind mir fremd, kann ich aber noch als Ausdruck äußerster Ehrfurcht wertschätzen. Aber warum muss die Orantenhaltung so kantig aussehen? Handflächen einander zugewandt? Dazu auch die Ausführung der (zahlreichen) Gesten wie Kreuzzeichen. Sah in meiner Wahrnehmung oft sehr „mechanisch“ aus. (Die Orantenhaltung der meisten NO-Priester ist genauso panne – einfach altkirchliche Darstellungen ansehen und überlegen, wofür diese Geste steht.) Aber bitte – jetzt lästere ich öffentlich über Priester während des Hochgebets und muss vermutlich Crescentia konsultieren, ob und unter welche Sündenkategorie das fällt. Deswegen würde ich gern auf eine Vertiefung verzichten.

        Übrigens: Eine „Argumentation“ für oder gegen den Reformbedarf ist das im eigentlichen Sinn noch nicht. Die Diskussion hängt ja an der Schilderung meines subjektiven Eindrucks vom Ritus. Der ist ja letztlich vollkommen irrelevant.

        Also, ich höre da heraus, man hätte es beim 1962 Missale belassen können. Es kommt nun ein wenig darauf an, was man damit meint: Bewegt sich die These auf einer eher theoretisch-theologischen Ebene – kann man das vielleicht noch nachvollziehen, auch wenn ich hier vorsichtig zu widersprechen versuche. Bewegt sich die These aber auf einer historischen Ebene, im Sinne von: „Paul VI hätte tatsächlich einfach alles so lassen sollen.“ dann droht, sorry, Realitätsverlust. Der Druck war gewaltig. Sowohl der Erwartungsdruck vieler Gläubiger als auch z.B. der Druck aus der Theologie, die unter dem Eindruck der noch relativ neu entdeckten Historizität des Ritus (Jungmann) stand. (Gerade das war ein Problem und daraus resultierten viele Fehler, aber nie und nimmer hätte man sich dem 1969 vollständig entziehen können.) Und es gab einen Auftrag des Konzils, Punkt. Das konnte Rom nicht einfach ignorieren können.

        >> Framing
        Ich fand den Begriff hier ganz passend, weil es sich um eine nachträgliche Deutung eines historischen Vorgangs handelt, der ganz andere Gründe (v.a. praktische) hatte. Das Chaos der Lesungen im NO sehe ich nicht primär in den unterschiedenen Büchern begründet (wer will, kann sich ja mit dem gebündelten Schott helfen), es ist halt ein Problem der Leseordnung und der Idee, statt der Feste extrem die Bahnlesungen zu pushen. Die richtige Lesung rauszusuchen sollte zur Kompetenz eines Priesters gehören.

        >> Wer feiert die Messe?
        Eines der charmantesten Details der alten Messe ist/war (seit B XVI) ja, dass sie niemals ganz allein vom Priester gefeiert werden konnte. Das geht erst mit dem ach so communialen neuen Ritus. Dogmatisch kann man das natürlich verteidigen, die Zelebration findet immer in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche, insb. der Kirche des Himmels statt, etc. Aber irgendwie hatte sich da was Altkirchliches erhalten. In der Ostkirche existiert diese Regel natürlich auch. Wie man das praktisch zustande bekommt, weiß ich nicht. Aber die tägliche Zelebration ist eine westliche Entwicklung, das gibt es im Osten nicht, wie auch überhaupt die Bedeutung der Eucharistiefeier zB im monastischen Leben geringer sein kann als bei uns. Man denke (nur als Paradigma) an Maria von Ägypten – diese große Heilige hat nur zweimal in ihrem Leben die Eucharistie empfangen.

        „letztlich bringt der Priester die Messe dar und der Laie tut das nicht“
        Das ist genau die Art Engführung, die es zu überwinden gilt. Dieser Satz ist irgendwie richtig und doch drückt er das wesentliche nicht aus. Ich kopiere mal einfach eine Charakterisierung der Messe von einer random Orthodoxen Seite rein, vergleichen Sie:

        „Das griechische Wort Leiturgia (λειτουργία) (abgeleitet von leitos = öffentlich, gemeinschafitich und ergon = Werk, Dienst) bedeutet ein öffentliches Werk. Das Handeln des Gottesvolkes ist ein gemeinschaftllches Werk, dem der Bischof bzw. der von ihm beauftragte Priester vorsteht, wobei wir alle als Mit-Liturgen den Gottesdienst feiern. […]

        Niemand ist hier passiver Teilnehmer, sondern ein Jeder und eine Jede wirkt mit, wenn auch in unterschiedlicher Funktion: Der Priester, die Diakone, die Sänger und das ganze umstehende Volk. Die Göttliche Liturgie als Eucharistiefeier ist Ja das Ereignis, „das Kirche stiftet“.

