Die glorreiche Antike und das finstere Mittelalter: Ein paar Fakten

Es herrscht ja öfter der Eindruck, dass das Mittelalter eine Zeit tumber Bauerntrottel gewesen sei, die sich nie wuschen, während ihre tyrannischen Obrigkeiten jeden, dessen Nase ihnen nicht gefiel, erst auf die Streckbank und dann auf den Scheiterhaufen brachten; die Antike gilt unterdessen als bewundernswerte Zeit der Zivilisation, Toleranz und Bildung, mit weißen Säulen (genau genommen waren sie bunt bemalt) und Philosophen in Togen. Daher dachte ich, eine kleine Gegenüberstellung der wahren Verhältnisse wäre sinnvoll.

Erst mal Grundsätzliches zum Übergang von der Antike zum Mittelalter:

Im Westen wurde das Römische Reich im 4., 5., 6. Jh. im Zug der Völkerwanderung von Warlords aus Nordeuropa erobert und zerfiel in viele Barbarenfürstentümer. Die Leute verließen die großen Städte wie Rom, deren Infrastruktur und Versorgung nicht mehr aufrechterhalten werden konnten, Straßen und Aquädukte verfielen. Allerdings nahmen die barbarischen Eroberer bald die Religion der Eroberten, das Christentum an, und übernahmen auch manches von ihrer Kultur; Mönche bewahrten Wissen und machten sich daran, auch Völker weiter nördlich und östlich zu missionieren und der Christenheit einzugliedern (z. B. Friesen, Iren etc.). Im 8., 9., 10. Jahrhundert litt Westeuropa wieder unter kriegerischen Angriffen von drei Seiten: Die Wikinger kamen aus dem Norden, die Ungarn aus dem Osten und die Sarazenen aus dem Süden. Die Wikinger und Ungarn ließen sich allerdings schließlich bekehren und stellten ihre Überfälle ein und die Verteidigung gegen die Sarazenen lief allmählich besser. Nach 1000 konnte Westeuropa sich wieder aufrappeln; die politischen Einheiten wurden stabiler, die Technik schritt voran. Es half auch, dass das Klima nach einer Kälteperiode im Frühmittelalter (die zu den Auslösern der Völkerwanderung gehört hatte) wieder wärmer wurde.

Der Osten des Römischen Reiches mit der Hauptstadt Konstantinopel konnte sich gegen die frühmittelalterliche Völkerwanderung behaupten, hier gab es keinen solchen Bruch; allerdings entstand dann im 7. Jh. mit dem Islam eine neue Bedrohung; Nordafrika und der nahe Osten gingen den christlichen Kaisern in Konstantinopel früh verloren. Endgültig besiegt wurde Ostrom allerdings erst 1453.

Ostrom wird sehr gern übersehen, daher hier der Hinweis darauf, dass es so lange weiterbestand; aber in diesem Artikel soll es hauptsächlich um das mittelalterliche Westeuropa und das antike Rom und Griechenland gehen, die einander gerne gegenübergestellt werden.

Also jetzt hier mal eine Gegenüberstellung nach Themenbereichen (beim Mittelalter betrachte ich v. a. das Hoch- und Spätmittelalter, nachdem die schlimmsten äußeren Krisen des Frühmittelalters überwunden waren, also die Zeit zwischen 1000 und 1500):

Technik und Alltagsleben:

In der Landwirtschaft gab es im Lauf der Zeit große Verbesserungen: In der Antike hatte man vor allem Handmühlen; im Mittelalter verbreiteten sich überall Wind- oder Wassermühlen. Im Mittelalter wurde auch die Drei-Felder-Wirtschaft erfunden, der Räderpflug, das Kummet: Damit wurde die Nahrungsmittelproduktion erhöht und erleichtert. Es kamen andere Erfindungen fürs Alltagsleben auf: Das Spinnrad (vorher hatte man nur mit einer Spindel gesponnen), die Schubkarre.

Es gab Erfindungen, die dem intellektuellen Leben nützten: Im 13. Jahrhundert wurde in Italien die Brille erfunden, dann gegen Ende des Mittelalters, Mitte des 15. Jahrhunderts in Deutschland der Buchdruck, der es erst ermöglichte, dass ein gewisses Maß an Bildung größeren Schichten zugänglich war. In der Antike hatte man nur Sonnen- und Wasseruhren; im Mittelalter wurde die Räderuhr erfunden. So sieht z. B. die astronomische Uhr am Prager Rathaus aus dem Jahr 1410 aus:

Es entstanden bessere Hochöfen zur Eisenverarbeitung und bessere Schiffe; dazu kamen militärische Erfindungen, das Schießpulver und die Armbrust zum Beispiel. (Die militärischen Erfindungen kann man freilich so oder so sehen: Die mittelalterliche Kirche versuchte zunächst erfolglos, die Armbrust für Kriege unter Christen zu verbieten.)

Es gab ein paar Erfindungen, die aus Asien nach Europa kamen, etwa das Papier (statt Pergament oder dem antiken Papyrus). Auch der Kompass kam aus China, wurde aber im mittelalterlichen Europa weiterentwickelt.

Hygiene:

Im Mittelalter haben Menschen sich sehr wohl täglich gewaschen, haben ihre Wäsche gewaschen, und sich auch regelmäßig gebadet. Auch einfache Leute besaßen Seife (aus Asche und Fett hergestellt). In den Städten gab es Badehäuser – nicht die luxuriösen Anlagen der Antike, die massenhaft Sklaven erforderten, aber eben trotzdem Badehäuser. Man legte Wert auf sauberes Trinkwasser. Es war bei Strafe verboten, Fäkalien auf die Straße zu schütten. Man meinte, dass Krankheiten über schlechte Gerüche / schlechte Luft übertragen werden würden und achtete allein schon deshalb auf Sauberkeit.

Es gab zwar wenige Aquädukte oder größere öffentliche Toilettenanlagen, aber das war bei der geringen Größe der westeuropäischen mittelalterlichen Städte auch gar nicht so nötig wie im antiken Rom; Brunnen reichten zur Wasserversorgung und einzelne Latrinen reichten als Sanitäranlagen aus.

Folter und Todesstrafe:

In der römischen Antike war die Folter allgegenwärtig; bei Gerichtsprozessen wurde routinemäßig gefoltert, und zwar nicht nur Angeklagte, sondern auch Zeugen. Die Aussagen von Sklaven in Gerichtsprozessen waren sogar nur dann gültig, wenn unter Folter gemacht; hier war die Folter vorgeschrieben, egal, was ein Sklave schon von sich aus aussagen mochte. Auch die Strafen waren teilweise sehr grausam, v. a. für Verurteilte, die keine römischen Bürger waren: Kreuzigung oder Scheiterhaufen waren normal. Ja, Scheiterhaufen gab es in der Antike; auch manche Christen wie der heilige Polykarp von Smyrna wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Kaiser Konstantin beschränkte die Folter etwas, später auch Kaiser Justinian, der die Unzuverlässigkeit von Aussagen unter Folter erkannte.

