Über schwierige Heilige

Die Heiligen sind toll. Und manche Heilige sind quasi universell beliebt – Mutter Teresa, Maximilian Kolbe oder Damian de Veuster zum Beispiel. Sich anstelle eines anderen von den Nazis umbringen lassen oder Leprakranke pflegen, bis man selber an Lepra stirbt; das passt – alles wunderbar. Aber wenn man anfängt, sich näher mit den Heiligen der Kirche zu beschäftigen, kann man früher oder später auch auf den einen oder anderen stoßen, der einem sauer aufstößt, oder bei dem man sich fragt: Ist das wirklich vorbildhaft? Soll ich den verehren? Soll ich das, was der gemacht hat, gar nachahmen?

Grundsätzlich gelten hier ein paar Dinge:

1) Man muß die Heiligen bewundern, aber braucht sie nicht immer in allem nachzuahmen.“ („Sancti admirandi sed non imitandi sunt semper in omnibus.“)

Das gilt auch bei an sich guten Dingen. Zunächst einmal ist nicht alles ist für jeden geeignet, manches hat Nebenwirkungen oder seine Nützlichkeit hängt vom jeweiligen Stand in der Welt (Laie mit Familie, Ordensangehöriger, Mensch mit Regierungsverantwortung, etc. pp.) ab. Aber auch bei dem, was für jeden nützlich und gut wäre, muss man nicht alles nachahmen, sondern es steht einem oft frei. Es gibt „Werke der Übergebühr“, die nicht verpflichtend sind. Man kann versuchen, gut zu sein, und gleichzeitig jemanden dafür bewundern, dass er besser ist, als man selbst es ist/anstrebt, ohne dessen überragende Heiligkeit als Vorwurf an sich zu verstehen.

Beides gilt bei Heiligen, die extreme Bußen auf sich nahmen (Eremitenleben, extremes Fasten, Schlafentzug, Schlafen auf der Erde…). Solche Dinge sind einerseits nicht verpflichtend, und zweitens sowieso ohne Rücksprache mit einem geistlichen Begleiter nie empfehlenswert, weil sie auch geistlich ihre Nebenwirkungen haben können (Möglichkeit des Stolzes auf der einen Seite, wenn man sie gut schafft, der Mutlosigkeit auf der anderen, wenn man sie nicht gut schafft, etc. pp.), und generell haben die Kirchenlehrer dabei immer zur Vorsicht und Mäßigung geraten. Trotzdem können sie ihren Wert haben.

Nicht jeder Heroismus ist verpflichtend; gerade dann kann er aber sehr bewundernswert sein – das gilt z. B. auch bei Heiligen, die alles hinter sich ließen, um in einem fernen Land unter großen Gefahren zu missionieren (wie der hl. Bonifatius bei den Deutschen), oder auch bei heiligen Frauen, die eine Krebsbehandlung verschoben, um ihr ungeborenes Kind nicht zu gefährden, und dadurch ihr Kind retteten, aber selbst starben, wie die hl. Gianna Beretta Molla (1922-1962) oder die ehrwürdige Dienerin Gottes Chiara Corbella Petrillo (1984-2012). [Eine direkte Abtreibung wäre natürlich auch in diesem Fall nicht erlaubt; hier geht es um Handlungen, die man auch vornehmen würde, wenn das ungeborene Kind nicht da wäre, die ihm aber, ohne dass das gewollt ist, schaden oder es töten könnten (Prinzip der Handlungen mit Doppelwirkung).]

Die hl. Gianna Beretta Molla

(Die hl. Gianna Beretta Molla. Bildquelle: Wikimedia Commons. Eingestellt von Nutzer José Luiz Bernardes Ribeiro.)

Es ist schon ein Problem, wenn man meint, ein Heiliger stelle mit seiner überragenden Heiligkeit einen Vorwurf an einen selber dar, wenn er eigentlich nur ein Vorbild und ein Helfer sein will, es ihm ein bisschen nachzutun. Die Heiligen verachten einen nicht, weil sie besser sind als man selber; gerade weil sie besser sind, ist jede Art von Verachtung ihnen fremd.

Und man kann wirklich lernen, es auszuhalten, dass es nun mal sehr viel bessere Christen gab und gibt.