        Sie wirkt Gemeinschaft (griech. koinonia), in der die „Vielen ein Leib in Christus sind“ Dieser gemeinschaftliche Charakter der Liturgie wird auch darin deutlich, dass der Priester allein die Liturgie nicht feiern kann.“

        Das drückt die Stillmesse nur auf sehr abstrakte Weise aus. Dass der zentrale Ort für den Laien die Kirchenbank ist – schöne Spitze, und sehr richtig. Deswegen ist der Vergleich mit dem Osten so interessant: die obige Erklärung klingt fast typisch NO, aber de facto singen ein paar Laien im Chor und der Rest betet! Es muss also nicht in Aktionismus münden.

        Aber die parallelen Lieder, da bin ich momentan skeptisch. Die Gattung „Lied“ ist der Liturgie fremd. Andererseits scheinen mir die anspruchsvollen Vorstellungen Guardinis und der liturgischen Bewegung, die etwas von totaler Transparenz haben, zu ehrgeizig. Können die Leute nicht alle Choral lernen? 🙂
        Die „typische NO-Argumentation“ wäre hier, dass diese parallele Frömmigkeit tatsächlich in Konkurrenz zur Messe steht, weil die private Andacht u.U. nur lose mit dem Geschehen der Messe verbunden ist. Auch die Lieder gehören nicht eigentlich dazu, sie folgen ja nicht dem Proprium. Ich bin nicht sicher, was von der Argumentation zu halten ist. Mir ist ein paralleler Rosenkranz eigentlich lieber als eine Feier, die jedes Gebet erstickt.
        Aber: „Wohin soll ich mich wenden“… wenn, dann bitte geschmackvoll!! Dass Schubert, der olle Häretiker, sich gerade bei Tradis solcher Beliebtheit erfreut, ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte.

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      8. Welcher Druck? Es gab sicher ein gewisses Interesse an irgendwas Neuem, aber dann waren die Leute doch total überrumpelt von all den extremen Neuerungen, die hätte niemand erwartet, weder im Sinn von „gewollt“ noch von „vorhergesehen“. Und mal ehrlich, wenn Sie jeden Halbsatz und jede noch so unverbindliche Empfehlung jedes Konzils der letzten 2000 Jahre ebenso ernst nehmen würden wie das hier, äh, ich könnte mir vorstellen, dass wir da zu einigen Sachen kämen, die Sie nicht befürworten würden.

        Und Entschuldigung, aber wir sind nun mal katholisch, und die katholische Entwicklung ist auch hier die richtige. Es gibt nichts Größeres auf der Welt als die Messe, und sie täglich zu feiern ist wunderbar. „Lieber keine Messe als ’nur‘ eine, die der Priester allein stellvertretend für die ganze Kirche feiert“ – diese Einstellung verstehe ich absolut nicht.

        Ich weiß nicht, ob das mit der Kantigkeit der Bewegungen Lästern ist – hier darf man ruhig auch offen diskutieren, finde ich -, aber ein bisschen ungerecht, finde ich, urteilen Sie hier schon. Der Wille zur Andacht kann sich auch in Genauigkeit zeigen. Aber das Thema können wir ja auch lassen.

        – Crescentia.

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      9. „Das griechische Wort Leiturgia (λειτουργία) …“

        Was Sie da zitieren, stimmt meiner Meinung nach nicht. Der Begriff λειτουργία bezeichnet den Dienst, der *für* das Volk oder *für* ein politisches Gemeinwesen geleistet wird, in der Regel durch eine *einzelne* Person, die über entsprechende Geldmittel verfügt; durch die Verbreitung des Christentums hat sich die allgemeinere Bedeutung „Dienst (an Gott)“ durchgesetzt. Ich wüsste aber nicht, dass die Bedeutung „Dienst, der *durch* das Volk“ geleistet wird, irgendwo belegt sei, zumindest nicht in dem Material, mit dem ich zu tun habe.