Im Frühmittelalter in Westeuropa verwendete man die Folter weniger, sondern hatte gemäß dem germanisch geprägten Recht eher Gerichtsbräuche wie Reinigungseid (ein Angeklagter, für dessen Unschuld die Indizien sprachen, konnte sich durch einen Eid, dass er unschuldig war, von der Anklage reinwaschen; man ging davon aus, dass er aus Furcht vor Gottes Strafe keinen Meineid bei Seinem Namen schwören würde), Gottesurteile (nein, das war keine christliche Erfindung; die Kirche machte zwar öfter mit, aber von der Kirchenobrigkeit kamen dann auch Verurteilungen dieser Praxis, weil sie eigentlich bedeutete, Gott zu versuchen), Leumundszeugen (ein Angeklagter konnte soundsoviele Zeugen dafür aufbringen, dass er ein anständiger Mensch war) und als Strafe sogar bei schlimmeren Verbrechen wie Mord das Wergeld, also eine Entschädigungszahlung. (Natürlich gab es manchmal auch grausamere Strafen.)

Im Hochmittelalter wurde das römische Recht wiederentdeckt; beim Volk war es eher unbeliebt, weil es den Herrschern oft mehr Macht gab als das althergebrachte Gewohnheitsrecht und mit gewohnten Bräuchen und lokalen Rechten brach. Es brachte aber auch gute Neuerungen, z. B. das Inquisitions- statt dem Akkusationsprinzip. (Beim Akkusationsprinzip muss der Ankläger seine Anschuldigung beweisen und wird sonst bestraft, beim Inquisitionsprinzip ermitteln obrigkeitliche Behörden von Amts wegen den Sachverhalt.) Aber es brachte auch wieder die Folter mit sich.

Zur mittelalterlichen kirchlichen Einstellung zur Folter: Im 9. Jahrhundert hatte Papst Nikolaus I. in einem Brief an die Bulgaren die Folter verboten, weil sie oft zu falschen Ergebnissen führe. Im 13. Jahrhundert erlaubte die Kirche die Folter für Ketzerprozesse unter Auflagen: Es durften keine bleibenden Schäden entstehen, man musste schon starke Indizien für die Schuld eines Angeklagten haben, es durfte nur einmal gefoltert werden, und ein Geständnis unter Folter musste hinterher ohne Folter wiederholt werden, damit es gültig war. Diese Restriktionen wurden in der Praxis in weltlichen und kirchlichen Verfahren leider immer wieder unterlaufen; es stellte sich als schwierig heraus, den Gebrauch der Folter einzugrenzen. Allerdings wurden auch Richter für einen solchen Missbrauch der Folter manchmal verurteilt. Erst lange nach dem Mittelalter, ca. im 18. Jahrhundert entstand dann eine stärkere Ablehnung der Folter als Befragungsmethode; 1816 rief Papst Pius VII. zu ihrer Abschaffung auf.

Auch im Mittelalter gab es grausame Bestrafungsmethoden: Rädern, Vierteilen, Scheiterhaufen. (Zusätzlich zu den einfacheren Methoden wie Hängen und Köpfen.) Mit harten Strafen für erwiesene Verbrecher, anders als mit Folter zur Befragung von Angeklagten, hatte die Kirche wesentlich weniger Probleme.

Man muss sich übrigens vor Augen halten, dass die meisten Hingerichteten in der Antike und dem Mittelalter eben keine unschuldig Verurteilten oder politische oder religiöse Dissidenten waren, sondern normale Mörder, Straßenräuber, Brandstifter, Vergewaltiger, Kinderschänder, Betrüger (z. B. Münzfälscher), Einbrecher… Für kleinere Verbrechen wurde nicht die Todesstrafe verhängt; ein armer Bettler, der ein Stück Brot gestohlen hatte, landete im Mittelalter nicht gleich am Galgen. Geldstrafen und Pranger waren viel häufiger.

Hexenglaube:

Der Hexenglaube existierte schon in der Antike – und zwar sowohl in dem Sinn, dass man fürchtete, dass andere einem mit Hexerei schaden könnten, als auch in dem Sinn, dass man meinte, mit Hexerei selbst etwas bewirken zu können. Antike Menschen vergruben z. B. sogenannte Fluchtäfelchen, um sich einen Sieg vor Gericht zu sichern, einem Feind geschäftlichen Schaden zu bescheren, oder jemanden dazu zu bringen, sich in einen zu verlieben. Es gab Schutzamulette und Zaubersprüche, Geisterbeschwörung (z. B. mithilfe eines Jungen als Medium), Wahrsagerei; manche Leute übten die Magie berufsmäßig im Auftrag ihrer Kunden aus. Schadenszauber standen in Rom unter Strafe; ab und zu wurden Magier hingerichtet oder aus Rom ausgewiesen. Diese Strafverfolgung war sehr sporadisch, wie allgemein die Strafverfolgung im Römischen Reich.

Die christlichen Theologen im Lauf der letzten 2000 Jahre waren sich nicht ganz einig, ob Hexerei immer nur wirkungsloser Aberglaube/Betrügerei ist, oder ob hier manchmal Dämonen auf die Geisterbeschwörung antworten und dadurch, dass man sie einlädt, in gewissem Rahmen etwas bewirken können (freilich nur, solange Gott es zulässt; und das Gebet zu Gott schützt davor).

Eine lokale Kirchensynode, die Synode von Paderborn im Jahr 785, verurteilte den Hexenglauben und die Hexenverfolgung „nach Art der Heiden“ – Hexen zu töten wurde sogar selbst wieder mit der Todesstrafe bedroht. Später setzte sich eher die Meinung durch, dass ein Teufelspakt wirklich etwas bewirken könnte und man wurde strenger mit Menschen, die anderen durch Zauber schaden wollten. Im Mittelalter gab es sehr wenig Hexenprozesse, erst in der Frühen Neuzeit (v. a. im 16., 17. Jh.) brach manchmal eine regelrechte Panik vor Hexen aus, die anderen Krankheiten angehext oder für schlechtes Wetter gesorgt hätten. (In dieser Zeit, der Kleinen Eiszeit, verschlechterte sich das Klima wieder.) Insgesamt forderte die frühneuzeitliche Hexenverfolgung in Europa ca. 60.000 Opfer, bei weitem die meisten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Es gab auch damals einzelne, die sich selbst als Hexen verstanden und Kunden Schadenszauber anboten, sich dabei auch als gewöhnliche Giftmischer betätigten, z. B. Catherine Monvoisin (ca. 1640 – 1680), aber natürlich gab es einige Massenpaniken. In Spanien verbot die Spanische Inquisition Anfang des 17. Jh.s weitere Hexenprozesse, nachdem sie in einem Fall mit vielen Angeklagten festgestellt hatte, dass die erfindungsreichten Anschuldigungen und Selbstbezichtigungen nur von einer Massenhysterie verursacht worden waren. Die Hexenverfolgung war keine speziell katholische Sache; in protestantischen Gebieten fanden genauso Prozesse statt und viele Prozesse liefen vor weltlichen, nicht vor kirchlichen, Gerichten ab.