2) Auch Heilige haben Fehler gemacht und Sünden begangen; sie wären die ersten, das zuzugeben. Heiligsprechungen stellen fest, dass jemand im Himmel ist, worauf man sich jedenfalls verlassen kann, und sie stellen ihn insgesamt als Vorbild heraus; was nicht heißt, dass er immer alles richtig gemacht hat. Eigentlich ist es auch ganz tröstlich, dass auch Heilige nicht perfekt waren. Wir haben nicht nur Heilige/Selige/ehrwürdige Diener Gottes, die sich nach einem sehr sündhaften Leben bekehrt haben – wie der Christenverfolger Paulus oder der Mörder Jacques Fesch -, sondern auch grundsätzlich schon bekehrte Heilige/Selige/ehrwürdige Diener Gottes, die dann noch Fehler und Sünden begangen haben.

Die Heiligen waren auch sehr unterschiedlich; zum selben Thema hatten manche sehr verschiedene Ansichten und Ratschläge. Wenige Katholiken werden den hl. Papst Pius V. und den hl. Papst Paul VI. gleichermaßen verehren. Ein paar Beispiele für Ansichten des großen Heiligen Pater Pio, die wohl eher nicht richtig waren, gäbe es z. B. hier unter Fußnote viii – und die betreffen nicht nur Rocklängen.

Öfter einmal kann man auch auf Heilige stoßen, die gegenüber Menschen, die sie schlecht behandelt haben, sehr gefügig und, wie soll man sagen, feindesliebend waren, und alles ertragen und aufgeopfert haben – etwa die hl. Elisabeth von Thüringen oder die hl. Monika. Hier gilt manchmal tatsächlich, dass sie vielleicht in dieser Hinsicht mehr Mitleid als Bewunderung verdienen. Die Verwechslung von Milde und Feindesliebe mit der Duldung von Unrecht kann ja  leicht vorkommen, trotz aller Klärungen durch die Kirchenlehrer und Theologen, und es ist nicht nur nicht jeder Heroismus verpflichtend, es ist auch nicht jeder Heroismus weise oder anzuraten – oder zumindest nicht immer.

Der hl. Augustinus schreibt beispielsweise über seine Mutter, die hl. Monika, und deren Verhältnis zu seinem Vater:

„Ebenso ertrug sie seine eheliche Untreue, so daß sie niemals deswegen mit ihrem Manne in Streit geriet; hoffte sie doch für ihn zu deiner [Gottes] Barmherzigkeit, daß er, wenn er erst an dich glaubte, auch keusch werden würde. Abgesehen hiervon, war er sonst sehr gutmütig, nur hin und wieder jähzornig. Aber sie wußte, daß man einem jähzornigen Manne nicht sich widersetzen durfte, nicht durch Worte, geschweige denn durch Handlungen. Doch wenn er sich ausgetobt und beruhigt hatte, dann ergriff sie wohl eine günstige Gelegenheit und gab ihm Rechenschaft über ihr Verhalten, wenn er sich zu unüberlegter Handlungsweise hatte hinreißen lassen. Wenn endlich viele Frauen, trotzdem sie sanftere Männer hatten, doch Spuren von Schlägen im entstellten Gesichte aufwiesen und im Gespräche mit den Freundinnen ihren Männern Schuld gaben, so gab sie Schuld ihrer Zunge und erinnerte sie, gleichsam scherzend, doch mit ernsten Worten: Seit dem Augenblicke der Vorlesung des Ehekontraktes hätten sie darauf achten müssen, daß sie gewissermaßen Dienerinnen geworden seien; eingedenk ihres Standes hätten sie also nicht gegen ihre Herren übermütig werden sollen. Da nun jene wußten, was sie für einen leidenschaftlichen Mann hatte, und mit Staunen sich erinnerten, daß man noch nie gehört oder auf andere Weise erfahren habe, daß Patricius seine Gattin geschlagen habe oder daß sie auch nur einen Tag sich in häuslichem Streite entfremdet hätten, da fragten sie wohl vertraulich nach der Ursache hiervon; dann belehrte sie Monika über die Art und Weise, die ich oben erwähnt habe. Die ihrem Beispiele folgten und die Probe machten, dankten ihr; die nicht folgten, blieben auch weiterhin schlechter Behandlung unterworfen.

Untreue und solche schlechte Behandlung einfach ertragen? Sind das nicht die klassischen von der Kirche anerkannten Trennungsgründe? Schließlich ist so etwas eine ziemlich schlimme Ungerechtigkeit, und „einfach nichts sagen“ hier als vorbildlich herauszustellen, ist vielleicht nicht immer sinnvoll. Und dann die Beschreibung von Ehefrauen als „Dienerinnen“.