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      10. Lieber JJA,

        zum Thema Bewegungen: Jo, da schließe ich mich Crescentia mal an.

        >>Also, ich höre da heraus, man hätte es beim 1962 Missale belassen können.

        Das kommt darauf an, wie Sie das meinen. Selbstverständlich ist, zumindest im Westen, ein liturgisches Einfrieren im Prinzip nicht vorgesehen und war auch von allen Tradis nur als Notbehelf gedacht. Also: die Liturgie hätte nach 1962 ihre normale Entwicklung durchaus weiternehmen sollen, und ich spekuliere mal, dass das irgendwann zur Verbindlichmachung der Advents- und Kirchweihpräfation geführt hätte.

        Und man hätte vielleicht in dieser speziellen Situation ein paar Sachen revidieren können. Wenn Sie meine persönlichen Wunschträume hören wollen: man hätte es beim Meßbuch von 1954 belassen können, aber mit dem hl. Joseph im Suscipe und Libera-nos (nicht im Kanon), einem zusätzlichen Fest für ihn unter dem Titel „der Arbeiter“ am 1. Mai unter Verschiebung der hll. Philippus und Jakobus wie von Pius XII. durchgeführt, aber unter Beibehaltung seines Patronatsfests; eine bessere Aufteilung der Duplicia und Semiduplicia (in etwa in dem Stil, wie sie der Vatikan 2020 dann durchgeführt hat) samt Vorrang der Fastenwerktage vor in etwa den letzteren (was 1954 noch nicht der Fall war), aber nicht ersteren; das Fest des Unbefleckten Herzens der Gottesmutter am Samstag nach Herz Jesu (wie vom Novus Ordo, nicht ohne traditionelle Vorbilder, dann durchgeführt) unter Wiedereinführung des alten Oktavtags von Maria Himmelfahrt, und den dann am besten mit dem schönen *alten* (prädogmatischen) Formular von Maria Himmelfahrt (duftender Libanon und Maria-aber-die-andere von Betanien), während am Fest Maria Himmelfahrt selber das *neue*, postdogmatische mit Judith und Magnificat bliebe. (Plus vielleicht ein paarmal die Chance, wichtige Heiligenfeste in Einzelfällen auch über die Apostel hinaus an einfachen Sonntagen zu feiern, aber nicht so oft wie 1910 und nicht einfach für quasi jeden Heiligen aus dem Klerus und Ordensstand, der nach dem Jahr 1000 ein Fest erhalten hat; der Teil dürfte wahrscheinlich am strittigsten sein. An *dieser* Stelle widerspreche ich übrigens dem Teil mit dem „wenn sie nicht wirklich von höchster Bedeutung sind“ in SC106 gar nicht, stimme vielmehr zu, frage mich nur, ob man „höchste Bedeutung“ [das lateinische Wort kann auch „sehr hohe Bedeutung“ heißen] angesichts der Kirchengeschichte und so nicht auch so weit auslegen könnte, daß etwa der hl. Augustinus durchschlüpft…)
        Und so Geschichten wie: nun, ich bin der Papst, der Bischof meiner Heimatstadt soundso war ein Heiliger und ich habe ihn immer verehrt, machen wir mal ein Drittklaßfest für die ganze Weltkirche (der hl. Gregorio Barbarigo möge mir bitte den saloppen Ton verzeihen und für mich beten!) … das hätte man sich dann auch sparen können.

        Meine Wünsche sind aber nicht so wichtig (was noch nicht heißt, daß ich mir solche Gedanken nicht machen dürfte). Die Frage ist, darüber waren wir uns ja einig, ob die Liturgie wirklich so im argen lag, wie aus dem Tonfall eines Teils des Konzilsdokuments herauszulesen ist. *Das*, jedenfalls, von allen Details abgesehen, war nicht der Fall.