Sklaverei und Leibeigenschaft:

In der Antike war die Sklaverei ein völlig selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Kriegsgefangene wurden zu Sklaven; man konnte sogar seine eigenen Kinder in die Sklaverei verkaufen. Die Wirtschaft basierte auf der Sklaverei.

Das änderte sich nicht sofort mit der Annahme des Christentums durch die antiken Menschen, allerdings kamen langsam Verbesserungen (z. B. legten Kirchensynoden Strafen für das Töten oder Verstümmeln von Sklaven fest, Sklaven konnten legale Ehen eingehen) und die Freilassung von Sklaven wurde als gutes Werk gesehen. Im Hochmittelalter wurde in nordwesteuropäischen Ländern nach und nach die Sklaverei ganz abgeschafft. Die Leibeigenschaft blieb noch lange erhalten, allerdings hatte der Leibeigene festgelegte Rechte und arbeitete eigenverantwortlich auf seinem Land, nicht als Sklave auf einem großen Gut unter Aufsehern. (Übrigens war bei weitem nicht jeder Bauer ein Leibeigener; es gab große soziale und rechtliche Unterschiede zwischen armen, reichen, freien, halbfreien, unfreien Bauern.)

Medizin und Astronomie:

Das Wissen der Gelehrten in Medizin und Astronomie war im Mittelalter dasselbe wie in der Antike. In der Medizin übernahm man Galens Vier-Säfte-Lehre und das medizinische Wissen war insgesamt eher begrenzt und spekulativ oder beruhte auf Hausmitteln. In der Astronomie übernahm man das Weltbild des Ptolemäus (runde Erde im Zentrum des Universums). Ja, im Mittelalter war es für jeden gebildeten Menschen absolut selbstverständlich, dass die Erde rund war. Und man sah sie übrigens nicht nur im Zentrum, sondern damit auch am tiefsten Punkt des Universums; die Himmelssphären galten als etwas Höheres, Majestätischeres.

Architektur:

Im Frühmittelalter war architektonisch wirklich nicht viel los; aber beim Hoch- und Spätmittelalter kann man guten Gewissens sagen, dass die gotischen Kathedralen die antiken Tempel übertrumpfen(auch wenn es oft sehr lange dauerte, sie zu bauen). Wenn man z. B. die Kathedrale Notre Dame in Paris mit dem (durchaus sehr beeindruckenden) Pantheon in Rom vergleicht:

Der Bau mittelalterlicher Großbauten war vor allem auch von der sozialen Seite her besser organisiert: Man beschäftigte gut ausgebildete Meisterhandwerker und dazu freie Tagelöhner, keine Sklaven.

Auch sonst war man architektonisch durchaus fähig: Der Ponte delli Torri, das einzige bekannte mittelalterliche Aquädukt, ist höher als alle antiken Aquädukte.

Pest:

Die Pest trat auch in der Antike auf; die letzte schlimme Pestwelle war die Justinianische Pest im 6. Jahrhundert. Dann verschwand die Pest für Jahrhunderte aus Europa, bis sie 1348 wieder auftrat. Dabei kam sie aus Asien, wo sie genauso schlimm gewütet hatte wie in Europa. In Nordafrika trat die Pest noch im 19. Jahrhundert auf, als sie aus Europa schon verschwunden war. Und die Menschen des Mittelalters kannten sehr wohl Methoden wie die Quarantäne zur Eingrenzung von Seuchen.

Städte:

Im Frühmittelalter ging in Westeuropa die Einwohnerzahl vieler Städte stark zurück; im Osten blieb dagegen z. B. Konstantinopel eine Großstadt. Die westeuropäischen mittelalterlichen Städte wuchsen erst langsam wieder. Aber sie entwickelten auch eine beeindruckende Stadtkultur, z. B. sieht man das bei italienischen Städten wie Venedig oder den freien Reichsstädten des Heiligen Römischen Reiches, mit ihren vielen Zünften oder Gilden. In den Städten hieß es auch oft: „Stadtluft macht frei“, d. h. Leibeigene wurden frei, wenn sie sich eine gewisse Zeit in der Stadt aufgehalten hatten; ein riesiger Unterschied zu den antiken Städten mit ihren Massen von Sklaven.

Philosophie, Bildung und Kultur:

In der Antike gab es Philosophenschulen: Schülerkreise, die sich um einzelne Lehrer wie Platon oder Aristoteles scharten; dabei gab es eine Vielfalt von Richtungen, die z. T. auch sehr bizarre Lehren vertraten und z. T. an heutige östliche Religionen erinnern: Platoniker, Stoiker, Peripatetiker, Kyniker, Epikuräer…

Im Hochmittelalter wurden Universitäten gegründet, an denen die sieben freien Künste (Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie), Theologie, Jura und Medizin gelehrt wurden. Dazu kamen die Klosterschulen, die auch schon im Frühmittelalter existiert hatten; die Klöster hatten eine wichtige Funktion dafür, Wissen zu bewahren, Bücher abzuschreiben. In den Klöstern wurden auch Kinder erzogen, die später nicht dort eintraten. Die mittelalterliche Philosophie ist v. a. durch die Scholastik geprägt; es gab aber auch hier größere Streitereien zwischen Philosophenschulen (z. B. Nominalisten und Realisten). Die Philosophie bewegte sich normalerweise auf dem allgemein anerkannten Fundament des Christentums, wobei einzelne Thesen/Richtungen immer mal wieder kirchlich verurteilt werden konnten.

Sowohl die antike als auch die mittelalterliche Philosophie waren sehr geprägt von theologischen und metaphysischen Fragestellungen; Naturphilosophie gab es auch, aber sie war nicht so bedeutend, und vor allem war sie eine spekulative Sache; man führte keine praktischen Experimente durch.

In der Antike gab es Dichter wie Homer (Ilias, Odyssee), Horaz, Vergil, Ovid; aus dem Mittelalter hat man den Minnesang, die Edda, die Artuslegende, Ritterepen, den Gregorianischen Choral.

Straßenbau:

Gut, hier war die Antike überlegen.

Noch ein paar Verbesserungen:

  • In der griechischen Antike war die Päderastie, die „Knabenliebe“, normal; durch das Christentum wurde sie tabu.
  • Die mittelalterliche Kirche bekämpfte Zwangsehen und Verwandtenehen. Das durchschnittliche Heiratsalter war in Westeuropa auch höher, als man denkt; normalerweise heirateten sowohl Männer als auch Frauen erst zwischen 20 und 30. (Und leider konnten es sich manche ihr ganzes Leben lang gar nicht leisten, zu heiraten.)
  • In der Antike war die Tötung von Neugeborenen legal, im Mittelalter verboten. Neugeborene wurden in der Antike auch öfter einfach ausgesetzt und dann manchmal von Bordellbesitzern aufgesammelt, aufgezogen und zur Prostitution abgerichtet.
  • Die Gladiatorenkämpfe wurden in der christlichen Spätantike verboten.