Hier muss man aber auch sehen, dass die hl. Monika in einer noch kaum christlich geprägten Gesellschaft lebte, und schließlich auch einen heidnischen Ehemann hatte, der sich erst kurz vor seinem Tod taufen ließ. In dieser Gesellschaft war eine so schlechte Behandlung von Ehefrauen viel verbreiteter, und es waren nicht nur Psychopathen, die ihre Frauen schlugen und wie Dienerinnen behandelten, denen man auch keine Treue schuldete, sondern viele Männer (und auch die Frauen) waren dazu erzogen worden, das als normal zu sehen. Damals war es vielleicht wirklich erfolgversprechender, dem mit Ertragen beizukommen, als es heute bei einem prügelnden Mann wäre (zumal die hl. Monika nicht viele andere Möglichkeiten hatte). Und wir haben auch vorbildliche katholische Frauen, die eine solche Ehe tatsächlich nicht einfach ertrugen, sondern sich trennten, wie z. B. die ehrwürdige Dienerin Gottes Rose Hawthorne (1851-1926).

(Die hl. Monika mit ihrem Sohn Augustinus. Gemeinfrei.)

Aber nicht nur in dieser Hinsicht gibt es Heilige, bei denen man sich leicht denkt: Das ist doch nicht mehr überragend heilig, das ist doch in dieser oder jener Hinsicht so übertrieben, dass es einfach falsch ist. Ein viel kritisierter Heiliger ist z. B. der hl. Nikolaus von der Flüe, der zum Eremiten wurde, obwohl er bereits eine Frau und zehn Kinder hatte.

(Der hl. Nikolaus von der Flüe. Gemeinfrei.)

Ist es nicht furchtbar, seine Familie zu verlassen? Ist die Ehe nicht ein heiliges Sakrament? Sagen nicht so große Heilige wie Franz von Sales, dass man seinem Stand und seinen Pflichten gefälligst treu sein sollte? („Auf keinen Fall kann ich es gutheißen, wenn Leute, die schon in einem Stand und Beruf leben, beständig nach einem anderen Leben verlangen, als ihren Pflichten entspricht, oder nach Andachtsübungen, die mit ihrem Beruf nicht vereinbar sind. Das verwirrt nur ihr Herz und hindert sie an der Erfüllung ihrer Pflichten. Wenn ich mich nach der Einsamkeit der Kartäuser sehne, verliere ich damit nur meine Zeit. Statt dieses Wunsches soll ich den hegen, meine augenblicklichen Pflichten gut zu erfüllen.“ (Einführung in das fromme Leben, 3. Teil, 37. Kapitel))

Nun, generell ist so etwas nicht sehr ratsam. Aber beim hl. Bruder Klaus ist erst einmal zu beachten: Er ließ seine Familie nicht unversorgt zurück, und seine Frau gab ihr Einverständnis, dass er ging. So etwas war grundsätzlich nur mit Einverständnis des Ehepartners möglich, wie ein Mann im Mittelalter auch nur mit Einverständnis seiner Frau auf einen Kreuzzug gehen durfte. Generell ist die Familie auch nicht immer das Höchste; auch z. B. im Zweiten Weltkrieg mussten viele Soldaten ihre Familien verlassen, um ihr Land gegen die Nazis zu verteidigen. Und vielleicht berief Gott in diesem Ausnahmefall den hl. Bruder Klaus wirklich von seiner Familie weg – vielleicht auch, um zu zeigen, dass die Familie nicht immer das Höchste ist.

Vielleicht greift hier aber auch hier das Prinzip, dass Heilige eben – aus den besten Motiven – Fehler begehen können; und trotzdem ihr weiteres Leben hindurch Gott auf großartige Weise dienen können.

Der hl. Franz von Sales schreibt über die Fehler von Heiligen:

„Der hl. Augustinus sagt ganz richtig, dass Anfänger im Frömmigkeitsstreben leicht gewisse Fehler begehen, die wohl tadelnswert sind, wenn wir sie nach strengen Maßstäben der Vollkommenheit messen; sie sind aber auch lobenswert als gute Vorzeichen eines künftigen Seelenadels, den sie sogar vorbereiten. So ist eine niedrige und grobe Angst, die in der eben erst von der Sünde aufgestandenen Seele Skrupel hervorruft, für den Anfang nur zu begrüßen als sicheres Vorzeichen künftiger Gewissenszartheit. Dieselbe Angst wäre aber an Fortgeschrittenen zu tadeln; in ihrem Herzen soll die Liebe herrschen, die nach und nach diese Art knechtischer Furcht verdrängt.