        Es mag natürlich vielleicht angebracht gewesen sein (ich kenne die damalige Praxis nicht, halte es aber allgemein menschlich für am wahrscheinlichsten, daß die Berichte, wie schlimm es damals war, *teilweise* stimmen), daß man, wie es die ganze liturgische Bewegung von Anbeginn getan hatte, die Leute zu mehr Andacht (im gleichen Ritus) und regelmäßigen gesungenen Ämtern statt hier und da einer Stillmeß- und Betsingmeßmonokultur hätte auffordern sollen. Das ist aber natürlich keine Veränderung des Ritus. Dazwischen, daß einem Trainer seinen Schützlingen auf dem Fußballplatz zuruft „Strengt euch an! Spielt mit Einsatz!“, und daß ein anderer die Fußballregeln ändert, besteht ein Unterschied, und zwar auch (das sei zur Klarstellung gesagt), wenn das Fußball trotz der Regeländerung immer noch Fußball bleibt. Ersteres war wahrscheinlich notwendig, wenn auch wahrscheinlich nicht *ganz* so sehr, wie die doch auch irgendwo die Liturgiereform rechtfertigen sollenden Geschichten aus den Sechzigerjahren behaupten daß notwendig war.

        (Zum Rest: später.)

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      11. Oh Mann, bei eurem ganzen Fachsimpeln mit Duplicia und Semiduplicia fällt mir wieder auf, wie wenig Ahnung ich von der Liturgie eigentlich habe!

        – Crescentia.

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      12. Liebe Crescentia, das mußt du ja auch nicht. Ich plädiere nur dafür, daß es keine Sünde ist, wenn man so was weiß, selbst wenn man Laie ist und noch heiliger sein könnte. 🙂

        Duplex-Feste waren mal die „großen“ Heiligenfeste und semiduplex die „mittelgroßen“; aber etwa ab dem zweiten Jahrtausend erhielt so quasi jedes neue heilige Ordensmitglied und jeder neue heilige Bischof ein duplex-Fest. Dagegen waren so beliebte Feste wie der hl. Georg, der hl. Ludwig oder der hl. Stephan von Ungarn semiduplex, vermutlich weil das Laien waren, aber das ist meine private Spekulation. Simplex-Feste sind typischerweise Märtyrer aus den Verfolgungen im römischen Reich.

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    2. Hier würde ich nur einen frommen Wunsch äußern: Dass in jeder Messe während der Priester das Stufengebet spricht kein Lied gesungen wird, sodass die Gemeinde das Stufengebet mitsprechen kann. Den Introitus könnte man dann davor oder danach beten. Ich liebe das Stufengebet einfach und würde es gerne nicht nur für mich vor der Messe, sondern als Messteilnehmer mitbeten können

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      1. Also ich bete das Stufengebet nahezu immer, allerdings gegebenenfalls „nachträglich“ während der Opferung oder so und finde „Introitus (oder Eröffnungslied) während der ganzen Eröffnung“ sogar sehr stimmig. Die Geschmäcker, auch die liturgischen, der Geschlecker sind offensichtlich hinieden sehr verschieden.

        Ich hab‘ aber tatsächlich einen ähnlichen Wunsch: Bitte während des Schlußevangeliums, ob hörbar oder nicht (aber sehr gerne hörbar) nicht mit einem Lied, nicht einmal mit einem Marienlied, dazwischenfunken… Und ja, ich sehe sogar, daß ein Marienlied zum Johannesprolog sogar ganz faszinierend paßt, aber trotzdem, für mich fühlt es sich nicht richtig an, was anderes zu singen, während jemand das Evangelium verliest.

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  2. Ich finde den Punkt gar nicht so empfindlich. Aber gut, ich bin halt positionell nicht bei Pius, sondern bei den vormaligen Ecclesia-Dei-Instituten… Ich finde auch, daß Du, Crescentia hier ein wenig zu unfreundlich bist – es macht irgendwo einen Unterschied, ob man feststellt, das eine ist besser und das andere ist schlechter, auch ob man feststellt es fehlt *vieles*, man hat überhaupt erst gesehen, was die Messe (das dann aber auch die neue!) eigentlich ist, als man in eine alte Messe ging usw. oder mit welchem Tonfall man von „defizitär“ und „Mangelernährung“ spricht. Wirklich konkret greifbar Unrecht hat sie aber nur in zwei Punkten: Die Handkommunion gehört zwar tatsächlich wirklich abgeschafft, aber solange sie das nicht worden ist, ist sie kein „Mißbrauch“; und die Priester, die die neue Messe gut feiern, tun nicht nur subjektiv, sondern (was Du zugegeben auch nicht ausdrücklich gesagt hast) auch objektiv nichts Falsches. (*Subjektiv* kann sogar ein Götzenopfer eines Hindus ohne Sünde abgehen!) Daß es aus kirchenpolitischen und, wenn es diese nicht gäbe, aus Gründen der Rücksicht auf Tradibefindlichkeiten *unklug* (und *insofern* vielleicht doch eine Sünde) wäre, wenn *ein Ecclesia-Dei-Priester (oder Piusbruder)* das täte, tut dem keinen Abbruch.