Weitere Mythen über das Mittelalter:

  • Das „Recht der ersten Nacht“ hat nie existiert; es ist eine reine Erfindung.
  • Es herrscht oft die Vorstellung „sobald man gewagt hat, irgendeinen Bischof oder irgendeine Form von Korruption in der Kirche zu kritisieren, landete man sofort im Kerker und auf dem Scheiterhaufen“. Das ist Unsinn. Es gab viele Reformbestrebungen in der Kirche, wobei man gegen Ämterkauf, Zölibatsbruch, Verweltlichung und dergleichen vorging – öfter auch auf eine Weise, die heute als grauenvoll fundamentalistisch und radikalisiert gesehen werden würde. Die hl. Katharina von Siena hat den Papst brieflich (respektvoll) zurechtgewiesen; der hl. Franz von Assisi hat einen Orden mit strengster Armut gegründet. Reformen gingen auch von Kirchenoberen wie Papst Gregor VII. aus.
  • Es war ganz unterschiedlich, wie viele Steuern, Abgaben oder Frondienste Bauern ihren Grund- oder Leibherren und der Kirche (Kirchenzehnt) schuldeten; das Maximum scheint etwa bei einem Drittel des jährlichen Haushaltseinkommen gelegen zu haben. Im Lauf des Spätmittelalters wurde die Situation der Bauern generell besser und die Abgabenlast geringer. In Städten gab es oft Steuervergünstigungen.

Noch eine Sache: Man sollte am besten dieselben Länder in Antike und Mittelalter vergleichen – z. B. Schweden im Jahr 200 vs. Schweden im Jahr 1400, nicht nur Rom im Jahr 200 vs. Schweden im Jahr 1400.

Um zusammenzufassen:

Das Hoch- und Spätmittelalter war sozial gerechter und barmherziger, und zwar um Längen, als die Antike, und technisch war es im Ganzen definitiv weiter entwickelt (auch wenn Technik ja kein moralischer Wert ist, aber Fakten sind Fakten).

Links:

Comparing Roman and Medieval Technology

Torture: Historical and Ethical Perspectives

Die Hexenverfolgung – Missverständnisse und Mythen

Notre Dame und die Bedingungen auf mittelalterlichen Kirchenbaustellen

Von Abgaben bis Zehnt – Steuern und andere lästige Pflichten

Sauberkeit im Mittelalter

Rechtsprechung um 1300

Cats, the Black Death and a Pope

The Great Myths: The medieval flat earth

22 Gedanken zu “Die glorreiche Antike und das finstere Mittelalter: Ein paar Fakten

  1. „Man beschäftigte gut ausgebildete Meisterhandwerker und dazu freie Tagelöhner, keine Sklaven…“

    Das muss man ein bisschen präzisieren. Man hat oft die Vorstellung, in der römischen Antike seien Sklaven in Massen über die Felder, über Großbauten oder durch die Bergwerke gepeitscht worden, wie man es in den alten Monumentalfilmen sieht. In der Regel müssen wir aber auch in der Antike davon ausgehen, dass Baulose und Teilabschnitte an Handwerksmeister vergeben wurden, die möglicherweise zwar schon Sklaven hatten – aber das waren auch spezialisierte und gut ausgebildete Leute. Sklaven waren zwar rechtlich unfrei und an ihren Herren gebunden, aber es gab einige Rechtsinstitute, die ihnen viel Handlungsfreiheit ermöglichten, z.B. das peculium, ein Sondervermögen zu freien Bewirtschaftung.

    (Marx geistert immer noch unbewusst mit seiner ‚Sklavenhaltergesellschaft‘ durch die Köpfe, scheint mir. Aber als Sklave konnten Sie in der Antike manchmal besser dastehen als irgendein freier Bürger, zumal die Loyalitäten ja vertikale und keine horizontale waren, an Familienverbänden ausgerichtet; von Klassen oder so etwas kann man sowieso nicht reden. Das aber nur als Fußnote zur Fußnote.)

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  2. Interessante Aufzählung.

    Ich kommentier mal abschnittsweise, also erstmal zur Technik:

    Das *Schießpulver* kam wohl von den Chinesen über Mongolen und/oder Sarazenen. – Der *Buchdruck* ist eine Sache, die in ihren technischen Ursprüngen nach zwar zweifellos mittelalterlich ist, ihren Auswirkungen nach aber (zusammen mit zwei, drei anderen Entwicklungen) die Neuzeit einläutet. (Wenn jemand – er wäre wohl nicht ganz ohne Argumente – ein neues Zeitalter mit Internet & Co. einläuten lassen will, wird er auch feststellen, daß der Computer und seine Vernetzung an sich eine Errungenschaft der Moderne ist, auch wenn er selbst das Ende der Moderne einläutet.)

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  3. Hygiene: interessant. Die frühe Neuzeit war dann allerdings wohl wirklich unhygienisch, es hieß damals wohl, man sollte sich ja nicht zu oft baden usw., das wäre ungesund. – Was witzigerweise, wenn man so darüber nachdenkt, ganz so klingt, als würden die Leute gerne baden und die Ärzte müßten einiges an Aufwand aufwenden, ihnen das auszureden. Wenn man noch etwas weiterdenkt, wird sich ihr Erfolg darin dann etwa im Rahmen des Erfolgs von ähnlichem ärztlichen Engagement heutzutage aufhalten… Und wie auch immer, wenigstens in gehobenen Kreisen (die vielleicht auch am meisten auf die Ärzte hörten) hat man sich die ganze Zeit mit Parfüms, also am Ende des Tages: mit Alkohol eingesprüht.

    Davon abgesehen gilt hier (und wohl selbst in der frühen Neuzeit) abgesehen von wirklichen Exzessen in die eine wie andere Richtung die banalen Sätze „erlaubt ist, was Spaß macht, solange es keine Sünde ist“ und „wenn alle stinken, merkt man’s nicht“…

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  4. Folter:

    Der Brief von Papst Nikolaus ist an sich natürlich hochinteressant; ich weiß halt schon davon, weil Du ihn früher schonmal erwähnt hast.

    Was mir zu dem Thema neulich mal aufgefallen ist, war allerdings neulich ein Spiegel-Artikel von Bundesrichter Fischer (der sich im allgemeinen mit Verstand äußert), der dazu ungefähr folgendes schreibt:

    „Es geht beim Foltern nicht darum, eine einzige, unwiederholbare Auskunft zu erlangen. Es geht um die ganze Wahrheit. Deshalb fragt man den Verhörten etwas, was man schon weiß. Wenn er lügt, prüft man es nach, quält ihn stärker und gibt ihm eine neue Chance. Immer wieder fragt man ihn nach Dingen, Namen und Ereignissen, die längst bekannt sind. Jede seiner Lügen wird aufgedeckt, jedes Mal wird die Folter schlimmer. Sagt er die Wahrheit, gibt man ihm Zuwendung und Hoffnung, nie weiß der Gefolterte, was die Vernehmer wissen. Es ist dann eine Frage der (kurzen) Zeit, bis der Gefangene nur noch die Wahrheit sagt. Anders gesagt: Folterer haben eine Folterausbildung. Sie wissen, was Vernehmungspsychologie ist. Sie haben die absolute Macht. […] Es geht also nicht darum, ob Folter »ungeeignet« ist. Folter funktioniert gut, und sie bedient sich aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und rationalen Zwecksetzungen, die erforderlich sind, um sie erfolgreich zu machen. Die Gleichsetzung mit frühneuzeitlichen Vernichtungsstrafen und stumpfsinniger Barbarei verharmlost und verzerrt die Sache. Das könnte man eigentlich schon wissen, wenn man »Der Fixer« von Bernard Malamut (1966) oder »1984« von George Orwell (1949) gelesen hat.“