Der hl. Bernhard war am Anfang ganz streng und hart gegen jene, die sich seiner Leitung unterstellten. Gleich beim Eintritt erklärte er ihnen, sie müssten ihren Leib draußen lassen und dürften zu ihm nur mit ihrer Seele kommen. Wenn er ihre Beichte hörte, verurteilte er mit unerhörter Strenge alle, auch die kleinsten Fehler und drängte seine Beichtkinder mit solchem Ungestüm zur Vollkommenheit, dass er damit gerade das Gegenteil erreichte; denn sie verloren Atem und Mut, weil er sie auf einem so steil ansteigenden Weg mit solcher Heftigkeit antrieb. Sieh, es war brennender Eifer für die vollkommene Reinheit, die diesen großen Heiligen zu solcher Handlungsweise veranlasste, und dieser Eifer war eine große Tugend; trotzdem war er tadelnswert. Deshalb wies Gott selbst in einer Erscheinung ihn zurecht und goss den Geist der Milde und Güte in seine Seele; nun änderte er sich vollständig, warf sich selbst seine Strenge vor und wurde gegen jedermann so gütig und so entgegenkommend, dass er allen alles ward, um sie alle zu gewinnen.

Der hl. Hieronymus erzählt von seiner geliebten geistlichen Tochter Paula, sie sei in der Übung von Kasteiungen nicht nur übereifrig, sondern auch so eigensinnig gewesen, dass sie den gegenteiligen Weisungen ihres Bischofs, des hl. Epiphanius, nicht gehorchen wollte. Außerdem habe sie sich von der Trauer über den Tod ihrer Angehörigen so hinreißen lassen, dass sie jedes Mal in Lebensgefahr schwebte. Er fügte hinzu: ‚Man wird mir vorwerfen, dass ich mit meinen Worten die Heilige tadle, statt sie zu loben. Ich rufe Jesus, dem sie gedient und dem ich dienen will, zum Zeugen an, dass ich weder nach der einen noch nach der anderen Seite die Unwahrheit sage, sondern nur ganz schlicht von ihr als Christ über eine Christin berichte; das heißt, ich schreibe ihre Geschichte, nicht eine Lobrede; ihre Fehler wären bei anderen Menschen Tugenden.‘ […]

Denken wir also gut von solchen, die fromm leben wollen, auch wenn wir Fehler an ihnen sehen; auch die Heiligen hatten Fehler.“ (Einführung in das fromme Leben, 3. Teil, 2. Kapitel)

3) Man kann auch der Ansicht sein, dass ein Heiliger für eine bestimmte Sache nicht verehrt werden sollte – nicht nur Heilige, sondern auch die Verehrung, die sie erhalten, ist nicht über jede Kritik erhaben. Manchmal haben spätere Generationen auch ein verzerrtes Bild von Heiligen und vereinnahmen sie für irgendeinen Zweck. Beim hl. Franz von Assisi ist das öfter der Fall; auch die hl. Hildegard von Bingen oder die hl. Katharina von Siena werden ja gerne mal zu Schutzheiligen des Feminismus erklärt.

Man sollte sich auch angewöhnen, mit der Hagiographie ein bisschen kritisch umzugehen – hagiographische Texte neigen dazu, Heilige zu idealisieren, zu verniedlichen, und den Idealvorstellungen der eigenen Zeit anzupassen, indem sperrige Details ausgeblendet oder nur vage angedeutet werden. Manche moderne Texte über Heilige lassen auch Wundergeschichten weg, die den Verfassern zu over the top vorkommen.

4) Dann muss man Heilige (klingt ausgelutscht, ist aber so) im Kontext ihrer Zeit verstehen – aber umgekehrt sollte man dann auch den Kontext seiner eigenen Zeit kritisch betrachten. Lehnt man etwas an ihnen nur ab, weil es einem ungewohnt vorkommt?