    That being said würden die das (außer eventuell aus Rücksicht auf andere, die eben die neue Messe feiern – in einer Welt *ohne* Kirchenpolitik und *ohne* Tradibefindlichkeiten würden wohl auch die Tradipriester in der Chrisammesse konzelebrieren, es aber besser finden und das auch sagen, wenn der Bischof diese als alte Messe feiern würde) auch schlicht und einfach nicht wollen.

    Aber was mich vermutlich dann doch zum „echten Tradi“ ( :D) macht, ist die Antwort auf diese Frage:

    >>Sehen Sie etwas Negatives an der alten Messe? Einen Reformbedarf?

    Nein. Ich auch nicht.

    Also nicht an der alten Messe selber. Damit wir uns nicht falsch verstehen: In einer Welt, in der es nur die Alte Messe gäbe, wäre ich dann schon dafür, neben der gelegentlichen (!) Schubertmesse auch – wohlgemerkt gerechtfertigt mit den gleichen Gründen, mit denen schon damals zur alten Messe die Schubertmesse gerechtfertigt wurde (was genaugenommen sogar *besser* geht wie zur neuen, weil vorn am Altar der Priester ja auch noch den offiziellen Text betet) – gelegentlich (!) eine Messe mit dem zu machen, was man so Lobpreismusik nennt. (Die Gitarre ist nicht kultisch unrein^^)

    Aber es gab keinen Bedarf an einer Reform hin in die Richtung der Neuen Messe.

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  3. Und wenn es einen Reformbedarf gab, wobei Bedarf zu viel gesagt ist – Reformwünschenswertheit – dann die etwas zu gravierenden Reformen, die *vorher* gemacht worden waren. In der Tat liest sich der umstrittene disziplinarische Teil von Sacrosanctum Concilium (der doktrinäre Teil des Dokuments ist exzellent!) mit Ausnahme des absurden „die Prim soll wegfallen“ fast ein wenig so, als wäre er 1910 geschrieben worden, als eine behutsame Reform insbesondere der Rangordnung der liturgischen Tage schon wünschenswert gewesen war. So sind wir vom einen Extrem „Fest des hl. Hieronymus Ämiliani, Gedächtnis des sechsten Sonntags nach Pfingsten und der hl. Margaret“ oder (noch 1954) „Fest des hl. Gabriel Possenti, Gedächtnis des Quatembersamstags“ in das andere Extrem „Montag nach dem ersten Fastensonntag, Gedächtnis des hl. Thomas von Aquin“ gefallen. Ebenso die Einführung der Josefspräfation, was ja dann geschah, und einer Anrufung des hl. Josef in jeder Messe, was ja dann auch geschah (ich hätte sie lieber vor und nach dem Kanon gehabt, im Suscipe Sancta Trinitas und im Libera nos, statt im Kanon; aber der Gedanke an sich war gut). Das war aber meistens bis 1962 geschehen, eventuell wurde über das Ziel hinausgeschossen.

    Übrigens hat ein wesentliches Desiderat der Vatikan 2020 eingelöst, als er das Zusammenwerfen der alten Duplex-major-, Duplex-minor- und Semiduplex-Feste (seit 1955 alles „dritter Klasse“) dann doch wieder ausdifferenzierte, indem es nun „wichtige“ Drittklassfeste gibt.

    Und interessanterweise hat sich selbst der Novus Ordo, als er dann kam, dann *manchmal* auch wirklich vorige Reformen korrigiert: So beginnt die Passion wieder mit dem Abendmahlsbericht meines Wissens, was Pius XII. gestrichen hatte, so daß der Abendmahlsbericht dann in Tagesmessen überhaupt nie verlesen wurde (es gibt einen Abendmahlsbericht in der „Priesterdonnerstags-Votivmesse“), und in der Osternacht können wenigstens fakultativ wieder sieben Prophetien gelesen werden (ursprünglich zwölf, Piux XII. vier, übliche NO-Praxis: drei).