    1984 einschließlich der dort beschriebenen Folter hab‘ ich gelesen, und indertat erscheint mir das schlüssig. (BR Fischer, der manchmal etwas zum Rechtspositivismus tendiert, folgert, daß das Folterverbot etwas ist, das wir uns gewissermaßen „gönnen“ wegen der Menschenwürde und auch, weil aus einem Recht des Staates zur Folter eine Pflicht des Staates zur Folter folgen würde und wir *das* nicht ertragen würden und deswegen das halt so beschlossen haben. Der richtige Grund ist natürlich, daß man nie Böses tun darf, auch nicht um eines guten Zweckes willen.)

    Historisch jedenfalls ist eine Tatsache, daß, so sehr wir die Folter (jedenfalls die von Verdächtigen und a fortiori Zeugen) für in der Tat intrinsisch schlecht halten, der *Anlaß* für den Feldzug gegen sie jedenfalls der ganze Hexenwahnsinn war, und die Folter in dessen Rahmen hätte man irgendwo dann doch eher „Foltermißbrauch“ nennen müssen: Hexerei war crimen exceptum, alle einhegenden und damit eben wahrscheinlich auch die Wahrheitssicherung schützenden Rahmenvorschriften waren außer Kraft gesetzt, und die Folterer waren hysterische Knechte hysterischer Landesfürsten, die sich gegenseitig darin überboten, diese nie dagewesene Gefahr, die die Hexerei angeblich darstellte, nur ja besonders hart usw. zu bekämpfen. *Diese* Folterergebnisse konnte man denn nun wirklich nicht brauchen.

    Nach dem Ende des Wahns, zu dem Spee und vielleicht andere in ähnlicher Absicht ja beigetragen haben, dümpelte die „Normalfolter“ jedenfalls erstmal weiter. In Preußen schaffte sie Friedrich der Große ab, aber zunächst mit der Bestimmung „außer für den Vorwurf von Hoch- und Landesverrat sowie den von Massenmord“ und zugleich mit der anscheinend ausdrücklich erwähnenswerten Bestimmung, daß die, denen das Verbrechen nachgewiesen worden war, zukünftig auch ohne Geständnis verurteilt werden konnten. (Wenn es bisher nicht so gewesen war, eine ziemlich einschneidende Änderung, übrigens. In England hatte es diese Folter wohl nicht gegeben, man fragte dann eine Jury. Aber gerechtfertigt wurde *das* mit der Theorie, durch das „I plead not guilty“ habe der Angeklagte zwar nicht gestanden, aber sich immerhin der Entscheidung der *Jury* freiwillig unterworfen – tat er *das* nicht, dann wurde er so lange mit Steinen beschwert, bis er es tat: also gefoltert.)

    Und das Ende der traditionell so genannten Folter bedeutete auch nicht das Ende von allem, was man mit einer gewissen systematischen Berechnung als Folter bezeichnen könnte: „man verprügelte die Beschuldigten, was kein traditionelles Mittel der Folter war“; Regierungsrat „der volle“ Ernst Gennat sah offensichtlich Grund zu der Anweisung „wer mir einen Beschuldigten anfaßt, fliegt! unsere Waffen sind Gehirn und Nerven“; Krimis aus den ausgehenden Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts erwähnen Verhöre, bei denen angeschaltete Taschenlampen aus nächster Nähe auf geöffnete Augen gerichtet werden, als ganz normale Polizeiarbeit, usw.

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    1. Den entscheidenden Absatz bei BR Fischer habe ich ausgelassen, der ist unmittelbar vor dem von mir vorher Zitierten und geht so:

      „Tatsächlich ist die Behauptung grob falsch, wonach Folter kein geeignetes Mittel der Wahrheitserforschung sei – angeblich, weil gefolterte Menschen bereitwillig alles sagen und tun, um dem Schmerz zu entkommen. Wäre es derart simpel, hätte man schon vor langer Zeit wegen Ungeeignetheit mit dem Foltern aufgehört. Es ist eine abwegige Behauptung, jahrhundertelang hätten die Folterspezialisten aller Länder ganz übersehen, dass man unter der Folter lügt. Wer das glaubt, mag sich einmal ein wenig mit den Regeln der Folter im frühneuzeitlichen Inquisitionsprozess befassen. Folter ist ein hochwirksames und sehr zuverlässiges Mittel zur Wahrheitserforschung. Voraussetzung ist, dass der Folterer nicht ein schwachköpfiger Sadist, sondern ein intelligenter Polizist ist, der über Foltern hundertmal mehr weiß als jeder Gefangene und erst recht als jeder Filmzuschauer.“

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  5. Todesstrafe:

    Sehr interessant und für mich mehr oder weniger völlig unterschiedlich finde ich ja die Entwicklung in England. Dort nennt man die eigentlichen Verbrechen felonies und bestrafte sie tatsächlich mehr oder weniger alle mit dem Tod (die Gelehrten behaupten, daß „felony“ *eigentlich nicht* „Kapitalstraftat“ bedeutet, aber es war jedenfalls so weitverbreitet, daß das fast jeder dachte). Diebstahl war damals meines Wissens in England tatsächlich eine felony.

    Dann setzte der hl. Thomas Becket durch seinen Märtyrertod durch, daß Kleriker nicht vom Staat verurteilt werden durften. (Was nebenbei, wir sind ja keine Traumtänzer, funktionierende Kirchengerichte voraussetzte.) Mit dem Ergebnis, daß sich alle Verbrecher eine Tonsur schoren, eine Soutane anzogen und so im Gericht antanzten (später war das nicht mehr notwendig). Kleriker waren damals gebildet, also testete man sie ultimativ darauf, daß sie wirklich Kleriker waren: Man gab ihnen eine Bibel in die Hand und schlug sie selbstverständlich an der passenden Stelle auf: Psalm 50 (heute auch 51 genannt): „Miserere mei secundum magnam misericordiam Tuam“ – der sogenannte Halsvers, weil er den Hals retten konnte.

    Und die Kirche, statt sich über die Amtsanmaßung zu beschweren, machte fröhlich mit.