In einem anderen Kontext war einerseits manches wirklich angebracht, das es inzwischen nicht mehr wäre; und andererseits neigten die Leute zu anderen Zeiten leichter dazu, gewisse Fehler zu machen, die heute nicht mehr so häufig sind, wofür dann Verständnis (weil man selber schließlich auch zeittypische Fehler macht), wenn auch keine völlig Entschuldigung angebracht wäre; und in wieder anderen Dingen waren sie einfach besser als die meisten Christen heute, und da sollte man eher seine eigenen Urteile zurückstellen und von ihnen lernen.

5) Wenn die Kirche etwas ständig als vorbildlich herausstellt und Leute ständig dafür heiligspricht (also nicht nur in fünf oder zehn Fällen, sondern zu hunderten und tausenden), sollte man es in jedem Fall als einen vorbildlichen Weg des Christseins akzeptieren. Kontemplatives Leben, Martyrium, Mission, so etwas sind etwa Dinge, die bei den Heiligen ständig auftauchen.

6) Die Verehrung für Heilige geht oft vom Kirchenvolk aus, das dann an den Vatikan appelliert, denjenigen oder diejenige zu kanonisieren; Heiligsprechungen sind meistens weniger eine Initiative der Kirchenhierarchie als eine Anerkennung der Verehrung, die jemand schon durch die Laien genießt. Wenn man die Verehrung einer bestimmten Person nicht gutheißt, muss man sich also meistens eher beim Kirchenvolk beschweren.

7) Es gibt auch manche Menschen, die nie offiziell heiliggesprochen wurden, deren (evtl. lokal begrenzte) Verehrung zumindest als Selige die Kirche aber duldet – dazu gehören ein paar Herrscher, die viel für die Kirche getan haben, wie Karl der Große (dessen Verehrung als Seliger seit 1176 geduldet, aber nicht anerkannt ist), oder Kaiser Konstantin (der nur in der Ostkirche wirklich als Heiliger gilt, und im Westen selten verehrt wird). Hier gibt es keine höchstoffizielle Bestätigung, dass sie im Himmel sind, und sie waren wohl nicht die allervorbildlichsten Christen, aber man muss auch nicht gerade annehmen, dass sie in der Hölle sind, und es gibt Gründe, aus denen manche sie verehren wollen.

Aber, wie gesagt, sie werden nicht offiziell von der Kirche als Vorbilder herausgestellt.

Kaiser Konstantin und Kaiserin Helena - Germanisches Nationalmuseum - anagoria.jpg

(Östliche Ikone, die Konstantin und seine Mutter, die hl. Helena, zeigt. Gemeinfrei.)

Entfernt vergleichbar damit sind ein paar mittelalterliche Fälle von kleinen Kindern, die ermordet worden waren, und deren Tod man Ritualmorden durch Juden zuschrieb – etwa William von Norwich, Simon von Trient oder „Little Saint Hugh of Lincoln“ – , und die, wenn auch ohne förmliche Heiligsprechung, bald vom Volk in ihrer Gegend verehrt wurden. (Ob in solchen Fällen letztlich Juden als Mörder verurteilt wurden, oder es Freisprüche oder Begnadigungen gab, oder die Morde nicht weiter verfolgt wurden, war sehr unterschiedlich. Man muss auch nicht davon ausgehen, dass nie tatsächlich ein Jude der Täter war; in einer Gesellschaft, in der ein gewisser Prozentsatz an Juden lebt und es einen gewissen Prozentsatz an Kindermördern gibt, ist es auch möglich, dass sich mal eine Überschneidung findet.) Hier gab es (soweit ich es gefunden habe) keine offiziellen Heiligsprechungen; nachdem ich ein bisschen gesucht habe, habe ich eine einzige Seligsprechung bei Andreas Oxner, einem 1462 ermordeten dreijährigen Jungen, gefunden, der von Papst Benedikt XIV 1752 seliggesprochen wurde, der ihn dann aber doch nicht heiligsprach. (Die Russisch-Orthodoxe Kirche sprach ein solches Kind 1820 heilig.)

Im übrigen handelt es sich hier um getaufte Kinder, die zum Teil noch vor, zum Teil nicht lange nach dem Erreichen des Alters des Vernunftgebrauchs starben. Wenn davor, sind sie zu hundert Prozent sicher im Himmel; wenn danach, ist es immerhin wahrscheinlich; hier bestand damals jedenfalls keine besondere Gefahr, jemanden zu verehren, der nicht im Himmel war.