    Witzigerweise – aber auch das war schon seit langem klar – sind übrigens die Piusbrüder *liturgisch* die modernsten Tradis überhaupt und zelebrieren gemäß 1962 (außer beim Kommunionconfiteor – *die* offizielle Abschaffung macht wirklich *niemand* mit), während gefühlt alle anderen Institute unter Berufung auf Indulte mittlerweile noch weiter zurückgehen (zu erkennen etwa daran, ob der Priester zur Palmsonntagsprozession rot oder violett trägt). Das hat auch gute Gründe: Erzbischof Lefebvre hatte einen hemdsärmelig missionarischen Ansatz und außerdem die Ansicht: „der Novus Ordo war ein Bruch, da machen wir nicht mit, aber bis vor ihn gilt der Gehorsam, auch wenn es uns persönlich nicht gefallen mag“; und auf Grund der komplizierten Situation kommt man halt auch nicht so einfach an Indulte (die man dann gelegentlich weit auslegen kann).

    Sonst, was hätte man *außer* behutsamer Korrekturen der Reformen des 20. Jahrhunderts (aber höchstwahrscheinlich bei weitem nicht aller) noch machen sollen? Nicht viel, aber die Adventspräfation und die Kirchweihpräfation (formell sind das erlaubte Ausnahmen, und der *Standard* ist am Sonntag De sanctissima Trinitate und am Werktag die gewöhnliche Präfation) für die entsprechenden Gelegenheiten verbindlich machen. Vielleicht etwas mehr Propriumstexte für Heilige und *so* etwas mehr Bibel.

    Sonst sind selbst die Dinge, die an sich gute NO-Spezifika sind – die Idee der Bahnlesung (die es traditionell ja auch gibt, im Stundengebet), die Abstimmung der Lesungen aufeinander an den Sonntagen [nicht aber, daß dann irgendwelche Verse den Liturgieverfassern zu peinlich waren, so daß sie selbst bei der Bahnlesung noch unterschlagen werden!], die feierlichen Segensformeln, die körperliche Gemeinschaft beim Friedensgruß [ja, da bin ich wahrscheinlich auch der einzige Tradi, der das sagt] – halt so beschaffen, daß halt in den Römischen Ritus, wie er vorkonziliar war, einfach nicht eingefügt werden können. (Es kann ja auch sein, ist ja auch so, daß auch ein Kunstwerk, das im Macro Testaccio *tatsächlich* sehr schön ist, in der Wallace Collection einfach fehl am Platze ist…)

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  4. Ihre Erfahrungen bei der Piusbruderschaft, Crescentia, decken sich nahezu exakt mit den meinen. Ich kann ihnen daher nur zustimmen und bin dankbar, dass es diese tolle Gemeinschaft gibt – ein Werk der Kirche

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  5. Auch meine Erfahrungen decken sich mit denen von Crescentia. Ich bin seit 2011 bei Pius und ich bereue nichts.

    Es scheint aktuell in der Diskussion zum Thema „Ein Jahr bei Pius“ eher um die Auslegung von VKII zu gehen. Ich meine, es hilft nichts, immer wieder die Konzilstexte gläubig „anzunehmen“, wenn man nicht bereit ist, diese in einen größeren Rahmen einzuordnen. Zu dem größeren Rahmen gehören auch die Texte der Päpste über Freimauerei, der Syllabus, die Prophezeiungen, usw.

    Jetzt plant der Papst für den 25.03.2022 eine Weihe von Russland und der Ukraine. Aufgabe des Konzils wäre es gewesen, damals die Weihe Russlands mit den Bischöfen zusammen vorzunehmen und den Kommunismus zu verurteilen.

    Nein, das VKII und seine Auswirkungen sind nicht einfach typisch katholisch. Es ist doch eher eine Revolution in der Kirche. Man lese einmal: Roberto de Mattei, Das Zweite Vatikanische Konzil oder relativ neu: Taylor Marshall, Infiltriert. Bis heute sind die Vorgänge nicht komplett aufgearbeitet und was bislang ans Licht gekommen ist, ist erschütternd. Man muss doch VKII als Rache der Modernisten für VKI sehen.

