Vollkommene Liebe vertreibt die Furcht, Teil 6: Skrupulosität aus psychologischer Sicht

Alle Teile hier.

 

Aus psychologischer Sicht ist Skrupulosität eine Form der Zwangsstörung. Sie funktioniert wie andere Zwangsstörungen auch: Zwangsgedanken plagen einen und führen zu Zwangshandlungen (z. B. vermeidet man bestimmte Orte zwanghaft, kontrolliert manche Dinge zwanghaft, geht alle drei Tage zur Beichte…), aber diese Zwangshandlungen bieten nur kurzfristig Erleichterung und verstärken die Zwangsgedanken am Ende; man bleibt in dem Zwang gefangen.

Gerade bei schlimmeren Formen von Skrupulosität kann es helfen, mit einem Psychologen oder Psychiater zu reden. Manchmal kann es einfach helfen, sich vom Psychiater Medikamente verschreiben zu lassen, damit die ständige Angst und Unruhe nach unten gehen; manchmal kann es helfen, zum Psychotherapeuten zu gehen; manchmal braucht man beides.

Psychologen sind nicht mehr auf dem Stand Sigmund Freuds, was ihre Ansichten zur Religion angeht. Sicher kann man an einen schlechten Therapeuten geraten; aber gute Therapeuten respektieren die Religion ihrer Klienten. Seriöse Publikationen behaupten nicht, dass Religion oder Moral Zwangsstörungen auslöse, und betrachten es nicht als Aufgabe eines Therapeuten, Wertmaßstäbe für eine andere Person festzulegen. Derer muss sich der Klient selbst – evtl. in Absprache mit einem Geistlichen seiner Religion – klar werden. Aufgabe eines Therapeuten ist es dann, dabei zu helfen, die Skrupel loszuwerden, da sie eben gerade nicht den eigenen Wertmaßstäben entsprechen. Skrupulosität ist eine psychische Krankheit, und wenn eine Krankheit entsprechend belastend wird, geht man zum Arzt. Es gibt übrigens auch hilfreiche Anleitungen zur Selbsthilfe bei Zwangsstörungen zu kaufen.

Weder wird ein guter Therapeut einem einreden wollen, die Kirche zu verlassen, noch wird er durch die Schilderung der Skrupel einen schlechten Eindruck von der Kirche bekommen, an dem man dann schuld wäre. (Er sollte im Studium schon von religiösen Neurosen gehört haben. Und seinen eigenen möglichen Einfluss zum Schaden seiner Mitmenschen muss man auch nicht immer gar so hoch einschätzen. Die anderen Leute können selber denken und an die denkt Gott auch. (Das ist eine allgemeine Regel, die Skrupulanten vor allem dann beherzigen sollten, wenn es um die „correctio fraterna“, die brüderliche Zurechtweisung geht. Wenn wir denken, andere kommen sicher in die Hölle, weil wir sie nicht auf dieses oder jenes hingewiesen haben, überschätzen wir uns.))

Es ist erwiesen, dass bei Zwangsstörungen eine Verhaltenstherapie hilft. Das heißt, es wird nicht analysiert, woher Ängste und Zwänge kommen, sondern es wird einfach daran gearbeitet, das tägliche Verhalten zu ändern. Dabei muss man üben, seine Ängste zu konfrontieren, ohne dann zu einer Zwangshandlung Zuflucht zu nehmen. Das heißt, man muss, wenn man zum Beispiel fürchtet, durch Händeschütteln gefährliche Bakterien an andere zu übertragen und hier die Möglichkeit einer Todsünde sieht, gerade mit Absicht möglichst vielen Menschen in der Kirche die Hand zum Friedensgruß reichen und danach zur Kommunion gehen, auch wenn das skrupulöse Gewissen einem einreden will, man sei nun nicht mehr im Stand der Gnade. Und dann darf man hinterher nicht zur Beichte gehen oder irgendwelche Gebete verrichten, um die doppelte Sünde (Bakterienübertragung und sakrilegische Kommunion), die man sich nun einbildet, wieder loszuwerden. Stattdessen wartet man einige Wochen bis zur nächsten Beichte und erwähnt dann nur die sicheren Sünden – und die beiden eingebildeten nicht.

Das kostet Überwindung. Skrupulosität ist schwieriger zu besiegen als andere Zwangsstörungen, glaube ich – erstens, weil man nicht irgendein Unglück, sondern ein moralisches Fehlverhalten fürchtet, und zweitens, weil die möglichen Konsequenzen (Hölle) so schlimm sind, dass man sich sagt, man geht lieber auf Nummer sicher, egal was ein Therapeut oder ein Familienmitglied oder auch der Pfarrer sagt. Es schadet doch nichts, wenn man zur Beichte geht… nur… nur vorsichtshalber; lieber kommt man mit der Skrupulosität aus, als dass man die ewige Verdammnis riskiert. Sagt man sich. Aber das ist Unsinn. Und Skrupulosität schadet sehr wohl. Man muss sich das klarmachen, sich Ziele setzen, und konkrete Übungen angehen. Regelmäßig. Immer wieder. Am besten mit jemandem, der es einem nicht durchgehen lässt, sich gehen zu lassen. Dabei wird man entdecken, dass die Angst und Unruhe, die man bei den Übungen erlebt und die einen zu Zwangshandlungen drängt, nicht ewig dauert. Wenn man sie lange genug aushält, verschwindet sie von selbst.

 

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