(Darstellung des mutmaßlichen Ritualmords an Simon von Trient in der Schedelschen Weltchronik. Gemeinfrei.)

Eigentlich wollte ich hier noch mehr über ein paar spezielle „problematischere“ Heilige schreiben; aber weil das zu lang geworden wäre, habe ich es auf ein paar kommende Artikel aufgeteilt. Wir haben schon einige Heilige und Selige, die man gegenüber den nicht so kirchennahen Verwandten lieber nicht erwähnt (oder bei denen man zumindest lieber nicht ausführlichst auf alle Details ihres Lebens eingeht).

21 Gedanken zu “Über schwierige Heilige

  1. Ich finde es prinzipiell total verkehrt dass man aus den Heiligen Vorbilder gemacht hat.
    Der allererste Heilige, von Christus selbst als heilig (heute noch wirst du mit mir im Paradies sein) erklärte, war der, der zu Recht! neben ihm am Kreuz hing.
    Dieser Mensch, den die Legende Dismas nennt, den kann man nicht „insgesamt als Vorbild“ betrachten auf gar keinen Fall.
    Weiter: wenn Christus sagt „Huren und Zöllner kommen eher in das Reich Gottes als ihr“ dann meint er es auch so.
    Und wir neigen ja dazu die „Huren und Zöllner“ aus dem Evangelium irgendwie zu verharmlosen, aus ihnen arme, ausgestoßene, eigentlich gute Menschen zu machen, also die die eigentlcih die Guten sind, aber nur von den Bösen dran gehindert werden auch gut zu sein, aber der biblische Befund gibt das nicht wirklich her. Zöllner waren Leute die durch Betrug, Ausnutzung eines Privilegs, Willkür, Geldgeilheit wirklich sehr reich geworden waren („Zachäus war der oberste Zollpächter und er war sehr reich). Es waren also nicht arme, unterbezahlte Beamte, die um ihre Familie durchzubringen Bestechungsgelder annehmen mussten, und deshalb von hartherzigen, bigotten Pharisäern, völlig grundlos, verachtet waren.
    Auch die Hure die Christi Füße salbt, kippt ihm gerade ein komplettes Jahresgehalt eines Arbeiters über die Füße, das ist nicht das Bild der armen Frau die um ihrer Familie durchzubringen, halt auf den Strich geht, wie es Dostojewski in der Sonja in „Schuld und Sühne“ so meisterhaft gezeichnet hat.
    Ich glaube auch in Bezug auf die Heiligen haben wir uns in 2000 Jahre christlicher Kultur verrannt und begreifen gar nicht mehr um was es geht.
    Heilige sind Leute die in den Himmel gekommen sind. Punkt aus fertig.
    Und sie sind auf ihrem Weg dahin gegangen und es gibt für jeden Menschen einen Weg in den Himmel und wenn der Mensch vom Weg abkommt, so gibt es da dann eben den Umweg der in den Himmel führt, und wenn sich Hindernisse türmen, eine Schlucht sich auftut, eine Felswand sich erhebt, so gibt es auch da einen Weg darüber, auch und wenn es ein Fehler war, der vor die Felswand bzw die Schlucht führte.
    Das ist die Botschaft der Heiligen nicht irgendwelche Vorbildgeschichten für ein gelungenes Leben!
    Weil wir das nicht mehr begreifen, deshalb begreifen wir die Heiligen nicht mehr.
    Das sind nämlich nicht Leute die immer alles richtig gemacht haben, die sogar ein vorbildliches Leben geführt haben, nein es sind Leute die sich haben erlösen lassen.
    Und das haben sie begriffen und zugelassen, dass sie um den Preis der Passion Christi erlöst worden sind, weil sie erkannt haben, dass sie es nicht selber schaffen, egal wieviele Vorbilder und nachahmenswerte Leute um sich herum sie gehabt haben.
    Und das ist, bei Licht betrachtet die frohe Botschaft