    Was die Neuzeit tut, ist wirklich sehr bezeichnend: Einerseits wird der Benefit-of-clergy, soweit es ihn noch gab, ausgedehnt zunächst ausgedehnt auf leseunkundige Lords (was ein pures In-your-face-jetzt-herrscht-der-Adel gewesen sein dürfte, soviel konnten Lords lesen, mal abgesehen davon, daß eh immer der Halsvers drankam), andererseits werden außer dem Hochverrat sowie dem „Kleinverrat“ (Mord am Vorgesetzten) und Mord (1496 bzw. im Verlauf des 16. Jahrhunderts, aber beides noch in Grenzen innerhalb der mittelalterlichen Logik) auch jedes auch nur halbwegs nennenswerte Vergehen ausgenommen, schließlich dann z. B. Diebstahl im Gegenwert eines halben Pfundes (gut 160 € nach dem heutigen Silberpreis), eines Pferdes oder auch Schafes oder in der Form des Taschendiebstahls. Und natürlich hieß es nicht mehr, daß ein Kirchengericht dann eine Strafe verhängte, sondern das tat das Gericht gleich selbst, nur halt nicht den Tod. Und der Daumen wurde gebrandmarkt. Und – okay – Frauen erhielten das Privileg auch, und ab dem 18. Jahrhundert Leseunkundige, das war fair.

    Interessant auch, weil sich auch hier ein relativ deutlicher Cut zwischen (Hoch- und Spät-) Mittelalter und Neuzeit zeigt. Das Frühmittelalter allerdings kann so hart wie die frühe Neuzeit gewesen sein.

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  6. Stadt:

    Sehr interessant fand ich ja die beiläufige und deshalb nicht wirklich bequellte Behauptung aus dem Geschichtsunterricht der siebten Klasse, sinngemäß:

    „Städte gab’s so eigentlich erst im Hochmittelalter. Ausnahmen sind die Bischofsstädte. Die Kirche hatte nämlich eine Vorschrift, daß ein Bischof in einer Stadt residieren mußte, deswegen haben diese Städte überlebt und gewissermaßen überwintert, bis es auch andernorts wieder Städte gab.“

    Logisch klingt’s; ein Bischof war in der Antike das Oberhaupt einer Stadtkirche, von der dann auch das umliegende Land verwaltet wurde – deswegen gibt es in Italien und gab es bis zur Revolution in Frankreich, vor allem dessen Südteil, so dermaßen viele Diözesen. Was übrigens heißen müßte, daß es dort auch weiterhin viel mehr Städte gab als in dem (seinerzeit völlig bewaldeten) Germanien… Und deswegen waren die Bischöfe und sind teilweise so häufig in alten Römerstädten wie Moguntiacum, Colonia Claudia Ara Agrippinensis, Augusta Treverorum, Augusta Vindelicorum, Castra Regina. (Freising ist genaugenommen eine ziemliche Ausnahme.) Aber nähere Beweise habe ich leider nicht.

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  7. Es ist immer wieder interessant zu sehen, was Atheisten über das Mittelalter schreiben. Hier habe ich folgenden Kommentar einer Person gefunden, die sich selbst als Kampf- und Krawallatheist beschreibt:

    „Der Geburtsfehler der abendländischen Wissenschaft ist: Nachdem Adel und Kirche sich im Mittelalter alles damals vorhandene Geld angeeignet hatten, blieb niemand anderes übrig, der Wissenschaft und Kunst hätte fördern können.

    Und so wie die durch den Klerus geförderte Kunst (Musik, Malerei, Architektur) den Auftrag hatte, die Glaubensdogmen des christlichen Glaubens emotional zu unterfüttern, so hatte auch die Wissenschaft den Auftrag, Glaubenssätze (pseudo-)rational zu bestätigen.

    Dass das manchmal schief ging, wenn Wissenschaftler mit Charakter und Drang zur Wahrheit das aus der Sicht des Klerus Falsche herausfanden, liegt in der Natur der Sache und wurde mit Scheiterhaufen und Kirchenbann wieder ausgebügelt.

    Die Rolle, die der Wissenschaft durch den reichen Klerus zugewiesen wurde, wird nirgends deutlicher als in der Philosophie, die als Sammelbegriff aller heutigen Einzelwissenschaften im Mittelalter ausdrücklich als „Magd der Theologie“ betrachtet wurde (philosophia ancilla theologiae) und durch diese Perversion recht eigentlich gegen ihre natürliche Anatomie verbogen und zum Gegenteil von Philosophie (Liebe zum Wissen) degradiert wurde.“

    Wie könnte man auf diese Argumentation am besten antworten?

    Mit freundlichen Grüßen,
    I love BXVI

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    1. „Wie könnte man auf diese Argumentation am besten antworten?“

      Am besten: Nichts. Reden lassen.

      Das ist hinten und vorne so dermaßen schief, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll.

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    2. Na ja, man könnte sie erst mal auffordern, uns einen einzigen im Mittelalter wegen seiner Wissenschaft auf dem Scheiterhaufen verbrannten Wissenschaftler zu nennen. (Giordano Bruno zählt nicht, das war wegen Ketzereien wie Pantheismus, Leugnung, dass Jesus Gottes Sohn ist, usw., und außerdem, wenn wir pingelig sein wollen, nicht mehr im Mittelalter.)

      Und natürlich ist die Philosophie die Magd der Theologie. Wieso genau sollten wir keine Liebe zu dem Wissen haben, das Gott uns schon durch seine Offenbarung gibt, d. h. zur Theologie? Und Gottes Offenbarung kann schlichtweg unmöglich der korrekten Philosophie widersprechen. Natürlich geht man als Christ davon aus, dass es hier keinen Widerspruch gibt. Außerdem war die Philosophie m. W. auch nicht der Sammelbegriff aller Einzelwissenschaften.

      – Crescentia.

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  8. Alles falsch.

    >>Der Geburtsfehler der abendländischen Wissenschaft ist: Nachdem Adel und Kirche sich im Mittelalter alles damals vorhandene Geld angeeignet hatten,

    Unfug. Die Kirche begann damals tatsächlich Geld zu bekommen, schön langsam, Stiftungen und so. Der Adel dagegen (mit dessen realpolitischem Einfluß die Kirche *trotzdem* sehr zu kämpfen hatte) war notorisch klamm bei Kasse, ist ja auch logisch, so viele Untertanen, die alle was von einem wollen; Schlachtrösser und Rüstung; dann darf man natürlich auch bei Festen nicht den Knauser geben, weder mit sich selbst noch mit anderen, zumindest nicht mit Standesgenossen, bei den moralisch besseren auch nicht mit der eigenen Familie und dem eigenen Gesinde; man hat sich immerzu trainiert zu halten und mithin für Finanzgeschäfte keine Zeit; und dann muß man hin und wieder auch *tatsächlich* auf Kriegszüge, wenn auch nicht jeder ins Heilige Land, aber manche auch das.

    Es konnte schonmal vorkommen, wenn das auch Spätmittelalter war, daß ein Kaiser als Ehrengast auf eine Hochzeit geladen war und an das Thema Hochzeitsgeschenk erst relativ peinlich erinnert werden mußte und dann ernsthafte Probleme hatte, dasselbe zu bezahlen.

    *Geld* hingegen begann es durchaus mit Massen auch anderswo zu geben, nämlich bei den Kaufleuten der Städte sowie dann auch bei Juden (wohl eher: bei einigen Familien der Juden). Daß Geld später so bedeutend wird, macht gerade eines der Dinge aus, die das Mittelalter von der neuzeit trennt.