    Ich war glückerweise nur sehr selten in einer modernen katholischen Messe. Ich habe keine einzige erlebt, die an Würde auch nur eine stille alte Messe erreicht hätte. Aber ich habe „Messen“ erlebt, die eher schauerlich waren.

    Ein Beispiel:

    Vor einigen Jahren wurde ich nach München eingeladen. Es sollte eine Jägermesse der katholischen Hochschulgemeinde der Bundeswehr stattfinden. Obwohl ich nicht im Vorstand von unserem Jagdverein bin und neben Leute aus Politik und Verwaltung nur Funktionsträger eingeladen waren, sagte der Vorstand: Du gehst mit, du bist doch religiös unterwegs! Der Vorstand und der Vize waren Protestanten und ich sollte als Religiöser mitgehen.

    Die Messe fand im Hörsaal statt. Die Bankreihen waren eng, hatten Klappstühle, unmöglich, dort zu knien. Vorne rechts stand ein Falkner mit einem Steinadler auf dem Arm. Dieser stieß alle 4 Sekunden einen gellenden Schrei aus, dass einem die Ohren gegellt haben. Das ging bis zur Wandlung. Danach hat der Falkner – wahrscheinlich taub – den Hörsaal verlassen. Vorne links standen etwa 10 Waidfrauen mit Fuchskragen und Jagdhörnern. Nach und nach kamen etwa 300 Leute, überwiegend in Tracht.

    Dann kamen die Priester, etwa 5 oder 6, vorneweg der Dekan, alle in diesem modernen „kurzärmeligen“ Fummel. Nach einer Begrüßung ging es los, alles in dieser selbstdarstellerischen und lieblosen, aber coolen Manier. Man will ja der Welt zeigen, dass man über den Dingen und auch über der Messe steht. Der erste „Höhepunkt“ war die dann Predigt. Der Dekan zog eine Flasche Jägermeister unter dem Pult vor, hob sie triumphierend hoch und erzählte dann 300 ausgebildeten Naturschützern wie Naturschutz geht. Einfach nur peinlich. Der kam nicht einmal auf die Idee, dass er derjenige im Raum war, der von Naturschutz am wenigsten Ahnung hat. Auf Begriffe wie Jesus, Maria und Josef, Glaube, Liebe verzichtete er gänzlich, aber wahrscheinlich wusste er auch darüber nichts Gescheites zu berichten.

    Dann kam es zur Kommunion. Jeder durfte nach vorne und sich seinen „Keks“ abholen. Der Vize rechts neben mir blieb sitzen und winkte ab. Der Vorstand, der religiös eher auf Klangschalen steht, holte sich die Hostie. Er hielt sie etwa 10 Minuten in der Hand, drehte sie hin und her, schaute immer wieder darauf und aß sie schließlich. Auf der Rückfahrt hieß es dann, es sei doch eh alles das Gleiche.

    Niemand braucht mir erzählen, dass das nicht einkalkuliert ist, dass das ein Ausnahmefall ist. Das sind die Früchte des Konzils. Die Ausnahme ist der Priester der Amtskirche, der an die Auferstehung glaubt. Es waren dort 6 bis 7 Priester anwesend. Jeder von diesen wusste, dass ein Großteil an Protestanten oder Konfessionslosen da sein würde. Niemand hat auf die Bedingungen zum Empfang der Eucharistie hingewiesen.

    Es hilft nichts, etwas über irgendwelche Spitzfindigkeiten über SC zu diskutieren, wenn die ganze Sache im Argen liegt. Die Lösung der Piusbruderschaft ist die richtige. Man braucht heiligmäßige Priester und keine Krawattengeistlichen, die nach einer unwürdigen Messe als Erste am Sektempfang sind. Dafür wurde die Piusbruderschaft gegründet.

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    1. >>Es hilft nichts

      Das mal als Hypothese angenommen: freilich ist nirgendwo ist vorgeschrieben, nur Dinge zu machen, die helfen.

      Im übrigen ist das nicht der erste Kommentarstrang und wird auch nicht der letzte sein, der ein wenig abschweift, weil jemand eine, wenn auch vom Thema nahegelegte, so doch etwas anders fokussierte Frage gestellt hat.

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