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      1. Ja eben Vorbilder die man auf Sockel so hoch über einen gestellt hat, dass sie nichts mehr sind als ein Bild.
        Damit man mich nicht verkehrt versteht, ich habe die Heiligen gerne, mag auch Heiligenlegenden, und besuche sie auch gerne.
        Aber mit ihrem Vorbild kann ich wenig anfangen und denke auch dass die Heiligen das eigentlich auch gar nicht wollen und sollen.
        Es geht beim Christsein um die ganz exquisite Beziehung von Christus und mir. Und wenn ich dann auf andere gucke, sagt er „Was geht denn dich das an?“ Joh 21,22.
        Ich rede hier nicht einer evangelischen Heilgenabschaffung das Wort, aber nein sie sind nicht Vorbilder, sie sind Zeugen!
        Es ist auch meines Erachtens eine ganz gefährliche Sache mit den Vorbildern der Heiligen, weil wir ja recht viele im Sortiment haben und deshalb den normalen Christen mit den Vorbildern nix wie überfordern.
        Gebildet wie Thomas von Aquin, arm wie Franziskus, gewandt im Umgang mit wichtigen Leuten wie Leo der Große, dazu einfältig wie die kleine Therese, in der Mystik bewandert und das auch ausdrücken könnend wie die große Therese, dazu dedn Haushalt schmeißen können wir Martha auch und gerade wenn überraschend Gäste kommen und dabei noch beständig im Gebet versunken wir ihre Schwester Maria.
        Und wehe du gestehst dass du nicht singen kannst, dann bekommst du die heilige Cäcilia um die Ohren gehauen!
        Die Heiligen sind ihren Weg zu Gott gegangen und jeder von uns hat seinen zu gehen!
        Und alles was wir tun können angesichts der Schwierigkeiten den Weg zu gehen die Heiligen um ihre Hilfe bitten und uns an ihren Geschichten erfreuen.

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      2. Man muss mit Vorbildern nicht so umgehen, dass sie einen überfordern. Wer verlangt denn, dass man alle Eigenschaften der größten Heiligen zusammen sofort haben soll?

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  2. Nun ja, wenn ich mir so die lieben MItchristen und ihre Forderungen an die anderen Mitchristen so angucke, finde ich, dass wir daran leiden, dass wir meinen dass allle die Eigenschaften verschiedener großer Heiliger haben sollen.
    Aber by the way, deinen Punkt 6,. die Verehrung im Kirchenvolk,. diesen Punkt hat man, von JPII mal abgesehen, schon seit Jahrzehnten stillschweigend fallen gelassen. oder?

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    1. Das erlebe ich jetzt nicht so. Gibt wohl auch sehr verschiedene katholische Zirkel. 😉 Wenn das so ist, ist das natürlich ein Fehler, der sich aber beheben lässt.

      Wie kommen Sie darauf? Wurde Mutter Teresa nicht im Kirchenvolk verehrt? Wurden Rupert Mayer, Karl Leisner, Gianna Beretta Molla usw. usf. nicht im Kirchenvolk verehrt? Seligsprechungsprozesse beginnen ja erstmal in den Diözesen, und in den allermeisten Fällen aufgrund der Verehrung durch irgendwelche örtlichen Laien.

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    2. meiner Ansicht nach wurden sie es nicht.
      Rupert Mayer vielleicht aber selig und heilig gesprochen wurde er erst, als die Verehrung schon schwer am abnehmen war.
      Von Frau Molla hatte ich bis zu ihrer Heiligsprechung noch nie was gehört und bei zahlreichen anderen neuen Heiligen und Seligen ging es mir auch so.
      Ich war einige Male bei den Papstgräbern im Petersdom, bei JPII waren immer Beter, das war wirklich beeindruckend, bei den anderen heilige gesprochenen Päpsten habe ich nie Beter gesehen, ich meine auf dem Grab von Paul VI eine Rose gesehen zu haben, ca 2007, soweit ich mich erinnere.

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      1. Niemand kennt alle Heiligen und Seligen. Es sind und waren immer nur bestimmte Gruppen von Gläubigen, die sich für einen bestimmten neuen Seligen/Heiligen interessiert haben.