    >>blieb niemand anderes übrig, der Wissenschaft und Kunst hätte fördern können.

    Die Kaufleute ließen sich schon auch porträtieren, dochdoch. Übersieht aber vor allem die Hauptsache, daß vor allem die Kirche Wissenschaft und Kunst eben auch *betrieben* hat, als gottgefälliges Suchen nach dem Wahren und Schönen, das viele gerade in den Orden betrieben. Daß Kunst und Wissenschaft erstmal für das, was der Spießer das „wirkliche Leben“ nennt, nichts bringt (heißt: keine klingende Münze), ist ja etwas, wo die heutigen Studenten und besonders der akademische Mittelbau ein Lied von singen können, und das keineswegs nur in den von geldiger Seite (*nicht* von naturwissenschaftlicher Seite!) gern despektierlich betrachteten Geisteswissenschaften. (Trotz überraschender sich später einstellender Anwendungsmöglichkeiten zu Ergebnissen der Grundlagenforschung.) Die Stiftung einer Universität war damals so etwas ähnliches wie die Stiftung einer Armenspeisung (nur kostspieliger); dies ist eine in sich schlüssige Lösung eines Problems, das so eigentlich bis heute besteht.

    >>Und so wie die durch den Klerus geförderte Kunst (Musik, Malerei, Architektur) den Auftrag hatte, die Glaubensdogmen des christlichen Glaubens emotional zu unterfüttern, so hatte auch die Wissenschaft den Auftrag, Glaubenssätze (pseudo-)rational zu bestätigen.

    Streiche pseudo. Und die Kunst war nicht nur für die „emotionale Unterfütterung“ zuständig, sondern für den künstlerischen Ausdruck. „Emotionale Unterfütterung“ scheint mir für Musik, die das niveau der Filmmusik von „Sissi, die junge Kaiserin“ übertrifft, doch etwas despektierlich gesagt.

    >>Dass das manchmal schief ging, wenn Wissenschaftler mit Charakter und Drang zur Wahrheit das aus der Sicht des Klerus Falsche herausfanden, liegt in der Natur der Sache und wurde mit Scheiterhaufen und Kirchenbann wieder ausgebügelt.

    Falsch. Der Kirchenbann war damals im wesentlichen eine Waffe gegen fürstliche Anmaßung, den Scheiterhaufen gar nicht und sicher nicht dafür „etwas herauszufinden“.

    >>Die Rolle, die der Wissenschaft durch den reichen Klerus zugewiesen wurde, wird nirgends deutlicher als in der Philosophie, die als Sammelbegriff aller heutigen Einzelwissenschaften im Mittelalter ausdrücklich als „Magd der Theologie“ betrachtet wurde (philosophia ancilla theologiae) und durch diese Perversion recht eigentlich gegen ihre natürliche Anatomie verbogen und zum Gegenteil von Philosophie (Liebe zum Wissen) degradiert wurde.

    Dies setzt das Vorurteil voraus, daß die Theologie gegen das Wissen stünde. Die Philosophie (was übrigens meines Wissens Liebe zur Weisheit heißt; kann sophia auch „Wissen“ heißen?) hat natürlich einen eigenen Wert, den die im Mittelalter allerdings auch nicht bestritten. Sie wußten aber sehr genau, daß es jemandem zur zusätzlichen Ehre gereicht, wenn er als Vasall in die Dienste eines hohen Herrn tritt und diesem wertvolle Dienste leistet; und dies ist eben tatsächlich etwas, was ein Christ mit Philosophie machen kann.

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    1. „… kann sophia auch „Wissen“ heißen? …“

      Passow sagt: „urspr. das Wissen und Verstehen, das Kennen und Können, dah. 1) körperliche, mechanische Geschicklichkeit in Handwerken und Künsten (…), 2) überh. Anstelligkeit, Gewandtheit und Erfahrenheit in Angelegenheiten des häusl. und öffentlichen Lebens; also im Alltag Lebensklugheit, gesunder Menschenverstand (…), 3) höhere Erkenntnis, Einsicht, Weisheit“.

      „Wissen“ im modernen Sinne wäre eher epistēmē, laut Passow „das Verstehen, Wissen, die Erkenntnis, Einsicht“.

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  9. Ich bedanke mich für die Antworten.
    Hier ist ein weiteres Argument, das ich bei Kirchengegnern gefunden habe:

    „Beispielhaft für die soziale Ausgrenzung und Entrechtung von Kranken in der europäischen Geschichte ist die Behandlung der Aussätzigen oder Leprosen. Dass die Lepra zum Sinnbild für unreine, auszustoßende Menschen wurde, ist dem Kirchenlehrer Hieronymus (um 340 bis 420) zuzuschreiben. Bei seiner Bibelübersetzung führte er als Bezeichnung für die dort im Buch Levitikus abgehandelten entstellenden Hautleiden das griechische Wort „Lepra“ ein.

    Die eigentliche Lepra, die wohl nur einen Bruchteil der Fälle im Mittelalter ausmachte, wird von Mykobakterien verursacht und ist bis heute nicht restlos geklärt. Sie verläuft schleichend über viele Jahre und Jahrzehnte und ist wegen der Verstümmelungen sichtbarer Körperteile gefürchtet.

    Eingeschleppt wurde die Lepra aus dem Nahen Osten durch die unseligen Kreuzzüge. Der bekannteste Betroffene aus den Eliten war vielleicht König Balduin IV. von Jerusalem (1161 bis 1185). Im Gegensatz zu einfachen Menschen blieb ihm allerdings eine Verstoßung aus der Gesellschaft erspart.

    Da die Krankheit angeblich das sichtbare Zeichen einer Strafe Gottes war, wurden vor allem im christlichen Europa die Infizierten sozial isoliert und verbannt. Weltliche Obrigkeit und Kirche hatten sich verbündet, um „unreine“ oder „ungehörige“ Mitmenschen auszusondern. Oft genügte ein vager Verdacht für die Verbannung. Die späteren „Hexen“- und Ketzerjagden folgen einem ähnlichen Muster. Jeder war verpflichtet, Verdachtsfälle zur Anzeige zu bringen. Wer nicht denunzierte, dem drohten drakonische Strafen.

    Die mit Lepra Diagnostizierten wurden in einer feierlichen Prozession unter Glockengeläut in der Kirche symbolisch bestattet. Am Ende dieser Totenmesse erhielt der Ausgestoßene das sogenannte Lazaruskleid: ein schwarzer Rock oder grauer Mantel mit zwei weißen Händen auf dem Brustteil und einen breitkrempigen Hut, um ihn schon von Weitem kenntlich zu machen. Dazu kam eine Lazarusklapper oder ein Glöckchen, mit denen der Betroffene herannahende Menschen rechtzeitig vor sich warnen musste.

    Der Ausschluss eines Lepraverdächtigen aus der Gesellschaft bedeutete, dass er alle bürgerlichen Rechte verlor.