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      2. Ja und deshalb hat man die Heiligsprechungsprozesse eingeführt, weil im 13. Jahrhundert die Heilgenverehrung zum Politikum geworden war.
        IN den ersten Jahrhunderten der Christenheit galt übrigens jeder, der sein Leben für Christus gegeben hatten als Heiliger, als Märtyrer und zwar völlig unabhängig von seiner Vorgeschichte.
        das änderte sich erst mit dem ENde der Verfolgungszeit, als irgendwelche Christen bei der Pflege der Kranken einer Seuche, (Irgendwo in NOrdafrika) ihr Leben liesen, weil sie sich ansteckten und die dann sozusagen als den Bekennern gleichgestellt wurden. Bis dahin galt als Heiliger nur der, der um Christi willen den Tod erlitten (Märtyrer) oder eben eine Menge Unannehmlichkeiten um Christi willen! auf sich genommen hatte (Bekenner) .
        Es kamen dann noch andere Heilige dazu, von wegen vorbildliches Leben, einer der ersten in dieser Reihe ist der bekannte Sankt Martin.
        Wie gesagt es verkam dann zum Politikum und deshalb gab es die formalen Prozesse, von denen man heutzutage wieder abgerückt ist, und Leute heilig spricht um „dem gläubigen Volk ein moralisches Ideal vor Augen zu stellen !“ was mich nervt.

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      3. dass die Heiligsprechungen zum Politikum verkommen waren , ist aber die Begründung dafür dass die formalen Prozesse im 13. Jahrhundert eingeführt wurden, mit einer Übergangszeit in die z.B die Heilige Hildegard von Bingen fiel.
        Und dass man heutzutage die Prozesse nicht mehr ernsthaft durchführt, so z.B den Advocatus Diabolos (also den Staatsanwalt) abgeschafft hat und nur noch die Verteidigung hört, der man auch noch die Beweislast abgenommen hat, bzw hier die Kriterien total aufgeweicht hat, dachte ich, habe sich mittlerweile herumgesprochen

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      4. hier zunächst Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Heiligsprechung wobei es schon früher anfing mit der päpstlichen Zuständigkeit, die dann ab 1234 Standard wurde,
        Hier hätten wir eine kurze Abhandlung darüber dass es schon früh zum Ärgernis wurde die Heiligsprechung aus rein weltlichen (pekuniären) Gründen https://www.heiligenlexikon.de/Grundlagen/Heiligsprechung_kath.htm
        und hier meckert Pater Gumpel an der Fixierung auf das medizinische bei den WUjndern rum https://www.youtube.com/watch?v=-a3cKOZEZl0

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      5. Äh, liebe ester769, Pater Rupert Mayer ist erstens noch gar nicht heiliggesprochen und zweitens ist seine Verehrung in München und, vielleicht um einen Grad weniger, in ganz (Alt-?)Bayern durchaus nach wie vor *sehr* populär.

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      6. @ Nepomuck Danke für die Korrektur, aber populär im Sinne „haben wir schon mal was davon gehört“ und „Verehrung im Volk“ sind doch zwei paar Schuhe.
        Ich fürchte wir machen uns, als gläubige Katholiken, immer noch was vor und genau das ist ja das Problem.
        Guckt man die Kirche von außen an, ist es ein verschrobener Haufen älterer Herrschaften , die aber an allem Unglück dieser Welt schuld ist, und über die man kübelweise Dreck kippen darf, weil sie es, sagt der Blick von außen auch verdient haben.
        Wechselt man in den Innenraum sind wir plötzlich die schönsten, größten und tollsten, haben lauter geniale Leute, die immer noch fleißig rezipiert werden, in unseren Reihen und man fragt sich erstaunt: Ja wo laufen sie denn?
        Ich bin wahrhaftig kein Modernist, aber deren Sichtweise auf die Realität der Kirche und ihre Wahrnehmung scheint mir realistischer als die der Kosnervativen

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      7. Moment, wir scheinen hier einen anderen Begriff von „populär“ zu haben, deswegen ganz kurz zur Klarstellung:

        „populär“ im Sinne des „cultus im Volk“, das Voraussetzung für die Heiligsprechung ist, heißt – ungenau, aber der Richtung nach korrekt gesagt – „populär bei dem einen Prozent der getauften nicht ausgetretenen Katholiken, das regelmäßig Werk(!)tagsmessen besucht, Rosenkränze betet, bei der Marianischen Männerkongregation eingeschrieben ist usw.“. Und hieß in dem Zusammenhang wirklich nie etwas anderes (mag auch die fragliche Grundgesamtheit einstens größer gewesen sein).

        Und in *diesem* Sinne gibt es an der nachwievorigen Popularität des sel. Pater Rupert Mayer in München tatsächlich nicht den geringsten Zweifel. (Vor genau *dieser* Klientel kann man z. B. nach wie vor „Herr, wie Du willst, soll mir geschehn“ anzitieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß die Leute das Gebet korrekt fortsetzen.)

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