    Betroffene durften keinen Besitz mitnehmen, vorher veräußern oder verschenken. Alle Besitztümer gingen an Angehörige oder die Kirche. Als Wohlhabender lebte man damals schon gefährlich.

    Die Bereicherung wird nicht nur in Einzelfällen die treibende Kraft für die Diagnose gewesen sein, denn Anfang des 13. Jahrhunderts soll es in der christlichen Hemisphäre schon 19.000 Lepraheime gegeben haben. Für die Heimbetreiber nicht nur die Möglichkeit, ihre Nächstenliebe auszuleben, sondern ein blendendes Geschäft.

    Es ist anzunehmen, dass nur die wenigsten Insassen tatsächlich an Lepra litten. Zigtausende Menschen mussten in Gettos auf Basis einer fraglichen Diagnose dahinvegetieren. Oft unter unsäglichen Bedingungen mit wirklichen Leprakranken zusammengepfercht, konnten viele aber schließlich doch eine Lepra bekommen.

    Der zivile Tod war eine Erfindung des Christentums. Mit diesem verbreitete sich eine paranoide Ansteckungsangst, die zu Hass und Aggression führte. Lepröse wurden mitleidslos von ihren Angehörigen verstoßen und galten als „lebende Leichname“. In islamischen Ländern, Afrika oder Indien, in denen die Lepra immer stärker verbreitet war, gab es diese lebenslange Absonderung nicht.“

    Was kann man dazu sagen?

    Mit freundlichen Grüßen,
    I love BXVI

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    1. Ergänzend zum obrigen Kommentar habe ich noch ein weiteres ähnliches Argument gefunden:

      „Then enters Gerbert of Aurillac who merged Arabic and Chinese knowledge into Europe. Ayurvedic and Chinese medical knowledge had no concept of contagion, it was either due to increases or decreases, explained in terms of energy or chi. The war like idea of germs was only a European idea. In 969, Count Borrell II made a pilgrimage to Rome, taking Gerbert with him. There Gerbert met Pope John XIII (965–972) and the Emperor Otto I, nicknamed “the Great” (936–973). The Pope persuaded Otto I to employ Gerbert as a tutor for his young son, the future Emperor Otto II (973–983). Some years later, Otto I gave Gerbert leave to study at the cathedral school of Rheims where he was soon appointed a teacher by Archbishop Adalberon.

      When Gerbert died, everything changed. The Roman Vatican suppressed much of his work and began to use disease to determine who was good and who was evil and should be expelled. The German word for leprosy is Aussatz which means to cast away. This became a central religion dogma in the 11th century. The mini ice age of 1308 caused mass migrations of people as they couldn’t grow their crops in the colder weather, there was a starvation catastrophe, the massive Friuli earthquake of 1348 worsening things. The quake was seen as a sign of the anti-christ as law and order turned to chaos. The central hub of global trade, Venice, and the main trade lines collapsed, so did the currencies. This was used by the priests to deem huge populations groups as being punished by God and they were claimed to have the black plague. Whole sections of starving people were quarantined, put under lock down, starved to death, slaughtered and poisoned. Leprosy was renamed as the Black Plague.“

      Wie kann man am besten auf diese Vorwürfe gegen die Kirche antworten?

      Mit freundlichen Grüßen,
      I love BXVI

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      1. Also erst mal könnte man antworten, dass jemand, der nicht an ansteckende Krankheitserreger glaubt, und dem nicht klar ist, dass Lepra und Pest zwei unterschiedliche Krankheiten sind, und der behauptet, man hätte Leute unter Quarantäne einfach vergiftet, hier nicht anfangen sollte, noch alles mögliche andere zu erfinden… der Kommentar klingt wie von einem völlig Verrückten geschrieben.

        – Crescentia

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      2. (Und man muss es eigentlich nicht erwähnen, aber niemand hat Leute, die man unter Quarantäne stellen musste, für böse erklärt. Wozu haben wohl Orden extra Häuser für Leprakranke eingerichtet?)

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  10. Ja, der Kommentar klingt wie von einem völlig Verrückten geschrieben, aber meiner Meinung nach müssen wir die gegen die Kirche gerichteten Behauptungen, die im Kommentar auftauchen, ernst nehmen. Immerhin werden hier schwerwiegende Vorwürfe erhoben (bewusst herbeigeführter Hungertod bei in Quarantäne lebenden Menschen) und man sollte den Anteil der Menschen nicht unterschätzen, die solche Vorwürfe glauben. Viele Menschen haben bereits eine sehr negative Vorstellung von der mittelalterlichen Kirche (Verfolgung und Unterdrückung Andersgläubiger, bewusstes Dummhalten der Bevölkerung, Ausbeutung der Bauern, in Klöstern arbeitende Sklaven etc…) und so fällt eine Behauptung wie die oben genannte auf fruchtbaren Boden.

    Genauso verhält es sich mit dem Kommentar, den ich im September zitiert habe. Hier werden ebenso schwerwiegende Vorwürfe gegen Kirche und Christentum erhoben, die sicherlich auf fruchtbaren Boden fallen:

    1) Dass die Lepra zum Sinnbild für unreine, auszustoßende Menschen wurde, ist dem Kirchenlehrer Hieronymus (um 340 bis 420) zuzuschreiben. Bei seiner Bibelübersetzung führte er als Bezeichnung für die dort im Buch Levitikus abgehandelten entstellenden Hautleiden das griechische Wort „Lepra“ ein.

    2) Da die Krankheit angeblich das sichtbare Zeichen einer Strafe Gottes war, wurden vor allem im christlichen Europa die Infizierten sozial isoliert und verbannt. Weltliche Obrigkeit und Kirche hatten sich verbündet, um „unreine“ oder „ungehörige“ Mitmenschen auszusondern.

    3) Der Ausschluss eines Lepraverdächtigen aus der Gesellschaft bedeutete, dass er alle bürgerlichen Rechte verlor. Betroffene durften keinen Besitz mitnehmen, vorher veräußern oder verschenken. Alle Besitztümer gingen an Angehörige oder die Kirche.

    4) Die Bereicherung wird nicht nur in Einzelfällen die treibende Kraft für die Diagnose gewesen sein, denn Anfang des 13. Jahrhunderts soll es in der christlichen Hemisphäre schon 19.000 Lepraheime gegeben haben. Für die Heimbetreiber nicht nur die Möglichkeit, ihre Nächstenliebe auszuleben, sondern ein blendendes Geschäft.

    5) Der zivile Tod war eine Erfindung des Christentums. Mit diesem verbreitete sich eine paranoide Ansteckungsangst, die zu Hass und Aggression führte. Lepröse wurden mitleidslos von ihren Angehörigen verstoßen und galten als „lebende Leichname“. In islamischen Ländern, Afrika oder Indien, in denen die Lepra immer stärker verbreitet war, gab es diese lebenslange Absonderung nicht.

    Wir müssen also wachsam bleiben und alle antikirchlichen Kommentare gleichermaßen ernst nehmen.

    Mit freundlichen Grüßen,
    I love BXVI

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